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Im Lande von Thule, ins Wasser warf ein König seinen goldenen Becher, um das Wasser sich kräuseln zu sehen und um zu seufzen.
In ihrer Heimat Sevilla erregte Violanda Ärgernis durch ihre Schönheit und ihre Unbesonnenheiten, denn sie hatte mit zwanzig Jahren die romantische Schrulle, die schönsten, klügsten und vornehmsten jungen Männer ihrer Bekanntschaft wie eine Schwester zu lieben. Sehr mit Unrecht glaubte sie, daß vornehme Gefühle und ein einwandfreies Benehmen es erlauben, alle böse Nachrede zu verachten. Infolge einiger Affronts verließ sie Spanien, nachdem sie sich vorher mit einem jungen Franzosen verheiratet hatte, dem diese Ehe die Laufbahn verdarb und die Gesundheit zerstörte.
Drei Jahre lang reiste das Paar, wohnte dann in Paris und als sie ihr fünfundzwanzigstes Lebensjahr vollendete, wurde sie Witwe.
Gar nicht gerne hatte man sie in der Familie ihres Mannes aufgenommen, denn trotz ihres schönen Namens waren diese Leute von so spießbürgerlicher Gesinnung, daß sie in jeder Fremden eine Art Rastaquouère witterten, und Violanda war nicht danach angetan, ihnen Vertrauen einzuflößen. Als sie so allein stand, boten sie ihr keinerlei Halt in der Gesellschaft, wo ihre seelische Generosität, tausend Gerüchte aus Spanien und ihre unnachahmliche Grazie ihre Stellung in sehr kurzer Zeit unhaltbar machten. Außerdem kam noch dazu, wie es das Glück dieser Jahre ist, daß sie die Huldigungen eines jungen Mannes nicht zurückwies.
Über ihr Verhältnis zueinander erfuhr man nichts Bestimmtes und man benützte das wie gewöhnlich, um das Allerschlimmste anzunehmen. Das entsprach der Wahrheit. Das Wesentlichste ist, daß während der Zeit dieser Liaison, die acht Jahre lang dauerte, eines zum anderen sehr taktvoll und delikat war. Wissentlich bereiteten sie einander niemals Verdruß, im Gegenteil, sie wurden aneinander vornehmer, indem sie sich bewiesen, daß es in dieser Welt nicht nur Gemeinheit und niedrige Gefühle gibt. So lebten sie, er klarsehend, müßig, aufmerksam und dankbar; sie hochfahrend und launenhaft mit den Gleichgültigen, zärtlich und hingebend für ihn. Nicht einen Moment gelüstete es sie nach der Ehe; die würde ihre ohne Formalitäten angenommenen Gewohnheiten in Pflichten kompliziert haben.
Sie trafen sich in Gesellschaft, im Theater, bei den Rennen, und beinahe jeden Tag verbrachten sie lange Stunden in engster Gemeinschaft in ihrem Appartement der Avenue Montaigne. Unmerklich glitt die junge Frau aus den Kreisen der besten Gesellschaft in die der Herrenwelt, und schien es zufrieden. Und er wurde es nicht müde, sich von ihr die Abenteuer, die sie in Sevilla und auf ihren Reisen gehabt hatte, erzählen zu lassen.
Sie erzählte ihm von den Eseltreibern Afrikas, den schönen Früchten Andalusiens, dem Klima der Balearen; sie fand Italien im Vergleiche zu ihrem kahlen Spanien etwas farblos, haßte England, und in Mitteleuropa hatte ihr nichts Eindruck sonst gemacht als die Sommerabende in den Restaurants von Karlsbad, wenn die Zigeuner spielen. Alles das gefiel ihm, und er genoß das Pittoreske und die Deutlichkeit ihrer Eindrücke, die sie ihm im Tone eines zufriedenen Kindes erzählte.
Sie gefiel sich besonders in einer romantischen Vorstellung vom Leben, die sie sich früher zurechtgelegt hatte und in die sie so vernarrt war, daß sie sich nicht überzeugen ließ, alles das sei nur die törichte Phantasterei eines kleinen Mädchens gewesen. Wäre es nicht ein wundervolles Dasein gewesen, sagte sie, eine ganz reine, schwesterliche Freundschaft mit jungen, sehr verfeinerten Männern zu schließen und in einer Atmosphäre von Freude, von Schönheit und Vertraulichkeit zu leben, wie fieberhaft erregte Kinder, die sich küssen und das Spielzeug untereinander teilen. Inmitten ihrer Phantastereien, deren praktische Versuche trotz alledem ihre Frauenehre etwas beschmutzt hatten, gewährte es ihm ein seltsames, sehr tiefes und sehr feines Vergnügen, dieses nur aus Optimismus, Weichheit und Sinnlichkeit zusammengesetzte Wesen zu bedauern.
Außerdem säuberte es seinen Geist, indem er ihr zuhörte, denn sie bekümmerte sich um die Dinge ohne allen Moralismus, wertete sie um von ihrem Schönheitssinne aus und ihrer Leidenschaft für das Besondere.
Und trotzdem vermißte er im Antlitz der geliebten Freundin den strahlenden Ausdruck des Glückes. Verlangte sie mehr Aufregung? Glaubte sie sich nicht genügend geliebt? Manchmal befragte er sie darüber:
– Nein, antwortete sie, mir fehlt nichts, es kommt mir nur vor, als hätte ich bereits alles genossen ...
Wortlos schloß er sie in seine Arme, denn er fühlte, daß sie recht hatte. Die schönsten Pferde, die ergebensten Bewunderer, alle Befriedigungen des bis ins kleinste gehenden Snobismus waren ihr zuteil geworden und nun freute sie es nicht einmal mehr, zu ihrer Schneiderin zu gehen. Kurz, sie litt an nervöser Erschöpfung.
Eine Reise nach den Ländern Ostasiens zu unternehmen war eine Idee, auf die sie immer wieder zurückkam und er begriff ganz gut, daß sie sich da mit Vasen, Seidenstickereien und einigen amüsanten Gesichtern der chinesischen Gesandtschaft eine rein legendäre, jeder gemeinen Wirklichkeit bare Vorstellung davon gebildet hatte. Das war die einzige Erfahrung, die diese phantasievolle Frau noch nicht versucht hatte; sie glaubte an China, das ihr noch keine Gelegenheit geboten hatte, dieses Stück Unzulänglichkeit zu konstatieren, das alles entehrt, was lebt. Sie sagte oftmals:
– Wenn ich alt werde, mein Vielgeliebter, und mich ein für allemal unfähig fühle, die Dinge, die ich besitze, zu genießen, dann reise ich dort hinunter, schicke Geschenke heim und sterbe.
Da sie gerade soviel Romantik besaß, als eine Seele halten kann, ohne in Albernheit zu fallen, reizte sie der Gedanke, ein geheimnisvolles Ende zu nehmen, im Menschengewoge unterzugehen wie ein kleines, krankes Tier in der Seine. Ah! sterben im wärmsten Sonnenscheine, beinah verlassen, in einem Hotel von Shanghai und durch Armseligkeit das Erbarmen Gottes erzwingen!
Schließlich litten sie so sehr unter der Empfindung der Leere, daß sie den Moment, sich zu trennen, für gekommen erachteten, und trotzdem er fühlte, daß eines zu dem Glücke des anderen nichts mehr vermöchte, bereitete es ihm doch einen starken Schmerz, denn es bannte sein Denken auf das Ende ihres Glückes. Sie teilte ihm ihr betrübliches Vorhaben mit, und vermied dann darüber zu sprechen, aus schonender Rücksicht, und damit ihr Entschluß nicht durch Bitten ins Wanken käme. Stillschweigend taten sie so, als betrachteten sie ihre Reise nach dem Osten als einen einfachen Ausflug. Nur als sie sich das letzte Mal in der Wohnung, in der sie so viel erlebt hatten, trafen, waren sie ganz fassungslos. Im Vorzimmer, das nur die Abenddämmerung verdunkelte, neben der Tür, die jahrelang für sie die Pforte ihrer einzigen Welt gewesen und die nun für sie nichts anderes mehr bedeuten würde als den Eingang in eine Gruft, da, neben dieser Tür, hielten sie sich lange umschlungen; nicht aber wie ein liebendes Paar, sondern wie zwei Wesen von gleicher Rasse, die sich auf der Erde begegnet und die einer zum andern nicht falsch gewesen waren.
– Versprich mir, sagte sie, daß du manchmal noch hierher kommen wirst! Erhalte unser Heim und alles und jedes darin soll an dem Platz bleiben, wo es heute steht. Wenn dir eine Frau gefällt, so mach dir kein Bedenken, sie hier zu empfangen, vorausgesetzt, daß sie dir eine aufrichtige Freundin ist, denn ich wünsche einfach, daß du glücklich seist. Doch einen Abend, nur den Weihnachtsabend, bitte ich dich, allein hier zu verbringen.
Sie dachte, daß zu Weihnachten Geheimnisvolles in der Natur vorgehe, daß in dieser Nacht alle Dinge Seele bekämen und lebendig würden.
– Versprich mir, wiederholte sie, daß du hierher kommst und inmitten aller dieser Gegenstände da an unser einstiges Glück denkst.
Das sagte sie mit einer solchen zärtlichen Güte, mit einem Tone, so frei von allen Elendigkeiten der Eifersucht, daß ein und das andere das bittersüße Glück der Hingabe empfand, wennschon keines wußte, für wen oder für was sie diese Hingabe hatten, die ihre Augen mit Tränen füllte. Ah! Wie elend fühlten sie sich in dieser Ohnmacht, einander keine Freude mehr geben zu können und vielleicht auch beschämt, nur noch Genuß im Schmerze zu finden.
Er tat, wie sie es verlangte und verbrachte dann und wann eine Stunde in dem drückend stillen Raume, um die Bilder der Vergangenheit wieder erstehen zu lassen. Sie hatte ihm wohl versprochen, zu schreiben und ihre Adresse anzugeben, aber er bekam keine Nachricht von ihr. Wenn er übrigens darunter litt, so war es eine süße Melancholie, eine Art von Freude an der Selbstvernichtung, zu denken, daß er seinen schönen goldenen Becher, seine Freundin, in den Schlund hatte fallen lassen.
Acht Monate waren vergangen und Weihnachten kam heran, als vom Spediteur ein Koffer in der Rue Montaigne abgegeben wurde, gefüllt mit kostbaren Gegenständen aus China. Er verschob es, sie anzusehen. Abends dann, wo sich die Gläubigen in den Kirchen und die Lebemänner in den Restaurants umarmen, um die Geburt des Jesuskindes zu feiern, schloß er sich in ihrem Lieblingssalon ein.
Die Lampen auf ihren alten Plätzen verbreiteten über die Einrichtung die gleichen Lichter und Schatten, in denen er und Violante so viele Abende verbracht hatten. Toiletten- und Musikzimmer umfing noch der süße Zauber der Intimität und leidenschaftlicher Musik! Als er sich in diesem großen Gemache an Zärtlichkeit und Schönheit berauscht hatte, war es für ihn mit einer Atmosphäre erfüllt leuchtend und glühend wie die Stimme van Dyks in Siegmunds Liebesgesang. Hier war es, wo er auf den Knien vor seiner Geliebten nach und nach unter der Maske der Mondänen ein wirkliches Weib entdeckt hatte, ein Wesen, nicht bloß aus Manieren und hübschen Bewegungen, sondern ganz von großer Menschlichkeit erfüllt und ganz nahe noch dem kleinen Mädchen, das einmal mit seinen Puppen spielte. Das Klavier, die großen Spiegel, der Toilettentisch, die weiten Schränke, die so köstlich mit ihrer bebänderten Wäsche aussahen, das waren nicht Gegenstände, Möbel, sondern Freunde und liebevolle Vertraute; das Riechsalzfläschchen, mit dem sie plaudernd zu spielen pflegte und auf das sie so häufig ihr rührendes Gesicht niederbeugte, die blaue Vase, in die sie so gerne gelbe, grün und rot gefleckte Tulpen gab, man nennt sie so drollig Papageientulpen, alle die niedlichen, altertümlichen Nippes, mit denen sie sich wie mit einem Spielzeug für große Kinder die Zeit vertrieb, – alles das hatte sicherlich etwas Geistiges, man könnte sagen, eine Seele angenommen, durch die liebkosende Berührung ihrer Hände, ihres Blickes und ihrer Stimme, die in der Liebe so zart klang. In ihren Händen und unter dem Hauche ihres jungen Mundes lebten die Blumen wie niedliche Tiere; seitdem die Freundin, die sie mit ihrer Güte beseelte, nicht mehr da ist, sind sie nicht mehr als gemeines Grünzeug!
Und nach und nach begannen die Gegenstände zu ihm zu reden. Zuerst der große, dreiteilige Spiegel, vor dem sie instinktiv ihren Körper studierte, ihrer Schönheit das Letzte gab. Als ich hier ihre vielfache Anmut bewunderte, erschien mir das Schöne als etwas Lebendiges, als der Zusammenfluß aller nützlichen Eigenschaften eines Wesens. Violante hat mir den Geschmack an den Museen und Bibliotheken genommen, deren Inhalt leblos und trocken ist; an ihr lernte ich die lebenswarme, etwas feuchte Sinnlichkeit der Schönheit kennen. Sie ersetzte mir auch die Wälder und den Ozean und die Herrlichkeit der Nacht in der Einsamkeit, denn ihren Duft, ihre Unendlichkeit und Melancholie besaß ich in ihr, wenn ihre Haare kunstvoll verschlungen oder wie bei kleinen Mädchen aufgelöst waren, vor allem aber, wenn ihre Augen unter meinem Kusse in Wonne vergingen.
Hier die Toilettentische und die Gegenstände des täglichen Gebrauches, von denen sie nicht wollte, daß ich sie berühre, so eifrig bemühte sie sich, mich selber damit zu bedienen zu ihrem Spaße, wie sie sagte, aber wie ich wohl fühlte, leitete sie, die Wundervolle, dabei das tiefere Gefühl der Wonne, sich zu erniedrigen, um besser zu lieben.
In dem hellen Lichte dieser Fensternische habe ich manchmal meinen Blick von ihrem Gesichte abgewendet, an Tagen, wo ihre Züge etwas abgespannt und ihr Ausdruck ermüdet war, nicht daß mir diese, schlaffen Schatten unter ihren Augen mißfielen, – etwas für sie zu wünschen hätte meine Liebe zu ihr nur vermehrt; aber weil ich fürchtete, mein Blick könnte ihr, die um dieses vorübergehende Geringerwerden wußte, weh tun.
Und endlich hier diese weite Bergère, auf der wir die ersten Stunden unserer Liebe verbrachten, diese ersten Stunden, die immer so etwas Gezwungenes haben. Draußen waren traurige, schneeige Nachmittage, in uns Gefühle Verlangens und Erwägungen im Widerstreit. Aber nach zwei Monaten, als das erste Feuer erschöpft war, sagte sie mir eines Tages, gelegentlich einer Ungezogenheit, die mich verletzt hatte, ein schweres Wort, ein Wort, das an das Innerste des Wesens rührt und entscheidender ist als alle Liebesworte und als selbst das erste Du auf einem vergehenden Mund. Grausames Wort, das aus einer Laune eine schwere Sache macht und die ganz verwandelt, die es einander sagen! Wie soll ich die Leidenschaft dieser flüsternden Stimme wiedergeben, mit der sie, in meine Arme gleitend, sagte: »In der Liebe, mein Herz, gibt es keine Selbstachtung.«
Ein Wort von solcher zu starker Süße, sinnlich wie ein Laster, und das einem nur aus feiner Zartheit und Anmut bestehenden Geschöpfe die Liebestrunkenheit abrang, ein solches Wort demoralisiert den ganzen Menschen mehr als zwanzig Jahre ausschweifenden Lebens. Welches Gefäß, in dem die Würde und der Stolz des Mannes versinken, verbirgt diese scheinbare Vornehmheit echter Gefühle! Die Liebe lehrt die Uneigennützigkeit, kein Zweifel; aber vom Besten löst sie uns los wie vom Schlechtesten. Was herbe und schmerzliche Vereinfachung! Alle herkömmlichen Sittenbegriffe, das Verbrechen, die Demütigungen, körperliche Gebrechen, nichts hat mehr Sinn für diese zwei, die nichts sonst kennen als sich selber. An Stelle herkömmlicher Gesetze, die über alle Wesen herrschen, setzt die Liebe einen Pakt; sie deutet alles aus sich selber und durchbricht die Schranken der Ehre, um uns die Kette der Mitschuldigen anzulegen.
Alles dieses erinnerte den jungen Mann das Zimmer, in dem Violante ihre süßesten Momente gehabt hatte. Der tiefe Sinn des Lebens und der Geschmack an ihm, ohne Widerwillen gegen irgendein Verlangen, die Befreitheit von allem Formalismus, das war es, was ihm diese Möbel und Gegenstände und diese Bequemlichkeiten ihrer Liebe von neuem gaben, in der Weihnacht, wo es allen Dingen gegeben ist, zur Seele sprechen zu können.
Vermißte er seine Freundin? Nein, das nicht. »Ihr längeres Verweilen unter uns, sagte er sich, wäre überflüssig gewesen, denn wir waren gesättigt: sie hätte uns nichts mehr geben können und wenn auch fern, verbleibt alles, was wir von ihrer Seele uns assimilieren konnten, in diesen Dingen und in mir. Millionen von heute toten Wesen sind es, die den Wäldern, den Sonnenuntergängen, den Worten der Sprache ihre Schönheit liefern, und wenn jeder dieser Wohltäter sein Teil zu dieser Bereicherung des Universums beigetragen hat, bleibt ihm, wie Violante, da sie ihren Freund verließ, nichts sonst zu tun übrig, als zu sterben.
»Aber damit, daß Violante mit ihrem Gewichte den Gegenstand ihrer Liebe und diese unbeseelten Dinge reicher machte, hatte sie ihre Rolle noch nicht beendet. Sie hatte noch nicht ihre vitale Kraft erschöpft. Ein unermüdliches, kleines Samenkorn, vertraute sie sich dem Winde. Sie ging hin, um von jenseits der Meere Seele zu bringen ...« Da dachte er an die Zeugen draußen, die ihm Violante aus fernen Ländern geschickt hatte. Aufgemachte Kästchen, angefüllt mit geheimnisvollen und kaltfremden Bibelots, auf denen das Wohlgefallen der Reisenden zusammen mit ihren zartesten Erinnerungen geruht hatte. Nach und nach enthüllte und betastete er alle die Vasen, Seidenstoffe und Bronzen; vergeblich versuchte er ihnen ihr Geheimnis abzulauschen, und daß auch sie in dieser Weihnacht zu ihm sprächen ...
... »Unter den tausenderlei Gegenständen da unten in den Bazaren gefielen Violante diese am besten. Sie hat sie ausgewählt, wie sie mich ausgewählt hat und wie wir in gemeinsamer Übereinkunft so viele Freuden zusammen auswählten; aber diese fremden Dinge da können mir nichts sagen. Sie ist zu ihnen gegangen, hat sie sofort verstanden und ich verstehe sie nicht. Kann dies möglich sein, daß wir, zwei Wesen, die ein Leben lebten, deren Gedanken bis zu dem Grade eins wurden, daß die nuanciertesten Worte uns grob, ja überflüssig vorkamen, und daß nun doch ihr Instinkt nach Dingen seufzte, die für mich keinen Sinn haben?«
Und er erinnerte sich, daß ihr im Traume manchmal grinsende, phantastische, schreckliche Gestalten entgegentraten, vor denen ihr graute, die sie aber doch nicht als Alpdrücken bezeichnete. Sie stickte gerne auf Seide, in der ihre glühende Seele sich einlullte, die phantastischen Gebilde des äußersten Ostens, Drachen, Einhörner, den Phönix, die Schildkröte oder den Vielfraß. Und da er noch tiefer in das Bewußtsein dieser Heimatlosen hinabstieg, in deren schönen Augen des Abends so oft Tränen des Glückes glänzten, fand er den tiefen Ausdruck wieder, mit dem sie Cordovas Straßen pries, den Duft der Rosen und des Todes. So Weib, und verführend, und gemacht, das Leben zu rufen, liebte sie alles, was zur Zersetzung führt, gerade als ob sie einen höheren Genuß von ihrer Schönheit gehabt hätte so zwischen Absterbendem, besser ihre Macht gegründet hätte auf verfallenden Kräften.
Alle Packhüllen hatten in dem Raume den faden Geruch und die abflauende Erregung verbreitet, die ein Grab ausatmet.
»Zweifellos, so träumte er, hat sie in dem Lande, wo die Verwesung die schnellste ist, zu dieser Stunde ihre Nervenkraft erschöpft und ihre Seele ganz aufgelöst. Sie begnadete diese Chinesen mit einigen Teilen ihres Wesens, mit denen ich nicht in Kontakt kommen konnte, und befriedigte damit ihre unerschöpfliche Freigebigkeit. (Vielleicht auch, ich kann das ohne Geckenhaftigkeit annehmen, vielleicht verteilte sie unter ihnen auch einige Bestandteile meines Ichs, die sie in sich aufgenommen hatte.) Ihre Aufgabe ist erfüllt. Ihrem Gelöbnis gemäß erscheint mir diese Sendung als das Zeichen von ihrem Tode. Ich fühle nicht die Kraft, gegen den Schock mich zu wehren, den ich von den Ereignissen bekomme. Wenn auch durch ein paar Jahre einander genähert, waren wir doch zwei Schicksale. Ich werde mich keiner Verzweiflung hingeben; schon fällt das Vergessen ein, feiner Flugsand, der alle deutlichen Formen verwischt. Mit etwas Ekel sehe ich, daß meine Empfindungen wie die Barockperlen eines zu dünn gefaßten Kolliers auf ihrem zu langen Seidenfaden haltlos hin- und hergleiten. Wie recht wir hatten, in diesem Zimmer Musik zu machen! Sie schuf uns außer Zeit und Raum ein Paradies, in dem für wenig Augenblicke vereintes Wünschen in uns die Illusion erstehen ließ, als seien wir nur ein Wesen.«
Als er sich nun im ersten, traurigen Dämmer dieses Weihnachtabends ans Klavier setzte, stimmte der junge Mann Siegmunds Liebesgesang an, mit dem Gedanken, daß sie vielleicht in einem orientalischen Hotel zu sterben diese Nacht sich gewählt hatte, in der sie sicher war, daß er an sie und das Vergangene denken würde. Und der Schmerz über diese Tote und die gleichzeitige klare Erkenntnis des gefühllosen Waltens der Welt gaben ihm eine Empfindung aus Ohnmacht und Bitterkeit. Bittere Hilflosigkeit, zu konstatieren, wie wenig Körner vom Ufersande die sich ausbreitenden, zitternden Kreise wegnehmen, die der in den Schlund von Thule fallende Becher zieht.