Honoré de Balzac
Tante Lisbeth
Honoré de Balzac

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Von Frau Marneffe eilte Tante Lisbeth zu Rivet, den sie in seinem Arbeitszimmer antraf.

»Ja, ja, bester Herr Rivet«, sagte sie zu ihm, nachdem sie die Tür hinter sich verriegelt hatte, »Sie hatten recht. Die Polen, das sind Gauner. Alle miteinander Leute ohne Treu und Glauben . . .«

»Leute, die am liebsten ganz Europa in Brand setzen und zugrunde richten möchten«, ergänzte der behäbige Rivet, »und für was? Für ein Ländchen, wo es weiter nichts als Moräste, Juden und Wanzen geben soll – die Bauern nicht gerechnet, diese Bestien, die aus Versehen Menschen geworden sind. Die Polen verkennen das neunzehnte Jahrhundert. Wir sind keine Barbaren mehr! Der Krieg ist abgeschafft! Jawohl, Verehrteste, abgeschafft mitsamt den Fürstenthronen! Unsere Zeit gehört dem Handel, der Industrie, dem klugen Bürgertum, das seine Heimat in Holland hat!« Seine Stimme belebte sich. »Gewiß, wir leben in einem Zeitalter, wo die Völker alles erhoffen dürfen durch die gesetzmäßige Weiterentwicklung ihrer freien Rechte und durch den friedsamen Wetteifer der konstitutionellen Einrichtungen. Das verkennen die Polen . . . Was wollten Sie sagen, Verehrteste?« unterbrach er sich, als er aus dem Gesichte seiner Arbeiterin herauslas, daß die hohe Politik außerhalb ihres Verständnisses lag.

»Hier ist der Haftbefehl!« sagte Lisbeth. »Da ich meine dreitausendzweihundertzehn Francs nicht einbüßen will, soll der Schurke ins Gefängnis!«

»Sehen Sie! Hab ich es nicht immer gesagt?« rief das Orakel des Viertels von Saint-Denis.

Die Firma Rivet, Gebrüder Pons Nachfolger, hatte von jeher ihren Sitz in der Rue des Mauvaises-Paroles, im ehemaligen Hotel Langeais, das von der berühmten Firma erbaut ward, als die Grandseigneurs um das Louvre herum wohnten.

»Wenn alles klappt, morgen früh um vier Uhr sitzt er hinter Schloß und Riegel!« fuhr Rivet fort. »Das heißt: übermorgen, denn man darf ihn nicht einsperren, ohne ihn vorher davon benachrichtigt zu haben, daß ein Haftbefehl der Schuld wegen gegen ihn erlassen worden ist . . .«

»So ein dummes Gesetz!« schimpfte Lisbeth. »Da brennt ein Schuldner doch vorher durch!«

»Was man ihm auch gar nicht verdenken kann!« scherzte der Handelsrichter. »Also hier . . .«

»Gut! Ich werde die Zustellung mitnehmen«, unterbrach ihn Lisbeth. »Ich werde sie ihm einhändigen und ihm sagen, ich hätte Geld leihen müssen, und der Geldgeber verlange diese Formalität. Wie ich meinen Polen kenne, wird er den Wisch zusammengefaltet lassen und sich seine Tabakspfeife damit anzünden.«

»Trefflich, trefflich, Fräulein Fischer! Also ruhig Blut! Die Sache wird gemacht! Halt! Noch etwas! Einen Menschen einsperren, das ist nicht die Hauptsache. Man leistet sich diesen juristischen Luxus nur, wenn man damit wirklich zu seinem Gelde kommt. Wer wird die Zahlung leisten?«

»Die ihm Geld zu verdienen geben.«

»Ach ja, ich vergaß, daß der Kriegsminister ihm den Auftrag erteilt hat, einem unserer ehemaligen Kunden ein Denkmal zu verfertigen. Ja, ja, unsere Firma hat dem General Montcornet manche Uniform geliefert. Er ließ sie sich prompt im Pulverdampfe der Kanonen verräuchern. Er war ein Held und blieb nichts schuldig!«

Ein Marschall von Frankreich mag Kaiser und Reich gerettet haben. Daß er »nichts schuldig blieb«, wird immer das höchste Lob aus dem Munde eines Krämers bleiben.

»Abgemacht, Herr Rivet! Am Sonnabend sollen Sie Ihre Goldquasten haben. Übrigens: ich ziehe um. Von der Rue du Doyenné nach der Rue Vanneau.«

»Das machen Sie recht! Es war immer mein Kummer, daß Sie in dem Schandwinkel wohnten. Ich bin ein Gegner aller Neuerungen. Aber das sage ich frei heraus, die Spelunken da schänden das Louvre und die Place du Carrousel. Ich bin ein Verehrer von Ludwig-Philipp. Er ist mein Abgott! Er ist der erlauchte leibhaftige Vertreter des Standes, auf den sich seine Dynastie stützt, und ich werde es nie vergessen, was er für unsere Branche getan hat, als er die Bürgerwehr wieder ins Leben rief . . .«

»Wenn man Sie so reden hört«, unterbrach ihn Lisbeth, »wundert man sich nur, daß Sie nicht Abgeordneter sind!«

»Man hat vor meiner Anhänglichkeit an das angestammte Herrscherhaus Angst«, entgegnete Rivet. »Majestät und ich, wir haben die gleichen politischen Feinde. Ach, er ist ein edler Charakter aus herrlichem Geblüt! Er ist unser Ideal. In seinem Lebenswandel, seiner Sparsamkeit, in allem! Der Ausbau des Louvre war eine unserer Bedingungen bei der Königswahl; leider ist keine Frist gestellt worden, und so besteht der Schandfleck im Herzen der Stadt noch immer. Die Gegend, in der Sie wohnen, ist schauderhaft! Man hätte Sie da jeden Tag abmurksen können . . . Wissen Sie schon, daß Ihr Herr Vetter Crevel zum Bataillonskommandeur befördert worden ist? Hoffentlich bestellt er sich die Stabsoffiziersepauletten bei uns.«

»Ich bin heute bei ihm zu Tisch. Ich werde ihn herschicken.«

In der Absicht, Crevel aufzusuchen, der in der Rue des Saussayes wohnte, ging sie über den Pont du Carrousel, den Quai Voltaire, den Quai d'Orsay, die Rue de Bellechasse, die Rue de l'Université, den Pont de la Concorde und die Avenue de Marigny. Dieser unlogische Weg wurde ihr durch die Logik der Leidenschaft vorgeschrieben, die immer eine Feindin der Beine ist. Sobald sie auf den Kais war, begann sie langsam zu gehen und das rechte Seineufer zu beobachten. Ihre Berechnung war durchaus richtig. Als sie wegging, war Stanislaus beim Ankleiden. Sobald sich der Verliebte von mir befreit sieht, hatte sie sich gesagt, wird er auf dem kürzesten Wege zur Baronin laufen. Und in der Tat erblickte sie in dem Augenblick, wo sie das Geländer am Quai Voltaire entlang ging und in die Fluten schaute, immer in Gedanken auf dem andern Ufer, den Künstler, wie er gerade aus dem Tor des Tuileriengartens kam und dem Pont-Royal zueilte. Dort erreichte sie ihn beinahe und folgte ihm, ohne daß er es merkte. Verliebte blicken sich selten um . . . So begleitete sie ihn heimlich bis an das Hulotsche Haus, in dem sie ihn verschwinden sah so recht wie jemand, der dort aus und ein zu gehen gewohnt war. Letztere Wahrnehmung bestätigte ihr den Bericht von Frau Marneffe. Lisbeth war außer sich.

In der innerlichen Erregung, die sie zu einer Mordtat fähig gemacht hätte, kam sie zu dem neubackenen Major und Bataillonskommandeur. Crevel stand in seinem Salon; er erwartete seine Kinder: Herrn und Frau von Hulot junior.

Cölestin Crevel war ein waschechter Pariser Emporkömmling. Naive Menschen schaffen sich oft ein ganz besonderes Vorbild. So träumt ein Banklehrling, wenn er den Salon seines Chefs betritt, vom künftigen Besitz genau eines solchen Salons. Gelangt er später zu Reichtum, so wird er sich nicht in dem Geschmacke, der dann nach zwanzig oder mehr Jahren herrscht, einrichten, sondern in jenem längst altmodisch gewordenen Luxus, der ihn als Lehrling faszinierte. Man glaubt gar nicht, was alles für Torheiten aus dieser rückblickenden Bewunderung begangen werden. Ebensowenig versteht man gewisse Albernheiten, die einer geheimnisvollen Eifersucht entquellen, die den Menschen dazu treibt, mit Aufbietung aller Kräfte ein imaginäres unmögliches Vorbild zu erreichen. Crevel war nur deshalb Stadtrat geworden, weil Cäsar Birotteau, sein einstiger Prinzipal, einer gewesen war, und nur deshalb Bataillonschef der Bürgerwehr, weil ihn damals nach den Epauletten seines Vorbildes gelüstet hatte. Aus dem gleichen Grunde war Crevel ein Bewunderer der bizarren Manier des Architekten Grindot geblieben, der seinerzeit bei der Einrichtung von Birotteaus Heim seine Kunst entfaltet hatte. Als er soweit war, sich ein eigenes Haus ausschmücken zu können, hatte er »kurzen Prozeß gemacht« – wie er sich ausdrückte – und war mit geschlossenen Augen und offenem Portemonnaie zu Grindot gegangen, den nunmehr längst vergessenen Baukünstler. So lebt verloschener Ruhm durch nachzüglerische Bewunderer wer weiß wie lange fort.

Grindot hatte seinen Salon in Weiß-Gold mit rotem Damast zum tausendsten Male wiederholt. Die Möbel aus Palisanderholz hatten keinen Wert; Kronleuchter und Standuhr ebensowenig. Der Gipfelpunkt des Entzückens aller Spießbürger, deren Besuch Crevel empfing, war aber ein in der Mitte des Salons feststehender runder Tisch, dessen Platte ein Mosaik von allerlei Marmorstückchen war. Sie stammte aus Rom, wo es eine Fabrik derartiger mineralogischer Musterkarten gab. An den Wänden hingen die gleich großen Bildnisse des Herrn Crevel und seiner verstorbenen Ehegattin sowie die der Tochter und des Schwiegersohns, alle vier von Pierre Grassou gemalt, dem Modemaler der damaligen Bourgeoisie. Crevel hatte ihm auf seinem Porträt eine lächerliche Pose à la Lord Byron zu verdanken. Die pompösen Rahmen, von denen jeder tausend Francs gekostet hatte, paßten vorzüglich in diesen Kaffeehausstil. Jeder echte Künstler hätte ihn achselzuckend abgelehnt.

Zu keiner Zeit verpaßte der Reichtum die Gelegenheit, Geschmacklosigkeiten in die Welt zu setzen. Man könnte heute in Paris ein zehnfaches Venedig sehen, wenn die reichen ehemaligen Kaufleute jenen großartigen Kunstsinn der alten Italiener hätten. Aber auch in unsern Tagen noch hat ein mailändischer Kaufmann eine halbe Million zur Vergoldung der Madonna auf der Kuppel des Doms vermacht. Canova trägt in seinem Testament seinem Bruder auf, eine Kirche für vier Millionen zu bauen, und der Bruder fügte aus seinem Vermögen noch etwas hinzu. Kein Pariser Bürger denkt je daran, die unvollendeten Glockentürme von Notre-Dame ausbauen zu lassen. Dabei liebt der Pariser seine Stadt über alles.

»Da bist du ja!« rief Crevel seiner Verwandten entgegen. Ihr Anblick erregte seine Wut. »Also du bist diejenige, welche Fräulein von Hulot mit dem jungen bildhauernden Grafen zusammengekuppelt hat! Dazu hast du ihn so aufgepäppelt!«

»Sollte dir das nicht recht sein?« erwiderte sie, indem sie Crevel scharf ansah. »Was liegt dir denn daran, eine Heirat meiner Nichte zu verhindern? Man sagt, ihre Verbindung mit dem jungen Lebas hättest du vereitelt.«

»Du bist ein gutes Mädchen und sehr diskret«, ließ sich Crevel vernehmen, »so höre denn! Glaubst du, ich könnte dem Baron je verzeihen, daß er mir Josepha abgeknöpft hat? Wo er noch dazu aus diesem anständigen Geschöpf, das ich am Ende trotz meiner alten Tage geheiratet hätte, eine Modepuppe, eine Gauklerin, eine Theaterdirne gemacht hat! Nein, nein, niemals!«

»Er ist doch aber ein so netter Mensch, der Herr von Hulot«, warf Lisbeth ein.

»Jawohl, ein netter Mensch, ein sehr netter Mensch, ein zu netter Mensch!« echote Crevel. »Ich gönne ihm auch alles Gute. Aber Rache muß sein! Das geht nicht anders. Das ist nun einmal meine fixe Idee!«

»Sollte das damit zusammenhängen, daß du nicht mehr zu Frau von Hulot kommst?«

»Vielleicht.«

»Aha, du hast also meiner Kusine den Hof gemacht?« Sie lachte auf. »Das habe ich doch geahnt.«

»Sie hat mich wie einen dummen Jungen behandelt, schlimmer noch, wie einen Dienstboten. Ich möchte beinahe sagen: wie einen politischen Verbrecher. Aber ich werde schon zu meinem Ziele kommen.« Dabei ballte er die Hand und schlug sich vor die Stirn.

»Der arme Kerl! Es wäre doch ein bißchen zu grausam, wenn ihm seine Ehefrau Hörner aufsetzte, nachdem ihn die Geliebte zum Teufel gejagt . . .«

»Wer? Josepha?« fuhr Crevel auf. »Josepha hätte ihn zum Teufel gejagt? Den Laufpaß gegeben? Abgedankt? Bravo, Josepha! Bravissimo! Du hast mich gerächt! Ich werde dir ein Paar Ohrringe mit Perlen schicken, geliebtes Exschweinchen! Das wußte ich ja noch gar nicht!«

»Der Baron hat sich die Geschichte nicht sonderlich zu Herzen genommen«, berichtete Lisbeth.

»Nicht möglich!« meinte Crevel. Er war im Zimmer hin und her gerannt und blieb nun stehen.

»Hulot ist in einem gewissen Alter!« bemerkte die alte Jungfer verschmitzt.

»Nee, nee! Ich kenne meine Pappenheimer!« entgegnete Crevel. »In dem Punkte sind wir beide Brüder. Hulot kann ohne zarte Bande nicht leben.« Bei sich fügte er hinzu: Er ist imstande, zu seiner Frau zurückzukehren. Hol mich der Teufel! Dann ist es aus mit meiner Rache . . . »Du lächelst, Tante Lisbeth?« fragte er wieder laut. »Aha, du weißt irgendwas!«

»Ich lache über deine Einfälle«, entgegnete sie. »Gewiß, meine Kusine ist noch schön genug, um jemandem den Kopf zu verdrehen. Wenn ich ein Mann wäre, verliebte ich mich in sie.«

»Ach was! Die Katze läßt das Mausen nicht!« rief Crevel aus. »Du machst dich über mich lustig! Der Baron wird sich schon irgendwo trösten lassen.«

Tante Lisbeth nickte.

»Na ja! Es gibt glückliche Naturen, die sich von heute auf morgen trösten. Es wundert mich eigentlich auch gar nicht, denn eines Abends bei irgendeinem Souper hat er mir gestanden, in seiner Jugend habe er gleichzeitig immer drei Verhältnisse gehabt, um nie auf dem trocknen zu sitzen: eine auf dem Aussterbeetat, eine als Favoritin und eine aufgehende Sonne! Dazu in der Reserve noch irgendein kleines Mädchen. Sein Hirschpark! Der reine Ludwig der Fünfzehnte. Ja, ja, ein hübscher Kerl zu sein, ist zu schön! Aber nun wird er alt. Man sieht es ihm an . . . Er hat wohl irgendein Ladenmädel?«

»Bewahre!«

»Einerlei!« fuhr Crevel fort. »Ich gäbe was drum, wenn ich ihm den neuen Gaul ausspannen könnte! Josepha konnte ich ihm nicht wieder wegkapern. Die Sorte Weiber kehrt nie zur ersten Liebe zurück. Ein Zurück in der Liebe soll's ja übrigens überhaupt nicht geben . . . Kurzum, Tante Lisbeth, ich würde glatt und bar fünfzigtausend Francs spendieren, wenn ich dem Hauptkerl seine neue Geliebte wegfischen könnte, ihm beweisen, daß ich, wie ich gehe und stehe: Major der Bürgerwehr und Bürgermeister von Paris in spe, daß ich mir meine Dame nicht schlagen lasse, ohne einen Bauern von mir durchzukriegen . . .«

»Meine Lage«, bemerkte Lisbeth, »zwingt mich, alles zu sehen und nichts zu wissen. Mit mir kannst du ohne Furcht reden. Ich verrate nie ein Sterbenswörtchen von dem, was man mir anzuvertrauen geruht. Glaubst du denn, ich änderte mein Benehmen, das bereits zur Regel geworden ist? Dann würde mir kein Mensch auch nur ein Sterbenswörtchen anvertrauen.«

»Weiß ich!« bestätigte Crevel. »Du bist das Ideal einer alten Jungfer! Aber Ausnahmen hat jede Regel. Apropos: hat dir schon irgendwer in der Familie eine Leibrente ausgesetzt?«

»Gott bewahre! Ich habe auch meinen Stolz!« wehrte Lisbeth ab. »Ich will niemandem Geld kosten!«

»Nun, wenn du mir helfen wolltest, mich zu rächen«, fuhr der ehemalige Kaufmann fort, »würde ich dir eine Rente von zehntausend Francs auf Lebenszeit aussetzen. Sage mir, verehrte Lisbeth, wer die Nachfolgerin von Josepha ist – und du hast dir deine Miete, dein Frühstück und deinen guten Kaffee, den du so liebst, auf immerdar gesichert! Du kannst dir dann sogar Mokka leisten, echten . . . Na? Echter Mokka ist nicht zu verachten!«

»Ich pfeife auf eine Leibrente, mag sie zehntausend hoch sein oder fünfhundert! Keine Klatschbase sein ist mir viel lieber. Weißt du, mein lieber Crevel, der Baron ist sehr gut zu mir. Er will mir meine Miete . . .«

»Ja, aber auf wie lange?« unterbrach sie Crevel. »Verlaß dich nur darauf! Wo will er denn das Geld hernehmen?« Er schrie förmlich.

»Das weiß ich natürlich nicht. Indessen, er gibt mehr als dreißigtausend Francs für die Einrichtung des kleinen Frauchens aus . . .«

»Frauchen? Eine Dame! Also eine aus der Gesellschaft? Der Schwerenöter! Dem glückt es! Immer wieder ihm!«

»Ja, eine verheiratete, eine recht schicke Frau!« bestätigte Lisbeth.

»Wirklich?« rief Crevel. Bei dem Zauberwort »recht schicke Frau« riß er seine muntern Augen lüstern auf.

»Aber ja«, sagte Lisbeth, »begabt, musikalisch, dreiundzwanzig Jahre alt, mit hübschem treuherzigem Gesicht, strahlend weißer Haut und tadellosen Zähnen, Augen wie Sterne und den niedlichsten Füßen. Solche gibt es gar nicht wieder . . .«

»Und die Ohren?« fragte Crevel, den dieser Pedigree so in Ekstase versetzte, daß er den leisen Spott der alten Jungfer nicht heraushörte.

»Wundervoll!«

»Auch kleine Hände?«

»Ich sage dir, mit einem Worte: ein Juwel von einer Frau! Anständig, schamhaft, feinfühlig! Ein Engel, eine schöne Seele. Und Rasse! Ihr Vater war Marschall von Frankreich.«

»Was? Marschall von Frankreich!« Crevel machte eine Drehung um sich selbst. »Sapperlot! Der Teufel soll mich holen! O der Schuft! Verzeih mir, beste Lisbeth, ich schnappe über! Ich glaube, zehntausend Francs zahle ich . . .«

»Aber ich sage ja, es handelt sich um eine anständige, ehrbare Frau. Der Baron versteht seinen Kram.«

»Er besitzt keinen roten Heller, versichere ich dir.«

»Er hat ihrem Mann vorwärts geholfen . . .«

»Inwiefern?«

»Vorläufig ist er Kanzleisekretär geworden. Nun wird er schon ein Auge zudrücken. Zur Ehrenlegion ist er auch vorgeschlagen.«

»Die Regierung sollte vorsichtig sein und auf die Rücksicht nehmen, die bereits dekoriert sind, und die Orden nicht verschleudern!« meinte Crevel im Tone des pikierten Patrioten. »Aber was hat die Frau nur an ihm, diesem alten Gecken?« begann er wiederum. »Ich denke doch, soviel wie er stelle ich auch noch vor.« Er besah sich im Spiegel, wobei er seine Attitüde einnahm. »Heloise, eine kleine Freundin von mir, hat mir oft gesagt in Momenten, wo die Frauen nicht lügen, ich sei ein Prachtkerl!«

»Ja, ja«, meinte Lisbeth, »die Frauen lieben die Dicken. Das sind fast alle gute Kerle. Und wenn ich zwischen dir und dem Baron wählen sollte, würde ich dich nehmen. Hulot ist ein schöner und geistreicher Mensch, ein Weltmann . . . aber du, du bist solid und dann . . . du hast es noch viel dicker hinter den Ohren!«

»Unglaublich!« jammerte Crevel. »Eine wie die andere! Selbst die Betschwestern lieben die Windhunde.« Übermütig packte er Tante Lisbeth um die Taille.

Sie fuhr fort:

»Aber das kommt hier gar nicht in Frage. Du kannst dir denken, daß eine Frau, die sich so günstig steht, ihren Protektor nicht um einen Pappenstiel hintergehen wird. Das heißt: hundert und etliche tausend Francs kostet die Sache. In zwei Jahren wäre der Mann der Dame nämlich Kanzleidirektor. Die Armut ist die Verführerin des armen Engels.«

Crevel lief wie ein Wilder im Zimmer auf und ab.

»Hat er sie denn schon?« fragte er nach einer Weile, während seine von Lisbeth angestachelte Begehrlichkeit immer toller wurde.

»Das mußt du selber entscheiden«, entgegnete sie. »Ich glaube, noch nicht, obgleich er ihr schon für zehntausend Francs Geschenke gemacht hat.«

»Das wäre ein Mordsspaß, wenn ich ihm zuvorkäme!« frohlockte Crevel.

»Lieber Gott, es war doch nicht recht von mir, dir das alles zu erzählen!« stöhnte Lisbeth, als ob sie Reue über das Berichtete empfände.

»Ach was! Deine Familie soll rot werden vor Scham. Morgen lasse ich eine Summe zu fünf Prozent auf dich eintragen, so daß du sechshundert Francs Rente hast. Aber du mußt mir alles sagen: Namen und Wohnung der Dulzinea. Ich will dir gestehen: ich habe noch niemals eine anständige Frau gehabt. Es ist mein größter Ehrgeiz, eine zu besitzen. Eine Frau aus der Gesellschaft ist mir lieber als die kindische Venus. Das ist eben mein Ideal, und ich bin so toll darauf, daß zum Beispiel die Baronin von Hulot für mich niemals fünfzig Jahre alt werden wird.« Unbewußt zitierte er hiermit einen der feinsten Geister des neunzehnten Jahrhunderts. »Siehst du, liebe Lisbeth, dafür opfere ich gern hunderttausend und mehr Francs. Doch still! Meine Kinder kommen. Ich sehe, sie gehen über den Hof. Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß niemand erfahren wird, woher ich meine Kenntnisse habe, denn ich will nicht, daß du das Vertrauen des Barons verlierst. Im Gegenteil! Er scheint diese Frau aber wirklich zu lieben!«

»Er ist in sie vernarrt, sage ich dir!« beteuerte Lisbeth. »Für die Aussteuer seiner Tochter konnte er keine vierzigtausend Francs auftreiben; für die neue Liebschaft waren sie da!«

»Wird er wiedergeliebt?«

»So ein alter Mann!«

»Bin ich ein Esel!« brummte Crevel. »Der Heloise habe ich doch auch ihren Maler gestattet, genau wie Heinrich der Vierte seiner Gabriele den Bellegarde. Das Alter, das Alter . . . Guten Tag, Cölestine, guten Tag, mein Herzchen! Wo ist dein Junge? Ach, da ist er ja! Donnerwetter, er wird mir jeden Tag ähnlicher. Guten Tag, Freund Hulot, wie geht es? Wir werden demnächst in der Familie wieder einmal Hochzeit feiern?«

Das junge Ehepaar deutete verstohlen auf Tante Lisbeth hin, und Cölestine gab ihrem Vater dreist die Antwort:

»Daß ich nicht wüßte!«

Crevel machte eine pfiffige Miene, die seine Indiskretion wieder rückgängig machen sollte.

»Ich meinte Hortense. Aber natürlich, das ist ja noch lange nicht soweit. Ich war eben bei Lebas. Man sprach von Fräulein Popinot und unserm jungen Regierungsrat, der demnächst Landrat irgendwo in der Provinz werden soll . . . Na, essen wir!«

 


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