Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Sechszehntes Kapitel.

In seine grammatischen Studien vertieft, hatte Herle die schöne Doris beinahe ganz aus dem Auge verloren. Er lag und sann nur über seinen Büchern, und mied jede Gesellschaft, die ihn auf unbeliebige Weise hätte zerstreuen können. Wie überraschte ihn daher eines Tages die zufällige Begegnung des Fräuleins auf der Hausflur, und ihre Anrede: »Leben Sie auch noch, Herr Präceptor?« Er antwortete, dumm genug: »Wie Sie sehen, mein Fräulein!« Damit war das Gespräch geschlossen; sie und er gingen ihres Weges, beide mit sonderbaren Empfindungen.

Er wußte nicht, wie er den Gruß von ihrer Seite auslegen sollte, ob als wohlwollende Theilnahme, oder als tadelnden Vorwurf. Im erstern Falle hätte er, nach Knigge, sich höflich bedanken, im andern sich entschuldigen sollen. In beiden Beziehungen war, wie er nun selbst bemerkte, seine Antwort unpassend, ja, was er nicht ohne Schauder dachte, gewisser Maaßen grob.

Sie fand und empfand das Letztere; drum wandte sie ihm eben sogleich den Rücken. Doch indem sie sogleich einerseits seine ungeheuchelte Gutmüthigkeit, anderseits seine unbeholfene Schüchternheit in Anschlag brachte, so konnte sie ihm doch nicht zürnen, sondern mußte sogar lächeln, obwohl sie sich übrigens vornahm, bei nächster Gelegenheit ihm das Unziemende seines Betragens vorzuhalten.

Am nächsten Abende, nachdem er noch vorher die letzten Bogen des Knigge durchgelesen, aus Besorgniß, er möchte in's Examen genommen werden, stattete er seinen schuldigen Besuch ab, und erschien in Gala, wie vordem. Papa war nicht zu Hause; Doris mit dem Kammermädchen allein. Sie empfing ihn mit spröder Höflichkeit. Als er aber mit sehr artigen, wohl einstudierten Redensarten ihr das Buch zurückstellte, dann mit unendlichem Bedauern sich wegen seines letzten Begegnens und Benehmens anklagte, endlich sein langes Wegbleiben hauptsächlich aus dem Grunde entschuldigte, daß er vorerst seine Studien nach Knigge habe vollenden wollen, ehe er es wagen mochte, in die Gegenwart eines so schönen, gebildeten Frauenzimmers zu treten: so erheiterte sich allmählig und immermehr das Antlitz des Fräuleins, und sie wurde zuletzt so weich und großmüthig, daß sie ihm, zum Zeichen ihrer Vergebung, die Hand zum Küssen reichte.

Doris unterhielt sich ein Paar Stunden recht gut. Sie sprach viel über schöne Literatur und die Werke deutscher Dichter. »Sie kennen doch – fragte sie ihn unter Anderem, mit leidenschaftlich erhöhter Stimme – Sie kennen doch den Jean Paul?« »Verzeihen Sie, antwortete Herle, ich lese nicht Französisch.« Das Fräulein lachte, und bemerkte: es sey kein Franzose, dieser Autor, sondern ein Deutscher, ein echter, gerechter, reiner und feiner Deutscher. »O, fuhr sie fort, wer seine Werke nicht gelesen hat, der hat nichts gelesen! Dieser Hesperus, wie himmlisch! dieser Titan, wie göttlich! alle seine Werke, wie so jungfräulich, so engelisch!« Und so sprach sie denn weiter, voll extatischer Empfindungen für ihren Lieblingsdichter. Herle hörte aufmerksam zu, und strengte sich sehr an, über Dinge, die er nicht kannte, innigste Theilnahme zu bezeigen.

Als er endlich, im Innersten genug gelangweilt, Abschied nehmen wollte, holte sie noch vorerst ein Buch aus ihrer Bibliothek, und übergab es ihm mit den Worten: »Hier nehmen und lesen Sie einmal den Quintus Fixlein; das ist ein Mann für Sie. Aber – setzte sie mit aufgehobenem Finger und lächelndem Munde hinzu – vergessen Sie mir nicht ein anderes Mal den Knigge mitzubringen.« »Hatte ich denn nicht, fiel Herle ein, heute die Ehre, Ihnen denselben zurückzustellen?« »Verstehen Sie mich doch!« sagte Doris fast ärgerlich. Aber Herle verstand sie nicht.


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