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Der Abend war hereingebrochen.
Die Straßen von Washington strahlten in einem Lampenmeer.
Von tausend und aber tausend »Hochs« begleitet, hatte sich Abraham Lincoln mit seiner Frau und Schwägerin in das Ford-Theater begeben, und unter unzähligen rührenden Aeußerungen der Verehrung und Liebe war der alte Ehrenmann die Stufen der großen Freitreppe des Fordschen Theaters hinaufgestiegen, an deren Seitenwänden auf mächtigen Zetteln die Ankündigung zu lesen war, daß heute Abend die Ausführung des Shakespear'schen Dramas »Richard der Dritte«, stattfinden werde.
In Massen begab sich daraus das Volk nach Grants Hôtel, um ihm einen letzten Gruß zuzurufen.
Der Platz um das Theater war ziemlich leer. Unter den Volksmassen, welche sich nach Grants Hôtel hinbegaben, befand sich auch eine Dame, die, wenn sie nicht eine Farbige gewesen wäre, ihrem Aeußern nach für eine Lady ersten Ranges hätte gehalten werden müssen.
Für eine solche war eine Betheiligung an nächtlichen Scenen, wie sie sich seit einigen Tagen in Washington ereigneten, allerdings etwas unangemessen; indessen, sie war ja eine Farbige und befand sich außerdem in Begleitung eines Mannes, der bei der Bevölkerung in hohem Ansehen stand. Dazu kam, daß ja in diesen Tagen selbst die vornehmsten Damen sich nicht scheuten, ihre Freude über die neugeborne Freiheit selbst durch Betheiligung an den Ovationen zu bekunden.
»Sie beabsichtigen also, Ihrem Bruder zu folgen, Miß Brown?« fragte der Begleiter der Dame.
»Ich beabsichtige, schon morgen abzureisen; indessen halte ich es für meine Pflicht, noch einmal den Präsidenten zu warnen.«
»Ich fürchte, er wird Ihrer Warnung so wenig Folge geben, wie der meinigen.«
»Aber die Anzeichen, Sir! – Vor dem südlichen Thore, wie ich Ihnen bereits sagte, befindet sich ein Haus, das mir im höchsten Grade verdächtig scheint.«
»Ich weiß; Sie nannten das Boarding-Haus einer gewissen Mrs. Surratt.«
»Ganz Recht!«
»In diesem Hause wohnte eine Freundin von mir, eine junge Dame von großem Patriotismus und energischem Character. Sie hat nie einen Verdacht gegen die Besitzerin dieses Hauses, oder gegen die Besucher desselben mir gegenüber laut werden lassen.«
»Und doch schwöre ich Ihnen, Mr. Conover, daß ich mich nicht getäuscht habe. Ich sah diesen Nachmittag zwei Männer das Haus verlassen, welche ich als Mitglieder der Verschwörung kenne, von denen ich wenigstens allen Grund habe, anzunehmen, daß sie Werkzeuge von Wilkes Booth sind.«
»Sie sind sicher, daß Sie sich nicht getäuscht haben?«
»Ich habe Atzerott und O'Laughlin aufs Bestimmteste erkannt.«
»So muß man sofort Schritte thun, das Haus zu bewachen,« versetzte Conover; »lassen Sie uns versuchen, noch eine Audienz bei Grant zu erlangen; kommen Sie hier durch den Park Stantons, wir werden so den Massen zuvorkommen.«
Er bog von der Straße ab und durchschritt mit Esther den bereits erwähnten Baumplatz, der sich vor des Kriegsministers Hause befand.
Schweigend gingen sie mit schnellen Schritten vorwärts.
Da plötzlich hielt Esther inne und nöthigte ihren Begleiter still zu stehen.
»Sehen Sie dort,« flüsterte Sie ihn am Arme zupfend, »sehen Sie nichts?«
»Nein, in der That, Miß, ich sehe nichts Auffälliges.«
»Ah! er ist jetzt verschwunden; doch ich sage Ihnen, selbst durch die Dunkelheit des Gebüsches erkannte ich in jenem Gange dort O'Laughlin's Gestalt.«
»Miß Brown, Ihre Aufregung läßt Sie Gespenster sehen!«
»Ich schwöre Ihnen, daß ich nicht phantasire! Kommen Sie, folgen Sie mir, und Sie werden sich überzeugen, daß ich die Wahrheit rede.«
Esther zog ihren Begleiter fast gewaltsam mit sich fort.
Den breiten Hauptgang, den sie bisher gegangen waren, verlassend, bogen sie in einen schmalen Seitenweg ein, auf den Gang zu, den vorher Esther bezeichnet hatte. Es war Niemand dort zu sehen.
»Ich sagte Ihnen wohl, Sie hätten sich getäuscht.«
»Er hat unsere Schritte gehört und sich in eine andere Richtung geflüchtet. O! die Anwesenheit dieses Menschen hier bedeutet nichts Gutes.«
»Lassen Sie uns eilen, Miß, damit wir die nöthigen Schritte der Behörden veranlassen können.«
»Ich weiß nicht, es zwingt mich mit unwiderstehlicher Gewalt, diesen Platz nicht zu verlassen.«
»Doch wird es nothwendig sein; denn wenn wirklich Gefahr vorhanden ist, muß man eilen derselben vorzubeugen.«
»Vielleicht aber geschieht schon ein Verbrechen, während wir uns bemühen, die Behörden von der Gefahr zu überzeugen. Die Anwesenheit dieses Mannes an diesem Orte deutet auf ein nahes Verbrechen, Sir, seien Sie davon überzeugt!«
Da sahen sie in einiger Entfernung einen Mann in den Haupteingang des Parkes einbiegen.«
Esther und Conover wandten ihre Blicke dorthin.
»Das ist Stanton,« sagte Conover; »er kommt von einem Besuch, den er Seward abstattete.«
Conover wollte weiter gehen.
»Bleiben Sie!« bat Esther flehend; »lassen Sie mich wenigstens so lange hier, bis ich überzeugt bin, daß Stanton sicher in sein Haus gelangt.«
Conover lachte.
»Sie sind wirklich eine Gespensterseherin, Miß Brown! Fürchten Sie, daß ein Verbrechen hier im Parke geschieht, wo Tausende von Menschen in der Nähe sind? Hören Sie die lärmenden Volksmassen, die dort nach Grants Hôtel ziehen! Sehen Sie den hellen Lampenschimmer, kaum zwanzig Schritte entfernt von hier! Sehen Sie den Verkehr in allen Hauptgängen des Parkes? Wie können Sie glauben, daß Jemand so verwegen sein würde, hier einen Mord zu versuchen!?«
»Aber der Kriegsminister ist allein, und dieser Mensch, der O'Laughlin, ist ein verwegener Bösewicht Die Habgier macht ihn tollkühn! Sie selbst haben ja im Süden gehört, daß man Millionen Belohnung für die Mörder ausgesetzt hat!«
Der Kriegsminister ging langsam durch den breiten Gang, welcher zu seinem Hause führte.
Conover und Esther standen in einiger Entfernung und sahen ihn vorübergehen.
Der Seitenweg, in welchem sie standen, war von hohen Buchhecken begrenzt, und sie selbst konnten nur vom Hauptgang, nicht aber von irgend einem andern Wege aus gesehen werden.
Stanton ging vorüber, ohne sie zu bemerken. Die Buchenhecken entzogen ihn bald ihren Blicken.
»Es sind kaum noch funfzig Schritt bis zu seinem Hause; Sie sind überzeugt, daß ihm nichts widerfährt?«
»Ich empfinde eine unerklärliche Angst, Mr. Conover; kommen Sie, lassen Sie uns ihm nachsehen! Es handelt sich ja nur um einige Minuten Verzögerung!«
Sie zog ihn bis an die Stelle, wo der Seitengang in den Hauptgang mündete, und von wo aus sie den langsam und nachdenklich weiter schreitenden Stanton wieder sehen konnten.
Kaum aber waren sie bis an die Ecke gelangt, kaum hatten sie ihren Blick seitwärts gerichtet, da bemerkten sie, wie hinter einem dicken Baume hervor ein Mann auf Stanton zusprang, ihn bei der Gurgel packte und zu Boden warf.
Man hörte keinen Laut. Die riesige Faust des Mörders hatte dem Angegriffenen die Kehle völlig zugeschnürt. Mit der Linken dessen Hals umspannend, mit einem Knie ihn niederhaltend, erhob er mit der Rechten ein breites Messer, um den Todesstoß zu führen.
Alles das ereignete sich in viel kürzerer Zeit, als wir bedurften, um es zu beschreiben.
Der Angriff, das Niederwerfen, das Ausholen zum Stoße, – das Alles war das Werk einer einzigen Secunde.
Aber diese einzige Secunde war auch für Mr. Conover genügend, dem Kriegsminister zur Hülfe in springen.
Als eben der Stoß geführt werden sollte, da packte er von hinten die Hand des Mörders, welche das Messer hielt; mit einem Ruck entwand er dem Ueberraschten dasselbe und schleuderte es weit fort in das Gebüsch. Dann riß er den Angreifer von seinem Opfer los und schrie aus vollem Halse nach Hülfe.
Auch Esther hatte ihre Fassung wieder gewonnen. Als sie sah, daß der Kriegsminister gerettet war und Conover mit dem Mörder rang, da eilte sie nach der Gegend, von wo das Geräusch der Volksmenge herüberdrang, und rief Hülfe herbei.
Conover war O'Langhlin nicht gewachsen.
Sehr bald gelang es diesem, sich los zu reißen; selbst Stanton, der, nachdem er sich aufgerafft, seinem Retter zu Hülfe kam, vermochte nicht, den Fliehenden zurückzuhalten.
Mit einigen weiten Sätzen war derselbe im Park verschwunden.
Tausende eilten herbei, um den flüchtigen Mörder aufzusuchen und zu fangen.
Vergebens! Er war entkommen!
Freilich sollte er sich seiner Freiheit nicht lange zu erfreuen haben. Vierundzwanzig Stunden später befand er sich schon auf dem Transport nach New-York.
Stanton dankte in kurzen, herzlichen Worten, seinen Rettern und hörte Esthers Bericht von dem, was sie wußte, und die Befürchtungen, welche sie an ihre Beobachtungen knüpfte, an.
»Ich bin überzeugt,« sagte sie, »man wird nicht allein gegen Sie, sondern auch gegen den Präsidenten und wahrscheinlich auch gegen Grant Mordanschläge vorhaben!«
Stanton kehrte sofort um und begab sich mit ihnen nach Grants Hôtel.
Die Menge, welche dem bewährten Feldherrn durch Hochrufe ihre Verehrung bezeugt hatte, begann bereits, sich wieder zu zerstreuen. Nur noch einzelne Gruppen von Menschen standen in der Nähe des Hôtels, über die neusten Nachrichten vom Kriegsschauplatz sprechend, oder in beredten Worten die Thaten des gefeierten Feldherrn lobpreisend.
Der Kriegsminister mit seinen beiden Begleitern ging schnell die Straße entlang auf das Hôtel zu.
Eine hohe Steinmauer mit einem tiefen Thorweg schließt sich an einer Seite an das Hôtel. Der Thorweg bildet die Einfahrt vom Hofe.
Es konnte nicht auffällig sein, hier selbst in der Dunkelheit allerlei Menschen zu sehen. Wohl aber war es auffallend, daß bei der Annäherung der drei Personen ein Mann sich tief in die dunkle Ecke des Thorweges drängte.
Esther machte Conover auf denselben aufmerksam.
»Ich habe den Mann nicht genau gesehen,« sagte sie, »indessen sollte es mich nicht wundern, wenn es Atzerott wäre.«
Conover hatte nicht mehr den Muth, Esther einer unbegründeten Furchtsamkeit zu zeihen, vielmehr hatte ihn der so eben erlebte Auftritt eben so argwöhnisch gemacht, wie es das Mädchen war.
Er ließ also schnell ihren Arm los und näherte sich dem Thorwege; noch ehe er aber denselben erreichte, schlüpfte der Mann hinaus und war unter den in einiger Entfernung stehenden Menschenhaufen verschwunden Jedoch hatte Conover gesehen, daß es in der That Atzerott war.
Es hielt nicht schwer für den Kriegsminister, noch zu so später und ungewöhnlicher Stunde bei dem General Eingang zu finden.
Der General empfing ihn und seine Begleiter mit der gewohnten Leutseligkeit und hörte das Abenteuer, welches der Kriegsminister soeben bestanden, mit Entrüstung erzählen. Er gab sofort Befehl, daß eine Patrouille das Haus jener Mrs. Surratt bewache.
»Haben Sie einen zuverlässigen Mann,« fragte er den Kriegsminister, »der sich auf solchen Dienst versteht?«
»Der Major Schleiden ist ein Mann, welcher sich bereits bei ähnlichen Gelegenheiten vortrefflich bewährt hat; ich werde ihm sofort aufgeben, mit zwanzig Mann jenes verdächtige Boarding-Haus zu umstellen.«
»Natürlich muß man die Bewachung so einrichten, daß die Verbrecher keinen Verdacht schöpfen,« bemerkte Conover.
»Wenn ein Complott besteht« sagte Grant, »so hat man bei der Aufdeckung desselben keinen Anstand zu nehmen, selbst zu Mitteln zu greifen, die man sonst in der Republik verschmäht. Ich würde deshalb vorschlagen, daß Mr. Schleiden nicht mit zwanzig Mann Soldaten, sondern vielleicht mit zwei oder drei Soldaten das Haus bewacht und auch diese in Civilkleidung. Zu seiner Unterstützung müssen einige Polizeibeamte requirirt werden. Mr. Conover hat durchaus Recht, daß die Bewachung den Verbrechern nicht auffällig sein darf. Man muß Jeden in das Haus hineinlassen, aber Niemanden wieder heraus; Alles was herauskommt, muß verhaftet werden, aber so, daß die Verhaftung kein Aufsehen erregt.« – –
Während Stanton sich unverzüglich mit dem Chef der Polizei in Verbindung setzte, und Schleiden Instructionen ertheilte, und während also zwei der Verschworenen erkannt, ertappt und in Gefahr waren, sofort ergriffen zu werden, saß ein dritter Verschworener in einem der besten Zimmer des Kirkwood-Hôtel, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, und betrachtete vom Fenster aus die vorbeiwogenden Menschenmassen.
Es war Bob Harrold.
In dieser Stunde, in welcher alle Verschworenen bereits ihren Auftrag auszuführen versucht, oder wenigstens die Vorbereitungen zur Ausführung getroffen hatten, war er noch unschlüssig.
»Das Alles sind meine Verfolger!« murmelte er mit einem mißmüthigen Blick auf die vorüberpassirenden und jubelnden Menschen.
»Diese alle werden sich in Polizeispione verwandeln, wenn ich's thue. Und doch muß ich es thun! – Thue ich es nicht, so werden mich die Andern ermorden.«
Er schwieg und blickte wieder finster brütend hinaus auf die Straße.
»Hunderttausend Dollars,« fuhr er dann fort, »sind mein Lohn, eine Summe, mit welcher ich fürstlich zu leben im Stande bin!«
Er machte wieder eine Pause. Dann fügte er verzagend hinzu:
»Wenn's nämlich glückt! Aber es wird nicht glücken! Ich werde am Galgen sterben und von den hunderttausend Dollars keinen Genuß haben.«
Er erhob sich und durchschritt einige Male das Zimmer.
»Thue ich es nicht, so habe ich wenigstens funfzigtausend Dollars; auch schon eine hübsche Summe!«
Er öffnete die Thür, welche auf den Corridor führte und lauschte.
Diener kamen die Treppe heran und schlugen die Richtung nach dem einen Ende des Ganges ein.
Dort befanden sich die Zimmer, welche der Vice-Präsident bei seinem Aufenthalte in Washington bewohnte.
»Funfzigtausend habe ich,« fuhr er fort, »aber hundertausend sind mehr! Es wäre nicht schwer, ihn zu tödten; er ist allein und würde mir eine Audienz nicht abschlagen; ich könnte ihm meine Karte schicken; ich habe ja Karten mit patriotischen Namen in größter Auswahl vorräthig. Ein Dolchstoß oder eine Kugel – und Alles ist gemacht; hunderttausend Dollars sind mein – – ja, ja! ich muß es thun, und das sofort!«
In einer Ecke stand eine kleine lederne Reisetasche. Er öffnete dieselbe und zog ein Doppelpistol daraus hervor. Dann nahm er ein Pulverhorn und ein Etui mit Kugeln und begann, das Pistol zu laden.
Ein Lauf war mit dem Schuß versehen.
»Das wäre schon genügend,« sagte er, »um seinem Leben ein Ende zu machen! Der zweite Schuß wird wahrscheinlich zu nichts Anderem dienen, als mich den Händen meiner Verfolger zu entziehen!«
Er zuckte zusammen.
»Ich mich selbst tödten!? Nein! Dazu würde ich nimmermehr den Muth finden! Ich würde es eher darauf ankommen lassen, am Galgen zu sterben, oder – von meinen Genossen ermordet zu werden. Bei Gott! Eine verteufelte Lage, in der ich mich befinde! Hunderttausend Dollars? Wahrlich, damit ist das Risico, am Galgen zu enden, zu billig erkauft. Und doch – es bleibt mir wahrhaftig nichts Anderes übrig. Gut denn, es sei!«
Er steckte das geladene Pistol in die Seitentasche seines Ueberrockes und den Dolch unter die Weste.
»Ich werde mich anmelden lassen.«
Er zog die Glocke. Ein Kellner des Hôtels erschien.
»Der Vice-Präsident logirt in demselben Hôtel?« fragte er.
Die Frage wurde bejaht.
»Sie sind soeben in seinem Zimmer gewesen?«
»Ich habe die neuesten Zeitungen herausgebracht, Sir.«
»Es wäre nicht unmöglich, zu so später Stunde noch eine Audienz beim Vicepräsidenten zu erlangen?«
»Ich glaube nicht, daß es unmöglich wäre. Der Vicepräsident hat noch vor einer Stunde einen Secretair des Kriegsministeriums empfangen.«
»Würden Sie ihm meine Karte übergeben?«
»Mit Vergnügen, Sir.«
Harrold nahm ein Visitenkarten-Täschchen und zog aus einem Packet darin enthaltener Karten eine hervor, auf welcher der Name »Eugene Powel« stand.
»Sagen Sie Mr. Johnson, daß ich Marine-Offizier sei, und ihn dringend in einer dienstlichen Angelegenheit zu sprechen wünsche.«
»Ganz wohl, Sir.«
Der Diener entfernte sich.
»Es ist besser so,« sagte Harrold, »als wenn er in's Theater gegangen wäre; ich riskire hier nicht so viel, als ich dort riskirt hätte; es ist leichter, Jemanden in seinem Zimmer zu tödten, als auf offener Straße. Eugene Powel! Ein vorzüglicher Einfall, gerade den zu nehmen! Man hat die Familie lange Zeit im Verdacht der Hochverrätherei gehabt. Der Verdacht wird sich erneuern; man wird von Neuem Alle, welche den Namen Powel tragen, verhaften, eine Untersuchung einleiten, und wenn sich herausstellt, daß Mr. Eugene Powel in dem Augenblicke, da Excellenz Johnson verendete, vielleicht zweitausend Meilen von dein Ort der That entfernt in irgend einem amerikanischen Gewässer kreuzte, bin ich wohlgeborgen über die Grenze!«
Der Bediente kehrte zurück.
»Mr. Johnson hat soeben Besuch erhalten; der Polizeichef ist bei ihm: indessen ist Mr. Johnson bereit, Sie in einer Viertelstunde zu empfangen; denn der Besuch des Polizeipräsidenten wird nur kurz sein.«
Die Erwähnung des Polizeichefs hat für einen Verbrechen und namentlich für einen solchen, der im Begriff steht, einen Mord auszuführen, immer etwas Beunruhigendes.
Harrold fragte daher etwas verstimmt den Diener, ob er nicht wisse, welche Angelegenheit den Polizeichef noch zu so später Stunde zum Vice-Präsidenten führe.
»Sie wissen noch nicht? Haben Sie nicht den Lärm auf der Straße gehört?«
»Nun ja; ich denke, das waren Hochs, die Grant galten oder sonst einem hohen Staatsbeamten.«
»Das auch! Aber das Attentat! Sie haben von dem Attentat nichts gehört?«
»Attentat?« wiederholte Harrold erbleichend; »ich weiß in der That nichts von einem Attentat! Ich habe das Zimmer nicht verlassen, seit diesem Nachmittag, wie Sie wissen! Sehen Sie mich nicht so an, Bursche!« schrie er laut, als er bemerkte, daß ihn der Bediente ein wenig verwundert ansah; »Haben Sie etwa mich im Verdacht!?«
»Nicht im mindesten, Sir; ich weiß ja, daß Sie seit diesem Nachmittag um fünf Uhr das Zimmer nicht verlassen haben.«
»Gut, daß Sie das wissen, mein Freund! Vielleicht fragt man Sie einmal danach; wer hat das Attentat begangen? Sprechen Sie! Hat man den Thäter ergriffen?«
»Es soll ein Complott bestehen, Sir.«
»Ein Complott!?«
Harrold ward immer blässer.
»Man hat Verdacht?«
»Bis jetzt ist noch Niemand ergriffen; aber man hofft, daß es gelingen werde, die Thäter in kurzer Zeit zu verhaften!«
Ueber den Corridor herkommend, ließen sich Schritte vernehmen.
»Was ist das?« fragte Harrold.
Der Bediente sah zur Thür hinaus.
Es ist der Polizeichef, welcher das Zimmer des Vicepräsidenten verläßt.«
»Geht er zur Treppe, oder kommt er hierher?« fragte Harrold, dem fast der Athem stockte.
»Er geht hinunter.«
»So, so; das ist gut! Sie können gehen!«
»Wenn es Ihnen jetzt gefällig ist, Sir, so können Sie zum Vice-Präsidenten hineingehen.«
»Ich weiß; lassen Sie mich allein!«
Der Diener entfernte sich.
Ein Mordattentat war bereits versucht – der Thäter ertappt, – ein Complott vermuthet – den Theilhabern die Polizei auf den Fersen – der Polizeichef im Kirkwood-Hôtel – unmittelbar in seiner Nähe – ... eine Gänsehaut überlief ihn, als ihm diese Gedanken wie ein Blitz durch den Kopf schossen.
Er griff nach dem Dolch unter der Weste und steckte ihn in den Reisesack zurück.
»Ich wage es nicht! Funfzigtausend Dollars habe ich ja bereits und habe sie durch die ausgestandene Angst hinlänglich verdient. Weg mit dem Pistol!«
Auch dieses wanderte in den Reisesack.
»Ich gehe nach Canada und halte mich dort verborgen, bis alle Theilhaber des Complotts erhängt sind!«
Noch in der zwölften Stunde entsank dem Elenden der Muth.
Heimlich schlich er sich hinaus, bezahlte mit einer Hast, die dem Personal des Hôtels höchst auffällig war, Logie und Beköstigung und fragte, wann der nächste Zug nach New-York abgehen würde.
»Um 11 Uhr, 15 Minuten, Sir,« ward ihm geantwortet; »Sie haben also bis dahin noch anderthalb Stunden Zeit!«
»Ich werde die anderthalb Stunden zu einem Spaziergange benutzen,« antwortete er.
Das verstörte Aussehen des jungen Mannes, seine Hast und der Umstand, daß er anderthalb Stunden früher fortging, als er nöthig hatte, um den Zug zu erreichen, flößte Mißtrauen gegen ihn ein. Dasselbe erreichte seinen Höhepunkt, als der Diener herabkam und verwundert fragte:
»Sie haben Mr. Johnson nicht gesprochen?«
»Nein!« antwortete er mit einem wüthenden Blick auf den Frager und sprang in einen Hansom.
Der Mörder des Vicepräsidenten suchte das Weite.