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Während nun in dem Powhattanhause diese Unterhaltung mit großer Leidenschaftlichkeit gepflogen wird, führen wir den Leser hinweg nach einem entfernt, am Ende der Stadt in einem saubern schönen Gärtchen gelegenen kleinen Hause, der Wohnung eines Geistlichen, und zwar dort in ein Krankenzimmer.
Das Gemach war nur matt durch ein Nachtlicht beleuchtet, da es ein davorstehender Lichtschirm zum größeren Theil in Schatten legte. Die Fenster, die in den Garten zeigten, waren geöffnet, damit die erquickende Nachtluft hereinziehen konnte, und auf dem runden Tische in der Mitte der Stube standen verschiedene Medizingläser, einige Pulverschachteln, ein Glas mit Wasser, aus dem ein silberner Löffel hervorsah, und eine Krystallschale mit Zucker.
Auf dem Bett an der hintern Wand lag ein kranker Mann mit grauem Haar, eingefallenen gelben Wangen und tiefliegenden geschlossenen Augen. Seine linke Hand ruhte auf seiner, mühsam sich bewegenden Brust und seine rechte hing über den Rand, des Bettes herab. Vor demselben saß das schöne Mädchen, welches wir vor wenigen Stunden in der Apotheke sahen, als sie die Schachtel mit Pulver dort holte.
Sie hielt ihre Hände gefaltet in ihrem Schooß und blickte gesenkten Hauptes vor sich nieder, während die Bewegung ihres Busens häufig aussetzte und ihren schönen Lippen dann ein sorgenvoll schwerer Athem entstieg. Von Zeit zu Zeit blickte sie auf den Kranken, dessen Schlaf sie zu trösten schien, denn sie preßte dann jedesmal ihre kleinen Hände fester zusammen, und hob ihre dunkeln Augen, wie im Dankgebet, nach oben.
Jetzt öffnete sich die Thür, eine Negerfrau trat lautlosen, vorsichtigen Schrittes in das Zimmer und sah mit bangem, fragenden Blick nach dem Krankenbett. Die Augen des jungen Mädchens begegneten ihr beim Eintreten und, den Finger auf den Mund legend, empfahl es der Negerin Vorsicht, damit sie nicht durch Geräusch den Schlaf des Kranken stören möchte. Die schwarze Frau war zu dem Bett geschlichen, legte ihre Linke auf die Schulter des Mädchens, sah kummervoll auf den kranken Mann, und ihre Augen strömten von Thränen über. Das Mädchen sah die Thränen fallen, ergriff die Hand der Frau tief bewegt, und deutete ihr, wie zum Trost an, daß der Schlaf dem Kranken wohlthun werde. Dann bat es dieselbe durch eine Bewegung mit der Hand, ihr den Fächer zu reichen, der auf dem Tische lag, welcher Bitte die Negerin Folge leistete, und dann ebenso lautlos, wie sie in's Zimmer getreten war, dasselbe wieder verließ. Das Mädchen bewegte nun den Fächer leise über dem Antlitz des Schlafenden hin und her und schien dessen Athemzüge zu zählen. Die Glocke auf dem nahen Kirchthurm hatte schon mehreremale die abgelaufene Stunde angezeigt und schlug drei Uhr, als der Kranke erwachte, das Mädchen den Fächer zurückzog und sich zu dem Erwachten hinneigte, um ihm ihre Gegenwart anzudeuten, für den Fall er Verlangen nach irgend Etwas trage.
Der Kranke, welcher der Pfarrer Nelson war, sah das Mädchen einige Augenblicke an, als besinne er sich, wo er sei, dann aber nahm er dessen Hand in die seinige, und sagte mit schwacher Stimme:
»Gute Rosiana, Du bist noch auf? Der Schlaf hat mir wohl gethan, ich fühle mich besser.«
»Soll ich Dir das Pulver noch einmal geben, Herr? Du hast so sanft darauf geschlafen, ich glaube es würde Dir gut thun,« erwiederte die Angeredete und legte ihre weichen Hände um die magere Hand des Alten.
»Wenn Du meinst, Rosiana, so will ich es nehmen, hole mir aber wieder frisches Wasser dazu, es erquickt mich, es ist so sehr warm hier im Zimmer,« sagte der Geistliche. Das Mädchen glitt behend aus der Stube nach der Küche, wo die Negerin vor dem Kamin saß, in dem über einem kleinen Kohlenfeuer ein Kessel mit heißem Wasser hing.
»Herr Nelson ist erwacht, Mutter,« sagte Rosiana zu der Negerin, »er hat recht gut geschlafen und fühlt sich viel besser. Gott sei Dank!«
»Gottlob!« sagte die schwarze Frau und faltete ihre Hände.
»Er will das Pulver noch einmal nehmen, hast Du frisches Wasser hier?«
»Wart, Kind, ich will schnell etwas aus dem Brunnen holen, das dort im Eimer wird schon warm geworden sein.«
Mit diesen Worten eilte die Frau mit dem Eimer hinaus, und Rosiana nahm ein Glas aus dem Schränkchen und stellte es auf ein kleines Theebrett. Bald war die Negerin zurück, füllte eine Caraffine mit frischem Wasser, fügte sie dem Glase bei, und Rosiana eilte damit in das Krankenzimmer zurück.
»Morna hat erst frisches Wasser am Brunnen geholt, Herr, es ist recht kühl,« sagte sie, zu dem Tisch tretend, füllte das Glas und trug es mit der Pulverschachtel und einem Theelöffel zu dem Kranken. Nachdem dieser das Pulver eingenommen hatte, trank er begierig das Glas aus und sank dann, wie von der Anstrengung übermannt, auf sein Lager zurück, während Rosiana ihren Platz vor demselben wieder einnahm und den Fächer abermals in Bewegung setzte.
Das bleiche Licht des nahenden Tages zitterte durch die Fenster, als noch kein Schlaf in des Mädchens Augen gekommen war und sie noch immer sorgsam den Fächer schwang.
Nelson erwachte wieder und fühlte sich von Neuem gestärkt.
»Liebe Rosiana, Du hättest Dich aber zur Ruhe niederlegen sollen, Morna konnte ja statt Deiner bei mir bleiben,« sagte er, mit einem dankbaren Blick nach dem Mädchen aufschauend.
»Sie weiß nicht so gut, wie ich, was Dir angenehm ist, Herr, ich bin gar nicht müde,« entgegnete Rosiana, »wenn ich aber jetzt nichts für Dich thun kann, so erlaube, daß ich die Morna hereinsende, ich will einige Augenblicke auf mein Zimmer gehen.«
»Thue das, Rosiana, und ruhe Dich. Ich fühle mich bedeutend besser,« sagte der Geistliche, worauf Jene das Zimmer verließ und bald nachher die Negerin bei ihrem Herrn erschien.
Rosiana war hinauf in ein Dachstübchen gegangen, hatte sich durch frisches Wasser erquickt, ihr prächtiges Lockenhaar schnell, aber geschmackvoll geordnet und ihre Toilette erneuert. Dann sank sie vor einem Stuhl auf ihre Kniee nieder, faltete ihre kleinen Hände und sandte aus frommem Herzen ihr Morgengebet zum Himmel. Ihre schönen Augen waren dabei feucht geworden, sie trocknete im Aufstehen die Thräne, die zwischen ihren langen Wimpern glänzte und reichte dann dem Kanarienvogel, der am Fenster hing und ihr mit ausgebreiteten, schwirrenden Flügeln seinen Morgengruß entgegen zwitscherte, Samen und frisches Wasser. Die Ausstattung des, Zimmers war höchst einfach, aber sauber und geschmackvoll geordnet. Auf dem kleinen Arbeitstisch am Fenster lag neben einem Glas mit frischen Blumen ein aufgeschlagenes Buch und dahinter, an die Wand des Dachfensters angelehnt, stand eine Mandoline. Rosiana faltete die Näharbeit, die auf dem Stuhle vor dem Tische lag, sorgsam zusammen und verwahrte sie in der Kommodenschieblade, wischte mit einem Tuch den Staub von den wenigen Möbeln, trat nochmals zu ihrem kleinen Liebling, dem Kanarienvogel, indem sie ihm schmeichelnd ihren Finger in den Bauer hielt, und kehrte dann, noch einen Blick durch das Zimmer werfend, zu dem kranken Geistlichen zurück.
Morna bereitete schnell das Frühstück und, nachdem sie und Rosiana dasselbe eingenommen, begab sich Letztere wieder vor das Bett des Pfarrers und las in einer Zeitschrift, welche diesem regelmäßig von Philadelphia zugesandt wurde. Dabei wachte sie über jede Bewegung, jeden Wink des Kranken, um schnell dessen Wünschen nachzukommen. Doch nur in langen Zwischenräumen beanspruchte derselbe ihre Dienste, denn sein Fieber hatte ihn verlassen und in ruhigem wohlthuenden Schlaf schien er neue Kräfte zu sammeln.
Gegen zehn Uhr öffnete sich die Thür und die Schwester des Geistlichen, die hier in Richmond an einen Arzt, den Doctor Hunter, verheirathet war, trat in das Zimmer. Sie war eine magere Frau von einigen dreißig Jahren, mit röthlichem spärlichen Haar, lebendigen kleinen Augen und großer Unruhe in allen ihren Bewegungen.
»Nun, Rosiana, hast Du nichts Besseres zu thun, als zu lesen. Ich möchte überhaupt wohl wissen, wozu Niggers zu lesen brauchen?«
Mit diesen halblaut gesprochenen Worten schob sie das Mädchen, welches sich schnell erhoben hatte, unsanft zur Seite und trat nahe an das Bette ihres Bruders. Dieser hatte die Augen aufgeschlagen und sah sie kopfschüttelnd mit einem Ausdrucke des Vorwurfs an, sagte aber kein Wort.
»Es geht Dir noch schlecht, wie ich sehe, Du hast Fieber, und doch willst Du nicht, daß Dir mein Mann Etwas verschreibe. Da bleibst Du immer bei Deinen eigenen Mitteln, und bist selbst Schuld daran, wenn Du heftig krank wirst. Eine kleine Gabe Medizin von meinem Mann würde die Krankheit im Entstehen gebrochen haben,« sagte Madam Hunter mit unterdrückter Heftigkeit, indem sie ihren Hut und Shawl abnahm und auf den Tisch legte, und sich dann auf dem Stuhl vor dem Bette niederließ.
»Liebe Schwester, ich befinde mich viel wohler, als gestern, ich habe eine gute Nacht gehabt, und das Fieber hat mich verlassen. Ruhe ist jetzt Alles, was mir nöthig ist,« antwortete der Geistliche und schloß die Augen.
»Das Mädchen da sollte Dir etwas Brodwasser und Limonade machen und statt zu lesen, Dir die Fliegen abwehren. Das ist ja entsetzlich, so viel Fliegen im Zimmer zu haben, warum jagt sie denn Rosiana nicht hinaus und schließt die Fenster?« nahm die Frau wieder das Wort und warf einen stechenden Blick auf das Mädchen.
»Laß doch nur, Schwester, ich bin ja zufrieden, laß mich doch ruhen,« sagte der Kranke ungeduldig.
»Zufrieden, mit Allem zufrieden, und wenn Du auch noch so schlecht von diesem Negervolke behandelt wirst. Kann mir denn das gleichgültig sein? Ich will aber auch gar Nichts mehr sagen, ich bekomme bei Dir doch nie Recht, da hörst Du lieber auf fremde Menschen, als auf Deine Schwester.«
»Ich bitte Dich um Gottes Willen, sei doch ruhig,« fiel ihr der Pfarrer wieder in die Rede, und winkte ihr mit der schwachen Hand, indem er abermals die Augen schloß.
Madam Hunter legte, sich mit einer heftigen Bewegung in ihrem Stuhle gerade setzend, ihre Hände in den Schooß, als zwinge sie sich zum Schweigen, spielte aber in fliegender Bewegung mit ihren Fingern und Fußspitzen, und schoß giftige Blicke auf Rosiana, die sich neben das offene Fenster gestellt hatte und mit thränenschweren Augen in den Garten hinaussah.
»Wenn ich nur Etwas für Dich thun könnte, lieber Bruder,« sagte nach einer langen Pause die Frau mit weicher, theilnehmender Stimme zu dem Geistlichen, »es macht mich ganz unglücklich, daß ich nicht bei Dir bleiben und Dich pflegen kann,« worauf dieser schweigend und ohne die Augen zu öffnen die Hand zu ihr erhob und die ihrige, wie zum Dank drückte, denn Madam Hunter ergriff sie mit beiden Händen, küßte sie und benetzte sie mit einigen Thränen. Dann erhob sie sich schnell mit den Worten:
»Nun muß ich eilen, lieber Bruder, mein Mann wird mich zu Hause erwarten, ich komme aber bald wieder, solltest Du Etwas von mir wünschen, so lasse es mir sagen. Halte Dich nur ruhig und lasse Dir Deinen Schlaf nicht stören.«
Sie war zu dem Tisch getreten, setzte ihren Hut auf, hing ihren Shawl um die Schultern und sagte dann mit unterdrückter Stimme: »Rosiana!«
Als diese sich nach ihr umwandte, wischte Madam Hunter heftig mit der Hand über den Tisch, um ihr anzudeuten, daß der Staub nicht von demselben abgeputzt sei, machte ihr eine drohende Bewegung mit der Hand, und schoß zur Thür hinaus.
»Rosiana,« wiederholte der Geistliche, als kaum die Thüre sich hinter der leidenschaftlichen Frau geschlossen hatte, und winkte dem Mädchen, sich wieder vor sein Bett zu setzen. Weinend folgte sie seiner Aufforderung, und als der Kranke ihr mit einem tröstenden dankbaren Blick schweigend die Hand reichte, senkte sie ihre Lippen auf dieselbe nieder und preßte sie schluchzend zwischen ihren kleinen Händen.
Rosiana war die Tochter der Negerin Morna, welche dem Geistlichen aus seines Vaters Nachlassenschaft als Erbtheil zugefallen war. Rosianas Vater mußte ein weißer Mann gewesen sein, wie ihr Aeußeres verrieth und sie war demnach Mulattin. Die Natur hatte sie aber bei ihrer Erschaffung begünstigt und ihr mehr weißes Blut gegeben, als es gewöhnlich in diesem ersten Mischungsgrade der Fall ist, denn während andere Mulattinnen mehr oder weniger braun gefärbt sind, zeigte ihre schöne weiße Haut nur einen leichten Anflug von Gelb. Ihre ganze Körperbildung hatte die Stufen zwischen der schwarzen und weißen Menschenrace übersprungen und in gleichem Maße, wie sie von dieser körperlich nur das Schöne und Edle erhalten hatte, war auch ihr Geist mit den besten Eigenschaften derselben beschenkt worden. Der Geistliche war nie verheirathet gewesen und hatte das schöne weiße Kind seiner Sclavin wie das seinige behandelt und erzogen, freilich nur hinter dem Vorhange seines Privatlebens, denn vor der Welt blieb sie die Farbige, der das Gesetz alle Menschenrechte vorenthielt. Ohne zu bedenken, daß die Bildung, die er ihr gab, mit ihrer Stellung im öffentlichen Leben in Widerspruch stand, daß die zarteren edleren Gefühle, die er dadurch in ihr weckte und zur herrlichen Blüthe brachte, weder sie, noch Andere beglücken und nur dazu beitragen konnten, ihr das ganze Elend und den Fluch fühlbar zu machen,, den das Schicksal in diesem Lande über das afrikanische Blut ausgesprochen hatte, gab er sich der Freude hin, die das Gedeihen des reizenden lieblichen Kindes ihm gewährte, und fand in ihm einen Ersatz für die Entbehrung, die sein Junggesellenleben ihm auferlegte. Mit der größten Sorgfalt hatte er Rosiana selbst unterrichtet, hatte ihr alle weiblichen Arbeiten lernen, ihr durch einen Musiklehrer Unterricht im Gesang und im Guitarrespielen geben lassen und hatte jede müßige Stunde zu Hause dazu verwandt, durch seinen Umgang ihre seltenen, Herrlichen geistigen Anlagen zur schönsten Entwickelung zu führen. Schon jetzt rächte sich das Schicksal an ihm für den Eingriff, den er in dessen Macht sich erlaubt hatte und nicht ohne inneren Vorwurf konnte er auf die blühende edle Jungfrau blicken, deren Bildung sie zu so großen Ansprüchen an das gesellschaftliche Leben berechtigte, während die schwarze Mutter sie unabänderlich der Erniedrigung und der Verachtung der Welt Preis gab. Das Traurige, Schwermüthige in Rosianas Wesen, die stille Thräne, die sie vor ihm zu verbergen suchte, der Seufzer, der oftmals ihrer Brust entstieg, wenn sie sich von ihm nicht beobachtet glaubte, Alles verrieth ihm deutlich, daß sie das Verhängniß fühle, welches so schwer und so unverdienter Weise auf ihr lastete und verwandelte Alles das Gute, welches er geglaubt hatte ihr zu erzeigen, in ein großes Unrecht. Es war zu spät, um es ungeschehen zu machen, oft nahm er sich vor, sie durch kältere abstoßende Behandlung ihrer, von dem Gesetz bezeichneten Stellung zurückzugeben und sie als Sclavin zu behandeln, ihre stumme Verzweiflung, ihre Thränen aber erweckten dann bald wieder sein besseres Gefühl und um so wärmer, um so theilnehmender überhäufte er sie mit Freundlichkeiten. Die Kränkungen, die seine Schwester ihr bei jeder Gelegenheit zufügte, trafen ihn immer wie Dolchstiche, und dennoch hatte er nicht den Muth, seinen Liebling gegen deren boshafte Angriffe zu vertheidigen, da er fühlte, daß er sich dadurch zugleich gegen die öffentliche Meinung, gegen den Gebrauch, gegen das Gesetz auflehnen würde, die er in seiner Stellung als Geistlicher besonders respectiren mußte. Auch soeben hatte die herzlose Behandlung der Madam Hunter gegen Rosiana ihn empfindlich getroffen, um so mehr, als er dieser gerade jetzt so viel liebevolle Pflege und aufopfernde Anhänglichkeit zu danken hatte, und er ließ seine Hand in der ihrigen ruhen, um ihr schweigend seine Anerkennung dafür auszusprechen, ihr als Trost seine Zuneigung zu erkennen zu geben.
Während hier in der Stille der Segen des Himmels auf eine Farbige herabgefleht wurde, tönten die wildesten Verwünschungen gegen die Neger und ihre Abkömmlinge durch die Straßen Richmonds, und aus der aufgeregten Volksmenge, die sich um das Kapitol gesammelt hatte, schallten die fürchterlichsten Drohungen gegen dieselben hervor. Man hatte den Mulatten Stacy zum Verhör dorthin geführt und auch die Leiche des Erschossenen in dem Gerichtssaal aufgestellt. Der Saal war mit Zuschauern so sehr angefüllt, daß es schwer gewesen sein würde, auch nur noch einer Person einen Platz darin zu verschaffen; Schulter an Schulter stand man zusammengedrängt und war wörtlich aller Bewegung beraubt. Schon einige Stunden hatten die Verhandlungen gedauert, der Angeklagte stand vor der Leiche, er schaute mit unerschütterlicher Ruhe, ja mit Gleichgültigkeit auf dieselbe nieder und leugnete hartnäckig, irgend wie in Beziehung zu dem begangenen Morde zu stehen. Auf die Frage, ob er den Erschossenen erkenne, antwortete er, er habe ihn oft bei sich im Hause gesehen und erkenne in der Leiche vor sich den Herrn Fehrmann wieder. Derselbe sei ein guter Kunde von ihm gewesen, und habe ihm niemals eine Veranlassung gegeben, ihm etwas Böses zu wünschen. »Könnte er noch reden,« sagte er, »so würde er selbst meine Unschuld bezeugen.«
In diesem Augenblicke öffnete sich dem Angeklagten gegenüber eine Thür und Fehrmann trat ihm aus derselben entgegen. Der Mulatte wankte zurück, seine Augen stierten nach dem Todtgeglaubten hin, als wollten sie aus ihren Höhlen springen, seine Lippen bebten, seine Glieder zitterten, und mit den Händen ihn, wie einen Rachegeist von sich abwehrend, sank er auf dem Boden zusammen und wandte sein, von Entsetzen verzerrtes Gesicht von ihm ab.
»Zurück, zurück, haltet ihn von mir zurück, ich will bekennen, Alles bekennen!« schrie er mit krampfhaft zusammengepreßter Stimme und der donnernde betäubende Beifall der Zuhörer ließ die weite Halle erdröhnen, so daß wohl zehn Minuten vergingen, ehe es den Constabeln und den Richtern gelang, die Ruhe wieder herzustellen.
Der Mulatte bekannte jetzt die blutige That und gestand, daß Rache ihn dazu getrieben habe. Lincoln war es, der veranlaßt hatte, daß der Mörder bis zum Augenblick von Fehrmanns Erscheinen in seinem Irrthum, diesen erschossen zu haben, gelassen werde, um ihn dadurch zum Geständniß zu bringen. Auch er befand sich unter den Advocaten, die gegen den Verbrecher vor die Schranken traten, wiederholt wurde er durch stürmischen Beifall der Zuhörer in seiner Rede unterbrochen und die Hurrahs, die man ihm nach Beendigung derselben brachte, wollten kein Ende nehmen. Der Mulatte wurde zum Galgen verurtheilt und Lincoln war der gefeierte Mann des Tages.
Zehn Tage gab das Gesetz dem Verurtheilten noch zu leben und mit Ungeduld erwartete die weiße Bevölkerung Richmonds den Ablauf dieser Frist, um ihn sterben zu sehen. Aber mit ebenso viel Leidenschaftlichkeit, wie sich der Wunsch nach Vergeltung gegen den Mulatten unter den Weißen kund that, ebensoviel lebendiges Interesse wurde unter den Farbigen für denselben laut, und in gleichem Maße steigerte sich mit jedem Tage die Aufregung beider Parteien. Wenngleich die farbige Bevölkerung der Stadt die weiße an Zahl mehr als um das Zehnfache überstieg, so bemerkte man für gewöhnlich dieses Mißverhältniß nicht, weil die Farbigen während des Tages, bei ihren Arbeiten beschäftigt, weniger sichtbar wurden; jetzt aber schienen die Weißen mehr und mehr aus den Straßen zu verschwinden und die Neger und Mulatten sich zu zeigen. In Banden zogen diese lärmend, fluchend und drohend umher und allenthalben hörte man den Ruf erschallen:
»Hurrah für Georg Stacy, er hat einen weißen Mann erschossen!«
Besonders zahlreich zeigten sie sich in der Nähe des Gefängnisses, wo der Mörder verwahrt wurde, und schon am Abend nach seiner Verurteilung sah man sich genöthigt, die Wache bei dem Gefangenhause zu verstärken. Die Eigentümer der Sclaven boten zwar alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel auf, dieselben zu Hause zu halten, aber weder Gewalt, noch gute Worte vermochten es durchzusetzen; die sclavische Furcht, so wie die blinde Anhänglichkeit an den Herrn verschwand von Tag zu Tag mehr, und das sorglose Sicherheitsgefühl der Weißen machte ernster Besorgniß Platz. So wie die Farbigen in der Stadt selbst den Befehlen ihrer Herren weniger Folge leisteten, so begannen auch die Sclaven auf dem Lande in der Umgegend sich gegen dieselben aufzulehnen, verließen in großer Zahl ihre Arbeit und begaben sich nach Richmond, wo sie sich ihren farbigen Brüdern zugesellten und mit ihnen tobend die Straßen durchschwärmten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Geist des Aufruhrs unter den Negern durch das Land und zwar noch weit drohender für deren Herren, da dort das Mißverhältniß ihrer Seelenzahl noch weit größer war.
Virginien, früher der Musterstaat der ganzen Union, hatte diesen seinen Ehrenplatz für schnödes Gold, welches ihm aus dem Handel mit Menschen zufloß, aufgegeben: es züchtete Sclaven für alle Sclavenstaaten Amerika's!
Die reichen gesegneten Farmen und Plantagen, die durch die ungeheuren Ernten von Getreide, Taback und Baumwolle Virginien mit der halben Welt in Verbindung gebracht und seinen Reichthum begründet hatten, waren zum großen Theil verödet und man baute dafür nur so viel Mais, als man bedurfte, um die nöthigen Schweine für den Unterhalt der Sclaven zu füttern und diese selbst mit Brodstoff zu versorgen. Es wurde nicht mehr gearbeitet, denn aus der Vermehrung der Neger, die ein sorgenloses lustiges Leben führten, zog man einen reichern Gewinn, als wenn man ihre Kräfte in den schweren Feldarbeiten abnutzte und somit das in ihnen enthaltene Kapital vorzeitig verlor.
Es gab Sclavenhalter, die alljährlich Hunderte von kräftigen schönen Negerburschen verkauften, während sie die zugleich aufgezogenen Mädchen zur Vergrößerung ihres Geschäftes behielten. Neben dem sehr hohen Gewinn, welchen man auf diese Weise erzielte, glaubte man die Sclaven viel leichter und sicherer beherrschen zu können, da sie so sehr wenig zu arbeiten brauchten und bei dem angenehmen Leben, welches sie führten, nicht nach Freiheit und Unabhängigkeit verlangen würden. Hierin lag aber ein großer Irrthum, denn man hatte nicht daran gedacht, daß ein solches Leben sie vollständig demoralisiren mußte, und während in der früheren Glanzzeit Virginiens die Sclaven, die in seinen Grenzen geboren waren, auf allen Märkten den höchsten Preis brachten, weil sie anerkannt die besten, fleißigsten und treuesten Diener waren, so betrachtete man jetzt einen Virginischen Sclaven mit Mißtrauen und Vorurtheilen. Auch hatte man sich bemüht, möglichst viel weißes Blut in den jungen Anwuchs zu bringen, weil Mulatten und Quadronen wegen ihrer höheren geistigen Fähigkeiten und größeren körperlichen Schönheit vorzugsweise theuer bezahlt wurden und dabei vergessen, daß es das weiße Blut sei, welches sich gegen die Knechtschaft empöre und daß in ihm der Keim zu dem Ende der Sclaverei verborgen liege. Der Fluch, der in diesem vortheilhaften Geschäft mit Menschenfleisch lag, hatte aber nicht allein über die farbige Bevölkerung Virginiens die tiefste sittliche Verderbniß gebracht, er hatte auch in den Familien der Weißen seine Spuren gezeichnet, und mit dem Namen eines Virginiers waren nicht mehr, wie früher, so hohe moralische Vorzüge vor den Bürgern anderer Staaten verbunden. Die alte unbegränzte Gastfreundschaft, das gemächliche, comfortable Familienleben, Herzlichkeit, Treue, Glaube und Gottesfurcht waren seltener geworden, und Ueppigkeit, Verschwendung und Selbstsucht hatten auf dem ihnen früher fremden Boden Fuß gefaßt.
Der gegenwärtige Augenblick war für die Weißen in Richmond ein sehr ernster und Unheil verkündender, denn von Stunde zu Stunde mehrte sich die Zahl der Neger in der Stadt, und ihr Auftreten wurde immer zügelloser, immer drohender. Schon erlaubten sie sich hier und dort Gewaltthätigkeiten, sie drangen in die Trinkhäuser ein und forderten mit der Axt in der Hand Branntwein, in gleicher Weise plünderten sie die Bäckerläden und beraubten die Rauchhäuser der nahe bei der Stadt wohnenden Farmer. Die Zeit drängte, wenn man einem allgemeinen Negeraufstand noch vorbeugen und ein blutiges Massacre unter den Weißen verhüten wollte; halbe Worte, halbes Handeln konnten Nichts mehr nützen und nur schnelles entschlossenes Einschreiten noch Rettung bringen. Die Miliz und alle waffenfähigen weißen Männer traten unters Gewehr und durchzogen in starken Patrouillen die Stadt; mehr als hundert Neger wurden in den Straßen niedergeschossen und es gelang, die Aufrührer zu zerstreuen und für den Augenblick die öffentliche Ruhe wieder herzustellen. Keinesweges aber war die Gefahr damit beseitigt, die Stimmung der Sclaven war jetzt nur noch viel gereizter, und mit Besorgniß sahen die Weißen der nächsten Zukunft entgegen. Die Vorsichtsmaßregeln wurden verdoppelt, man sperrte die Neger Nachts in die Keller ein, oder schloß sie, ehe man zur Ruhe ging, an Ketten fest und schoß jeden nieder, der sich nach Sonnenuntergang noch außerhalb der Häuser blicken ließ.
In einer Berathung der Weißen, die am fünften Tage nach der Verurtheilung des Mulatten Stacy im Kapitolium gehalten wurde, beschloß man, schon am folgenden Morgen die Hinrichtung desselben vorzunehmen, um die erste Veranlassung zu dem Aufruhr aus dem Wege zu räumen. Bei dieser Gelegenheit nahm auch Lincoln wieder das Wort und setzte auseinander, daß in den vielen freien Farbigen die Hauptursache für die Widersetzlichkeit der Sclaven zu suchen sei, da jene ihre höhere Bildung, ihr höheres Wissen dazu benutzten, um diese aufzuwiegeln. Er rieth, mit der größten Strenge zu verhindern, daß irgend ein Farbiger lesen lerne und zugleich ein Gesetz zu schaffen, welches Alle diejenigen, die frei geboren, oder von ihren Herren frei gegeben worden seien, aus dem Lande verweise. Jeder Sclaveneigner, sagte er, der die geistigen Fähigkeiten eines Farbigen entwickele, begehe ein Verbrechen gegen seine Mitbürger und gegen den Staat, weil er dadurch die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, aber er begehe auch ein Unrecht gegen den Sclaven und gegen sich selbst, da er Jenen mit seiner Lage unzufrieden mache und zugleich sein eigenes Interesse aufs Spiel setze. Dem Farbigen habe die Natur alle edleren Eigenschaften, alle besseren Gefühle, die sie dem Weißen verliehen, vorenthalten und dadurch erklärt, daß Jener diesem Unterthan sein und ihm dienen solle.
Lincoln's Rede wurde mit stürmischem Beifall aufgenommen, Jeder der Zuhörer theilte seine Ansichten und man beschloß, dahin zu wirken, daß die Gesetzgebung von Virginien baldmöglichst die no'thigen Maßregeln gegen die Aufklärung und die Freiheit der Farbigen ergreife. Dem jungen Advocaten wurde von allen Seiten Anerkennung und Lob gezollt, die achtbarsten, reichsten Bürger der Stadt baten ihn, ihr Haus zu besuchen und wünschten ihm Glück zu seiner mit so vielem Erfolg begonnenen Laufbahn.
Die Sonne stand schon niedrig, als das Kapitolium sich leerte und die versammelte Menge sich zerstreute, um an anderen Orten in kleinern Zusammenkünften die Unterhaltungen und Berathungen über die Negerunruhen fortzusetzen, denn dieselben berührten zu sehr alle Gesammt- und Privatinteressen, als daß augenblicklich von etwas Anderem hätte die Rede sein können.
Auch über den Garten des Pfarrers Nelson hatten sich die Schatten lang ausgedehnt und dieser saß hinter dem Hause neben dessen Eingang unter den prächtigen dunkeln Magnolien, die denselben überdachten, und jeden Sonnenstrahl von ihm abwehrten. Rosiana hatte den Geistlichen so eben aus dem Hause hierher geleitet, damit ihn die Kühlung des Abends erquickend und stärkend umspielen und seine Genesung befördern möge. Sie war wieder in das Haus geeilt, um Limonade für ihn zu bereiten, kehrte bald mit derselben zurück und reichte sie ihm mit den Worten:
»Hier, guter Herr, trink, die Limonade wird Dir wohl thun, sie ist recht frisch, ich habe ein Stückchen Eis hineingelegt, wie Du es liebst.«
»»Ich danke Dir, Rosiana, Du sorgst so gut für mich und Deiner Pflege allein habe ich meine schnelle Genesung zu danken. Setze Dich zu mir, ich muß mit Dir reden«, sagte der Pfarrer und deutete auf einen Stuhl neben sich, auf den die Mulattin sich nun niederließ.
»Deine Zukunft, Rosiana, liegt mir drückend auf der Seele; wie leicht hätte schon diesmal der Herr mich abrufen können, und was wäre dann aus Dir geworden!« nahm Nelson wieder das Wort, sah aber Rosiana nicht dabei an, sondern blickte sinnend vor sich nieder; »Du kennst die Vorurtheile, denen Dich Deine Abkunft preisgiebt, man erkennt in diesem Lande den Menschen nur in der weißen Haut an, nicht in der Reinheit, in der Ausbildung seiner geistigen Eigenschaften. Deine Bildung, Deine Frömmigkeit, Deine Herzensgüte stellt Dich weit über den Stand, der Dir hier in der menschlichen Gesellschaft eingeräumt wird, ja weit über Viele, die mit Verachtung auf Dich herabblicken, weil Deine Haut nicht so weiß ist, als die ihrige. Durch die Erziehung, die ich Dir gab, würde ich eine schwere Sünde gegen Dich begangen haben, überließe ich Dich nach meinem Tode Deinem Schicksal in den Händen meiner Erben. Die Krankheit, der ich unter Deiner Pflege so eben entgangen bin, hat der Himmel mir als Warnung zugesandt und mir noch einmal Zeit gegeben, diesem Unrecht gegen Dich vorzubeugen, und diese Frist soll nicht wieder ungenützt an mir vorüber gehen. Ich werde Dich gesetzlich frei geben, damit Du nach meinem Ende wenigstens nicht den Grausamkeiten, den Mißhandlungen der Weißen ausgesetzt sein wirst.«
Rosiana's lautes Schluchzen unterbrach hier den Geistlichen, von tiefstem Seelenschmerz, glühendster Dankbarkeit überwältigt, warf sich die Mulattin zu ihres Herrn Füßen nieder, ergriff mit bebenden Händen seine hagere Rechte und bedeckte sie mit ihren Küssen, ihren Thränen. Der Sturm ihrer Gefühle erstickte die Worte auf ihren schönen Lippen, die Sprache aber ihres seelenvollen, dankbaren, thränenschweren Blickes verstand der Geistliche wohl, und, seine Linke um die zarte Wange des zitternden Mädchens legend, küßte er sie auf die edle Stirne und seine Thräne fiel in ihr glänzendes Lockenhaar.
In diesem Augenblick trat Madam Hunter aus der Thür des Hauses hervor und blieb wie entsetzt stehen, als ihr Blick auf ihren Bruder und dessen Sclavin fiel.
»Sei guten Muths, Rosiana, vor Gott stehst Du mit den Weißen gleich!« sagte Nelson und hob sanft die Hand empor, um das Mädchen aufstehen zu lassen, als ein heiseres Hüsteln seiner Schwester ihm deren Gegenwart verrieth, und er etwas betroffen sich nach ihr umwandte. Rosiana wurde bei dem Anblick der herzlosen Frau bleich, stand rasch auf und stellte den Stuhl für sie neben den Geistlichen hin.
»Ich störe wohl Deine Andacht, lieber Bruder?« sagte Madam Hunter mit gezwungener Freundlichkeit und vor Bitterkeit bebenden Lippen, »ich wollte nur sehen, wie es Dir geht und Dir das Neueste des Tages mittheilen. Du kommst so wenig mit der Welt in Berührung, daß Du hinter der Zeit zurückbleibst. So eben ist in der Bürgerversammlung im Kapitolium beschlossen worden, ein Gesetz auszuwirken, wonach kein Farbiger mehr lesen lernen darf und ein jeder, der frei ist, sofort aus dem Lande gejagt wird. Das Gesetz wird in aller Eile in Kraft treten. Ein talentvoller junger Advocat hat den Leuten endlich die Augen aufgethan und ihnen bewiesen, daß es ein Verbrechen gegen den Staat, gegen den Bürger und den Sclaven ist, wenn man diesen, halb Affen, halb Menschen die Erziehung eines Weißen giebt.«
Während dieser Rede hielt die eifernde Frau ihren stechenden Blick auf die Mulattin geheftet und diese war zurück gegen den Stamm einer Magnolie gewankt, denn sie fühlte, wie ihre Kräfte plötzlich schwanden, wie es florartig vor ihren Augen zitterte und wie ihre Füße sie kaum noch tragen wollten. Sie hielt sich an dem glänzend grauen Stamme fest und lehnte, die Augen schließend, ihre Stirn gegen den Baum.
»Die Verbrechen der Weißen gegen die farbigen Menschen sind allerdings groß, Schwester,-und die Vergeltung dafür wird nicht ausbleiben,« fiel der Pfarrer ein und sah die Frau mit einem ernsten, strafenden Blick an, »denke daran, Schwester, daß wir vor dem Allmächtigen Alle gleich sind, schwarz oder weiß, seine Liebe, seine Gnade und Barmherzigkeit mißt er uns Allen mit gleichem übervollen Maße zu.«
»Dann mußt Du den Orangoutang auch zu Deines Gleichen zählen; ich glaube, versuchen würdest Du es auch, ihm eine feine Erziehung zu geben!« erwiederte Madam Hunter mit großer Heftigkeit und wandte sich nach Rosiana um, die eben in das Haus hineinwankte.
»Höre, Schwester, schämst Du Dich nicht vor diesem edlen, wohlerzogenen, bescheidenen Kinde, fühlst Du nicht, daß Du in solchen Augenblicken auflodernder Gehässigkeit tief unter ihr stehst, und fällt es Dir gar nicht ein, daß Du Dich schwer an ihr versündigst, wenn Du sie mit Deinen giftigen Worten kränkst!«
»Dieses wohlerzogenen Kindes schäme ich mich allerdings oftmals, wenn ich die Leute darüber reden höre und sie, Deinen Namen dabei nennend, die Köpfe zusammen stecken. Es sind wahrlich recht ehrenvolle Vermuthungen, die man hier und dort in der Stadt mit anhören muß, weshalb Du diesem edlen, ungewöhnlich weißen Kinde Deiner Negerin eine so vortreffliche Erziehung gegeben hast.«
Madam Hunter schien mit diesen Worten ihr Herz erleichtert zu haben, denn sie hielt plötzlich inne, holte tief Athem, setzte sich bei dem Pfarrer nieder und sagte, indem sie seine Hand ergriff, mit milder theilnehmender Stimme:
»Sieh, lieber Bruder, es kann mir ja nicht gleichgültig sein, was die Leute über Dich reden und Du bist ja ihrem Urtheil als Geistlicher besondere Rücksicht schuldig. Aber nun, ganz abgesehen davon, sage mir, was wird aus dem Mädchen dereinst nach Deinem Tode werden? Frei geben kannst Du sie nicht, oder sie muß sofort Virginien verlassen; willst Du das Kapital, was sie werth ist, meinen Kindern einmal vorenthalten – stehen diese Dir nicht näher, als eine Mulattin?«
»Laß uns nicht weiter darüber reden, Schwester, Du weißt, unsere Ansichten bleiben verschieden. Ich werde vor Gott verantworten, was ich an dem Mädchen thue, und mich durch das Urtheil der Menschen nicht irre machen lassen. Wer kennt aber Rosiana? sie verläßt ja nur selten das Haus und dann geht sie bei Tage stets verschleiert.«
»Gerade dieses Geheimnißvolle und dann auch das, allerdings ganz hübsche Aeußere des Mädchens hat die Aufmerksamkeit der Leute auf sie gerichtet und, ich muß es Dir sagen, man nennt Dich ihren –«
»Schweig, Schwester, nicht ein Wort weiter, oder Du betratest zum letzten Male dies Haus!« fiel ihr der Pfarrer mit, ihm nicht eigener Heftigkeit in die Rede, indem er ihr die Hand gebietend entgegenhielt und sich rasch aus dem Stuhl erhob. Gleich aber, als ob er sich seine Heftigkeit vorwerfe, fuhr er in mildem Tone fort:
»Mir zu Liebe, laß uns nie wieder ein Wort über Rosiana reden, denn es würde mir die Schwester und Dir den Bruder kosten. Wie geht es den Deinigen, was machen die Kinder? «
Madam Hunter that sich augenscheinlich Gewalt an, ruhig zu erscheinen, obgleich die Heftigkeit, womit sie an den Franzen ihres Shawls zupfte, ihre innere Aufregung verrieth.
»Gottlob,« sagte sie, »sie sind Alle wohl, nur kann sich jetzt keine Familie häuslicher Ruhe rühmen, denn man darf ja seinen eigenen Sclaven nicht mehr trauen, man muß in jedem Augenblick befürchten, daß sie sich erheben und ein allgemeines Blutbad unter den Weißen anrichten. Das kommt von der Aufklärung und von zu großer Nachsicht.«
»Das kommt von zu großer Härte und Grausamkeit. Genug von den Sclaven – wie Man sich das Bett macht, so muß man darin schlafen.«
»Ich muß gehen, es wird düster und man ist kaum mehr sicher in den Straßen. Ich freue mich, daß es Dir so gut geht, lieber Bruder, Gott wird mein Gebet erhören und Dich bald wieder ganz herstellen. Wie sehne ich mich danach, Dich wieder auf der Kanzel zu sehen, die ganze Gemeinde wartet mit Verlangen darauf! Nun, gute Nacht, der Himmel sei mit Dir,« sagte Madam Hunter, reichte ihrem Bruder zum Abschied die Hand und eilte durch das Haus und durch den Garten vor demselben in die staubige Straße hinaus.