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Als ich das Kloster verließ und wieder über den See fuhr, da wehte mich in der freien Luft doch wieder ein starker Gedanke an: ich büße frei! Das ist mein letzter Stolz. Mein Wille hält mich so fest, wie die Riegel im Kloster, und ich –ich arbeite ...
Es mußte alles ausgeführt werden, wie ich mir's vorgesetzt. Ich sah die ganze Welt noch einmal und nahm Abschied von ihr.
Wir wanderten nach der Residenz. Wie mich der Lärm und das Fahren erschreckte.
Als ich zum erstenmal wieder ein Seidenkleid knistern hörte, es war mir ein angreifender Ton. Und als ich die erste Frau mit Modehut und Schleier sah, drängte es mich sie anzusprechen. Diese Menschen aus der Bildungswelt gehören zu mir. Ich komme doch wie aus der Unterwelt wieder an das Sonnenlicht.
An den Straßenecken las ich die Anzeigen. Ist das noch dieselbe Welt, in der ich lebe?
Einer amüsiert den andern, musizierend, singend u. s. w. Man holt keine Lebensfreude aus sich.
Die Welt ist ein Zusammenhang. Du hast ihn verloren.
Ich sah das Getreibe der Stadt aus einem kleinen Einkehrwirtshaus am Morgen. Die Häuser da und dort –es ist ein Stück Leben von mir als Gespenst. Wenn die Menschen wüßten –Es sind Straßen da, die ich nicht kenne. Alles geht sorglos aneinander vorüber. Die Menschen in der Stadt sehen alle so verdrossen aus; kein sonniges, glückliches Gesicht ist mir noch begegnet.
*
Ich war in der Bildergalerie. Diese Lust, mit dem Auge zu saugen; dieser Rausch von Farben, diese feierliche Stille! Ich sah und hörte meinen alten Lehrer zu einem Fremden sprechen: Nicht die historische Größe des Gegenstandes und Umfanges gibt einem Kunstwerke seinen großen historischen Charakter, sondern das, daß der Künstler sich auf den großen historischen Boden stellt, und uns darauf stelle; derselbe Gegenstand kann so oder so gefaßt, vergänglich und genrehaft oder historisch bleibend und groß dargestellt werden ...
Wie berauscht ging ich durch die Räume. Alle meine alten Freunde grüßten mich, sie sind, in ewige Farben gekleidet, treu und unverändert geblieben. Die Natur und die Kunst sind treu, das ist ihre Kraft, aber sie sprechen nicht, sie sind nur da. –Nein –die Natur allein ist stumm, die Kunst ist die redende Natur. Der Menschengeist spricht nicht durch den Mund allein. Mir war's, als müßte die Maria Aegyptiaca plötzlich den Kopf wenden und zu mir sprechen: Kennst du mich jetzt?
Mir wurde wirr und bang.
Ich saß lang im Raphaelsaal wie in einer andern Welt, und das Schönste, was die Erde getragen und die Schöne, mit der die reinsten Augen es erfaßt hatten, umgab mich.
Ein beglückender Gedanke ging mir durch die Seele: durch die Kunst werden die Menschen zuerst frei, da geht ein zweites freudenschaffendes Leben an und –was noch größer –da ist ein höchstes Reich, da kann jeder eintreten, wenn er berufen: der arme Sohn des Volkes spricht: in diesen hohen seligen Räumen will ich und mein Geist wohnen –und er waltet hier ewig, in der freien Ahnenluft der Menschheit. Da ist Unsterblichkeit oder besser ewige Ungestorbenheit. Im Vaterhause der freien Kunstschöpfung ist unendlicher Raum und ewige Heimat. Hier tritt ein, wer selig gelebt hat.
Ich stand am Schloß. Die Fenster waren offen in den Zimmern, die ich einst bewohnte. Mein Papagei war noch da in seinem goldenen Käfig und rief: Pfüt di Gott! Pfüt di Gott! Meinen Namen setzt er nicht hinzu. Er hat ihn vergessen.
*
Ich sah seit Jahren zum erstenmal wieder eine Zeitung: sie lag vor mir auf dem Tisch. Ich konnte mich lang nicht entschließen, sie zu lesen: endlich that ich's doch. Da hieß es:
»Seine Majestät der König sind im Gefolge des Ministerpräsidenten von Bronnen (also Bronnen Minister), des Oberstallmeisters Grafen von Wildenort (also mein Bruder) und des Leibarztes, Geheimrats Doktor Sirtus (also mein hoher Freund Gunther ist auch tot), zu einer sechswöchentlichen Kur nach dem Seebad abgereist.«
Wie viel sagen mir diese wenigen Zeilen! Ich brauchte nicht weiter zu lesen. –Da stand aber doch noch:
»Ihre Majestät die Königin sind mit Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen nach Schloß Sommerburg übergesiedelt.«
*
Ich ging in der Stadt umher, stand an den Schaufenstern der Kaufläden und sah mir alle die Dinge an, die ich nicht mehr brauche. Da fand ich in einem Schaufenster meine Schnitzereien ausgestellt. »Das ist unsre Arbeit,« rief mein Pechmännlein, ging keck in den Laden, fragte nach dem Preis und von wem die Arbeit. Wir hörten einen hohen Preis, und der Kaufmann setzte hinzu: »Diese Kunstwerke –ja Kunstwerke nannte er sie –sind von einer halbwahnsinnigen Bäuerin im Gebirge.«
Ich sah mein Pechmännlein an. Er hatte entsetzliche Angst vor mir, und sein Blick bat mich, ich solle doch ja nicht da in der Fremde verrückt werden. In der That, er hatte wohl Grund zu dieser Angst, denn bei aller Selbstbeherrschung mag meinem treuen Geleitsmann mein ganzes Thun und Lassen nicht geheuer erschienen sein.
Ich habe mir einige kleine Gipsabgüsse von griechischen Gemmen gekauft; nun habe ich doch ewige Schönheitsmuster vor mir. Es war ein Kunststück, solche seltsame Dinge einzukaufen; ich wagte es auch nur in der Dämmerung.
Ich sah viele Gesichter, die ich kannte; aber ich schaute immer schnell weg. –Nur die gute Mamsell Kramer hätte ich gern angesprochen; sie ist alt geworden, sehr alt; sie trug ein Buch mit dem gelblichen Schilde der Leihbibliothek in der Hand –wie viel tausend Bände hat die Gute schon gelesen! Sie liest die Bücher weg, wie die Männer Cigarren rauchen.
Ich ging nach dem Hause des Leibarztes. Das Hofthor stand offen, es ist jetzt eine Fabrik darin. Die schönen Bäume sind gefällt.
Auf dem Haupte der Viktoria am Zeughaus saß eine Taube mit glänzendem Gefieder –ich sah die Figur ohne Augenglas ganz klar.
*
Der Abend brachte mir ein reines Glück, das reinste, das ich je empfunden und, wie ich glaube, noch je empfinden werde.
Im Theater wurde Mozarts Zauberflöte aufgeführt.
Ich ging hin mit meinem Pechmännlein. Wir saßen auf der obersten Galerie. Es waren wohl viele Menschen im Theater: darunter gewiß auch manche, die ich kannte. Ich sah niemand. Ich sah und hörte und schwebte nur im Zauber.
Mitternacht ist vorüber. Ich wohne mit meinem Pechmännlein in einem Fuhrmannswirtshaus; ich kann nicht zur Ruhe kommen, ich muß festhalten in Worten, was mir ward.
Mozarts Zauberflöte –das ist eine jener ewigen Schöpfungen, die im reinen Aether, im Jenseits aller Leidenschaft und alles Menschenkampfes steht. Ich habe oft gehört, wie kindisch dieser Text sei; aber auf dieser Höhe kann alle Handlung, alles Geschehen, alle Menschenerscheinung, alle Umgebung nur noch allegorisch sein. Die Schwere und Begrenztheit ist abgestreift, der Mensch wird zum Vogel, zum reinen Naturleben, er wird zur Liebe, wird zur Weisheit. Das Kindliche, ja das Kindische des Textes ist einzig naturgemäß; nur überreizte Menschen können das langweilig und geschmacklos finden.
Das ist das letzte dramatische Werk Mozarts und er erneut sein höchstes Wesen, all die Klangfülle in ihm wie in der Verklärung. Seine Einzelgestalten ziehen an ihm vorüber, werden neu, minder fest und charakteristisch, aber um so reiner und ätherischer. Es ist da im besten Sinne etwas Ueberirdisches, wie es in den Menschen und Dingen zerstreut waltet und klingt, aber hier gesammelt und gebunden ist.
Der Einzugschor der Priester ist der Marsch der Humanität und der Chor »O Isis« die sonnenhafte Friedensseligkeit. Hier ist das volle Paradiesesmärchen, ein Leben über der Welt, wohin nur die Musik emportragen kann, im freien, über allen Stürmen und Wettern erhabenen Aether. Ich habe stundenlang darin geschwebt, ich weiß nicht, wie ich wieder hernieder kam, und zahllose Gedanken umschwirren mich. In dieser Musik ist erhabene Ruhe, selbstbewußte, nichts von gedrückter Demut; da ist unverwelklich blühendes Leben, nein der Duft der reifen Frucht.
Mozarts letztes Werk hat einen Genossen in Lessings letztem Werk, in »Nathan der Weise«. Weit weg über die zerrissene kämpfende Welt schwingt sich da die Seele und lebt im reinen Jenseits, in der positiv gewordenen Frömmigkeit und Friedsamkeit, wo es nur noch ein Lächeln gibt für die Abquälungen der Menschen in ihrer Beschränktheit und Endlichkeit. Der große Hort des Menschentums ist nicht in eine Vergangenheit vergraben, er muß erst aus der Zukunft geschürft, gebildet und geschaffen werden.
In »Nathan« und »Zauberflöte« sind glänzende Stücke des Geschmeides; sie beweisen, daß die Seligkeit nicht ein Wahn, und wer in der wirklichen Welt die Ueberweltlichkeit nicht ahnend in sich trägt, der faßt das nicht.
Solche Stunden gelebt zu haben ist ewiges Leben.
Die drei Knaben singen gottesvolle Seligkeit. Wenn die Engel auf Raphaels Sixtina sängen –das wären ihre Weisen, in dieser Tonregion bewegten sich ihre Stimmen.
Das sind Klänge, die ich hören möchte in meiner Sterbestunde, so wonnig auflösend.
Wenn man nur die ungebrochene Fortsetzung solcher höchsten Wonnen der Empfindung haben könnte!
Ich saß nach der Oper lange im Park, rings um mich Nacht und Stille.
So vollgesogen von dieser Musik möchte ich hinausfliegen in meine Waldeinsamkeit und nichts mehr von der Welt haben und still vergehen; kein fremder Ton sollte mich mehr berühren und stören.
Ich mußte doch wieder in die Welt zurück.
Da sitze ich nun in später Nacht, die ganze Welt liegt in Ruhe und Selbstvergessen, ich bin wach in Ruhe und Selbstvergessen.
O ihr ewigen Geister, wer mit euch sein und aus seinem Leben auch nur einen einzigen Klang, ein Wort hineinsprechen könnte in die Unendlichkeit! Dort in der Galerie schauen Augen, ewig offen, auf die kommenden und gehenden Geschlechter und hier klingen Harmonien und tönen nie verhallende Worte ...
O ihr gebenedeiten Geister, die ihr aus der Kunst die zweite Welt schafft! Die Welt, wie sie ist, verwirrt uns. Ihr durchklärt sie. Ihr seid die seligen Genien, die der Menschheit fort und fort im goldenen Kelch den Wein des Lebens bieten, und er erschöpft sich nie, so viele Millionen auch daraus trinken.
Ich verlasse tief schmerzlich dies schimmernde und klingende Reich der Farbe und des Klanges. Das allein entbehre ich.
*
Nur noch die letzte Station.
Wir wanderten nach der Sommerburg. Am Gitter des Parkes gingen wir hin und her. –Ich sah die Hofdamen oben bei der Kapelle unter der Hängeesche auf den zierlichen Stühlen sitzen und sticken. Ach, wie manche sitzt dort und ist nicht besser als ich, und sie scherzt und lacht und ist glücklich und geehrt. Das ist unser Elend, immer betäuben wir uns und sagen: Sieh dich um, andre sind nicht besser als du.
Jetzt erhoben sie sich und machten ihre Verbeugung. Das Gitterthor wurde geöffnet, die Königin fuhr heraus, neben ihr saß der Prinz. Sie schaute mich und das Pechmännlein an und grüßte. Mir vergingen die Augen.
Ich weiß nicht –sah ich recht? Die Königin sieht heiter aus.
Der Prinz ist ein schöner Knabe geworden, er hat gehalten, was das Kind damals in der Wiege versprach.
Mein Pechmännlein unterhielt sich mit dem Steinklopfer am Weg. Der lobte die Königin gar sehr und ihr einziges Kind, den Kronprinzen. Also hat sie nur ein einziges Kind –
Ich war so müde; ich mußte mich am Wegrain niedersetzen. Da saß ich nun am Weg, wo ich einst stolz vorüber fuhr. Immerhin! Es ist gut, daß es so ist.
Mein Pechmännlein war glückselig, als ich ihm sagte: Jetzt geht's wieder heimwärts. Es mußte ihm doch bange um mich geworden sein; er mußte sich still denken: die Leute haben nicht so unrecht, die da behaupten, daß es mit ihr nicht ganz richtig sei.
Die mich nicht sehen, halten mich für tot, und die mich sehen, für verrückt.
Ich war fest entschlossen, wenn ich entdeckt würde, dem König und der Königin alles frei zu sagen und wieder still in mein Asyl zurückzukehren.
Jetzt ist es besser so.
*
Als ich wieder an unsern Berg kam und die ersten Schritte hinan ging, da fragte ich mich: Ist das deine Heimat? Und doch –diese Abwesenheit macht mir sie zur neuen Heimat. Ich lebe hier ein wirkliches Leben.
Es ist mir ein Stein vom Herzen, daß ich das nun aufgezeichnet habe. Es schwindelte mir oft, als stehe ich an einem Abgrund, während ich schrieb. Aber ich bleibe fest. Ich sehe diese Blätter nicht mehr an.
Nun wieder die Hände fleißig gerührt und keine Reuegedanken mehr im Kopf! Die nächste Minute ist unser, die jetzt rinnende kaum mehr und die vergangene gar nicht.
Es wartet viel Arbeit auf mich. Das ist gut. Und meine Walpurga und die Kinder sind ganz glückselig, daß ich wieder da bin.
*
Während ich fort war, hat Walpurga mein Zimmer blaßrot färben lassen, geschmacklos und ich muß doch dankbar sein. Sie glaubte auch, daß ich nicht wieder käme.
Ich könnte diese Menschen jeden Tag verlassen, und sie sind doch meine ganze Welt. Ist das so, wenn ich einmal die Welt ganz verlassen werde?
*
Mit Mut die Welt entbehren –ich glaube, ich habe das Wort einmal gelesen; jetzt verstehe ich's, ich habe es aus mir, ich bin in der Ausführung. Nicht verzagt, nicht traurig. Mit Mut.
*
Ich bin nicht mehr traurig, eine stille Sättigung in Entsagung macht mich frei.
Wenn ich hineinsehe in das Leben –wozu all das Mühen und Kämpfen und all diese Schranken bis zur letzten Schranke, bis zum Tod? Die Helden in der großen Geschichte und mein Pechmännlein –sie haben nichts voreinander voraus. Niemand hat ein ganzes, klares, reines, erfülltes Schicksal.
Mein alter Jochem betete täglich, oft stundenlang, und dann schimpfte er wieder auf die Menschen und auf sein Schicksal; und ich sah vornehme Frauen, die in Beethovenscher Musik schwelgten und schwärmten und gleich darauf gemein zankten.
Es geht mir immer nach: mit Mut entbehren. Dank dir, guter Geist, für dies Wort, wer du auch seiest. Den Tag leben und sich ihn nicht trüben lassen, weil wir wissen, daß es Nacht wird. Mit Mut entbehren –das ist alles.
Ich hätte nie geglaubt, daß ich ohne Glück, ohne Freude leben könnte. Jetzt sehe ich doch, ich kann's. Glück und Freude sind nicht die Bedingungen meines Lebens.
Es liegt in unsrer Macht, die Seele heiter zu stimmen; ich meine ruhig, klar.
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Wie viele Jahre sind es doch, welche die Hermione des Wintermärchens verborgen blieb? Ich weiß es nicht mehr.
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Mir fallen jetzt immer bei der Arbeit die Weisen und Klänge, die Einzelgesänge und großen Gesamtstücke und die begleitenden Instrumente aus Mozarts Zauberflöte ein. Sie umtönen mich aus der stillen Luft und tragen mich.
Vor allem der Zuruf: Sei standhaft! mit den drei kurzen Noten D E D und dem darauf folgenden Trompetenstoß erklingt mir immer und ist mir wie ein geistiges Wachsignal. Die höchsten Lehren sollten nur in Musik gegeben werden. Das dringt ein und haftet. Sei standhaft! ...
*
Ich entwirre wieder am Rätsel des Lebens.
Der Mensch darf nicht alles thun, was er kann, wozu es ihn treibt; sobald er ein Mensch ist, muß er die Grenze seines Rechts erkennen, bevor er an die Grenze seiner Macht gelangt.
Wie oft wurde dort am Hofe der Spruch erörtert: Recht geht vor Macht! Ich habe die Redensart im heißen Denken wieder eingeschmolzen und neu geprägt.
Schön ist die Sage vom Paradies. Da sind die Menschen hingesetzt, alles ist ihnen gestattet, soweit ihre Kraft reicht, ein einziges nicht –und die Frucht lockt. Aber das Paradies ist nicht. Das Tier allein hat das, was man Paradies nennt; es thut, was es vermag. Sobald ein Verbot da ist, und der Mensch als sittliches Wesen muß ein solches kennen, da ist kein Paradies mehr, keine volle Freiheit.
Ich meine so: durch Ueberschreiten der Grenze kommt das Selbstbewußtsein. Es ist das Genießen vom Baume der Erkenntnis. Von da an bereitet sich dem Menschen sein Genuß nicht mehr von selbst, er muß ihn schaffen, aus sich, aus der umgebenden Welt, da beginnt sein Ringen mit der Natur und mit sich, sein Leben wird zur That. Die Arbeit ist die zweite Schöpfung, die Arbeit an sich selbst und an der Welt.
Mein ganzes Denken ist mir, als wäre es ein Lallen und Stottern am großen Worte der Erkenntnis.
Ich sehe jetzt die kleine Welt, die um mich ist, und die sogenannte große, die ich noch in Erinnerung habe, wie durchsonnt.
Die Schranken erkennen, die Notwendigkeit des Gesetzes, das ist Freiheit. Ich bin frei.
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Ich habe recht gethan, daß ich wieder in der Welt war; oder finde ich nur, daß ich recht gethan, weil ich es als wohlgethan empfinde? Ich bin seitdem freier, ich bin nicht die arme Seele, die sich wieder hinabgesehnt hat auf die Welt, und ich lebe nicht in einer Hölle. Ich könnte wieder in die Welt zurückkehren, ohne mich vor ihr zu fürchten. Ich kann jetzt frei entbehren und ich entbehre kaum mehr. O wie eingebildet, daß wir glauben, die andern bedürfen unser. Ich bedarf auch keines andern mehr.
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Es wird eine Telegraphenleitung an meiner Waldaussicht vorbeigezogen. Da geht nun das große Weltgetriebe an mir vorüber. Ich sehe die Männer an den hohen Stangen auf den Leitern die Drähte aufwinden.
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Walpurga sagt, meine Stimme klinge jetzt so rauh; ich fühle aber keinen Schmerz. Es kommt wahrscheinlich davon, weil ich so wenig spreche; oft tagelang kein Wort. Ich trinke diese kühle, reine Luft jeden Morgen wie einen Labequell und das Blau des Himmels ist hier oben viel intensiver.
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Der Leibarzt sagte mir einmal mit Recht, ich sei eine unrhythmische Natur. Wäre ich's nicht, jetzt würde ich mein innerstes Leben in melodische Worte fassen –meine Gedanken haben eigentlich nur in Versen ihre rechte Heimat, so voll, so selig, so erlöst ist es in mir.
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Hansei ist nun doch schon lange im Besitz, aber er hat noch immer neue Dankbarkeit für alles: daß er schöne Kühe kaufen kann, daß er schöne Schellen anschafft, das alles macht ihn glücklich, und diese Dankbarkeit im Glück gibt seiner rauhen Außenseite eine innere Weichheit.
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(28. August.) Nach langen sonnenlosen Tagen mit scheintoter Seele nun heut diese klare Himmelsheiterkeit über den beschneiten Berggipfeln, auf den saftgrünen Vorbergen und Thalgründen –ich möchte hinaus und frei schweifen im All; aber ich bleibe sitzen und arbeite, meine Arbeit ist mir treu geblieben in trüben Tagen, ich bleibe ihr treu in hellen. Nur zum Feierabend will ich wandern.
Heut ist Goethes Geburtstag, Ich glaube, Goethe wäre mir freundlich gewesen, wenn ich in seiner Zeit und Umgebung gelebt hätte.
Es ist doch schön, daß wir die Stunde wissen, wann er geboren wurde. Es war um Mittag. Ich schreibe das in dieser Stunde, sein gedenkend.
Was er mir wohl für mein verlorenes Leben geraten hätte?
Ist es ein verlorenes? –Es ist nicht verloren.
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Das war ein Siegesjubel: Franz ist als Held vom Schützenfest heimgekommen. Er hat den besten Gewinn, einen schönen Stutzen. An unserm Haus prangt nun die vielfach zerschossene Schützenscheibe.
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Solch ein im Herbst fallendes Blatt –wie viele helle Sommertage und laue Nächte führten sein Wachstum herbei, und was ist es, da es am Baum hing, und jetzt, da es abfällt?
Und was ist das Ergebnis eines ganzen Menschenlebens, auf wenig Sätze zurückgeführt?
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Wie hoch liegt unser Hof über dem Meeresspiegel? Ich weiß es nicht, und mein Hansei würde lächeln, daß man nach so etwas fragen kann. Man thut auf dem Fleck, wo man lebt, seine Schuldigkeit. Wie das ausmündet ins Ganze, in das große Meer auf der Erde und der Geschichte der Menschheit? Das fügt sich ohne unser Zuthun ein. Der Bach treibt die Mühle und wässert die Wiese auf seinem Lebensweg, bis ihn das Meer verschlingt, und von dort kommen die Wolken und die Wetter wieder heran und nähren den Bach.
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Mit allem, wozu ich erwachsen bin, was ich im Lauf der Jahre gelernt, geübt, gethan, gedacht habe, komme ich mir doch immer wieder wie ein Block Holz vor –ich weiß noch immer nicht, was aus mir wird. Wer macht mich zu etwas? Ich muß es selbst.
Ich habe eine schöne Arbeit bekommen, eine Arbeit, die bleibt, die nicht wandert und mich beständig freut, eine Arbeit für unser Haus. Schon bei dem Neubau am Wohnhaus habe ich in Gemeinschaft mit dem Zimmermeister dem Wohnhaus eine bessere Symmetrie gegeben; die Laube, die rings ums Haus läuft, hat eine freiere Bedachung bekommen und die Bretter am Geländer angenehme Formen.
Nun hat Hansei oft davon gesprochen, welch eine schöne Alm aus seinem Holzschlag wird. Gestern kam er heim und sagte:
»Ich hab's! Ich lasse an der Berglehne die Bäume schlagen, und da hab' ich vier schöne Stämme stehen lassen, just im Viereck, und da wird eine Almhütte hingebaut, und dann haben wir wieder eine eigene Alm; der Hof kann ohne eigene Alm nicht zurechtkommen. Es ist freilich weit, wohl zwei Stunden Wegs ist's hinauf, aber wir sehen die Waldlichtung von hier.«
Er ist ganz glückselig, daß er das zu stande bringt.
»Und denke dir,« sagte Hansei, »jetzt, wo man den vorderen Wald geschlagen hat, jetzt sieht man weit, gar weit, man sieht unsern See von daheim. Es ist freilich nur ein kleiner glitzeriger blauer Fleck, aber das sieht einen doch so freundlich an wie ein treues Auge von daheim, das einen von Jugend auf kennt. Es war doch schön daheim! Aber es ist noch schöner hier, und wir wollen nicht sündigen.«
Ich habe nun Zeichnungen für unsre Alm gemacht. Mein Pechmännlein ist ganz geschickt, alles zu schneiden. Wir zimmern und sägen für unsre Arche Noah und sind lustig wie Lehrburschen.
Ich meißle auch zum erstenmal einen lebensgroßen Pferdekopf für den Dachgiebel.
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Ich war mit Hansei droben, wo wir die neue Alm bauen.
Mir ist heut nach dem erfrischenden Berggang, als hätte ich den Anfang alles Weltlebens miterlebt: neuer Weg, neues Wohnhaus, wo nie ein Mensch vordem daheim war. Ich meine, ich habe nichts mehr zu erleben; mir ist so frei, als wäre alle Erdenschwere von mir abgelöst.
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Am Morgen nach einer großen Anstrengung, einem ermüdenden Berggang erwachen. Die Müdigkeit ist verflogen und nur die Erfrischung ist noch da und dazu das Gefühl der Erprobung: du hast Spannkraft, du kannst dir etwas zumuten. Und ringsumher grüßt dich dein vergangenes Leben, das du eine Weile verlassen hattest, indem du nichts mehr besaßest, als dich allein –ich kann mir die Friedsamkeit derer denken, die sich das Erwachen zum ewigen Leben so vorstellen können.
*
Nichts ist droben in der Almhütte, alles noch kahl, nur in der Ecke hängt das Bild des Heilands und wartet einsam auf die Menschen, die da kommen werden. Es ist und bleibt ein Segen für die Menschheit, daß sie das Bild eines reinen Menschen hat, das sie in die Einsamkeit und auf die Berge tragen kann. Eine ganze höhere Kultur, eine große Geschichte nimmt damit Besitz von der neuen Welt.
Wenn nur auch die reine Erkenntnis des reinen Geistes sich daran schlösse.
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(Oktober.) Jetzt, da es Winter werden will, muß ich immer an die einsame Almhütte droben denken. In meinen Träumen bin ich immer dort, allein, und erlebe Wunderbares. Ich meine, ich muß nächstes Frühjahr hinaufziehen. Einen ganzen Sommer lang nur mit Pflanze und Tier, mit Berg und Bach, mit Sonne, Mond und Sternen –ich meine, erst wenn ich das gelebt, habe ich ganz gelebt.
Bist du denn noch nicht gesättigt und begnügt, du unersättliches, unbegnügtes Herz? Immer wieder Sehnsucht nach etwas anderm. Was ist das?
Ich muß Ruhe haben. Ich will.
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Wer, um glücklich zu sein, nichts zu haben braucht, als sich selbst, der ist glücklich.
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Hier bin ich wieder ein erster Mensch.
Ein Mensch für sich ist rein, unbefleckt, und aus ihm kommt die Welt. Hier liegt ein Geheimnis. Ich will's nicht nennen.
Es macht mich glücklich, daß ich noch höher hinauf soll, noch höher in die Berge, noch mehr Einsamkeit, noch stillere. Es ist mir, wie wenn mich dort etwas riefe –es ist keine Stimme, es ist kein Klang, ich weiß nicht, was es ist, und doch ruft's mich, zieht's mich, lockt's mich, komm, komm! Ja, ich komme.
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Ich weiß, daß ich nicht sterbe. Eher zweifle ich, daß ich lebe. Die Welt ist kein Rätsel mehr.
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Vom Berge aus überschaue ich, wem ich Leid angethan in meinem Leben: Dir, mein Vater, und dir, meine Königin, und am meisten mir.
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Von allen Dingen der Welt rächt sich die Unwahrheit am meisten. Damals, als ich dem König aus dem Kloster schrieb, pochte ich auf meine Wahrhaftigkeit und war doch durch und durch unwahr. Ich wollte eine That der Freiheit bewirken und eigentlich wollte ich ihm nur schreiben und mit meinem Freiheitsgefühl schön erscheinen. Ich war stolz, daß ich der Alltagsmeinung widersprechen konnte, und eigentlich wollte ich damit vor ihm glänzen als seine starke Freundin. Er hat meine Mahnung abgelehnt und doch war ich's, die die Klöster wieder aufschloß.
Die Unwahrheit rächt sich.
Nur wo man ganz wahr ist, ist Reinheit und Freiheit.
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Wenn ich nur die Wonne in Worte fassen könnte, die heut beim Sonnenuntergang mich durchzog. Jetzt ist Nacht, und so gewiß die Sonne mir ins Antlitz leuchtete, so gewiß leuchtet ein Sonnenstrahl in mir. Ich bin ein Strahl aus der Ewigkeit. Was sind da Tage und Jahre? Was ist da ein ganzes Menschenleben? –
*
Ich wußte nicht recht, was ich wollte, warum ich aus aller Gegenwart heraus immer ruhelos und sehnsüchtig nach der nächsten Stunde, dem nächsten Tag, dem nächsten Jahre ausschaute, etwas davon hoffte, was ich nicht finden kann. Aber auch die Liebe war's nicht, sie sättigt nicht. Ich wollte im Augenblick leben, und konnte es doch nicht. Es war mir immer, als riefe mich etwas, als warte etwas draußen vor der Thür. Was war's denn?
Jetzt weiß ich's. In mir sein wollte ich, mich fassen, mich in der Welt und die Welt in mir.
*
Der Eitle ist der eigentlich Einsame. Er hat immer eine Sehnsucht, gesehen, verstanden, erkannt, bewundert, geliebt zu werden.
Ich könnte darüber jetzt viel sagen, denn ich bin selbst einmal eitel gewesen. Erst in meiner wirklichen Einsamkeit habe ich die Einsamkeit der Eitelkeit überwunden.
Es genügt mir, zu sein.
Wie weit ab liegt da alles Scheinen!
*
Jetzt verstehe ich die That meines Vaters. Er wollte mich nicht strafen, er wollte mich nur wecken, zum Bewußtsein meiner selbst bringen, und das Bewußtsein erlöst, lehrt anders werden.
*
Ich verstehe die Aufschrift in der Bibliothek meines Vaters:
»Wenn ich allein, bin ich am wenigsten allein.«
Ja, im Alleinsein kann man sich am besten und reinsten versenken ins Allsein. Ich habe gelebt und erkannt. Ich kann sterben.
*
Wer eins in sich ist, ist alles.
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Was die Leute sagen werden –in diesen Worten liegt die Tyrannei der Welt, die ganze Entwendung unsres Naturells, der Schielblick unsrer Seele. Diese fünf Worte herrschen überall. Auch Walpurga steht unter der Herrschaft dieses Tyrannen, während Hansei einen ganz andern Halt hat, den einzig richtigen –er weiß es nicht, wie der Leibarzt, aber er handelt ganz so wie dieser.
Der Mensch hat die einzige und erste Pflicht, die Ruhe in seiner Seele zu wahren. Was draußen ist, jenes entsetzliche »Was die Leute sagen werden?« hat ihn nicht zu kümmern. Diese Frage macht die Seele heimatlos. Thue recht und scheue niemand, du kannst sicher sein, daß du bei aller Rücksichtnahme auf die Welt doch die Welt nie zufrieden stellst. Wenn du aber deinen Weg gerade fortgehst und dich nicht um freundliche oder unfreundliche Blicke der Menschen kümmerst, dann hast du die Welt besiegt, sie ist dir unterthan. Mit der Frage: »Was werden die Leute sagen?« bist du ein Unterthan der Welt.
*
Ich glaube jetzt zu wissen, was ich that. Ich habe keine Barmherzigkeit gegen mich selbst. Hier mein volles Bekenntnis:
Ich bin in Sünde verfallen –nicht gegen die Natur, nur gegen die Weltordnung. Ist das eine Sünde? Da drüben steht der Wald von hochstämmigen Fichten. Je höher der Wipfel steigt, umsomehr stirbt das Gezweige unten ab, es erstickt. Der Baum im geschlossenen Wald, in Schirm und Schutz der Gemeinschaft, lebt sich nicht aus in allen seinen Auszweigungen.
Ich wollte mich ausleben und doch im Wald stehen, in der Welt, in der Gemeinsamkeit. Wer sich ganz und voll ausleben will, darf nur einsam sein. In der Gemeinsamkeit der Welt sind wir als Menschen sofort keine Naturgeschöpfe mehr. Natur und Sitte sind gleichberechtigt und müssen zum Friedensschluß miteinander gebracht werden. Und wo zwei Gleichberechtigte sind, kann kein einzelnes sein volles Recht ausleben, es muß Konzessionen machen.
Hier liegt meine Sünde.
Wer als Natur allein leben will, muß aus dem Schutz der Sitte ausscheiden. Ich wollte das eine und das andre nicht ganz. So bin ich zerbrochen und zerstückt.
Mein Vater hatte recht mit seiner letzten That. Er rächte das Sittengesetz, das ebensogut menschlich ist, wie das Naturgesetz. Die Tierwelt kennt nicht Vater, nicht Mutter, sobald das Junge selbständig ist. Die Menschenwelt kennt sie und muß sie heilig halten.
Das alles ist mir nun klar. Ich leide und büße gerecht. Ich war eine Diebin, ich stahl das höchste: Vertrauen, Liebe, Ehre, Ansehen, Glanz.
Wie vornehm und erhaben erscheinen sich die zarten Seelen, wenn ein armer Schelm gestohlen hat und dafür ins Zuchthaus kommt. Was sind aber alle Besitztümer, die mit der Hand gestohlen werden können, gegen die unfaßbaren?
Es sind nicht immer die schlechtesten Menschen, die vor Gericht stehen.
Ich bekenne meine Sünde und büße ehrlich dafür.
Daß ich heuchelte, daß ich verleugnete und beschönigte, was ich als Naturrecht wollte gelten lassen, das ist meine todeswürdige Sünde und für sie büße ich. Gegen die Königin habe ich die höchste Sünde begangen. Sie ist für mich die Vertreterin der sittlichen Weltordnung, die ich verletzte und doch genießen wollte.
Dir, meine Königin, dir, du Holde, Gute, Schwergekränkte, dir beichte ich dies alles.
Wenn ich vor dir sterbe –und ich hoffe das –sollen diese Blätter dir, Königin, übergeben werden.
*
Wir können nicht ganz Natur sein. Wer seinem Naturgesetz folgt, hat keinen Anteil an der geschichtlichen Welt, kein Erbe; für ihn hat niemand vor ihm gelebt, ihm das Dasein vorbereitet, mit ihm ist seine ganze Natur geboren und mit ihm stirbt sie. Wer dem Naturgesetz allein folgt und sich einredet, der thue damit recht, der ist ein Menschheitsleugner; er leugnet, daß es eine Geschichte der Menschheit gibt, die nicht er allein repräsentiert, sondern die vor ihm war, außer ihm ist. Der Menschheitsleugner ist trotz allen Firnisses doch nur der Wilde, er steht draußen, alles was er von Bildung übt und trägt und genießt, hat er gestohlen; er dürfte kein Lied singen, als das ihm selbst in der Kehle liegt, wie dem Vogel das seine; der bringt sein Gefieder und seinen Gesang mit, hat kein besonderes Kleid und keinen besonderen Ton, alles in ihm ist Gattung, alles Naturgesetz.
Darin allein liegt Wahrheit.
*
Und über aller Gerechtigkeit und aller Verpflichtung steht die Liebe, die den Geliebten und das eigene Selbst der reinen Entfaltung ihres Wesens zuführt.
Wehe, wer die göttliche Sendung der Liebe entweiht.
*
Auch das Geschick meines Vaters ist mir nun klar.
Er wollte für sich leben, sich vervollkommnen, und er hatte doch Kinder in der Welt und verlangte die Liebe und Anhänglichkeit dieser Kinder. Er starb an der entsetzlichsten Folge seines Lebens. Darum bin ich aber nicht unschuldig, und er hat recht an mir gehandelt.
Ich will mich in nichts und vor niemand beschönigen. Ich will wahr sein bis an die äußerste Grenze. Das ist mein Glück und mein Stolz.
*
Nur was du in dir bist, bestimmt deinen Wert, nicht was du hast.
*
Ich habe das Zentrum meiner Seele gefunden.
*
In diesen Tagen ist es mir immer und kommt mir, ich weiß nicht woher, der Gedanke, die entsetzliche Strafe meines Vaters sei gar nicht geschehen, er habe sie nicht vollzogen, alles sei nur Einbildung meiner Phantasie, meine Seele habe vorausgeträumt, daß ich das verdiente.
Woher kommt das plötzlich und verläßt mich nicht?
Ich weiß, ich weiß. Was auch geschehen ist, es ist gesühnt. Es gibt eine Erneuerung des Lebens, eine Erlösung aus uns heraus. Sie ist mir geworden, ich fühle es, ich bin frei, ich kann zurückkehren in die Welt und die Binde von meiner Stirne lösen.
In die Welt? Was ist denn die Welt? Ich habe die Welt hier bei mir, in mir, und ich bin in der Welt und die Welt ist in mir. Ich bin.
*
Heute zum erstenmal habe ich wieder gesungen. O, wie wohl mir das that. Niemand hörte mich als ich allein.
Kein Vogel singt für sich, er singt seinem Lieb. Der Mensch allein singt für sich und denkt für sich und hat sich allein in sich.
*
Die Morgenstille war mir stets so lieb, jetzt setzt sich mir die Morgenstille den ganzen Tag fort.
*
Der Bach drüben rauscht oft plötzlich so laut, der Wind faßt ihn unversehens und trägt die Schallwellen zu mir.
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(Bei der Arbeit.) Wenn der Stoff spröde ist, lernt man aus der Not eine Tugend machen. Ich komme oft auf Verästelungen, die neue Schönheiten oder Verunstaltungen bedingen. Ich bringe aus einem Stück Holz oft Züge, die ich nicht wollte, und die ich wollte, werden ganz anders, weil eben das Stück Holz auch Herr ist, nicht bloß meine Hand. Der gebenedeite Nothelfer Firnis deckt Tugend und Fehler.
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Wir machen nichts; wir bilden, wir entdecken nur, was für sich schon da ist, aber ohne unsre Handreichung sich nicht aus dem gestaltlosen Chaos lösen kann.
Ach, ich meine, ich verstehe jetzt die ganze Welt und alle Kunst und Arbeit. Ich fühle mich so im Unendlichen gesättigt.
Ich weiß jetzt, wo der ganze Zwiespalt zwischen dem Denken im großen und dem Leben im kleinen liegt.
Hansei, Walpurga, der König, die Königin, der Leibarzt, Emmy –was sind sie? Tropfen im Meer der Menschheit. Ich vergesse sie, ich denke mich ins Ganze. Das löst die Liebe zum einzelnen auf, das Begehren und Genießen hört auf, aber auch alle Leidenschaft, alles Herzeleid.
Und was bist denn du? Was bleibt denn an dir? Das Ganze, das Große, das All können wir erkennen, das Einzelne müssen wir lieben, du kannst nur das Nächste lieben, und das Nächste zu dir ist Gott, der große Gedanke des Weltgesetzes.
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Walpurga ist jetzt so besorgt um mich; sie kommt oft und es ist, wie wenn sie etwas sagen wollte, sie sieht mich so seltsam an und bleibt doch still. Sie kommt immer wieder darauf zurück; wie schön es droben auf der Alm sei und wie ich da so ruhig und glücklich sein werde. Sie möchte, daß jetzt die Berge schon vom Schnee befreit wären, sie will mich fort haben und sagt, ich würde gesund werden. Und ich fühle mich doch nicht krank. Sie sagt immer: Du siehst so glanzig aus.
Kann, sein, daß etwas aus mir glänzt, weil ich gar so ruhig, fertig abgeschlossen von der Welt bin. Ich könnte jetzt nichts mehr von der Welt fürchten, ich könnte wieder unter den Menschen leben, ich fühle mich frei, mich verletzt nichts mehr.
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Ich habe ein Verlangen, noch einsamer zu sein. Finde ich da droben noch tiefere, verschlossenere, lautlosere Einsamkeit? Ich meine immer, es ruft mich, ein Wort ruft mich: mutterseelenallein. O du gebenedeite deutsche Sprache.
Welch ein Segen ist es, daß ich den ganzen Reichtum meiner Muttersprache mühlos mit mir trage; und wenn es sprudelt aus allen Orten und Enden des Denkens, ich immer ein Wortgefäß habe, um es unterzustellen und die Gedanken aufzufassen. Ich meine, ich muß immer sprechen und schreiben und jubeln über diesen Besitz und könnte gar nicht enden. Ich breche ab. Die geheimnisvollsten, traumhaften Gedanken sind wie der Vogel auf dem Zweig: er singt, sieht er aber dein Auge, das ihn beobachtet, so fliegt er davon.
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Ich erkenne jetzt genau die Jahreszeit, ja oft auch die Stunden daran, wie die Sonnenstrahlen des Morgens zuerst in meine Stube und auf meine Werkbank fallen, besonders mein Meißel vor mir an der Wand ist mein Zeiger.
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Jetzt rieselt's in Frühlingsschauern durch die Bäume –so ist's in mir. Mir ist, als müßte ich noch eine neue Wonne erleben. Was ist's? Ich will still warten.
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Mir ist so wundersam, als würde ich mit dem Stuhl auf dem ich sitze, hinweggehoben und fliege, fliege und weiß nicht wohin.
Was ist das? Ich fühl's, ich lebe in der Ewigkeit.
Und alles strömt mir zu, das Sonnenlicht und der Sonnenglanz, Waldesrauschen und Waldesluft und alle Menschen aller Zeiten, aller Formen –Alles ist bei mir schön, so durchsonnt.
Ich bin.
Ich bin ein Gott.
Wenn ich nur jetzt sterben dürfte in diesem wonnigen Schweben, in dieser Erlösung und Auflösung.
Aber ich will noch leben bis meine Stunde kommt.
Komm, du dunkle Stunde, wann du willst, du bist mir licht!
In mir ist Licht, ich fühle es. O ewiger Geist aller Welten, ich bin eins mit dir!
Ich bin gestorben und ich lebe –ich werde sterben und ich lebe.
Alles ist verziehen und ausgelöscht –es war Staub auf meinen Flügeln –ich schwirre hinauf zur Sonne, ins All, in die Unendlichkeit. Singend werde ich sterben, singend und die Seele so voll!
Genug.
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Ich weiß, ich werde wieder trüb sein, schwer, mich mühsam fortschleppend; aber ich schwebte einmal in der Unendlichkeit, ich fühlte einen Strahl aus ihr in mir –ich werde ihn nie mehr verlieren.
Jetzt möchte ich doch in ein Kloster gehen; in einer stillen Klause, von der Welt nichts wissend, in mir fortleben dürfen, bis der Tod mich fordert. Aber es soll nicht sein. Ich soll frei leben und arbeiten, leben mit meinen Nebenmenschen und für sie arbeiten.
Das Werk meiner Hände und meiner Einbildungskraft gehört euch; aber was ich in mir bin, ist mein und mein allein.
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Ich habe Abschied genommen von allem hier, von meiner stillen Stube, von meiner Sommerbank –ich weiß nicht, ob ich wiederkehre; und wenn ich wiederkehre, wer weiß, ob mir nicht alles fremd geworden.
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(Letztes Blatt, mit Bleistift geschrieben.)
Wenn ich gestorben bin, so bitte ich mich so zu begraben: In ein einfaches Leintuch gehüllt in einem ungehobelten Sarg und in die Erde gesenkt unter dem Apfelbaum am Weg nach meinem Vaterhaus.
Man zeige meinem Bruder oder sonstigen Verwandten sofort meinen Tod an; sie sollen mich dort am Weg begraben lassen.
Mein Grab soll kein Stein bezeichnen, kein Name.