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Wie wenig es Herrn Artefeld auch gelungen war, mit den ihm eigenthümlichen Waffen der Klugheit, List und Schmeichelei seine stolze Gemahlin aus dem Sattel zu heben, wenn diese in aller Würde und Macht ihres absoluten Willens das Paraderoß ihrer Herrschsucht ritt, so war doch nicht zu leugnen, daß er manchen vereinzelten kleinen Triumph erfocht und sie zu seinem und ihrer Kinder Besten wenigstens der schroffen Zurückgezogenheit entrissen hatte, in der kein anderes Interesse galt, als das in einseitigster Weise verfolgte ihres Berufs.
Mit seinem Einzug in das Haus kam ein ganz anderes, frisches Leben hinein. Ein Luftzug wehte über die Wüste, und in der wohlthätigen Empfindung des freieren Aufathmens dachte natürlich Keiner daran, daß sich aus solchem Luftzug Sturm oder Wirbelwind entwickeln kann. Die Steifheit des Verkehrs unter den Bewohnern des Hauses, die sonst wenigstens unter den Augen der Herrin maßgebend gewesen war, hörte auf. Sonst hatten die Mittagsmahlzeiten, an denen sämmtliche im Comptoir beschäftigten jungen Leute Theil nahmen, mehr Todtenmahlen als einem frohen, zum Ausruhen von der Arbeit bestimmten Zusammenkommen geglichen. Keine allgemeine Unterhaltung kam auf, nur leises Flüstern der jungen Leute unter einander, nur bescheidene Antworten, wenn die Prinzipalin fragte, nur leises Klappern der Teller, nur Anstand, Langeweile und – Befriedigung eines materiellen Bedürfnisses. Philipp Artefeld löste die Siegel von den Lippen und befreite die Geister von dem Joch falscher Ehrerbietung. Diese, nur durch seine Unterhaltungsgabe, durch seine liebenswürdige Gewandtheit bewirkte Reform machte sich so von selbst, so allmählich, daß Frau Artefeld es kaum bemerkte, daß und wie dieselbe vor sich gegangen war, und gern ihres klugen Mannes Complimente darüber entgegennahm, daß sie es so gut verstünde, die jungen Leute zur Unterhaltung zu animiren und doch in den Grenzen des nöthigen Respectes zu erhalten.
Der ganze Charakter des Zusammenseins war dadurch verändert, hatte mehr den Anschein des Familienlebens bekommen und täuschte Herrn Richter, der erst nach der Verheirathung Frau Artefeld's in sein Amt eintrat, anfänglich vollständig über den Charakter seiner Herrin. Er war fast eben so naiv in seinem Zutrauen zu den Menschen als Flora und mußte, eben so wie diese, sich erst mancher Lection unterwerfen. Sie waren erst Tischnachbarn gewesen; dem Buchhalter kam der Platz neben der ältesten Tochter des Hauses zu, aber es gehörte Beider Unbefangenheit dazu, um sich innerhalb des Bereichs der strengen, mißbilligenden Blicke der Dame des Hauses so harmlos zu unterhalten und es gar nicht zu merken, daß sie ihre Stieftochter viel zu entgegenkommend und ihren Diener viel zu plump in Annahme der ihm von derselben bewiesenen Freundlichkeit fand. Herr Richter hatte nun einmal von Anfang an die Antipathie seiner Prinzipalin erregt, vielleicht hauptsächlich deshalb, weil seine Berufung zu dem Posten ihres ersten Buchhalters nicht von ihr ausgegangen war und sie die instinctive Neigung aller herrschsüchtigen Leute theilte, diejenigen zu tadeln, für die Andere voreilig Anerkennung gefordert hatten.
Herr Richter war die Brauchbarkeit, die Geduld, die Demuth, die einfachste Redlichkeit selbst, sein wohlwollendes Herz machte ihn arglos wie ein Kind. Durch alle diese Eigenschaften hatte er den lächerlichen Eindruck besiegt, den sein Erscheinen vielleicht zuerst auf die jungen Leute gemacht; sie liebten, achteten ihn Alle. Auf Frau Artefeld's Antipathie hatte dies keinen Einfluß, sie rieb sich an ihm, obgleich sie selbst eingestand, daß er brauchbar sei und ihr Vertrauen verdiene. Sie ärgerte sich vielleicht, daß er solche Sehnsucht nach seinen Kindern empfand, da sie nicht gesonnen war, diese Sehnsucht durch Aufhebung der lästigen Bedingung zu stillen, die seine Kinder von ihm trennte. Die Familienbeziehungen ihrer Untergebenen betrachtete sie nun einmal als einen Raub an ihrer Person. Sie konnte recht kalt und hart dazwischenfahren, wenn Flora ihn in ihrer Gutmüthigkeit auf das ihrer Mutter ärgerliche Thema brachte, wenn sie sich von Traudchen und Linchen, Röschen und Lorchen erzählen ließ und sein Herz überwallte in Erinnerung an die trautesten Stunden, an seine Heimathsstadt u. s. w.
Genug, der Schatten von Ungemüthlichkeit, den Frau Artefeld nun einmal um sich zu verbreiten verstand, fehlte trotz aller wohlthätigen Reformen nicht ganz und machte sich namentlich im engeren Familienkreise oft recht gründlich breit, da dann selbst Philipp Artefeld's natürlicher und künstlicher Humor und Flora's unermüdliche Gutherzigkeit nicht ausreichten, ihn, sowie die Langeweile zu verscheuchen, die in seinem Gefolge war. Zwanzig Personen können sich unterhalten, wenn auch Einer dabei ist, der keine Gegenrede duldet und jede abweichende Meinung zu persönlichen Angriffen des Gegners benutzt, aber unter Vieren, oder vielmehr Dreien, denn Elisabeth sprach in der Mutter Gegenwart fast nie, ist das nicht möglich. Da ist nur Streit oder Verstummen, oder ein fortwährendes ermüdendes Laviren, um die richtige Windseite zu gewinnen, die Folge davon.
Herr Artefeld setzte Alles daran, den engeren Familiencirkel zu sprengen. Er fing es geschickt genug an. Die erste kleine Gesellschaft, die er seine Frau zu geben veranlaßte, wurde ihr als eine Concession abgeschmeichelt, und sie erntete reichlichen Dank, während er ihr jede Mühe fern hielt und sie ebenso zu amüsiren als zur Königin des Festes zu machen verstand. Es wurde ihm nicht schwer, ihr den Wunsch, einen ähnlichen kleinen Cirkel bald wieder zu versammeln, in den Mund zu legen, noch leichter, ihren Hang, aus Allem eine Gewohnheit zu machen, geschickt zu benutzen und ihr allmählich drei bis vier bestimmte Tage in der Woche als regelmäßige Gesellschaftstage zu octroyiren. Herr Artefeld lachte sich in's Fäustchen und tröstete sich mit diesem Erfolg für das bis jetzt verfehlte Unternehmen, sich wirklich zum Herrn des Hauses zu machen. Jedenfalls war er doch Herr im Salon, seine Frau die als Königin verkleidete Statistin, der Alle die tiefsten Verbeugungen und die feierlichsten Mienen machten, während sie in der That dem ersten allmächtigen Minister im Reich des Vergnügens huldigten.
Herr Artefeld war, was seine Person betraf, nicht wählerisch in Beziehung auf seine Vergnügungen, aber er schied sehr das, was ihn außer dem Hause ergötzte, von dem, was in dasselbe gehörte. Er hatte feine und grobe Sinne für Lebensgenuß und Geschmack, Bildung, vielleicht auch Eitelkeit, vereinigten sich bei ihm, Alles aufzubieten, die Cirkel in seinem Hause zu gesuchten und renommirten zu machen und dadurch die bisherige Abneigung seiner Frau vor Geselligkeit gründlich zu beseitigen. Sie blieb dabei, nicht auszugehen und es auch ihren Töchtern nur selten und nur in Begleitung des Vaters zu gestatten, da sie – und mit Recht – der damals schon auftauchenden Sitte nicht huldigen wollte, die einen alljährlichen Cyklus von Vergnügungen erforderlich zum Glück eines Mädchenlebens findet. Solch' hohles, oberflächliches, ermüdendes Treiben widersprach ihren Begriffen von der ernsten Bestimmung des Menschen, aber mit den kleinen Cirkeln, die sie auf ihres Mannes Veranlassung versammelte, söhnte sie sich aus. Da sie nur die paar Abendstunden von acht bis elf Uhr ausfüllten, begingen sie weder einen Raub an den Geschäften des Tages, noch entbehrten sie des Inhalts, der wirklich befördernd für die Bildung des Geistes ist.
Philipp Artefeld verbannte vor Allem den Kastengeist. Er blieb nicht streng in seinem Kreise und suchte auch nicht Vornehmere hineinzuziehen. Fanden sie sich ein, so ging es von ihnen aus und geschah, weil das freie Terrain für allerlei Geister sie lockte. Ein bestimmter Anspruch wurde an keinen der Gäste erhoben, aber es wurde jedem Talent Bahn gebrochen und auch der Unterhaltung über ernstere Gegenstände Raum gegeben. Daß nicht lauter geistreiche Leute sich dort versammelten, versteht sich von selbst, ebenso, daß unbefangene Jugendlust, die sich an leichtem, harmlosem Geschwätz erfreut, so wenig verbannt blieb, als selbst Anklänge von Fadheit sich verbannen ließen, – aber das ist auch Nebensache. Der Ton, der im Allgemeinen angeschlagen wurde, war ein geistig rein und hoch gestimmter, und disharmonische Klänge verhallten so leise, daß sie die Melodie nicht störten.
Was ein wenig Naserümpfen in den übrigen geselligen Kreisen der Stadt erregte, war, daß so wenig Damen Theil an diesen Cirkeln nahmen, aber es wird oft über Dinge die Nase gerümpft, die ganz natürlich zugehen und gar keinen Tadel verdienen; wer sich daran kehren wollte, wäre ein Thor. Frau Artefeld hatte nie für sich viel Umgang gesucht und an Elisabeth's Wünsche in dieser Beziehung nie gedacht; so war es gekommen, daß der weibliche Kreis ihrer Bekannten ein kleiner blieb, und daß er sich jetzt nicht vergrößerte, lag theilweise an dem Genre der Gesellschaften, die vielen sorgsamen Müttern nicht gewählt genug für ihre Töchter erschienen.
Man hat im Allgemeinen einigermaßen einseitige Ansichten über den Begriff: gewählte Gesellschaft, nicht nur aus den höchsten Sprossen der gesellschaftlichen Leiter, die ihre Ansprüche auf Stand und Namen basirt, als auch in jenen mittleren Kreisen, wo sie am Beruf haften. Herr Artefeld kehrte sich an solche allgemeine Begriffe nicht. Wer ihm fähig schien, ein Scherflein zur Unterhaltung, zum Vergnügen beizutragen, den ließ er ein, gleichviel, ob er ein Jünger Apoll's oder Mercur's war, und da er mit Tact und Geschmack dabei verfuhr, waren seine gemischten Gesellschaften oft gerade recht gewählte. Künstler, Musiker, Literaten, für Alle hatte er ein offenes Haus. Er spielte gern den Mäcen, und selbst die Bretter, die die Welt bedeuten, waren durch einzelne hervorragende Genies in seinem Salon vertreten.
Darüber rümpfte nun vollends die Prüderie die Nase, die Prüderie, die immer dem Anstand Gesetze vorschreiben will, weil sie so genau hinter den Coulissen Bescheid weiß und mit ängstlich klopfendem Herzen und niedergeschlagenen Augen schlimmere Dinge sieht und fürchtet, als arglose Unschuld sich je träumen läßt, die Prüderie, die alte, trockene, nüchterne Ceremonienmeisterin des Unsinns, die vor lauter Theorien die Praxis aus dem Auge verliert und vor lauter Anstand in das Gegentheil verfällt.
Vor ihr bestanden die Artefeld'schen Cirkel nicht, und Manche, gerade von den Standesgenossen des Hauses, ließen sich davon zurückschrecken. Andere wieder kamen nicht, weil Frau Artefeld's entschiedene Weigerung, die Gastfreundschaft, die sie bot, auch für ihre Person von Anderen anzunehmen, sie der Pflicht des Umgangs entband. In so großem Ansehen auch das Haus Artefeld in kaufmännischer Beziehung stand, so war dies doch keine Veranlassung, den stolzen Launen der Herrin desselben nachzugeben, wenn es ihr einfiel, Cour in ihrem Salon anzunehmen. Dazu fanden sich nur junge oder auch ältere einzelnstehende Leute willig, in deren Verhältnissen es nun einmal nicht liegt, ihre geselligen Ansprüche auf Gegenseitigkeit zu begründen und einige dem Hause durch Verwandtschaft oder Zuneigung näherstehende Familien.
So erregte es denn auch wenig Anstoß, daß an dem genannten Abend die Wirthin noch fehlte, als der kleine Kreis sich schon vollständig versammelt hatte, und Herrn Artefeld's nicht ohne einen Anflug satyrischen Lächelns gegebene Erklärung, daß sie noch dringend beschäftigt sei, aber sobald als möglich erscheinen werde, fand die willigste Aufnahme. Ihre Abwesenheit machte im Grunde auch wenig Unterschied. Das devote Compliment, das ihr Jeder zu machen pflegte, die herkömmlichen Phrasen waren nur verschoben, der Sammetfauteuil, in dem sie meist zu thronen pflegte, war einstweilen leer, sonst blieb Alles beim Alten. Der Thee wurde servirt, die Spieltische arrangirt, und bald hatten sich in zwangloser Weise die kleinen Gruppen gebildet, die Geschmack und Neigung leicht da zusammenführt, einen großen Cirkel zu kleineren sondernd, wo man tolerant genug denkt, das Vergnügen nicht in eine Zwangsjacke pressen zu wollen.
Die sehr hübsch und comfortable eingerichteten Gesellschaftszimmer mit ihren verschiedenen kleinen Etablissements von Sophas, Fauteuils, Causeusen begünstigten nur diese freie Form der Geselligkeit und boten ebenso die Mittel zur Isolirung als zum Zusammenhalten. Ja, sie begünstigten sogar intimeren Verkehr, und wäre Elisabeth nicht so sehr zaghaft gewesen, und ihr junger Freund, derselbe, von dem wir schon bei Jungfer Dorothee gehört, desgleichen, so hätte sich wohl Gelegenheit zu einer andern Aussprache als jenen halben Worten und abgerissenen Phrasen gefunden, von denen die Liebenden nun schon so lange zehrten, ohne eigentlich Inhalt und Werth dieser geistigen und geistlosen Nahrung recht zu verstehen.
Die kurze Abwesenheit der Mutter hatte heute jedoch das junge Mädchen für eine Weile von dem Bann scheuer Furcht erlöst, und in den offenen, leuchtenden Blicken, die ihren Anbeter begrüßten, glänzte ein so unverkennbarer Strahl der Freude, daß die melancholischen Züge Dorn's sich augenblicklich aufheiterten. Er näherte sich ihr sogleich, und bald war das junge Paar in ein um so unbefangeneres Gespräch vertieft, als Flora eifrig bemüht war, die in derselben Fensterecke sitzenden jungen Mädchen und Herren in allgemeine Unterhaltung zu verwickeln. Ob sie wirklich daran gedacht hatte, in echter Mädchentheilnahme, ihrer Schwester dieses tête-à-tête mitten in der Gesellschaft zu verschaffen, ob der Zufall mehr thätig dabei war, genug, der Kreis der Unterhaltenden schloß sich enger um Flora und isolirte die beiden jungen Leute mehr und mehr.
»Ich habe gestern Abend noch bis um zwei Uhr gelesen,« sagte sie leise, aber mit Bedeutung.
Er verstand sie wohl und schlug mit Dichterbescheidenheit die Augen nieder, denn etwas Anderes, als seine Verse, die er ihr zuzuschicken Gelegenheit gefunden, konnte sie unmöglich gelesen haben. Dennoch, obgleich im höchsten Grade erfreut und geschmeichelt, sagte er bedauernd:
»Die armen Augen, was wird ihr Glanz dazu sagen!«
»Die sind's gewöhnt,« bemerkte sie leichthin, »vor Mitternacht gehe ich nie schlafen, oft auch noch später.«
»Erlaubt es denn Ihre Frau Mama?« fragte er.
Sie lächelte. »Ich habe nicht gefragt,« erwiderte sie.
»Und sie bemerkt es nicht?« fragte er wieder.
»Nein, sie kommt nie in mein Zimmer, obgleich ihre Schlafstube neben demselben liegt,« versicherte Elisabeth. »Die Thür zu derselben ist auch meist verschlossen, weil sie ihr Zimmer nicht gern als Durchgang benutzt sieht, und außerdem hat sie und ich eine Portiere an der Thür, so daß also auch kein Lichtschimmer durchdringen kann. Ich bin ganz sicher, sonst würde ich es nicht wagen, denn ich könnte mich ganz eben so gut mit meinem Buch in meine Schlafstube zurückziehen, von da dringt gewiß kein Lichtschimmer in das Gemach meiner Mutter. Dann muß ein Buch mich aber sehr fesseln,« sie sah Dorn bedeutungsvoll an, »wenn ich mich so gar nicht davon trennen kann, daß ich, anstatt zu schlafen, die Lectüre im Bett noch fortsetze. Bei Tage darf ich leider nicht lesen, d. h. ich darf überhaupt nicht Romane lesen. Sie sind doch so amüsant, und es ist langweilig, den ganzen Tag zu sticken und zu nähen. Lectüre bildet doch auch den Geist, nicht?«
»Gewählte Lectüre gewiß,« versicherte er.
»Ach, ich lese nicht etwa Alles durcheinander, der Papa hat Geschmack, was er mir giebt, kann ich gewiß lesen.«
»Ihr Vater hat also nichts gegen das Lesen?« fragte er.
»Nicht das Mindeste, er verschafft mir sogar die Bücher, aber Mama weiß es nicht,« flüsterte sie ihm wieder mit einem scheuen Blick nach der Thür zu.
»Ihre Frau Mutter muß streng sein, ich fühle es, ohne es zu wissen,« bemerkte Dorn nach einer Weile. »Sie ist mir auch nicht gewogen, obgleich meine Mutter einst ihre Freundin gewesen ist und sie mir auch anfänglich einiges Interesse zu zeigen schien. Das ist aber vorbei, ich merke es deutlich. Ich kann mich auch gar nicht mehr mit Ihnen unterhalten, ohne daß sie mich mißbilligend ansieht, und es ist seltsam, Sie werden mich vielleicht auslachen, aber ich kann nicht frei vom Herzen heruntersprechen, selbst zu Ihnen nicht, unter dem Bann dieser Blicke.«
»Also geht's Ihnen auch so, – ich kann's selber nicht,« versicherte Elisabeth eifrig und erröthete dann über das Eingeständniß einer Furcht, die eben nicht vielversprechend für das Verhältniß zwischen Mutter und Tochter war. Elisabeth sah reizend aus unter der Rosengluth der Verlegenheit, Dorn's Auge haftete einen Augenblick mit Entzücken an ihr, er war aber doch so rücksichtsvoll, fortzusehen, bis die erhöhte Farbe gewichen, dann sagte er:
»Ich glaube, Ihre Mama verachtet mich, weil ich Dichter bin.«
»Mag sein!« stimmte Elisabeth bei und setzte dann mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu: »Es können doch nicht alle Menschen Rechenexempel sein, es müssen doch auch Einige Verse schreiben können. Zum Rechnen sind Solche gut, wie Vetter Moritz, – der ist aber auch Mamas ganzer Liebling!«
»Der Ihrige vielleicht auch?« fragte Dorn mit einer schnell aufflammenden eifersüchtigen Regung.
Ein leises Lachen war die ganze Antwort, die er erhielt, sie schien ihn aber vollständig zu befriedigen, denn wieder streifte ein entzückender Blick das junge Mädchen, dann sagte er nach einer Weile:
»Wissen Sie wohl noch, was Sie mir neulich versprochen haben?«
Ein helles Erröthen war wieder die Antwort, aber diesmal wandte er den Blick nicht ab. »Neulich, als Ihre Schwester Flora mir verrathen, daß Sie auch dichten,« fuhr er fort, »da versprachen Sie mir – –«
»Ja,« fiel sie, mit schelmischem Lächeln ihre Verlegenheit maskirend, ein, »da versprach ich Ihnen, ein paar Strophen herzusagen, wenn wir einmal allein sein würden, wir sind aber nicht allein – –«
»Doch,« sagte er rasch, »unter Larven die einzig fühlende Brust.«
»Larven!« wiederholte sie halb vorwurfsvoll, einen musternden Blick auf die Gesellschaft werfend, »es sind doch recht hübsche Larven darunter und recht warm fühlende. Rechnen Sie Schwester Flora und meinen guten Stiefvater und den prächtigen alten Wagner auch dazu?«
»Sie wollen mir ausweichen,« sagte er in schwermüthigem Tone.
»Gut, so hören Sie denn,« beruhigte sie ihn, und ohne die Augen niederzuschlagen, aber auch ohne ihn anzusehen, sondern die großen, dunkeln Augen ohne ein bestimmtes Ziel in die Ferne richtend, sagte sie mit leisem musikalischen Tone:
»Ist leichten Flocken fällt der Schnee
Und thut der Erde doch so weh,
Und läßt die Blumen, die armen,
Erstarren ohne Erbarmen.
In Worten, ach, so leicht wie Schnee,
Empfängt das Herz oft tiefes Weh;
Sie stören süße Freuden,
Und wir – wir müssen's leiden!
O Frühling! schau' der Blumen Weh,
Laß ihn zerrinnen bald, den Schnee!
O Lichtstrahl, Du von Gottes Gnaden,
Den Herzen hilf, die grambeladen!«
»Und der Strahl von Gottes Gnaden? –« sagte Dorn.
»Ist der Tod,« fiel sie rasch ein.
»Oder die Liebe!« sagte er feurig.
»Oder die Liebe!« wiederholte sie mit hellem Aufleuchten der Augen.
Wieder trat eine Pause ein, eine, in der die Welt um sie her verschwand und sie, ohne einander anzusehen, doch in dem leuchtenden weiten Himmelsraum nichts erblickten, als sie sein liebestrahlendes Auge und er auf einem jungen, unschuldigen Mädchenantlitz den Sonnenaufgang der Liebe aus Purpurwolken holder Scham.
Aber wenn auch die Welt vergessend, zählten sie doch keineswegs zu den Vergessenen, und von Anfang an hatte ihr Gespräch bei einem Theil der Gesellschaft sowohl Aufmerksamkeit als Neugier erregt.
Moritz Eisenhart's Lorgnon blieb von der Ecke aus, in die er sich zurückgezogen hatte, auf das Paar gerichtet, obgleich er eine Miene annahm, als kümmere ihn das Treiben der Beiden nicht im geringsten, und von einer Gruppe junger Leute aus, die um einen mit Kupferstichen bedeckten Tisch Platz genommen, streifte sie ebenfalls manch' lächelnder, forschender Blick, von scherzhaften Bemerkungen begleitet.
»Seht doch unsern schmachtenden Seladon!« sagte Herr Wagner, zu den jungen Männern herantretend, die ihm augenblicklich in ihrem Kreise Platz machten, »er macht ja der trübäugigen Seelenpein, die man unglückliche Liebe nennt, gar keine Ehre. Sieht er sonst aus, als hätte man ihm seinen eigenen Namen vertausendfacht auf den Weg gestreut und zwänge ihn barfuß auf demselben umherzuwandeln, so strahlt statt dessen heute sein Gesicht, als hätte er die Rose erobert, die das Ziel seines Schmachtens war.«
»Wenn die Katze nicht daheim ist, haben die Mäuse freies Spiel,« bemerkte einer der jungen Männer, »auch die schöne Bildsäule hat Leben.«
»Das wird nicht weit her sein,« sagte ein Anderer, »das Mädchen ist kalt wie Marmor und stumm wie das Grab; ich glaube, sie hat keine Seele.«
»Keine Seele?« wiederholte Wagner und nahm eine Prise.
»Nein, ich versichere Sie,« behauptete jetzt ein Dritter; »ich sehe sie ja täglich, sie ist meine Tischnachbarin, aber es ist nicht möglich, ihr mehr als ein Ja oder Nein im Gespräch abzugewinnen. Kennen Sie sie anders als stumm?«
»Ich sitze bei Tisch nicht neben ihr, ich gebe ihr nur Singstunde,« antwortete Wagner.
»Ihr Gesang ist so seelenlos wie sie selber.«
»Ganz ebenso,« bestätigte Wagner, aber nicht ohne einen leisen Ton von Ironie in seine Antwort zu legen. »Sie ist sehr schüchtern.«
»Eingeschüchtert,« sagte ein Vierter.
»Das ist's,« bestätigte Wagner, dem Sprecher beifällig zunickend.
»Die schöne Rose,« fuhr jener fort, »ist einmal nicht bestimmt, naturgemäß im Garten des Lebens zu blühen und sich zu entfalten. Sie wird ihr Haupt nie dem Lichtstrahl zuwenden dürfen, der die schöne Mission hat, liebeglühendes Leben in ihrem Busen zu wecken; man wird sie eines Tages abschneiden und dem geben, der ihr die goldene Vase reicht, in der sie verschmachten soll.«
»Hört, hört unsern Poeten!« riefen mehrere Stimmen.
»Er hat leider recht, obgleich er ein Dichter ist,« sagte Wagner, »das wird das Schicksal dieser Rose sein.«
»Und das Schicksal ist hart,« bemerkte Einer.
» Eisenhart,« sagte Wagner mit Bedeutung.
Ein beistimmendes Lächeln, ein rascher Blick des einen oder andern der jungen Männer, nach dem eben Genannten hin, bewies, daß man die Anspielung verstanden.
Der eine derselben sagte aber doch wie entschuldigend:
»In seinem Charakter ist übrigens nichts von der Härte seines Namens.«
»Nein,« bestätigte ein Anderer, »dazu hat er eine zu leicht verletzbare Stelle. Wer ihn an seiner geckenhaften Eitelkeit faßt, hat allemal gewonnenes Spiel.«
»Das arme Kind,« fuhr Wagner fort, »sie würde weder solches Spiel verstehen, noch würde sie glücklich durch den Gewinn desselben werden, – lieber gönnte ich sie dem da noch!« Er deutete auf Dorn.
»O, Dorn ist ein guter Mensch, ein interessanter Junge, ein schwärmerischer Kopf, gerade recht bestechlich für junge Damen,« tönten mehrere Stimmen durcheinander.
»Er ist halb Phantasie, halb Herz, nur mitunter Geist und nie Vernunft,« sagte Wagner.
»Er dichtet allerliebst,« bemerkte der, den sie vorhin ihren Poeten genannt, »haben Sie die Verse nicht gelesen, die in der neuesten Nummer des Morgensterns von ihm erschienen sind?«
»Nein,« sagte Wagner, »meine Augen sind zu blöde, sie kennen die einzelnen Sterne am Firmament nicht mehr heraus, mir sieht einer aus wie der andere, und so begnüge ich mich mit gläubiger Bewunderung des Ganzen, ohne die einzelnen Schönheiten zu erforschen.« Die jungen Leute lachten, Wagner fuhr fort: »Dorn bekommt sie übrigens auch nicht, und er will sie auch nicht, wenn er es sich jetzt auch vordichtet und vorsingt, daß sie sein einziges Glück sei. Der Mensch hat kein Talent zum Glück, er ist ja immer in sentimentaler Stimmung!«
»Immer? Sehen Sie ihn doch jetzt an!« unterbrach ihn einer der Zuhörenden.
»Wahrhaftig, ja, jetzt sieht er vergnügt aus!« sagte Wagner.
»Nun, so kann er's also doch sein, wenn auch mit einem gewissen Schmelz der Wehmuth. Dann will ich's ihm abbitten, daß ich geglaubt habe, er schmachtete vor Allem nach Unglück, um Gelegenheit zu haben, sein erster Leidtragender zu sein.«
Lebhafter Widerspruch, die halb ernst- halb scherzhafte Anklage, daß er, Wagner, ein alter Spötter sei, der die Charaktere zersetze, statt sie zu beurtheilen, unterbrach den Redner. Er ließ die Einwendungen ruhig verhallen, dann fuhr er lächelnd fort:
»Ich bin zwar ein alter Mann, und es ist lange her, daß Hercules am Spinnrocken saß, aber man verleiht uns Künstlern ja das Vorrecht ewiger Jugend, und ich nehme es in sofern in Anspruch, als ich behaupte, noch warmes Herzblut genug zu haben, sympathisch die Gefühle junger Leute zu verstehen und sie durch mein Urtheil nicht anzutasten. Mich interessirt es ungemein, wenn eine in den Banden der Schüchternheit, der Form oder der Furcht gefesselte Seele in einzelnen unwillkürlich aufglühenden Funken ihr inneres Leben verräth, ja, selbst wenn sie dasselbe steigert bis zu unschöner Leidenschaft, hat dieses Ueberwallen der Empfindung doch so viel menschliche Berechtigung, daß man ihm Sympathie nicht versagen kann. Aber eine jeden Augenblick zur Schau getragene Liebe bricht dem Mitgefühl ebenso die Spitze ab, wie ein zur Schau getragener Schmerz. Eine Anbetung, die immer zum Kniefall bereit ist, gleichviel vor welchem Publikum, die da, wo das Wort ihr versagt ist, sich in Seufzern und Blicken schadlos hält, die immer die kunstgerechte Leidensfalte um die Mundwinkel zieht und die düstere Wolke der Melancholie auf der Stirn trägt, macht mir einmal mehr einen lächerlichen als ernsten Eindruck.«
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Strophen hersage, die vor einigen Tagen im ›Morgenstern‹ gestanden,« sagte der junge Mann, der schon einmal zu Dorn's Gunsten plaidirt hatte, und er declamirte dann mit halblauter Stimme und geschmackvoller Zurückhaltung in Betreff des anzuwendenden Pathos, wie folgt:
Ich möchte Keinem, Keinem sagen
Als der Geliebten nur allein,
Wie längst im Herzen ich getragen
Ihr Bild in Seligkeit und Pein.
Sie wollten jüngst es von mir wissen,
Die Freunde, wer die Holde sei;
Ich hab' im Stillen lächeln müssen,
Doch gab ich Antwort frank und frei.
Ich liebe, sagt' ich, Alles, Alles,
Was mir zur Seele ahnend spricht:
Den Ton des fernen Wiederhalles,
Der sich an schroffer Felswand bricht,
Des wilden Sturmwinds machtvoll Rauschen,
Den Strom, der seinem Quell entflieht,
Den Zephir, dem die Blumen lauschen,
Des Meers Gebraus, des Baches Lied!
Ich liebe Berge, Thäler, Wälder,
Der Vögel Chor im stillen Hain,
Das Wogen grüner Aehrenfelder,
Der Sterne Licht, der Sonne Schein,
Der Wolken Nacht, vom Blitz zerrissen,
Und Himmelsblau aus grüner Flur –
Mit einem Wort, wollt Ihr es wissen,
Ich liebe – liebe die Natur!
Doch wen ich liebe mehr als alle
Himmelsschönheit, Land und Meer,
In meinem Herzen still verhalle –
Sagt' ich's, so liebte ich nicht mehr!
Denn echte Liebe hüllt in Schweige,
Heut in Geheimniß still ihr Glück,
Das Herz nur wird's dem Herzens zeigen,
In selt'nem, sel'gem Augenblick.
»So, nun dann wünsch' ich ihm recht bald den seltenen, seligen Augenblick, und daß er vernünftig genug ist, ihn zu ergreifen,« sagte Wagner, vielleicht doch einigermaßen gerührt von der unverkennbaren Innigkeit der Empfindung, die sich in dem Liede aussprach. »Das Lied wird er neulich geschrieben haben, als wir zusammen über Land fuhren,« fing Wagner nach einer Pause wieder an. »Habe ich mich den Tag über den Menschen geärgert und amüsirt zugleich! Wir fuhren in einer ganz abscheulichen, klapprigen Droschke, bei so kaltem, nassem Regenwetter, daß ein vernünftiger Mensch sich fest in seinen Mantel gewickelt, in eine Ecke gedrückt und höchstens an Schnupfen und Husten gedacht haben würde. Er riß sich nicht nur den Rock, er riß sich auch noch die Weste auf, und als ich vor Erkältung warnte; sah er mich so erstaunt an, als zeigte das Thermometer wenigstens zwanzig Grad. ›Herr,‹ sagte ich, ›haben Sie so viel Feuer bei sich, werfen Sie ein paar Kohlen über Bord, es entsteht sonst eine Feuersbrunst und der Regen ist nicht stark genug sie zu löschen.‹ Er antwortete mir gar nicht, er sah immer auf den Boden der Droschke, wo ich nur ein Stück zerrissenes Teppichzeug, er wahrscheinlich das Bild der Geliebten wahrnahm. Einige Bemerkungen meinerseits über das reale Ziel seiner Blicke, das in der That ein großer Fettfleck war, veranlaßten ihn es zu wechseln und die-Augen nach oben zu richten, wo er die Wahl hatte zwischen einem grauen Spinnengewebe in der Decke unseres Halbwagens und dem grauen Himmel, der dick wie ein Sack über unseren Häuptern hing. Wo er die Begeisterung hergenommen, weiß ich nicht, aber wahrhaftig, er zog seine Brieftasche hervor und schrieb Verse über Verse. Die Gedanken mußten ihm nur so zufliegen. Ich sah's mit Staunen und mit Grausen und schloß zuletzt das eine ihm zugewendete Auge, mich begnügend, mit dem andern meine Rundschau in der benebelten Welt zu halten, damit er mich eingeschlafen glauben und mir nicht etwa zumuthen sollte, die Lieder auf frischer That zu componiren. Und es waren gewiß Klagelieder, denn er seufzte gewaltig dabei.«
»Die Dichter sind glückliche Menschen,« sagte ein junger angehender Kaufmann, »daß sie gleich jedem Gefühl in Worten Raum geben, es dadurch erhöhen oder bekämpfen können.«
»Glauben Sie doch das nicht,« wendete ein Anderer ein, »sie sind eben nicht anders daran als wir. Sind wir vergnügt, so singen oder springen wir, oder erweisen irgend Jemandem etwas Gutes, oder man läßt irgend einen Uebermuth los, denn es ist einmal das Wesen der Freude, daß sie ihr Füllhorn gern über die Welt ausschüttet. Man thut's in Versen oder Prosa, wie es einem Jeden gegeben ist, in wirklichem Leid aber giebt dem Dichter der Vers eben so wenig Trost als uns eine Klage.«
»Da haben Sie recht, wirkliches Leid ist stumm,« sagte Wagner. »Wer seinen Schmerz in Versen ausströmen lassen kann, bildet ihn sich ein oder hat ihn überwunden und errichtet ihm nur ein Denkmal der Erinnerung.«
»Ja,« gegenredete der Andere, »aber man kann unter diesen Denkmälern der Erinnerung mit derselben Andacht umherwandeln, wie auf einem Kirchhof. Tod und Verklärung sind nah bei einander.«
»Gewiß,« sagte Wagner, »aber je mehr Worte auf dem Grabstein stehen, um so schneller, glaub' ich, findet sich der Ueberlebende getröstet.«
»Sie hartnäckiger Kopf!« schalt sein Gegner. Wagner lachte.
»Ich kann mir nicht helfen,« sagte er, »ein Herzeleid, das Verse drechselt, Silben zählt und darauf zittert, in Musik gesetzt zu werden, halte ich für das Steckenpferd dessen, der es zu empfinden glaubt.«
»Vergessen Sie doch die Jugend nicht, der man einige Ueberschwänglichkeit nachsehen muß,« unterbrach ihn einer der Herren. »Es ist wie beim jungen Wein, er muß gähren, ehe man das edle Getränk rein empfängt. In Dorn sind aber edle Kräfte, und gleichviel wie er jetzt erscheint, erst in zehn Jahren vielleicht wird man sagen können, was er ist.«
»In dem Liede, das unser junger Freund hersagte, lag übrigens Herzensfreude, kein Herzeleid,« berichtigte ein Dritter und fuhr dann, zu Wagner gewendet, fort: »Ich gebe Ihnen übrigens gern zu, daß in allen Liedern, die dem Schmerz geweiht sind, dieser, wenn er nicht etwa gar voraus empfunden, nur in ihnen nachklingt. Das kann auch nicht anders sein und verdient keinen Tadel. Jeder Schmerz muß überwunden werden, und daß man ihn als etwas Unvergessenes und Unvergeßliches zu fesseln strebt, daß der Dichter dies in Versen thut, wie wir im späteren Austausch unserer Erfahrungen und Erlebnisse, beweist nur, daß er, wie wir, zu dem würdigen Endziel alles Schmerzes, zu der Versöhnung mit ihm durchgedrungen ist, daß wir ihn uns zum Freunde gemacht, zu einem Freunde, den wir lieb behalten in Ewigkeit, durch den wir unser eigenes besseres Selbst erkennen lernten.«
»Bravo!« sagte Wagner, aber diesmal ernsthaft, »machen Sie aus dem, was Sie eben sagten, ein Gedicht, und ich will eine der seltenen Feierstunden, die mir altem Manne vielleicht noch zu Theil werden, gern davon abgeben, es zu componiren.«
Das ernst gewordene Gespräch wurde unterbrochen. Moritz Eisenhart, der wahrscheinlich von seiner Ecke aus das Vergnügen, seiner künftigen Braut die Cour machen zu sehen, genugsam genossen hatte, erhob sich, und an der eben geschilderten Gruppe vorübergehend, blieb er einen Augenblick vor derselben stehen und sagte mit einem Ton und einer Miene, die elegante Sicherheit ausdrücken sollte, aber eigentlich nur Unverschämtheit war:
»Ich muß mein armes Cousinchen befreien, der Mensch langweilt sie mir zu Tode.«
»Gieb Dir keine Mühe,« lachte einer seiner Comptoirgenossen, »sie scheint sich sehr gut zu unterhalten, ich habe sie noch nie so viel hinter einander und so lebhaft sprechen sehen.«
Es war gerade der Augenblick, in dem Elisabeth ihrem Verehrer die gewünschten Verse hersagte, Moritz biß sich auf die Lippen und wendete sich zum Gehen, aber da ihn Niemand sehr leiden konnte und ihn Jeder gern ärgerte, ließ man ihn nicht so leichten Kaufs los.
»Lassen Sie doch die jungen Leute plaudern,« sagte Einer, »man sieht ja, wie es Beiden gefällt, spielen Sie doch nicht den Störenfried!«
»Sie sehen allerliebst neben einander aus, sie würden ein wunderhübsches Paar abgeben,« bemerkte ein Anderer, »sie passen zu einander wie eine Rose, nun – wie Rose und Dorn; sie dazu da, zu entzücken, er, jede unberufene Hand abzuwehren, die sich nach ihr ausstreckt.«
»Kinder, laßt ihn gehen,« spottete Wagner, der sich immer mehr herauszunehmen wagte wie ein Anderer, »laßt ihn gehen, er hat den Dorn im Auge und das thut weh.«
»Keineswegs,« sagte Moritz, »mir ist Niemand ein Dorn im Auge, aber allerdings sehe ich die Rosen lieber dornenlos und werde also diese von ihrer Unzierde befreien.«
»Ich hoffe, da die Mutter nicht da ist, hat sie, Courage und läßt den arroganten Burschen ablaufen,« brummte Wagner hinter ihm her, aber zu seinem größten Aerger kam Eisenhart in zwei Minuten mit Elisabeth am Arm zurück, blieb mit triumphirender Miene vor ihm stehen und sagte:
»Wollen Sie so gut sein, meine Cousine zu begleiten, Herr Wagner. Ich habe sie gebeten, mir ein Lied vorzusingen.«
Vielleicht war Moritz nicht weniger erstaunt gewesen, als Herr Wagner es jetzt war, daß seine Bitte um ein Lied so augenblicklich Gehör gefunden, während das scheue Mädchen sonst meist erst durch einen Machtspruch der Mutter bewogen werden konnte, ihre Abneigung, vor so vielen Zuhörern singen zu sollen, zu überwinden. Wie sie aber jetzt an ihres Vetters Arm daherschritt, schien sie über jede Furcht erhaben, die schönen Augen schauten mit freiem, offenem Blick um sich, eine verklärte Freude leuchtete in ihrem Blick, lächelte auf Stirn und Wangen. Die Anwesenden sahen ihr mit Erstaunen nach, aber wer sie nicht während ihres Gesprächs mit Dorn beobachtet hatte, schob die Veränderung auf die Abwesenheit der Mutter. Mit dem freien Anstand einer siegesgewissen Künstlerin oder vielmehr mit der Unbefangenheit der Unschuld stand sie am Flügel und wartete, bis Wagner Platz genommen und das Notenpult aufgestellt hatte, aber sie wartete es nicht ab, wie sonst, daß er ein Lied vorschlug, ja, sie schob das Blatt, das Moritz ihr reichte, achtlos bei Seite.
»Dies hier, bitte!« flüsterte sie dem alten Manne zu und schlug ein Notenheft vor ihm auf. Er überflog es lächelnd, gab ein paar einleitende Accorde an, dann sang sie das alte, bekannte, vielfach componirte Lied: »Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein!«
Die Composition, eine der neueren, war schön. Der überströmende Jubel des Herzens, das sein Geheimniß nicht mehr bergen kann in der Tiefe der Brust, das es mit jedem Athemzug verrathen, es jedem Lüftchen anvertrauen, es jedem Baum und Fels zurufen muß, daß es liebt – der überströmende Jubel in seelenvoller Innigkeit dahinschmelzend bei dem im jedesmaligen Refrain sich wiederholenden Gelübde: »Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!« Dieser Jubel, in Tönen gemalt und von einer frischen, metallreichen Mädchenstimme mit allem Feuer tiefster Empfindung vorgetragen, übte eine elektrische Wirkung auf die ganze Gesellschaft. Der Gedanke: sie empfindet, was sie singt, drängte sich Jedem auf, aber wem galt dies Empfinden?
Moritz stand neben der Sängerin, als gebühre ihm vor Allen dieser Platz, seine Blicke hingen an ihr mit einem so sichern Bewußtsein des Eigenthumsrechtes, daß Viele sich gewiß davon täuschen ließen und nicht ihren Blicken folgten, die vielleicht das Räthsel in anderer Weise gelöst hätten. Nicht daß Elisabeth eine Person im Auge gehabt hätte! Trotz der sie unwillkürlich fortreißenden Begeisterung, die sie Alles vergessen ließ, die sie zwang, es laut in alle Welt auszurufen: »Dein ist mein Herz!« trotzdem empfand sie mädchenhaft genug, das glühende Wort nicht in das Antlitz des Geliebten zu schleudern.
Ihre Augen hafteten nicht an denen Dorn's, der die seinen auf den Erdboden geheftet, mit Marmorblässe auf der Stirn, zuckender Bewegung um die halbgeöffneten Lippen ihr gegenüber und zwar ziemlich isolirt am andern Ende des Saales stand; sie hielt den Kopf hoch emporgehoben, und der leuchtende Strahl aus ihren Augen, über ihn hinweggehend, suchte ein unirdisches Ziel für die irdische Begeisterung. Zwei Strophen hatte ihr Herz ausgejubelt, da trat die Mutter ein.
»Bitte, behalten Sie Platz,« sagte sie laut zu den Zunächstsitzenden, mit einer Handbewegung zugleich der ganzen Gesellschaft dieselbe Erlaubniß zuwinkend, und fügte dann ein wenig spitz hinzu: »Ich sehe, daß man sich durch meine Abwesenheit nicht hat geniren lassen, das Vergnügen ist ja in vollem Gange.«
Sie hatte ohne alle Rücksicht auf die Musik so laut gesprochen, wie es ihre Gewohnheit war, die harte Stimme mischte sich mißtönend in den Gesang, sie schnitt der Sängerin in's Herz. Elisabeth's Augenlider senkten sich, sie zitterte, die Stimme wurde unsicher.
»Courage, mein Herzchen, Sie singen sehr schön, Courage!« flüsterte Wagner. Sein Zureden fruchtete nichts, die Jubelhymne wurde unsicher.
»Ich danke Dir, Cousinchen, daß Du mein Lieblingslied gesungen hast,« sagte Moritz so laut, daß es ziemlich weit hörbar war, und nahm das widerstandslose Mädchen wieder an den Arm, sie in den Damenkreis führend; »es ist mein Lieblingslied,« wiederholte er noch mehrere Male eben so laut, »ich habe es neulich einmal gesagt, es ist hübsch von Dir, daß Du es Dir gemerkt hast.«
»Hat das junge Mädchen eine Seele, gelt?« fragte Wagner die jungen Herren, die sie vorher für eine leblose Natur erklärt hatten.
Für einen Augenblick hatte sich eine gewisse schwüle Stimmung der Gesellschaft bemächtigt. Mit eisiger Miene nahm Frau Artefeld die Lobsprüche über das Talent ihrer Tochter entgegen, ihr Mann, der vom Spieltisch aufgesprungen war, sowie sie eintrat, mußte alle seine Gewandtheit aufbieten, das Eis wieder etwas flüssig zu machen.
»Es ist wirklich kaum zu glauben, wie anders Alles ist, wenn die Wirthin fehlt,« flüsterte er ihr zu, ihr galant den Arm bietend, sie zu einem Platz zu geleiten. »Wir mußten zur Musik unsere Zuflucht nehmen, um nur einigermaßen die Steifheit zu verbannen.«
»O, ich habe gar nicht erwartet, daß Ihr auf mich warten würdet,« antwortete seine strenge Gemahlin, ein wenig durch seine Erklärung versöhnt, »aber schicklicher wäre es in jeder Weise gewesen. Elisabeth singt nie so schlecht, wenn ich dabei bin, ich hörte es voller Entsetzen schon auf dem Corridor, wie wild und tactlos sie das Lied vortrug und nun soll ich mir Complimente darüber sagen lassen.«
»Die Complimente sind ehrlich gemeint,« versicherte er, »in Wahrheit, es ist Alles entzückt, halte es dem schlechten Geschmack zugute, es versteht es einmal nicht Jeder.«
Frau Artefeld nickte zustimmend und zeigte sich geneigter, einige Stufen von dem Thron ihrer Würde herabzusteigen.
Die Spannung ließ nach; die älteren Herren und Damen, die ihre Spieltische verlassen hatten, die eintretende Wirthin zu begrüßen, nahmen ihre Plätze an denselben wieder ein, auch Herr Artefeld, nachdem er noch eine Runde durch die Zimmer gemacht und seine Gäste animirt hatte, sich Jeder auf seine Weise zu divertiren. Auch die Musik hatte ihren Fortgang. Gesang und Instrumentalmusik, von Künstlern und Dilettanten ausgeführt, wechselte mit einander ab, ohne durch zu viele und verschiedene Productionen ihre Zuhörer zu ermüden und zu verwirren. Bald herrschte wieder die gewohnte zwanglose Heiterkeit, nur Flora schien unruhig. Elisabeth sah aus wie ein verschüchtertes Reh, und Dorn hatte gar die Gesellschaft verlassen.
»Weißt Du, Tante, daß Elisabeth dem Laffen, dem Dorn, das Lied vorsang?« sagte Moritz zu Frau Artefeld, sich des leeren Stuhles neben ihr bemächtigend. »Ich mußte ihr wirklich zu Hülfe kommen, ihre Unbesonnenheit gut machen, indem ich so that, als habe sie mir eine Artigkeit mit dem Liede erzeigt. Der alberne Mensch sieht sie immer an, als wäre sie ein Bild, nicht ein lebendiges Geschöpf, und nun das Bild zu sprechen anfängt, läuft er gar vor Bestürzung davon.«
»Du bist eifersüchtig,« bemerkte Frau Artefeld achselzuckend.
»Nicht im mindesten,« erwiderte der Neffe, »mir ist diese Liebelei bisher ganz egal gewesen, ja sogar recht lieb, daß Elisabeth diesen Gefühlsrausch abmacht, ehe sie meine Frau wird. Ich bin ein praktischer Mensch, weißt Du, und kann Sentimentalität nicht leiden. Ich will eine nüchterne, verständige Frau, die ausgeschwärmt hat.«
»Elisabeth ist nicht im mindesten schwärmerisch,« versicherte Frau Artefeld, »was nennst Du eigentlich Schwärmerei?«
»Ich meine Verliebtheit,« erklärte der Neffe. »Einmal verliebt ist jedes Frauenzimmer, und da ist es besser vor als nach der Ehe. Erst wenn der Rausch vorüber ist, lernen sie, was vernünftige, solide Liebe zu ihrem Eheherrn bedeutet, und verlangen von ihm nicht die lächerlichen Galanterien, die ihnen der erste Geliebte widmet.«
»Du hast eigene Ansichten,« bemerkte Frau Artefeld.
»Praktische, mein' ich,« ergänzte der Neffe, »aber versteh mich nicht falsch, Tantchen, ich meine nur eine Liebe aus der Entfernung, Schwärmen und Seufzen meinetwegen, aber keine Erklärung, kein ausgesprochenes Einverständniß. Das ließe ich mir nicht gefallen, schon das Lied war zu viel. Unsere jetzigen jungen Damen lesen zu viel Romane.«
»Elisabeth darf keine lesen,« unterbrach ihn die Tante.
»Ach, meinst Du?« lachte Moritz, »Du wirst es ihr verboten haben, aber sie wird es heimlich thun. Das thut Jede, und wenn sie genug Romane gelesen haben, wollen sie einen spielen. Der, meine ich, muß vorbei sein, ehe sie heirathen, aber er muß auch so sein, daß der künftige Mann gerade in's Ende hineinpaßt. Dann bekommt die wässerige Brühe erst Geschmack. Ueberhaupt muß sie nicht zu lang sein, je kürzer, um so kräftiger.«
»Du sprichst ja wie ein Koch,« sagte die Tante.
»O, ich kann auch in Bildern sprechen,« sagte er nicht ohne Befriedigung, »und meine Bilder treffen den Nagel auf den Kopf; aber jetzt im Ernst, Tante, mach' dem dummen Roman ein Ende, es ist Zeit. Du hast doch einmal Deine Tochter für mich bestimmt, und sie gefällt mir gerade gut genug, um Dir den Willen gern zu thun, aber ich sehe es nicht noch einmal mit an, daß sie sich vor den Augen der ganzen Gesellschaft seinetwegen blamirt. Man hat doch auch Ehrgefühl.«
»Daß meine Tochter sich nicht blamirt, dafür laß mich sorgen,« sagte Frau Artefeld streng, »ich sehe schon, ich muß die Augen überall haben, ich darf nicht einmal eine Viertelstunde später in Gesellschaft erscheinen. Ich werde diese Cirkel ganz aufhören lassen, wenn sie zu Ungehörigkeiten führen.«
»Meinetwegen,« brummte Moritz, »ich mache mir nichts aus ihnen, sie sind langweilig genug. Aber Du hast es auch nicht nöthig. Verlobe mich bald mit Elisabeth, und die Liebelei hat ein Ende.«
»Du mußt mir schon die Wahl des Zeitpunktes überlassen,« sagte Frau Artefeld und stand auf, denn eben war Herr Richter eingetreten, und sie las in den sonst fast bis zur Ausdruckslosigkeit ruhigen Zügen des Mannes eine Bewegung, die sie ungeduldig machte, ihn zu sprechen.