Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Kapitel.

Der König war in der Nacht angekommen ohne vorgängige Anmeldung. Er wollte jeder Empfangsfeierlichkeit ausweichen. Er betrachtete sich als Gast bei seiner Gemahlin, für sie allein hatte er diese bescheidene Sommerfrische herrichten lassen.

Gunther ging am andern Morgen mit seinen Orden geschmückt den neuen Weg von seinem Hause nach der Meierei. Er empfand, daß sich jetzt dies Sommerleben ändern wird. Es hatte sich eine Gesamtstimmung gebildet, die nun durch einen Hinzukömmling, und wäre es auch ein fügsamerer als der König, eine Umstellung erleiden wird.

Seit der letzten Audienz, in der er für die Dekorierung danken mußte, hatte Gunther den König nicht wieder gesehen. Er war gefaßt. Die Hofformen haben in ihrem festen Bestand das Gute, daß sie keine momentane Stimmung und Belebung erheischen.

Als Gunther so den Weg, der sich an der halben Höhe eines Vorhügels hinzog, dahinschritt, erweckte sich ihm unwillkürlich eine Erinnerung an Eberhard. Die Morgenfrühe, die Bergluft, die stramme Uniform, alles war wie damals vor Jahrzehnten.

Eberhard hatte die Erfüllung einer Höflichkeitsform ohne Empfindungsinhalt beständig als Roheit bezeichnet, er hatte verlangt, daß man in jedem Augenblick des Lebens wahr sei und keine Form, kein Wort gebrauche, die nicht aus dem Grund der Seele stammen. Gunther hatte in den Jahren seiner Einsamkeit wohl erkannt, daß auch er durch Konzessionen einen teilweisen Abfall sich hatte zu schulden kommen lassen; es war sein höchstes Glück geworden, nun vollkommen wahr vor sich und vor der Welt zu sein, und darum hatte er in dem Werke, das er als Ergebnis seines Lebens betrachtete, rücksichtslos und mit unverhülltem Ausdruck gesprochen.

Als er in Gedanken so fortwandelnd um die Meierei sah, hielt er still, um sich zu sammeln. Er war ja auf dem Weg, den zu begrüßen und ihm Ehrerbietung zu bezeigen, der ihn hatte entwürdigen wollen.

Auch der König, der Gunther schon von ferne hatte kommen sehen, war beim ersten Anblick bewegt. Er trat vom offenen Fenster zurück und doch hätte er dem hochgehaltenen Manne gern durch das Fenster willkommen zugerufen; aber die königliche Würde duldet das nicht, und sie hat dabei das sehr Genehme, daß der Zutritt Begehrende in harrender Stellung bleibt und der Zulaß Gewährende seine natürliche Freiheit, man könnte sagen, sein bequemes Daheim dem Fremden gegenüber innehat.

Der Leibarzt ließ sich melden. Er wurde sofort vorgelassen. Der König ging ihm drei Schritte entgegen und sagte:

»Willkommen, lieber Geheimrat, ich freue mich von Herzen –« er stockte, als er das gesagt, und fügte, wie plötzlich eine andre Wendung nehmend, hinzu: »Ich freue mich sehr, Ihnen Glück wünschen zu können. Man weiß nicht, soll man sagen: Sie sind es wert, einen solchen Sohn zu gewinnen, oder der Minister Bronnen ist es wert, Sie Vater zu nennen; es ist beides ein und dasselbe,« schloß er mit einem Lächeln, das etwas Gezwungenes hatte.

»Ich danke Eurer Majestät unterthänigst –« auch Gunther stockte, er hatte dies Wort schon lange nicht gesprochen –»ich danke Eurer Majestät für diese huldvolle Teilnahme an mir und meinem Hause.«

Der Glückwunsch zur Verlobung Bronnens war eine ansprechende Ueberleitung in die neue Bewegungsweise zwischen dem König und Gunther. Dennoch trat jetzt eine Pause ein, in der sich die beiden Männer musterten, als müßten sie nach vierjähriger Trennung das Antlitz sich wieder einprägen, das jeder durch Jahrzehnte fast täglich gesehen. Gunther war sich fast gleichgeblieben, nur trug er jetzt einen kurzgehaltenen schneeweißen vollen Bart; der König dagegen war gerundeter in seiner Gestalt geworden; auf seinem Antlitz lag jetzt ein Ausdruck strengen Ernstes, der indes wohl mit seiner gewinnenden Liebenswürdigkeit zusammenstimmte; seine Bewegungen schienen an Spannkraft eher gewonnen als abgenommen zu haben.

»Wie ich höre,« begann der König aufs neue, »sind Sie mit einer großen philosophischen Arbeit beschäftigt, dazu darf ich uns nur Glück wünschen, wir genießen gesammelt die Früchte Ihres Geistes; die wir jetzt im täglichen Verkehr entbehren.«

»Majestät, ich ziehe das Facit meines Lebens. Es ist einerseits weniger, anderseits mehr, als ich hoffen durfte; ich lebe in mir, freue mich aber, daß ich, hinausschauend in die zeitgenössische Welt, erkennen darf, daß die zu Größerem Berufenen ein reines Facit ziehen können.«

»Das Wachstum ist langsam,« sagte der König. »Als ich gestern durch die Felder fuhr, dachte ich: wie lange solch ein Halm braucht, bis die Aehre gediehen ist. Wir sehen das einzelne Wachstum des Tages nicht, aber das Resultat wird es zeigen.«

Lächelnd und jetzt ganz ungezwungen fuhr er fort: »Ich teile Ihnen da meine neuesten Wahrnehmungen mit, es ist... es ist... als hätte ich Sie erst gestern gesprochen. Kommen Sie mit in den Garten.«

Auf dem Wege fragte der König: »Wie finden Sie den Prinzen?«

»Er ist wohlgebaut und –soweit ich es beurteilen kann –auch seine geistige Entwickelung normal und schön.«

Das Gespräch brach immer wieder ab und mußte immer neu aufgenommen werden; das war die Folge einer langen Trennung und eines unaufgehellten Hinterhaltes in der Empfindung.

»Sie haben nun auch viel unter dem Volk gelebt,« begann der König wieder. »Finden Sie auch, daß der naive Volksgeist das Korrektiv für die Abirrungen der höheren Bildung zu sein berufen ist?«

Der Leibarzt sah den König nach dieser Frage betroffen an. Was soll diese Frage? Ist es eine Müßigkeitsfrage? Lebt im Könige noch der unbesiegte Widerspruch gegen die Entscheidungen des Volkes? Oder will der König den Gekränkten dadurch mit Huld begnadigen, daß er ihm Gelegenheit gibt, seine Betrachtungsweise des Breiteren darzulegen und sich darin zu gefallen?

Mit Blitzesschnelle gingen diese Erwägungen durch die Seele Gunthers. Er entgegnete nach einer kleinen Pause:

»Gestatten mir Eure Majestät, bevor ich zur Beantwortung der Frage übergehe, uns die Fragestellung scharf zu bestimmen?«

»Ich bitte darum.«

Die beiden Männer faßten sich in verschiedener Empfindung. Es trat wieder eine Pause ein, in der es wie Probieren und Stimmen der inneren Instrumente war, die aus ungleichen Temperaturen kommend, noch nicht zusammenklingen konnten.

»Wenn wir also,« nahm Günther auf, »unter Volksgeist jene Ansichten und Stimmungen verstehen, die nicht aus festgestellten wissenschaftlichen und künstlerischen Ueberlieferungen sich herausbilden, sondern als Naturmacht ungebrochen bestehen, und wenn wir dagegen unter Korrektiv der höheren Bildung ein Abstoßen des aufgedrungenen Fremden oder auch des gesetzmäßig Verwelkten und Verrotteten fassen, und damit ein Ausführen auf die grundmäßige Natur, dann glaube ich diese Frage nach Maßgabe meiner Erkenntnis beantworten zu können.«

»Ich nehme diese präzisere Fragestellung gern an,« erwiderte der König. »Ich finde, daß man oft darum vergebens auf befriedigende Antwort wartet und sich fruchtlos abmüht, weil man die Fragestellung unbestimmt und vag gelassen hat.«

Günther nickte lächelnd.

»Nun, also Ihre Antwort?« fragte der König, mit gespannter Aufmerksamkeit ihn betrachtend.

»Majestät,« begann Günther mit frischem Tone, »ich hole weit aus, bin aber bald wieder auf dem Punkt, wo die Frage Eurer Majestät sich aufwirft. Diese Frage stammt aus einem großen, einen Wendepunkt der Menschheitsgeschichte bezeichnenden Ereignis. Im Gegensatz zur ganzen vorhergegangenen Geschichte des Menschengeschlechts tritt die Zentralgestalt, an der die modernen Völker idealisierend sich und sie erbauten, nicht aus der olympischen Höhe hervor, Jesus wird in der Krippe geboren und die Könige der Welt wallfahrten anbetend zu ihm. Es wird bleiben als Zeugnis des Hohen im Niederen, als Kunde jener reinen Demokratie, daß in der Krippe bei den Haustieren dasjenige aufleuchtete, was dem reinen Menschen eingeboren ist. Nun aber wäre es eine Verkehrung des reinen Gedankens und eine neue Orthodoxie und Veräußerlichung, wenn man fortan die Krippe allein als heilig fassen und an die niederen Formen und Umgebungen des Volkslebens allein das Innewohnen des ewigen Geistes, der heiligen Natur binden wollte. Bleiben soll: der reine Geist erscheint überall, aber auch überall, in der Krippe bei den Haustieren wie im säulengetragenen Tempel, in der büchererfüllten Gelehrtenstube und im schimmernden Palaste auf dem Königsthron: Buddha war ein Königssohn und war einer der großen neuschaffenden Wohlthäter der Menschheit, der im Reiche des Kastengeistes die Gleichberechtigung aller Menschen verkündete.

»So kehre ich nun zurück und bin bei der Frage. So oft eine Kultur zur höchsten Entwickelung gelangt und dann ihre Schwächen sich zeigen, stellt sich der Gedanke einer völligen Umkehr heraus, wobei man aber immer ins Extrem geht; man glaubt von vorn anfangen zu müssen, während es sich doch nur darum handelt, eine Regeneration herbeizuführen durch die noch unverbrauchten Schichten, die mit frischen Kräften kommen. Diese Regeneration aus den unteren Volksschichten kann aber aus den unteren Volksschichten allein nicht gemacht werden, sie sollen nur stets frische Kräfte hinaufschicken. Die große Masse als solche kann nur neuen Stoff hergeben, aber als Masse nicht die Kultur erneuen. Das Volk ist nur in sehr bedingtem Sinne der Träger des Volksgeistes; es treten einzelne aus dem Volke herauf, sie haben durch ihren Ursprung aus dem Volke etwas von der unsterblichen Kindschaft in sich bewahrt, aus dem Naturleben, aus dem unbelauschten und ungeleiteten ersten Wachstum. Aber mit der Kindschaft muß sich der Geist der Wissenschaft verbinden und eine Epoche oder ein einzelner bildet einen neuen Knotenpunkt, worin das sich fortsetzende Wachstum nicht abgebrochen ist, sondern neu ansetzt, gewissermaßen neu anwurzelt und auf dem Stamme einen neuen Boden bildet. Nicht das Volk als Masse, sondern der Mann oder der Kreis, der den Volksgeist in sich konzentriert, erneuert denselben individuell.«

»Ist das nicht Aristokratie?« fragte der König mit leiser, fast zaghafter Stimme.

»Majestät, ich scheue kein Wort und keinen Begriff, die als Ergebnis logischer Konsequenz sich darstellen. Ich lasse dies immerhin auch Aristokratie nennen; aber es ist die ewig werdende, die demokratische; denn die Fortbildner des Volksgeistes gehen nicht aus derselben Sphäre hervor.«

»Ich verstehe,« sagte der König bei einem Rosenstock stehen bleibend, »es ist wie hier, es sind jedes Jahr neue Schosse am Stamm, die die Rosen tragen. Doch entschuldigen Sie, ich habe Sie unterbrochen.«

»Ich will nur noch hinzufügen,« nahm Gunther wieder auf, »die Masse als solche ist Träger der Bildung, aber die Höherführung dieser Bildung geht von einzelnen Berufenen und Erwählten aus. Noch näher: Wer das körperliche Durchschnittsmaß seiner Rasse hat, ist nicht groß; so auch, wer die allgemeine Bildung hat, besitzt eben damit die allgemeine, die nichts Auszeichnendes, Befreiendes, Erhöhendes hat.«

»Wer aber mißt, bestimmt und ermächtigt zu dieser Auszeichnung?« fragte der König.

»In der Wissenschaft und Kunst die individuelle Berufung, der individuelle Drang und Trieb, aus dem sich in einer Persönlichkeit das herausbildet, was die Masse stotternd und unfertig in sich hatte und eben weil sie es in sich hatte, nun, äußerlich gegeben, als ihr Eigenes begrüßen kann. Im Staate dagegen ist die Berufung durch Wahl, wie sie in solcher Ausdehnung nur die moderne Menschheit kennt, die entscheidende. Es ist vielfach ersprießlich, daß den momentanen Berufungen durch die Wahl gegenüber eine geschichtlich gegründete Berufung steht. Aber wenn sich diese nicht mit der zeitlichen eint, überhebt sie sich und kommt zu Falle.«

Der König ging still vor sich niederschauend dahin. Alles lenkt immer wieder dahin, daß es einen Gesamtgeist gibt, der mächtiger ist und sein muß, als jeder einzelne. Weit ab lag nun jede Ahnung, daß man zu diesem Ergebnisse durch eine Müßigkeits- oder Gunstfrage gelangt sei.

Lange schritt der König neben Gunther dahin, aber diesmal war das Gespräch nicht abgebrochen, weil im Hintergrund der Seele noch eine ungelöste Dissonanz stand. Der König war vielmehr nachdenklich und er hatte gelernt und geübt, über einen neuen Aufschluß nicht konversationell hinweg zu tändeln, sondern das Empfangene in seinem inneren Denken einzuordnen.

»Darf ich fragen,« begann der König –es lag eine große Bescheidenheit in seinem Tone –»darf ich fragen, ob die Betrachtungsweise, die Sie mir jetzt geben, und die mir noch viel zu denken geben wird, in dem Werke, mit dem Sie sich jetzt beschäftigen, zur weiteren Darlegung kommen wird?«

»Allerdings, Majestät.«

»So lassen Sie mich nun sofort in der ersten Stunde auf eine Frage für unser kleines Leben und für das Stück Geschichte, das wir zu sein haben, übergehen.«

Der König verschränkte die Arme auf der Brust und fuhr fort:

»Lassen Sie mich frei zu Ihnen sprechen. Sie haben die Ihnen vom Minister Bronnen angebotene Stellung als Minister des Kultus abgelehnt; ich kann mir denken, daß Sie Ihre Wissenschaft nicht der Bureauthätigkeit opfern wollen. Würden Sie es vielleicht vorziehen –entschuldigen Sie« –sagte der König und lachte ungezwungen, »entschuldigen Sie, daß ich Ihre gewohnte Redewendung gebrauchte, es geschah ganz unversehens –also dürfte ich Ihnen den Posten eines Präsidenten der Akademie anbieten?«

»Majestät bitte ich unterthänigst, mich nicht für undankbar zu halten, aber ich bin entschlossen, nicht mehr in die bewegte Welt einzutreten. Außerdem hat mich der längere praktische Beruf –Majestät wissen, ich lehne jede formelle Bescheidenheit ab, es ist das meine aufrichtige Erkenntnis –von der strengen Wissenschaft derart entfernt, daß ich den mir so gnädig zuerkannten Rang nicht behaupten könnte. Ich bitte, Majestät, die noch beschiedenen Lebenstage mich in meiner Zurückgezogenheit verleben zu lassen. Majestät, ich bin Schriftsteller geworden und will es bleiben.«

»Ich würde mich glücklich schätzen, Ihnen die volle Freiheit zu gewähren, sich rücksichtslos auszusprechen.«

»Ich weiß das, Majestät, und doch, ich mache von der Rücksichtslosigkeit sofort Gebrauch und sage: gewährte Freiheit ist nicht die ganze Freiheit. Ich müßte in einer hohen Staatsstellung dennoch die Bedachtnahme auf Eure Majestät und auf die Verwaltung, der nun mein Sohn vorsteht, vor Augen haben. Erlauben mir Eure Majestät, ein Schriftsteller zu sein und zu bleiben und weiter nichts.«

In den Mienen des Königs trat eine Verstimmung ein. Er hatte das Aeußerste gethan, er hatte dem Manne durch die That gezeigt, wie er das zu schnelle Vorgehen von damals gerne ausgleichen möchte; da war nun wieder der so oft empfundene Starrsinn. Konnte denn der Mann verlangen, daß der König sagt: ich bereue, verzeihe mir?

Ein scharfes Wort kam bis auf die Lippe des Königs. Er drängte es zurück. Gunther sah schnell, was hier vorging und die Achtung vor dem neuen Menschen, der jetzt vor ihm stand, machte sein Auge hell erglänzen.

Der König hatte noch mit keinem Worte der Königin erwähnt; er hatte, wie doch so natürlich gewesen wäre, den langjährigen Arzt nicht gefragt, wie er das Aussehen der Königin finde. Eben wollte Gunther der Königin erwähnen, als der König, die Brauen zusammenziehend, fragte:

»Haben Sie je in Ihrem Leben eine That begangen, die Sie zu bereuen hatten?«

»Majestät –ich heiße Wilhelm Gunther, habe mir das Leben erobert auf einem schweren Weg und bin oft gestrauchelt; bin jung gewesen und alt geworden und habe gesehen, daß jedem zu teil wird, was er in Wahrheit verdient.«

»Und das hat sich auch bei Ihnen bewährt?«

»Ja, Majestät. Ich danke, daß Sie mich fragen. Und so lassen Sie mich bekennen –was ich sage, hat nicht entfernt die Spur einer Verbitterung; wenn ich eine Thatsache als solche erkannt, bin ich damit fertig, ich spreche daher mit Unbetroffenheit, als hätte ich einen Naturvorgang in seinem Gesetz zu erklären. Ja, Majestät, was mir geworden, ist mir in voller Gerechtigkeit geworden. Ich bin in gnädigster Form von Eurer Majestät in Ungnade entlassen, mir ist mein Recht geschehen.«

»Das wollte ich nicht, darauf wollte ich nicht hinführen. Im Gegenteil –«

»Erlauben mir Majestät, selbst und nach freier Erkenntnis die logische Linie der Gerechtigkeit zu bezeichnen. Ich habe in einem tieftraurigen Fall meine Pflicht als Mensch, als Freund und Diener Eurer Majestät mißverstanden.«

»Sie?« fragte der König.

»Ja, ich. Daß ich das Gute wollte, entschuldigt mich nicht. Gut sein ist unsre Neigung, klug sein unsre gleichberechtigte Bestimmung. Ich habe damals Ihre Majestät die Königin auf eine Höhe zu führen gesucht, von der aus die kleinen Begegnisse des Lebens klein und leicht erträglich erscheinen sollten. Das war eine schwere Irrung. Ich mußte jede Einmischung vermeiden oder den nächstgegebenen Konflikt zu schlichten suchen. Sie haben recht gethan, daß Sie mich entfernten und haben damit auch Gutes gethan an der Königin. Von jeder Einwirkung, auch von der eines Freundes isoliert, mußte sie Halt in sich gewinnen und sie hat ihn gewonnen.«

Im Auge des Königs schwamm ein feuchter Glanz. Er legte die Linke auf die Brust –es schien ein Gedanke, ein Wort heraufkommen zu wollen, das er nicht kundgeben mochte.

»Ich bin glücklich,« sagte er endlich, »daß mir auf meinem Lebensweg Männer begegnet sind, wie Sie und unser Bronnen. Was wir sind, wir sind es nur teilweise aus uns, wir sind es –bewußt oder unbewußt –wesentlich aus der Genossenschaft derer, die mit uns zugleich atmen.«

Er faßte die Hand Gunthers und Gunther atmete hoch auf: die heroische Selbstherrlichkeit des Königs war vollauf besiegt –dessen war das Selbstbekenntnis des Königs Zeugnis.

»Papa!« tönte eine Knabenstimme von der Terrasse, sie tönte hell in der morgenfrischen Bergluft, »Papa!«

Die beiden Männer wendeten sich um. Die Königin saß von den Herren und Damen vom Hofe umgeben auf der Terrasse. Sie hatte mit schwerem Blick den beiden Männern nachgesehen, die dort wandelten und oft stillstanden. Was weiden sie sprechen? Werden diese so holden Tage nun durch die alte noch immer nicht getilgte Schuld wieder zerrüttet werden?

Als jetzt der König die Hand Gunthers faßte und sie lange hielt, richtete sich die Königin plötzlich auf, dann faßte sie den Prinzen, küßte ihn, hob ihn zu sich empor und sagte:

»Rufe: Papa!«

Die beiden Männer kehrten um und kamen auf die Terrasse, und so schön und erquicklich war kein Anblick der hohen Berge, als ein Blick in die ruhig leuchtenden Gesichter des Königs und Gunthers.

Der König küßte seiner Gattin die Hand und sie drückte ihre Hand zum erstenmal seit Jahren an seine Lippen.

Als sich Gunther verabschiedete, sagte ihm der König:

»Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin. Ich werde heut vor der Tafel zu Ihnen kommen,«

Frau Gunther war entsetzt, als ihr Mann berichtete, daß auch der König kommen werde. Sie begriff nicht, trotz aller Erklärung, daß ihr Mann die ihm angethane Beleidigung –denn als solche mußte sie die Entlassung doch ansehen, wenn es auch ihrem Manne keine war –so vergessen und vergeben könnte, und zum erstenmal in ihrem Leben ließ sie sich vor ihrem Manne nicht zu andrer Ueberzeugung bringen. Sie sah in der verzeihenden Stimmung Günthers eine Unterthänigkeit, die doch nur im monarchischen Staat möglich sei; ihr alter republikanischer Sinn erwachte wieder.

Der König und die Königin kamen.

Der König fand das Benehmen der Frau Günther sehr scheu. Er konnte nicht wissen, daß sie ihn immer mit verhaltenem Grimme ansah. Ist das der Mann und darf es überhaupt einen auf Erden geben, der Günther ein- und absetzen kann?

Am Bach im Garten sagte der König zu Günther:

»Wie ich höre, ist die Amme des Kronprinzen hier in der Umgegend. Wollen Sie sie nicht einmal herbescheiden lassen?«

»Ihre Majestät die Königin wünscht nicht, sie zu sehen,« erwiderte Günther.

»Wissen Sie den Grund?«

»Er liegt im Nachhall der traurigen Erinnerung,« erwiderte der Leibarzt –und dies war die einzige, nur leise streifende Erinnerung an Irma, die laut wurde. In der kurzen Pause, die nach diesen Worten entstand, murmelte der Bach dringlicher, als hatte er auch etwas zu sagen.

Am zweiten Abend nach der Ankunft des Königs traf Bronnen in Begleitung des Intendanten ein; er fand den ganzen Gesellschaftskreis in schöner Wohlordnung.

Die Freude des Landlebens hatte durch eine gewisse formelle Haltung noch einen besonderen Reiz; man empfand jeden Tag den Genuß der Freiheit und war dabei doch wie in umhegendem Schutze, den bei jeder Ausfahrt und jedem Ausgang die überallhin vorbereitende Hofbegleitung und Dienerschaft bildete. Denn wo man sich in der freien Natur niederließ, wo man dem kleinen Prinzen zum Vergnügen im Walde ein Feuer anzündete, stets standen im weiten Umkreis Diener, bildeten eine Kette und hielten jeden störenden Zutritt eines Fremden ab.

Paula benahm sich in der Gesellschaft mit vollkommener Ruhe; ihre Bewegungen zeigten Kraft und Zierlichkeit; sie drängte sich weder vor, noch verbarg sie sich; das Gefühl, im eigenen Hause zu sein, gab ihrem ganzen ???Behaben eine anmutige Sicherheit.

Der blinde Neffe Günthers, nun bereits als Kammervirtuos der Königin bestätigt, spielte am Abend meisterhaft. Am andern Morgen nahm er seinen ersten Urlaub, um, wie er lächelnd sagte, sich in der Gegend umzusehen und alte Bekannte zu begrüßen.

Der König rüstete sich zur Jagd.


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