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Zweites Capitel.


Sie saß auf ihrem Arbeitszimmer vor einem mit Papieren, Briefschaften und Mappen bedeckten Tische, vor ihr stand ihr Schwager. Ihr Kopf war emporgerichtet, und die großen, dunkeln, glänzenden Augen auf ihn geheftet, hörte sie seinem Berichte zu. Der Kopf war immer noch schön, wenn auch von der marmorkalten Schönheit einer Statue, der der schaffende Künstler nicht verstanden Leben einzuhauchen. Sie war noch sehr wohl conservirt, so wie meist Solche es sind, die äußere Noth nicht kennen und innere zurückweisen. Eine bisher nie erschütterte Gesundheit gab ihrem Teint eine Frische, die fast noch an Jugendblüthe grenzte, und nur das Embonpoint der hohen, regelmäßig gewachsenen Gestalt entsprach mehr den achtunddreißig Jahren der Dame, als den Gesetzen der Schönheit, und ließ ihre ganze Erscheinung mehr majestätisch, als anmuthig und elegant erscheinen.

Philipp Artefeld dagegen war elegant von Kopf bis zu Fuß. Embonpoint und Jugendblüthe konnte ihm Niemand mehr vorwerfen, seine Züge sahen sogar etwas fatiguirt aus, wenn er sich einmal nachdenklicher Ruhe hingab, aber das geschah selten. Ein regsamer, beweglicher Geist belebte sein Antlitz, da fragte Niemand darnach, ob er jung aussähe, sondern Jeder empfand, daß er es war und in gewisser Weise immer bleiben würde.

Im Augenblick schien er mit seiner Schwägerin von Geschäften gesprochen zu haben, ein Thema, das er meist eben so schnell als geschickt zu erledigen wußte; aber jetzt waren diese beendet und eine kleine Pause eingetreten, während welcher Frau Artefeld mit sichtlicher Zerstreutheit dem Spiel der Sonnenstrahlen auf den knospenden Zweigen des alten Kastanienbaumes zusah, der das Fenster ihres Zimmers halb beschattete. Die Fenster waren weit offen, der milden Luft, den Düften der zahllosen Veilchen, die den Rasen blau färbten, freien Einzug gestattend.

Die lieblichen Blumen zum holden Frühlingsstrauß zu sammeln, den sie allmorgendlich mit in die Schule zu nehmen pflegte, wanderte die kleine Elisabeth am Rande des Rasens umher, immer erst rasch einen Blick nach dem Fenster der Mutter werfend, ehe sie es wagte, den Fuß einmal weiter hinein in das schwellende Grün zu setzen, lockte sie eine besonders üppig entfaltete Blüthe dem strengen Verbot der Mama zuwider zu handeln. Auf dem hübschen Gesichtchen des Mädchens, dem der schüchterne Blick der mit langen Wimpern beschatteten Augen den vollen Reiz sanfter Mädchenhaftigkeit verlieh, lagerte im Augenblick ein kleiner Schatten des Unmuths. Sie grollte der Cousine, die, statt mit ihr Veilchen zu pflücken, es vorgezogen hatte, mit einem Roman in das neben dem Arbeitszimmer der Frau Artefeld gelegene Wohngemach zu flüchten und dort, in ihr Buch vertieft, sich weder regte, noch anfänglich im mindesten auf das Gespräch achtete, das ihr Vater und ihre Tante mit einander führten.

»Soll es denn nun nicht endlich zwischen uns zu Ende kommen, willst Du mir nicht Bescheid auf meine oft schon wiederholte Frage geben?« begann Philipp Artefeld, die Schwägerin mit ernstem Blick fixirend und all' den Wohllaut in seine Stimme legend, dessen sein Organ nur immer fähig war; »wir sind ja Beide nicht mehr junge, unverständige Leute, und wenn unsere Entschlüsse jetzt von der Vernunft geleitet werden, wie sie damals, als wir uns den Forderungen des Gehorsams unterwerfen mußten, nur zu gern dem Gefühl gefolgt wären, so meine ich doch, könnte unsere Vernunft jetzt doch gereift genug sein, der langen Bedenkzeit nicht zu bedürfen.«

»Gewiß,« sagte sie, und eine an ihr ungewohnte, wenn auch kaum bemerkbare Weichheit der Stimme oder auch nur Mäßigung des harten Tones derselben verrieth, daß ihre Worte diesmal nicht allein von kalter Ueberlegung dictirt wurden, »gewiß, jedem Andern als Dir gegenüber würde ich mich auch schnell und zwar zu einem Nein entschieden haben. Für Dich sprach noch eine Erinnerung aus der Jugendzeit und machte mich mißtrauisch in meinen Entschlüssen, die ich gänzlich frei von jeder Einwirkung jener Tage wissen wollte. Du weißt es ja, ich hatte Dich einst lieber als Deinen Bruder, den ich heirathete, weil der Vater es so wollte, und es erst der jetzigen Generation vorbehalten ist, sich vom Gehorsam zu emancipiren. Obgleich einem Menschen ohne alle höheren Interessen, einem Müßiggänger vermählt, bereue ich doch meinen Gehorsam nicht. Der Vater wußte besser als ich selbst, was für mich taugte und wie ich das Ziel, das er mir zeigen wollte, am besten in's Auge fassen würde. Ich denke, ich habe in seinem Sinne gehandelt und bin den richtigen Weg gegangen.«

»Nun, und meinst Du, daß ich Dich irre führen könnte?« unterbrach er sie.

»O nein,« sagte sie mit halbem Lächeln, »ich bin zu lange Führer meiner eigenen Angelegenheiten gewesen, um nicht auch fernerhin an der Spitze stehen zu bleiben. Ich bin wohl sicher und fest genug, um weder eines Einflusses zu bedürfen, noch mich einem solchen zu unterwerfen, und deshalb war es nicht, daß ich Deinen Wünschen meine Ueberlegung entgegensetzte. Du kannst nicht erwarten, daß ich Dich aus demselben Gefühl heirathen soll, das ich einst vor Jahren für Dich hegte; dies Gefühl hat das Leben ausgelöscht, und es ziemt weder meinem Alter, noch meinen Verhältnissen, nach meiner langen Wittwenschaft es wieder wach zu rufen. Ich habe natürlich warmes Wohlwollen und aufrichtige Achtung für Dich, denn ohne diese Empfindungen wäre es eine Schmach, auch nur an die Möglichkeit einer zweiten Ehe zu denken. Motiv derselben, ein Motiv, das ich vor mir selbst zu rechtfertigen im Stande bin, kann aber in meinen Verhältnissen nur der Wunsch sein, in künftigen Tagen, in denen meine Kräfte vielleicht erlahmen und meinem schweren Berufe nicht mehr genügen könnten, eine Stütze zu haben, die mir eng genug verbunden ist, meine Interessen zu den ihrigen zu machen. Daß man eine solche Wahl nicht ohne lange Ueberlegung trifft, wirst Du natürlich finden. Es gilt, Dich Theil nehmen zu lassen an meinen Pflichten, meinen Arbeiten, meinem Ehrgeiz, es gilt, Dich mit zum Vertreter der Ehre des Hauses zu machen, dessen Vorstand ich bin – sieh, gestern war ich schon entschlossen es zu thun, das gewünschte entscheidende Wort zu sprechen, heute aber –«

»Nun,« unterbrach er sie mit leichtem Spott, »und was verwehrt es Dir heute, mich zu Ehren und Nutzen der Firma zu heirathen?«

»Ich habe einen Brief von Richard,« sagte sie schnell.

»Ach!« rief er erstaunt.

»Ich habe es ja immer gesagt, daß er bereuen, daß er sich zurückwünschen würde,« fuhr sie im triumphirenden Tone fort, »ich habe recht gehabt, nur wäre die Reue beinahe zu spät gekommen und er hätte seinen Platz im Hause eingenommen gefunden. Einen Stiefvater will ich dem erwachsenen Menschen nicht geben, und bedarf ich später eines helfenden Genossen zur Aufrechthaltung der Handlung, so ist der Erbe derselben der mir von der Natur zugewiesene.«

»Er kommt also wieder!« sagte Philipp Artefeld mit einem Tone, einem Antlitz, Freude wie Enttäuschung geschickt verschmelzend.

»Er schreibt, daß er geborgen sei,« erzählte Frau Artefeld, »daß er ein Unterkommen habe, sich wohl dort fühle, sich aber nach meiner Verzeihung sehne und nicht glücklich sein könne, ehe er sie nicht erlangt habe.«

»Aber er schreibt nichts von Wiederkehren,« bemerkte Philipp.

»Wie kann er, ehe meine Verzeihung ihm den Muth giebt, um Wiederaufnahme in das Vaterhaus zu bitten?« erwiderte sie.

»Und was hast Du ihm geantwortet?« fragte ihr Schwager auf's Neue.

»Lies,« sagte sie, ihm ein Blatt hinreichend.

Er überflog es mit den Augen, in denen wieder ein rasch unterdrückter Spott aufleuchtete, und wiederholte dann leise die wenigen Worte, die auf dem Blatte standen: »Komm zurück, augenblicklich, die Bedingungen kennst Du, erfülle sie, und Alles soll vergeben sein,« und sagte dann entschieden:

»Darauf hin kommt Richard nicht zurück.«

Sie warf den Kopf auf:

»Ich denke, ich kenne meinen Sohn, und sein heutiger Brief beweist, daß ich ihn wie den Narrenstreich seines Entweichens ziemlich richtig beurtheilt habe. Daß er nicht umkommen würde, wußte ich, denn er hat etwas von der Kraft meines Charakters geerbt; ebenso wußte ich aber auch, daß er auf die Dauer nicht Armuth und Entbehrung ertragen würde, denn dazu hat ihn sein Vater zu sehr verweichlicht und verzogen. Ich war sicher des Schrittes, den er heute gethan hat, es stand, wie gesagt, nur in Frage, ob sein Trotz nicht zu spät brechen würde.«

Eine kleine Pause trat ein.

»Was wirst Du thun; wenn Richard zurückkommt?« fragte Philipp, eine vergebliche Anstrengung machend, eine Regung des Schmerzes zu unterdrücken.

Seine Stimmung entging ihr nicht.

»Es bleibt mir nur Eins zu thun übrig,« erwiderte sie sehr ernst; »es ist viel Versäumtes nachzuholen, und ich werde mit aller Strenge darauf halten, daß es geschieht. Richard wird natürlich sogleich seinen Platz im Comptoir angewiesen erhalten. Er wird auch froh sein, wenn er erst so weit ist. Was uns Beide betrifft, mein lieber Freund,« fuhr sie freundlich fort, und ein in ihrem Auge seltener Strahl der Güte erwärmte dessen kalten Glanz, »so muß nun zwischen uns Alles beim Alten bleiben, aber ich will Deinem gekränkten Gefühl die einzige Genugthuung, die ich ihm zu geben vermag, nicht versagen. Das Bündniß mit dem wir die entschwundene Jugendzeit ja doch nicht nachholen können, wollen wir zwischen unseren Kindern, die noch im vollen Glanze derselben stehen, knüpfen. Wenn Deine Flora meinen Richard heirathet, wenn in ihren Kindern, unseren beiderseitigen Nachkommen, das Haus Artefeld würdige Vertreter findet, so, meine ich, hat die Blüthe der Liebe, die einst in unserer Jugendzeit aufging, mit der wir uns nicht schmücken durften und nach deren Schattenbild Du heute noch haschest, doch auch eine Frucht getragen, des Gehorsams, der Entsagung früherer Jahre werth! Mag Richard zurückkommen und Flora heirathen, und was die Vergangenheit uns auch an Wünschen versagte, die heitere Gegenwart, die hoffnungsvolle Zukunft wird und muß uns mit ihr aussöhnen.«

»Mein armes kleines, häßliches Mädchen!« sagte Philipp bedauernd, »es ist Thorheit, nur zu denken, daß Dein Richard sie würde heirathen wollen; sie ist noch dazu ein volles Jahr älter als er.«

Ein leichter Seufzer, so leise und so schnell ersterbend, daß er nicht in das Nebenzimmer zu den Sprechenden hineintönte, entrang sich Flora's Brust. Sie hatte die letzten Worte Frau Artefeld's gehört. Die erhobene Stimme, mit der jene sie aussprach, der laute Klang von Richard's Namen, hatte plötzlich die tiefe Aufmerksamkeit unterbrochen, die sie bis dahin ihrem Buche gewidmet. Sie war starr vor Erstaunen, als sie die Tante sagen hörte: »Mag Richard zurückkommen, mag er Flora heirathen;« die darauf folgende Bemerkung des Vaters entlockte ihr den leisen Seufzer. Sie stand von ihrem Platz am Fenster auf und schlich leise zum Spiegel. Der wandhohe Krystall im goldenen Rahmen spiegelte ihr eine wenig anmuthige Gestalt entgegen, die nichts von den schlanken, geschmeidigen Formen ihrer neunzehn Jahre an sich trug, aber in vollständiger Harmonie zu dem eben so wenig schönen Kopfe stand. Dennoch lag etwas Fesselndes in dem Gesicht, etwas so überaus Unschuldiges und Jugendfrisches, daß man sich wohl mit den unfeinen Zügen, dem flachsblonden Haar versöhnen konnte. Ob sie es wohl auch that? Sie prüfte einige Augenblicke mit recht ernsthafter, fast trauriger Miene das Spiegelbild, dann wandte sie sich plötzlich ab.

»Was thut's?« dachte sie, und die ganze unbekümmerte, frohe Sorglosigkeit der Jugend, die meist in ihren Zügen lachte, kehrte wieder. »Was thut's? die Männer sind auch nicht alle hübsch, und wenn ich zu häßlich bin, um von einem hübschen geliebt zu werden, mag's ein häßlicher thun, dann haben wir uns Beide nichts vorzuwerfen.«

Sie nahm ihren Platz am Fenster wieder ein, griff auch wieder nach ihrem Buche, aber ganz andere Worte, als die da gedruckt standen, drängten sich zwischen die Zeilen.

»Ob häßlich oder nicht,« sagte Frau Artefeld, und ihre scharfe, klare Stimme trug jedes Wort hinein zu der unbeachteten Lauscherin, »von meiner künftigen Schwiegertochter verlange ich weder Schönheit noch Reichthum. Da ist mir jedes einfach und sittsam erzogene Mädchen, das meinen Sohn glücklich machen will und das vierte Gebot zu respectiren gelernt hat, recht. Bei der Wahl eines Schwiegersohnes ist es schon etwas Anderes, da muß ich auch die äußeren Verhältnisse berücksichtigen. Die Tochter verläßt das Haus, und Alles, was sie zur Erhaltung eines Haushaltes bedarf, wird, nimmt sie es als Mitgift in Anspruch, dem Gesammtcapital entzogen. Das darf nicht sein, und ich will deshalb, daß Elisabeth einen reichen Mann heirathet, der sich mit einer geringen Mitgift begnügt. Ist er, was meinen Wünschen am meisten entsprechen würde, ein Kaufmann, nun, so würden vielleicht durch gemeinschaftliche Unternehmungen, durch den Austausch gemeinsamer Interessen dem Hause anderweitige Vortheile zu sichern sein und sich in diesem Falle auch jedes auszuzahlende größere Capital rentiren.«

»Wie meinst Du aber, daß meine Tochter den Verlust ausgleichen soll, den sie dadurch dem Hause zufügt, daß sie nur von ihm empfängt und nichts oder so wenig hineinbringt, daß es kaum zum Nadelgeld der jungen Frau ausreichen würde?« fragte Philipp wieder mit einem Anflug von Spott im Tone, dem aber seine leutselige, freundliche Stimme zu sehr widersprach, um von Frau Artefeld bemerkt zu werden.

»Durch Dankbarkeit, Gehorsam und Demuth, Eigenschaften, zu denen ich bei Deiner Flora die günstigsten Anlagen bemerkt zu haben glaube und durch die sie mir, wenn sie günstig dadurch auf Richard wirkt, heimzahlen kann, was ich für sie zu opfern willens bin. Wenn sie weiß und einsieht, daß sie meinem Hause, das sie aufnimmt, Alles verdankt, und eine dem entsprechende Stellung einnimmt, will ich mir Glück zu der Schwiegertochter wünschen und gern die Schönheit als Nebensache betrachten.«

»Verzeih, das kannst Du leicht sagen, Du heirathest sie nicht,« wandte Philipp ein, »aber kein Mann, so hoch er auch Schönheit der Seele schätzen mag, entbehrt gern äußeren Liebreiz an seiner Frau.«

»Du hast mir gesagt, daß Flora ganz das Ebenbild ihrer Mutter sei, nicht?« fragte Frau Artefeld ganz beziehungsvoll.

»Ja,« gestand Philipp die Thatsache zu, und die Anwendung, die seine Schwägerin von dem Umstand gemacht wissen wollte, wohl verstehend, fügte er mit schneller Gewandtheit und einen so feurigen Blick der Leidenschaft, wie er ihn sich bisher nie erlaubt hatte, auf die schöne Frau werfend, aber ganz leise hinzu: »Du weißt, daß mir damals Alles gleich war. Mit dem schönsten Glück des Lebens hatte ich abgeschlossen.«

Bis hierher hatte Flora mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Die letzten Worte, die sie nicht verstand, und deren flüsternder Ton sie darauf aufmerksam machte, daß sie nicht für Zuhörer berechnet waren, erweckte in ihr mit einem Mal das Bewußtsein von ihrer beschämenden Rolle: sie hatte gehorcht, ohne nur daran zu denken, was sie that. Horchen, das war noch viel schlimmer als häßlich sein! Sie eilte so leise und so schnell als möglich zum Zimmer hinaus, in's Freie, gönnte sich erst Ruhe, als sie am äußersten Ende des Gartens und sicher war, daß bis dorthin ihr der Schall der nicht für sie gesprochenen Worte nicht folgen konnte.

Die Beiden im Zimmer setzten indessen ihr Gespräch fort.

»Wenn Du Deinem Sohne nichts Anderes schreibst, als diese kurzen befehlenden Worte, wird er nicht zurückkommen. Du vergißt, weshalb er gegangen ist,« bemerkte Philipp, die kleine Pause abbrechend, die seinen letzten Worten gefolgt war, denn seine Schwägerin war, trotz allen Pochens auf ein gegen die Gefühle der Jugend und Weiblichkeit gestähltes Herz, doch Frau genug gewesen, vor der Erinnerung zu erröthen, die er durch Wort und Blick heraufbeschworen, und ärgerlich genug, über diese unfreiwillige Aeußerung ihrer Empfindungen einen Augenblick verlegen zu verstummen.

»Ich vergesse es nicht, eben so wenig wie ich es verkenne, warum er wiederkommen will. Er ging aus Ungehorsam, und was ihn zurücktreibt, ist die Reue, die aus dem Elend entspringt, das er in Trotz und Knabenübermuth auf sich geladen. Der sechszehnjährige Bursche dachte wohl, die Welt stürmen zu können mit dem Trotz des unbändigen Knaben, aber die Welt verlacht diese entlaufenen irrenden Ritter, verlacht oder zertritt oder bessert sie, und daß Richard an mich geschrieben hat, läßt mich hoffen, daß er auf dem Wege der Besserung ist, auf dem ihn zu erhalten meine Aufgabe sein wird.«

»Ist er denn aber im Elend?« fragte der Schwager, »er schreibt Dir doch, daß er versorgt, daß er zufrieden sei.«

»Zufrieden?« lachte sie geringschätzig. »Der verwöhnte, in Reichthum aufgewachsene und zur Verwaltung von Reichthümern bestimmte Knabe zufrieden in seiner jetzigen gemeinen Stellung?«

Sie hielt inne. Sicherlich wollte sie nichts Näheres über seine Verhältnisse mittheilen.

»Er sich zufrieden fühlen?« – fuhr sie fort, »wahrhaftig, mein Freund, ich müßte nicht Ich sein, wenn ich das glaubte! Er hat allerdings bisher wenig von dem Standesgefühl gezeigt, das die Wahrung der Interessen desselben zu einer Hauptpflicht des Lebens erhebt, ich habe ihn zu lange seinem schwachen Vater überlassen, der ihm in dieser Beziehung ein schlechtes Beispiel gab. Er hatte keine Pietät für die Gebote seiner Eltern, keine Unterwerfung, keine Demuth, er glaubte sich der häuslichen Zucht entwachsen, und in jeder Weise abhängig von mir, pochte er auf seine Selbstständigkeit. Er wird den albernen Irrthum eingesehen haben. Es ist sehr leicht, von Selbstständigkeit zu faseln, aber schwer, sie sich mit der Hände Arbeit zu erringen. Unabhängig und selbstständig macht nur der Reichthum, und der spreche doch nicht von freiem Willen, der seine Person für einen kargen Wochenlohn verdingt.«

Der Schwager sah sie halb gedankenvoll, halb zerstreut an. Fiel ihm der Unverstand der hochmüthigen Frau auf die Seele, die, dem Menschen jede innerliche Berechtigung zur Freiheit absprechend, nur den Besitz irdischer Güter als Mittel zu derselben zu gelangen betrachtend, doch gerade ihre eigene Person an diesen Besitz schmiedete, wie an eine Kette, die ihr nur innerhalb eines eng begrenzten Raumes freie Bewegung gestattete? Giebt es denn eine ärgere Sclaverei als die, in der eine alles Andere beherrschende Idee uns gefangen hält?

»Wo ist Richard jetzt?« fragte Philipp nach einer Weile.

»Es ist besser, wenn es Niemand erfährt,« erwiderte sie; »ich will nicht, daß irgend Jemand sich berufen fühlt, zwischen uns vermitteln zu wollen, ich will namentlich nicht, daß Du es thust, da Du von der seltsamen Idee befangen scheinst, er könnte noch immer hartnäckig, und meine Verfahrungsweise nicht die richtige sein.«

»Du kennst Deinen Sohn nicht,« wandte er ein.

»Ich denke doch,« sagte sie mit überlegenem Lächeln.

»Gut, warten wir es ab, welche Wirkung Deine strengen Worte haben werden,« bemerkte er.

»Ich will ein paar milde hinzufügen, Dir den Willen zu thun,« sagte sie halb scherzend, »ich will ihm beweisen; wie weit meine mütterliche Fürsorge für ihn geht.«

Sie setzte sich, hastig ihrem Brief einige kurze Worte hinzufügend, während sie den Schwager aufforderte, ihr in das Blatt zu sehen.

»Ich will Dir nicht nur vergeben,« lautete das Schreiben«, »sondern ebenso für Dein Glück und Deine Zukunft sorgen, als wenn Du mir nicht so schmerzliche Veranlassung gegeben hättest, Dir zu zürnen. Du sollst vollständig zu der Stellung zurückkehren, die Du als mein Sohn einzunehmen berufen bist, und wenn Du Dich tüchtig genug gezeigt hast, um unter meiner Aufsicht Theil an der Leitung der Geschäfte zu nehmen, so daß ich Dir mit Vertrauen ein selbstständiges Einkommen überweisen kann, sollst Du Dich mit Deiner Cousine Flora Artefeld verheirathen, deren vortrefflicher Charakter und einfaches, demüthiges Wesen die beste Bürgschaft für Dein künftiges Glück gewährt.«

Sie ist toll, sie ist ganz toll; dachte Philipp, sie thut Alles, ihn zu verscheuchen.

»Ich wasche meine Hände in Unschuld,« sagte er, als sie ihn triumphirend und Beifall fordernd ansah; »verzeih,« setzte er mit betrübter Miene hinzu, »aber vielleicht dringe ich nur so auf milde Maßregeln, um mein Gewissen ganz rein zu erhalten in dem mir jetzt auferlegten Kampfe egoistischer Wünsche mit meiner Zuneigung für Richard und der Sorge für sein wahres Wohl. Ich muß auf seine Rückkehr hoffen, aber eine andere leuchtende, wenn auch selbstische Hoffnung geht daran zu Grunde.«

Frau Artefeld reichte ihrem Schwager mit mildem Lächeln die Hand. Dieser führte sie mit der Ehrerbietung eines Höflings und dem unterdrückten Feuer eines Liebhabers an die Lippen; dann, als gälte es noch einen letzten Kampf mit seinem Geschick, sagte er, anfänglich mit sichtbarer Aufregung, dann aber seine Rede zu einem ruhigen, fast kalten Ton herabstimmend, dem jedoch das Gezwungene anzumerken war:

»Wenn nun Richard aber nicht zurückkehrt, wenn er es ausschlägt, sich der Handlung zu widmen, es ausschlägt, der Gemahl meiner Tochter zu werden, wenn Du Dir also in ihm keine Stütze heranziehen, nichts von der Bürde Deiner Geschäfte seinen jungen Kräften übertragen, in ihm keine Gewähr für den fortblühenden Reichthum, das gesteigerte Ansehen des Hauses sehen kannst, willst Du dann meine in der Jugend zurückgedrängten, aber nie erstorbenen Wünsche erfüllen, wirst Du mir dann gestatten, der treue Gefährte Deiner künftigen Jahre, der Genosse Deiner Freuden und Sorgen zu sein? An Dein Herz zu appelliren, findest Du Deinen und meinen Jahren nicht angemessen, obgleich das stürmische Klopfen in meiner Brust mich eines Andern belehrt, obgleich all' Deine kalten, abgemessenen Worte mich nicht überzeugen wollen, daß auch das Deine nicht noch jugendlich zu schlagen vermöchte. Aber ich will davon abstrahiren, ich will nicht sprechen wie ein junger Mann und Liebhaber, ich will sprechen wie die Vernunft selbst, wie ein Kaufmann, der die Vortheile und Nachtheile des abzuschließenden Geschäfts mit seinem Handelsgenossen genau abwägt, ehe sie sich die Hände reichen und Topp sagen. Ich biete Dir also nichts als mich selbst. Keinen Reichthum, denn den besitze ich nicht, keine Standeserhöhung, nicht einmal einen Namen, der gewichtig in die Wagschale fiele, denn wir führen Beide denselben. Aber ich will auch nichts als Dich selbst, denn was an irdischen Gütern Dir zugefallen ist, gehört Deinen Kindern, und Gott bewahre mich vor dem vermessenen Gedanken, jene berauben zu wollen. Du siehst also, der Handel würde sich ausgleichen, wäre nur von äußeren Bedingungen die Rede. Wie kann ich meine Person neben die Deine stellen, was Dir bieten für all' die hervorragenden Eigenschaften Deines Geistes? Ich weiß nur Eins: ich trage Dir mein volles, warmes Herz aus der Jugendzeit für Deine kalte Achtung, Dein lautes Druckfehler statt »laues«? – Anm.d.Hrsg. Wohlwollen entgegen, und mit der Fülle der Empfindung will ich zahlen für Deinen überlegenen Geist. Habe ich nun in Deinem Sinne gesprochen, wissen wir nun genau, wie wir es meinen, und knüpft sich in Deiner Seele an den Gedanken einer Verbindung mit mir nicht vielleicht die Hoffnung auf irgend ein in die Rechnung nicht mit aufgenommenes Glück?«

Er schwieg erschöpft, zitternd vor Bewegung; sie war gerührt, geschmeichelt durch seine Huldigung, stolz auf ihre Herrschaft über ihn und halb und halb hingerissen, sie unlösbar zu befestigen, aber sie gab nie dem Gefühl die Herrschaft über die Beschlüsse ihres Kopfes.

»Warten wir ab, ob Richard kommt,« sagte sie fest, und das Verlangen fühlend, allein zu sein, winkte sie ihm mit der Hand seine Entlassung zu, als sei sie eine Königin und er ihr devotester Unterthan.

Er eilte in den Garten und warf sich dort auf die erste beste Bank. Er war wirklich erschöpft, wie so mancher Schauspieler nach effectvollen Scenen es ist, die er mit aller Treue einer wahrhaften Empfindung gespielt und wodurch er das Publikum zu begeistertem Beifall hingerissen hatte. Flora gesellte sich dort zu ihm.

»Papa,« sagte sie, sich neben ihn setzend und ihren Arm vertraulich durch den seinen schlingend, »was ist das mit Richard, wann kommt er wieder?«

Herr Artefeld fuhr ganz erschrocken auf.

»Woher weißt Du, daß von seiner Rückkehr überhaupt die Rede ist?«

»Die Wände haben Ohren,« entgegnete sie leichthin.

»Doch nur, wenn Jemand hinter ihnen steht,« sagte der Vater streng. Flora erröthete.

»Nun ja, Vater, ich muß es nur gestehen, ich stand dahinter, das heißt, ich saß in der Nebenstube am Fenster und las, als ich auf einmal Richard's Namen aussprechen hörte. Ich überlegte mir nicht gleich, daß ich eine unberufene Zuhörerin sei, und als es mir einfiel und ich mich schämte und rasch davonlief, da hatte ich schon vernommen, daß Richard zurückkommen soll.«

»Und was hattest Du noch gehört?« fragte der Vater forschend.

»Daß ich ihn heirathen soll und daß Du meintest, ich sei zu häßlich für ihn,« antwortete sie, und setzte dann, als sie des Vaters mitleidige Miene sah, gutmüthig hinzu: »Mach' Dir keine Sorge, weil ich das von der Häßlichkeit hörte. Ich gräme mich nicht deshalb. Es können nicht alle Menschen hübsch sein, und Ihr habt mich ja lieb, wenn Ihr mich auch häßlich findet. Ich wollte Dir nur sagen, Papa, daß ich in keinem Fall den Richard heirathen mag, daß es von der Tante sehr gütig ist, mich zur Schwiegertochter zu wählen, sie soll mich ihm aber nicht anbieten, ich will ihn nicht.«

»Und warum giebst Du ihm so unbarmherzig den Korb, mein liebes, kleines Mädchen?« fragte Philipp, der seine Tochter zärtlich liebte, wenn auch nicht mit der Ueberschwänglichkeit, die zu wirklichen Vorzügen erdichtete hinzusetzt,

Flora lächelte.

»Er ist mir zu hübsch und zu jung, Papa. Ich muß lachen, wenn ich mir denke, daß er meinen Herrn und Gebieter vorstellen, daß ich ihn ehren, ihm gehorchen soll. Das könnte ich nicht, wenn ich ihn auch recht herzlich lieb Habe.«

»Man heirathet aber zuweilen auch aus Gründen der Vernunft und Ueberlegung,« belehrte sie der Vater mit leichtem Spott, den das harmlose Kind jedoch für Scherz nahm, »und solche Gründe gäbe es genug, Dich mit der Jugend und Schönheit Richard's auszusöhnen. Er ist zum Beispiel sehr reich und Du bist arm.«

»O pfui, Papa, das ist ein häßlicher Scherz,« schmollte Flora.

»So verzeih ihn mir, mein Liebling,« sagte Philipp, sie auf die Stirn küssend, »aber ich fürchte, es wird schwer sein, für Dich einen Mann zu finden, wenn Du solche Partien ausschlägst.«

»Ich will gar nicht heirathen,« versicherte sie, »oder wenigstens nur, wenn ich dem Manne, der mich lieb hat, wirklich etwas recht Gutes damit erweisen kann. Hübsch darf er aber nicht sein, damit er kein Recht hat, über meine Häßlichkeit zu reden.«

Philipp lachte, aber sie versicherte, daß es ihr ernst mit dem Entschluß sei, brach aber dann von dem Gegenstand ab und drang statt dessen mit Fragen über Richard in den Vater. Ob und wann er geschrieben und was und wie, wie lang der Brief gewesen sei, was Tante Artefeld geantwortet, wann Richard wiederkehren würde u. s. w. Sie ruhte nicht, bis der Vater ihr Rede gestanden, ihr den Inhalt beider Briefe ungefähr angegeben hatte, ihr jedoch aus richtigem Zartgefühl verhehlend, daß Richard schon von dem neuen Plan seiner Mutter in Beziehung auf seine Zukunft in Kenntniß gesetzt worden sei.

Sie schüttelte bedenklich den Kopf zu Herrn Artefeld's Mittheilungen. Richard's Rückkehr schien auch ihr mehr als zweifelhaft.

»Ich begreife sie alle Beide nicht,« sagte sie, »sie müssen sich doch lieb haben, warum verstehen sie einander nicht?«

»Wer durch eine Mauer will, zerbricht sich den Kopf, wer fein um sie herumgeht, gewinnt freies Feld,« bemerkte Herr Artefeld lächelnd. »Aber nun sei hübsch klug, mein Mäuschen, und misch Dich nicht in die Geschichte. In keinem Fall vergiß, auf welche Weise Du sie erfahren.«

 

Verdient es eine sehr strenge Rüge, daß Flora diese letzte Warnung einen Augenblick vergaß und ihr übervolles Herz in den treuen Busen des alten Herrn König ausschüttete, unter der feierlichsten Berufung auf seine Verschwiegenheit, von der sie übrigens, wie Alle, die sie kannten, wußte, daß auf dieselbe zu bauen war? Es wurde ihr zu schwer, ihre Befürchtungen und Hoffnungen in sich zu verschließen. Der Vater, der eben durch sie den Beweis gehabt, daß die Wände Ohren haben, floh jede Gelegenheit zu einer vertraulichen Besprechung über den Gegenstand, und die dreizehnjährige Elisabeth war ihr nicht sicher genug zur Bewahrung eines solchen Geheimnisses.

Die Tage schlichen ihr dahin unter dem Gewicht desselben, in der peinlichen Erwartung, ob es nicht bald eine helle Lösung finden würde. Jeden Nachmittag, wenn sie ihren Vater auf die Villa hinausbegleitete, hoffte sie von Richard empfangen zu werden, forschte sie mit fast angstvollen Blicken in den Zügen ihrer Tante, ob nicht in ihnen ein Schimmer der Freude zu finden sei, bereit, den verlorenen Sohn an der Schwelle des Vaterhauses zu empfangen. Vergeblich. Die Miene der Tante blieb unverändert, Richard's Name kam nicht über ihre Lippen.

Flora wagte leise Andeutungen, die, wie sie meinte, Niemanden compromittiren könnten, sie wagte sogar einmal, einen beziehungsvollen Traum zu erzählen, in dem die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in so geschicktester Weise mit Richard's dereinstiger, hoffentlich bald zu erwartender Rückkehr verschmolzen war, daß auch das befangenste Urtheil einem Traum unmöglich so viel Logik, so viel Geschick in Lösung schwieriger Verhältnisse zutrauen konnte, als in demselben enthalten war. Auch sah Frau Artefeld die Erzählerin mit höchst befremdeter Miene an, auch erröthete Philipp über den gänzlichen Mangel an Phantasie, den das ungeschickte, kleine Ding in seinem plumpen Traum verrathen, und fertigte sie mit einem kurzen: Träume sind Schäume! ab.

»Ja, Papa, bis ein guter Engel kommt und sie erfüllt,« erwiderte Flora rasch, mit einem unbesonnenen Blick auf die Tante.

Jene schwieg, und Philipp lenkte das Gespräch auf andere Gegenstände. Flora entging jedoch einer kleinen Strafrede nicht.

»Laß Dich nicht auf Umwege ein, mein Kind, spiele Du nicht Versteck mit Deiner Meinung, da Du in diesem Punkt so unschuldig bist wie ein Kind, das, wenn es die Augen zumacht, meint, die Anderen könnten es nicht sehen,« sagte er zu ihr, als sie Beide auf dem Heimwege waren.

»Deine Tante läßt sich durch solche Kunststücke eben so wenig irre führen, als sie sich durch eine klar ausgesprochene Meinung leiten läßt. Willst Du sie zu Dir hinüberziehen, versuch's mit Spinneweben, aber nicht mit einem Strick. Ich habe Mühe genug gehabt, sie zu überzeugen daß Dein ungeschickt ausgedachter Traum nichts Anderes sei, als ein zufälliger Einfall. Ich konnte ihr wenigstens allen Ernstes versichern, daß Du durch mich keine Kunde von Richard's Brief erhalten, wie es ja auch der Fall ist. Es ist ein Glück, daß sie selber nicht lügt und deshalb auch leicht Anderen glaubt, sonst hätte sie fast in meine Worte Zweifel setzen müssen, da ich ihr einziger Vertrauter in dieser Angelegenheit bin und sie natürlich nicht ahnen kann, auf welche Weise Du sie erfahren.«

Flora war beschämt, bereute bitter ihren Einfall und versicherte dem Vater, sich nie wieder einen Traum ausdenken zu wollen, er möge ihr nur verzeihen. Er lachte zu ihrer Reue. Es fiel ihm nie ein, auf Jemand böse zu sein, am wenigsten auf seine Flora.

»Geh Du nur immer geradeaus, mein Kind,« sagte er, sie freundlich auf die Schulter klopfend und das Du unwillkürlich scharf betonend, daß ein geübteres Ohr als das Flora's wohl daraus hätte entnehmen können, daß er ihr weniger eine Lehre der Moral gab, als sie von einem Privilegium ausschloß, das in Anspruch zu nehmen sie kein Geschick hatte. »Immer geradeaus, mein liebes, einfältiges, kleines Mädchen,« wiederholte er, sie liebkosend, und sie küßte ihm die Hand für die väterliche Ermahnung, sie, wie Alles, was der Vater ihr gesagt, dem alten Herrn König wie seiner Schwester Dorothee wiederholend, als sie ihnen den mißglückten Versuch mit dem in Gemeinschaft mit Dorothee ausgedachten Traum erzählte.

»Geradeaus, das ist auch das Beste,« bestätigte der Buchhalter gedankenvoll.

»Sie mit Spinneweben umschlingen,« brummte Jungfer Dorothee, »dazu müßte man just eine Spinne sein und auf den Augenblick lauern. Das können Sie freilich nicht, Sie liebes Kind, und Unsereins ist auch zu ehrlich dazu. Das mag der Herr Vater versuchen,« fügte sie spöttisch hinzu. Ein Blick ihres Bruders wies sie zurecht.

Flora lachte harmlos.

»Der gute Vater,« sagte sie, »er höhnte mich mit dem Vorschlag! Er hat ganz recht, mit Gewalt läßt sich bei der Tante nichts ausrichten, und daß ich eben so wenig Geschick zur List habe, als er selber, weiß er wohl.«

»Was denkt er aber zu thun?« fragte Dorothee.

»Gott weiß es,« sagte Flora, »das Beste gewiß.«

»Das Beste und geradeaus,« versicherte Dorothee mit einem zweideutigen Lächeln, das sie aber in ein wirklich freundliches umwandelte, als sie Flora's Augen auf sich gerichtet sah.

»Geradeaus, geradeaus!« murmelte der Buchhalter vor sich hin, mit einem Seufzer die Worte abbrechend.


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