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IV.

Der Strudel der Aufregung während, des Negeraufstandes in Richmond, in den Lincoln mit fortgerissen wurde, hatte ein glühendes bezauberndes Bild in seiner Seele augenblicklich verbleichen lassen, welches jetzt, da der Sturm jener wilden Leidenschaften verweht war, wieder lebendig und begeisternd in seiner Erinnerung aufstieg. Es war das Bild jener reizenden Mädchengestalt, die er vor. einigen Wochen Abends in der Apotheke gesehen und deren Wohnort er sich vergeblich bemüht hatte, ausfindig zu machen; es war das Bild der schönen Mulattin Rosiana. Sie stand vor ihm in ihrer zauberischen Lieblichkeit, wenn der Morgen den Schlaf von seinen Augenlidern verscheuchte, er sah sie auf dem Papier vor sich, wenn er am Arbeitstisch seine Gedanken für feine geschäftlichen Aufgaben zu sammeln suchte, sie begleitete ihn, wenn er Abends auf einsamem Pfade an den nahen, schroffen Bergabhängen hinwandelte und dem Rauschen der Wasserfälle in dem Jamesfluß zu seinen Füßen lauschte, und sie umschwebte ihn als himmlische Lichtgestalt in seinen Träumen. Wo er ging, wo er stand, sah er sie vor sich, und so lieb, so theuer ihm auch das Andenken an sie war, so fühlte er doch sehr wohl, daß sie ihm seine gewohnte Ruhe geraubt hatte. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, um sie zu vergessen, denn sie aufzufinden, hatte er vollkommen aufgegeben und war überzeugt, daß sie nicht in der Stadt wohne, sondern nur zufällig sich an jenem Abend hier befunden hatte und wahrscheinlich eine Pflanzerstochter aus dem Lande sei. Das Vergessen war aber leichter gewollt, als gethan, jemehr er sie aus seinem Gedächtniß zurückstieß, desto lieblicher, desto seelenvoller schien sie ihn im Geiste anzusehn, vergebens wischte er sich tiefaufathmend über die Stirn, umsonst schalt er sich selbst einen Thoren, einen Narren und ohne Erfolg schritt er mit verschränkten Armen stundenlang in seinem Zimmer auf und ab, warf sich in das Sopha und schloß die Augen, oder lief in ein Trinkhaus und goß einige Gläser Wein hinunter. Das reizende Mädchen war und blieb vor seiner Seele, er mochte dagegen thun, was er wollte, und nicht allein seine näheren Freunde, sondern auch die übrige Tischgesellschaft in dem Powhattanhause bemerkte die große Veränderung, die in seinem Gemüthe vorgegangen war und sich in seinem ganzen Wesen äußerte. Während er bei Tisch sowohl, als namentlich Abends in dem gemeinsamen Gesellschaftszimmer die Unterhaltung stets geleitet und sein scharfes, bestimmtes, durch Nichts abgezogenes Urtheil derselben immer Geist und Leben gegeben hatte, saß er jetzt oft in Gedanken versunken da, gab, wenn man ihn suchte in das Gespräch zu ziehen, verworrene, gehaltlose Antworten und verließ oft ganz plötzlich das Zimmer, wie Jemand, der durch eine Aeußerung unangenehm berührt worden war.

Eines Abends, als die Sonne sich schon neigte, waren Thüren und Fenster in dem Parlour des Gasthauses geöffnet, um die frische erquickende Abendluft hereinzulassen und die Hausbewohner sammelten sich in demselben, um wie gewöhnlich noch vor dem Abendessen mit einander zu plaudern und sich die Erlebnisse und Neuigkeiten des Tages mitzutheilen. Die größere Zahl dieser Gäste waren ständige Boarders, oder Kostgänger, die entweder in der Stadt lebten und hier nur ihre Mahlzeiten einnahmen, oder die zugleich hier ihre Wohnung hatten. Sie waren durch das lange Zusammenleben und tägliche miteinander Verkehren, wie Glieder einer Familie untereinander bekannt und befreundet geworden und nahmen mehr oder weniger Antheil an ihrem gegenseitigen Geschick. Lincoln hatte für die Dauer hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen und wurde bereits von allen übrigen Boarders als zum Hause gehörend betrachtet, was sich durch größere Vertraulichkeit, durch kleine Bemerkungen über sein Thun und Lassen, und hin und wieder durch harmlose Neckereien und Scherze kund gab. Er trat an diesem Abend in das Zimmer, als schon alle Hausgenossen versammelt waren, unter denen sich auch mehrere unverheirathete junge Damen befanden, die sich gleichfalls in dem Powhattanhause eingemiethet hatten. Lincoln wurde laut von allen Seiten begrüßt und zugleich im Scherze mit Vorwürfen über die Vernachlässigung empfangen, welcher er sich in letzterer Zeit gegen seine Hausfreunde schuldig gemacht hatte. Eine der jungen Damen, die in dem Sopha saß, nahm das Wort und sagte:

»Herr Lincoln, Sie sind des Verbrechens angeklagt, Ihre Freunde hier vernachlässigt zu haben, und man hat mich zur hohen Richterin erwählt, um ein Urtheil über Sie zu fällen. Ich fordere Sie auf, sich vor meinen Richterstuhl zu begeben und sich über die, gegen Sie erhobene Anklage zu rechtfertigen.« Dabei sah das hübsche junge Mädchen im Kreise umher, als fordere sie die anwesenden Personen auf, ihrem Scherz beizutreten und sie dabei zu unterstützen.

»Ja, ja, rechtfertigen Sie sich, Lincoln.« riefen sie von allen Seiten und eine andere junge Dame sprang zu ihm hin, nahm ihn bei der Hand und führte ihn vor das Sopha, indem sie sagte:

»Im Namen der Regierung des schönen Geschlechts, führe ich Sie vor die hohe Richterin, damit Sie den Grund angeben, weshalb Sie in letzter Zeit unsere Gesellschaft augenscheinlich gemieden haben und in den wenigen Augenblicken, die Sie uns gönnten, sich unaufmerksam, gleichgültig, zerstreut und geringschätzend gegen uns benehmen? Sie wissen wohl, daß wir, von der Schöpfung Bevorzugten uns nicht ungerächt in dieser Weise behandeln lassen.«

Lincoln, der sonst jeder Zeit gern auf einen Scherz einging, namentlich, wenn ihm die Gelegenheit geboten wurde, mit einer geistreichen Antwort zu glänzen, konnte kein passendes Wort finden, sagte, man könne ja nicht immer lachen, die Gegebenheiten der letzteren Zeit seien zu ernst gewesen, um Spaße zu machen, kurz man sah ihm an, daß es ihm unmöglich war, auf den Scherz einzugehen.

»Der Erfolg Ihrer Bemühungen während der Negerunruhen hat Sie stolz gemacht und Sie Ihren alten Freunden entzogen. Sie arbeiten wahrscheinlich ein Gesetz aus, wonach Alle Farbigen aus der Welt geschafft werden sollen,« nahm einer der anwesenden Herren das Wort. »Ich möchte Ihnen dabei aber doch die hübschen Quadronen und Mulattinnen ans Herz legen, damit Sie bei ihnen Gnade für Recht ergehen ließen.«

»Nun, ich weiß nicht, ob wir gerade damit einverstanden sein könnten,« fiel die Dame im Sopha ein, »diese dunkeln Schönheiten haben Uns schon zu oft die Blicke unserer jungen Herren entzogen, ich stimme dafür, daß sie gerade zuerst fortgeschafft werden.«

»Das ist ein Vorwurf, Fräulein, der mich nicht trifft, ich habe noch niemals eine Farbige schön finden können,« erwiederte Lincoln, ohne aus seiner ernsthaften Stimmung zu fallen.

»Er hat die Laufbahn des Staatsmannes betreten und arbeitet auf den dereinstigen Minister los. Dazu gehört eine ernsthafte Stimmung,« sagte ein Anderer aus der Gesellschaft.

»Ihr wißt es alle nicht,« rief Fehrmann, »ich lasse mich hängen, wenn er nicht verliebt ist. Die einsamen Promenaden, der wenige Appetit, das häufige Seufzen und die schwärmerischen unglücklichen Blicke deuten auf eine Herzensangelegenheit hin; er ist verliebt, gestehe es nur, Lincoln, vielleicht vergiebt es Dir Deine schöne Richterin, wenn sie hört, daß sie nicht der Gegenstand Deiner Leidenschaft ist.«

Dabei lachte Fehrmann hell auf, und die Anderen folgten seinem Beispiel; nur Lincoln lachte nicht, er warf dem Redner einen ärgerlichen Blick zu, wandte sich rasch nach der Thür um und verließ das Zimmer.

Er hatte in dem Corridor seinen Hut ergriffen, war in die Straße hinaus geeilt und schritt nun rasch vorwärts, ohne zu wissen, welche Richtung er einschlug. Die Bemerkung Fehrmanns war ihm unangenehm gewesen, weil sie die Wahrheit verrathen hatte, die er sich selbst ja zum Vorwurf machte. Die schöne Unbekannte war aber dadurch nur wieder um so lebhafter vor seiner Erinnerung erschienen und, wie im Kampfe mit ihr, wurden seine Schritte immer eiliger, als suche er sich ihrer Macht durch die Flucht zu entziehen. Er hatte den Weg nach dem Flusse eingeschlagen und erreichte dessen Ufer gerade, als die Sonne ihre letzten Strahlen auf die tausend Cascaden warf, die sich vor ihm in großer Breite bis zu dem jenseitigen fernen Ufer ausdehnten. Es war ein wunderbar schöner Anblick: Tobend und zischend schossen die pfeilschnellen Wogen an den unzähligen, aus dem Wasser hervorragenden Felsstücken empor und stürzten sich schäumend über dieselben hin, die Sonne blitzte, und spiegelte sich auf dem blendend weißen Gischt und der Wasserstaub wehte, wie ein Brillantregen über den Fluß. Zwischen diesen Wasserfällen hin führte vom Ufer aus, wo Lincoln stand, ein schmaler Fußsteig, der sich nach der Mitte des Flusses hin ausbreitete und in einer umfangreichen, mit Gebüschgruppen und Bäumen bewachsenen Insel endete, die rundum von den brausenden Cascaden umgeben war. Vom Ufer aus hatten die Bewohner Richmonds die Verbindung mit der eigentlichen Insel durch kleine Brücken, von einem Felsstück auf das andere hergestellt und so den Fußsteig geschaffen. So viele Reize und Schönheit die Insel mit ihren schattigen Plätzen, ihren üppigen, prächtigen Pflanzen und Blumen, ihren herrlichen Bäumen und majestätischen, wildgeformten Felsstücken aber auch bot, so wurde dieselbe doch nur sehr selten besucht und Lincoln selbst hatte sie noch niemals betreten. Einige Minuten stand er in bewundernder Anschauung vor dem zauberhaften Bilde und folgte dann dem Fußsteig, um die Insel selbst in Augenschein zu nehmen. Bald hatte er sie erreicht, es theilten sich hier die Wege zwischen dem riesenhaften Gestein, und er folgte dem einen, langsam vorwärtsschreitend, bis er das andere Ende der Insel erreicht hatte, wo unmittelbar an ihrem Ufer die Wogen sich über einen mächtigen Felsblock stürzten und einen prachtvollen Wasserfall bildeten. Lincoln lehnte sich an einen Baumstamm, der über das schäumende Wasser hing und schaute, in Gedanken verloren, in die tobende Fluth, als eine Bewegung seitwärts von ihm seinen Blick auf sich zog. In nicht großer Entfernung hatte sich eine weibliche Gestalt an dem Ufer niedergebeugt und pflückte Blumen aus den, über das Wasser hängenden Pflanzen. Lincoln sah überrascht nach ihr hin, konnte aber nur wenig von ihrer Gestalt erkennen, da sie sich tief hinabgebeugt hatte und ihr Kopf durch emporragendes Gestein seinem Blick entzogen wurde. Sie war in Schwarz gekleidet und ihre Außenlinien hoben sich scharf von dem fliegenden Wasserstaub der Cascaden ab, auf dem die scheidende Sonne mit den glühendsten Farben einen prachtvollen Regenbogen über ihr spannte. Lincoln war, wie gesagt, überrascht und hielt regungslos seine Blicke auf die Fremde geheftet; plötzlich richtete sie sich auf – war es möglich – war es Wahrheit, oder nur das Bild seiner Phantasie? – es war dieselbe reizende Engelsgestalt, die nun schon seit Wochen Tag und Nacht vor seiner Seele geschwebt und ihn in rastloser Aufregung gehalten hatte. Er stand athemlos und bebend da, und schaute auf die schöne Fremde, die ihm jetzt, von dem Regenbogen überwölbt, wie eine hehre Lichterscheinung aus einer schönern Welt vorkam. Sie sah ihn nicht, sie hielt das schwarz umlockte Haupt gesenkt und ihre dunkel überschatteten Augen auf ihre kleinen zarten Hände gerichtet, in denen sie die Blumen ordnete und zum Strauß zusammenband. Der letzte Sonnenblick war verschwunden und das dunkle Carmin des Abendhimmels gab den Hintergrund zu dem Zauberbilde, welches den jungen Mann mit unwiderstehlicher Gewalt auf den Platz fesselte.

Jetzt erhob Rosiana ihre großen Augen, denn diese war es, die vor Lincoln stand, sie begegnete dessen glühendem, sehnsüchtigen Blick und, sichtbarlich erschrocken, that sie einen Schritt zurück, zog rasch den schwarzen Schleier, der über ihren schweren Haarflechten befestigt war und über ihren Nacken hing, vor ihr Gesicht, drückte ihn mit dem Blumenstrauß gegen ihre Brust und schlug eiligen Schrittes den Rückweg nach dem Ufer des Flusses ein. Lincoln sah sie durch die Felsen und Büsche gleiten, sah sie vor seinem Blicke verschwinden und stand noch immer, wie festgebannt, auf demselben Platz. Plötzlich aber, als ob der Zauber gebrochen sei, stürzte er ihr nach. Sie hatte einen bedeutenden Vorsprung gewonnen, er sah sie schon das Ufer besteigen und in sichtbarlich eiligstem Schritte, ohne sich umzusehen, der Stadt zueilen, als er den schmalen Fußsteig erreichte. Jetzt war es mit dem Zögern, mit der Unentschlossenheit vorbei, dießmal wollte er wissen, wer sie war, er wollte ihr folgen und ginge es bis an das Ende der Welt. In fliegendem Laufe stürmte er über die Felsen hin, an dem Ufer hinan und auf der Straße hinter ihr her, bis er sie bis auf fünfzig Schritte erreicht hatte. Er bemerkte es deutlich, daß sie ihn kommen hörte, denn sie strengte sich an, ihre Schritte noch' mehr zu beeilen. Sie konnte ihm nun nicht mehr entgehen und näher wollte er ihr nicht kommen, um nicht zudringlich zu erscheinen; er hielt gleichen Schritt mit ihr. Bald hatten sie die ersten Häuser erreicht, Rosiana bog in die nächste Straße ein, folgte derselben eine Zeit lang, augenscheinlich durch den Tritt Lincolns mehr und mehr beunruhigt, und wählte dann eine andere und wieder eine andere und zwar in widersprechenden Richtungen. Plötzlich aber sprang sie durch ein offenes Thor in einen Hof, eilte dann durch eine Einzäunung in einen Garten und verschwand hinter dem, in demselben stehenden Hause. Lincoln war vor dem Hofthor stehen geblieben, unentschlossen was er thun solle. War dies Haus die Wohnung der Unbekannten, so konnte er leicht erfahren, wer sie war, wohnte sie nicht hier, so mußte sie wieder herauskommen, und dies abzuwarten, war Lincoln entschlossen und sollte er bis Mitternacht hier stehen. Er dachte aber nicht, daß aus dem Garten hinter dem Hause ein Weg in eine andere Straße führe, auf welchem Rosiana davon geflohen war und bald darauf ihre eigene Wohnung erreicht hatte. Die Dämmerung war schnell geschwunden und die Nacht hatte sich schon lange über die Stadt ausgebreitet, als Lincoln immer noch an dem Thorpfeiler stand, und harrend nach dem Hause schaute. Endlich öffnete sich dessen Thür, ein Neger trat aus derselben hervor und schritt zu dem Thore hin, um dasselbe zu schließen. Lincoln redete ihn freundlich cm und fragte nach der jungen Dame, die am Abend sich nach dem Hause begeben habe, ob sie dort wohne und wer sie sei. Der Neger aber versicherte ihn, daß eine solche Dame sich nicht in jenem Hause aufhalte und auch, an diesem Abend nicht darin gewesen sei, da er sie sicher sonst gesehen haben müsse. Er half ihm auch bald aus dem Traum, indem er ihm mittheilte, daß ein Weg durch den Garten in die nächste Straße führe, und daß er vermuthe, die Dame habe diesen kürzeren Weg wahrscheinlich benutzt, um schneller nach Hause zu gelangen! Dann verneigte sich der Sclave ehrerbietig und schloß das Thor, während Lincoln unbeweglich stehen blieb und trostlos auf den geschlossenen Eingang blickte.

Das unerwartete romantisch-geheimnißvolle Wiedersehen, das abermalige spurlose Verschwinden des reizenden Mädchens hatten seinen schon aufgeregten Geist in einen Fieberzustand versetzt, der ihm augenblicklich alle Willenskraft, allen Entschluß raubte. Er fühlte sehr wohl, daß es eine Thorheit sei, sich so ohne allen triftigen Grund einer Leidenschaft für ein, ihm vollständig unbekanntes Mädchen hinzugeben, von der er gar nicht wußte, ob ihre geistigen Eigenschaften seine ungezügelten Gefühle für sie rechtfertigen würden; aber was fragt die jugendliche Liebe wohl nach Gründen und wann hat sie wohl der Worte der längeren Bekanntschaft bedurft, um zwei Herzen für einander zu entzünden! Sie schlägt ein, wie der Blitz aus heiterem Himmel, sie kommt, wie der Dieb in der Nacht, sie schleicht sich in den Traum des Menschen und sitzt ihm glühend im Herzen, wenn er erwacht, ein einziger Blick reicht hin, um das unauslöschliche Feuer zu erzeugen, und wer ist wohl jemals stark genug gewesen, solcher Liebe zu widerstehen und sie durch Vernunftgründe wieder aus seinem Herzen zu verjagen! Je stärker diese sich geltend machen, je gewaltsamer die Liebe durch, sie bedrängt wird, desto fester klammert sie sich in dem schwachen Menschenherzen und um so glühender läßt sie ihre Flammen in ihm auflodern.

Auch in das reine, unschuldige, unerfahrene Herz der schönen Rosiana war ein Funke dieses Feuers gefallen, der zwar nur erst leise glühte, den sie aber fühlte, wenn sie auch die verzehrende Gluth nicht kannte, zu der er sich zu entwickeln vermochte.

Der Blick Lincolns war ihr nicht entgangen, als sie an jenem Abend die Apotheke verließ, er war ihr bis in das Herz gedrungen und seitdem konnte sie nicht an den fremden schwarzgelockten jungen Mann denken, ohne es im Herzen zu fühlen, wie sein Blick sie an jenem Abend berührt hatte. Es war kein Schmerzgefühl, es war aber ein Gefühl, welches ihr jedesmal durch alle Nerven zuckte und ein, ihr fremdes unnennbares Sehnen in ihrer Brust erzeugte, dem sie keinen Namen zu geben im Stande war. Sie dachte oft und immer mehr an den jungen Unbekannten, so daß bald jenes Gefühl in der Brust sie beinahe fortwährend begleitete. Auch, als sie an dem Ufer saß und über der schäumenden Fluth die Blumen pflückte, hatte sie an ihn gedacht und ihn deutlich vor ihrer Seele gesehen, umsomehr erschrak sie, als er dann wirklich vor ihr stand. Sie war geflohen, als ob sie etwas Unrechtes begangen hätte, und doch würde sie unter denselben Verhältnissen vor keinem andern Mann die Flucht ergriffen haben. Er hatte sie wieder mit demselben Blick angeschaut, nur viel stärker hatte sie denselben diesmal im Herzen gefühlt. Athemlos erreichte sie das Haus des Pfarrers Nelson, und eilte lautlosen Trittes auf ihr Zimmer. Warum sie so leise auftrat, wußte sie selbst nicht, sie ging aber gleich an das Fenster Und blickte durch das Düster des Abends nach der Straße vor dem Hause, um sicher zu sein, daß der Fremde ihre Spur nicht ausgefunden habe. Es war schon vollständig Nacht geworden, Rosiana stand noch immer hinter dem Fenster, und sah in die Dunkelheit hinaus, als hoffe sie dennoch unter den Vorübergehenden den jungen Mann zu erkennen; denn daß er nach ihr suchen würde, das hatte ihr sein Blick gesagt und die Hartnäckigkeit, womit er sie verfolgte.

»Mein Gott, bist Du hier, Rosiana?« sagte ihre Mutter, plötzlich in das dunkle Zimmer tretend. »Der Herr hat schon zweimal nach Dir gefragt, wir haben Dich gar nicht kommen hören. Gehe hinunter, vielleicht hat Herr Nelson Etwas für Dich zu thun.«

»Ich komme gleich, Mutter,« antwortete Rosiana überrascht, legte die Blumen auf den Tisch, warf ihr Tuch und den Schleier in den Stuhl, und eilte aus dem Zimmer die Treppe hinab, indem sie sich mit beiden Händen über die Wangen strich, als wolle sie die Röthe, die sie darauf brennen fühlte, hinwegwischen.

»Warest Du denn auf Deinem Zimmer, Rosiana?« fragte sie der Geistliche, als sie eintrat, »Du mußt sehr ruhig gesessen haben, sonst hätte ich dich wohl über mir gehört.«

»Ich war schon zu Hause, Herr, ehe es dunkel wurde und dann habe ich am Fenster gesessen, die Luft war so frisch und kühlend,« entgegnete Rosiana halb verlegen.

»So warst Du ausgegangen, das wußte ich gar nicht. «

»Ich bin auf der Insel im Flusse gewesen und habe mir einige Blumen gesucht; Du weißt, Herr, wie schön man solche dort findet.«

»Ja ich weiß es; dort ist es prächtig, wenn die Sonne untergeht und dann wird man auch nicht von den Menschen gestört; es besucht sonst Niemand die Insel. Ich habe hier einige Bücher für Dich von Philadelphia bekommen, die wollte ich Dir nur geben. Nimm sie mit Dir auf Dein Zimmer. Wenn jemand Fremdes ins Haus kommt, liebe Rosiana, so lasse es nicht sehen, daß Du liesest; mir zu Liebe, gutes Kind, die Menschen sind zu bös!«

Bei diesen Worten nahm der Geistliche ein Packet von dem Tisch neben sich und reichte es der Mulattin hin, die es ihm mit bebenden Händen abnahm, seine Hand ergriff und sie an ihre Lippen preßte. Die Worte des Dankes, die sie hervorbrachte, wurden durch ihr Schluchzen unterbrochen. Morna, ihre Mutter, rief sie jetzt in das Speisezimmer zum Abendbrot, denn der Geistliche durfte, der Vorurtheile der Welt wegen, ihr nicht gestatten, mit ihm an einem Tische zu essen. Nochmals dankte Rosiana ihrem Herrn und Wohlthäter, und folgte dann ihrer Mutter. Es war ihr aber nicht möglich, Etwas zu essen, sie nahm nur ein Glas Milch zu sich, ergriff ein Licht und begab sich dann auf ihr Zimmer, wo sie die Bücher auf ihren Tisch niederlegte. Der Anblick der Blumen, die ihr dort wieder in die Augen fielen, trocknete schnell ihre Thränen, sie nahm sie vom Tisch auf, hob sie an ihre Lippen und sank in den Stuhl am offenen Fenster nieder. Sie dachte an den jungen Fremden, und an seine großen dunkeln Augen. Dabei schaute sie in die Nacht hinaus und sah mit tiefen Athemzügen zu dem sternbesaeten Himmel auf. Der Unbekannte war ein weißer Mann, und sie war ein farbiges Mädchen; dieser Gedanke trennte sie von ihm, wie ein bodenloser Abgrund zwischen zwei Welten. Es war so schwül, so warm im Zimmer, sie nahm das leichte Tuch von ihrem Nacken, ließ die Blumen mit ihrer Rechten in den Schooß sinken, und neigte ihren Kopf, auf ihren linken Arm gelegt, über die Fensterbank, so daß die Nachtluft mit ihren hinaushängenden Locken spielte.

Rosiana weinte bitterlich. Lincoln saß um diese Zeit auch am offenen Fenster in seinem Zimmer und sah noch zu den Sternen auf, als es schon Mitternacht vorüber war. Er dachte an die reizende Unbekannte, und sann, und sann, auf welche Weise er ihre Wohnung wohl ausfindig machen könnte, denn daß sie hier in der Stadt lebte, darüber hatte er keinen Zweifel mehr. Unbegreiflich blieb es ihm aber, daß Keiner von allen Denen, die er gefragt hatte, eine solche junge Dame, wie er sie beschrieb, kennen wollte. Er beschloß, den westlichen Theil von Richmond, wo er sie heute Abend verloren hatte, Tag für Tag nach allen Richtungen hin zu durchwandern, und namentlich jeden Abend wieder auf die Insel zu gehen, bis der Zufall ihm das Mädchen wieder zuführen würde. Dann aber wollte er sie sicher anreden und sie nicht eher wieder verlassen, bis er wisse, wer sie sei.


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