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Der Adler.

Einsam – hoch oben auf einem vorspringenden Felsblock saß der junge Adler und schaute hinweg über die unermeßliche gelbe Savanne – die sich tief unter ihm ausbreitete.

Feierlich still war's hier oben, und die frische Morgenluft rein und klar. Kein Laut – kein Ton drang zu ihm aus der Tiefe.

Fern blauten leichte Bergzüge am Horizont, und die die großen Dornenbäume da unten sahen aus wie winzige Pünktchen.

Starr und reglos saß der junge Adler wie eine Statue. Lange Zeit –. Nur hin und wieder zog er die Nickhaut über seine goldigen Augäpfel – oder öffnete wie gähnend den scharfen adligen Hakenschnabel.

Einsam thronte er hier – hoch über allem Lebendigen, über allem, was dort unten am Boden klebte. Hier in seinem Reich herrschte die Ruhe der Einsamkeit.

Kein Lufthauch regte sich – nur die Sonne prallte gegen die starren Felsmassen.

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Anders war es, wenn der Sturm um dies sein Felsennest tobte, wenn er gierig durch die Klüfte heulte und lose Steintrümmer in die Tiefe stieß. Ungehindert stieß er, weit über die Savannen kommend, gegen dies starre Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte, hüllte den Berg ein in sein brausendes Toben, flutete in Gedankenschnelle über die Steinmauern hinweg, schloß sich aufjauchzend jenseits zusammen und fegte weiter über unendliche Steppen.

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Der junge Adler breitete weit seine Fittiche aus und schwang sich hinaus in die unbewegte Luft, glitt in langen Linien hinab, hinauf und wieder hinab, und schwebte lange in gleicher Höhe dahin – hoch über den leuchtenden Grasfluren.

Kein Auge hätte ihn erreicht dort oben in seinem Flug. Lange Zeit trieb er so dahin und stieß zuweilen aus mächtiger Brust sein seliges »Piuh« in freie Luft.

Im Gleitflug ging er jetzt hinab. Pfeifend strich die Luft unter den ausgebreiteten Schwingen hindurch. Schnell näherte er sich der Erde – hob sich etwas und ließ sich dann mit leichtem Wippen des Körpers auf der Krone eines alten Kameldorns nieder.

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Er saß da und beobachtete das Gelände – lange Zeit. Nichts Lebendes regte sich. – Nur da in der Ferne zog Großwild schattigen Buschbeständen zu.

Wieder hob er sich hoch in die Lüfte – zog in weiten Kreisen seinem Felsenhorst zu. – Griff beim Entlangstreifen der Felswände einen Klippdachs mit haarscharfen Krallen und kehrte zurück auf seinen Fels.

*

Laue Mondnacht war's zur Regenzeit. Tief unten rauschte im silbrigen Licht dar Rivierwasser über die Felsen zu Tal. Plätscherte über Geröll und Steinchen – murmelte durchs sandige Bett.

»Tuo – Tuü – Tui – Tii« in gleichmäßiger Tonfolge sang der Tonleitervogel sein Lied durchs schlafende Felsental. Leis hallte es die Berge hinauf zum Einsamen. Märchenhaft glänzte klarer Mondschein über Klippen und Sträucher, und der Duft feuchten Grases und blühender Mimosen lag über dem schlafenden Lande.

Laue silbrige Mondnacht. Ewig einsam hier oben seit UrUrzeiten. Und der Adler kuschelte seinen Kopf tiefer in die gesträubten Halsfedern.

Die Geisterstunde nahte, »Puu – uh – Puu – uh« klagend, unsagbar traurig schallte die Stimme des Totenvogels aus den Steinwänden, und leise, kaum vernehmbares geisterhaftes »Uhu« klang von der jenseitigen Wand zurück. Auf samtnen Schwingen strich das Käuzchen um den Berg – stundenlang: »Puhu – Puhu«, und der Tonleitervogel sang dazwischen. –

Afrikanische Nacht! – –

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Als die ersten Sonnenstrahlen über die dunkle Steppe blitzten, die ragende Felsenspitze umglühten, reckte der Adler seine Flügel, breitete nacheinander die Schwingen zur Erde und sprang in ein paar ungeschickten Sätzen bis zum äußersten Felsenrand.

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Stunden vergingen. – Da sah er in weiter glasiger Ferne einzelne Punkte durch die flimmernde Luft eilen. Mehr und mehr wurden ihrer und sammelte sich weit dahinten vor den Bergen über einem kleinen Fleck Erde. Sie senkten sich nieder, und wieder neue kamen.

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Da schwang sich auch der junge Adler vom Stein, teilte mit scharfen Schlägen die Luft und eilte demselben Ziele zu.

Jetzt überflog er einen dichten Dornwaldstreifen, aus dessen dunkler Mitte weißglänzende Äste eines toten Baumriesen wie silberne Spieße hervorstachen. Dort hatte der Horst gestanden, aus dem er in die sonnige Welt geflogen war. Wo sind die Geschwister aus jener Brut? Wo die Eltern?

Vorbei! – – Weit schon lag der Buschwald hinter dem Eilenden.

Ein paar schwerfällige Geier kreisten auf einmal über ihm, und dort kam Stummelschwanz, der Gaukleradler, mit gelbroter Wachshaut am Schnabel und leuchtenden Fängen. Ein lustiger geschickter Geselle inmitten der würdigen Adler. Dort baumte ein Blaufalk auf, der schnittigste, rassigste und wohl auch der scheueste aller Falken.

Mit schwer rauschendem Gefieder ließ sich der Adler auf einem Dornbaum nieder. Rund herum auf allen Baumkronen hockten zahllos die Riesenvögel. Hier ein paar Raubadler – der Weißbrust-, der Schreiseeadler, dunkelbraune, pechschwarze, silbergraue, alles durcheinander.

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Der Adler

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Der Adler

Und da hinten, schon auf dem Boden, stiegen stolz Marabus durchs Gras – warteten in ergebener Ruhe, bis der Herrscher der vierbeinigen Tierwelt seine Mahlzeit beendet hatte.

Fast über dem König der Tiere saß der junge König der Lüfte und blickte mürrisch auf seinen Standesgenossen herab, der ärgerlich aufbrummte, wenn einer der gefiederten Räuber oder ein Schakal sich in der Nähe zeigte.

Jetzt senkte der Lowe seinen Mähnenkopf auf die Tatzen. Gesättigt ließ er sich bei seiner Beute nieder. Hin und wieder warf er einen Blick über die herumlungernde Gesellschaft – der jedesmal dann bei seiner Beute, dem Zebra, hängen blieb. Ob er wohl gehen sollte? Wiedersehen würde er nichts mehr von seinem Mahl, dafür würde das Volk da schon sorgen.

Noch ein paar Fetzen riß er sich los. – Aber es war doch genug. Unlustig schlug der Schweif den Boden, dann erhob sich der Alte, machte ein paar Schritte auf den schattigen Dornstreifen zu, schaute sich um, wendete zurück und pendelte so unschlüssig eine Weile hin und her – bis er schließlich in langsamem, schwerwiegendem Schritt von dannen zog.

War das ein Brausen und Rauschen der Flügel, ein wütendes Hacken auf das Opfer – oder den Nebenmann. Auch die Schakale versuchten sich heranzudrängen. Alles wimmelte durcheinander und bedeckte das Zebra so, daß auch nichts von ihm aus dem Vogelballen herauslugte. Nur die Marabus standen etwas abseits. Große Fetzen rissen die Geier los, zerrten an langen Därmen, schluckten und würgten. Hin und wieder angelten die langen Schnäbel der Marabus sich ein zur Seite fliegendes Stückchen auf und ließen es in ihrem nackten Kehlsack verschwinden. –

Mit vollem Kropf, schwerfällig mit wuchtenden Flügelschlägen zog der junge Adler ab, strich über einige Baumkronen und baumte schließlich auf einer halbwüchsigen Akazie auf zur Verdauungsrast. –

Stundenlang saß er unbeweglich, kam dann zu einem kurzen Nachmahl zurück, nagte mit krummem Hakenschnabel an vollkommen verstaubten Resten und strich ab, zurück zu seinem Felsennest. –

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Eines Tages sah er tief unten zu Füßen seines Berges Bewegung, Tiere und Menschen. Das wabbelte wie in einem Ameisenhaufen. Zur Nacht mußten die eingetroffen sein, denn durch das Dunkel hatte das Blitzen des Feuers zu ihm heraufgeleuchtet, da er im Halbschlaf die Augen öffnete.

In weiten, immer tiefer gehenden Kurven kreiste der Adler über dem Lagerplatz und beobachtete das Treiben.

Jetzt ritten einzelne Zweibeiner ab – nach verschiedenen Richtungen. Fast wären sie seinen scharfen Augen entglitten – da folgte er der größeren Abteilung und hatte bald die langsam durchs Gras Ziehenden eingeholt. Schwebte hoch über ihnen – unerreichbar ihrem unbewaffneten Auge.

Da drang nach einer Weile der leise Knall einer Büchse an sein Ohr – wieder und wieder. Eine Antilope dort aus dem Rudel machte eigenartige Sätze und stürzte ins gelbe Gras. Die Menschen eilten hinterher und sammelten sich um ihre Beute.

Fast ohne es zu wollen, war der Adler ihnen näher und näher gekommen. Gerade ließ er sich auf einen Baum nieder, als derselbe Knall ertönte und pfeifend in Gedankenschnelle strich ein unbekanntes singendes Etwas an ihm vorbei. Mit raschem Flügelschlag schwang er sich in die Lüfte.

Nach einer Weile dann zogen die Menschen ab, und kaum waren sie in der Ferne verschwunden, flog er suchend das Gelände ab. – Da wo die Antilope gelegen haben mußte, sah er nur einen Haufen Zweige und Grasbüschel. –

Das mußte untersucht werden und schon hopste er in ungeschickten, tolpatschigen Sätzen – wie sie den Adlern eigentümlich sind, auf den Grashaufen zu. – Und richtig – da schimmerte auch schon die rötliche Decke des Wildes und dort ein Stück des Kopfes daraus hervor. Sogleich machte er sich an die Arbeit und tat sich gütlich an der Menschenbeute. –

Kurze Zeit darauf hörte er das wohlbekannte Rauschen von Vogelgefieder über sich, und dicht neben ihm schoß ein Geier zum Boden. Mit weitgespreizten Flügeln und hochgerecktem Schnabel fuhr der junge Adler dem Nackthals entgegen, daß dieser im ersten Augenblick scheu zur Seite wich. Doch schon stürzten sich vom Himmelsblau aus unbekannten Fernen mehr und immer mehr der gefiederten Räuber herab.

Das vierbeinige kleine Raubzeug der Steppe merkte auf und blickte den ziehenden Vögeln nach. Die zogen zum Mahl – und wer weiß, vielleicht hatte man Aussicht, ein paar Bissen zu erhaschen. Auch sie machten sich auf – eilten der Richtung, den fliegenden Wegweisern nach. –

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– – – St – ssst – bum. Und noch ein-, zweimal und wie eine einschlagende Granate das Erdreich hochwühlt, brachten die Gewehrschüsse die wild durcheinanderwirbelnden Vogelmassen in die Höhe.

Zuckend im Todeskampf lag dort ein Geier mit den Flügeln schlagend im Grase. Dicht neben dem jungen Adler stürzte plötzlich der lustige Gaukler ab und schlug wie ein Stein zu Boden. –

Hoch oben – unerreichbar den Geschossen des Menschen, trieben die andern langsam durch die Luft.

Die folgende Nacht verbrachte der Adler mit andern auf den Zweigen der alten Schirmakazien am Rande der Fläche. Rund herum in allen Baumkronen saßen wie dicke Klumpen die großen Raubvögel.

Die Menschen aber zündeten sich ihr Feuer dort an, wo das Wild gefallen war, brieten sich Fleisch, schmausten und ruhten.

Als aber am andern Morgen der Adler über den Platz strich, waren die Menschen verschwunden. In weiten vorsichtigen Bogen schlug er seine Kreise durch die frische Morgenluft und ließ sich dann, als alles sicher schien, als erster nieder. – Doch wie immer folgten bald die andern.

Dort lagen Knochen und Überreste zu Haufen. Die gefallenen Kameraden von gestern waren nirgends zu sehen. Schon hackte der junge Adler an ein paar Knochentrümmern herum – da – klack! – Entsetzt breitete er die Flügel aus – versuchte verwirrt in die Höhe zu kommen. Unendliches Gewicht schien aber an seinen Fängen zu haften.

Gestützt auf seine ausgebreiteten Flügel saß der junge Adler im Eisen. Doch dessen Durchschlagskraft war gehemmt. Dick mit Zeugfetzen waren die Bügel umwickelt.

Die Genossen waren nur einige Schritte zur Seite gewichen, sahen die seltsamen Bewegungen des Gefangenen einen Augenblick erstaunt an – dann aber ließen sie sich von dessen Flügelschlägen nicht weiter stören.

Und die Sonne stieg höher und höher, sandte ihre Strahlen herab auf das ausgedörrte Land und senkte sich langsam wieder gen Westen.

Mit der Brust lag der Adler vornüber auf dem Boden. Zerknickt waren vom erfolglosen Kampf die Federn. Sand und Staub klebte an Schnabel und Augenlidern.

Als die Dämmerung kam und der letzte Kamerad schon lange im luftigen Revier verschwunden, da huschten die geckernden Schakale näher und näher – wie graue Schatten. Schon gellte das Geheul der Hyäne in den jaulenden Chor der Schakale – da verstummte urplötzlich der ganze Lärm – schwand dahin, wie ein Spuk im Dämmern der Nacht.

Da drangen Stimmen der Menschen an des Adlers Ohr, kamen näher und näher. Eine letzte verzweifelte Kraftanstrengung war vergebens. Schon standen die Menschen um ihn herum und entfachten ein loderndes Feuer.

Dann warfen sie eine Decke über ihn, befestigten über seinen Fängen eine Kette und schoben ihn in einen Sack. Lange lag er da in seinem stickigen Gefängnis. Dann hörte er nach schier endloser Zeit knallende Peitschenschläge und das Rattern eines Wagens.

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Man schob den Herrscher der Lüfte in eine kleine mit Maschendraht verschlossene Kiste und streifte ihm den Sack wieder ab.

Schon vor Sonnenaufgang setzte sich der Wagen in Bewegung. – Wie das stieß und schütterte!

Hin und wieder warf man dem Gefangenen ein Stück Fleisch in seinen Käfig. Sonst aber kümmerte sich niemand um ihn.

Tag reihte sich an Tag. – Kurze Pausen abgerechnet war der Wagen dauernd in Bewegung, bis der Adler schließlich mit vielem andern Getier, das auch in ähnlichen, verschieden großen Kisten saß, zusammenkam.

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Gaffende Menschen, braune und weiße, umdrängten den Zug, der jetzt auf Schienen dem Meere zurollte.

Eine gewisse Ruhe trat erst ein, als alle Tiere auf dem Dampfer verladen waren. Der junge Adler saß an seiner Kette, doch sonst frei, oben auf dem Achterdeck. Zerstoßen und fleckig das Gefieder und das königliche Auge tief eingesunken unter den vorspringenden Knochenbögen.

Frisch und frei war die Luft und der Wind pfiff um ihn wie einstens auf einsamen Felsen.

Wochen vergingen so! Ob der Adler sich ausgesöhnt hatte mit seinem Schicksal? Still unbeweglich hockte er auf seinem Platz und starrte in die unbegrenzte Weite über das Meer hinweg, verfolgte sehnsüchtig mit Ohr und Augen die Sturmvögel – die Möven, die durch die Lüfte dahinstrichen – wie einst auch er.

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Um seine Leidensgefährten kümmerte er sich nicht. Stumm und reglos saß er da. »Stumpfsinnig,« sagten die Menschen.

Und dann fuhr eines Tages der Dampfer zwischen grünen Ufern einen Fluß hinauf. Dort an der Stadt wurde der Adler mit den andern an Land gebracht und kam in einen großen Käfig.

Ungeschickt flatterte der Adler auf die vertrockneten, von andern Vögeln beschmutzten Äste eines toten Baumes. – Vom höchsten Zweig stieß er einen dort sitzenden alten Adler hinab – und schaute sich um.

Trübe, naß das Wetter. Grau, tot der Himmel. Von seinem Platz aus konnte der Adler weit in den Garten hineinsehen. Dort saß Freund Marabu, der schon auf dem Ochsenwagen sein unfreiwilliger Begleiter gewesen war. Hin und wieder drang das dumpfe Grollen des Löwen – seines Vetters – zu ihm herauf. – Also, der auch in Gefangenschaft, in Gewalt der Menschen?

Daß ein Entweichen unmöglich war, hatte der Adler bald herausgefunden. Gesellschaft hatte er auch – leider! Hier der Geier mit dem Klumpfuß – dort der Adler mit dem steifen Flügel. Zu Spottbildern ihrer Art geworden durch den Zwang der Menschen. – Und die Oryxantilope dort mit den lächerlich langen Hörnern, dem dicken Bauch, hervortretenden Rippen und den langen Schalen. – Entstellung, wohin er sah.

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Und dann diese Menschen, die mit Steinen nach ihnen warfen, mit Stöcken durch die Gitter stießen.

Unnahbar – reglos saß der Adler auf seinem Platz. Tag um Tag – Monat um Monat. Traurig und sonnenlos der Himmel. Der Adler starrte reglos vor sich hin, plusterte sein schmutziges, glanzloses Gefieder auf – und saß da – selbst zur Fratze geworden.

Doch wenn an selten hellen Sommermorgen die Sonne ihre ersten Strahlen sandte – dann war es feierlich still und einsam hier. Von Ferne drang das Geckern eines Schakals zu ihm herauf, und sein Blick badete sich im tiefen Blau des Himmels. Dann träumte er wohl von seinem einsamen Felsenhorst im fernen Afrika, vom Flug über endlose Savannen – und in tiefster Sehnsucht reckte er weit seine Fittiche der aufgehenden Sonne entgegen.

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