Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Dritter Band
Berthold Auerbach

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Sechzehntes Kapitel.

Der König kam von der Jagd zurück. Das mutige Wandern über die Berge hatte ihn erfrischt und dazu trug er ein neues Gedankenleben in der Seele.

Er hatte bereits alles erfahren, was am See vorgegangen. Das ist nun abgethan, man kann sich nicht mit Vergangenheiten schleppen.

Er erfuhr, daß die Königin seit der Schreckensnachricht ihre Gemächer nicht verlassen hatte. Er ließ den Leibarzt rufen. Dieser erstattete ihm Bericht über das Befinden der Königin, und empfahl noch große Schonung.

Der König glaubte in Wort und Ausdruck des Leibarztes eine noch strengere Zurückhaltung als sonst zu bemerken; er hätte ihn gern gefragt, was die Königin denke, wie sie sich das traurige Ereignis zurecht gelegt und überwunden habe; aber es war ja die Pflicht des Arztes, ihm das von selbst zu berichten. Endlich entschloß sich der König zu fragen:

»Ist die Königin auch im Gemüt ruhig?«

»Schön und edel wie immer,« erwiderte der Leibarzt.

»Hat sie in diesen Tagen etwas gelesen? Hat sie den Oberhofprediger rufen lassen?«

»Ich wüßte nicht, Majestät.«

Zum erstenmal war dem König die sonst so bequeme Hofordnung zuwider.

Der Leibarzt sollte von selbst sprechen, viel erklären, und nun gab er nur Antwort auf das, was er gefragt wurde, und selbst diese Antworten waren so knapp.

»Sie haben auch Schweres erlebt – Sie haben in Graf Eberhard einen alten Freund verloren,« sagte der König.

»Der Tote ist mir noch geblieben, wie mir der Lebende war,« erwiderte Gunther.

Der König war im Innersten voll Zorn. Er hat sich dem Manne so freundlich nahe gestellt, hat sich nach einem Ereignis aus seinem Privatleben erkundigt, und er bleibt noch immer bei aller angemessenen Form so verschlossen und ablehnend.

Ein alter Widerwille gegen den Mann, der inmitten des bewegten Lebens stets etwas Unbewegliches hatte, erwachte wieder im König. Er entließ den Leibarzt mit huldvoller Handbewegung, aber als er wegging, starrte er ihm finster nach.

Eine Erkenntnis, die ihm die Wange glühend machte, bestimmte ihn zu einem andern Verfahren. Es ward ihm klar, wie das Grundwesen seines Vergehens darin bestanden habe, daß ein drittes zwischen ihn und seine Gattin gestellt war. Das sollte nicht mehr sein, auch in der besten Weise nicht. Er wollte den Arzt nicht weiter ausforschen über Denken und Empfinden seiner Gattin, unmittelbar und allein soll sie ihm alles sagen. Er fühlte die tiefe Neigung zu ihr und wußte, daß er ihrer aufs neue würdig sei, denn er hatte so vieles in sich überwunden.

Der König ließ die Oberhofmeisterin zu sich entbieten. Seit dem traurigen Ereignis hatte der König nur Männer vor sich gesehen, vor denen derartiges leichter zu nehmen, ja kaum zu berühren ist; jetzt stand ihm zum erstenmal wieder eine Frau vor Augen, und zwar eine solche, die mit der Orthodoxie der Hofformen einen edlen Geist verband. Der König war haltungsvoll gegen die Oberhofmeisterin, während im Innersten sein Herz zitterte.

»Wir haben Schweres erlebt,« sagte er ihr.

Die Oberhofmeisterin wußte mit geschickten Wendungen über alles Geschehene hinwegzugehen und jede Erörterung des Königs abzulenken, denn es ist durchaus ungehörig, daß die Majestät sich rechtfertige oder gar sich schwach und betroffen zeige, und es ist Pflicht der nächsten Umgebung, alles Unangenehme und Scharfe mit Anstand abzuglätten.

Der König verstand diese sorgfältige Wendung. Er fragte, ob die Oberhofmeisterin in diesen Tagen oft bei der Königin gewesen und wer jetzt den Dienst habe. Gräfin Brinkenstein erzählte, daß sie nur einmal bei der Königin gewesen, die ihr einen Wunsch in Bezug auf Se. Königliche Hoheit den Kronprinzen ausgesprochen habe.

»Ja, wie geht's dem Prinzen?« fragte der König. In diesen ganzen Tagen hatte er kaum an seinen Sohn gedacht, und es durchzuckte ihn wie ein neues Bewußtsein, daß er einen Sohn habe.

»Vortrefflich,« erwiderte die Oberhofmeisterin, und nannte die Hofdamen und die Kammerherren, die jetzt Dienst bei Ihrer Majestät der Königin hatten. Niemand hatte sie in diesen Tagen gesehen, nur die Kammerfrau Leoni war stets bei ihr und der Leibarzt hatte stundenlang mit ihr sich unterhalten.

Der König ließ sich den Prinzen in seine Gemächer bringen. Er küßte den Knaben, der mit seinen feinen vollen Händchen ihm im Gesichte spielte.

»Du sollst mit Ehrerbietung deines Vaters gedenken – könnte ich nur auch das eine fortwischen,« sprach er in sich hinein.

Wie von der Berührung des Kindes neugestärkt, wollte er zu seiner Gattin sich begeben, aber Schnabelsdorf hatte sich zum Vortrag melden lassen. Der König mußte ihn empfangen.

Der Ministerpräsident berichtete, daß nunmehr das Ergebnis sämtlicher Wahlen bekannt sei; er werde einen schweren Stand haben, da sich eine Mehrheit für die Opposition ergeben.

Der König zuckte die Achseln und sagte:

»Man muß die Ereignisse abwarten.«

Schnabelsdorf sah staunend diese Gleichgültigkeit. Was ist vorgegangen?

»Es ist nur eine einzige Nachwahl nötig,« sagte er, »Majestät wissen, daß der verstorbene Graf Eberhard Wildenort zum Abgeordneten gewählt war.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte der König. »Wozu das?«

Schnabelsdorf sah zu Boden und fuhr fort:

»Wie ich höre, wird der Generaladjutant Eurer Majestät, Oberst von Bronnen, der schon früher im Wurf war, nunmehr dort als Kandidat aufgestellt.«

»Bronnen wird die Kandidatur ablehnen,« sagte der König.

Schnabelsdorf verbeugte sich wiederum, kaum merklich. Er ahnte, was vorgeht.

Der König ließ sich nun noch das Nötigste berichten, bat aber Schnabelsdorf, recht kurz zu sein.

Schnabelsdorf war sehr kurz.

Der König entließ ihn.

Er wollte Schnabelsdorf die neugewählte Kammer eröffnen lassen. Wenn dann die Mehrheit, wie sicher zu erwarten, sich gegen ihn ausspricht, wird Bronnen ein neues Ministerium bilden.

Es war kein geringer Kampf, den der König mit sich auszukämpfen hatte, indem er das, was selbstherrlicher Beschluß sein sollte, nun als Nachgiebigkeit gegen den Volkswillen sich darstellen ließ. Aber er selbst erkannte es als das erste wirkliche Zeichen seiner Unterordnung unter das Gesetz, er wollte seinen höchsten Ruhm darin finden, dem geprüften Willen des Volkes den Ausdruck zu geben.

Treu und frei – der neue Wahlspruch stand wieder vor seiner Seele.

Er sammelte sich in Ruhe, um zu seiner Gemahlin zu gehen.


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