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Die Berge waren noch in Morgennebel gehüllt, als der König den Oberst Bronnen zu sich entbieten ließ.
Dieser trat ein und stand in ehrerbietiger Haltung. Der König ging ihm entgegen und sagte:
»Guten Morgen, lieber Bronnen!« seine Stimme war heiser, er sah bleich und übernächtig aus. Er nahm ein Blatt vom Tisch und sagte:
»Hier das Zeugnis, das ich Ihnen versprochen. Lesen Sie.«
Bronnen las und blickte dann verwundert auf den König.
»Sie kennen die Handschrift?« fragte der König.
»Die Handschrift nicht, aber die großen Geisteszüge, glaube ich –«
»Allerdings – es sind die letzten Worte, die die verlorne Freundin für mich zurückgelassen.«
Bronnen legte mit einer gewissen Feierlichkeit das Blatt wieder auf den Tisch vor den König. Er wagte nicht, ein Wort zu sagen.
»Setzen Sie sich, ich sehe Ihnen die Erschütterung an.«
»Gewiß, Majestät – und über alles hinüber spricht mir aus diesen Worten eine Bestätigung meiner Ahnung.«
»Ihrer Ahnung?«
»In mir ist eine Ahnung, die mir sagt: Gräfin Irma ist nicht tot.«
»Nicht tot? Und warum?«
»Ich weiß das nicht zu sagen, aber die Zeichen, die man im See und am Ufer gefunden, bestätigen eher meine Ahnung – diese Zeichen sind zu kombiniert.«
»Sie haben die Freundin geliebt, ich glaube es –« sagte der König. »Aber Sie haben sie doch nicht voll erkannt. Einer Täuschung war Gräfin Irma nicht fähig. Und habe ich Ihnen nicht erzählt, daß Schiffer eine Frauenleiche im See schwimmen sahen!«
»Wer weiß, was die Schiffer gesehen! Noch ist nichts gefunden.«
»Worauf stützen Sie aber Ihre Ahnung?«
»Ich kann mir's als eine dieses großen Weibes würdige That denken, daß sie sich in ein Kloster, in die Verborgenheit zurückgezogen, um Eure Majestät frei und in der Freiheit treu zu machen,«
»Frei und treu,« wiederholte der König halblaut. »Sie sprechen da Worte aus, die sich nicht vereinbaren wollen und sich doch einen müssen. Bronnen, Sie wollen mir einen neuen Lebensweg zeigen und mir die Leiche aus dem Weg räumen; ich soll unbeschwert dahingehen. Aber ich bin stark genug, die volle Wahrheit zu erkennen und jede beschwichtigende Täuschung abzulehnen.«
»Majestät, was ich sprach, sprach ich in voller, rücksichtsloser Wahrhaftigkeit.«
Der König nickte und Bronnen fuhr fort:
»Wie es aber auch sei, diese Zeilen sind der Aushauch einer großen Seele, und um diese Gedanken verwirklicht zu wissen, ist es wohl wert, zu sterben. Jetzt, Majestät, muß sich die Schwere von Ihrer Seele heben. Die Freundin hat Ihnen nicht eine Last auferlegt mit ihrem Tode oder mit ihrem Verschwinden, sie hat Sie befreit und ist dahingegangen für das Vaterland und die Verwirklichung der höchsten Gesetze.«
»Frei und treu,« wiederholte der König nochmals leise. »Ich möchte von heute an meinen Wappenspruch ändern und diese Worte darauf setzen. Aber ich will zeigen – Ihnen allein bekenne ich's – ich will zeigen, daß sie in mir sind. Ja, mein Freund, ich habe in dieser Nacht wie oft diese Worte gelesen. Gestern im ersten Anruf faßte ich sie nicht; jetzt verstehe ich sie. So lange wir beide noch leben, wollen wir diesen Tag feiern, still für uns. Sie haben gestern ein Wort gesagt, das mich erschreckte, ja verletzte.«
»Majestät!«
»Beruhigen Sie sich, Sie sehen, wir sind Freunde. Ich verspreche Ihnen, keine Verstimmung mehr über nacht dauern zu lassen.«
»Welches Wort?«
»Konstitutioneller König hieß es. Und als ich heute nacht diese Zeilen wieder und wieder las, sprang mir das Wort immer zwischen den Zeilen umher. Kann man souverän sein und von einem Gesetz gebunden? Sehen Sie, Bronnen, wenn ich jetzt vor den ewigen Geist treten müßte, ich könnte nicht mehr meine Seele öffnen. Dies Ihr Wort und die Anrufung der Freundin haben mich geweckt. Kann ich ein Souverän sein, ein voller ganzer Mensch und König, und dabei doch gebunden? Und jetzt verstand ich's. Sie sagt: ›Sei eins mit dem Gesetz, eins mit deiner Gattin und deinem Volke.‹ Ist in der Ehe noch freie Liebe? Im Verfassungsstaat noch ein freier König? Hier liegt's. Ich habe überwunden. Die Treue ist die selbsterweckte Liebe. Was eine Thatsache des unbewußten Gefühls und Naturdranges war, das über alle Verstimmung festzuhalten, neu zu beleben, sich eins damit fühlen – ich habe das Leben, die Krone, die Gattin, alles bekommen, geerbt – heute in der Nacht habe ich's errungen. Sie können nicht ahnen, mit welchen Geistern ich gekämpft habe. Ich habe gesiegt. ›Frei und treu‹ ist mein innerer Wahlspruch.«
Bronnen eilte erschüttert auf den König zu.
»Ich habe nie in meinem Leben vor einem Menschen gekniet,« rief er, »jetzt möchte ich –«
»Nein, nicht so, mein Freund!« rief der König. »An mein Herz! Wir wollen, uns aneinander haltend, schaffen und wirken. Es soll nicht sein, daß es bloß ein Märchenideal ist, wie ein König frei wirkt und Freundschaft hegt – ich will es bewähren. Ich stand gestern vor Ihnen wie ein Beichtender. Es thut mir wohl, das letzte zu sagen. Kein Mensch – das habe ich erkennen gelernt – ist würdig zu wirken für das Höchste und Reinste, dessen Hand und Herz nicht rein ist. Es gibt keine Größe, die nicht auf wahrer Sittlichkeit steht. Ich spreche damit das Urteil über meine Vergangenheit. Ich schäme mich nicht, was ich mir sagte, hier laut zu bekennen. Und jetzt wollen wir als Männer überlegen, was zu thun.«
Ein Strahl des reinsten Glückes verklärte das Angesicht Bronnens und endlich sagte er:
»Es steht ein Geist zwischen uns, ein verklärter –«
»Ihr Andenken soll in Ehren stehen.«
»Ich meine nicht sie,« sagte Bronnen, »Als ich den Grafen Eberhard sprach, sagte er: die Ehre verpflichtet zur Sittlichkeit, der Ruhm noch mehr, die Macht am höchsten.«
Der König und Bronnen besprachen noch vielerlei miteinander. Vor dem Freunde konnte der König seine Umkehr fest und einfach bezeigen, vor der Welt, vor dem Hof und dem Land mußte diese allmählich und still übergeleitet werden. Ein König darf nicht öffentlich bereuen.
Bronnen war im stillen ernannter Ministerpräsident.
Man blieb noch auf dem Jagdschloß. Man ging zur Jagd. Es sollte sich erst vieles am Hofe beruhigen, ehe man dahin zurückkehrte.