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Rodomont tödtet den Klausner. Isabella's List, in Folge deren Rodomont sie tödten muß (1–30). Er baut ihr zu Ehren ein Grabmal und eine enge Brücke, auf der alle Ankommenden mit ihm turnieren müssen (31–39). Roland und Rodomont ringen daselbst (40–49). Roland zerreißt einen Holzknecht (50–56) und überfällt Angelica, deren Stute er fängt und zu Tode schleift (57–74).
1 | O unbeständ'ges Herz der Menschenkinder! Wie sind doch unsre Pläne wandelbar! Alle Gedanken wechseln schnell, geschwinder Als alle die, so Liebeszorn gebar. Ich sah vorhin den Mohren in so blinder Wut gegen alle Weiber, daß fürwahr Ich nimmer glaubt', er werde je sein Hassen Lau werden oder gar verlöschen lassen. |
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2 | Theuerste Frauen, daß er euch zur Scheibe Des Hohns gewählt, werd' ich ihm nie verzeihn, Bis ich so hart ihn in die Enge treibe, Daß er gesteht auf falschem Weg zu sein. Mit Dint' und Feder rück ich ihm zu Leibe, Bis jeder sieht, er hätte besser fein Geschwiegen, ja die Zunge sich zerbissen Im eignen Mund, als euch herabgerissen. 163 |
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3 | Zwar daß er wie ein Narr sich aufgeführt hat, Das ist so deutlich, daß ein Kind es sieht: Nachdem er erst das Schwert des Zorns geführt hat Wider die Weiber all' ohn' Unterschied, Singt, da ihn Isabellens Blick berührt hat, Er augenblicklich ein ganz andres Lied. Kaum sieht er sie, noch ist ihm fremd ihr Name, Und schon ersetzt sie ihm die andre Dame. |
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4 | Und angespornt von neuer Liebesglut, Will er mit Gründen, die ihm wenig nützen, Dies Herz erschüttern, das so sicher ruht, Seit es gelernt sich nur auf Gott zu stützen. Jedoch der Mönch, ihr Schild und starke Hut, Um ihre keusche Seele zu beschützen, Errichtet Schanzen ihr und Festungswerke Mit Argumenten von ganz andrer Stärke. |
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5 | Der Heide hört dem kühnen Mönche zu Mit großer Langmut und verhaltnem Grolle Und rät ihm, daß in seine Waldesruh Er ohne sie auf nächstem Weg sich trolle; Doch als er sieht, daß jener gradezu Ihm schaden und nicht Frieden halten wolle, Greift er ans Kinn ihm wütend mit der Hand Und reißt heraus, soviel die Faust umspannt, 164 |
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6 | Und wird nur immer wütender und hält Ihn fest am Halse wie mit einer Zange Und dreht ein paarmal ihn im Kreis' und schnellt Ihn durch die Luft seewärts vom Bergeshange. Was daraus ward, lass' ich dahingestellt; Verschiedene Gerüchte sind im Schwange: Man sagt, er sei zerschmettert am Granit, So daß man Kopf und Fuß nicht unterschied; |
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7 | Man sagt, er sei bis in die See geflogen, Fünftausend Schritt weit von dem Hügelrand, Und Betens ungeachtet in den Wogen Ertrunken, weil er's Schwimmen nicht verstand; Ein Heiliger hab' ihn herausgezogen, Behaupten andre, mit sichtbarer Hand; Gleichviel indeß was man davon berichte, Er kömmt nicht weiter vor in der Geschichte. |
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8 | Nachdem der Saracen, der wutentbrannte, Beseitigt hatte den geschwätz'gen Wicht, Trat er an die betrübte Unbekannte, Jedoch mit minder grimmigem Gesicht, Und nun, wie bei Verliebten Brauch ist, nannte Er sie sein theures Herz, sein Augenlicht, Sein Glück, sein Leben und noch andre Namen, Die schon so häufig mit einander kamen. 165 |
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9 | Und ganz gesittet hatt' er es gemacht, Und von Gewalt war keine Spur zu sehen; Vor dieser Schönheit, die sein Herz entfacht, Schien sein gewohnter Hochmut zu vergehen. Die Frucht herauszuholen hätt' er Macht, Doch blieb er lieber bei der Schale stehen; Ihm deuchte, daß die Frucht nicht gut sein könne, Wenn er sie nicht als ihr Geschenk gewönne, |
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10 | Und daß sie schließlich, wenn auch nicht sofort, Freigebig werde sein mit ihrem Schatze. Sie, die an diesem fremd-einsamen Ort Sich fühlte wie die Maus im Griff der Katze, Sie möcht' im Feuer lieber sein als dort Und dachte nach, ob nicht von diesem Platze Ein Weg, ein heimlich Thor ins Freie führt, Daß sie entkomme rein und unberührt. |
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11 | Schon war sie des Entschlusses sich bewußt, Daß sie mit eigner Hand sich tödten wolle, Ehe der blut'ge Mörder seine Lust Büßen und zum Verrat sie zwingen solle, Verrat an ihm, den, ach, von ihrer Brust Das Schicksal hatt' entführt in seinem Grolle, Dem sie gelobt mit heiligen Gedanken, Die Keuschheit zu bewahren sonder Wanken. 166 |
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12 | Sie sieht die blinde Lust den Sieg gewinnen In seiner Brust und weiß nicht aus noch ein; Sie weiß, er will die schnöde That beginnen, Und all ihr Kämpfen wird vergeblich sein. Doch wie sie fortfuhr hin und her zu sinnen, Fand sie das Mittel, selbst sich zu befrein, Die Keuschheit zu bewahren, und die Weise Werd' ich erzählen, ihr zu ew'gem Preise. |
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13 | Zum wüsten Mohren, der mit keckrem Schritte Und dreistren Worten nun schon in sie drang, Entkleidet jenes Scheins ehrbarer Sitte, Den er zuerst zur Schau trug, sprach sie bang: »Wüßt' ich, daß ich von euch nichts arges litte Und sicher wäre vor Gewalt und Zwang, So würd' ich euch dafür etwas bescheren, Was mehr euch wert ist als mich zu entehren. |
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14 | »Für ein geringes flüchtiges Vergnügen, Das reichlich überall zu finden ist, Verschmähet nicht ein dauerndes Genügen, Mit dem so leicht kein andres Glück sich mißt. Ihr findet hundert Frau'n mit hübschen Zügen, Auch tausend, wo ihr wollt, zu jeder Frist; Von ihnen allen aber kann wohl keine Euch das Geschenk verschaffen, das ich meine. 167 |
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15 | »Ich weiß ein Kräutlein hier und find' es leicht, Wenn man's an einem Feuer von Cypressen Mit Raut' und Eppich siedet und erweicht Und läßt es von unschuld'gen Händen pressen, So macht der Saft, der aus dem Kraut entweicht, Vom Wirbel bis zur Zeh den Körper dessen, Der dreimal sich damit die Glieder badet, So hart, daß Feuer nicht noch Stahl ihm schadet. |
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16 | »Ich sage, wer damit dreimal sich netzt, Wird unverwundbar sein vier volle Wochen. Dann wird der Kessel wieder aufgesetzt, Sonst ist nach Monatsfrist der Bann gebrochen. Ihr sollt die Probe sehn, noch heute, jetzt; Denn ich verstehe diesen Saft zu kochen, Den ihr gewiß für euch wertvoller fändet, Als wenn ihr ganz Europa überwändet. |
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17 | »Dies aber ist der Lohn, um den ich bitte, Daß ihr bei eurer Ritterehre schwört, Ihr wollt nichts thun, mit keinem Wort und Schritte, Was meine Keuschheit ärgert oder stört.« So redend brachte sie zu guter Sitte Den Rodomont zurück; denn wie er hört, Er könnte hiebfest werden, wenn er's wollte, Verspricht er mehr, als er versprechen sollte. 168 |
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18 | Und bis er diesen Zaubersaft erhalten, Wird er befolgen auch, was er verspricht, Und mittlerweil sich jedes Schritts enthalten, Der dem beschwornen Pacte widerspricht. Doch denkt er nicht daran den Pact zu halten; Gott und die Heil'gen fürchtet er ja nicht; Was Wortbruch angeht, hat er seines gleichen Selbst nicht in Afrika's verlognen Reichen. |
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19 | Der Heide schwört ihr Schwüre, tausendfache, Daß er sie ferner nicht beläst'gen will, Wofern sie ihn so unverwundbar mache, Wie Cygnus einst gewesen und Achill. Sie liest am Felsen, am verborgnen Bache, In Thälern, wo es einsam ist und still, Vielfält'ge Kräuter, und an ihrer Seite Bleibt stets der Mohr und giebt ihr das Geleite. |
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20 | Nachdem sie reichlich Kräuter weit und breit Theils abgepflückt, theils völlig ausgestochen, Kehrten sie ins Quartier zur Abendzeit, Und nun die ganze Nacht ununterbrochen Saß dieses Vorbild keuscher Sittsamkeit Am Feuer aufmerksam beim Kräuterkochen, Und bei dem ganzen Werk und Zaubersegen Blieb stets der König von Algier zugegen. 169 |
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21 | Beim Spiel mit seinen wenigen Gefährten Verkürzt' er sich die Stunden neben ihr. Das Feuer brannte heiß, und sie entbehrten Der frischen Luft; denn eng war das Quartier. Daher von großem Durst gepeinigt, leerten Sie nach und nach zwei Fässer Malvasier, Das Eigentum gewisser Handelsleute, Das seine Knappen eingebracht als Beute. |
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22 | Der Saracen war nicht gewöhnt an Wein, Denn sein Gesetz verdammt und straft den Zecher, Und göttlich schien ihm dieser Trunk zu sein; Manna und Nectar, meint' er, seien schwächer. Er fand das maurische Gesetz gemein Und goß hinunter volle Krüg' und Becher. Der gute Wein trieb, eh sie sich's versehn, Die Köpfe rundum, wie sich Kreisel drehn. |
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23 | Die Jungfrau hob indeß die wunderbare Mixtur vom Feuer auf und sagte dann Zu Rodomont: »Damit sich offenbare, Daß ich nicht leere Fabeln erst ersann, Soll sie, die von der Lüge trennt das Wahre Und die den Dummen weise machen kann, Dir eine Probe liefern, nicht an deinem Und andrer Leibe, sondern hier an meinem. 170 |
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24 | »Ich will die erste sein ihn zu erproben, Den wundervollen Saft aus diesem Kraut; Denn so wird jeder Argwohn leicht gehoben, Als hätt' ich dir ein tödtlich Gift gebraut. Benetzen werd' ich mir vom Scheitel oben Bis auf den Hals und auf die Brust die Haut; Versuche du an mir dann Kraft und Schwert, Ob jene wirkt, ob dieses mich versehrt.« |
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25 | Als sie benetzt sich hatt' und lächelnd stand, Hielt sie den Hals dem thörichten entgegen, (Thöricht und auch vom Wein noch übermannt, Vor dem die Panzer nicht zu schützen pflegen). Das Unthier glaubt' ihr alles, und die Hand Fuhr durch die Luft mit dem grausamen Degen: Der schöne Kopf, noch jüngst ein Sitz der Liebe, Fiel von den Schultern bei dem ersten Hiebe. |
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26 | Drei Sprünge macht' er noch, und deutlich kamen Die Worte von den Lippen »mein Zerbin!« Ihm folgend, hatte sie so wundersamen Ausweg erdacht, dem Heiden zu entfliehn. Du reine Seele, die den heil'gen Namen Der Treue heißer hat geliebt und ihn, Den heute fast vergessnen Ruhm der Tugend, Als Leib und Leben und die blüh'nde Jugend, 171 |
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27 | Fahr hin in Frieden, heil'ge, schöne Seele! Besäß' ich nur die Kraft, wie sollt' in mir Sich jene Kunst entfalten, die der Kehle Wohllaut verleiht und unsern Worten Zier, Damit der Nachwelt nie die Kunde fehle Des hellen Ruhms, der ausgestrahlt von dir! Fahr hin ins höhre Reich, fahr hin in Frieden, Ein leuchtend Vorbild allen Frau'n hienieden. |
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28 | Auf die erhabne, beispiellose That Sah der Allmächtige vom Himmel droben Und sprach: »Die den Tarquin vertrieben hat Durch ihren Tod, ist nicht wie du zu loben. Drum ein Gesetz zu geben ist mein Rat, Zu denen, die im Wandel nie zerstoben, Und bei dem Höllenfluß schwör' ich den Eid, Daß nichts dran ändern soll die Ewigkeit. |
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29 | Ein Compliment für Isabelle, Herzogin von Mantua, Schwester des Herzogs Alfons von Ferrara. | »So sei es: jede Frau in künft'gen Tagen, Die deinen Namen führt, soll schön und rein, Klug, hohen Geistes, sittsam von Betragen Und Vorbild jeder wahren Ehre sein. So wird der Stoff den Dichtern nie versagen, Dem ruhmgekrönten Namen Lob zu weihn, Bis alle Berg' und Haine der Camönen Vom Echo Isabella widertönen.« 172 |
30 | Der dritte Himmel ist der des Planeten Venus. – In derselben Strophe nennt das Original den Rodomont den »neuen Brehus« mit Anspielung auf einen Wüterich der Arthursage. Sowohl die Reimwirkung (nuovo Breusse) wie die Anspielung geht dem Deutschen Leser verloren, und ich habe geglaubt, einen antiken Klang an Stelle des romantischen setzen zu dürfen. | Gott sprach es, und ringsum ward Sonnenschein, Und Stille senkte sich aufs Meer hernieder. Sie aber ging zum dritten Himmel ein, Und ihr Zerbin umschlang die theure wieder. Auf Erden blieb zurück in Scham und Pein Der mörderische, blutige Numider; Vom Übermaß des Weins ernüchtert jetzt, Verflucht' er seinen Wahn und stand entsetzt. |
31 | Ihm deucht', er thue theilweis' ihr genug Und daß er den verklärten Geist beschwichte, Wenn er, der tödtlich ihren Leib erschlug, Nun ihr Gedächtniß leben lass' im Lichte. Dies war der Plan, mit welchem er sich trug, Daß er das Kirchlein ihr zum Grab' errichte, Das nämliche, wo er sie umgebracht, Worin er wohnt', und hört, wie er es macht. |
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32 | In Güte theils und theils durch Furcht gewann Er Meister aus den nah gelegnen Gauen, Und als er so vereint sechstausend Mann, Ließ er aus dem Gebirg Steinblöcke hauen Und drauf ein mächtiges Gebäude dann, Das neunzig Ellen hoch war, auferbauen. Der Bau umschloß die Kirche, die den Sarg Der beiden Liebenden im Innern barg. 173 |
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33 | Hadrians Bau, die Engelsburg. | Er glich der stolzen Burg, möcht' ich fast sagen, Die einst am Tiber baute Hadrian. Ein hoher Thurm sollt' an dem Grabmal ragen, Und in dem Thurm zu wohnen war sein Plan. Auch eine schmale Brücke ließ er schlagen Quer durch den Fluß, zwei Ellen breit die Bahn. Lang war die Brücke wohl, doch bot sie kaum Zwei Pferden in der Breite knappen Raum, |
34 | Zwei Pferden, mochten sie beisammen schreiten Oder einander dort entgegengehn; Und fallen konnte man nach allen Seiten, Denn mit Geländern war sie nicht versehn. Die Krieger sollen, die hinüber reiten, Schwer dafür zahlen, Christ wie Saracen, Denn er gelobt mit tausend Beutestücken Besiegter Ritter ihre Gruft zu schmücken. |
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35 | In kaum zehn Tagen stand auf ihren Pfosten Die Brücke fertig zwischen Strand und Strand. Das Grabmal mußte längre Arbeit kosten, Und auch der Thurm, eh er vollendet stand; Doch war er hoch genug schon, daß ein Posten Dort oben Wache hielt und lugt' ins Land, Damit, wenn sich ein Ritter zeig' im Felde Er mit dem Horn es Rodomonten melde. 174 |
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36 | Der waffnete sich dann und ritt hinaus, Am rechten oder linken Strand, zum Streite; Denn kam der Fremde selber an das Haus, So kam der Heide von der andern Seite. Das Brücklein war das Feld für ihren Strauß, Und wenn das Pferd fehl trat um Zolles Breite, So mußt' es in den tiefen Fluß hinab: Das war Gefahr, wie's keine zweite gab. |
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37 | Der Saracene bildete sich ein, Wenn er sich oft in die Gefahr begebe Hinabzufallen, in den Fluß hinein, Woselbst es Wassers viel zu schlucken gebe, Daß er alsdann die Schuld, in die der Wein Verlockt ihn hatte, gänzlich tilg' und hebe, Als lösche Wasser, wie des Weines Stärke, Auch die vom Wein erzeugten Wort' und Werke. |
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38 | Viel Ritter kamen an in kurzer Zeit; Die einen ritten dieses Weges eben, Denn keine bessre Straße weit und breit Nach Spanien und Italien konnt' es geben; Die andren führte kühner Mut zum Streit Und Ehre, theurer ihnen als das Leben. Ein jeder ließ, wo er auf Sieg gehofft, Die Waffen, auch die Seele nur zu oft. 175 |
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39 | War es ein Heide, den er niederstieß, So ließ er's bei dem Waffenraub bewenden, Schrieb auf die Rüstung, wie der Gegner hieß, Und hing sie auf an seinen Marmorwänden. Die Christen bracht' er in das Thurmverlies, Ich glaub', um nach Algier sie dann zu senden. Noch unvollendet war der Bau, da traf Am Flusse Roland ein, der tolle Graf. |
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40 | Der tolle Graf, geführt vom blinden Glücke, Kam an den breiten Fluß, wo der Barbar, Wie schon gesagt, die großen Felsenstücke Aufmauern ließ und noch nicht fertig war Mit Thurm und Grabmal, kaum erst mit der Brücke. In voller Rüstung, nur des Helmes bar, Befand der Heidenkönig sich, gerade Als Roland eintraf, an des Stroms Gestade. |
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41 | Über den Schlagbaum springt der Graf im Nu Und läuft die Brück' entlang, dem Thurm entgegen. Der Mohr jedoch, der just in aller Ruh Am Thurm gestanden, findet das verwegen Und droht ihm schon von fern und ruft ihm zu, (Weil er zu schlecht ihn hält für seinen Degen): »Fort von der Brücke, Schlingel! hörst du nicht? Tollkühner, unverschämter, frecher Wicht! 176 |
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42 | »Für Herren und für Ritter überbrückten Den Fluß wir, nicht für dich hirnloses Rind.« Roland jedoch, gleich einem tief verzückten, Lief weiter, für die Drohung taub und blind. »Ich werd' ihn zücht'gen müssen, den verrückten,« Sprach Rodomont und kam herbei geschwind, Um ihn hinabzustoßen in die Fluten, Ohn' irgend Widerstand sich zu vermuten. |
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43 | Jetzt eben traf ein holdes Mädchen ein Am Fluß, um sich der Brück' anzuvertrauen. Zierlich gekleidet war sie, schüchtern-fein Von Anstand und gar lieblich anzuschauen. Das war – es wird euch nicht entfallen sein – Dieselbe, die durch Frankreichs weite Gauen Nach dem Geliebten sucht, nach Brandimart, Nur in Paris nicht, wo er ihrer harrt. |
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44 | Zur Brücke kam die schöne Flordelis, (Ihr wißt ja, daß sie Flordelis sich nannte,) Als Roland eben auf den Heiden stieß, Der jenen in den Fluß zu werfen brannte. Das Mädchen wußt' im Augenblicke, dies Sei Roland, den sie ja seit langem kannte, Und sah erstaunt den großen Wahnsinn jetzt, Der ihn so nackt durch Feld und Fluren hetzt. 177 |
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45 | Sie wartet, um zu sehen, welcher Schluß Den Kampf der beiden mächtigen entscheide. Der eine sucht den andern in den Fluß Zu werfen, alle Kraft aufbieten beide. »Daß solche Kraft ein Narr besitzen muß!« Knirscht in die Zähne der ergrimmte Heide Und dreht und schwenkt sich auf dem schmalen Holz, Das Herz voll Übermut und Zorn und Stolz. |
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46 | Mit beiden Händen will er ihn umschlingen, Stets neue Griffe suchend, festren Halt, Und schiebt den Fuß, um ihn zu Fall zu bringen, Bald vor die Bein' ihm und dazwischen bald. Der zorn'ge Heide gleicht bei solchem Ringen Dem dummen Bären, der den Baum im Wald, Von dem er fiel, umreißen will und glaubt, Der Baum sei Schuld, und grollt und Rache schnaubt. |
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47 | Roland, deß Witz sich Gott weiß wo befand, Gebrauchte bloß die Stärke seiner Glieder, Die ungeheure Stärke, – solche fand Man in der ganzen Welt so leicht nicht wieder. Von Rodomont umschlungen, wie er stand, Warf er sich rücklings von der Brücke nieder. Im Strom verschwindet er, mit ihm der Mohr; Das Ufer stöhnt, die Welle springt empor. 178 |
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48 | Nun lassen sie sich los im kalten Bade. Der nackte Graf kann schwimmen wie ein Fisch Und regt die Arm' und Füß', und ans Gestade Gelangt er bald und rennt von neuem frisch Drauf los und schaut nicht um auf seinem Pfade, Ob er Applaus geerntet, ob Gezisch. Der Mohr dagegen mit den schweren Waffen Braucht längre Zeit und macht sich mehr zu schaffen. |
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49 | Furchtlos inzwischen, während dies geschah, Ritt Flordelis hinüber auf der Brücke Und musterte das Grab, ob etwa da Ein Zeichen Brandimarts die Wände schmücke. Da sie von ihm nicht Rock noch Rüstung sah, Hoffte sie, daß ihr Suchen sonstwo glücke. Zurück zu Roland aber, der im Sturm Dahinten ließ die Brücke, Fluß und Thurm. |
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50 | Toll würd' es sein, von all den tollen Dingen Euch zu erzählen, die er jetzt begann; Zu viele sind's, um alle vorzubringen, Doch wähl' ich ein'ges aus und führ' es an, Ausbünd'ges, was ich leicht und gut besingen Und gut für die Geschichte brauchen kann, Wie jenes wunderbare, was am Fuße Der Pyrenäen vorfiel, bei Toulouse. 179 |
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51 | Durch viele Lande war der Graf gekommen, Wie er gejagt ward von der schlimmen Wut, Und war zuletzt den Berg emporgeklommen, Der Taracon abgrenzt vom Frankenblut. Er hatte stets den Weg dahin genommen, Woselbst die Sonn' erlischt mit ihrer Glut, Und kam allda auf einen Weg, der schmal Dahinlief über einem tiefen Thal. |
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52 | Zwei Burschen traf er auf dem Felsenstege, Holzhauer, und ein Esel schritt voran, Mit Holz beladen, auf dem schmalen Wege, Und weil sie merkten, daß der nackte Mann Nicht viel gesundes Hirn im Kopfe hege, So schrien sie ihn mit droh'nden Worten an, Daß rückwärts oder seitwärts aus dem Passe Er weg sich scher' und frei die Straße lasse. |
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53 | Roland versetzte nichts auf all ihr Toben; Er hob den einen Fuß, und fürchterlich Traf er die Brust des Esels dieser groben Mit jener Kraft, der keine andre glich, Und warf so hoch ihn, daß der Esel droben Ein Vöglein schien, das durch die Lüfte strich. Der Esel flog dreitausend Schritt und drüber Nach einem Berg jenseits des Thals hinüber. 180 |
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54 | Der Tolle warf sich auf die beiden Jungen. Der eine, der mehr Glück hatt' als Verstand, War flugs den Felsenhang hinabgesprungen, Voll dreißig Ellen, und im Sprunge fand Er einen Strauch Bromberen, dichtverschlungen, Halbweges an der steilen Klippenwand; Der kratzte zwar die Haut ihm ziemlich wund, Ließ aber übrigens ihn ganz gesund. |
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55 | Der andre Bursche hielt sich in der Schwebe An einem Felszack, der ihm sicher schien; Wenn er mit einem Schwung hinauf sich hebe, Hofft er dem Grimm des Tollen zu entfliehn. Der aber, der nicht will, daß jener lebe, Packt, wie er klettert, bei den Füßen ihn Und spreizt mit aller Macht die Arme dann, Und mitten durch reißt er den ganzen Mann, |
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56 | Wie wir's von Jägern sehn, daß sie bisweilen Den Reiher öffnen oder auch ein Huhn, Damit sich an den warmen innren Theilen Die Falken oder Sperber gütlich thun. Ein Glück nur, daß der andre Bursch mit heilen Gliedmaßen ihm entkömmt und andren nun Das Wunder melden und Turpin sodann Es hören und für uns aufschreiben kann. 181 |
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57 | Dies und noch vielerlei zu glauben schweres Vollbracht' in dem Gebirg des Grafen Hand, Und vom Gebirg, nachdem er hin und her es Durchlaufen, kam er in hispanisch Land Und wählte seinen Weg am Saum des Meeres, Das brandend schäumt an Tarragona's Strand. Der Wahnsinn wollte, der des Wegs ihn führte, Daß er im Sand zu rasten Lust verspürte. |
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58 | Schutz suchend vor der Sonne grub er sich Tief in den Sand, den ausgedörrten, glatten. Zufällig kam an diesen Küstenstrich Angelica mit ihrem jungen Gatten, Die beide, wie euch wohl erinnerlich, Den Weg nach Spanien eingeschlagen hatten. Auf Armeslänge fast kam sie ihm nah, Weil sie sich eher seiner nicht versah. |
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59 | Daß der da Roland sei, der oft gesehne, Fiel ihr nicht ein; er war zu sehr entstellt; Denn seit die Wut ihn forttrieb von der Seine, Lief Tag und Nacht er nackend durch die Welt. Wär' er zu Haus' im sonnigen Syene Oder wo vom Gebirg der Nilstrom fällt, Oder wo Libyer dem Ammon dienen, Verbrannter wäre kaum sein Fleisch erschienen. 182 |
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60 | Im Kopf versunken war der Augen Licht, Das Antlitz wie ein Knochen dürr und trocken, Der Bart verwildert, grauenhaft und dicht, Zerzaust und struppig die verworrnen Locken. Kaum sieht Angelica dies Schreckgesicht, Fährt sie zurück, bis auf den Tod erschrocken; Erschrocken auf den Tod, schwenkt sie und kreischt Und sucht Medor, von dem sie Hilfe heischt. |
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61 | So wie der blöde Roland sie gewahrt, Springt er im Nu empor und will sie fangen; So reizt das Antlitz ihn, lieblich und zart, So auf der Stelle kömmt ihm das Verlangen. Daß er geliebt sie hat nach Ritterart, Daran war die Erinnrung ihm vergangen. Er läuft ihr nach und folgt mit heißer Gier, Wie auf der Jagd der Hund dem flücht'gen Thier. |
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62 | Der Jüngling, der die Liebste von dem Tollen Verfolgt sieht, treibt den Renner hinterdrein. Der Graf kehrt ihm den Rücken, und im vollen Galoppe haut Medor von hinten ein. Er hofft, daß Kopf und Rumpf sich trennen sollen, Doch findet er die Haut so hart wie Stein, Wie Stahl vielmehr, unmöglich zu durchbohren; Denn unverwundbar war Roland geboren. 183 |
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63 | Wie Roland nun die Schläge spürte, schnellt' er Im Kreis herum und ballt' im Sprung die Hand Und traf mit seiner Faust des Jünglings Zelter Mit jener Kraft, vor welcher nichts bestand. Er traf den Kopf, und den wie Glas zerschellt' er, Daß todt der Gaul dahinfiel in den Sand. Dann macht' er wieder Kehrt und setzte so Der Dame nach, die eilig vor ihm floh. |
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64 | Wie treibt Angelica ihr Pferd zur Eil! Sporen und Gert' arbeiten um die Wette, Und flög' ihr Roß auch wie vom Strang der Pfeil, Ich glaube, daß sie's träg gescholten hätte. Da fällt der Ring ihr ein zu ihrem Heil: Sie steckt ihn in den Mund, daß er sie rette, Und weil er treu blieb seinem alten Brauch, Verschwand sie wie ein Licht vor einem Hauch. |
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65 | Ob es die Furcht war oder ob die gute Den Ring zu heftig zog von ihrer Hand, Ob es ein Stolpern war der wackren Stute, – Die Ursach' ist mir nicht genau bekannt: Genug, als kaum der Ring im Munde ruhte Und so ihr schönes Angesicht verschwand, Hob sie die Beine hoch und flog vom Pferde Und lag im Sande rücklings auf der Erde. 184 |
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66 | Sie flöge stracks dem Tollen an den Hals, Wenn dieser Sprung zwei Zoll nur kürzer wäre, Und stürbe sicher an der Wucht des Pralls. Sie dankt ihr Leben nur dem Ungefähre Und mag nun zusehn, ob sie abermals Ein Rößlein stehlen kann wie diese Mähre; Denn diese fängt sie nimmer wieder ein; Die flieht vor Roland über Stock und Stein. |
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67 | Sorgt nicht, daß sie sich nicht zu helfen wüßte, Und folgt mit mir dem Grafen von Anglant. Ihr denkt, daß seine Wut nachlassen müßte, Weil ja Angelica dem Blick entschwand? O nein, er folgt dem Thiere längs der Küste, Stets näher, näher durch den nackten Sand; Jetzt faßt er's an, und schon die Mähne hält er, Und jetzt den Zaum, und endlich steht der Zelter. |
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68 | Der Paladin freut sich an seinem Fange Wie ein verliebter Bursch an seinem Schatz. Er ordnet erst der Stute Zaum und Stange Und ist im Sattel dann mit einem Satz. Nun jagt er sie durch Strecken, meilenlange, Und gönnt ihr nirgend einen Ruheplatz; Nicht Zaum noch Sattel lockert er ihr je, Und niemals kostet sie Gras oder Klee. 185 |
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69 | Auch über einen Graben muß sie springen, Und über Kopf schießt er hinab mit ihr. Er fühlt es nicht, noch wird's ihm Schaden bringen, Die ärmste aber liegt zerschlagen schier. Ihr aufzuhelfen will ihm nicht gelingen, Und auf die Schultern lädt er sich das Thier Und klimmt empor und wandert mit der Bürde Dreimal so weit als Pfeilschuß reichen würde. |
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70 | Doch weil er fühlt, daß sie ihn sehr beschwere, Wirft er sie ab und will am Zaum sie ziehn. Langsam und hinkend folgt die lahme Mähre. Lauf! sagt er, doch sie hört nicht mehr auf ihn. Und wenn sie im Galopp gelaufen wäre, Zu langsam wär's dem tollen Paladin. Zuletzt nimmt er den Halfter ab und flicht Ums rechte Hinterbein ihn fest und dicht |
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71 | Und schleift sie fort und tröstet sie noch gar, Daß sie ihm so bequemer folgen werde. Hier läßt sie ihre Haut und dort ihr Haar An all den Steinen auf der rauhen Erde, Bis schließlich todt die arme Stute war, Gestorben an Erschöpfung und Beschwerde. Roland bemerkt es nicht, denkt nicht daran Und läuft des Wegs fürbaß, so schnell er kann. 186 |
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72 | Stets hinter sich die todte Stute schleifend, Rennt er gen Westen immer über Feld, Gehöft' und Häuser räuberisch durchstreifend, Wann die Begier nach Speis' ihn überfällt. Nach Brot und Fleisch und Früchten blindlings greifend, Raubt er und übt Gewalt an aller Welt, Schlägt todt die einen, krüppellahm die andern Und bleibt nicht lang' und läßt nicht ab zu wandern. |
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73 | Auch seine Dame würd' er bald zerreißen, Wär' sie nicht unsichtbar durch ihren Ring. Er unterschied das schwarze nicht vom weißen, Unheil und Heil schien ihm dasselbe Ding. Verwünschter Ring! verwünscht auch muß ich heißen Den Mann, von dem sie weiland ihn empfing. Wär' dieser Ring nicht, Roland hätte heute Sich selbst gerächt und tausend andre Leute. |
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74 | Nicht ihr allein, – in Rolands Hand zu fallen, Gönnt' ich, o Weiber, euch, so viel' ihr seid; Denn nicht ein gutes Haar ist an euch allen, Hart seid ihr sämtlich, ohne Dankbarkeit. Eh aber allzu unharmonisch schallen Die schlaff gewordnen Saiten, ist es Zeit, Für heute den Gesang zum Schluß zu bringen. Ein andermal wird's minder schlecht euch klingen. 187 |