Honoré de Balzac
Tante Lisbeth
Honoré de Balzac

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Die künstlerische Arbeit ist eine Jagd im Hochlande des Menschentums, eine der größten Leistungen der Erdenkinder. Zur Kunst muß man alle auf inneren Vorgängen beruhenden Schöpfungen rechnen. Was man am meisten an Künstlern bewundern sollte, das ist der Mut, ein Mut, den sich der Alltagsmensch gar nicht vorstellen kann.

In seinem früheren schrecklichen Elend war Stanislaus von Lisbeth wie ein Pferd zwischen Scheuklappen gehalten worden. Er hatte nicht nach rechts und links vom Wege blicken können. Unter der Zuchtrute dieses harten Mädchens, des verkörperten Zwanges, war der Künstler, ein geborener Träumer und Dichter, dazu getrieben worden, seine Konzeptionen zu verwirklichen. Ahnungslos überschritt er den tiefen Abgrund zwischen den beiden Welten der Kunst. Sinnen, träumen, schöne Werke seelisch zu empfangen ist ein köstlich Ding. Es ist das Rauchgekräusel einer Wunderzigarre. Es ist das Dirnenleben einer Phantasie. Das Werk ist da noch gleichsam ein ungeborenes schönes Kind, an dem man im Liebesrausch unsinnige Vorfreude genießt. Wer seine Schöpferträume in Worte fassen kann, ist bereits ein ungewöhnlicher Mensch. Diese Fähigkeit besitzen alle künstlerisch veranlagten Menschen. Nun kommt aber das Erzeugen, das Hervorbringen, das mühselige Aufziehen des Kindes. Es muß jeden Abend genährt, schlafen gelegt, jeden Morgen mit unerschöpflicher Mutterliebe wachgeküßt, gereinigt und hundertmal in schöne Kleider gehüllt werden, die immer wieder zerreißen. Den tollen Wirrwarr des Lebens zu bändigen und in einem Meisterwerke der Skulptur, Malerei, Dichtkunst oder Musik zu neuem Leben wiedererstehen zu lassen, das zu allen Menschen spricht, das heißt künstlerisches Schaffen. Die Hände müssen unermüdliche Diener der Phantasie sein. Und die Phantasie setzt sich in schaffende Kraft nur um, wenn die Liebe am Werke ausharrt.

Diese schöpferische Ausdauer, diese unermüdliche, gefühlsmäßige wie geistige Mütterlichkeit geht fabelhaft leicht verloren. Die Stimmung ist die Sonne des Genies. Die Inspiration ist ein ätherisches Wesen, das sich nicht fassen läßt, nicht an den Locken halten, weil es Flammenhaar hat. Die künstlerische Arbeit ist ein müdemachender Kampf, den die Stärksten fürchten und lieben, in dem viele zugrunde gehen. Ein großer neuerer Dichter sagt von dieser schrecklichen Arbeit: »Voll Verzweiflung gehe ich an sie heran, und mit Kummer verlasse ich sie!« Die Laien ahnen das nicht. Ein Künstler muß sich kopfüber in sein Werk stürzen wie Curtius in den Abgrund, wie der Soldat auf eine Schanze, ohne Überlegung; er muß in der Enge arbeiten wie der Bergmann im Schutt seines Schachtes; er muß alle Schwierigkeiten niederkämpfen wie der verliebte Ritter im Märchen den ewig sich wandelnden Zauberer, bis er seine Prinzessin befreit. Sonst bleibt das Werk ein Torso, der noch in der Werkstatt zerfällt.

Stanislaus, diese Träumernatur, hatte unter der Herrschaft Lisbeths beim Schaffen, Ausarbeiten und Vollenden so viel Energie verbraucht, daß unter seinem Glück und seiner Liebe eine Reaktion eintrat. Das Unterdrückte seines Charakters gewann wieder die Oberhand. Trägheit und Sorglosigkeit, die Passivität seines Bluts löschte alle Spuren der moralischen Peitschenschläge seiner Tyrannin aus. Während der ersten Monate seiner Ehe war der Künstler in seine Frau verliebt. Hortense und Stanislaus gaben sich den süßen Kindereien einer glücklich legitimen Leidenschaft hin. Hortense war die erste, die ihn jeglicher Arbeit entfremdete, stolz, über ihre Rivalin, die Kunst, zu triumphieren. Es ist eine alte Geschichte, daß die Zärtlichkeiten eines Weibes die göttlichen Musen verjagen; sie brechen die Kraft und die Zähigkeit des Schaffenden. Ein halbes Jahr verging so; die Hände des Bildhauers verlernten den Meißel zu führen. Als er wieder arbeiten mußte, als der Fürst von Weißenburg, der Vorsitzende des Denkmalsausschusses, die Statue besichtigen wollte, hatte Stanislaus nur das alte Drohnenwort zur Hand: »Jetzt mache ich mich aber daran!« Seine Hortense beschwichtigte er mit trügerischen Redensarten. Großartige Pläne paffte der Künstler und Raucher nur so in die Luft. Hortense liebte ihn um so mehr. Vor ihrem Geiste erstand ein erhabenes Denkmal des Marschalls. Dieser marmorne Montcornet mußte die vollendete Verkörperung der Unerschrockenheit, das Urbild eines Reiterführers werden. Ein Löwe wie Murat! Mehr noch. Vor diesem Standbilde mußten dem Beschauer alle Siege des Kaisers durch die Knochen rieseln . . . Das bißchen technische Ausführung!

Zunächst kam – statt der Statue – ein kleiner Steinbock auf die Welt.

Seitdem es die Ausführung des Denkmals erforderte, daß Steinbock in den Werkstätten von Gros-Caillou arbeiten mußte, war es heute die Uhr für den Fürsten, die ihn in das Atelier von Florent & Chanor abrief, morgen die schlechte Beleuchtung, übermorgen ein dringlicher Geschäftsgang oder ein Familiendiner, die ihn hinderten, gar nicht zu rechnen die Tage, wo ihm Stimmung oder Gesundheit fehlten, und die Stunden, die er mit seiner Frau vertändelte. Der Fürst von Weißenburg bekam erst nach sehr energischem Auftreten ein Modell der Statue. Erst nach tausend Anfragen und Beschwerden konnte der Denkmalsausschuß die Gipsfigur besichtigen. Tag für Tag kehrte der Künstler sichtlicher ermüdet heim, voll Klagen über die grobe Arbeit und über seine körperliche Schwäche.

Während dieses ersten Jahres erfreute sich der gräfliche Haushalt eines gewissen Wohlstandes. Die Gräfin, die in ihren Mann vernarrt war, verwünschte im Rausche der sinnlichen Befriedigung den Kriegsminister. Sie machte ihm einen Besuch und ließ die Bemerkung fallen, große Kunstwerke könne man nicht wie Kanonen fabrizieren. Die Regierung müsse sich, wie weiland Ludwig der Vierzehnte, Franz der Erste oder Leo der Zehnte, dem Geheiß des Genies fügen. Die arme Hortense wähnte einen Phidias in ihren Armen zu halten. Sie hegte für ihren Stanislaus jene mütterliche Nachsicht, die liebende Frauen mitunter bis zum Götzendienst übertreiben.

»Nimm dir nur Zeit!« sagte sie zu ihm. »Unsere ganze Zukunft hängt von dem Werke ab! Überhaste dich nicht! Schaffe ein Meisterwerk!«

Sie besuchte ihn im Atelier, und der verliebte Steinbock vergeudete ganze Stunden damit, seiner Frau die Statue zu beschreiben, statt sie zu fördern. Einundeinhalb Jahr brauchte er so, ehe er diese für ihn wichtige Arbeit vollendete.

Als das Standbild in Gips dastand, fand es Hortense bewundernswert. Hatte sie doch alle die ermüdenden Anstrengungen ihres Gatten miterlebt, dessen Gesundheit darunter sichtlich gelitten hatte. Ihr Vater, der von der Plastik nichts verstand, und die ebenso unkundige Baronin priesen es als Meisterleistung. Der Kriegsminister kam; man führte und beeinflußte ihn, und so war er angesichts der vor eine grüne Leinwand und in günstige Beleuchtung gesetzten Figur zufrieden. Aber während der Kunstausstellung von 1841 hörte man nichts als Tadel. Die Leute ärgerten sich über den allzu plötzlich hochgehobenen Künstler, und der Tadel verstieg sich bis zu Hohn und Spott. Stidmann versuchte, seinen Freund zu belehren; er wurde der Eifersucht bezichtigt. Die Aufsätze in den Zeitungen waren für Hortense Stimmen des Neides. Stidmann, der gute Junge, setzte Aufsätze gegen jene Besprechungen durch, in denen betont wurde, daß Künstler in der Regel zwischen Gips und Marmor beträchtliche Ummodelungen vornehmen; man dürfe eigentlich nur in Marmor ausstellen. »Der Gips«, schrieb Claude Vignon, »sei das Manuskript, der Marmor das fertige Buch.«

In zwei und einem halben Jahre brachte Steinbock also eine Statue und ein Kind fertig. Das Kind war schön, die Statue abscheulich. Sie und die Uhr für den Fürsten tilgten die Schulden des jungen Haushalts. Steinbock hatte inzwischen die Gewohnheit angenommen, in die Gesellschaft zu gehen, das Theater und die Italienische Oper zu besuchen. Er verstand bewundernswürdig über die Kunst zu plaudern und behauptete sich in der Gesellschaft durch seine kritischen Äußerungen als künstlerische Autorität. In Paris gibt es »geniale« Menschen, die ihr Leben lang weiter nichts tun, als daß sie von sich reden machen; sie begnügen sich mit einer Art Salonruhm. Steinbock machte es diesen scharmanten Eunuchen nach! Seine Abneigung gegen die Arbeit wuchs von Tag zu Tag. Immer, wenn er zu arbeiten begonnen, übermannten ihn alle Hemmnisse des künstlerischen Schaffens, und sie entmutigten ihn bis zur Willenserschlaffung. Die Inspiration mied ihn.

Die Skulptur ist, ähnlich wie die dramatische Kunst, die schwierigste und leichteste aller Künste. Das Leben kopieren, und das Werk ist fertig! Aber es beseelen, aus einer Kopie einen männlichen oder weiblichen Typ schaffen, das ist prometheisch. Große Plastiker gibt es in den Jahrbüchern des Menschengeschlechts ebenso wenige wie große Dichter. Ein einziges echtes Werk genügt zur Unsterblichkeit eines Meisters. So hat die Gestalt des Figaro, des Lovelace, der Manon Lescaut genügt, um Beaumarchais, Richardson und Prévost unsterblich zu machen. Michelangelos Denker in Florenz und Albrecht Dürers Muttergottes im Mainzer Dom leben ewig. Solche Werke sind Taten. Das Geheimnis dieses gewaltigen Erfolges liegt in ausdauernder gleichmäßiger Arbeit, denn die technischen Schwierigkeiten müssen derartig bezwungen werden, die Hand des Künstlers muß so geschickt und gehorsam sein, daß er gleichsam Seele gegen Seele mit einem unfaßbaren Wesen ringt, das er zugleich verklärt und verkörpert. Beständige Arbeit ist das oberste Gesetz in der Kunst wie im Leben. Kunst ist freiestes Schaffen. Große Künstler müssen unabhängig von Bestellern und Käufern arbeiten. Sie schaffen immerdar. Canova ist aus seinem Atelier nicht herausgekommen.

Stanislaus Steinbock war auf dem steinigen Pfade, den alle großen Künstler wandeln und der zu den höchsten Gipfeln der Meisterschaft führt, als ihn Lisbeth in seiner Dachstube gefangenhielt. Das Glück, das ihm in Hortense erschien, machte ihn träge. Alle Künstler neigen zur Träumerei; sie ist ein künstlerischer Zustand: das Vergnügen des Paschas in seinem Harem. Künstler buhlen mit ihren Träumen; sie berauschen sich am Quell ihrer Seelen. Naturen aber von der Art Steinbocks werden von der Träumerei verzehrt; sie sind lediglich Träumer. Wie Opiumraucher gehen sie zugrunde. Nur wenn die rauhe Hand des Lebens sie packt, werden sie große Männer. Diese Halbkünstler sind zumeist bezaubernde Menschen. Man liebt und verwöhnt sie. Sie scheinen den in ihre Arbeit vergrabenen Künstlern überlegen, die man des Eigensinns, der Ungefälligkeit, des Widerspruchsgeistes bezichtigt. Die großen Männer gehören ihren Werken; sie erscheinen interesselos für alles andere; ihre Arbeitsbegeisterung wirkt auf Laien und Toren wie Egoismus. Man verlangt von ihnen vergeblich die Erfüllung herkömmlicher und weltlicher Pflichten. Man begegnet ihnen selten, und der großen Menge, die immer aus oberflächlichen, neidischen und ungebildeten Leuten besteht, bleiben sie unverständlich. Und nur großherzige Frauen vermögen sie mitunter zu verstehen. Diese Rolle hatte in gewisser Beziehung Lisbeth gespielt; nur hätte lächelnde Liebe und sonnige Opferfreudigkeit im Geleite sein müssen.

Durch die Leiden ihrer Mutter weitsichtiger geworden und unter dem Drucke schrecklicher Not erkannte Hortense zu spät, welche Fehler sie unbedacht aus übergroßer Liebe begangen hatte. Aber als würdige Tochter ihrer Mutter konnte sie es nicht übers Herz bringen, Stanislaus Zwang anzutun. Sie liebte ihn zu zärtlich, um sein Träumerleben zu vernichten, wenn sie auch den Augenblick näher und näher kommen sah, wo das Elend ihn, sie und das Kind packen mußte.

»Ach was!« rief Lisbeth aus, als sie den schönen Augen ihrer Verwandten Tränen entrollen sah. »Man darf nie den Mut verlieren! Mit Tränen füllt man keinen Bouillontopf. Wieviel brauchst du?«

»Fünf- bis sechstausend Francs.«

»Ich habe im höchsten Falle dreitausend«, meinte Lisbeth. »Woran arbeitet Stanislaus zur Zeit?«

»Stidmann hat ihm vorgeschlagen, mit ihm zusammen für sechstausend Francs einen Tafelaufsatz für den Herzog von Hérouville anzufertigen. Chanor wäre dann bereit, den Herren Leon von Lora und Bridau viertausend Francs zu zahlen, eine Ehrenschuld meines Mannes.«

»Was? Ihr habt das Honorar für die Statue und die Reliefs zum Denkmal des Marschalls Montcornet bekommen und habt das nicht bezahlt?«

»Siehst du«, wich Hortense aus, »seit drei Jahren brauchen wir jährlich zwölftausend Francs, und ich habe nur zweitausend Einkommen. Das Denkmal des Marschalls hat nach Abzug aller Kosten nur sechzehntausend Francs eingebracht. Ich gestehe dir: wenn Stanislaus nichts vollendet, weiß ich nicht, was aus uns werden soll. Ach, wenn ich die Bildhauerkunst erlernen könnte: was wollte ich arbeiten!«

Sie hob die Arme; ihre Augen flammten. Das junge Mädchen war zur reifen Frau geworden.

»Mein armes liebes Puttchen«, sagte Lisbeth, »eine kluge Frau verheiratet sich mit einem Künstler nicht eher, als bis er reich ist.«

In dem Augenblick vernahm man die Tritte und Stimmen Stidmanns und Steinbocks. Sie geleiteten Chanor an die Tür. Bald darauf erschienen die beiden.

Stidmann, allbekannt in der Welt der Journalisten, der besseren Schauspielerinnen und berühmten Halbweltlerinnen, war ein eleganter junger Mann, auf den es Valerie Marneffe abgesehen hatte, seitdem er ihr durch Claude Vignon vorgestellt worden war. Vor kurzem hatte er sein Verhältnis mit der berüchtigten Frau Schontz abgebrochen. Valerie und Lisbeth hatten von dem Bruch erfahren und hielten es für geboten, ihn nach der Rue Vanneau zu locken. Da Stidmann aus gewissen Rücksichten selten in Steinbocks Haus kam und Lisbeth nicht zugegen gewesen war, als ihn Valerie durch Claude Vignon kennenlernte, so sah sie ihn heute zum ersten Male. Während sie den berühmten Künstler musterte, bemerkte sie an gewissen Blicken, die Hortense galten, daß er möglicherweise der Tröster der Gräfin werden könne, wenn Stanislaus seiner Frau untreu würde. In der Tat war Stidmann der Gedanke nicht fern gewesen, daß diese herrliche Frau eine anbetungswürdige Geliebte sei, wenn er nicht Steinbocks Kamerad wäre. Aber sein Begehren ward durch sein Ehrgefühl in Schranken gehalten, und das war es, was ihn diesem Hause fernhielt. Lisbeth bemerkte die verräterische Unruhe, die sensible Männer in der Gegenwart einer Frau befällt, mit der zu liebäugeln sie sich versagen müssen.

»Ein recht netter junger Mann!« flüsterte Lisbeth Hortense ins Ohr.

»So? Findest du?« entgegnete sie. »Das ist mir noch nie aufgefallen.«

»Bester Stidmann«, sagte Stanislaus leise zu seinem Kollegen, »offen, wie wir zueinander sind: Hortense und ich, wir müssen mit der alten Jungfer da geschäftliche Angelegenheiten besprechen.«

Stidmann empfahl sich den beiden Damen und ging. Steinbock geleitete ihn.

»Die Sache wäre gemacht«, berichtete Stanislaus, als er wieder ins Zimmer trat, »aber die Arbeit beansprucht ein halbes Jahr, und wir müssen in der Zeit zu leben haben.«

»Ich versetze meine Brillanten«, rief die junge Gräfin mit der Überschwenglichkeit der liebenden Frau.

Stanislaus bekam feuchte Augen.

»Ich will arbeiten«, beteuerte er, indem er sich neben seiner Frau niederließ und sie auf den Schoß nahm. »Ich werde kunstgewerbliche Gegenstände schaffen, eine kleine Bronzegruppe . . .«

»Geliebte Kinder«, begann Lisbeth, »ihr wißt doch, daß ihr meine Erben seid, und glaubt mir, ich hinterlasse euch dermaleinst ein hübsches bißchen, ganz besonders wenn ihr mir behilflich seid, den Marschall zu heiraten. Wenn alles klappt, dann eßt ihr alle bei mir, ihr und eure Mutter. Ach, wie glücklich kann das Zusammenleben werden! Für den Augenblick folgt meiner langjährigen Erfahrung! Nehmt eure Zuflucht nicht zum Leihhaus! Das führt immer ins Verderben. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß den Armen bei der Verlängerung das nötige Geld zu den Zinsen fehlt, und dann ist das Versatzstück verloren. Ich kann euch Geld zu fünf Prozent gegen einen bloßen Schuldschein verschaffen.«

»Dann wären wir ja gerettet!« frohlockte Hortense.

»Stanislaus wird mit zu der Person kommen, die auf meine Fürsprache hin die Sache machen wird. Eine Frau Marneffe. Sie ist ein bißchen eitel, wie Emporkömmlinge so sind. Man muß ihr ein wenig schmeicheln, dann hilft sie einem auf die freundlichste Art der Welt aus der Verlegenheit. Du wirst ihr dann auch deinen Besuch machen, liebe Hortense.«

Hortense warf einen Blick auf Stanislaus, als ob sie mit dieser Aufforderung zum Tode verurteilt wäre und das Schafott besteigen sollte.

»Claude Vignon hat Stidmann mit ihr bekannt gemacht«, meinte Steinbock. »Die Marneffes sollen ein sehr nettes Haus führen.«

Hortense senkte den Kopf.

Sie empfand etwas Unbeschreibliches, nicht Schmerz: eine richtige Krankheit.

»Aber, meine liebe Hortense«, rief Lisbeth aus, die Hortenses beredte Erregtheit begriff, »füg dich doch in das Leben! Es wird dir sonst noch gehen wie deiner Mutter. Im Getriebe der Welt muß man die Menschen wie Marionetten nehmen, die man spielen läßt, wenn man sie braucht. Bedient euch der Frau Marneffe, Kinder, und schiebt sie dann wieder beiseite. Hast du Angst, daß sich Stanislaus, der dich vergöttert, in eine Frau verlieben könne, die vier bis fünf Jahre älter ist als du und abgenutzt wie ein alter Schuh?«

»Ich will doch lieber meine Brillanten versetzen«, meinte Hortense. »Geh niemals zu ihr, Stanislaus! Sie ist eine Teufelin!«

»Hortense hat recht«, bestätigte Steinbock, indem er seine Frau küßte.

»Ich danke dir, Liebster!« flüsterte die junge Frau überglücklich. »Siehst du, Lisbeth, mein Mann ist ein Ideal. Er spielt nicht; überallhin gehen wir zusammen. Und wenn er auch noch fleißig wäre . . . nein, das wäre des Glücks zuviel! Warum sollten wir bei der Mätresse meines Vaters verkehren? Bei einem Frauenzimmer, das ihn zugrunde richtet und das die Urheberin all des Kummers meiner heldenmütigen Mutter ist?«

»Liebes Kind«, warf Lisbeth ein, »der Ruin deines Vaters hat andere Ursachen. Die Sängerin hat ihn zugrunde gerichtet und dann deine Heirat. Bei Gott, Frau Marneffe hat ihm nur genützt . . . na, aber ich darf ja nichts sagen.«

»Du hältst es mit aller Welt, liebe Tante Lisbeth!«

Hortense wurde durch das Schreien ihres Kindes in den Garten gerufen. Lisbeth und Stanislaus blieben allein im Zimmer zurück.

»Deine Frau ist ein Engel, Stanislaus!« sagte Lisbeth. »Liebe sie ja und tue ihr nie ein Leid an!«

»Ach, ich liebe sie ja so, daß ich ihr unsere Lage verheimliche«, gab Steinbockzur Antwort. »Aber mit dir, liebe Lisbeth, kann ich ja reden. Siehst du, selbst wenn die Brillanten meiner Frau nach dem Leihhause wandern, sind wir immer noch in der Klemme . . .«

»Na also! Pumpe Frau Marneffe an!« sagte Lisbeth. »Überrede deine Frau oder – zum Donnerwetter! – geh hin, ohne daß sie es merkt!«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, antwortete er. »Ich bin nur nicht darauf eingegangen, um Hortense nicht zu betrüben.«

»Höre mich einmal an, Stanislaus. Ich hab euch beide viel zu lieb, als daß ich euch nicht vor der Gefahr warnte. Wenn du zu Frau Marneffe gehst, dann halt dein Herz fest, denn das Weib ist ein Satan. Wer sie kennenlernt, ist in sie verliebt. Sie ist eine große Verführerin und Sünderin! Sie nimmt einen gefangen wie ein Meisterwerk. Nimm ihr Geld, aber laß ihr deine Seele nicht zum Pfande! Ich wäre untröstlich, wenn meine Hortense hintergangen würde. Still! Da ist sie. Ich werde die Sache arrangieren.«

»Bedanke dich bei Tante Lisbeth!« sagte Stanislaus zu der Zurückgekommenen. »Sie will uns aus der Verlegenheit helfen und uns ihre Ersparnisse leihen.«

Er machte Lisbeth ein Zeichen. Sie verstand es.

»Hoffentlich wirst du nun auch tüchtig arbeiten, mein Meister!« sagte Hortense.

»Ja, von morgen an!« gab der Künstler zur Antwort.

»Dieses Morgen, das ist unser Verderben«, meinte Hortense lachend.

»Ach, mein Goldkind, du weißt es doch selbst nur zu genau: hat nicht jeder Tag Hindernisse, Abhaltungen und Geschäfte gebracht?«

»Leider ja, mein Lieb!«

»Hier drinnen habe ich tausend Ideen!« rief Steinbock, indem er sich auf die Stirn schlug. »Ja, meine Feinde sollen staunen! Ich werde einen Tafelaufsatz schaffen im Stile des mittelalterlichen Deutschlands, im Stile der Verträumtheit! Ich werde eine Welt der Märchen und Träume bannen! Chanor war ganz baff . . . Ich hatte es aber auch nötig, wieder ein bißchen Courage zu fassen. Der letzte Artikel über das Montcornet-Denkmal hat mich höllisch mitgenommen.«

 

Noch am selben Abend, von diesem Erfolg verständigt, verlangte Valerie vom Baron Hulot, er solle Stidmann, Claude Vignon und Steinbock zum Diner einladen. Sie tyrannisierte ihn jetzt. Am andern Tage rüstete sie sich zum Turnier; das heißt sie widmete ihrer Toilette die raffinierteste Sorgfalt, besonders ihrem Haar, dessen leuchtendes Blond sie sich aschblond färben ließ. Diese matte Tönung verlieh ihr etwas Seltsames, Pikantes. Im tiefen Ausschnitt ihres schwarzsamtenen Kleides, an der reizvollsten Stelle, trug sie eine wundervolle Rose.

»Ich sehe zum Anbeißen aus!« rief sie selbstbewußt, während sie vor dem Spiegel ihre wirksamsten Posen durchprobierte, ganz wie eine Tänzerin ihre Schritte repetiert.

Lisbeth war in die Markthalle gegangen. Das Abendessen sollte eins der Schlemmermahle werden, wie sie Mathurine ehedem für ihren Bischof bereitet hatte, wenn er den Prälaten des benachbarten Sprengels traktierte.

Stidmann, Claude Vignon und Graf Steinbock kamen fast gleichzeitig gegen sechs Uhr. Eine natürliche oder, wenn man will, alltägliche Frau wäre bei der Meldung eines so heiß begehrten Mannes in den Salon geeilt. Valerie jedoch, die seit fünf Uhr bereit war, zögerte. Ihre drei Gäste sollten ihr erst eine Weile untereinander ihre geheimen oder offen ausgesprochenen Gedanken widmen.

In ihrem Salon standen absichtlich jene entzückenden Sachen gleichsam im Vordergrund, die Paris und keine andere Stadt der Welt erzeugt und pflegt, jene Schätze einer Frau: Bronzen, Vasen, Statuetten, Meisterstücke aus Sèvres, Meißener Porzellan und dergleichen Dinge, die alle enorm teuer sind und die geschaffen werden, um im ersten Rausch oder beim letzten Versöhnungsversuch einer Leidenschaft geschenkt zu werden.

Valerie genoß übrigens gerade die Freuden eines Erfolges. Sie hatte Crevel versprochen, dermaleinst, nach Marneffes Tode, seine Frau zu werden, und der verliebte Mann hatte auf ihren Namen zehntausend Francs Rente eintragen lassen. Er hatte das Kapital davon in den letzten drei Jahren durch seine Eisenbahnaktien verdient. Somit besaß Valerie im Augenblick zweiunddreißigtausend Francs Rente. Crevel war fernerhin im Begriff, ihr noch ein weit größeres Geschenk zu machen. In der Verrücktheit seiner Leidenschaft glaubte er, seine »Prinzessin von zwei bis vier« – Valerie hatte sich in der Rue du Dauphin selber übertroffen – zu der ihm versprochenen Treue dadurch begeistern zu müssen, daß er ihr die Aussicht auf den Besitz eines reizenden kleinen Palastes eröffnete, den sich ein ungeschickter Spekulant in der Rue Babette erbaut hatte und der zu verkaufen war. Valerie sah sich schon in diesem entzückenden Hause mit einem Garten, eigenem Wagen und so weiter.

»Bei einem anständigen Leben und in so kurzer Zeit und so leicht – das ist nicht so einfach!« sagte sie zu Lisbeth, die ihr beim Ankleiden half. Sie war mit zu Tisch eingeladen worden, um mit Steinbock gewisse Dinge zu besprechen.

Strahlend vor Glück, graziös und doch in bescheidener Haltung betrat Valerie endlich den Salon. Lisbeth folgte ihr unmittelbar, schwarz und gelb gekleidet, als Folie, wie man zu sagen pflegt.

»Guten Tag, Claude«, begrüßte Valerie den berühmten einstigen Kritiker, indem sie ihm die Hand reichte.

Claude Vignon war, wie so viele andere, »Politiker« geworden. Damit bezeichnete man Ehrgeizige auf der ersten Stufe ihrer Laufbahn. Der »Politiker« von 1840 war gewissermaßen das, was der Abbé im Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts war. Kein Salon konnte ohne seinen »Politiker« bestehen.

Lisbeth stellte ihrer Freundin den Grafen Steinbock vor, den diese noch nicht bemerkt zu haben sich den Anschein gab.

»Liebe Valerie, mein Neffe Graf Steinbock.«

Anmutsvoll neigte Valerie den Kopf zum Gruße.

»Ich kenne Sie bereits sehr gut, Graf«, sagte sie zu dem Künstler. »Ich habe Sie in der Rue du Doyenné oft gesehen, und dann war ich auch auf Ihrer Hochzeit.« Zu Lisbeth sagte sie: »Es ist schwer, Lisbeth, deinen Pflegesohn zu vergessen, wenn man ihn einmal gesehen hat.«

Dann begrüßte sie Stidmann.

»Es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie meiner Einladung Folge geleistet haben, trotzdem sie Ihnen so spät zugegangen ist. Not kennt kein Gebot. Ich wußte, daß sie den beiden andern Herren befreundet sind. Nichts ist ungemütlicher, nichts macht ein Diner stimmungsloser, als wenn sich die Gäste untereinander nicht kennen. So habe ich Sie denn den Herren zuliebe hergelockt. Ein andermal kommen Sie mir zuliebe. Sagen Sie ja!«

Eine Weile unterhielt sie sich mit Stidmann, als ob sie einzig und allein Interesse für ihn hätte.

Nacheinander meldete man Crevel, den Baron Hulot und einen Abgeordneten namens Beauvisage. Dieser, ein zweiter Crevel, aber aus der Provinz, einer der Menschen, die auf die Welt kommen, um die Vielzuvielen zu vermehren, war durch den Staatsrat Giraud und durch Viktor von Hulot zu seinem Sitz im Abgeordnetenhause gekommen. Die beiden Politiker wollten eine liberale Insel im Ozean der Konservativen bilden. Giraud kam zuweilen abends zu Frau Marneffe, die am liebsten auch Viktor von Hulot in ihren Kreis gezogen hätte. Aber der auf das Dekorum bedachte Anwalt hatte bisher immer Vorwände gefunden, hierin seinem Vater und seinem Schwiegervater Widerstand zu leisten. Im Hause der Frau zu erscheinen, die seiner Mutter so viele Tränen kostete, wäre ihm wie ein Verbrechen vorgekommen. Viktor von Hulot gehörte in seinem Privatleben zu denen, die auf altfränkische Sitten halten; ähnlich neigte seine Frau zur Frömmelei. Beauvisage, ein ehemaliger Hutfabrikant, war darauf erpicht, Pariser zu werden. Er ging sozusagen bei Frau Marneffe in die Lehre. Im übrigen war Crevel sein Lehrmeister. Ihn befragte er in allen Dingen; er machte ihm alles nach, selbst seine berühmte Attitüde.

In der Umgebung aller dieser Leute erschien Valerie dem Grafen Steinbock wie eine femme supérieure.

»Sie ist eine Madame von Maintenon im Rocke der Ninon von Lenclos!« rühmte Vignon sie ihm. »Man gefällt ihr, wenn man gesellig und unterhaltend ist. Sie verliebt zu machen, ist ein Triumph.«

Bei aller geheuchelten Kälte und Gleichgültigkeit packte Valerie ihren ehemaligen Hausgenossen bei seiner Eitelkeit, ohne es übrigens zu wissen, denn sie hatte keine Ahnung vom Charakter der Polen. Er hat Mut, Geist und Schwung; aber unter dem Einflusse seiner Sprunghaftigkeit hat weder sein Mut noch seine Kraft noch sein Geist Methode. An der Wiege dieser verführerischen Rasse hat eine Fee gestanden und gerufen: »Du bist glänzend begabt, aber du wirst nie wissen, was du willst!«.

An dem Tage, wo sich diese einzigartige sanguinische Rasse einen gesunden Menschenverstand aneignen wird, ist ihr der Erfolg gesichert.

Wie dieses Volk im ganzen, so ist der Slawe zumeist auch in seinem Einzelleben, zumal wenn ihm nicht alles so geht, wie er es will. Steinbock, der seit drei Jahren seine Frau anbetete und wohl wußte, wie sehr sie ihn vergötterte, war dermaßen pikiert darüber, daß ihn Frau Marneffe kaum zu bemerken schien, daß er es sich zur Ehrensache machte, ihre Beachtung zu erzwingen. Indem er sie mit seiner Frau verglich, gab er ihr den Vorzug. Hortense war ein schönes Sinnenweib, wie Valerie einmal zu Lisbeth gesagt hatte. Valerie dagegen besaß lebhaften Witz und das Mousseux der Sünde. Hortenses demütige Hingabe war etwas, was der Ehemann als ihm gebührend hinzunehmen pflegt. Das Bewußtsein des Wertes einer absoluten Liebe geht sehr schnell verloren, etwa wie ein Schuldner sich nach einer gewissen Zeit einbildet, das geliehene Geld gehöre ihm. Die erhabene Treue ist das tägliche Brot der Seele, verführerische Untreue ein Leckerbissen des Herzens. Eine sprödstolze Frau reizt die Sinne, wie Gewürz ein gutes Gericht erst schmackhaft macht. Die von Valerie so gut gespielte Nichtbeachtung war obendrein für den seit drei Jahren an leichte Siege gewöhnten Künstler etwas Neues. Hortense war die geborene Ehefrau, Valerie die geborene Geliebte.

Viele Männer brauchen beide Ausgaben des Weibes nebeneinander, obgleich es eigentlich ein Riesenbeweis für die Inferiorität des Mannes ist, aus seiner Frau keine Geliebte machen zu können. Dieses Hin- und Herschwanken ist ein Zeichen von Ohnmacht. Treue ist immer höchste Liebe, ein Beweis ungeheurer Kraft. Daher die dichterischen Verherrlichungen. Ein rechter Mann sollte in seiner Frau alle Frauen wiederfinden, wie die armseligen Poeten des siebzehnten Jahrhunderts in ihren kleinen Mädchen Göttinnen sahen.

»Sag einmal«, fragte Lisbeth den Künstler, als sie ihm ansah, daß er bezaubert war, »wie findest du Valerie?«

»Zu reizvoll!« gab er zur Antwort.

»Erinnerst du dich meiner Warnung?« lachte sie. »Mein lieber Stanislaus, wenn wir weiter zusammengeblieben wären, hättest du diese Sirene da zur Geliebten gehabt, und wenn sie Witwe wird, hättest du sie geheiratet. Ihr hättet dann die vierzigtausend Francs Rente, die ihr gehören.«

»Wirklich?«

»Natürlich!« sagte Lisbeth. »Aha, nimm dich nur in acht. Ich habe dich vor der Gefahr gewarnt. Verbrenn dir die Flügel nicht an dieser Flamme! Gib mir den Arm! Man geht zu Tisch.«

Keine Unterhaltung hätte mehr demoralisierend wirken können als diese. Man braucht einen Polen bloß vor einen Abgrund zu stellen, gleich springt er hinein. Der Slawe hat Reitergeist in sich; er bildet sich ein, jedes Hindernis nehmen zu können und alles zu überwinden. Neben dem Ansporn, den Lisbeth der Eitelkeit des Künstlers versetzte, wirkte auf Steinbock der Anblick der Tafel, auf der er prächtiges Silberzeug funkeln und alle Eleganz und Raffinesse des Pariser Luxus entfaltet sah.

Ich hätte allerdings besser getan, dachte er bei sich, zunächst nicht zu heiraten.

Während der Tafel war der Baron in der besten Laune. Die Anwesenheit seines Schwiegersohnes und noch mehr die Gewißheit, wieder mit Valerie versöhnt zu sein – er glaubte in seiner Eitelkeit, sein Versprechen, Marneffe zum Amtsnachfolger Coquets zu machen, bürge ihm für ihre Treue –, dies beides erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Stidmann erwiderte die Liebenswürdigkeit des Barons mit einem Sprudel Pariser Witze. Auch Steinbock, der sich von seinem Kollegen nicht ausstechen lassen wollte, ließ seinen Geist spielen. Er hatte launige Einfälle, machte Eindruck und war voller Selbstzufriedenheit. Mehrere Male lächelte ihm Frau Marneffe zu, um ihm zu zeigen, daß sie mit ihm im Einklang sei. Das treffliche Mahl und die vorzüglichen Weine tauchten Stanislaus schließlich in den Unterstrom des Genusses.

Weinselig machte er es sich nach dem Essen in einer Sofaecke behaglich. Er überließ sich einem körperlichen wie seelischen Wohlgefühl, das ihm Frau Marneffe ins Grenzenlose erhöhte, als sie sich – behend, parfümiert, schön, verführerisch – neben ihn hinsetzte.

Sie neigte sich gegen Stanislaus; er fühlte sie leise. Sie flüsterte ihm zu:

»Heute abend können wir das Geschäftliche nicht besprechen, Sie müßten denn bis ganz zuletzt bleiben. Aber Lisbeth und ich, wir werden die Sache schon zu Ihrer Zufriedenheit arrangieren . . .«

»Sie sind ein Engel, gnädige Frau!« sagte Stanislaus ebenso leise. »Ich habe eine tolle Dummheit begangen, als ich damals nicht auf Lisbeth hörte . . .«

»Was sagte sie denn?«

»Sie behauptete, damals in der Rue du Doyenné, Sie seien in mich verliebt . . .«

Valerie blickte ihn an. Sie sah verwirrt aus und stand rasch auf. Eine hübsche junge Frau erweckt niemals ungestraft in einem Manne den Eindruck des unmittelbaren Erfolges. Die Gebärde der anständigen Frau, die eine Leidenschaft ins tiefste Herz zurückstößt, wirkt tausendmal beredter als die ungestümste Erklärung in Worten. Alsbald loderte die Begehrlichkeit des Künstlers hoch auf, und er verdoppelte seine Aufmerksamkeit Valerie gegenüber. Das Weib, das man vor sich hat, begehrt man immer. Als Valerie sich beobachtet fühlte, betrug sie sich wie eine Schauspielerin, der man applaudiert. Sie wurde entzückend und vollendete ihren Sieg.

»Die Torheiten meines Schwiegervaters setzen mich nicht mehr in Erstaunen«, bemerkte Stanislaus zu Lisbeth.

»Wenn du schon so sprichst«, entgegnete sie ihm, »dann werde ich es mein Leben lang bereuen, daß ich dir diese zehntausend Francs vermittelt habe. Bist du wirklich nicht anders als alle die da«, sie zeigte auf die Gäste, »die alle toll verliebt in jenes Geschöpf sind? Vergiß nicht, daß du der Rival deines Schwiegervaters würdest! Und dann bedenke, wieviel Leid du Hortense zufügtest!«

»Wahrlich, Hortense ist ein Engel, und ich wäre ein schlechter Mensch«, gestand Steinbock.

»Einer genügt in der Familie«, bemerkte Lisbeth.

»Ein Künstler sollte nie heiraten«, klagte Stanislaus.

»Siehst du! Das war ja bereits meine Rede in der Rue du Doyenné.«

»Wovon sprecht ihr da?« fragte Valerie, sich den beiden nähernd. »Bitte, bereite den Tee, Lisbeth!«

In seiner Polen-Gascognerie schmeichelte es dem Künstler, den Eindruck zu erwecken, er stehe mit der Fee des Salons auf vertrautem Fuße. Nachdem er Stidman, Vignon und Crevel durch einen spöttischen Blick geärgert hatte, erfaßte er Valeries Hand und nötigte sie, sich wieder neben ihn auf das Sofa zu setzen.

»Sie sind allzu gnädig, Graf!« sagte sie ein wenig widerstrebend. Dann fing sie an zu lachen und ließ sich neben ihm nieder, so daß ihm die Rose zwischen ihren Brüsten auffallen mußte.

»Gnädig? Ach, und ich bin hier, um Geld von Ihnen zu bekommen.«

»Armer Junge!« flüsterte sie. »Ich erinnere mich an Ihre Arbeitsnächte in der Rue du Doyenné. Sie waren ein Tor! Sie haben sich in die Ehe gestürzt wie ein Verhungerter aufs Brot. Sie kennen Paris gar nicht. Sehen Sie, nun haben Sie es! Sie waren ebenso blind vor Lisbeths Zärtlichkeit wie vor der Liebe der Pariserin, die ihre Leute kennt.«

»Genug!« wehrte er ab. »Ich bin nun einmal hereingefallen!«

»Sie sollen Ihre zehntausend Francs haben, mein lieber Stanislaus, aber unter einer Bedingung . . .«

»Die wäre?«

»Ich nehme keine Zinsen.«

»Gnädige Frau!«

»Seien Sie nicht bös! Sie geben mir dafür eine Bronzegruppe. Sie haben einen Simson angefangen. Vollenden Sie das! Schaffen Sie dazu eine Delila, die dem jüdischen Herkules die Locken stutzt! Verstehen Sie mich, Meister? Es handelt sich darum, die Macht des Weibes zu verkörpern. Was ist Simson? Nichts! Ein Leichnam der Kraft. Delila, das ist die große Leidenschaft, die alles zugrunde richtet . . .«

Sie brach ihre Rede ab, als sie sah, daß sich Vignon und Stidmann näherten. Die beiden hatten vernommen, daß von Kunst die Rede war.

»Also Sie versprechen es mir, Graf?« sagte sie zu Steinbock, indem sie ihm die Hand hinhielt, zaghaft wie ein verliebtes junges Mädchen.

»Sie Glücklicher«, scherzte Stidmann, »daß Sie der gnädigen Frau etwas versprechen dürfen!«

»Darf man fragen: was?« setzte Claude Vignon hinzu.

»Eine kleine Bronzegruppe«, gab Steinbock zur Antwort, »Delila, Simson das Haar abschneidend.«

»Ein schwierig Ding«, meinte Vignon, »des Bettes wegen.«

»Im Gegenteil«, warf Valerie lachend ein, »riesig leicht!«

»So? Machen Sie uns die Sache!« sagte Stidmann.

»Die gnädige Frau, welch Modell!« rief Vignon mit einem vielsagenden Blick auf Valerie.

»Passen Sie auf!« begann sie. »Ich denke mir die Sache so. Simson erwacht aus dem Schlafe – haarlos wie so mancher eine Perücke tragende Dandy. Der Held sitzt auf dem Bettrande. Das braucht man nur anzudeuten. Er sitzt da wie Marius auf den Trümmern von Karthago, die Arme verschränkt. Oder wie Napoleon auf Sankt Helena. Delila kniet vor ihm. Etwa wie Magdalena von Canova. Wenn ein Weib einen Mann zugrunde gerichtet hat, dann betet sie ihn an. Meiner Auffassung nach hatte die Jüdin zwar Furcht vor dem schrecklichen mächtigen Simson, aber den knabenhaft gewordenen muß sie lieben. Somit beklagt sie ihre Tat. Sie möchte dem Geliebten sein Haar wiedergeben. Sie wagt nicht, ihn anzublicken. Und dann schaut sie ihn lächelnd an, weil sie bemerkt, daß er ihr in seiner Schwachheit verzeiht . . . Delila und Judith repräsentieren das Weib: Tugend und Sünde. Die Tugend schneidet euch Männern den Kopf ab, die Sünde nur das Haar. Schützen Sie Ihre Perücken, meine Herren!«

Weg war sie. Die Künstler sahen sich an, bis der Kritiker ihr zu Ehren ein Loblied anstimmte.

»Unübertroffen! Köstlich!« rief Stidmann aus.

»Ja«, setzte Vignon hinzu, »das klügste und begehrenswerteste Weib, das ich kenne! Geist und Schönheit vereint findet man selten.«

»Wenn Sie, der Sie die Ehre gehabt haben, Kamilla Maupin intim zu kennen, derartiges sagen«, meinte Stidmann, »was müssen wir dann denken?«

Crevel, der den Spieltisch verlassen und das Gespräch mitangehört hatte, gesellte sich zu den Künstlern.

»Lieber Graf«, sagte er, »wenn Sie Delila als Porträt von Valerie machen wollen, kaufe ich Ihnen ein Exemplar für tausend Taler ab. Sapristi! Tausend Taler!«

»Die gnädige Frau müßte mir sitzen«, sagte Steinbock. »Wollen Sie sie darum ersuchen?«

In dem Augenblick brachte Valerie dem Grafen eigenhändig eine Tasse Tee. Das war mehr als eine Auszeichnung; das war eine Gunstbezeigung. In der Art, wie eine Frau das verrichtet, liegt eine ganze Sprache. Das wissen die Frauen sehr wohl. So einfach dieser Akt der Höflichkeit an sich zu sein scheint: an ihren Bewegungen dabei, ihren Gesten, ihren Blicken, ihrer Stimme, ihrer Betonung kann man eine lehrreiche Studie machen. Man kann dabei alle weiblichen Empfindungen beobachten: von der Abneigung bis zur Gleichgültigkeit und bis zum Liebesgeständnis. Je nach Willkür vermögen die Frauen dabei geringschätzig bis zur Beleidigung und demütig bis ins Morgenländisch- Sklavenhafte zu sein. Valerie war mehr als Weib; sie war die Weib gewordene Schlange.

»Ich nehme so viele Tassen Tee«, sagte der Künstler, indem er aufstand und mit seinen Fingern die Hand Valeries leise streifte, »wie Sie mir reichen wollen, nur um sie mir so gereicht zu sehen . . .«

»Sie sprachen eben vom Sitzenmüssen?« fragte sie, als ob ihr die gierig erwartete und mit ganzem Herzen empfangene Huldigung entgangen wäre.

»Vater Crevel will mir ein Exemplar Ihrer Gruppe für tausend Taler abkaufen.«

»Tausend Taler, er, für eine Gruppe?«

»Ja, das heißt, wenn Sie zur Delila sitzen wollen«, erläuterte Steinbock.

»Ich hoffe, bei dem Preis bleibt es nicht«, meinte sie. »Die Gruppe könnte er ja gar nicht bezahlen, denn Delila müßte doch ein wenig dekolletiert sein . . .«

Ebenso wie Crevel seine Attitüde hatte, so haben alle Frauen eine gewisse einstudierte Pose, in deren Sieghaftigkeit sie sich gern bewundern lassen. Manche sieht man ihr ganzes Leben lang, wie sie ihre Spitzenmanschetten betrachten oder die Achselbänder ihres Kleides zurechtzupfen oder den Schimmer ihrer Augen leuchten lassen, indem sie zur Decke aufblicken. Frau Marneffe kokettierte nicht wie die meisten andern mit ihrem Gesicht. Sie wandte sich wie mit einem Ruck ab und schritt zum Teetisch zurück, wo Lisbeth stand. Bei dieser tänzerinnenhaften Bewegung beschrieb ihr Kleid gewisse Linien. Damit hatte sie dereinst den Baron Hulot für sich erobert. Jetzt faszinierte sie den Künstler.

»Deine Rache ist gelungen!« flüsterte Valerie der Tante Lisbeth ins Ohr. »Hortense wird reichliche Tränen vergießen und den Tag verfluchen, an dem sie dir Stanislaus geraubt hat.«

»Solange ich noch nicht die Frau Marschall bin, habe ich gar nichts erreicht«, gab die Lothringerin zur Antwort. »Aber man fängt in der Familie allgemein an, es zu wollen. Heute vormittag war ich bei Viktor. Ich habe vergessen, es dir zu erzählen. Die jungen Hulots haben die Vauvinetschen Wechsel des Barons eingelöst. Morgen unterschreiben sie einen Schuldschein über zweiundsiebzigtausend Francs zu fünf Prozent, fällig in drei Jahren, mit hypothekarischer Sicherheit auf ihr Grundstück. Damit sind sie drei Jahre in Angst und Sorge, denn es wird ihnen nicht gelingen, die Hypothek auch weiterhin aufzunehmen. Viktor ist ganz niedergeschlagen. Er hat seinen Vater erkannt. Schließlich ist Crevel imstande, sich mit seinen Kindern zu entzweien; so wütend wird er über die Hilfeleistung sein.«

»Der Baron muß doch nunmehr ohne jede Geldquelle sein?« fragte Valerie im Flüstertone die Freundin, wobei sie Hulot zulächelte.

»Ich wüßte keine; allerdings wird im September sein Gehalt wieder frei.«

»Er hat auch seine Lebensversicherung erneuert. Nun wird es Zeit, daß er Marneffe zum Kanzleidirektor macht. Heute abend werde ich seinen Vorgänger abhalftern.«

»Lieber Neffe«, wandte sich Lisbeth an Stanislaus, »tritt den Rückzug an, ich bitte dich! Du machst dich lächerlich, du kompromittierst Valerie mit deiner Art, ihr Blicke zuzuwerfen. Ihr Mann ist blödsinnig eifersüchtig. Mach es deinem Schwiegervater nicht nach. Geh nach Haus! Ich bin sicher, Hortense wartet auf dich . . .«

»Frau Marneffe hat mir gesagt, ich solle bis zuletzt bleiben. Wir wollen zu dritt noch unser Geschäftchen erledigen«, gab Stanislaus zur Antwort.

»Nein«, befahl Lisbeth, »ich werde dir die zehntausend Francs einhändigen. Ihr Mann hat sein Augenmerk auf dich gerichtet. Es wäre unvorsichtig, wenn du bliebest. Morgen um elf bringst du den Wechsel. Um die Zeit ist dieser Gorilla, der Marneffe, in seiner Kanzlei, und Valerie hat Ruhe . . . Du hast sie doch gebeten, dir zu einer Gruppe zu sitzen . . . Komm zuerst zu mir . . . Sieh mal an!« Lisbeth fing einen Blick Steinbocks auf, der Valerie galt. »Ich wußte, du wirst ein Roué. Valerie ist hübsch; aber gib dir Mühe, deiner Frau keinen Kummer zu bereiten!«

Nichts ärgert verheiratete Männer mehr, als wenn ihnen angesichts eines galanten Seitensprungs jedesmal die Gattin in die Quere kommt.

 


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