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Astolf sieht auf dem Monde das künftige Leben Hippolyts von Este (1–9). Der Strom Lethe und die Schwäne, welche würdige Namen diesem Flusse entziehen (10–30). Bradamante läßt sich von Flordelis zur Brücke Rodomonts führen und besiegt ihn (31–57). Sie kömmt nach Arles und fordert Roger zum Zweikampf auf (57–80).
1 | Wer, Herrin, wird für mich gen Himmel steigen Und holt mir den verlorenen Verstand? Seit jenem Tag ist er nicht mehr mein eigen, Wo eurer Augen Pfeil mich überwand. Indeß von diesem Schaden will ich schweigen, Wenn's nur nicht schlimmer wird, so halt' ich Stand; Doch fürcht' ich, wenn ich jetzt noch mehr verwildre, Bald so zu werden, wie ich Roland schildre. |
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2 | Um den Verstand mir wieder einzufangen, Wird's, wie mir scheint, auch gar nicht nötig sein, Zum Paradies, zum Monde zu gelangen; So hoch quartirt sich mein Verstand nicht ein. Um eure schönen Augen, heitren Wangen Schneeweißen Hals und wallend Elfenbein Schweift er umher, und meine Lippe könnte Ihn haschen dort, wenn man ihn mir nur gönnte. 368 |
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3 | Astolf war durch das hohe Schloß gegangen, Bis er die künft'gen Menschenleben fand, Die sich zur Zeit noch nicht im Kreise schwangen, Noch nicht auf jenes Schicksalsrad gespannt. Und eins der Bündel sah er schöner prangen Als feines Gold; sogar der Diamant, Wenn wir in Fäden ihn zu ziehn verständen, Würde, vertausendfältigt, so nicht blenden. |
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4 | Der Cardinal Hippolyt von Este war im J. 1479 geboren, zwanzig Jahre ehe man 1500 oder MD schrieb. | Er staunte, daß er tausend Bündel dort Und doch nur eins von solcher Schönheit sehe, Und zu erfahren drängt' es ihn sofort, Weß Leben dieses sei und wann's entstehe. Und gern belehrt' ihn des Apostels Wort: »Beginnen wird es zwanzig Jahre ehe Das Jahr des fleischgewordnen Wortes man Mit einem M und D bezeichnen kann. |
5 | »Und so wie hier dies Bündel ohne gleichen An hoher Schönheit ist und edlem Schein, So wird auch die beglückte Zeit desgleichen, Die ihm entspringt, auf Erden einzig sein. Denn was an Zierden, seltnen, ehrenreichen, Gunst der Natur und eigner Fleiß verleihn, Was gnäd'ge Sterne je dem Menschen gaben, Wird er als dauerndes Besitztum haben. 369 |
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6 | »Wo der Monarch der Ströme stolz und mächtig Die Hörner ausstreckt, liegt, noch arm und klein, Ein Städtchen, – vorn der Po, und Sümpfe trächtig Von Nebeln schließen es von hinten ein. Im Lauf der Jahre wird es reich und prächtig Vor allen Städten in Italien sein An Mauern und Palästen und daneben An schönen Künsten und vornehmem Leben. |
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7 | »So hohen Aufschwung wird kein Ungefähr, Gott selbst wird ihn dem kleinen Städtchen schicken, Damit die Stätte würdig sei, wo er, Von dem ich rede, wird das Licht erblicken. Wo Frucht gedeihen soll, pfropft man vorher Und muß mit Sorgfalt das Gewächs erquicken, Und Gold sogar muß erst geläutert sein, Eh es als Fassung dient dem edlen Stein. |
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8 | »Und nie auf Erden trug der Seelen beste Solch schönes, solch anmutiges Gewand; Nie stieg, nie steigt von dieser Himmelsveste Solch würd'ger Geist hinab auf irdisch Land Wie ihn für jenen Hippolyt von Este Erschaffen will der ewige Verstand; Denn Hippolyt von Este wird er heißen, Der Mann, dem solcher Reichtum ist verheißen. 370 |
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9 | »Die Zierden, welche, ausgetheilt an viele, Genügen würden, vielen Schmuck zu leihn, Die werden all' in ihm, auf den ich ziele, Zur Zierde seines Haupts versammelt sein. Den Tugenden, der Kunst, dem Saitenspiele Wird er ein Hort, und wollt' ich völlig sein Verdienst dir schildern, würd' es lange währen Und Roland den Verstand noch lang' entbehren.« |
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10 | So schritt der Jünger redend und erklärend Mit seinem Gaste durch das Labyrinth Der Gäng' und Säle, wo man immerwährend Die Menschenleben für die Erde spinnt, Und führt' ihn an den Fluß, der trübe gährend, Vermischt mit Sand, durch das Gefilde rinnt. Hier trafen sie, als sie ans Ufer kamen, Den alten Mann, der Schilder schleppt und Namen. |
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11 | Entsinnt ihr euch? ich rede von dem Alten, Den ich im vorigen Gesang verließ, Der trotz des Alters sich so flink gehalten, Daß er den schnellsten Hirsch dahinten ließ. Die Namen schleppt' er in des Mantels Falten Vom Schober, der sich unerschöpflich wies, Zum Fluß, der Lethe heißt, und warf den Haufen Ins Wasser, ließ vielmehr ihn drin versaufen. 371 |
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12 | So wie er an den Fluß kömmt, dieser schnelle, So schüttelt der verschwenderische Mann Den Mantel aus, und in die trübe Welle Fallen die Tafeln mit den Namen dann. Unzählige versinken auf der Stelle, So daß man sie zu nichts gebrauchen kann; Auf hunderttausend, die im Schlamm gebettet Zu Grunde gehn, wird einer kaum gerettet. |
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13 | Den Fluß entlang und um die Stelle flattern Raben und Kräh'n und Geier, allerlei Gefräß'ge Vögel, und von Lärm und Schnattern Ertönt die Luft, von Krächzen und Geschrei. Sie alle stürzen, Beute zu ergattern, Sobald der Greis den Schatz ausstreut, herbei Und greifen zu mit Schnäbeln und mit Krallen, Bald aber lassen sie die Beute fallen. |
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14 | »Schneeweiß wie euer Wappen«, Anspielung auf den weißen Adler des Hauses Este. | Denn wie der Vogel in die Höhe strebt Mit seiner Last, fühlt er die Kräfte weichen, Und Lethe raubt zuletzt doch und begräbt Die stolzen Namen dieser ehrenreichen. Ein Schwanenpaar allein, das droben schwebt, Schneeweiß, Herr, so wie euer Wappenzeichen, Trägt froh und sicher von des Flusses Bord Den Namen, der ihm zugefallen, fort. 372 |
15 | So, gegen Wunsch des schadenfrohen Alten, Der gern den ganzen Raub dem Flusse weiht, Wird mancher durch die frommen Schwän' erhalten; Die übrigen begräbt Vergessenheit. Bald schwimmend, bald mit mächtigem Entfalten Der Flügel ziehn die heil'gen Vögel weit Den schlimmen Strom hinab nach einem Hügel, Der einen Tempel trägt; da ruhn die Flügel. |
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16 | Heilig ist der Unsterblichkeit der Ort, Und eine Nymphe tritt in solcher Stunde An der letheïschen Gewässer Bord Und nimmt die Namen aus dem Schwanenmunde Und reiht sie um das Bildniß, welches dort Auf einer Säule ragt, weitab vom Grunde, Und weihet sie und schirmt sie alle Zeit, Daß man sie schauen kann in Ewigkeit. |
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17 | Wer ist der Greis? weshalb streut er ins Bette Des Stroms die schönen Namen nutzlos hin? Was sind die Schwäne? und die heil'ge Stätte? Wer ist des Tempels schöne Hüterin? Von diesen Rätseln und Mysterien hätte Astolf gar gerne den verborgnen Sinn, Und also bat er um des heil'gen Mannes Belehrung, und zur Antwort gab Johannes: 373 |
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18 | »Wisse, daß sich kein Blatt dort unten regt, Davon nicht hier Merkmale sichtbar werden. Zusammenstimmt, nur andre Formen trägt, Alles Geschehn im Himmel und auf Erden. Der Alte, dem der Bart den Busen fegt, Den man nicht einholt mit den schnellsten Pferden, Ist hier zu gleichem Werk und Dienst bestellt, Den dort die Zeit versieht in eurer Welt. |
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19 | »Wann hier die Fäden an ihr Ziel gelangen, Dann endet stets ein Menschenleben dort. Dort bleibt der Ruf, hier bleibt das Schildlein hangen Und beide dauerten unsterblich fort, Beginge hier nicht der mit zott'gen Wangen Und dort die Zeit an ihnen täglich Mord. Der Alte wirft sie in den Strom, die Zeit Taucht sie in ewige Vergessenheit. |
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20 | »Und ganz wie hier die Geier und die Raben, Die Krähen und die andre Vogelbrut Die Namen, die das schönste Aussehn haben, Entreißen möchten jener trüben Flut, So dort Schmarotzer, Kuppler, feile Knaben, Schalksnarren, Ohrenbläser, kurz und gut Die Leute, die an Höfen vorwärts kommen, Mehr als die Tugendhaften und die Frommen, 374 |
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21 | »Und die man als des Hoftons Muster preist, Weil sie wie Säu' und Esel sich betragen, – Sobald den Faden ihres Herrn zerreißt Die Parce, (Venus, Bacchus sollt' ich sagen,) Dann führt dies Hofgezücht, das träg und feist Nur lebt, um sich den Wanst recht vollzuschlagen, Den Namen ein Paar Tage noch im Munde, Läßt dann ihn fallen, und er sinkt zu Grunde. |
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22 | »Wie aber jene Schwäne das Geschmeid Hell singend trugen und zum Tempel kamen, So schirmt der Dichter vor Vergessenheit, Die schlimmer ist als Tod, den würd'gen Namen. O weise Fürsten, die zu rechter Zeit Ihr euch befleißt dem Cäsar nachzuahmen Und die Autoren euch zu Freunden macht! Zu fürchten habt ihr nichts von Lethe's Nacht. |
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23 | »Wie Schwäne so sind auch die Dichter selten, Die mein' ich, die mit Recht man Dichter heißt; Theils weil der Himmel solcher Hochgestellten Nie allzuviel dem Erdball überweist, Theils weil die Fürsten geizig sind zu schelten, Die betteln lassen den erlauchten Geist, Die Tugend drücken, ihre Huld den schlechten Zuwenden und die guten Künste ächten. 375 |
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24 | »Glaub' mir, daß Gott die Thoren der Vernunft Beraubt und ihre Augen hat geblendet Und wider Poesie sie abgestumpft, Damit im Tod' ihr ganzes Dasein endet. Denn böten sie den Musen Unterkunft, Sie würden, welches Laster sie auch schändet, Lebendig auferstehn aus ihrer Gruft, Wohlriechender als Nard' und Myrrhenduft. |
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25 | »So kühn war Hector nicht, so fromm und gut Aeneas nicht, wie wir in Büchern lesen. Mehr Tugenden besaßen, größren Mut Unzählige, die ungenannt verwesen. Weil aber mit Palästen, Hab' und Gut Freigebig ihre Enkel sind gewesen, Hat hoher Ruhm sich jenen zugewandt Durch der Autoren hochberühmte Hand. |
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26 | »So mild und heilig war auch nicht August, Wie die Posaunen des Virgil es tönen; Er fand an Poesie Geschmack und Lust, Das muß uns mit den Ächtungen versöhnen. Wir hätten nichts von Nero's Schuld gewußt, Sein Ruf vielleicht wär' einer von den schönen, Umsonst hätt' Erd' und Himmel ihm geflucht, Wenn er nur der Autoren Gunst gesucht. 376 |
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27 | »Homer läßt Agamemnon Siege feiern Und zeigt die Troer träg und kampfesscheu; Penelope erduldet von den Freiern Unbill und Raub und bleibt dem Gatten treu. Und willst du nun die Wahrheit, frei von Schleiern, Kehr' die Geschichte um, schreib alles neu: Die Griechen flohn, es siegte Troja's Fahne, Penelope war eine Courtisane. |
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28 | »Dagegen höre, wie man Dido schilt, Die doch ihr Leben ganz der Tugend weihte, Wie sie für eine lockre Dirne gilt. Warum? Virgil stand nicht auf ihrer Seite. Wundre dich nicht, daß mir die Galle schwillt, Daß ich darüber mich so sehr verbreite; Natürlich hab' ich die Autoren lieb, Da selbst ich einer war und Bücher schrieb. |
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29 | »Und höhern Lohn hat es mir eingetragen Als allen sonst, den Zeit nicht raubt noch Tod, Würdig des Hochgelobten, darf ich sagen, Der solchen Ehrensold hernach mir bot. Leid thut mir, wer da lebt in bösen Tagen, Wann Milde ihre Thür verschließt der Not, So daß die ärmsten, dürr wie Haut und Knochen, Bei Tag und Nacht davor vergebens pochen. 377 |
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30 | »So – um zu schließen, wo ich erst begann, – Sind Poesie und Kunst auf Erden theuer; Denn wo es Weid' und Schutz nicht finden kann, Da ist es selbst dem Wilde nicht geheuer.« So sprach er, und dem benedeiten Mann Flammten die Augen wie zwei helle Feuer; Ein weises Lächeln aber machte schnell Sein zornig Antlitz wieder sonnenhell. |
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31 | Bei dem Apostel mag Astolf einstweilen Verziehn. Ich spring' in einem Satze nun Vom Himmel auf die Erd', unzähl'ge Meilen, Theils um vom hohen Flug etwas zu ruhn, Theils um mich nach der Jungfrau, die von Pfeilen Der Eifersucht bestürmt wird, umzuthun. Als wir zuletzt sie sahn, warf sie vom Pferde Drei Könige nach einander von der Erde |
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32 | Und kam an eine Burg am selben Tage Auf ihrem Wege nach der Stadt Paris Und hörte, daß nach seiner Niederlage Sich Agramant in Arles niederließ. Daß Roger mit ihm sei, war außer Frage, Daher sie, als der Tag sich blicken ließ, Sich auf den Weg nach der Provence machte, Wohin auch Kaiser Karl die seinen brachte. 378 |
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33 | Geradeswegs nach der Provence wandte Die Jungfrau sich und holt' ein Mädchen ein, Das traurig und verweint wie Bradamante Und auch so schön war und von Anstand fein. Sie war es, deren Herz so zärtlich brannte Für Brandimart und die in Herzenspein Am Brückenpasse Rodomonts den Ritter Verlassen hatte hinter Schloß und Gitter. |
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34 | Sie hatte längst nach einem ausgeschaut, Der kämpfen könne, wie der Otter pflege, Mit festem Land und Wasser gleich vertraut, Damit er Rodomont das Handwerk lege. Wie also Rogers tiefbetrübte Braut Die andre tiefbetrübte traf am Wege, Bot sie ihr höflich Gruß und fragte dann Woher und wie so großer Schmerz begann. |
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35 | Jetzt glaubte Flordelis den Mann zu sehn, Den richt'gen Helfer, wie sie ihn begehre, Und sie erzählte, wie der Saracen Den Reisenden den Brückenweg verwehre, Und wie er ihren Freund fast untergehn Im Flusse ließ: nicht daß er stärker wäre, Nein, bloß durch List, weil er sich an dem Passe Vom Fluß und von der Brücke helfen lasse. 379 |
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36 | »Wenn du so kühn bist und so ritterlich,« Sprach Flordelis, »wie deine Mienen sagen, Dann, beim Allmächt'gen, räch' an jenem mich, Der meinen Herrn in Bande hat geschlagen; Wenigstens rate mir, wo findet sich Ein Ritter, um den Kampf mit ihm zu wagen, Ein in den Waffen so geübter Mann, Daß Brück' und Fluß dem Feind nicht nützen kann? |
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37 | »Du thätest nicht nur deine Schuldigkeit, Wie Ehr' und Pflicht vom tapfren Mann begehren, Du würdest auch durch solchen frommen Streit Dem treusten aller treuen Schutz gewähren. Von seinen andren Tugenden Bescheid Zu geben ziemt sich nicht: zuviel sind deren, Und wem sie nicht bekannt geworden sind, Der ist, das kann man sagen, taub und blind.« |
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38 | Die edelherzige, die immerdar Bereit war zur Vollführung großer Dinge, Wofern sie Ruhm versprachen und Gefahr, Verlangte, daß man sie zum Flusse bringe. Je lieber, je verzweifelter sie war, Ging sie dahin, wenn's auch zum Sterben ginge; Denn seit die ärmste ihren Roger fast Verloren gab, war ihr die Welt verhaßt. 380 |
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39 | »Verliebtes Mädchen, (also fing sie an) Damit dies schwierige Geschäft geschehe, Will ich das meine thun, so gut ich kann, Zum Theil aus Gründen, die ich übergehe, Theils weil du etwas rühmst von deinem Mann, Was ich an wenigen zu rühmen sehe, Daß er im Lieben treu sei; denn bei Gott, Ich meinte, jeder treibt mit Schwüren Spott.« |
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40 | Ein Seufzer folgte diesem letzten Wort, Ein Seufzer, der dem Herzen war entquollen. Dann sprach sie komm, und also an den Ort Am Fluß gelangten sie, den schreckensvollen. Der Wächter auf dem Thurme sah sie dort, Und kaum war das Signal des Horns erschollen, So waffnete sich Rodomont und trat, Wie er gewohnt war, auf den Brückenpfad. |
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41 | Und als die Kriegerin geritten kam, Droht' er sie umzubringen auf der Stelle, Wenn sie nicht Roß und Rüstung fördersam Darbring' als Opfer für die Grabcapelle. Die Tochter Haimons, die bereits vernahm, Hier lieg' enthauptet jene Isabelle, (Denn Flordelis erzählt' ihr alles schon,) Antwortet' auf des Saracenen Drohn: 381 |
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42 | »Weshalb, du Bluthund, soll die Unschuld hier Für Frevel büßen, die du selbst verbrochen? Dein Blut ihr darzubringen ziemte dir. Du schlugst sie todt; der Ruf hat schon gesprochen. Willkommner als die Schild' und Sattelzier Der Reisigen, die du vom Pferd gestochen, Wird ihr das Opfer und die Spende sein, Wenn wir dein eignes Blut der Rache weihn. |
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43 | »Und lieber nimmt sie wohl von mir die Spende, Weil ich, wie sie es war, ein Mädchen bin. Ich kam zu keinem andren Zweck und Ende Als sie zu rächen; danach steht mein Sinn. Doch wär' es gut, wenn ein Vertrag bestände, Eh wir uns messen um den Kampfgewinn. Werd' ich besiegt, so magst du nach Gefallen Mir gleiches thun wie den Gefangnen allen. |
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44 | »Wenn aber, wie ich hoffe, ich dich schlage, Dann ist dein Roß und deine Rüstung mein, Und die allein widm' ich dem Sarkophage; Die andren nehm' ich fort vom Marmelstein, Und frei sind die Gefangnen heut am Tage.« Der Mohr antwortete: »So mag es sein; Nur die Gefangnen bin ich nicht im Stande Gleich zu befrein; sie sind nicht hier im Lande. 382 |
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45 | »Nach Algier schickt' ich sie, in mein Gebiet; Doch schwör' ich sonder Arglist und Gefährde, Wofern das unerwartete geschieht, Wenn ich zu Fuße bleib' und du zu Pferde, Sie freizulassen ohne Unterschied In so viel Zeit als ich gebrauchen werde, Um durch den schnellsten Boten, den es giebt, Dort anzuordnen, wie es dir beliebt. |
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46 | »Doch wenn du unterliegst, was offenbar Schicklicher ist und auch vorauszusehen, Werd' ich dich nicht entwaffnen, am Altar Soll nicht dein Nam' als der besiegten stehen, Nein, deinen schönen Lippen, Augen, Haar, Aus denen alle Liebeswonnen wehen, Will meinen Sieg ich schenken, und du sollst Alsdann mich lieben, wie du jetzt mir grollst. |
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47 | »Kein Mann ist stärker und an Gliedern derber Als ich, und mir erliegen schändet nicht.« Sie lächelte: nie war ein Lächeln herber, Aus dem mehr Zorn als alles andre spricht. Kein Wort gab sie zurück dem stolzen Werber, Zur Brücke kehrte sie das Angesicht, Und mit dem goldnen Speer, die scharfen Sporen Eindrückend, flog sie auf den trotz'gen Mohren. 383 |
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48 | Auch Rodomont ist schon bereit zum Ritte. Er braust daher; von dem Getöse schallt, Die Brücke, daß der Donner eherner Schritte Im Ohre ferner Menschen widerhallt. Der goldne Speer bleibt treu der alten Sitte: Der Heide, der für unbesiegbar galt, Fährt aus dem Sattel, muß die Luft durchfliegen, Kopfüber gehn und auf der Brücke liegen. |
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49 | Mit ihrem Roß vorbeizukommen war Nur äußerst wenig Platz für Bradamante. Es ging auf Tod und Leben; um ein Haar Fiel sie ins Wasser von der Brückenkante. Doch Rabican, den Flamm' und Wind gebar, War zu behend und zu geschickt und rannte Am äußren Rande wie auf sichrer Bahn; Auf Schwertes Schneide hätt' er's auch gethan. |
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50 | Sie wendet um und kömmt zurück sodann Zu ihm, der unfreiwillig abgestiegen, Und schelmisch fragt sie ihn: »Nun, wer gewann? Wer von uns beiden muß nun unten liegen?« Stumm vor Erstaunen war der trotz'ge Mann, Daß einem Weib gelang ihn zu besiegen. Antworten konnt' er oder wollt' er nicht Und war wie ein betäubter blöder Wicht. 384 |
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51 | Traurig und stumm erhob er sich vom Falle, That ein'ge Schritte, riß sich mit der Hand Den Helm, den Schild, die andren Waffen alle Vom Leib' und warf sie an die Felsenwand. Einsam, zu Fuß verließ er Thurm und Halle; Erst aber ward ein Bote fortgesandt, Der Knappen einer, um den eingegangnen Pact zu vollziehen wegen der Gefangnen. |
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52 | Er ging, und man erfuhr seitdem nur dies; Er haus' in einer Felsschlucht in der Nähe. Die Jungfrau hängt' indeß sein Drachenvließ Am hohen Grabmal auf als Siegstrophäe, Und all das andre Kriegsgeräte hieß Sie wegthun, wenn man aus der Inschrift sähe, Daß einem es vom Hofe Karl gehört; Was sonst noch da war, ließ sie ungestört. |
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53 | Da hing die Wehr des Sohns des Monodant, Da hingen Olivers und Samsons Waffen. Die beiden hatten sich hieher gewandt Um sich von Roland Kunde zu verschaffen Und fielen in des stolzen Mohren Hand. Erst gestern ließ er nach Algier sie schaffen. Die Waffen dieser ließ die Siegerin Zum Thurme bringen und verschloß sie drin. 385 |
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54 | Sacripant, König von Circassien, wollte sein Pferd »Milchstirn« (Rogers Frontin) vom Rodomont zurückhaben. Mit diesen Stanzen verschwindet er aus der Geschichte. | Am Grabe ließ sie all die andren hangen, Die Rodomont den Heidenrittern nahm, Auch eines Königs Rüstung, deß Verlangen Nach seinem Roß Milchstirn ihm schlecht bekam; Ich meine den Circasser, der nach langen Irrfahrten endlich an die Brücke kam, Um auch das zweite Pferd noch zu verlieren Und ohne Waffen weiter zu marschiren. |
55 | Zu Fuße hatt' er und der Waffen bar Den unheilvollen Brückenpaß verlassen; Denn wenn der Gegner seines Glaubens war, Hatt' immer Rodomont ihn frei entlassen; Jedoch der Mut gebrach ihm ganz und gar, Beim Mohrenheer sich wieder sehn zu lassen. Nachdem er so geprahlt, hätt' er zu sehr Sich schämen müssen solcher Wiederkehr. |
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56 | Neue Begier ergriff ihn, ihre Spur Zu suchen, der sein Herz so treu geblieben. Der Zufall wollte, daß er bald erfuhr, (Von wem er es erfuhr, steht nicht geschrieben,) Wie sie zurück in ihre Heimat fuhr. Daher er denn, gestachelt und getrieben Von Amor, sich alsbald gen Osten wandte. Ich aber wende mich zu Bradamante. 386 |
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57 | Nachdem auf ein Papier die Kriegerin Geschrieben, wie sie diesen Paß befreite, Fragte sie freundlich und aus mildem Sinn Die arme Flordelis, die scheu zur Seite Dastand und weint' in ihrem Gram, wohin Sie wolle daß man ferner sie geleite. Da sagte Flordelis: »Ich will ans Meer Nach Arles und zum Saracenenheer. |
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58 | »Ein Schiff, und auch Gesellschaft, hoff' ich dort Zu finden, das mich übers Wasser bringe. Nie will ich ruhn, bis ich zu jenem Ort, Zu meinem theuren Herrn und Gatten dringe. Versuchen werd' ich alles, fort und fort, Damit ihn zu befrein mir nicht mislinge Und, falls die Botschaft Rodomonts mich tröge, Ein zweiter, dritter Weg mir bleiben möge.« |
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59 | »Wohl, mein Geleit will ich dir nicht versagen,« Antwortete die Schwester des Rinald, »Bis du die Thürme siehst von Arles ragen. Da drinnen mußt du mir zu Lieb' alsbald Am Hof nach Agramants Vasallen fragen, Nach Roger, dessen Ruhm die Welt durchschallt, Um ihm das gute Pferd, von dem ich eben Den stolzen Mohren warf, zu übergeben. 387 |
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60 | »Und wiederhol' ihm wörtlich diese Rede: Ein Ritter, der vor aller Welt erklärt Und will's verfechten wider all' und jede, Daß du dein Wort ihm brachst, und der begehrt Gerüstet dich zu finden für die Fehde, Gab, um es dir zu geben, mir dies Pferd. Daß du dich waffnen sollst, läßt er dir sagen, Und daß er wartet, sich mit dir zu schlagen. |
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61 | »Dies sag' und weiter nichts; wünscht er Bescheid, Wer dich geschickt, so brauchst du nichts zu wissen.« Die andre, mit gewohnter Freundlichkeit, Sprach: »Meinen Beistand sollst du nie vermissen. Nicht Worte bloß, mein Blut ist dir geweiht; Denn gleicher Hilfe fand ich dich beflissen.« Die Tochter Haimons dankt und führt Frontin Am Zaum herbei und überliefert ihn. |
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62 | Die schönen jungen Pilgerinnen zogen Den Fluß entlang durch Wiese, Feld und Wald, Bis sie die Stadt erblickten und das Wogen Der Meerflut hörten, das am Ufer hallt. Am Saum der Vorstadt vor dem letzten Bogen Der Schanzen machte Bradamante Halt, Damit sie der Gefährtin Zeit vergönne, Daß sie den Gaul zu Rogern führen könne. 388 |
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63 | Ins Gatter, auf die Brücke, durch die Pforte Ritt Flordelis und nahm sich einen Mann, Der sie geleiten mußte nach dem Orte, Wo Roger war. Sie hält den Zelter an, Bestellt dem Jüngling Bradamante's Worte, Giebt ihm das gute Roß Frontin, und dann, Bevor er fragen kann, läßt sie ihn stehen, Um ihrem Hauptgeschäfte nachzugehen. |
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64 | Roger ist sehr verdutzt und grübelt lange Und bricht vergebens sich den Kopf entzwei, Wer ihn wohl fordre zu dem Waffengange Und Schmähung send' und ein Geschenk dabei. Daß jener wegen Wortbruchs ihn belange, Daß irgendwer es thue, wer's auch sei, Begreift er nicht; am wenigsten von allen Wär' Bradamante's Nam' ihm eingefallen. |
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65 | Noch eher als daß jemand sonst es wäre, Riet er auf Rodomont; der könnt' es sein. Indeß weshalb der ihn für falsch erkläre, Sah er die Ursach keinesweges ein; Nur wußt' er keinen Mann im ganzen Heere, Mit dem er Streit gehabt, als ihn allein. Die Jungfrau mittlerweil stieß vor dem Walle Kampffordernd in ihr Horn mit lautem Schalle. 389 |
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66 | Nun hörten auch Marsil und Agramant, Daß vor dem Thor ein Ritter Kampf begehre, Und Serpentin, der just bei ihnen stand, Erbat sich's, daß man ihm den Kampf gewähre, Denn fangen woll' er ihn mit eigner Hand. Das ganze Volk bestieg die Mauerwehre, Kinder und Greise, alles lief herbei, Um anzusehen, wer der bessre sei. |
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67 | Im Waffenschmuck und reichen Oberkleid Schwang Serpentin sich mutig in die Bügel. Beim ersten Stoße flog er ellenweit, Und fliehend lief sein Pferd, als hätt' es Flügel. Die Jungfrau fing in ihrer Höflichkeit Es wieder ein und bracht' es ihm am Zügel Und sprach: »Steig auf und sage deinem Herrn, Statt deiner hätt' ich bessre Gegner gern.« |
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68 | Der König, der mit großem Hofgesinde, Den Kampf zu sehen, auf die Mauer kam, Erstaunte, daß sie jenen so gelinde Behandelt', und er fand es wundersam, Daß sie ihn binden könnt' und doch nicht binde. Dies sagt' er laut, daß jeder es vernahm. Als Serpentin kam, sagt' er, wie befohlen, Er komm', um einen bessren Mann zu holen. 390 |
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69 | Volterna's Herr, Grandon, der wilde Streiter, In Spaniens Heer der stolzeste Baron, Erwirkte, daß er kämpfen durft' als zweiter. Er ritt ins Feld und rief mit dreistem Hohn: »Nun hilft dir deine Höflichkeit nicht weiter. Gefangen führ' ich dich zum Königsthron, Wenn ich lebendig in den Staub dich lege. Doch stirbst du, wenn ich leiste was ich pflege.« |
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70 | Die Jungfrau sprach: »Dein bäurisch Prahlen, Mohr, Treibt mir die Höflichkeit nicht aus dem Herzen, Und höflich rat' ich, kehre heim, bevor Am harten Erdreich dir die Knochen schmerzen. Geh, sage deinem Herrn, daß ich ans Thor Nicht kam, mit Leuten deiner Art zu scherzen. Ich kam hieher und habe Kampf begehrt Mit einem Krieger, der der Mühe wert.« |
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71 | Ihr beißend Wort, mit solchem Spott getränkt, Fährt zündend ihm ins Herz, und seinem Witze Will keine Antwort glücken. Hurtig schwenkt Er seinen Gaul, gespornt von Zorneshitze. Sie schwenkt zugleich und auf den Prahler lenkt Sie Rabican und goldne Lanzenspitze. Kaum rührt sie an den Schild, so fliegt der Mohr Und streckt zum Himmel beide Füß' empor. 391 |
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72 | Die edelmüt'ge Heldin fing den Renner Ihm wieder ein und sprach: »Ich sagt' es dir. Bestellungen ausrichten ist für Männer Von deinem Schlage besser als Turnier. Jetzt, bitte, sag' dem König, daß er Kenner Des Kriegs mir sende, ebenbürtig mir, Anstatt mich mit euch andren zu behell'gen, So unbewanderten und unanstell'gen.« |
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73 | Verwundert fragen sich die Saracenen: Wer ist's, der sich so fest im Sattel hält? Man zählt berühmte Namen auf, bei denen Ein Frösteln selbst im Sommer sie befällt. Daß Brandimart es sei, scheint diesen, jenen Scheint es Rinald zu sein, der tapfre Held, Und viele würden gar auf Roland wetten, Wenn sie sein Unglück nicht erfahren hätten. |
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74 | Den dritten Gang erbat Lanfusa's Sohn. »Nicht (sprach er) hoff' ich, daß der Sieg mir werde; Jedoch entschuldigen wird man Grandon Und Serpentin, fall' ich nun auch zur Erde.« Was man zum Rennen braucht, das hatt' er schon In fert'ger Ordnung, und der hundert Pferde In seinem Stalle bestes wählt' er aus, Das flink und tüchtig war zu solchem Strauß. 392 |
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75 | So kam er gegen sie, doch vor dem Ritte Begrüßt' er sie, und sie that ihm Bescheid. Das Fräulein sprach: »Wenn es die gute Sitte Erlaubt, so möcht' ich fragen, wer ihr seid.« Sehr gern erfüllte Ferragu die Bitte, Denn sich zu nennen war er stets bereit. Sie dann fuhr fort: »Ihr seid nicht unwillkommen, Doch säh' ich lieber einen andren kommen.« |
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76 | »Und wen denn?« fragt' er. Darauf Bradamante: »Roger.« Und mühsam brachte sie es vor, Und als sie diesen Namen sprach, da brannte Das schönste Antlitz wie ein Rosenflor. Dann sprach sie weiter: »Dessen weltbekannte Triumphe führten mich an euer Thor; Denn all mein Trachten ist, all mein Begehren, Zu sehn, wie er im Kampf sich mag bewähren.« |
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77 | Die Worte sprach sie, ohne zu verstehen Welch argen Sinn die Bosheit ihnen leiht. Der Mohr versetzte: »Lasset erst uns sehen, Wer von uns beiden besser ist im Streit. Sollt' es auch mir wie vielen schon ergehen,. Dann komm' und heile meine Traurigkeit Der edle Ritter, gegen den zu rennen Du solchen heißen Wunsch giebst zu erkennen.« 393 |
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78 | Indeß sie redeten, schob Bradamante Vom Antlitz in die Höhe das Visier, Und als der Mohr die schönen Züg' erkannte, Da fühlt' er schon sich halb besiegt von ihr, Und leise sprach er: »Einen Engel sandte Das Paradies herab, und der steht hier, Und eh ich noch vom Speer getroffen werde, Strecken die schönen Augen mich zur Erde.« |
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79 | Sie nahmen Feld, und wie es erst ergangen, So flog auch Ferragu vom Sattel fort. Die Jungfrau hatte bald sein Pferd gefangen Und sprach: »Nun reit nach Haus und halt dein Wort.« Zur Stadt ritt Ferragu mit roten Wangen Und suchte Roger auf und fand ihn dort Beim Agramant und säumte nicht dem Helden Des fremden Ritters Forderung zu melden. |
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80 | Wer jener ist, der ihn zum Kampf entbeut, Davon hat Roger noch kein Wort vernommen; Drum ist er siegesfroh und hocherfreut Und läßt sich Eisenring' und Panzer kommen. Auch daß er jene drei so jählings heut Entsattelt sah, es macht ihn nicht beklommen. Wie er zum Kampfe ritt und was darauf Erfolgte, spar' für nächstes Mal ich auf. |