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III.

Zu der Zeit, als Leonta am frühen Morgen den Nachen bestieg, erwachten die Schläfer auf dem Sclavenschiff; Weston kroch unter seinem Florzelt hervor, rief dem Steuermann zu, er möge die noch im Schiffsraum befindlichen Neger heraufholen lassen, damit er sie dem Farmer, dessen Wohnung nahebei auf dem Ufer stand, überliefern könne, und ging dann zu der Thür der Kajüte mit den Worten hin: »Wollen doch sehen, ob unser gelbes Vögelchen zahmer geworden ist?«

Er schloß die Thür auf, trat in die Kajüte ein, indem er sagte: »Nun, Mädchen, wie hast Du geschlafen? « und fuhr mit Erstaunen und erschreckt zurück, als er die leeren Handschellen mit den Ketten auf dem Fußboden liegen sah.

Mit einem entsetzlichen Fluch sprang er auf das Verdeck hinaus und schrie seinen Leuten zu, daß die Quadrone verschwunden und entweder in dem Flusse ertrunken sei, oder sich durch Schwimmen gerettet habe. Er tobte wie rasend, stampfte mit den Füßen das Verdeck, fluchte und schwur, daß, wenn er des Mädchens wieder habhaft würde, er ihr die Haut von dem Rücken ziehen wolle. »Nur schnell, die Neger an das Land, damit uns kein Geschäft weiter hindert, der verdammten Gelben zu folgen!« rief er, in höchster Wuth auf dem Verdeck auf- und niederstürmend, während die Matrosen die Lucke öffneten, die in den untern Schiffsraum führte, und bald darauf acht Sclaven aus ihr hervorkrochen und sich in einer Reihe nebeneinander aufstellten. Hier wurden die Ketten, die sie trugen, aneinander befestigt, dann wurde ein langer Steg von dem Verdeck bis an das Ufer gelegt, Weston schritt voran auf das Land und die Neger folgten ihm aneinandergeschlossen schweigend nach.

In dem Hause war es auch lebendig geworden, der Farmer trat überrascht heraus und hieß Weston willkommen.

»Verdammt, wenn ich Euch so früh erwartet hätte; Ihr kommt mir aber recht, denn ich habe Arbeit genug vor der Hand, um zwanzig solcher Hunde zahm zu machen,« sagte er, indem er auf die Neger zeigte, welche Weston ihm nun einzeln vorführte, ihre guten Qualitäten pries und dann den Preis nannte, den er für sie forderte. Der Pflanzer musterte jeden Einzelnen mit großer Vorsicht, befühlte ihn am ganzen Körper, ließ ihn reden, rufen, husten und springen und ertheilte Einigen von ihnen, als Beweis seiner Zufriedenheit, einen kräftigen Peitschenhieb.

Der Handel war bald abgeschlossen, die Sclaven wurden von den Ketten befreit und nach den nahen Negerhütten gewiesen; Weston fertigte den Kaufbrief über sie aus und empfing das Geld dafür. Dann aber klagte er dem Pflanzer sein Unglück in Betreff der Quadrone und bat ihn um seine Hülfe, sie aufzusuchen.

Zuerst wurde in Booten mit langen, behakten Stangen der Grund des Wassers in der Nähe des Schooners untersucht; da man sie aber dort nicht fand, so war man überzeugt, daß sie an's Land geschwommen sei. Die sechs großen Hunde, welche auf dem Verdeck des Schooners an Ketten lagen, wurden an das jenseitige Ufer gebracht, da man erwartete, daß das Mädchen dasselbe vor dem diesseitigen gewählt habe, weil sich hier eine Ansiedlung befand. Weston selbst und zwei seiner Leute begaben sich gleichfalls dorthin, und der Farmer schwur, er würde ihn nicht eher verlassen, bis er die Flüchtige gefunden, und müsse er ihm über ganz Florida folgen. Ein Neger wurde mitgenommen, der einige Krüge Branntwein und einen größern mit Wasser sowie Brod und Fleisch tragen mußte, und dann schnallte Weston den Hunden Riemen mit einem Kopfzeug um die Mäuler, damit sie dieselben nicht weit genug zu öffnen im Stande waren, um beißen zu können. Die Männer hatten sich alle mit Flinten bewaffnet, und nachdem Weston seinem Steuermann den Befehl gegeben hatte, den Schooner bis zu der Vereinigung der beiden Flüsse zu fahren und dort vor Anker zu gehen, befreite er selbst die Hunde von den Ketten und winkte ihnen mit einem gellenden Jagdruf zu, am Flusse hin zu suchen.

Ohne einen Laut von sich zu geben, senkten die Thiere die Nasen an die Erde und suchten in weitem Halbkreise vor ihrem Herrn hin, zu dem sie von Zeit zu Zeit wieder zurückkehrten und weitere Winke von ihm erhielten. Kurze Zeit waren sie aber nur dem Ufer gefolgt, als einer der Hunde ein lautes Geheul anstimmte und die übrigen zu ihm hinrannten und ihre Stimmen gleichfalls ertönen ließen.

»Verdammt, wenn sie nicht schon die Fährte haben; nun, Fräulein, sollst du wohl nicht lange laufen!« schrie Weston und sprang, von seinem Begleiter gefolgt, zu den Hunden hin, die auf einen Fleck zusammengedrängt standen und bald die Nasen auf die Erde drückten, bald sie in die Höhe richteten und ihre Stimmen erschallen ließen.

»Laß sehen, Shark!« rief Weston einem der Hunde zu und bückte sich spähend zur Erde nieder, wo er sogleich den zierlichen Abdruck von Leonta's Fuß in dem weichen Boden erkannte.

»War recht, Shark – hin, hin!« schrie er und gellte seinen Jagdruf abermals durch das Dickicht, worauf die Hunde nun sämmtlich sich auf der Fährte zusammendrängten, derselben so schnell folgten, als ihr Herr ihnen nachkommen konnte, und ihre Stimmen laut und hell ertönen ließen.

Nach Verlauf einer Stunde anhaltenden Verfolgens der Spur verstummten plötzlich die Hunde und zwar an dem Ufer des Hauptstromes, da, wo Leonta das Boot bestiegen hatte. Der Eigenthümer desselben fand sich auf den Lärm bald bei den Jägern ein und erklärte, daß das eine seiner beiden Boote, welches er selbst noch am vergangenen Abend hier befestigt habe, gestohlen sei. Auf die Bitte Weston's, ihm das noch vorhandene Boot zu leihen, um die weitere Spur der Flüchtigen zu verfolgen, ward dieses sofort zu seiner Verfügung gestellt, er und seine Begleiter stiegen hinein und fuhren nahe an dem diesseitigen Ufer stromab, während die Hunde stumm auf demselben hinsuchten. Weston hatte beschlossen, dieses Ufer bis zu der Vereinigung des Flusses mit dem westlichen Arm zu verfolgen, und für den Fall, daß die Hunde hier die Spur der Quadrone nicht finden sollten, an dem jenseitigen östlichen Ufer wieder am Flusse hinaufzusuchen. Oft verliefen sich die Hunde weit in das Land hinein und kehrten erst nach geraumer Zeit wieder zum Flusse zurück, so daß die Sonne schon tief am Himmel stand, als die Jäger in ihrem Boote den Zusammenfluß der beiden Ströme erreichten, wo auch der Schooner vor Anker gegangen war. Weston mußte für heute die Jagd aufgeben, denn die Nacht war nicht mehr fern und die Hunde waren ermüdet. Der Pflanzer, seinem Versprechen getreu, begleitete ihn auf sein Schiff, um dort die Nacht zuzubringen und mit ihm am folgenden Morgen auf dem andern Ufer am Fluß hinauf die Jagd fortzusetzen.

In dem Hause Crawford's herrschte Trauer und Herzeleid, denn Herr Crawford hatte am Abend zuvor, eine halbe Stunde nachdem das Sclavenschiff abgefahren war, seiner Frau die Schreckenskunde überbracht: Leonta sei in den Fluß gefallen und ertrunken. Er erzählte, daß der Schiffscapitain und alle seine Leute ihr Möglichstes aufgeboten hätten, um wenigstens die Leiche des Mädchens aufzufinden, es seien aber alle Bemühungen fruchtlos gewesen. Die Nachricht hatte Madame Crawford ohnmächtig zu Boden geworfen, und erst nach vielen Bemühungen Seitens ihres Mannes war ihr Bewußtsein zurückgekehrt.

Dann hatte sie aber in ihrem Jammer, in ihrer Verzweiflung über den Tod des geliebten Mädchens darauf bestanden, sofort noch weiter nach dem Leichnam zu suchen, war, da Crawford sich weigerte, sie zu begleiten, allein mit dem alten Sam an den Fluß geeilt, und dieser hatte in ihrer Gegenwart das Boot bestiegen und mit einer langen Stange auf dem Grund des Flusses nach Leonta suchen müssen. Sie selbst hatte beinahe während der ganzen Nacht an dem Ufer gesessen und unter bittern Thränen durch Jammern und Wehklagen ihrem Schmerze Luft gemacht. Alle Bemühungen waren fruchtlos geblieben, den Rest der Nacht hatte sie weinend neben ihrem Gatten verbracht und trotz seiner Vorstellungen, seiner Vorwürfe über ihr unnützes Klagen, hatte sie heute während des ganzen Tages ihre Thränen noch nicht stillen können. Jetzt, als die Sonne zur Ruhe gehen wollte, saß die Frau in dem düstern Zimmer, hielt weinend die kleine schluchzende Anna in ihren Armen und blickte von Zeit zu Zeit durch die offene Thür nach dem westlichen Himmel, dessen Roth ihr heute wie Blut vorkam.

Crawford dagegen hatte sich durch Sam über den Fluß setzen lassen und ihm aufgetragen, seines Rufes gewärtig zu sein, um ihn bei seiner Rückkehr wieder überzufahren. Darauf ging er, in Gedanken versunken, landeinwärts in der Richtung nach Henderson's verlassener Farm, um sich darauf umzusehen, eigentlich aber nur, um von Hause wegzukommen und um zu gehen; denn wenn er ruhig dasaß, so meinte er immer, das Bild seiner verkauften Tochter vor sich zu sehen, glaubte immer, er höre den Schrei, der von dem Schiffe aus zu seinen Ohren drang, und schreckte dann jedesmal, um sich spähend, zusammen.

Er schritt, gedankenvoll vor sich hinschauend, durch die einzelnen Gruppen majestätischer Riesenbäume, den Ueberrest des Urwaldes, der von dem Ufer bis zu Henderson's Wohnung die Erde einst bedeckt hatte, und wurde von Zeit zu Zeit durch eine colossale Weinranke, die von der schwindelnden Höhe einer Cypresse, einer Magnolie, eines Mahagonibaumes herab bis an die Erde hing und zu der Spitze eines andern solchen Königs der Pflanzenwelt wieder hinaufreichte, in seiner träumerischen Wanderung aufgehalten. Die Vögel sangen süß und lieblich ihre Abendlieder, er hörte sie nicht; die Wunderblumen der Tropenpflanzen öffneten ihre Kelche und gaben ihren gewürzigen Duft dem lauen Abendwind mit, Crawford sah sie nicht, er empfand das Aroma nicht, welches ihn umwehte; die Sonne warf ihre goldnen Strahlen blitzend durch die ewiggrünen, saftigen Laubmassen und glühte hier und dort in den tiefsten, schwärzesten Schatten auf den Riesenstammen der Bäume, Crawford hielt seine Blicke auf den Boden geheftet, denn das Licht stand mit seiner Stimmung nicht im Einklang.

In weitem Bogen hatte er endlich das Wohngebäude Henderson's erreicht, als nur noch ein röthlicher Schimmer den Fleck über dem dunkeln Golf bezeichnete, wo die Sonne versunken war und die Nacht ihre Schwingen eilig über die Erde ausbreitete. Hier saß der Mann auf dem Boden, welchen er mit dem Erlös aus seinem Kinde erwerben wollte. Er hatte die Felder, die Einzäunungen und die Nebengebäude in Augenschein genommen, mit der Absicht, einen ungefähren Ueberschlag über deren Werth zu machen, er konnte aber zu keinem Resultat kommen, denn immer drängte sich das Bild Leonta's in seine Rechnung hinein und verwirrte seine Gedanken. Er hatte eine Zeitlang vor dem Hause unter der Veranda gesessen, als sich seine Blicke nach dem Flusse hinunter richteten und dort von einem Fackellicht angezogen wurden. Es war sicher der alte, treue Sam, der mit einem brennenden Kienspahn nach dem Ufer des Flusses hinunterging, um ihn dort zu erwarten. Crawford erhob sich und schritt auf dem breiten Wege hin, der in gerader Richtung nach dem Strome hinunter führte, doch es war so dunkel geworden, daß er kaum den ziemlich übergrasten Pfad halten konnte. Er hatte sich wohl schon gegen fünfzig Schritt von dem Hause entfernt, als er mit dem Fuß gegen etwas Hartes, einen Stein, oder ein Stück Holz, was es auch sein mochte, anstieß und einen Schritt seitwärts trat, um das Hinderniß zu umgehen. Noch einen Schritt that er vorwärts, sein Fuß fand keinen Grund, es war zu spät, um zurückzuschreiten, sein Gewicht lag schon zu weit nach vorn, er stürzte vorwärts, griff mit den Händen um sich, doch nur durch die Luft, auch sein anderer Fuß hatte den Boden verloren, und wirbelnd schoß er hinunter in einen finstern Abgrund, bis er plötzlich in eisigem Wasser versank und in großer Tiefe dessen Grund erreichte. Mit verzweifelter Kraft stieß er sich wieder nach oben und fühlte, als er wieder Luft schöpfte, mit seinen ausgestreckten Händen, daß die Wand der Vertiefung, in welche er gestürzt, mit Holz ausgekleidet war. Es war der Brunnen bei Henderson's Haus, in dem er sich befand, darüber blieb ihm kein Zweifel, der Brunnen, von dem er wußte, daß er über achtzig Fuß Tiefe besaß. Die vier Wände desselben waren von seinem Grunde aus mit sehr starken Bohlen von Cypressenholz ausgefüttert, deren Seiten auf einander ruhten; doch da sie nur dazu bestimmt, die Wände des Brunnens vor Einstürzen zu sichern, so hatte man keine große Genauigkeit bei ihrem Zusammenfügen beobachtet und es befanden sich viele offene Stellen dazwischen. Crawford hatte in einer Ecke des Brunnens mit der Hand in eine solche Oeffnung gefaßt und hielt sich darin fest, um nicht wieder in dem Wasser zu versinken. Zugleich fühlte er mit seinen Füßen an den beiden Wänden nach Haltpunkten, auf die er sich stützen könne und fand solche sehr bald zwischen den Bohlen. Er war nun vor dem Ertrinken sicher, denn die Oeffnung, in welche er seine Hand eingebracht hatte, war sehr weit, er kratzte mit seinen Fingern den losen Boden noch mehr aus ihr hervor, so daß er bald seinen ganzen Arm hineinlegen konnte, und dadurch mehr Ausdauer erhielt.

Jetzt erst überblickte er seine Lage. An Hülfe war kein Gedanke, denn er befand sich über sechzig Fuß unter der Erde, die Farm war verlassen, und wenn man ihn auch in der Gegend suchen sollte, so konnte doch Niemand sein Hülfeschreien vernehmen. Er blickte hinauf gegen den dunkeln Himmel und sah die Sterne über sich flimmern; waren seine Hände nicht festgeklammert gewesen, er hätte sie zum Gebet gefaltet, hätte er seine Kniee beugen können, er wäre niedergefallen und hätte Gott um Hülfe angerufen. So aber heftete er nur seine Blicke an das sternbedeckte dunkle Gewölbe über sich und betete laut mit stotternder Stimme, er bekannte laut seine Gräuelthat an seinem Kinde und gelobte, sein Unrecht wieder gut zu machen, wenn Gott ihm gnädig sei und ihn von diesem sichern Untergang errettete. Jetzt kam ihm der Gedanke, er könne möglicherweise mit Hülfe der Oeffnungen zwischen den Bohlen die Höhe des Brunnens ersteigen, die Hoffnung gab ihm Kraft und rasch griff er über sich in die Fuge zwischen dem nächsten Brett. Auch seine Füße fanden höher einen Haftpunkt; er erstieg sechs, acht, zehn Bohlen – wieder ergriff er die darüberliegende und hob sich an ihr in die Höhe, doch mit einem morschen Krach gab sie sich von der Wand ab, und stürzte mit Crawford in das Wasser hinunter. Abermals sank er bis auf den Grund des Brunnens und stieß sich von da zurück auf den Wasserspiegel. Vergebens griff er aber im Augenblick seines Auftauchens nach den Wänden, seine Hände glitten an den schlüpfrigen Brettern ab und die Fluth schloß sich wieder über seinem Kopfe. Er rang mit dem Tode, wiederholt schnappte er nach Luft, das in seinen Mund strömende Wasser aber ließ ihn denselben schnell wieder schließen, da that er im letzten verzweifelten Kampfe noch einen Griff nach der Wand, seine Hand erfaßte eine der Bohlen und mit seinen letzten Kräften hob er sich über das Wasser empor.

Er athmete wieder, nach und nach kehrten seine Kräfte zurück, und er nahm seine erste Stellung wieder ein. Er zitterte am ganzen Körper und die Kälte machte, daß seine Kinnladen laut gegeneinander schlugen. Wohl sah er jetzt ein, daß er dem Tode nicht entgehen konnte, die Liebe zum Leben war jedoch stärker, als seine Verzweiflung, und ließ ihn seinen Arm immer tiefer hinter die Bohle vergraben.

Er hatte schon über drei Stunden so zwischen Leben und Tod gehangen, als plötzlich der oberste Rand in dem Brunnen von einem feurigen Lichtschein erhellt ward. Sicher suchte man ihn bei Fackellicht. Er schrie mit einer Gewalt der Stimme, die nur die Todesangst verleihen kann. Er schrie, ohne abzusetzen, doch das Licht wurde matter und immer bleicher und ließ bald wieder nur den schwarzen Rand der Oeffnung zurück. Alle Hoffnung war nun verschwunden, daß man ihn auf Henderson's Farm noch suchen und retten würde, nachdem man sich überzeugt hatte, daß er hier nicht war.

Wirklich war es der alte, treue Neger Sam gewesen, der sich hier, mit einer Fackel in der Hand, nach seinem Herrn umgesehen hatte, weil er über Erwarten lange ausgeblieben. Sam war von hier zurück zu seiner Herrin geeilt und hatte ihr die Nachricht gebracht, daß er seinen Herrn nirgends finden könne; da derselbe aber schon oft bei einem Nachbar übernachtet hatte, ohne sein Ausbleiben vorher zu melden, so beunruhigte es die Frau nicht sehr und sie war überzeugt, daß er am folgenden Morgen zurückkehren würde.

Leonta lag um diese Zeit, ermattet von der Anstrengung während ihrer Flucht, in tiefem Schlaf unter einem Baum hingesunken und träumte von frischem Quellwasser und saftigen Früchten. Sie hatte während des ganzen Tages keinen Trunk zu sich genommen, und jetzt waren ihre Lippen und ihr Gaumen trocken und der Durst, der sie quälte, zauberte ihr in ihren Träumen das Labsal vor, nach dem sie schmachtete. Endlich weckte sie der brennende Durst, sie blickte um sich, und erkannte bei dem ersten Dämmerlicht, welches durch den Wald zitterte, die Lage, in der sie sich befand. Sie lechzte nach Wasser; wo aber sollte sie sich hinwenden, um solches zu finden? Das Wasser des Flusses so nahe an seiner Mündung war nicht trinkbar, denn es war mit Salz geschwängert, auf einer Farm in der Umgegend durfte sie sich nicht blicken lassen, wollte sie nicht sofort wieder in die Hände des Sclavenhändlers fallen, und Quellen waren nicht in der Nähe der Seeküste. Da fiel ihr die verlassene Farm von Henderson ein; dort war ein guter Brunnen und dort konnte sie sich auch für einen Nothfall verborgen halten. Das Haus war von herrlichen Bananen, Orangen- und Apfelsinenbäumen umgeben, deren Früchte ihr reichliche Nahrung boten; sie besann sich nicht lange, überlegte, in welcher Richtung sie am schnellsten dorthin gelangen müsse, und eilte dann, so rasch sie ihre Füße zu tragen vermochten, dem ersehnten Orte zu. Bald hatte sie eine, aus dem Walde emporstrebende, nackte Höhe erreicht, von wo aus ihr die Aussicht in die Umgegend frei stand, und erkannte in nicht sehr großer Entfernung Henderson's Wohngebäude. Sie verdoppelte ihre Schritte, und noch hatte die Sonne nicht ihren ersten Blick über die Erde gethan, als sie ermattet und nach dem frischen Trunk lechzend die Farm erreichte. Schon von Weitem spähte sie nach dem Brunnen, den sie so oft gesehen und über dem sich sonst die Welle mit Strick und Eimer erhob, dennoch konnte sie ihn nicht finden, bis sie sich den Häusern näherte und nun die Oeffnung des Brunnens gewahrte, von der man obige Gegenstände entfernt hatte. Dieselbe war mit Brettern bedeckt gewesen, welche der Sturm vor einigen Tagen davon abgeweht haben mußte, denn sie lagen in ihrer Nähe umher. Leonta eilte zu dem Brunnen hin, um zu sehen, wie tief er sei und ob sie keine Möglichkeit entdecken könne, einen Trunk daraus zu bekommen. Sie hatte den Rand der Oeffnung erreicht und neigte sich über dieselbe, als ihr der Hülferuf ihres Vaters aus der Tiefe entgegenschallte. Die Stimme war dem Ohr des Kindes zu vertraut, als daß Leonta sie hätte verkennen können, sie fuhr erschrocken zurück, neigte sich aber im nächsten Augenblick wieder über die Oeffnung, und nun gab es keinen Zweifel mehr für sie, es war ihr Vater, der sich tief unten in dem Brunnen befand. Entsetzt stierte sie hinab und lauschte der Stimme.

»Leonta, meine Leonta, mein Kind, meine Tochter, hilf, hilf mir, hilf Deinem unglücklichen Vater!« schrie es deutlich aus dem Brunnen herauf und Leonta fiel erschüttert zurück und faltete ihre Hände krampfhaft über ihrer Brust.

»Großer, allmächtiger Gott, laß mich meinen Vater retten, er hat mich sein Kind, seine Tochter genannt, nimm mein Leben für das Seinige, laß mich ihn retten!« schrie sie mit zitternder Stimme, indem sie neben dem Brunnen auf den Knieen lag und ihre Hände hoch über sich gegen den klaren Himmel richtete. Dann beugte sie sich rasch über den Brunnen und rief hinab:

»Ich hole Sam herbei, er soll mir beistehen. Dich zu retten,« sprang auf und rannte in fliegendem Lauf davon, den Berg hinab, dem Ufer des Flusses entgegen. Kaum hatte sie den Fuß des Hügels erreicht, als von dem seitwärts gelegenen Walde her das laute, wüthende Geheul jagender Hunde ertönte und wilde, gellende Jagdrufe dazwischen schallten. Es war Weston mit seinen Begleitern, dessen Hunde vor ihnen auf der frischen Spur der Quadrone dem Brunnen zustürmten, von da sich den Hügel hinabwandten und nun die fliehende Beute vor sich erkannten. Die Wuth der Thiere steigerte sich mit jedem Sprunge und die gellenden Schreie der folgenden Jäger übertönten noch ihr Geheul. Leonta hörte sie kommen, sie sah, wie die Meute ihr nachstürzte, alle Kraft ihrer Glieder nahm sie zusammen und flog über die Ebene dem Flusse zu, um sich von dem Ufer in seine Fluth zu stürzen und den Neger Sam von der Gefahr ihres Vaters zu unterrichten. Das Geheul der Hunde und die wilden Schreie der Männer hatten den alten Neger an das Ufer gebracht, und kaum traute er seinen Augen, als er die todtgeglaubte Leonta mit fliegendem Haar über die Ebene jenseits des Flusses heransausen sah.

»Rette meinen Vater, er ist in Henderson's Brunnen gefallen! « schrie sie von Weitem und wiederholt dem entsetzten Neger zu; noch lagen nur fünfzig Schritte bis zu dem Ufer vor ihr, aber die Hunde waren schon zum Greifen hinter ihren Fersen, noch zwei – drei weite Sprünge und Shark, der größte von den sechs wüthenden Bestien, flog der Quadrone mit dem Kopf in den Rücken und stürzte sie auf den Boden nieder. Im Augenblick lagen alle sechs Hunde auf der Unglücklichen und suchten sie mit den Zähnen zu ergreifen, die Riemen aber ließen es nicht zu, ihr Gebiß zu öffnen.

Leonta schrie in ihrer Verzweiflung, sie suchte aufzuspringen, wurde aber immer wieder von der Meute niedergeworfen, bis Weston mit seinen Begleitern sie erreicht hatte, die Hunde abnahm und ihr die Hände mit den Worten auf dem Rücken zusammenknebelte: »So, verdammte Negerin, nun sollst Du mir nicht wieder davonlaufen!«

Die Quadrone dachte nicht an sich selbst, sie dachte nur an die Rettung ihres Vaters und rief unaufhörlich den Namen des alten Negers.

Eben hatte Weston sie gebunden, als Sam das diesseitige Ufer erklomm und mit Angst und Schrecken sah, wie die bewaffneten weißen Männer Leonta gefesselt davon führten.

»Rette meinen Vater, er liegt in dem Brunnen dort oben, nimm einen Strick mit, es ist keiner dort. Verliere keine Minute. Mir kannst Du nicht helfen, Sam!« rief sie dem Neger zu, während Weston sie mit sich fort nach dem Walde zog. Sie war so ermattet, daß ihre Füße sie bald nicht weiter zu tragen vermochten, sie sank zusammen und bat flehentlich um einen Trunk Wasser. Weston ließ ihr ihn reichen und schickte einen seiner Leute am Flusse hinauf, um dem Steuermann den Befehl zum Herbeisegeln zu geben. Nach kurzer Rast richteten die Männer Leonta wieder auf und nöthigten sie, weiter zu gehen. Dennoch sank sie wiederholt zusammen, ihre Füße bluteten und ihre Gedanken waren verworren und versprengt. Man riß sie aber an ihrem schönen Lockenhaar immer wieder vom Boden auf und zog sie vorwärts, bis an das Ufer des Flusses, wo man ihr Ruhe ließ und auf das Erscheinen des Schooners wartete.

Sam war während dieser Zeit zu Crawford's Haus zurückgekehrt, hatte das Seil von dem dortigen Brunnen losgebunden, und eilte dann mit demselben nach Henderson's Farm, um seinen Herrn zu retten. Er ließ das Ende des Strickes zu Crawford in die Tiefe hinab, welcher kaum noch Bewegung und Kraft genug besaß, sich denselben unter seinen Armen um die Brust zu binden. Der Neger hob nun mit seiner, schwere Arbeit gewohnten Rechten seinen Herrn Zug für Zug näher zu sich herauf und zog mit seiner linken Hand in gleichem Maße das andere Ende des Seils, welches er um den neben ihm stehenden Baum geschlungen, zu sich an, um Crawford auf der Höhe zu halten, zu welcher er ihn jedesmal gehoben hatte. Die nahe Rettung gab diesem neue Kraft, er klammerte sich an den Brettern fest und erleichterte durch seine eigene Anstrengung dem treuen Sclaven die schwere Arbeit. Endlich faßte seine Hand den Rand des Brunnens; die freie Luft und das helle Tageslicht umgab ihn wieder, Sam ergriff ihn unter den Armen, zog ihn von dem fürchterlichen Abgrund hinweg auf die Erde und küßte ihm die Hand, indem er neben ihm auf die Kniee sank. Crawford aber hatte die Besinnung verloren, die Farbe des Todes strich über seine entstellten Züge, machtlos sanken seine Arme neben ihm auf den Boden und eine tiefe Ohnmacht hielt ihn umfangen. Sam entblößte die Füße seines Herrn und rieb sie heftig mit dem groben Stoffe seiner Jacke, er rieb dessen kalte Hände und regungslose Brust, bis er endlich die Augen wieder öffnete, und, mit geängstetem Blick um sich stierend, stotterte: »Wo ist Leonta?«

»Ach, Herr, sie ist dort unten am Ufer des Flusses durch Hunde gefangen und, von weißen Männern gebunden, nach jenem Walde geschleppt worden,« antwortete der Sclave mit bebender Stimme.

»Hilf mir hinunter nach dem Flusse, Sam!« schrie Crawford jetzt mit einem Ausbruch von Entsetzen und raffte sich vom Boden auf; »hilf mir, Sam, damit ich das Ufer erreiche, ehe das Schiff in den Golf hinaussegelt!«

Er schwankte unsichern Trittes, von dem Neger unterstützt, den Hügel hinab, hielt seine Augen unbeweglich auf den Fluß geheftet und hatte schon den größten Theil der Ebene überschritten, als plötzlich zwischen den Riesenbäumen, die sich an dem Flusse erhoben, das aufgeblähte weiße Segel des Sclavenschiffs sichtbar wurde, und dieses mit vollem Wind in der Strömung herabgezogen kam.

»Vorwärts, Sam, hilf mir, vorwärts! « schrie Crawford in höchster Verzweiflung und stürzte, seine letzten Kräfte zusammenraffend, dem Ufer zu, dessen hohe Bank er erreichte, als der Schooner vor ihm in der eiligen Fluth schwamm.

»Halt! – haltet an, Weston, haltet an, nehmt Euer Gold und gebt mir mein Kind zurück! – Um Gottes Willen, haltet an!« schrie der Pflanzer und streckte seine Arme dem Sclavenhändler entgegen; doch dieser stand an dem Steuer, schüttelte den Kopf und rief zu Crawford hinauf: »Die Quadrone ist mein, und Euer Gold und Euer ganzes elendes Land reicht nicht hin, sie von mir zu kaufen. Gebt Euch zufrieden, sie wird einen reichen Herrn bekommen und fein gehalten werden.«

Crawford rang die Hände, bat, flehte und drohte, doch der Sclavenhändler schüttelte den Kopf, und das Schiff glitt unter vollem Segel vorüber der Mündung des Flusses zu, wo es bald durch die schäumende Brandung hinaus in den Golf schwamm.

Crawford war niedergestürzt, verbarg sein Gesicht in seinen Händen und hörte nicht auf die dringenden Bitten des Sclaven, nach dem Boot hinunterzugehen und sich überfahren zu lassen, damit er seine nassen Kleider wechsele und sich der Ruhe überließe, deren er so sehr bedurfte. Erst nach geraumer Zeit gab er dem Flehen des Negers nach und ließ sich von ihm nach seinem Wohngebäude bringen.

Seine Frau, die von allen den Vorfällen dieses Morgens Nichts gewahr worden war, trat ihm mit den Worten entgegen:

»Gottlob, daß Du kommst; Dein Ausbleiben hat mich sehr beunruhigt;« als sie ihm aber näher kam, seine bleichen, entstellten Züge und seine nasse Kleidung bemerkte, rief sie entsetzt aus: »Himmel, was ist geschehen?« ergriff seine kalte Hand und wollte ihn in das Haus führen, er aber trat um dasselbe herum vor die Veranda, zeigte nach dem Schiff, dessen weißes Segel schon in weiter Ferne über die grünen Wogen glitt und sagte tief erschüttert:

»Dort schwimmt mein Kind, das mir das Leben rettete, meine Leonta – ich habe sie an einen Sclavenhändler verkauft.«

»Mann – das ist nicht wahr – Du bist nicht bei Verstand, – besinne Dich – Leonta ist ertrunken, « rief die Frau, indem sie Crawford bei der Schulter faßte und ihm in die Augen stierte.

»Ich habe sie verkauft – dort in dem Koffer liegt das Sündengeld, wofür ich sie hingab,« sagte der Mann mit dumpfer Stimme und zeigte in das Haus. »Dein eignes Kind verkauft? – Gott mag einst Deiner Seele gnädig sein!« rief die Frau und trat schaudernd von ihm zurück. Dann richtete sie ihren Blick über die Wogen nach dem sich rasch entfernenden Schiff, Thränen entquollen ihren Augen, und indem sie ihr Gesicht in ihrem Tuch verbarg, sagte sie:

»Armes, unglückliches Kind!«

Sie hatte sich umgewandt, um in das Haus zu gehen, als Crawford ihre Hand ergriff und sie mit den Worten zurückhielt:

»Ich kaufe sie zurück und wenn ich meinen letzten Dollar für sie hingeben muß. Aber wie komme ich schnell nach New-Orleans? Vielleicht treffe ich in Tampa Bay ein Fahrzeug, welches dahin zurückfährt, denn die Regierung hält dort eine Garnison und hat sie fortwährend mit den nöthigen Bedürfnissen zu versorgen. Morgen früh mache ich mich auf den Weg, Frau, – der Himmel, wird mir beistehen, mein Kind zu retten.«

Madame Crawford ließ sich schweigend unter der Veranda nieder, weinte bitterlich und blickte dem Segel nach, welches bald nur noch von Zeit zu Zeit wie ein weißer Punkt an dem Horizont des im heitern Sonnenlicht blitzenden Golfs auftauchte. –


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