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Im Hause der Frau Juliane und in dessen Umgebung war bereits das harmlose heitere Treiben erwacht, das einen Hochzeitstag auf dem Lande begleitet. Geputzte, mit künstlichen Sträußen geschmückte Kinder, froher Willkommen zufahrender Gäste, zuströmende Neugierige und ein großer Segen von armen Leuten aus der ganzen Umgegend, die gekommen waren der Brosamen wegen, die heute von der reichen Hochzeitstafel reichlich für sie fielen. Denn so war es der Wille der Braut.
Nun war auch, herzlich begrüßt, Bas Philippine mit ihrem Mann angelangt, wie immer völlig schwarz gekleidet, als lebe sie in ewiger Trauer. Nachdem sie mit allen Anwesenden freundliche Worte gewechselt, ging sie auf die Kinder zu, die da in einem Häuflein beisammen standen.
»Na, du Lieb's, du Goldiges«, sagte sie zu dem ältesten Bübchen. »Gib mir auch einmal ein Patschhändelchen. So! Wie heißt du denn, du Dickerle? So, Pöppel! Und du, du Nettes?«
»Stöffele!«
»So! Und was willst du denn einmal werden, du Herzgepoppeltes? He?«
»Zuckerbäcker.«
»Und du?«
»Trompeter!«
»Na, ihr habt's gut vor!« sagte Bas Philippine etwas ernüchtert unter dem Lachen der Umstehenden.
Auch die beiden Kinder des Kronenwirts wurden ihrerseits von Juliane und andern ähnlich betätschelt und herzgepoppelt.
Während die Hochzeitsgäste noch von allen Seiten zu Wagen und zu Fuß kamen, ordnete sich das aus den nächsten Anverwandten bestehende Geleit des Brautpaares zur Kopulation ins Gemeindehaus, wohin auch Frau Juliane ihrer Unterschrift wegen mit mußte, während die Mutter, alter Sitte gemäß, nicht mit in die Kirche zu gehen hatte.
Alle Fenster der beiden Nachbardörfer waren besetzt, und selbst auf der Feldstrecke zwischen beiden Orten standen die Leute, um das Brautpaar zu sehen. Eine gewisse Spannung und Aufregung war nicht zu verkennen. Man schien zu glauben, daß der Tag nicht so glatt verlaufen, daß er noch etwas Unerwartetes, Ungewöhnliches, Überraschendes bringen werde. Allein, sah die Braut auch bleich aus, sie war doch augenscheinlich ruhig und gefaßt. Sie war nicht in vollem Hochzeitsstaat, der erst zum Kirchgang angelegt wurde. Mit niedergeschlagenen Augen ging sie, von hundert Blicken gemustert, die lange Dorfgasse entlang nach dem Gemeindehaus, das tiefer im Tal, bei der katholischen Kirche neben dem kleinen Bach und großen Dorfbrunnen steht.
Auch hier war zu dieser Jahreszeit jeder Platz mit Waschweibern besetzt. Sie hielten jetzt im Klopfen, Patschen und Ratschen inne, und standen hochgeschürzt mit dem hölzernen Bleuel in der Faust jenseits des Dorfbaches, um ihre Glossen über das Brautpaar zu machen, das eben mit seinem Gefolge das Gemeindehaus betrat.
»Wie bleich sie aussieht!« meinte die eine. »Sie hätte wohl auch lieber den von Münster genommen!«
»Na, der Kronenwirt ist auch ein hübscher, junger Mann – und reich.«
»An Schulden!«
»Ach, was Schulden! Wer ist schuldenfrei! Auch der König hat Schulden. Und sie hat ja Geld genug seine Schulden zu bezahlen.«
»Ob sie ja sagen wird!«
»Was will sie denn machen?«
»Gib acht! So manche ist noch vor dem Alter zurückgetreten. Der Susel ist es zuzutrauen.«
»Das hilft ihr nichts, wenn der Bürgermeister sie einmal auf dem Gemeindehaus kopuliert hat.«
Das alles wurde in achtungsvoller Haltung und gedämpftem Ton gesprochen. Nur Bas Marlis, noch immer nicht versöhnt seit jenem Streit mit Frau Juliane wegen des Besuchs der Pfarrstunde, schien nicht einmal hinsehen zu wollen, sondern überließ sich einem leidenschaftlichen Anfall von Arbeitsdrang und Wascheifer. Sie war seitdem noch schwammiger und eigensinniger geworden. Mit aller Wucht, die sie aufzubieten vermochte, schlug sie mit einem Waschbleuel auf das unglückselige Hemd, das sie zusammengerollt auf den Waschstein gelegt hatte, so daß es wie Pistolenschüsse krachte und das eingezogene Wasser nach allen Seiten spritzte. Und dazu schrie und lärmte sie. »Ei, ja, die Juliane da! Die meint schon, der große Hund sei ihr Vetter und der König ihr Schwager. Wenn man die einzige Tochter hat und es einem die Mittel erlauben, muß man natürlich eine Hochzeit halten, wie der Louis Philippe, wenn er eine Tochter verheiratet. Versteht sich, nobel, großartig, wenn man auch nur eine Spiegelguckerin ist, eine Bauersfrau aus Oberhofen, der es ansteht, wie der Kuh die Spitzenhaub'.«
Als der Zug nach vollzogener Trauung wieder den Rückweg einschlug, da entfuhr der Bas Marlis ein ungemein höhnisches Gelächter, wobei sie, den Bauch vorstreckend, mit den Armen focht und mit den Händen um sich schlug, als befände sie sich mit ihrer Widersacherin im heftigsten Handgemenge.
»Ei, ja wohl«, schrie sie. »Einen Witmann! Glaub's gern, daß er zugelangt hat, der Schuldenbuckel. Vetter Balzers Hannes hat nicht gewollt. Und das Brüderle Barfuß vom Gleiszeller Berg wird wohl auch zur Hochzeit geladen sein, he?«
»Jetzt aber still!« gebot der Büttel ärgerlich. »Seid Ihr dann ganz aus dem Häuschen?!«
»Du bist aus dem Häuschen, du Tyrannenknecht! Was meinst du denn! Wenn ich ruhig meine Arbeit tu', kommt der daher und will ein Protokoll machen! Oh, hätt' ich das Tyrannenpack! – Aber wart'!« Und wieder hieb sie auf ihre Wäsche los, als gelte es, alle Tyrannen der Welt zusammenzuklopfen. »Komm nur her, du Lump!«
So hatte man Bas Marlis schon seit den Tagen nicht gesehen, wo sie als junges Mädchen den Freiheitsbaum beim Beginn der großen Revolution hatte schmücken helfen. Als der Büttel glaubte, kurzen Prozeß machen und die Widerspenstige fortführen zu müssen, rotteten sich die andern Weiber zusammen, drohend ihre Waschbleuel schwingend, während die Kinder jubelnd zusahen.
»Ei jo!« hieß es. Man verarretiert nur so! Nix da! Das hat sich aufgehört!«
»Freiheit in unserm Land, Freiheit im ganzen Land!« |
Als nun der Büttel, in einer Zeit, wo solche Revolutionsliedchen bereits aufzutauchen begannen, dem Landfrieden nicht mehr trauend, sich zurückzog, hatte er für Spott nicht zu sorgen, da ihm selbst das Hohngelächter der Kinder und die Walzermelodie, nach der von da an viel auf allen Hochzeiten getanzt wurde, nachscholl:
»Jagt sie zum Land hinaus, Jetzt kommt der Völkerschmaus. Aristokraten werden gebraten –.« |
Ohne Ahnung des stattgehabten Auftritts war das nach Oberhofen zurückgekehrte Brautgefolge im Haus der Frau Juliane. Denn nun rüstete man sich zum Kirchgang, im feierlichsten Aufzug und Hochzeitsstaat. Jedem Teilnehmer wurde von seiten des Brautpaares ein Blumenstrauß überreicht. Und Glockengeläute und unbändiges Schießen aus allen Höfen, das sich noch auf der Feldstrecke bis zur Kirche fortsetzte. Man zog dahin, voraus die kleinen herausgeputzten Mädchen mit Kränzen und Sträußen, dann die Braut selbst in einem schwarzen Tuchkleid mit dem Hochzeitskranz im Haar, inmitten der reichgeschmückten Brautjungfern. Nun kamen die Knaben, das Pöppele, das Stöffele, das Hansel, der Mathesel sind der Anderesel, alle mit mächtigen, künstlichen Sträußen am Wämschen und Mützchen. Dann erst der Bräutigam, mit dem mächtigen Strauß künstlicher Blumen an der Herzseite seines Hochzeitsrockes, zwischen seinen Führern, unter denen auch Schorsch und Stoffel waren, die sich gegenseitig nicht ansahen. Zum Schluß folgten dann, mit Ausnahme der Mutter der Braut, die dem Brauch gemäß daheim blieb, um in würdiger Weise die Mahlzeiten vorbereiten zu lassen, die nächsten Verwandten und Hochzeitsgäste jeder Art; echte Bauern in dreieckigen Hüten, Manschettenbauern, wie der lange Jung und des Kronenwirts Schwager im Zylinder, die Weiber in Nebelkappen und Ziehhauben, und Bas Philippine, die Schwester des »Hochzeiters«, in der schwarzen Samthaube.
Er sah heute sehr stattlich aus, der Kronenwirt, und war, wie es schien, auch sehr hoffnungsvoll und glücklich. Vom Aussehen der Braut ließ sich nicht das gleiche sagen. Groß und schön war ja Susanne heute wie immer, aber so seltsam bleich. Aber sie weinte nicht, wie es doch die bräutliche Sitte verlangt. Keine Träne glänzte durch die langen, niedergezogenen Wimpern; ihre so verschleierten Augen blieben völlig trocken.
In das stille Dorf war heute eine ungewohnte Bewegung gekommen. Niemand, der eine Stunde erübrigen konnte, blieb daheim. Von den letzten Häusern bis zum steinernen Kreuzsockel bei der Ruhbank und wieder bis zu den nächsten Häusern standen die Neugierigen, während Flinten und Pistolen andauernd krachten und knallten, Susel aber kaum zusammenzuckte, sondern alles mit Gleichmut über sich ergehen ließ. Nun drängten die Leute in die Kirche, während sich das Hochzeitsgefolge in den Chorstühlen, wo sonst nur die Presbyter saßen, um den Altar ordnete, indes das Brautpaar außerhalb des Altars vor dem Geleite hielt.
Als der Geistliche dazukam, die Trauungsformel aus der Agente abzulesen und dem Paar die Pflichten des Ehestandes einzuschärfen, da wechselte die Braut mehrmals die Farbe, und wurde dann immer blasser. Nur einmal hatte sie die Augen flüchtig aufgeschlagen, und der Zufall wollte es, daß sie dem sich gegenüber sah, der nach der Wahl ihres Herzens hätte hier an ihrer Seite stehen müssen. Seine Augen begegneten den ihrigen. Eine Sekunde lang hielt sie den Blick aus.
Susel hatte ihre Augen wieder gesenkt, und stand nun ruhig, ganz ruhig da. Keineswegs nach der Sitte eng an der Seite des Bräutigams, sondern weit genug von ihm entfernt, daß man zwischen dem Paar hindurch sehen konnte.
Als der Geistliche zur Frage der liturgischen Trauungsformel kam: »Willst du, Konrad Kurz, diese deine erwählte Braut, Susanne Groß, allzeit als deine Ehefrau ansehen, und ihr in guten, wie in bösen Tagen zur Seite stehen, so sprich ein lautes, deutliches Ja!« Da klang das »Ja« des Kronenwirts so laut durch die Kirche, daß es an den Wänden widerhallte.
»Und du, Susanne Groß, willst du deinen Erkorenen hier, diesen Konrad Kurz, als deinen Ehemann ansehen und ihm in guten, wie in bösen Tagen treulich anhängen und zur Seite stehen, so sprich ein deutliches Ja!«
Aller Augen hatten sich auf die Braut geheftet, und nicht wenige lauschten mit erwartungsvoller Spannung! War auch für alle rechtlichen Fragen die Trauung schon durch die bürgerliche Kopulation genügend vollendet, so sollte doch hier, gleichsam vor Gott und vor dem eigenen Gewissen, die Verbindung feierlich bestätigt werden. Niemand von den Zeugen hatte ihr Ja gehört. Doch der Geistliche mußte wohl das Wort der Einwilligung vernommen haben, denn er sah die Braut mit einer allerdings kaum merklichen Gebärde gelöster Spannung, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen, und doch wieder mit einem Ausdruck an, als denke er: So ergeben sie sich zuletzt alle in ihr Schicksal. Und da der Pfarrer sprach: »So reichet euch die Hände!« und sich anschickte, die Hand des Bräutigams auf die der Braut zu legen, was diese sich willenlos gefallen ließ, ging ein vernehmliches Aufatmen durch die Kirche.
Warum aber hatte Schorsch sich mehrmals so auffällig verfärbt, während jetzt der Segen über beide gesprochen wurde? Auch der Braut, die wieder mit demselben blassen Antlitz und den geschlossenen Lippen einmal flüchtig aufgeblickt hatte, war es nicht entgangen. Was war ihm denn nicht recht? Es hatte doch alles den gewohnten Verlauf genommen, und er selbst hatte, solange es noch Zeit gewesen wäre, nicht das mindeste unternommen, den Gang der Dinge zu wenden oder zu ändern, wie sehnlich es auch von einer Seite erwartet worden war! Was war ihm denn nun nicht recht?
Die Orgel fiel ein, der Pfarrer sprach händeschüttelnd seinen Glückwunsch aus, und reihte sich, zur Hochzeitstafel geladen, dem Zuge ein, der sich in derselben Ordnung heimwärts bewegte, nur daß jetzt das getraute Paar nebeneinander schritt. Mit lachendem Gesicht sah der Kronenwirt jetzt in die Welt, nachdem alles so gut abgelaufen war. Für Susel schien der Gang immer schwerer zu werden, und bei jedem Schuß und Knall, der nun Schlag auf Schlag erfolgte, zuckte sie zusammen. Noch immer war sie so bleich, als habe sie in der Kirche stark gefroren. Doch sie weinte auch jetzt nicht.
Gleich vor der Kirche war sie von den Mädchen von Pleisweiler »gefangen« worden, das heißt: die Straße wurde ihr durch eine lange Schnur gesperrt und ihr Kleid mit bunten Blättern besteckt, so daß sie sich mit einem Geldstück lösen mußte – ein Brauch, der sich am Eingang des Dorfes durch die Mädchen von Oberhofen wiederholte. Inzwischen jedoch hatte sich etwas ereignet, das als kein gutes Omen betrachtet wurde.
Als der Zug sich nämlich auf dem Heimweg der Ruhebank näherte, wo eine Gruppe ärmlich gekleideter fremder Leute mit Brotkörbchen und Bündeln stand, stieß ein altes Weib einen zerlumpten kleinen Jungen, der auf dem Kreuzsockel saß, von dem Stein herab mit den Worten: »So, jetzt hurtig! Tu, wie ich dir gesagt habe!«
Schnell glitt das arme Kind herunter, auf den Zug los und hüpfte, bevor es aufgehalten werden konnte, zwischen dem Hochzeitspaar durch, um sich dann am Kleid der Braut festzuhalten: »Gib mir auch etwas, Susel! Wenn du anderen gibst, laß' auch deinen Bruder nicht ohne Hochzeitsstück!«
Susel war so in Gedanken versunken, daß sie, ohne der Anrede sonderlich geachtet zu haben, sofort in die Tasche griff, um dem vier- oder fünfjährigen Jungen, der sie vertrauensvoll ansah, das Erbetene zu geben. Aber schon traten andere dazwischen und stießen den Jungen aus der Reihe. Und Jerg, der Mann Eves, die der Hochzeit nicht beiwohnen konnte, ergriff das Kind beim Kragen und schleuderte es so derb zur Seite, daß es über den Straßengraben stürzte und laut weinend am Rain liegenblieb.
Wie ein wildes Tier stürzte die Alte auf das Kind los, hob es auf und rief, es an der Hand wieder zur Ruhebank nachziehend, dem Zuge mit geballter Faust nach: »Die Kränk' und die Pest auch! Meine Tochter ist mir zu Grund gangen durch euch! Wollt ihr auch das Kind da umbringen, das euch so viel angehet, wie mich! Seid verflucht in den Grunderdsboden bis in die siebente Höll hinein! Und der Tag soll kein gutes Ende nehmen! Das wünsch' ich euch allen miteinander!«
Die vorderen Reihen des Zuges waren bereits wieder in gewohnter Ordnung weitergegangen, um durch neue Eindrücke, Flintenknallen und Gefangennahme der Braut über den Vorfall hinwegzukommen.
»Wer ist die Bettelfrau?« fragte man unter den älteren Männern.
»Die Benkerten vom Gleiszeller Berg«, flüsterte Vetter Balzer, der mit seinem Hannes und dessen Liesel ebenfalls der Hochzeit Susels beiwohnte. »Die Mutter der selbigen Nettl, die zu Henrichs Lebzeiten im Haus gedient hat.«
»So, da, Alte!« sagte der lange Jung von Kapellen, aus dem Zuge tretend und ein Stück Geld aus der Tasche holend. »Nehmt und seid ruhig. Untersteht Euch nicht.«
Doch die Alte stieß leidenschaftlich seine Hand zurück, kehrte ihm den Rücken und schrie: »Ich will jetzt nichts, von keinem von euch! Aber der Tag soll kein gutes End' nehmen, das hoffe ich, wenn ein Gott im Himmel ist!«
Böse Erinnerungen und unangenehme Gedanken waren hervorgerufen in der Schar der älteren Hochzeitsgäste. Doch hielt diese Stimmung nur noch, bis man im Festhaus anlangte, wo Juliane, tief gerührt, ihre nunmehr verheiratete Tochter begrüßte. »Halt' mir sie gut, Kronenwirt«, sagte sie, »sie verdient es.«
»Was an mir liegt, Mutter, soll geschehen!« war die Antwort, während sich alles zum Glückwunsch herandrängte, auch Schorsch.
»Gratuliere«, sagte er auffallend kurz und frostig, als er die Hand der Braut eben nur berührte, ohne Susel anzusehen.
Dann traten andere an seine Stelle, und er zurück. Man achtete seiner kaum. Hierauf begann die Tafel in der großen Oberstube mit einem laut gesprochenen Tischgebet des Herrn Pfarrers.