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In Italien

 

Die Gärten der Lombardei

I. Singende Silben, duftende Terrassen

In der Schweiz hat man mir ein altes, sehr ehrbares Fräulein gezeigt, das sich jedes Jahr einen kleinen Knaben aussucht und den Unterhalt aller seiner Studien bestreitet bis zu dem Tage, an dem er Priester wird. Ich mußte sofort an Fräulein Claude Bernard denken, die die Pudel sammelt, ihnen aber die Fortpflanzung verbietet. Und als ich an die italienischen Seen kam, fiel mir die Lebensführung dieser beiden Damen wieder ein und schien mir ein lehrreiches Beispiel.

Gewisse Geschöpfe, sagte ich mir, scheinen ganz besonders dazu bestimmt zu sein, daß man für sie sorge, ihnen die Härten des Kampfes und Wettbewerbes erspare; denn sie würden ihnen unterliegen. Ihre Delikatesse, ihre Schwäche geben ihnen dieses »Recht auf Faulheit«, von dem Lafargue sprach. Aber nachdem sie nicht imstande sind, ihr eigenes Leben zu sichern, wäre es am Platze, ihnen auch die Sorge um die Sicherstellung der Nachkommen abzunehmen, denn die Gesellschaft, die ihnen durchhilft, wäre doch nicht reich genug, ihre Kinder zu adoptieren.

Wo könnten diese modernen Klosterbrüder, diese wunderlichen Derwische und Träumer, denen die Energie fehlt, die man in den großen Städten ausgeben muß, wo könnten sie sorgloser vegetieren als in den verstreuten Gärten am Ufer der Seen von Lugano, Como, des Garda-Sees, auch am See von Varese, wo Taine sich eine Villa wünschte? Unvergleichliche Paradiese für Geschöpfe, die nichts weiter wollen als eine Wegzehrung!

Gärten von Giulia, Melzi, Sommariva, Serbelloni, singende Silben, duftende und leuchtende Terrassen! Und doch ist es bereits Herbst; ein kleiner warmer Regen fällt auf die Bäume. Auf den Abhängen, die den See umschließen und wo ich spaziere, ist der Weg eben wie ein Balkon und überall laden Bänke ein. Unter Myrten, Zitronenbäumen und Palmen berauscht man sich mühe- und gedankenlos an diesem »Becher Licht«, der diese Landschaft ist. Aber nach meinem Geschmacke ist es weit mehr der Herbst als die südliche Flora, der den Reiz dieser Ufer bedeutet.

Alte Bäume, die ihre Äste dem Lichte hinstrecken, treten zwischen den Wanderer und das Rund. Die Bläue des Sees, die Landhäuser, die Wälder von Maulbeeren und Oliven sieht man nur durch einen dünnen Vorhang unbewegter Blätter. Unter diesem Halbschleier gelb werdender Blätter ist die Natur in ihrer großartigen Stille anbetungswürdiger als irgend etwas der Kunst, und die Frauen auf dem »Frühling« des berühmten Botticelli sind blumenumwunden auch nur arme kleine Tierchen neben dieser Ruhe, dieser Jugend, dieser wahrhaften Göttin, wie sie die Natur in den Gärten der Lombardei ist.

Warum diese oder jene Villa besonders beschreiben? Der ganze Umkreis ist für uns nur ein Garten, in dem magischen Sinne, den das Wort bekommt, wenn es die geheimnisvollen Stätten der Legende bezeichnet, vom biblischen Garten beim Beginne der Welt an bis zu den Zaubergärten der Armida.

Es ist nicht Spaniens Herbheit, noch die Großartigkeit des Orientes, dort unten, beim Eingang in die Wüste. Es ist sogar ein bißchen banal, aber so lieb! Auf dem Wege von der Schweiz nach Italien kaufe ich bei einem armen Krämer in Lugano irgendwas für ein paar Pfennige, und er besteht darauf, mir drei Tropfen »reinster Chyper-Essenz« auf mein Taschentuch zu gießen. Dieser Geruch hätte mich sonst belästigt, aber er kam von diesem gewandten Höfling, dem ersten Italiener, der mir begegnete, und er parfümiert alles was mich umgibt und schafft mir eine etwas fade aber angenehme Atmosphäre.

In London und von einem Engländer erlebte man nie solche Artigkeiten. Und dann: die Geschmacklosigkeit ist keine so verächtliche Sache. Ich kenne einen gelehrten Arzt, einen großen Arbeiter, der nur italienische Diener haben will. Wenn er sich in den Zwischenpausen seiner Konsultationen von den körperlichen Unappetitlichkeiten, die ihm so viele Patienten bis ins kleinste beschreiben, erholen will, läßt er sich schnell von seinem Kammerdiener was vorreden. Am Sinn der Worte lag ihm nichts, der bloße Klang war ihm eine Erholung. Derartige Zwischenspiele begreife ich besser als ich sie beim General Boulanger verstehe, der in den Pausen der Sitzungen des Comité National das Porträt seiner Geliebten küßte. War sie denn nicht im Nebenzimmer?

Leider hat man eines Tages diese Gärten Italiens durchstreift; niemals läßt man sich da nieder. Man wüßte da nicht zu leben; das sind nur Orte des Nichtstuns. Es ist das Land der Stille, des gänzlichen Vergessens aller Dinge und Geschöpfe. Begnügen wir uns damit, manchmal da vorbeizukommen.

In Italien sind die Weine schlecht, die Frauen nicht hübsch, die Musik recht grell und doch: man erinnert sich an alles ganz trunken. Auf diesem freundlichen Comer-See dahingleitend kommt mir die Musik, die ein armseliges Orchester von einem Ufer zum anderen schickt, ganz köstlich vor. Von beschränkter Kunst und wenig abwechslungsreich, beweist sie mir doch einen so ehrlichen Willen zum Glück! Hier transfigurieren der Duft der Blumen und die Art des Lichtes die dürftigste Melodie. Übrigens täten die Getreuen von Bayreuth sehr unrecht, darüber zu lächeln, daß man in Italien Gefallen an den italienischen Weisen hat. Der Venusberg, aus dem sich der Ritter Tannhäuser so schwer losreißt, die Blumenmädchen, was sind sie anderes als die italienische Weichheit, deren göttliche Kraft der sinnliche Wagner sehr wohl empfand?

Und heute erst, auf der Höhe eines jener Hänge, die mit den Bergen den Comer-See umgürten und beherrschen, unter Bäumen und in Betrachtung des bleifarbig-blauen Wassers, das sich zwischen den Wäldern, den Stoppelfeldern, den Wiesen und Blumen breitet, da bin ich dem kleinen Hirtenbuben begegnet, der im letzten Akte des Tannhäuser seinen Schafen eine Melodie auf der Schalmei vorbläst. Gleiche Haltung, gleiche Poesie.

Poesie! Dieses Wort bewahrt noch seinen Wert für die Besseren. Vielleicht gibt es kein Land, in dem man mehr stückweise, verstreute Poesie findet, als in diesem Italien. Und ich spreche nicht von seiner Literatur und nicht von seiner Musik, weder vom Schmuck der Städte, noch von den Museen. Alles das ist festgebannte und wenn auch nicht verminderte, so doch limitierte Poesie. Aber in den Gärten Italiens berausche ich mich an einer Poesie in ungebundener Form, die wesentlich ist und frei von aller menschlichen Betastung. Eine undefinierte, ungeformte Emotion und deshalb den Künsten untergeordnet, die aber eben darum auch einen um so stärkeren Eindruck gibt.

 

Seit Jahrhunderten haben die größten schaffenden Geister aus dieser paradiesischen Atmosphäre Leben gesogen. Aber die kein Genie haben, können hier nur genießen und faulenzen. Die sittliche Disziplin, die Methode in geistiger Arbeit, strikter Ordnung unterworfene Willensäußerungen, so viele allgemein angenommene moderne Notwendigkeiten, würden in den Gärten von Como und Varese nur ein monströser Unsinn sein.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zur Überzeugung, daß hier das gegebene Land ist für die etwas schwachen, eleganten, zu irgendeiner Kraftanstrengung unfähigen Dilettanten, die unsere großen Städte so schnell töten oder deklassieren. Eine voraussichtige Gesellschaft würde sich nicht, wie die unserige, damit begnügen, verstockten Mördern einen Erholungsaufenthalt zu sichern, sondern diesen Teil der oberen Lombardei gewissen Menschen als Aufenthalt anweisen, für die alles Leiden ist, außer das Vergnügen; sie zwänge sie zur Unfruchtbarkeit, indem sie ihnen die Wollust ließe.

II. Der Roman des Lago di Como

Man könnte acht, auch fünfzehn Bände schreiben, noch dicker als der berühmte Feuilletonroman »Les Mystères de Paris« von Eugène Sue, – noch umfangreicher und nicht wenig aufregender: den Roman des Comer-Sees. Er wäre in seinen geheimnisvollen Details die Folge all der Abenteuer, die aus Frankreich, aus England, aus Rußland hierher kamen, um den Schutz dieser so warmen, duftenden und heimlichen Gärten zu suchen. Und man würde sich dabei auf dieses Jahrhundert beschränken. Man erzählte die Geschichte dieser Prinzessin von Wales, die in einen italienischen Postillon, den berühmten Bergomi, verliebt war und hierher kam, um für den Mann, in dem sie sich entehrte, einen poetischen Rahmen zu suchen. In der Villa d'Este, an der ersten Einbuchtung des Comer-Sees würde man noch das Echo des Lärmes, den dieser Prozeß in der Welt machte, vernehmen können. Mit der zeitlichen Entfernung bekommen solche häßliche Dinge eine Art von Schönheit, immer etwas verdächtig, aber doch anziehend. Von weitem gesehen gewinnen Laster und Tugend viel. In Bellaggio müßte der Erzähler längere Zeit um ein gewisses kleines Haus verweilen, das analog dem in la Faustin unter der Patronage des Monsieur de Sade steht. Niemals betrat es eine Frau. Diese scheinen sich aber auf dem ganzen See, der mit Beginn des Aprils so viele behagliche Barken trägt, dafür entschädigt zu haben. Der Comer-See und seine Ufer sind das Asyl aller mit Unabhängigkeit und Geschmack inszenierten Ehebrüche.

Rousseau hatte daran gedacht, die Vorgänge seiner Nouvelle Héloïse auf die borromeischen Inseln im Lago Maggiore zu verlegen. Er besann sich anders und zog den Genfer-See vor. Wie die klassischen Handbücher sagen, schickte es sich nicht, daß man das Brevier der großen Herzen der Revolution in diese duftenden Gewässer tauchte, sondern viel eher in die eisigen Ströme der Rhône.

Die Gegend von Como, so gefällig und lindlüftig, die den Reisenden immer wieder in die Barke drängt, wo man sich ausstrecken und träumen kann, diese Gegend sagt allen zu, die gewillt sind, ihrer Leidenschaft nicht zu widerstehen. Diese leichte Luft, elegant bis zur Fadheit, war seit Jahrhunderten nichts als ein Ausatmen von anmutiger Jugend und Wonne. Manchmal in diesen schönen, so blauen, so trägen Tagen möchte man, daß der See ein wenig in Aufregung gerate; ich habe ihn niemals geräuschvoller gefunden als das Knistern der Seide gegen einen Frauenkörper.

Ist es die Fülle der Blumen, die uns unwiderstehlich zwingt, an die Sterbezimmer unserer großen Städte zu denken? Vor dem berauschendsten Bilde wird man doch immer gezwungen, die Unannehmlichkeit ins Auge zu fassen, daß wir eines Tages sterben. Auf meinen Streifereien am Comer-See suchte ich nach den Friedhöfen. Sie könnten da so wundervoll sein. Es wäre nach meinem Sinne, wenn diese Abhänge, deren Höhen so kahl, deren Mitte grünumlaubte Villen und süßduftende Gärten erheitern, gegen den See zu hie und da mit Grabstätten endigten. Liebkosend umspülte sie dann die Welle, die die Barken der Freude an das Ufer drängten.

Rasch verfliegende Lust, die Wollust und der Tod, das wären die Farben dieses Romans vom Comer-See, leicht zu schreiben, vorausgesetzt, sein Autor hat vorher sich ausführlich über alles unterrichtet und taucht bisweilen die Blätter seines Manuskriptes in dieses Wasser, in dem so viele fieberheiße Hände Kühlung suchen, während die Barke gleitet ...

Soll ich den Grundton nennen, den deutlichen Charakter dieser Gegend? Sie ist eine Kupplerin. Um sie zu beschreiben genügt es nicht Geograph, Geologe, Agronom, Statistiker oder malerisch veranlagt zu sein. Die menschlichen Anekdoten, die sich da an den Ufern Tag für Tag begeben, die muß man aufweisen. Hier ist das Refugium disqualifizierter Leidenschaften (junge entführte Mädchen, deklassierte Damen der Welt und das übrige). Taine – der in Venedig nicht eine Zeile hat, um uns zu sagen, daß die Lagunen der Punkt des Erdballes sind, wo man am ehesten an Melancholie stirbt – er unterschied auch nichts unter der dünnen Leinwanddecke der schwimmenden Betten, denen man auf dem Comer-See begegnet.

Im Geschmack einer anderen Broschüre, genannt »Acht Tage bei Herrn Renan« schrieb ich einstmals einen Essay pittoresker Kritik unter dem hinreichend deutlichen Titel »Herr Taine auf Reisen«. Ich habe Gelegenheit gehabt festzustellen, wie leicht man gerade diejenigen verletzen kann, die man am meisten schätzt, und weil es mir unerträglich gewesen wäre, Herrn Taine zu kränken, dem wir große, intellektuelle Wohltaten verdanken, deshalb verzichtete ich darauf, diese kleine Arbeit zu veröffentlichen. Nachdem sie fünf Jahre in der Schublade gelegen, hat, dürfte sie nach Moder riechen; wenn sie mir vorher etwas zu ungebunden erschienen war, der Tod Taines dürfte daran nichts geändert haben. In diesem dünnen Heftchen mit ein bißchen literaturhaften Scherzen führte ich, wie ich mich entsinne, Herrn Taine in Italien herum und brachte ihn eines Tages auf den Dampfer, der eine Rundfahrt auf dem Comer-See macht. Kaum an Bord, breitete er seine zahlreichen Bücher aus, seine Karten, seine Papiere und beendigte ... seine Beschreibung von Venedig. Erst gegen Abend begann er den Aktenbündel, den der Archivar von Como ihm freundlichst zur Verfügung gestellt und im Hafen übergeben hatte, zu studieren. Beim Sonnenuntergang verließ Taine endlich die Kabine, kam aufs Verdeck um dort mit gesenktem Kopfe hin und her schreitend, den ersten Satz seines Kapitels zu komponieren: »Einen ganzen Tag lang schwamm ich ohne Ermüden, ohne Denken in einem Becher von Licht ...«

Sicher ist dieser schikanöse Spaß nur zur Hälfte wahr: Herr Taine war nicht ausschließlich Bibliothek, er begriff die Natur sehr stark; sie sprach zu ihm, und den tiefen Empfindungen, die sie ihm zuteil werden ließ, gab seine hervorragende Persönlichkeit, im Gegensatz zu so vielen anderen, manchmal einen philosophisch unendlich richtigen und ergreifenden Ausdruck. »Angesichts der Gewässer, des Firmamentes, der Gebirge fühlt man sich vor vollendeten, immer jungen Gebilden. Das Zufällige hat keine Gewalt über sie, sie sind wie am ersten Tage; der gleiche Frühling wird alle Jahre mit vollen Händen den gleichen Saft über sie gießen; unsere Hinfälligkeiten haben ein Ende, wenn sie mit ihrer Kraft in Berührung kommen, und unsere Unruhe löst sich in ihrem Frieden. Durch sie hindurch zeigt sich die gleichmäßige Kraft, die sich in der Mannigfaltigkeit und Umgestaltung der Dinge entfaltet, die große, befruchtende, ruhige Allmutter, die nichts stört, weil außer ihr nichts ist. Dann löst sich in der Seele eine unbekannte und tiefe Empfindung ...«

Man lese das nur noch einmal. Es ist nichts dagegen zu sagen, das sind Notierungen, die einen Sinn haben, und ich bin darüber erstaunt, weil sich die, wie ich glaube, sehr verbreitete Liebe zur Natur meistens in ganz stupiden Betrachtungen ausdrückt. Aber wie deplaziert kommen mir diese an sich schönen und richtigen Gedanken an den italienischen Seen vor! Sie geben die lokalen Eindrücke doch zu schlecht wieder. Alle Welt durchreist einmal in seinem Leben diese legendäre Landschaft; es steht jedem frei, auch dorthin seine gewohnte Denkweise mitzunehmen; aber in diesem Lande der Stille, wo selbst die Vögel schweigen, finden nur die Leidenschaftlichen eine Heimat, die entschlossen sind, allen ihren entkräftenden Sehnsüchten nachzugeben.

III. Um die Isola Bella

Von meiner Barke aus, die an den Ufern des Lago Maggiore lang gleitet, sehe ich die acht Rekruten Pallanzas, eine Musikbande an ihrer Spitze, dahinmarschieren. Sie tanzen, und um sie herum tanzen die Gassenjungen und die kleinen Mädchen des Ortes. So geht es in verschwenderischem Sonnenlichte von Trattoria zu Trattoria, und das alles zieht so fein bewegt, ein kleinwinziger, antiker Fries, zu Füßen dieser herrlichen Berge auf ... Ein Moment Stille, dann beginnt wieder die kleine Musik und gleitet vom See gedämpft bis zu mir herüber. Immer marschiert man noch zu anderen Trattorien. Ganz Pallanza folgt. Arme junge Kerle! Diese Sonnengluten bescheinen den glorreichsten Moment ihres Lebens. In dem festlichen Zuge befindet sich kein Tier, das man den Göttern als Opfer zuführte zu Ehren der Stadt; diese einfachen Gemüter haben nichts darzubieten, als sich selber und darum bringen sie auch sich selber die Trinkopfer dar.

Aber welch unvergleichliche Landschaft umgibt diese armen Teufel, die ihrem Schicksal entgegengehen! Am Lago Maggiore erscheint das Firmament höher und der Horizont weniger geschlossen als am Comer-See. Hier sind die Berge mit ihren unendlich weichen und stolzen Kurvenlinien, der Ungezwungenheit ihrer aufblühenden Schönheit so reizvoll, daß ich sie nur den jungen Frauenleibern des Correggio analog empfinde oder dem Gefühle männlicher Reinheit bei den Jünglingen des Plato. Geliebte Berge, bald in Wolken gehüllt, bald hingelehnt, daß ihr die Wellen berührt, bald in Gruppen kauernd wie maurische Weiber auf dem Friedhofe, aber niemals unfreundlich oder trocken, und gegen Abend umkleiden euch die Schatten mit den allerweichsten Samtgewändern. Hier ist weniger Leben als auf dem glänzenden Comer-See; in dieser Einsamkeit weitet sich das Fühlen, übersteigt das Exquisite, um das Erhabene zu erreichen.

Aber da naht der Dampfer, Bild gewissenhafter Arbeit schnaubt er in beständiger Anstrengung wie ein dickes Untier. In einem Tag macht er die Runde um den ganzen See; ich verlasse meine Barke, die zu langsam fährt für meine Ungeduld nach Schönheit.

Auf dem Dampfer finde ich wieder Rekruten, die ans andere Ufer fahren, um befreundete Dörfer aufzusuchen. Im Hintergrunde auf Fässern gruppiert, mit einer Feder auf ihren armseligen Hüten, sind sie alle wie junge Hähne mit dem Kamm und rauchen lange Virginierzigarren (so ungerecht von gewiegten Kennern verkannt, von Theodor de Wyzewa und Anatole France). Ein Musikant ist in ihrer Gesellschaft; unaufhörlich schmettert er in diese Schale erhabenen Lichtes und blauen Wassers verfälschten Verdi und neapolitanische Lieder. Alles das ganz minder, aber an diesem unvergleichlichen Nachmittage besiegt die Begeisterung alles. Auch die Augen dieser kleinen Kerle haben einen vollkommen blöden Ausdruck und ihre Haltung ist schlaff und doch tragen auch diese armen Leute ihr Teil zur harmonischen Wirkung des Ganzen bei.

Am Ufer lang einfache Terrassen, die dem See durch schwere Arbeit abgerungen wurden, sechs Bäume auf einem kleinen Cap gepflanzt, um die langen Fischernetze daran zu befestigen, Granitbänke an den schönsten Aussichtspunkten, alles das bekundet ein so künstlerisches Verständnis des Genusses, einen Luxus ohne Reichtum, neben dem mir momentan alle ersonnenen Raffinements eines Rothschild, selbst eines vierzehnten Ludwig nur wie niedrige Großtuerei erscheinen. Man behauptet, daß die Devise der Familie Borromëi: »Humilitas« nicht im Einklang stände mit den prachtvollen Plätzen, wo sie überall angebracht ist. Dieser Vorwurf ist nicht richtig. Hier gesellt sich zur Augenweide niemals der Begriff des Geldes. Man überläßt sich ohne Berechnung dem umgebenden Glücke; es bildet sich aus Düften, Farben, Spiel des Lichtes und des Wassers, aus heiterer Luft, um uns durch alle unsere Sinne zu dringen.

... Station Isola Bella! ertönt plötzlich der Ruf des Matrosen.

Isola Bella, die Perle des Lago Maggiore, die sagenhafte Stätte der Lieblichkeit und der Schönheit, wo unser ganzes Wesen verseltsamt wird. Beim Klange dieses sublimen Namens, beim Anblick der Menge, die sich in gleicher Liebe drängt, um auf diesem engen, göttlichen Erdenflecke zu landen, vergesse ich alle Unzulänglichkeiten; man wird an die reinste Wollust rühren. Ich will mir den Schmerz antun, sie mir vorzuenthalten. Der Dampfer entfernt sich, und ich bleibe ganz allein auf dem Verdeck zurück. Die Terrassen der Isola Bella breiten ihr romantisches Dekor vor mir, ihre Statuen, die wie ein Glücksschrei sich zum Himmel heben, ihre Vegetation, die dem ganzen Erdball entlehnt und der Phantasie so neu ist wie eine leise, ungekannte Berührung.

Die ganze Anordnung so fein, von so tiefgehender Überraschung, daß die Nerven jenes, der sie bewundert, für den ganzen Tag verbraucht sind. Ich habe Augen gesehen, die diese Schönheit mit Tränen füllte. Das »Embarquement pour Cythère« sagte Watteau, und seine Melancholie, seine Hoffnung auf das Leben, seine nach dem Unbekannten erregte Sinnlichkeit ersannen ein Traumgebilde, ganz analog dem »débarquement d'Isola Bella«.

 

An andern Tagen suchte ich diesen Traum auf und weiß, aus welchen Imaginationen und welchen Wirklichkeiten diese Zauberei gemacht ist.

Gegen das Jahr 1628 hing Julius Cäsar Borromëi sein Herz an die Verschönerung dieser Felsen, die eine arme Bevölkerung bewohnte. Er träumte davon, sie zu einer Stätte aller Wonnen umzuwandeln und gab ihr den Namen seiner Gemahlin, Isabella. Auf der Stelle, wo er eine Kirche niederreißen ließ, begann er die Gärten, und Flandern, Valenzia, Alicante und Rom mußten die Pflanzen dazu geben. Sein Sohn Vitaliani, ein großer Verehrer der Lehren Platos, fuhr fort, an diesem idealen Aufenthalte weiterzubauen. Ein Eckchen der Insel, das noch hundertfünfzig Leute bewohnten, brachte er durch Kauf an sich. Er bedeckte die Felsen mit fruchtbarer Erde, die mit großer Mühsal in Barken vom Festlande herübergebracht wurde; und indem er den Palast teilweise über dem Wasser erbaute, konnte er auf diesem engen Raum zwölf Garten-Etagen übereinander anlegen. Schon im Jahre 1668 spielte man auf der Isola Bella ein Zwischenspiel mit Musik, »Die durch die Allegrezza von der Insel vertriebene Hypocondria«.

Zu Ende des 18. Jahrhunderts erlitten die äußeren Umstände der Familien, die bisher im Genusse der Rechte einer fürstlichen Herrschaft waren, eine große Umwälzung. Der im Jahre 1751 geborene Gisberto war der letzte Borromëi, der sich der feudalen Rechte erfreute. Wenn auch ein Federstrich diese Familie aller ihrer Privilegien beraubte, so blieb sie doch mächtig durch ihre Privatbesitzungen. Im Jahre 1796 wurde Gisberto nach Nizza verwiesen, weil er im Verdachte stand, er habe die neue politische Ordnung stürzen wollen. Als einfacher Bürger kehrte er nach Mailand zurück. Als Napoleon das Königreich Italien schuf, verlieh er ihm den Grafentitel und gestattete ihm, die Inseln als Majorat für seinen ältesten Sohn zu errichten. Nach 1814 und als das Königreich fiel, gab es da kein Majorat mehr.

Die Familie Borromëi macht große Anstrengungen, um die schöne Inselschöpfung ihrer Vorfahren zu erhalten. Eines Tages werden wir durch das unerklärliche Spiel des Code-Civil, der alle Vermögen zerstückelt, die Isola Bella als Eigentum eines Amerikaners sehen, oder, was noch wahrscheinlicher ist, als das eines Palast-Hotels. Aber pflücken wir zu jeder Jahreszeit die Frucht, die sie Uns darbietet; das ist die Moral dieser begnadeten Insel, und finden wir, da es noch Zeit ist, hier durch erfinderische und prunkliebende Amateure die Verwirklichung der sinnlich reizvollsten Phantasiegebilde der größten Dichter. Hier sind die Gärten der Armida, die Tasso malte, und die Insel der Alcine, die Ariosto beschrieb.

IV. Die borromëischen Tauben

In den Gewässern, welche die Isola Bella umspülen, wäre ich gerne den beiden Nymphen begegnet, die Ubaldo und der Däne sahen. Sie schäkern und schwimmen um die Wette; tauchen manchmal unter und enthüllen bei jedem Wiedererscheinen neue Schätze. Die Herzen der Krieger kommen in Wallung, sie verweilen, um sie zu schauen; die Nymphen scherzen weiter; endlich hebt sich eine von ihnen auf die Oberfläche und sie zeigt den Augen einen alabasterweißen Busen und andere noch geheimere Dinge. Der übrige Teil des Körpers zeigt sich undeutlich unter dem verschleiernden Naß; das Wasser tropft aus ihren blonden Haaren. Zerstreut irrt ihr Blick am Ufer; sie tut, als sähe sie die zwei Fremden zum ersten Male; das Rot steigt ihr in die Wangen; sie löst den Knoten, der die Haare auf dem Kopfe festhielt; sie fallen, und das Elfenbein ihres Nackens ist von Gold überflutet: welche Fülle von Reizen verschwand! Aber ein neuer Zauber ersetzt sie; sie richtet die Augen mit Schämen und Freude, auf die zwei Krieger. Sie lacht, sie errötet und ihr Lächeln wird schöner an ihrer Schamhaftigkeit. Endlich, mit einer Stimme, so rührend, daß sie die härtesten Herzen erweichen müßte: »Glückliche Fremdlinge, die ein gnädiges Schicksal an den Ort der Seligkeit führte, hier werdet ihr einen Ruheplatz finden vor den Stürmen und Vergessenheit für alle eure Schmerzen; hier werdet ihr alle die Freuden kosten, die die Menschen im goldenen Zeitalter genossen, da sie noch frei vom Joche des Gesetzes waren. Legt drum eure von nun ab nutzlosen Waffen weg.«

 

Tassos Nymphen sind verschwunden, aber ihr Gesang schwebt noch über den Gefilden, die mit der gleichen Kraft unsere Sinne erschlaffen und uns durch Entzückung läutern. Eigentlich ist dieser Garten, den wir durchwandeln, nichts mehr als eine prächtigste Theaterdekoration, aus der der Hauptakteur verschwunden ist und er hat genügend Spuren hinterlassen, daß unser erregtes Verlangen seinen Abgang bedauert. Auf der Isola Bella leidet man undeutlich an der Leere und an etwas, das fehlt. Diese Insel, die mir manchmal wie der schöne Athis vorkam, der zur Herbstzeit blutend und erniedrigt auf dem Sande liegt, ist im Grunde nichts als ein niedergetretener Rasenflecken, dem alle Wollust entfliehen will. Hören wir nicht auf, in diesem verlorenen Paradies die Schatten Tassos heraufzubeschwören; daß sie uns ein Arkanum seien, unsere Sehnsucht zu täuschen, der uns eine solche Luft widerstandslos preisgibt.

Die zwei Krieger Ubaldo und der Däne sind bis zum Zaubergarten der Armida vorgedrungen. Schlafende Gewässer, kleine Bäche auf einem Silbersand, Blumen, Gesträuche, Rasenplätze, vom Lichte vergoldete Hügel, schattenbedeckte Täler, Grotten und endlose Wälder; ängstlich versteckt sich die Kunst, die diese Schönheiten schuf und erhöht dadurch noch ihren Reiz. Dem Gebote der Zauberin fügt sich die gelehrige Luft und trägt überallhin eine befruchtende Wärme und lockt den willigen Saft in Zweig und Ast; in die stets reifen Früchte mengen die Bäume immer neue Blüten. Auf dem gleichen Stamme, dem gleichen Laube hängt die bereits aufgesprungene, überreife Feige, dicht neben der andern, kleinen, ganz grünen; und der Weinstock, noch in Blüte, trägt schon eine saftig-schwere, schwärzlich angehauchte Traube. Die verliebten Vögel im Laube singen schmachtend ihre Freuden und ihre Leiden und ihrem Singen gesellt sich der murmelnde Bach und das frischgrüne säuselnde Blatt. Einer dieser beflügelten Sänger hat ein buntes Gefieder und einen purpurfarbenen Schnabel; wenn er eine große Arie beginnt, so bildet seine Zunge Töne, die den unsrigen gleichen. Alles schweigt, um ihm zuzuhören: »Sieh diese erblühende Rose, die nur zart gerötet,« sagt er, »sie öffnet kaum ihre Knospe; je weniger sich diese Klausnerin zeigt, desto schöner ist sie; aber kühner geworden, trägt sie ihre Schätze, ihr Geheimnis zur Schau; plötzlich welkt sie dahin, und ist nicht mehr diese Blume, die tausend Schönheiten beneideten und die die Liebhaber ihren Geliebten darzubringen brannten. Pflücken wir die Rose am Morgen, denn am Abend fällt sie verblüht; pflücken wir die Rose der Liebe; lieben wir solange man uns lieben kann.«

Er schweigt, die Vögel heben wieder ihr Gezwitscher an; die Turteltauben verdoppeln ihre Küsse; alles entbrennt, alles entflammt. Die Eiche und der Lorbeer, der Strauch und die Blume, die Erde und die Gewässer atmen die Liebe und fühlen ihre Macht.

Mitten hinein in all diese Wollust treten die beiden Krieger. Was aber sehen sie da durch das Laubwerk? Armida und ihren Geliebten. Sie liegt auf dem Rasen und hält Rinaldo in ihren Armen. Ihr Schleier verhüllt nun nicht mehr den Alabaster ihrer Brust; ihre Haare sind aufgelöst; sie ist ermattet vor Liebe; Schweißtropfen der Lust glänzen auf ihren flammenden Wangen und machen sie noch schöner. In ihren feuchten Augen leuchtet das Feuer der Begierde und ihr Haupt neigt zu dem auf dem Rücken liegenden Rinaldo.

 

Wenn ich unwillkürlich beim Durchstreifen der Isola Bella und ihrer zwölf Gartenterrassen die berauschenden Bilder Tassos suchte, so war es die Alcina des Ariosto, die mir fehlte, als ich das Schloß besuchte und von den langen Bogengalerien aus, die das ganze Bauwerk tragen, die windstillen Wasser von dunkelm Blau erblickte, die sanften Hügel, die sie umrahmen und, etwas ferner, die beschneiten Gipfel.

Erinnert ihr euch des himmlischen Gesanges, in dem Alcina die Säulenhalle ihres Palastes verlassend Roger entgegengeht? Sie empfängt ihn, umgeben von ihrem Hofstaat, und läßt ihm Ehren erweisen, die sie einem Gotte zugestanden hätte. Der Palast zeichnet sich weniger durch seine Pracht als durch die Anmut und die Schönheit seiner Bewohnerinnen aus. Alle besaßen die gleichen Reize und die gleiche Jugend, von Alcina überstrahlt wie die Gestirne der Nacht von der Sonne. Ihre Haare flattern als Fülle unzähliger, weicher, glänzender Locken. Ihre schwarzen Augen sind voller Sanftmut und wenig verschwenderisch mit Blicken. Ihr Mund von der roten Farbe des Zinnobers läßt, wenn er sich öffnet, zwei Reihen ausgewählter Perlen sehen, verschönt von süßen, sanften Worten und einem Lächeln, das alle Herzen entflammt und gefangen nimmt. Göttliches Lächeln, das mehr dem Himmel als der Erde anzugehören scheint! Ihr anmutig gerundeter Hals überstrahlt an Weiße den Schnee; ihre Brust ist breit und hochgewölbt; ihre Brüste weiß wie Milch und leise bewegt; man könnte sagen, wie schwingende Wogen beim Wehen des Zephir. Trotz der Schleier, die den Blicken Einhalt gebieten wallen, entdeckt man, daß die verborgenen Reize den sichtbaren ebenbürtig sind. Ihre zwei feingeformten Arme endigen in Hände, deren Elfenbein weiße weder die Adern noch die Gelenke zutage treten läßt. Alles an ihr ist verführerisch; ihre Rede, ihre Stimme, ihr Lächeln, ihr Gang, ihre Aussprache. Wie hätte Roger, als er sie so schön sah, widerstehen können? An Alcinens Tafel zittert die Luft von den harmonischen Klängen der Lyren, Harfen und Gitarren. Die Gesänge malen die Wonnen und die Verzückungen der Liebe. Die Erfindungen der Dichtung erhöhen den Reiz des Vortrages. Das Gastmahl ist großartiger und prunkvoller als wenn Kleopatra den siegreichen Antonius empfinge.

Man entfernt die Tische; alle Gäste bilden einen Kreis und widmen sich jenen Spielen, die die Liebe erfand, um zärtliches und verschwiegenes Entgegenkommen zu begünstigen. Die einen und die andern flüstern sich einen Teil ihrer Herzensgeheimnisse ins Ohr. Voll Heimlichkeit machen sich Alcine und Roger die süßesten Geständnisse; ein gleiches Verlangen führt zu dem gleichen Versprechen, sich in der nächsten Nacht wieder zusammenzufinden. Früher als sonst werden die Spiele beendet. Pagen bringen Wachsfackeln. Sie führen die heitere Versammlung in die für sie bestimmten Gemächer. Ein größeres, prächtigeres und auch wohlduftenderes Gemach ist für den Paladin bestimmt.

Roger ruht in dem feinsten und köstlichsten Linnen. Er wartet gespannt auf das Geräusch, das ihm Alcinens Kommen anzeigt. Bei der geringsten Bewegung hebt er voller Erwartung den Kopf. Oft glaubt er sie zu hören, erkennt seinen Irrtum und seufzt. Einige Male springt er aus seinem Bette, öffnet die Türe, horcht vergeblich, und voller Ungeduld verwünscht er die langen Stunden, die den ersehnten Anblick verzögern. Er sagt sich: »Sie kommt« und zählt die Schritte, die sie machen muß, um zu ihm zu gelangen. Tausend Gedanken bestürmen ihn und manchmal fürchtet er, daß ein unvorhergesehenes Hindernis ihn des Glückes beraube, das er zu halten glaubte.

Alcine hat endlich alle Furcht verbannt, und während Ruhe und Stille in ihrem Palaste herrschen, überschüttet sie sich mit den süßesten Wohlgerüchen und verläßt leise ihr Gemach. Durch einen geheimen Gang begibt sie sich zu Roger. Endlich sieht er das bezaubernde Gestirn erscheinen. Was ein brennender Schwefel ihm in seinen Adern fließt! Seine Blicke tauchen unter in dieses Meer von Wonne und Schönheit. Er springt aus seinem Bette und preßt Alcine in seine Arme. Die Zauberin hat keine andere Umhüllung als ein einfaches Gewebe feinster Gaze von blendender Weiße. Unter Rogers Küssen löst sich dieser Schleier, und Alcinens nackte Gestalt entsteigt aus dem Kristalle, der ihre lilienweißen und rosenroten Umrisse verbarg. Sie umschlingen sich, und der Efeu umklammert den stützenden Baum nicht fester. Die Blumen, die im indischen Sande wachsen und die Ebenen von Saba duften nicht so süß ... Dann herrscht die Stille, wenn auch ihre verstummten Zungen ihre Seligkeit noch reden.

Das Mysterium dieser Nacht blieb verschwiegen, wenigstens tat man so, als kennte man es nicht. Alle dem Willen Alcinens gehorchenden Schönen umgaben Roger mit Zuvorkommenheit und Aufmerksamkeiten, aber alle taten so, als hätten sie keine Ahnung von seinem Glücke ...

 

Wenn der Reisende, der vom Norden kommt, die Isola Bella besucht, so sieht er die Tränen, hört die Seufzer, gibt sich den Liebesspielen der schönen Heldinnen des Tasso und Ariosto hin. Diese himmlischen Harmonien, dieses folgenlose Hin und Her, all diese Romantik, die noch orientalischer ist als die Melancholie der asiatischen Nächte, tritt aus den Reichen des Traumes heraus, wird hier möglich, ja notwendig. Der Reisende ruft die Wollüste, bietet ihnen seine Jugend, beklagt wie Faust, nicht so weise gewesen zu sein, sie zur Annahme zu bewegen.

Ohne Armida und Alcine haben diese alten Boskette immer den Wert einer Fülle von Gewächsen aus allen Zonen, und der Eindruck steigert sich von Terrasse zu Terrasse, denn auf jeder wechseln die Pflanzengattungen ab, ohne daß dieses Durcheinander unvereinbarer Sorten die Harmonie störte, wie es der Übelstand in den botanischen Gärten ist. Die Folge üppiger Gruppen von Zitronen und Orangenbäumen, Kamelien, Kampherbäumen, Magnolien und Libanonzedern versetzt uns nacheinander in die Atmosphäre aller Provinzen der südlichen Himmelsstriche.

Ich drang in ein dichtes Gehölz hoher Lorbeerbäume ein. Dieser jähe Schatten am hellen Tage vermehrte noch die Vornehmheit dieser heiligen Zweige. Schwarze Äste und glatte Blätter! Bei meinem Schritt erhoben sich gegen zwanzig Tauben, aber mit so schwerem Fluge, daß man sie hätte mit der Hand nehmen können. Das ging mir sehr nahe, denn sie schienen mir halb berauscht von den dichten Düften, die sich da auf den schmalen Terrassen aus einer Unzahl von Bäumen aller Zonen akkumulierten. Diese in der Welt ganz einzige Luft schien sie zu ersticken. Heutzutage geht keiner dort spazieren ohne ein Unbehagen zu fühlen, inmitten so vieler verdichteter Düfte, die eine prunkliebende Kunst gewaltsam zusammentrug. Es ist das Königreich des Fiebers; eine Schönheit, die nicht zu atmen ist.

Wir besitzen ein lyrisches Buch von Banville, dessen Titel mir eine grenzenlose Traurigkeit erweckt »Les Exilés«: ein Wort, das einen öden Strand unter grauem Himmel enthüllt. Ovid, sagt er, trinkt die Milch der Stuten unter dem ledernen Zelte des Sarmaten und auf das von der florentiner Sonne golden gebräunte Gesicht Dantes fallen die schwarzen Regentropfen des alten Paris. Sind sie die wirklichen Verbannten und die Beklagenswertesten? Nein, denn ein Tag kam, wo ein Lufthauch der Geschichte die Unterdrücker wegfegte. Soll man die mehr beklagen, die in der Armut leben, im Laster, im Schmerze, die, die der Tod von ihren Herzensfreunden trennte? Sie können sich mit anderen Heimgesuchten trösten. Die wirklichen Verbannten, die aller Hoffnung Baren sind jene Erdenwanderer, die für das Schöne und Wahre in Liebe entbrennen und, inmitten von Menschen, die niedrige Gelüste beherrschen, sich von der göttlichen Flamme verzehrt fühlen ... So urteilt der Dichter. Was mich betrifft, so verspare ich mein tiefes Gefühl für die schönen Bäume der Isola Bella, für diese Verbannten, die in ihrem Geäste anstatt der verheißenen Paradiesvögel nur dahinsiechende Tauben tragen, und deren Tod die Verpflanzung ihrer Schönheit verschuldet. Der wirklich Verbannte, das ist der, dessen allzu schöne Natur um sich die Verzweiflung oder den Tod verbreitet.


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