Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Neunzehntes Kapitel.

Indessen hatte sich unter seiner fleißigen Hand der Vorrath an deutschen Schimpfwörtern bereits zu einer solchen Masse angehäuft, daß er nun bereits daran denken konnte, das Material in einige Ordnung zu bringen, und in einem zusammenhängenden Vortrag darzustellen. Da wir uns vorgenommen haben, unsern Helden, ganz, wie er leibt und lebt, und daher nicht bloß von seiner moralischen, sondern auch von der intellectuellen und scientivischen Seite, mithin seinen vollen Charakter zu schildern: so wollen wir sogleich das Bruchstück, wie er es in sein Cahier eingetragen, in extenso mittheilen; Nach dem Tone zu urtheilen, scheint Mänle selbst mit seinem humoristischen Griffel einiges interpolirt zu haben.

Anmerkung des Herausgebers.

wobei wir jedoch zartsinnigen Leserinnen, denen Cynismen der Art als solche etwa mißfallen möchten, freistellen wollet, diese und die folgenden gelehrten Paragraphen zu überschlagen.

§. 1.

Den Reihen eröffnet der Narr. . . Wie kommt es denn, daß dieses einzige Wort so einzeln in unserer Sprache dasteht, ohne Synonymen – denn Thor ist kaum zu rechnen, – während sie doch zur Bezeichnung anderer Anomalien so reich ist? Antwort: Eben darum, d. h. weil der Narren und Narrheiten eine Unzahl ist (infinitus stultorum numerus), und darum, wie das Wort Mensch ohne entsprechendes Reimwort, so Narr ohne gleichbedeutenden Sinnreim befunden wird. – Aber freilich – um in der Parallele fortzufahren – gleichwie die Menschen nach Raçen und Geschlechtern in's Unendliche unterschieden und demnach bezeichnet werden, so auch die Narren nach den Gegenständen ihrer Liebhaberei, unangesehen noch der Gradationen und Modificationen ihrer idiosynkratischen Bestrebungen und Aeußerungen. Ich verweise hier, der Kürze halber, bloß auf Brand's Narrenschiff, und Geiler's Predigten darüber, wo man deren eine namhafte Zahl aufgeführt findet, – wenn man nicht lieber selbst das ABC von Anfang bis Ende durch nehmen, und an den Wörtern, die irgend einen Gegenstand menschlichen Begehrens ausdrücken, -Narr schlechtweg hinzudenken will. – Zwischen Narr und Thor – um doch eine Parallele zu ziehen – ist der Unterschied: daß der Thor lediglich Mangel an richtigem Verstand verräth, der Narr dagegen zwar immer noch Verstand zeigt, aber so, daß der Kopf mit dem Herzen davon rennt, welches ihn zu verkehrten Dingen verleitet. Er ist also der ganze Mensch – nicht bloß der halbe, wie der Thor, – und so fern der Repräsentant der Menschheit selbst, von ihrer Kehrseite betrachtet. Darum können wir noch über den Narren lachen, uns an ihm sogar noch erfreuen, – den Thoren belachen oder bemitleiden wir bloß; – darum gefallen sich sogar Manche in der Narrenrolle und an den Narrenpossen (man denke an die Narrenfeste); darum kann der Künstler, z. B. der dramatische, den Narren gar wohl brauchen zu seinen Darstellungen; wie denn z. B. der einzige Shakspeare ein ganzes Cabinet ausbündiger Narren gebildet; darum ist auch »Narr« nicht einmal ein Schimpfwort – als Diminutiv sogar ein Schmeichelwort! – es sey denn, daß man es geflissentlich dazu stempelt; darum aber, und weil zunächst das Gemüth den Impuls gibt zu den Verirrungen des Verstandes, ist das Wort auch so schwer verpönt in der Schrift, daß derjenige, welcher zu seinem Bruder »du Narr!« sagt, als der Hölle schuldig erklärt wird (Matth. 5, 22).

§. 2.

An den Narren schließt sich im Zuge an ein gar luftiges, liederliches Gesindel, das, nach seinen verschiedenen Arten und Unarten von der deutschen Sprache schon genauer bezeichnet und signalisiert wird. Voran schreitet der, mit dem Narren zunächst verwandte Schalk. Er ist ein Mixtum von Bosheit und Freundlichkeit, von Ernst und Scherz, von Liederlichkeit und Gutmütigkeit. Kotzebue hat einige Schälke geliefert in seinen Lustspielen, und er war wohl selbst einer. . . Verdächtiger ist schon der Schelm, obgleich das Wort (nach Adelung) mit Schalk von Einem Geschlechte stammt. Der Grund dieser Verschlimmerung läßt sich so schwer nachweisen, als die Ausartung manches adeligen Stammes und eines seiner Nebenäste. . . Das gangbarste Wort (auch in der That) ist aber Spitzbube. Der belobte Kotzebue legte sogar einem seiner Schälke die Aeußerung in den Mund: man könnte alle Menschen eintheilen in Spitzbuben, die gehangen werden, und in Spitzbuben, die nicht gehangen werden. Die Division däucht mir aber zu haarscharf, fast wie ein Henkersschwert. . . Daß übrigens Spitzbube aus »Spießbube,« (Spießknecht) verderbt sey, wie Einige meinen, ist eine falsche Erklärung, und, gleich der Behauptung, daß so fern auch Halunke und Kalfakter, daher ihren Namen haben, pure Verleumdungen gegen die Soldaten. . . Varianten von »Spitzbube« sind noch: Gauner, Buschklepper, Strauchdieb und Schnapphahn, mit dem Unterschiede etwa, daß diese ihr Handwerk unter freiem Himmel treiben, der Spitzbub (neuerer Zeit) auch zwischen vier Wänden, z. B. in Antichambern. – Soll ich schließlich noch zwei Höllenbrände nennen, den Schuft und den Schurken? Ich thue es, aber nur im Vorbeigehen und mit der Bemerkung, daß jener einen armen Teufel kurzweg, und dieser einen Teufel schlechtweg bezeichne.

§. 3.

Diesem still schleichenden, leise trippelnden, gespenstisch wandelnden Gesindel folgt unmittelbar das Geschlecht der Grobiane, die, wie Elephanten-Kälber, plump auftreten und massiv sich geberden. Das Wort selbst schon, mit seinem vollen Tonlaute, ist bezeichnend genug, und nimmt sich, stark accentuiert, ungemein treffend aus. Da dieses Geschlecht aber sich sehr in's Breite wirft und in's Weite ausschweift, so hat die Sprache noch mehr Keile im Vorrath, um diese Hackblöcke zu spalten und zurecht zu richten, als z. B. nur aus dem Buchstaben K: Kog, Knod, Knoll, Knorz, Knopf, Knüpfel, Knüttel – die übrigen zu geschweigen, welche, wie z. B. Bengel, Schwengel, Flegel, Schlegel &c., ohnehin gäng und gebe sind. Damit könnte man auslangen. Meistens jedoch, und in der ersten Furie, wo keine Ueberlegung Statt findet, legt sich auf die Zunge sogleich das eben so füg- als bedeutsame Wort: Lümmel. »Einem geladenen Frachtwagen (sagt der gemeine Mann), einem stößigen Ochsen, und einem Lümmel, mußt du aus dem Wege gehen.« Und damit ist mehr gesagt, als mit der besten Definition. – Ueberdieß empfiehlt sich dieß Wort (nächst dem Kern- und Kraftworte: Lump) noch ganz besonders durch seine ein- und vielfachen Ableitungen: lümmeln, anlümmeln (einen), auflümmeln, lümmelhaft, Lümmelei.

§. 4.

Wie überhaupt Extreme sich berühren, so zeigt sich hinter dem trampelnden Heere der Grobiane das höchst geschmeidige der Heuchler und Schmeichler. Es dürfte als sonderbar auffallen, daß die Sprache zur Bezeichnung und Bestrafung der erstern Classe keine Extra-Staupbesen habe, womit sie dieselben nach Verdienst züchtigen könnte; aber es scheint, daß sie dieses »Otterngezücht« (wie die Bibel sie nennt), welches mehr dem Laster als der Thorheit verfallen ist, einem höhern Forum überläßt, dem Gerichte Gottes und dem Abscheu der Welt. Desto voller ist ihr Köcher an spitzigen Pfeilen gegen die andere Classe, die, obwohl auch einiger Maaßen vom Höllenqualm der Heuchelei tingiert, doch mehr noch dem »windigen« Luftkreise der Thorheit angehören. Ich will nur einige aus der ältern und neuern Rüstkammer vorweisen; als: Duckmäuser, Fuchsschwänzer, Glättling, Kalmäuser, Katzenwedel, Leisetreter, Scherwenzel, Speichellecker, sodann die vielen Schleicher (Hehlschleicher) und Streicher (Flaum-, Kauzen-, Falbenhengststreicher) – den Schranzen, der sogar die Hof-Livree trägt und als Einer für Alle einsteht, nicht zu vergessen. – In nächster Sippe steht zu dieser Raçe das Geschlecht der Schmarotzer, die heut zu Tage zwar weniger um ein Süpplein und Brätlein, als vielmehr um Aemter, Gratifikationen, Orden und Pfründen zu erschmeicheln, sich zu Gast laden und in Antichambern sich lagern. Man nennt sie nebenbei auch Suppenfresser, Schmeckenbrei, Schmecksbrätlein, Schmertaske (Niederdeutsch), Tellerlecker u. a. m. –

§. 5.

Den zudringlichen Tischfreunden auf den Fuß folgen die, sich und das Ihrige zurückhaltenden Geitzhälse, die wohl auch nebenbei und zur Abwechselung Filze, Knauser, Knicker und Knacker, auch Racker und Schabhälse &c. im gemeinen Leben genannt werden. – Mammonsbruder ist ein biblisches Wort, und gehört auf die Kanzel. – Wo aber die reine, feine, hochdeutsche Sprache nicht auslangt, da kommt ihr, wie auch im Uebrigen, die Mundart zu Hülfe, die zumal noch mehr die Thorheit, als das Laster des Geitzes damit zu züchtigen sucht. Schon das alte und noch oberdeutsche »Ruoch« trägt eine unvergleichliche Kraft in sich; man denkt dabei sogleich an einen Rachen, der, unersättlich und bodenlos, wie er ist, Alles verschlingen will. Die Etymologie schwankt, ob das Wort von ruechen (übermäßig sorgen), oder von Ruech (Rabe) abzuleiten sey.  . . Eine noch lächerlichere Seite des Geitzes heben die folgenden Wörter hervor: Pfenningfuchser, Plutzgerzähler (Schweiz, von einer kleinen Münze), Spanbrenner, (mit dem auch, begriffsweise, Klieber verwandt,) Erbsenzähler, (wohin auch der Knödelzähler der Wiener Frauen gehört, der Topfgucker der Leipziger, und der Häferlgucker und Weibergritscher der Münchner). . . Popowitsch führt noch ein ähnliches Wort an: Küssenpfennig, und meint, es rühre von einem reichen und kargen Mann (in Wien) dieses Namens her; man kann es aber eben so gut als ein Appellativum nehmen, gleich den obigen, und andern mehr, z. B. Hennenvogt, Kletzenprobst, Zwifelselcher &c. Von niederdeutschen Formen sind mir bloß bekannt: Gorteteller (Grützzähler), Huzpott (von dem Gothischen Huzd, Schatz), Neefke (bei dem Otfried ist Nefkiri der Geitz); die Niederdeutschen werden aber vermutlich noch mehr haben, und wir Deutschen überhaupt genug.

§. 6.

Gleiches und Gleiches gesellt sich gern, und so sehen wir denn mit dem Geitz, gemeinhin dem Laster des Alters, den Murrsinn Arm in Arm gehen. Er geberdet sich, wie jener Aristophanische Demos (Ritter, 40).

—   —   —   —   —   —   Herr,
Wildtoll im Jähzorn, bohnenfresserisch, gallenhaft,
—   —   ein mürrischer alter Sauertopf,
Harthörig etwas   —   —   —

Da schilt denn die frische, freie, frohe Jugend, die unter ihrer Aufsicht steht und geht: Greiner und Griesgram, Kläffer und Knurrer, Murks, Nurk und Schurimuri; wogegen sich denn jene wiederum schadlos halten gegen diese durch Prädicate, wie z. B. Fant, Fratz, Gauch, Geck, Laff, Lecker, Raup, Rüepel &c., wo nicht gar durch die, recht malitiös erfundenen Composita: Gelbschnabel, Guckindiewelt, Sausewind, Springinsfeld, Taugenichts, Thuenichtgut. Und vollends erst – beklagt sich die leichtfertige Jugend – wenn sie, die Fröstlinge, Frömmlinge, Grämlinge, Sonderlinge, auf die fatale Ableitungssylbe ling kommen (das Wort Jüngling führt sie aber darauf), und uns mit Prädicaten verfolgen, wie z. B. Lüftlinge, Klüglinge, Neulinge, Wildlinge, Witzlinge, Wüstlinge, Zärtlinge, Zierlinge &c.: Himmel! wer erträgt das?

§. 7.

Weniger noch in Reih und Glied, als vielmehr hintennach und nebenaus folget das Geschlamp und Geschlepp und »Geschnottel« der Faulenzer, Müßiggänger, Pflastertreter, Ofensitzer, Stubenhocker und Bärenhäuter jeder Art, seyen sie es nun aus purer Scheu vor aller Arbeit, oder aus natürlicher Trägheit und Unbehülflichkeit. Meistens liegt freilich die vis inertiae in der physischen Beschaffenheit oder ihrer vernachlässigten Ausbildung, wofür die Sprache selbst Zeugschaft gibt, die für solche Creaturen eine Menge Bezeichnungen zu erfinden und anzuwenden benöthigt war, als z. B.: Gackel, Latscher und Patscher, Schlotterer, Tapp, Tilltapp, Trenzer und Schlenzer, Tölpel und Tollpatsch (s. oben §. 2), und, will sie ja noch recht höflich seyn, Bruder Langsam. Die entgegengesetzte Unart derer, die zu viel thun wollen, und eben darum nichts thun, bezeichnet die Sprache bloß mit Prädicaten, wie: Fretter, Nöther, Nothnickel und Unmuß; die Unsitte derer, welche gegen die goldene Regel »Eile mit Weile!« versündigen, mit: Fuchtler, Haspel, Hirnwirbel, Ruschel, Schießel oder Schuß; endlich den Naturfehler derer, denen es überall wohl ist, nur nicht zu Hause und bei der Arbeit, durch: Fickfacker (Niederd.), Kalfakter (Oberd.), Schlinkschlank (Niederd.), Strolch (Oberd.), Vagabund (nach Adelung hochdeutsch).


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