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Siebenundachtzigstes Kapitel.
Die Genugthuung

Was die Verschwornen für eine leere Phrase erklärt hatten, nämlich die in allen Blättern ausposaunte Freudennachricht, daß das Morgenroth der Freiheit heraufleuchte, gewann im Laufe des Monats Mai noch bedeutend an Wahrscheinlichkeit, ja ward mit der Einnahme von Vicksbourg und der Eroberung der Bay von Mobile völlige Gewißheit Man kann sich vorstellen, mit welcher Begierde die Nachrichten vom Kriegsschauplatze im Norden verschlungen wurden. Der pflegmatische Geldlord rannte mit einem Eifer in die telegraphischen Bureaus und in die Lesekabinets, die ihm sonst völlig fremd waren.

Die Lesekabinets und Parlours und die Restaurants waren angefüllt mit Zeitungslesern, und der schweigsame Yankee, der Stunden lang sonst auf einem Platz zu sitzen pflegt, ohne daß er sich auch nur das Ansehen giebt, als hätte er bemerkt, es befinde sich außer ihm noch Jemand im Zimmer, ward gesprächig. Auf·den Meetings ward so lebhaft debattirt, wie im Capitol, und in Privatcirkeln wurden die Ereignisse des Kriegsschauplatzes abgehandelt.

Die Neuigkeitserzähler in den Rasir- und Frisirsalons wurden mit Gold bezahlt. Dies ist nämlich eine Menschenklasse, die nur in Amerika heimisch ist und auch nur in Amerika ihre Existenz finden kann. Es sind dies nämlich Leute, welche in Restaurationslokalen, Cafés, Conditoreien, Rasir- und Frisirsalons sich aufhalten und für ein ebenstimmte Taxe die neusten Ereignisse und merkwürdigen Geschichten erzählen, sei es nun, um den Mr. Soundso während der Operation des Rasirens oder des Frisirens angenehm zu unterhalten, sei es, um den wohlthuenden Mittagsschlummer durch die Erzählung einer wenig interressanten Geschichte zu beschleunigen, sei es, weil Mr. Soundso es unbequem findet, im Schaukelstuhl oder in der kühlen Nische eines Fensters sitzend, ein Zeitungsblatt zu halten.

Indessen die Ereignisse vom Kriegsschauplatze, so aufregend sie auch sein mochten, wurden mit der Zeit zurückgedrängt durch ein Ereigniß ganz andrer Art.

Es mochten etwa vierzehn Tage verflossen sein, seit den Ereignissen, die wir im letzten Capitel erzählten, als zwei Männer Arm in Arm durch die Straßen von Washington gingen. Sie nahmen ihren Weg gerade auf das weiße Haus zu.

In dieser Zeit der Aufregung war es auf den Straßen Washingtons zu allen Tages- und Nachtzeiten lebendig; und um so lebendiger, als schon jetzt die Wahlagitationen begannen, welche zu der am 13. November desselben Jahres stattfindenden Präsidentenwahl in Scene gesetzt wurden. Nämlich mit dem 24. März 1865 lief Abraham Lincolns Präsidentschaft ab, im November vorher 1864 mußte schon der neue Präsident gewählt werden. Und die Agitationen wurden Monate lang vorher betrieben.

Eine Wahlagitation in Nordamerika ist eine Thätigkeit, die jeden einzelnen Bürger in Anspruch nimmt. Der passionirteste Künstler vernachlässigt seine Kunst, um an die Wahlen zu denken; der Geschäftsmann wendet seinen Fuß von dem gewohnten Wege, von seinem Comtoir nach der Börse, ab, um sich in einen Clubb zu begeben. Der Polizeibeamte, der Handwerker, der Fabrikant, alle lassen ihre gewohnten Beschäftigungen für den Augenblick liegen, um sich an der Wahlagitation zu betheiligen.

Man hatte für die bevorstehende Wahl zwei Canditaten vorgeschlagen: erstens Abraham Lincoln oder, wie ihn der Volksmund nannte, Old Abem. Sein Programm war vollständige Unterwerfung des Südens und Abschaffung der Sklaverei. Zu ihm hielten natürlich alle Patrioten, die Abolitionisten, wie die Republikaner.

Von der demokratischen Partei, das heißt also den Anhängern des Südens, war, wie man längst vorausgesehen hatte, M'Clellan oder, wie ihn der Volksmund nannte, Little Mac' ausersehen. Was damals, als M'Clellan vor den Schranken des Kriegsgerichtes gestanden, die Richter nicht hatten herausfinden können, nämlich, daß der ehemalige·Oberbefehlshaber der Unionsarmee ein Anhänger der Partei des Südens sei, das leuchtete aus dem Umstande hervor, daß seine Wahl vom Süden aus aufs Eifrigste betrieben und von den Anhängern des Südens im Norden mit allen Opfern angestrebt wurde. Sein Programm war Friede mit den Südstaaten und Aufrechterhaltung der Sclaverei.

Da in Amerika jeder Bürger an der Wahl Theil nimmt, und nicht jeder Bürger Zeitung lesen und die Clubbs besuchen kann, so muß man ihn auf eine andere Weise von dem, was im Werke ist, in Kenntniß setzen. Zu dem Zweck schicken die Agitatoren der Partei Männer auf den Straßen umher, die auf eine in Europa ganz ungewöhnliche Weise die Namen der vorgeschlagenen Candidaten zur Kenntniß des Publikums bringen.

So begegneten, namentlich in der Nähe des weißen Hauses und des Clubbhauses die beiden Fremden, von denen wir sprachen, einem Menschenhaufen, bei dessen Anblick ein Europäer geglaubt haben würde, es handle sich hier um eine sonderbare Maskerade. Da drängten sich Knaben den Spaziergängern auf, stellten sich vor sie hin und zwangen sie, die Inschrift zu lesen, welche sie auf mächtigen Tafeln zur Schau trugen, sowohl vor der Brust, als auf dem Rücken Da hatten sich Männer an den Ecken postirt, an deren Hüten man die Inschrift las »Abem for ever«. Da sah man auf Stangen eine Art Laternen tragen, die auf jeder ihrer Flächen die Inschrift trugen, »Abem is our man« Abraham ist unser Mann..

Dann wieder andere, welche von großen Placaten gleichsam wie mit einem Mantel bekleidet waren und darauf die Wahl M' Clellan's mit den Worten empfahlen: »Little Mac is the one« Der kleine Mac ist der Einzige..

Diese Männer und Burschen waren von den Parteiführern auf Monate gedungen. Drei bis vier Monate hindurch mußten diese Leute die Straßen Washingtons durchziehen, Tag für Tag, und zum Theil selbst in der Nacht, sich mit ihrem Wahlprogramm dem Publikum offeriren.

Die beiden Fremden, die in der Uniform von Seeofficieren gekleidet, sich durch den Haufen nach dem weißen Hause hin Bahn brachen, setzten, ohne sich durch das Geschrei dieser Schildträger aufhalten zu lassen, ihren Weg fort; denn Abraham Lincoln hatte sie vor sich citiren lassen.

Abraham Lincolns Geheimsecretair Nicolai empfing sie und sagte ihnen, daß Sr. Excellenz sie bereits erwarte.

Der Leser kennt bereits das einfache Empfangszimmer Abraham Lincolns und seine mehr als geschmacklose häusliche Toilette. Auch diesmal war dieselbe wie gewöhnlich. In schlorrenden Pantoffeln trat Seine Excellenz, der Präsident der vereinigten Staaten, ein.

Abraham Lincoln war diesmal dermaßen gerührt, daß er nicht, wie sonst stets beim Empfang von Fremden, sie mit irgend einer geistsprudelnden Bemerkung begrüßte, sondern schweigend auf einen der beiden Seeoffiziere zutrat und mit seinen beiden Händen dessen Rechte ergriff und dieselbe warm drückte.

»Mr. Powel, sagen Sie, auf welche Weise sind wir im Stande, den unglückseligen Irrthum gut zu machen,« sagte er nach einer Pause. »Das Vaterland ist Ihnen eine Genugthuung schuldig, und diese Genugthuung soll Ihnen werden. Ich habe Sie herbeschieden, um Sie persönlich kennen zu lernen, um Ihnen persönlich für die Aufopferung und für den Heldenmuth, den Sie an den Tag gelegt, zu danken.

»Excellenz,« sagte Powel in bescheidenem Tone, »ich würde es für eine Genugthuung halten, wenn man mir das Commando eines Schiffes anvertraute, das im Stande ist, der Alabama die Spitze zu bieten, und würde mich meinerseits anheischig machen, mit einem solchen Schiffe das Caperschiff zu vernichten.«

»Ah!« rief Abraham Lincoln offenbar überrascht, »Sie beschämen uns, junger Mann. Ich habe sowohl durch Ihren Freund, Mr. Brocklyn, als auch den anderer Seite so viel von Ihrer Tüchtigkeit, von Ihrem Muthe und von Ihrer Befähigung zum Commando eines Schiffes gehört, daß ich die Gewährung einer solchen Bitte durchaus nicht für eine Genugthuung halten würde, sondern vielmehr für eine sehr berechtigte Forderung, die Sie stellen könnten, auch wenn Sie uns nicht zu solcher Dankbarkeit verpflichtet hätten.«

»Ich begehre keine andere Genugthuung, Excellenz. Ich bin belohnt genug durch die Anerkennung, die Sie meiner That zollen, einer That, die ja weiter nichts war, als die Erfüllung der Pflicht eines Bürgers der Republik.«

Abraham Lincoln schellte.

Als Mr. Nicolai darauf erschien, fragte er:

»Ist Mr. Wells noch da?«

»Der Marineminister ist noch in seinem Cabinet, Excellenz,« antwortete Mr. Nicolai.

»Ich will ihn augenblicklich sprechen.«

Es währte nur kurze Zeit, so öffnete sich die Thür, und die lange Dorfschulmeistergestalt des Marineministers der vereinigten Staaten trat ein.

Auch jetzt in dem schäbigen, verwitterten Anzuge, dem unförmlich hohen, altmodischen Hute, den viel zu kurzen Beinkleidern, und den plumpen Stiefeln.

Wahrlich, wer nicht wußte, daß dies der Mann sei, der aus 17 Schiffen eine Flotte geschaffen, die der ganzen vereinigten Seemacht aller europäischen Staaten die Spitze zu bieten im Stande wäre, daß ein Wink dieses Auges genügte, um Englands Seemacht, auf welche England ja so stolz ist, mit einem Schlage zu vernichten, daß der Scharfblick dieses Mannes und sein organisatorisches sowohl, wie taktisches Genie sich im Laufe des Krieges in einem so glänzenden Lichte gezeigt hatte, daß alle Staatsmänner und Kriegsmänner der ganzen civilisirten Welt mit Bewunderung und mit Ehrfurcht den Namen Wells nennen – wer, sagen wir, das Alles nicht wußte, dem hätte man es nicht verargen können, wenn er, wie es Mr. Schleiden damals gethan, diesen Mann mit etwas aristocratisch geringschätzigen Blicken von der Seite musterte und spöttisch lächelte über die Anwesenheit eines Mannes von so ungenirtem Auftreten, so plumper Nonchalance, im Cabinet des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Abraham Lincoln stellte Mr. Wells die beiden Seeofficiere vor.

Der Marineminister rückte seinen Stuhl nahe vor sie hin, und betrachtete sie, wie ein Sclavenhändler etwa zwei Schwarze betrachten würde, die ihm zu einem verhältnißmäßig sehr hohen Preise zum Kauf angeboten werden. Die Musterung schien zu seiner Zufriedenheit ausgefallen zu sein; denn er warf zum Präsidenten gewandt, nachlässig die Bemerkung hin:

»Tüchtige Officiere, Sir. – Kenne sie bereits. – Freut mich, sie auch persönlich kennen zu lernen.«

Der Präsident theilte dem Marineminister darauf das Begehren Powels mit, nämlich das Commando über ein Schiff zu erhalten, welches die erforderlichen Eigenschaften habe, um mit Erfolg Jagd auf die Alabama machen zu können, und fügte hinzu, daß Mr. Powel sich von diesem Vorhaben den günstigsten Erfolg verspreche.

»Hm! Welche Eigenschaften muß denn ein solches Schiff haben, Mr. Powel?«

»Es muß ein Dampfer sein, welcher an Geschwindigkeit der Alabama sehr nahe kommt,« antwortete Eugene. »Ein Schiff, was dieselbe Geschwindigkeit hat, besitzt leider die Union nicht.«

»Fünfzehn Knoten? Was?«

»Fünfzehn Knoten hat die Alabama, Sir; ich würde eins mit dreizehn oder dreizehn und einem halben Knoten Geschwindigkeit für genügend halten.«

»Gepanzert?« fragte der Marineminister in seiner gewöhnlichen Kürze.

»Ich gebe nichts drauf, Sir, denn einem gepanzerten Schiffe hält die Alabama nicht Stich. Wenn sie merkt, daß sie mit ihren Kugeln nichts ausrichtet, so sucht sie das Weite, und Alles ist verloren. Außerdem hat ein gepanzerter Dampfer auch nie die erforderliche Geschwindigkeit.«

»Sehr richtig, Mr. Powel Sie wissen doch, was Faragut sagt, »der Seemann braucht keine eisernen Schiffe, aber ein eisernes Herz. – Gut. Wieviel Kanonen?«

»Die Alabama ist mit 40 Kanonen, darunter drei Sechzigpfünder, versehen. Ich wäre mit 30 bis 36 Kanonen zufrieden.«

»Hm! Sehr gut. Und wie wollen Sie es anfangen, die Alabama zum Kampfe zu bringen?«

»Ich werde sie aufsuchen, und sie wird mir zum Kampfe stehen. Ich kenne die schwachen Seiten der Alabama, und auch Mr. Brocklyn kennt sie. Wir werden diese Kenntniß zu unserm Vortheil zu benutzen wissen.«

»Wenn nun aber die Alabama Sie in den Grund bohrt?«

»Das werde ich zu verhindern wissen, Sir. Ich werde mein Schiff panzern, jedoch in einer Weise, daß die Alabama von der Panzerung nichts merkt, wenigstens nicht früher, als bis es für sie zu spät sein wird.«

»Sehr klug, sehr schlau, Mr. Powel. Alle Achtung vor Ihrem Scharfsinn. Wir haben ein solches Schiff im Hafen von Boston, wenn es Ihnen gefällt; es ist der Kriegsdampfer »Kearsage.« Sie sollen das Commando haben. Wir werden es ausrüsten lassen, Sie zum Capitain und Ihren Freund Brocklyn zum ersten Lieutenant auf demselben machen, ganz nach Ihrem Wunsche Wann wünschen Sie in See zu gehen?«

»Sobald die Ausrüstung des Schiffes beendet sein wird, denn sonst möchte zu viel Zeit verloren gehen, ehe es uns gelingt, das Caperschiff aufzufinden.«

»Ich bin's zufrieden und wünsche Ihnen den besten Erfolg. Adieu Gentlemen. Adieu Excellenz. Ich bitte um Entschuldigung, sich habe zu thun.«

Mit diesen Worten reichte der Marineminister dem Präsidenten die Hand und empfahl sich. Abraham Lincoln aber beauftragte einen Secretair, sofort für die Ausfertigung der nöthigen Patente Sorge zu tragen.


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