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Achtes Kapitel

»Das ist noch schöner!«, rief der Graf lachend, einen Brief in der Hand. »Wer schreibt mir endlich und wer singt das Lob dieses Schlüffls von neuem Pfarrer?«

»Ein Brief von Modl?« sagte die Gräfin, »er hat sich lange genug Zeit gelassen!«

»Er entschuldigt sich auch zunächst, daß er so lange schwieg, er entschuldigt sich mit den ungewohnten Aufgaben seiner neuen Stellung und vor allem, jetzt paß auf, mit dem beruhigenden Gefühl, daß wir ihn getrost entbehren können, weil er uns ja geborgen weiß – höre nur! – er schreibt wörtlich: geborgen in der treuen Hut dieses ganz außerordentlichen Mannes – und rate, wer der außerordentliche Mann ist? Ausgerechnet der Pfarrer Rixner! Setz dich nieder, damit du nicht umfällst, denn er schreibt wörtlich: welches Glück für Maria Pram, daß sich dieser vorbildlich fromme Mann gerade den alten Gnadenort zur Stätte seiner heiligen Tätigkeit ausbat! Es war immer schon sein Wunsch, in der Wüste zu leben. In der Wüste sind wir ganz mit Gott allein, zugleich aber auch allen Schrecken, Gefahren und Nöten ausgesetzt, die das schwache Herz des Menschen braucht, um sich zu stärken. Und in diesem Ton geht's weiter, sieben Seiten lang! Modl gesteht, daß er egoistisch genug ist, sich eines leisen Bedauerns kaum erwehren zu können, wenn er denkt, wie schnell sein Andenken unter uns verblassen wird in der Gegenwart eines so begnadeten Mannes wie Pfarrer Rixners, doch er habe diesen leisen Neid schließlich doch durch die Freude gebändigt, uns diesem gewaltigen Manne anvertraut zu wissen. No was sagst du dazu? Modl war ja stets alles eher als ein Menschenkenner. Dieser Pfarrer Rixner, der noch immer nicht die Zeit gefunden hat, seinen Besuch auf dem Schloß abzustatten, der nicht einmal ordentlich predigen kann, sondern sich immer gleich in so lange Perioden verhaspelt, daß er nicht mehr herausfindet und in lauter Vordersätzen stecken und immer den Nachsatz schuldig bleibt, der soll nun auf einmal ein Heiliger und überdies noch ein großer Gelehrter sein, denn Modl rät mir noch ausdrücklich, die Gelegenheit nicht zu versäumen, die sich mir bietet, mich von diesem angeblich zur Zeit berühmtesten Thomisten auf deutscher Erde in die strahlende Gedankenwelt des Aquinaten einführen zu lassen. No gut! Ich will dem Herrn Pfarrer Rixner ein Tauschgeschäft vorschlagen: er soll mich mit den Gedanken des heiligen Thomas und ich will ihn dafür mit dem Gebrauch der Seife bekannt machen!«

»Du gehst doch zu weit,« sagte Hedwig, »wie das schon in deiner Art ist, wenn du jemanden einmal nicht magst! Mir ist der neue Pfarrer auch eher unsympathisch, aber da bist du doch ungerecht: ungewaschen sieht er wahrhaftig nicht aus, er hat eher etwas Leuchtendes!«

»Ja du stehst so stark unter der Suggestion Modls, daß du dir von ihm noch einreden lassen wirst, dieser Schmierfink leuchte – denn da kannst du sagen, was du willst: innerlich ist er ein Schmierfink, in solchen Dingen ist meine Witterung untrüglich!«

Einige Tage darauf begegnete die Gräfin dem neuen Pfarrer zum ersten Mal auf der Straße. Da der erwartete Besuch auf dem Schloß unterblieben war, kannte man sich eigentlich gegenseitig nicht und die Gräfin wußte nicht recht, ob sie seinen Gruß abwarten oder, wenn der offenbar weltunkundige Mann vielleicht auf sie gar nicht achtete, vorübergehen und ihn nicht bemerken sollte. Sie war verlegen, um so mehr, da sie wußte, wie spöttisch der Graf über Menschen urteilte, die fähig sind, überhaupt in Verlegenheit zu geraten. Aber bevor sie sich noch entschließen konnte, blieb der neue Pfarrer vor ihr stehen, verneigte sich und sagte: »Mein liebes Kind, nur deswegen nicht gleich den Mut verlieren! Ausharren! Geduldig ausharren! Das sind Anfechtungen! Die bleiben ja keinem erspart! Es geht schon wieder vorüber!« Und mit einer Gebärde, fast als ob er sie segnen wollte, fuhr er fort: »Nur standhaft bleiben in der Versuchung, nicht hören auf den Versucher, er vermag gar nichts über uns, aber nur sich gar nicht einlassen mit ihm! Wer seins denn eigentlich, armes Weiberl?« Aber bevor die Gräfin in ihrer Verwirrung noch antworten konnte, fuhr er heiter fort: »Macht alles nichts! Nur fleißig beten! Da kriegen die sündhaften Gedanken Angst und schaun, daß sie weiter kommen. Der Teufel is nämlich ebenso feig als er frech is – z'erst tut er großmächtig, aber beim ersten Klaps kriegt er Angst und lauft davon. Nur gleich immer klapsen, fest klapsen!« Und lachend ließ der neue Pfarrer die Gräfin stehen und ging heiter seines Weges, freundlich auf sie zurückblickend und ihr mit der Hand winkend. Sie stand betroffen. Es verdroß sie, sie war nicht gewohnt, sich auf der Gasse von Fremden ansprechen zu lassen. Wenn es auch der Pfarrer war, er war ihr nicht vorgestellt! Und was sollten diese wunderlichen Reden. Noch wunderlicher war ihr freilich, daß sie ganz genau verstand, was er meinte. »Nein!«, sagte sie laut, und erschrak, als sie dieses Nein laut ausgesprochen vernahm. Sie sah sich ängstlich um, als hätte sie damit öffentlich ihre Schuld bekannt, deren sie sich doch eben jetzt selbst zum ersten Mal bewußt ward! Was ihr offenbar schon so klar an der Stirne geschrieben stand, daß es dieser unansehnliche törichte kleine Landpfarrer daran ablesen konnte, ward ihr selber jetzt erst bewußt: Ja, sie liebte Raderer! Einen Augenblick stand sie ratlos. Sie wußte gar nichts von sich. Wie lang stand sie schon so da? Mußten nicht alle, die vorüber kamen, das Geständnis an ihrer Stirne lesen? Welche Schande für sie! Welche Schande für den Grafen, den sie so herzlich verehrt, was sie nicht hindert, ihn zu betrügen! Sie hat das freilich bisher nicht gewußt, aber jetzt weiß sie, welches Gefühl sie für Raderer schon seit seiner Ankunft hat und daß dieses Gefühl stärker als die Stimme des Gewissens ist, stärker als jeder gute Vorsatz, stärker auch als die Mahnung in ihr, Raderer unter irgend einem Vorwand zu bestimmen, daß er fort soll. Nein, sie kann seine Gegenwart nicht mehr entbehren, sie kann von ihm nicht lassen, sie weiß jetzt, daß, so sehr sie den ihr angetrauten Gatten ehrt und schätzt, so glücklich sie mit ihm die ganzen Jahre her war oder es zu sein wenigstens meinte, sie weiß jetzt, daß dies alles Freundschaft und Verehrung, keineswegs aber jenes Gefühl einer vom Schicksal vorbestimmten Verbundenheit bis zum letzten Atemzug war, ohne das doch einer Ehe die Vorbedingung und der echte Gehalt, ja der Sinn fehlt. Sie weiß jetzt, der ihr vom Schicksal zugewiesene Gatte kann nur Raderer sein, sie hat bisher in einem Ehebruch gelebt, wenn auch in einem gesellschaftlich legalisierten! Es war ihr freilich nicht bewußt, das entschuldigt sie vor ihrem Gewissen. Fortan aber fehlt es ihr an dieser Entschuldigung, sie kennt jetzt den ihr vom Schicksal verordneten Gatten. Der Graf wird das gewiß verstehen. Und Raderer? Kann sie denn zweifeln? Aber ihr bangt. Raderer steckt doch so sehr in weltlichen Vorurteilen wie Dankbarkeit, Freundschaft und Verpflichtung! Mer müssen sie nicht alle vor der reinen Stimme des Herzens verstummen? Sie kann doch, sie darf doch nicht länger in einer Lüge leben! Sie wurde jedoch bald gewahr, daß sie sich das einfacher gedacht hatte, das mit der Wahrheit! Sollte sie dem Grafen alles bekennen? Ja, was denn eigentlich? Daß sie Raderer liebte? War das Liebe? Sie hatte doch die ganze Zeit über nichts davon bemerkt! Und gerade Gandolf sagte doch immer: Gefühle sind zollfrei! Wenn sie nur stark genug blieb, auf das Gefühl nicht zu hören, es unnachgiebig abzuweisen und nicht einzuwilligen, nicht einmal in Gedanken, war sie dann untreu? Sie weiß sich keinen Rat. Wen soll sie fragen? Gandolf? Aber was soll sie ihm denn sagen, was ihm eingestehen? Daß sie Raderer liebt? Aber sie liebt ihn ja nicht, sie will ihn nicht lieben, sie flieht vor dieser Liebe! Raderer ahnt nichts, er wär vielleicht sehr überrascht und wer weiß, vielleicht höchst unliebsam überrascht! Ja, wenn sie gewiß wäre, daß er ihr Gefühl erwidert! Aber was dann? Sie könnte sich scheiden lassen, evangelisch werden und ihn heiraten. Sie sind doch beide noch so jung, das ganze Leben liegt noch vor ihnen! Und Gandolf? Er ist doch gerade so stolz darauf, alles zu verstehen, alles Menschliche menschlich und nichts jemals tragisch zu nehmen! Sie werden die besten Freunde bleiben, es wird sich im Grunde gar nichts ändern, er wird ihr seine väterliche Gesinnung bewahren.

Sie nimmt sich vor, ihm alles zu gestehen. Täglich nimmt sie sich das von neuem vor. Aber täglich fehlt ihr wieder der Mut. Sie meidet Raderer. Auch er scheint sie zu meiden. Sie fliehen einander.


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