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Siebentes Kapitel

Es regnete noch den ganzen Advent durch fort, man sah morgens gar nicht erst nach dem Wetter und als nach Weihnachten Frost eintrat und das gewohnte Rauschen des Regens verstummte, vermißte man es fast. Des Grafen Gichtanfälle nahmen zu, schon aus Langweile. Raderer machte sich rar, der Pedant hatte stets auf der Gemeinde zu tun. Der neue Pfarrer aber, der Nachfolger Modls, der Pfarrer Rixner, hatte sich noch immer auf dem Schlosse nicht gezeigt. Es gehörte ja gerade nicht zu den Pflichten des Pfarrers, sich auf dem Schlosse zu melden. Der Graf gab das zu, er gestand nicht ein, daß er den Antrittsbesuch heimlich noch immer erwartete. Es wurmte ihn, daß er unterblieb; sein Prestige schwand. Er vernachlässigte darum seine Pflichten gegen die Kirche keineswegs, er saß sonntags im Hochamt pünktlich an dem gewohnten Platze, doch die Predigten des neuen Pfarrers gefielen ihm nicht, er fand sie trocken. Er sagte: »Unser lieber Modl war zuweilen etwas überschwenglich, aber das ist mir immer noch lieber als diese Nüchternheit, diese Ledernheit! Der Pfarrer Rixner mag ein ganz braver Mann sein, aber es fehlt ihm an Schwung, und ein Kirchenlicht ist er jedenfalls nicht. No mir kann's ja recht sein, die Leute hierzuland verdienen's nicht besser!« Ärger war ihm, daß Raderer so selten kam und er warf auch der Gräfin vor, sie werde melancholisch. Er war ein schlechter Patient, wehleidig, ungeduldig, launenhaft, und wenn einer seiner wechselnden Wünsche nicht schon, bevor er ihn noch aussprach, in Erfüllung ging, brach er in Klagen aus, von aller Welt vernachlässigt und allen zur Last zu sein. »Es ist meine Schuld, ein alter Mann darf nicht heiraten, er langweilt die Jugend. Du kannst ja nichts dafür, Hedy, nein, gar nicht, im Gegenteil, aber daß du dich aufopferst, gerade dadurch wird's ja noch ärger für mich, ich mach mir die schlimmsten Vorwürfe, du verblühst an meiner Seite, denn du bist ja leider viel zu loyal, um dir mit einer netten kleinen Liebelei, sei's auch nur mit einer ganz platonischen – mehr verlang ich ja gar nicht! – Luft oder doch halt eine gewisse Zerstreuung und Ablenkung zu schaffen! Ich hatte gehofft, daß sich zwischen dir und Raderer etwas anbandeln würde, meinetwegen in allen Ehren, ich bin da durchaus kein Pedant! Die wahren guten Ehen sind meistens mit solchen harmlosen kleinen Eskapaden des Gemüts gepflastert. In einer richtigen Ehe muß für einen Blitzableiter der Gefühle gesorgt sein. Deine schönste Jugend als Krankenpflegerin eines zuwideren älteren Herren zu verbringen, scheint mir doch auf die Dauer etwas frugal!« Die Gräfin war diese Klagen gewohnt und antwortete stets mit demselben stillen liebreichen Lächeln. Dankbar sagte der Graf einmal: »Du hast etwas Mütterliches, aber an mir altem Kracher muß das doch ein etwas prekäres Mutterglück sein, ich würde dir dringend zu einer kleinen Herzenserfrischung raten!«

Der Graf klagte sehr über die Schlaflosigkeit, an der er litt. Sie war erklärlich. Er las die halbe Nacht, oft genug bis an den Morgen, er las alles Mögliche kunterbunt durcheinander, er hatte sich das Schloßarchiv ans Bett bringen lassen, zur Vorarbeit an einer urkundlichen Geschichte des Hauses der Ahamb, aus der sich ja dann von selbst eine Landesgeschichte von Maria Pram ergeben müßte. Die halbe Nacht verging damit, er schlief dann meistens bis mittag, schlief nach dem gewohnten reichlichen Mahl auch wieder für einige Stunden ein und durfte sich eigentlich nicht wundern, wenn er abends keinen Schlaf fand.

Eines Tages kam die Gräfin verspätet und auffällig erregt heim. Der Graf fragte nicht. Er schwieg auch noch, als sie die Verspätung ausdrücklich entschuldigte, doch nicht erklärte. Sie schien einer besonderen Aufforderung dazu gewärtig. Diese blieb aus; die Gräfin schob den Teller, den sie kaum berührt hatte, weg und sagte: »Mir ist etwas Merkwürdiges passiert.«

»Was denn?«, fragte der Graf.

»Ich war in der Gnadenkapelle –«

»Warum denn?«

Nicht ohne Verlegenheit antwortete die Gräfin leichthin: »Ich geh ja jetzt öfters in die Gnadenkapelle, schon seit einiger Zeit. Es ist doch da so wunderschön! Schon vor ein paar Wochen kam ich einmal vorbei, ganz zufällig, und trat ein, ich weiß selber eigentlich nicht recht, warum, und vielleicht war's auch gar kein Zufall, vielleicht gibt es auch in solchen kleinen alltäglichen Dingen so etwas wie eine Bestimmung, wir denken nur darüber viel zu wenig nach. Ich komm ja dort fast jeden Tag vorbei, neulich aber trat ich ein, ich weiß nicht warum, aber ich trat ein und seither zieht es mich gelegentlich immer wieder auf einen Augenblick hinein. Jetzt sind ja keine Wallfahrten, der kleine Raum ist ganz leer, man ist da so wunderschön mutterseelenallein! Und diese tiefe heilige Ruhe! Ich bin ja leider nicht fromm, wenn ich auch eine ganz gute Katholikin bin, aber eigentlich doch bloß, weil sich das gehört und vor allem, weil du ja darauf dringst, daß man die Standespflichten erfüllen soll. Aber geh doch einmal nach der letzten Messe hin! Ich kann dir das nicht beschreiben, wie merkwürdig einem da zumute wird: der ganze Raum ist wie geladen mit Kraft!«

»Du scheinst dich da gewissermaßen massieren zu lassen!«

»Du kannst es so nennen«, sagte die Gräfin mit einem seltsamen Lächeln. »Es ist wunderbar. Wer von der Gasse kommt, tritt in eine tiefe Finsternis, in eine blendende Finsternis sozusagen. Man sieht zunächst gar nichts, nur das rote Licht leuchtet, man ist mit ihm ganz allein, man tappt sich erst langsam vor und da scheint dann das Gnadenbild auf einmal die Augen aufzuschlagen, es blickt einen an! Seither zieht es mich, wenn ich vorüberkommen, stets auf einen Augenblick hinein. Es tut mir wohl – also warum nicht?«

»Du mußt dich gar nicht erst entschuldigen!«, sagte der Graf lächelnd.

»Ich entschuldig mich eigentlich mehr vor mir selbst als vor dir! Aber heut ist mir nun etwas passiert – bloß ein Zufall natürlich, aber ich bin halt sehr erschrocken! Du wirst mich auslachen, ich lach ja jetzt selbst darüber, aber im ersten Augenblick war das schon sehr – sagen wir: es war sehr ungemütlich. Wie ich nämlich langsam vergehe, zunächst im Dunkel gar nichts sehend, bis sich das Auge daran erst gewöhnt, da schrei ich auf einmal vor Schreck laut auf, denn mein Fuß tritt auf etwas und ein ungeheurer Mensch richtet sich drohend auf – das heißt, es wird vielleicht gar nicht drohend gewesen sein, und der Mann war vielleicht gar nicht so fürchterlich groß, aber ich erschrak bis ins Herz hinein und lief davon.«

»No und?«, fragte der Graf.

»Jo ist dir das noch nicht genug?«, sagte die Gräfin lachend.

»Wer war's denn?«

»Das weiß ich doch nicht! Der fürchterliche Mensch blieb auf den Steinen liegen, ohne sich zu regen, den Kopf in seinen Händen. Erst, als ich wieder draußen war, fiel mir ein, ob es nicht vielleicht ein Kranker war, im Gebet bewußtlos geworden, hilfsbedürftig, und ich müßte Leute rufen, aber vielleicht hatte mir das Ganze doch auch bloß geträumt! Ich war nur froh, das liebe Tageslicht wieder zu sehen, und als ob ich einer großen Gefahr noch im letzten Augenblick entronnen wär! Lach mich nicht aus, es war fürchterlich – ich möcht so was um Gottes willen nicht noch einmal erleben!«

Nach einer Pause sagte der Graf: »Gott, der endlose Regen hat uns alle enerviert! Solang so was dauert, nimmt man sich zusammen und hält stand, aber wenn's vorüber ist, rächt sich das und bei der ersten Gelegenheit versagen dann die Nerven. Du wirst im Dunkel über irgend etwas gestolpert sein und da hat dir deine Phantasie dann allerhand vorgespiegelt. Es wird sich ja zeigen, ich will hinschicken.«

»Nein, bitte nicht!«, flehte die Gräfin.

»Dir wär leid, wenn dein Abenteuer zergeht? No wie du willst! Ich versteh an der ganzen Geschichte nur nicht: wenn nicht gerade Wallfahrten sind, ist die Kapelle doch immer versperrt. Für Fremde, die die Schätze besichtigen wollen, hat der Mesner den Schlüssel, der Mesner sperrt auf und übernimmt die Führung. Aber ich hab ja den alten Mesner, seit der Pfarrer Modl fort ist, überhaupt nicht mehr gesehen – das fällt mir jetzt erst auf! Beim Hochamt geht seitdem ein fremdes Gesicht mit dem Klingelbeutel herum. Doch der neue Pfarrer kümmert sich ja gar nicht um uns, ich hab also keinen Anlaß, mich um ihn zu kümmern, und um seinen Mesner schon gar nicht! Aber daß die Gnadenkapelle, wenn keine Wallfahrten sind, offen steht, ist jedenfalls ungehörig und das will ich dem neuen Herrn Pfarrer sagen lassen!«

»Er hält es nicht einmal der Mühe wert, uns einen Antrittsbesuch zu machen, und wenn du jetzt um ihn schickst, wird das aussehen, als ob wir uns ihm aufdrängen wollten!«

»Du hast recht«, sagte der Graf. »Er bildet sich sonst am Ende noch ein, daß wir das Vergnügen eines persönlichen Verkehrs mit ihm nicht entbehren können. Es gibt jetzt eine neue Richtung im Klerus, die meint, vor allem die Gunst des Pöbels, der ja zur Zeit die Macht hat, für die Kirche gewinnen zu müssen, auf unseren Beistand aber, seit wir im Staate nicht mehr mitzureden haben, verzichten zu können. Das ist vielleicht doch noch etwas verfrüht. Wir werden ja sehn!«

»Nein, Gandolf, du darfst doch auch nicht vorschnell urteilen, es wär ja furchtbar, wenn die Kirche wählen müßte zwischen uns und dem Volk!«

»Niemand verlangt, daß sie Partei nimmt, aber wenn der neue Pfarrer populär zu werden meint, indem er keine Notiz von uns nimmt, soll er mich erst kennen lernen! Ich bin mit dem Herrn Bürgermeister fertig geworden, ich fürchte den famosen Herrn Lehrer Dittl nicht, ich werd mich schon auch vor klerikalen Ungezogenheiten zu schützen wissen. Übrigens einmal den neuen Mesner an, ich möchte wetten: schau dir doch nächsten Sonntag beim Hochamt es ist dein Unbekannter aus der Gnadenkapelle! Es stimmt alles! Der Mesner hat die Schlüssel, er ist wahrscheinlich ein Trunkenbold, er will seinen Rausch ausschlafen, in der Gnadenkapelle stört ihn an Wochentagen kein Mensch und er fühlt sich dort so sicher, daß es ihm in seiner Faulheit nicht einmal dafür steht, zuzusperren, bevor er sich hinstreckt.

Nach einer Pause sagte die Gräfin: »Nein, ich kann das nicht denken. Jener unheimliche Mensch war furchtbar, er hatte fast etwas Teuflisches!«

Der Graf lachte. »Du hast ihn aber ja kaum gesehen, nach deiner eigenen Erzählung! Wie kann man nur so kindisch sein!«

Als am nächsten Sonntag beim Hochamt der Mesner mit dem Klingelbeutel an die Bank des Grafen kam, erbebte die Gräfin; sie faßte die Hand Gandolfs, der den Mesner betrachtete. Auf dem Heimwege sagte der Graf: »Ich kann mir schon vorstellen, daß man über den Kerl erschrickt, wenn man ihm unversehens begegnet. Er sieht ganz verzweifelt aus und ich zerbrach mir nur die ganze Zeit schon den Kopf, an wen er mich erinnert! Ich muß dem Kerl schon irgendwo begegnet sein! Aber wann? Aber wo? So ein Gesicht vergißt man doch nicht! Wo hab ich diesen unheimlichen Schädel nur schon gesehen? Aber während ich mein Gedächtnis abquäle, kommt mir immer mehr vor, daß er mich eigentlich gar nicht an irgendeinen Bekannten erinnert, sondern eher an ein Bild, das ich kenne, vielleicht aus einem Verbrecheralbum, er ist vielleicht irgendein berühmter Raubmörder, der vor Jahren in allen Zeitungen zu sehen war. Die Visage kenn ich! – ich kann mich nur nicht erinnern, woher.«

Raderer, zu Rate gebeten, gestand, daß auch er beim ersten Blick auf den neuen Mesner unwillkürlich das Gefühl hatte, dieses fatale Gesicht schon einmal gesehen zu haben, aber auch er konnte sich nicht entsinnen. Nach ein paar Tagen kam er wieder, ein Buch in der Hand, das er aufschlug, den Freunden ein Bild zeigend, mit der Hand den Namen darunter verdeckend. »Wer ist das?« Und da beide sogleich den neuen Mesner erkannten, fuhr er lachend fort: »Der reine Zufall! Ich ordne ja jetzt das Archiv der Gemeinde und da fand sich, daß ihr vor Jahren ein Pensionist testamentarisch seine Bücher hinterließ, sie für eine Volksbibliothek bestimmend. In der Gemeinde hat offenbar schon damals dieselbe Schlamperei geherrscht, die Bücher blieben liegen, bis ich sie jetzt in einem Winkel fand. Bei der Durchsicht stieß ich unter anderem auch auf Richard Muthers Geschichte der Malerei, von der ich oft gehört hatte, mir immer schon eine Gelegenheit wünschend, sie zu lesen. In ihr blätternd, stieß ich auf den Mesner. Wem saß er Modell?« Und nach einer Pause der Spannung hob er lächelnd die Hand von der Unterschrift und sie lasen: »Selbstbildnis Höfelinds«.

Nach einer Pause sagte der Graf: »Du wirst uns doch nicht einreden wollen, daß der verdächtige Galgenstrick von Mesner und der weltberühmte Maler Höfelind, der übrigens längst gestorben ist –«

»Nein«, fiel ihm Raderer ins Wort. »Höfelind ist allerdings seit Jahren verschollen und man vermutet, daß er auf irgendeiner seiner tollen Fahrten im Mittelmeer oder auf einem Wüstenritt – er hat ja durchaus Atlantis ausgraben wollen, er schwur darauf, die Stelle genau zu kennen! –, kurz, daß er auf einem seiner verwegenen Abenteuer verunglückt ist, aber man hat für seinen Tod bisher noch keinen Beweis erbringen können.«

Das Bildnis betrachtend, fragte die Gräfin: »Ist das derselbe Höfelind, der das berühmte oder eigentlich mehr berüchtigte Bild der Rahl gemalt hat? Ich erinner mich dunkel aus meiner Kindheit daran, denn wohin man kam, wurde fortwährend darüber gestritten; mir war das schon fad!«

»Alte Freunde«, sagte Raderer, »verfeindeten sich seinetwegen, es gab nur Superlative der Bewunderung oder der Entrüstung, ja das Bild mußte dann in der Ausstellung polizeilich bewacht werden, und unserem verehrten Grafen Gandolf wurde nachgesagt, er habe sich gewundert, warum man Höfelind nicht einfach ins Narrenhaus sperrt.«

»Das ist natürlich Legende«, sagte der Graf lächelnd. »Wien war ja damals wirklich wie toll, und so jung ich selber noch war, ich konnte schon damals Übertreibungen nicht ausstehen, ich bin nun einmal von Geburt juste milieu. Otto Wagner, der geniale Baumeister, rief in seiner enthusiastischen Art vor dem Bilde der Rahl aus: Sperr zu, Michelangio! Das ging mir doch über die Hutschnur, und so ward ich dann von den Adoranten Höfelinds in den großen Bann getan. Sein Bild der Rahl ist aber wirklich ein Meisterwerk, und ich erinner mich noch sehr gut, wie damals, am Tage der Vernissage, die Rahl selber vor ihrem Bilde stand. Der Auftritt war eine richtige Wiener Sensation, und glänzend inszeniert: sie selber voran mit dem gewissen huldvollen, aber leeren, gleichsam von ihr abwesenden Lächeln und hinter ihr schüchtern ihr langer Graf, es fehlten nur die stadtberühmten wunderschönen Barsois, die man sonst immer in ihrem Gefolge hochmütig gelangweilt trottend zu sehen gewohnt war. Und ich erinner mich nun so deutlich, als ob es gestern gewesen wäre, wie sie da, sie selbst in Person, vor ihrem Bilde förmlich zu verschwinden schien, als wär sie selber bloß eine Andeutung von sich oder ein Schatten, aber Höfelinds Bild von ihr erst ihre Verwirklichung! Ich hab niemals wieder einen solchen Triumph der Kunst über das Leben gesehen, es war unheimlich, bis man in der Totenstille dann plötzlich eine rauhe Stimme sagen hörte: Ja, du machst dir's leicht, hinter Theaterdamen zu kommen ist keine Kunst, aber probier du das erst einmal am Klee! Da löste sich die Spannung, denn es war Höfelinds alter Freund Radauner, der das sagte, der »Kleemaler« geheißen, ein Sonderling, an dem aber Höfelind einen Narren gefressen hatte. Der wunderliche Mann hat immer nur Klee gemalt, mit der Begründung, wenn man der Natur einmal an irgendeiner Stelle, sei's auch der allergeringsten, auf ihre Schliche käm, dann erst könnte die wahre Kunst beginnen; bis dahin bleibe noch alles bloß Schein und Trug. Der alte Radauner war sehr stolz darauf, daß alle seine Bilder verkauft wurden. Er sah darin einen Beweis, daß die Menschen einen ganz richtigen Instinkt für das Wesen der Kunst haben: »sie wittern, daß ich auf dem richtigen Wege bin, wenn ich's auch selber noch nicht kann – da fehlt's freilich noch weit, aber ich weiß wenigstens, was noch fehlt!« Er ahnte nicht, daß es Höfelind war, der heimlich unter allen möglichen falschen Namen diesen ganzen Klee zusammenkaufen ließ. Eine Zeitlang war ja Höfelind in Wien ganz oben, plötzlich aber verschwand er dann über Nacht, niemand wußte wohin, sein Haus wurde verkauft, sein Atelier aufgelöst. Es hieß, er sei nach Indien. Dann wieder wollte jemand ihn in einem Hafenarbeiter in Genua erkennen, sprach ihn wienerisch zutunlich an, bekam aber bloß einen so drohenden Blick zur Antwort, einen Blick mit dem Messer sozusagen, daß er den Versuch aufgab. Höfelind ist verschollen. Seine Bilder sind in festen Händen. Sie verzichten zuletzt schon völlig auf alle Form und jeden Sinn. Eins, das noch in den Handel kam, ist ein mit höchster Bravour, ja geradezu fanatisch gemaltes Feuerwerk, »Der heilige Paulus« benannt – niemand wußte, warum. Er verschwand dann ins Ausland. Im Ausland war er ja, ganz jung, zuerst berühmt geworden, in einer Ausstellung der Elf in Brüssel. Ein französischer Kritiker nannte ihn damals den Mallarmé der Malerei. Für die Wiener behielt er immer etwas Exotisches, darin gerade lag für sie sein Reiz.«

»Nach seinem Selbstbildnis«, sagte Raderer, »sieht er auch eigentlich gar nicht wienerisch aus, mit den kurzen roten Haaren oder eher Stacheln und der ungeheuren Spannung, ja fast Verzweiflung in dem nicht gerade sympathischen Gesicht. Den brennenden Dornbusch hat er sich einmal genannt, das klingt nicht gerade wienerisch.«

»Er ist auch gar kein Wiener«, sagte der Graf. »Er ist das Gegenteil, er ist ein richtiger Bauernbub aus der Welser Gegend. Auf die Reklame verstand er sich jedenfalls glänzend, er redete den Journalisten ein, der »Maler der vierten Dimension« zu sein, bis er es schließlich selber glaubte. Sein einziger Freund, der alte Radauner, der Kleemaler, starb ja schließlich auch in einer Irrenanstalt, es war damals das Schicksal aller besseren Wiener; Wien scheint kein Klima für Genies.«


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