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So fröhlich und stolz Walpurga am Morgen vom Freihof ausgefahren war, so traurig und demütig kehrte sie am Abend wieder heim.
Sie konnte stolz sein, denn stattlicher kommt keine Großbäuerin daher. Franz, der ehemalige Kürassier, hatte das Schimmelfüllen gut einexerziert; es war an das Bernerwägelein gespannt, und das schöne Pferd schaute sich wie zufrieden um, als sonntäglich gekleidet die Bäuerin mit ihrem Töchterchen Burgei kam und Hansei der Mutter auf den Sitz half und ihr dann das Kind nachreichte.
»Kommet gesund wieder heim,« sagte er, »und du, Franz, nimm dich mit dem Gaul gut in acht!«
»Hat keine Gefahr!« hatte Franz geantwortet, und der Schimmel ging so leicht, er tänzelte nur so daher in seinem Geschirr, solch eine Fracht schien ihm Kinderspiel zu sein.
Hansei sah Frau und Kind eine Weile nach, dann wendete er sich und ging an seine Arbeit; er nickte nur Irma zu, die aus ihrem Fenster schaute und Walpurga noch lebewohl nachwinkte.
Walpurga fuhr dahin und hielt die Hand aufs Herz, als müsse sie das überquellende Glück zurückhalten.
Was gibt es aber auch besseres auf der Welt, als ein so wohlbestelltes Heimwesen zurücklassen, und dabei können die Leute sehen, wie man daherkommt. Walpurga war aber auf noch etwas stolz, was die Leute nicht sehen können.
Sie hat mit großer Umsicht eine schwierige Sache zum Ausgleich gebracht: Morgen früh geht Irma auf die Alm und alle Gefahr ist abgewendet. Es ist keine Kleinigkeit, solch ein Geheimnis einen ganzen Winter lang still zu tragen, denn Irma hatte recht gesehen. Walpurga hielt sie bei dem Gedanken fest, daß sie einen ganzen Sommer lang in noch tiefere Einsamkeit ziehe. Sie hatte vom Gespiel erfahren, deren Mann es vom Oberförster gehört hatte, daß der König nächsten Sommer in das Städtchen drüben kommen werde. Sie bangte um Irma. Und jetzt ist die Sache noch entschiedener. Der Mann des Gespiels war auf die Meierei versetzt worden, er hatte die Durchschläge zu ordnen und die Herrichtung der Wege zu beaufsichtigen, die zur Ankunft des Königs bereitet wurden.
Nun war noch mancherlei Geschirr und Bequemlichkeiten zu kaufen, um sie der Gundel und Irma mit auf die Alm zu geben, und Hansei willigte ein, daß seine Frau statt im benachbarten Städtchen, im entfernteren die Sachen kaufe und dabei zugleich das Versprechen löse, das Gespiel in seiner neuen Behausung aufzusuchen; zuletzt gestattete er sogar, daß sie die kleine Burgei mitnehme, und so fuhr nun Walpurga mit vollgesättigtem Herzen dahin und grüßte im nächsten Dorfe die Begegnenden und lächelte allen freundlich zu, die sie auf dem Weg erschaute. »Ich möchte nur,« sagte Franz unterwegs, »daß wir so miteinander jetzt daheim am See ums Dorf fahren könnten; alle, wie wir da sind, sind wir von daheim, ich, die Bäuerin, die Burgei und der Schimmel.«
Franz hatte sich heute besonders herausgeputzt, und sein ganzes Gesicht glänzte, denn auch er hegte einen stillen Gedanken: er wollte im Städtchen einen silbernen Ring kaufen, um ihn seiner Gundel an den Finger zu stecken, bevor sie auf die Alm zieht.
»Hab nur auf den Schimmel acht,« entgegnete Walpurga, »er ist doch noch gar so jung. Und was ist das für ein schöner Tag! Hier unten blühen aber die Kirschen noch nicht, und das Bäumchen, das wir von daheim gesetzt haben, blüht heuer zum erstenmal. Hast's nicht auch gesehen?«
»Nein.«
Man fuhr ruhig weiter.
Als man gegen das Städtchen kam, wo das Gespiel wohnte, sagte Franz, der viel mit Fuhren im Lande herumkam:
»Bäuerin, der schöne Bach da, der kommt von droben her bei unsrer neuen Alm; kaum einen Büchsenschuß davon kommt er aus dem Gestein.«
Walpurga lächelte; auf ihrem eigenen Grund und Boden entspringt ein Bach, der weit durchs Land zieht. Ja, man sollt's nicht glauben, was man alles in der Welt noch werden und bekommen kann.
Die Freude des Gespiels bei der Ankunft Walpurgas war groß, und eine bessere Lobpreiserin hätte sich Walpurga nicht wünschen können. Sie behauptete, daß der König kein schöneres Pferd, keinen manierlicheren Knecht, kein lieblicheres Kind und keine bessere Frau habe als Hansei, und überall, wo sie die Bäuerin umherführte, standen die Arbeiter, die die Wege herrichteten und Brücken bauten, eine Weile still und schauten auf die stattliche Bäuerin und auf das Kind, das gerade wie die Mutter aussah und auch gerade so gekleidet war wie sie.
Das Gespiel richtete ein vortreffliches Essen, und Walpurga hatte Butter, Eier und Schmalz für lange Zeit mitgebracht. Walpurga war geehrt in der Amtswohnung des neuen Inspektors, als wäre sie die Königin.
Endlich ging's ans Einkaufen im Städtchen, und Walpurga zeigte sich ebenso verständig als ihrer Stellung bewußt. Sie kaufte von allem Angebotenen immer das beste und marktete nicht viel.
Als man in die Meierei zurückkehrte, war Walpurga eben daran, dem Gespiel etwas von ihrem Geheimnis mitzuteilen, um vor dem König desto sicherer zu sein; da hörte sie, welch ein Mann jetzt schon im vierten Jahr hier im Städtchen wohne.
»O lieber Gott, das ist ja mein bester Freund,« rief sie. Schnell übergab sie das Kind der Freundin und eilte zu Gunther. Sie glaubte, das Herz müsse ihr zerspringen vor Freude, und sie mußte vor dem Hause eine Weile niedersitzen, um zu Atem zu kommen.
Als sie aber wieder den Weg nach der Meierei zurückging, sah sie immer auf den Boden, sie konnte das Auge nicht aufschlagen, und das Entsetzlichste war, daß sie beim Gespiel ausgerufen hatte: »Das ist mein bester Freund!«
Jetzt sollte sie erzählen. Sie brachte nichts hervor, als:
»Laß mich nur schweigen, was die Vornehmen für Menschen sind. Wenn ich zu reden anfange, werd' ich vor morgen nicht fertig, und wir müssen fort, sonst kommen wir in die Nacht hinein.«
Je mehr nun das Gespiel und ihr Mann den Leibarzt und dessen Frau und Töchter lobten, desto stiller und trauriger wurde Walpurga. Sie darf nicht sagen, was man ihr gethan hat. Das hat man davon, wenn man sich auf die Ehre verläßt, die einem andre geben sollen. Noch als sie weggefahren war, redeten das Gespiel und der Inspektor miteinander, wie wunderlich und veränderlich Walpurga sei; Walpurga aber war froh, daß sie niemanden mehr ins Auge zu sehen hatte. Also so ist's? Jetzt steigt etwas auf, an das man gar nicht mehr gedacht hat. »O liebe Mutter,« sagte sie einmal laut vor sich hin, »du hast recht gehabt, alles auf der Welt muß bezahlt werden. Jetzt muß das Gold von damals auch bezahlt werden, aber wie?«
Sie setzte ihr Kind, das neben ihr saß, auf den Schoß, als wäre es das einzige, was ihr geblieben; sie herzte und küßte das Kind und es schlief an ihrem Herzen ein. Auch sie wurde ruhiger, obgleich sie lebhaft spürte, was ihr angethan worden und wer weiß, was sie noch erleben muß? Damals, als sie daheim die Hässigkeit der Dorfleute erfahren, konnte sie sich dessen getrösten, daß das einfältige, uneinsichtige Menschen seien. Aber jetzt? Was kann sie jetzt sich zum Troste sagen? Und soll's jetzt wieder kommen, daß sie so lang ganz verstört sein soll? Und sie hat niemand, dem sie davon Kunde geben darf. –Die Mutter ist nicht mehr da, und Hansei darf nichts wissen, und die Irmgard erst gar nicht.
Es dämmerte bereits, als sie endlich ihr Heim ansichtig wurde. Sie faßte sich:
»Es ist besser, ich lasse jetzt, bis ich sterbe oder meinetwegen bis sie stirbt, den Verdacht auf mir ruhen; dann kommt niemand zu uns und ich brauche nicht in Angst zu sein um meine gute Irma, die viel schwerer zu tragen hat, und gottlob, daß ich nichts von dem Geheimnis verraten habe, und doppelt gut ist's, daß sie jetzt in die Einöde dahinauf kommt, wo niemand sie findet.«
Mit festem Mut kehrte sie in ihr Haus zurück und erzählte Hansei nur von ihrem Besuch bei ihrem Gespiel.
»Ich habe bisher alles allein getragen, ich will's weiter tragen,« sagte sie sich.
Mit großer Selbstbeherrschung zeigte sie eine heitere Miene vor Hansei und Irma, und tummelte sich mit ihrem Knaben, dem sie ein hölzernes Pferdchen mitgebracht hatte.