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Satan vereinigt die mächtigsten Heidenritter zum Angriff auf das Heer Karls, der nach Paris zurückflüchten muß (1–34). Vom Erzengel Michael gezüchtigt, begiebt die Zwietracht sich aufs neue ans Geschäft und schürt im Heidenlager Streit zwischen Roger, Rodomont, Marfisa, Gradasso, Mandricard und Sacripant (35–84). Marfisa entdeckt Brunel, der ihr das Schwert gestohlen hat, und entführt ihn, um ihn zu hängen (85–99). Der Streit zwischen Rodomont und Mandricard wird durch Doralißens Entscheidung erledigt (100–109). Rodomont, den Weibern fluchend, verläßt das Heer und kehrt am Ufer der Saone bei einem schelmischen Gastwirt ein (110–140).
1 | Den Frau'n wird besser guter Rat gelingen, Wenn unbedacht ihn der Moment gebiert; Denn dies ist eins von den unzähl'gen Dingen, Womit der Himmel sie besonders ziert. Des Mannes Rat wird wenig Nutzen bringen, Wenn nicht das reife Urteil mitregiert Und wenn er zum Erwägen und Besprechen Nicht etwas Zeit verbraucht und Kopfzerbrechen. |
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2 | Gut schien der Rat des Malagis und war Es dennoch nicht: wie ich es euch beschrieben, War allerdings vor tödtlicher Gefahr Sein Vetter Richard jetzt bewahrt geblieben, Und von dem Dämon wurden der Tartar Und Rodomont aus ihrer Nah' vertrieben, Doch hatt' er nicht bedacht, daß diese nun Hinritten, um den Christen leids zu thun. 81 |
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3 | Hätt' er nur Zeit gehabt und nachgedacht, So konnt' er, dünkt mich, alles so besorgen, Daß er die Christen nicht in Not gebracht Und seinen Vetter hätte doch geborgen. Er hätte nur dem Geist zur Pflicht gemacht, So weit nach Westen oder auch nach Morgen Das Mädchen zu entführen, daß man hier Zu Lande niemals wieder hört von ihr. |
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4 | Die zwei Verliebten wären nachgesetzt, Gleichviel wohin der Geist das Mädchen brachte. Unvorgesehn blieb diese Vorsicht jetzt, Und nur weil Malagis zu wenig dachte. Der böse Engel, der den Zelter hetzt Und immer möchte, daß man mord' und schlachte, Wählt einen Weg der Karl mit Schmach bedroht, Weil ja der Meister keinen ihm gebot. |
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5 | Der Zelter mit dem Höllengeist im Bauch Trug die erschrockne Doraliß von dannen. Ihn hemmt kein Fluß, geschweige Busch und Strauch. Sumpf oder Abhang, Eichwald oder Tannen, Und mitten durch die Franken, mitten auch Durchs Heer von England und die andren Mannen Der Christenheit trägt er sie hin und hält Zuletzt mit ihr vor ihres Vaters Zelt. 82 |
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6 | Der Mohr war mit dem Sohn des Agrican Ihr nachgefolgt bis zu den Abendstunden, Weil sie von weitem ihren Rücken sahn, Und schließlich war sie ihrem Blick entschwunden.. Nun folgten sie der Fährte, wie die Bahn Des Hasen aufgesucht wird von den Hunden, Und machten nimmer Halt, als bis es hieß, Beim Vater Stordilan sei Doraliß. |
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7 | Hüte dich, Karl! ein Sturm ist losgebrochen, Und nirgend seh' ich Hafen oder Land. Nicht diese bloß, zum Kampf sind aufgebrochen Gradasso und auch König Sacripant. Das Schicksal, dich zu treffen bis zum Knochen, Hat beide Leuchten dir zugleich entwandt, Die mit dir waren, reich an Kraft und Wissen, Und du bleibst blind zurück in Finsternissen. |
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8 | Kein Roland ist und kein Rinald ist hier; Der eine streift in tollstem Aberwitze Durch Berg und Thal, nackt, wie ein wildes Thier, Bei Sonnenschein und Regen, Kält' und Hitze. Der andre, kaum verständ'ger, weicht von dir Und fragt nicht, ob sein Herr in Nöten sitze; Er sucht Angelica durchs ganze Land, Weil in der Stadt Paris er sie nicht fand. 83 |
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9 | Ein Hexenmeister, ein verschmitzter Greis, Machte (wie ich im Anfang euch erzählte) Durch ein phantastisch Gaukelspiel ihm weis, Daß sie zum Ritter sich den Roland wählte, Und gab der Eifersucht den ärmsten preis, Der schlimmsten, die jemals Verliebte quälte. So kam er nach Paris, kaum aber dort, Mußt' er alsbald nach England wieder fort. |
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10 | Kaum aber war die große Schlacht zu Ende Und Agramant umringt nach blut'gem Strauß, Ging in die Stadt Rinald, ob er sie fände; Er ging in jedes Kloster, Schloß und Haus. War sie nicht eingemauert in die Wände, So fand sie der Verliebte sicher aus. Doch weder sie noch Roland waren drinnen, Und sie zu suchen, zog Rinald von hinnen. |
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11 | Er dacht', in Brava oder in Anglant Lebe der Graf mit ihr froh und vergnüglich, Und hier wie dort sucht' er sie auf und fand, In beiden Schlössern sei das Suchen trüglich. Dann ritt er wieder an den Seinestrand Und dachte dort, der Graf werd' unverzüglich Am Platze sein, zumal man in Paris Sein Fernestehn nicht ungetadelt ließ. 84 |
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12 | Er wartet einen Tag und auch den zweiten, Und als der Graf nicht kömmt, beginnt Rinald Auf Kundschaft wieder hin und her zu reiten, Bald nach Anglant und nach Schloß Brava bald. Er trabt bei Tag und Nacht, zu allen Zeiten, Ob's heiß und hell ist oder grau und kalt, Und macht beim Sonnenlicht und Mondenscheine Zweihundert Reisen wohl, geschweige eine. |
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13 | Der alte Feind, der weiland Eva trieb Im Paradies verbotne Frucht zu pflücken, Warf eines Tags, als fern der Ritter blieb, Auf Karl die grünen Augen, schel von Tücken, Und da er sah, jetzt werd' ein schwerer Hieb Wider das Volk der Christen leicht ihm glücken, So führt' er alles, was im Mohrenheer An Tapferkeit vorhanden war, daher. |
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14 | Gradasso und dem guten Sacripant, Die, seit sie sich aus Atlas' Schloß befreiten, Gemeinsam zogen durch das Frankenland, Gab er den Plan ein, zum Succurs zu reiten Dem hartbedrängten Volk des Agramant Und Kaiser Karl Verderben zu bereiten, Und in Person führt' er sie schnurgerade Durchs fremde Land und ebnete die Pfade. 85 |
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15 | Auch sandt' er einen Teufel, daß er klug In jene Spur, wo sein Genoß im Leibe Des Zelters Doraliß von dannen trug, Den Rodomont und den Tartaren treibe. Noch einen sandt' er, daß nicht in Verzug Marfisa mit dem tapfren Roger bleibe; Der aber, mit dem zweiten Paare, nahm Sich etwas Zeit, so daß er später kam. |
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16 | Er braucht' ein halbes Stündchen längre Frist; Dann führt' er beide in des Lagers Nähe. Der schwarze Engel sorgt' in seiner List, Weil er die Christen gern zerdroschen sähe, Daß diesem Wunsche nicht durch fernren Zwist Um das geraubte Pferd Abbruch geschähe; Denn kämen Rodomont und Roger jetzt Zusammen, würd' ihr Zweikampf fortgesetzt. |
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17 | Die ersten vier gelangten an den Ort Zu gleicher Zeit und sahen die Quartiere, Hier der Belagrer, der Umschlossnen dort, Und die im Winde flatternden Paniere. Sie hielten Kriegsrat, und das letzte Wort War nach der Unterredung dieser viere, Man wolle Agramanten hilfreich sein, Trotz Karl, und aus dem Lager ihn befrein. 86 |
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18 | Sie kamen dichtgeschlossen Mann an Mann Mitten ins Lager, wo die Christen lagen, Und stimmten laut der Heiden Schlachtruf an »Spanien und Afrika,« um sich anzusagen. Man hörte, wie Alarm im Heer begann, Doch früher noch vernahm man Schwerterschlagen Und von der Nachhut kamen Haufen schon, Die, eh sie angegriffen wurden, flohn. |
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19 | Im Christenheer ging alles mit Geschrei Kopfüber, eh sie noch den Grund verstanden. Gar mancher hielt's für eine Rauferei Der Schweizer oder der Gascogner Banden; Indeß weil niemand wußte, was es sei, Sammelten sich die Völker, wie sie standen, Die bei Trompeten, die bei Trommelschall, Und bis zum Himmel rauschte Widerhall. |
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20 | Der große Kaiser kömmt in voller Wehr, Nur ohne Helm, mit seinen stolzen Recken Und fragt, was hier im Werke sei und wer Die Scharen in Tumult versetz' und Schrecken, Und hält die Flüchtling' auf und zürnt gar schwer Und sieht auf vielen Köpfen blut'ge Flecken, Gespalten manche Brust und manch Gesicht Und ohne Hand und Arm manch armen Wicht. 87 |
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21 | Und weiter zeigen sich vor seinen Blicken Am Boden, richtiger im roten See, Schlachtopfer, die in Blut gräslich ersticken, – Kein Arzt und kein Beschwörer heilt sie je, – Und Schädel abgetrennt von den Genicken Und Arm' und Bein', – ein Bild voll Graus und Weh. Und überall, soweit die Zelte reichen, Durchs ganze Lager geht ein Streif von Leichen. |
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22 | Denn wo das Häuflein durchgeritten war, Die viere, die wohl ew'gen Ruhm verdienen, Da blieb der lange Streif, ein wunderbar Und unvergeßlich Zeichen, hinter ihnen. Der Kaiser nahm das grause Blutbad wahr, Und Zorn und Staunen sprach aus seinen Mienen, Wie einer, der durch Blitz zu Schaden kam, Durchs ganze Haus sucht, welchen Weg er nahm. |
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23 | Eh dieser erste Beistand noch die Wälle Des afrikanischen Quartiers gewann, Kam mit Marfisa schon an andrer Stelle Der tapfre Roger vor dem Lager an. Das kühne Paar hielt erst in aller Schnelle Umschau nach rechts und links, und als es dann Den nächsten Weg gefunden, um den Mohren Succurs zu bringen, braucht' es rasch die Sporen. 88 |
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24 | Wie, wenn man Feuer an die Mine legt, Die Flamme längs der schwarzen Pulverschlange Aufblitzt und unaufhaltsam sich bewegt, Daß kaum das Auge folgt dem raschen Gange, Und plötzlich dann ans Ohr das Krachen schlägt, Und Fels und Mauer bersten vor dem Klange, So fuhren Roger und Marfisa los, Und so vernahm man in der Schlacht den Stoß. |
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25 | Und sie beginnen in die Quer' und Länge Die Schädel einzuschlagen mit dem Schwert Und Arm' und Schultern abzuhaun der Menge, Wenn sie zu langsam weicht und Raum gewährt. Wer je die Windsbraut über Bergeshänge Hinfahren sah, wie sie ein Stück verhert, Ein andres schont, der denkt sich leicht die Gasse, Wo diese zwei hinfuhren durch die Masse. |
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26 | Gar mancher, der sich glücklich schon gepriesen, Der Wut der ersten vier entflohn zu sein, Gott dankend, daß er ihm die Gnad' erwiesen Zwei rüst'ge Bein' und Füß' ihm zu verleihn, Lief jetzt gerade Rogern und Marfisen In ihren Weg und sah mit Schrecken ein, Daß, ob sie laufen oder stille stehen, Die Menschen ihrem Schicksal nicht entgehen. 89 |
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27 | Der ersten Not entrückt, geht er zu Grunde In andrer und bezahlt den blut'gen Zoll. So mit den Jungen rennt der Fuchs dem Hunde Gerad' ins Maul, wo Flucht ihn retten soll, Wenn aus dem alten Bau im Waldesgrunde Der Nachbar, angespornt von langem Groll, Ihn aufstört und mit Rauch und Feuers Hitze Ihn schlau vertreibt aus dem versteckten Sitze. |
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28 | Marfisa und ihr Kampfgenoß gelangen Heil in das Lager, wo die Mohren stehn, Die freudig so willkommne Gäst' empfangen Und dankerfüllten Blicks gen Himmel sehn. Die Furcht vor Karls Gewalt'gen ist vergangen, Der letzte Mohr nimmt's auf mit ihrer zehn, Und man beschließt ohn' Aufschub und Bedenken Ins Feld zu ziehn und es mit Blut zu tränken. |
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29 | Trompeten, Hörner, Mohrenpauken, Becken Füllen die Luft mit schrecklichem Gebraus, Und flatternd in dem frischen Winde strecken Die Fahnen und Standarten weit sich aus. Dagegen führen Karls Feldherrn und Recken Die Deutschen und Bretagner her zum Strauß, Engländer, Italiener, samt den Franken, Und blut'ge Schlacht beginnt durchs Feld zu schwanken. 90 |
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30 | Die Stärke Rodomonts, der wilde Zorn Des Mandricard, des wütigen Tartaren, Der gute Roger, aller Tugend Born, Gradasso, hochberühmt seit vielen Jahren, Circassiens König, stets beim Kampfe vorn, Die kühne Stirn Marfisa's, – diese waren Ursache, daß der Kaiser Sanct Denis Anrief und sich zurückzog nach Paris. |
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31 | Die Riesenkraft und der unbänd'ge Mut, Womit die sechs den Feind zu Paaren treiben, Sind, gnäd'ger Herr, der Art, daß man nicht gut Sie denken kann, geschweige denn beschreiben. Danach ermesset, wie viel Christenblut. An diesem Tage fließt, wie viele bleiben Vom Heere Karls. Dann rechnet Ferragu Und so viel tapfre Mohren noch dazu. |
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32 | Im Fluß war schon viel Volks zu Grund gegangen, Da viel zu wenig Raum die Brücke bot. Flügel des Icarus wär' ihr Verlangen, Denn vor und hinter ihnen war der Tod. Die Paladine waren all' gefangen, Nur zwei entrannen mit genauer Not; Oliver mit zerschlagnem Arm und Holger Mit blut'gem Kopf entgingen dem Verfolger. 91 |
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33 | Und miede Brandimart jetzt ebenfalls Das Spiel, wie Roland und Rinald es meiden, Karl müßte, wenn er überhaupt den Hals Dann retten konnte, aus der Hauptstadt scheiden. Was möglich war, that Brandimart, und als Er nicht mehr konnte, wich er vor den Heiden. So lächelt heut das Glück dem Agramant, Daß er Paris zum zweiten Mal umspannt. |
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34 | Der Witwen Jammer und der bange Chor Beraubter Greis' und vaterloser Knaben Stieg zu den ewig lichten Höhn empor, Wo Michael saß, empor von Wall und Graben. Da mußt' er sehn, wie draußen vor dem Thor Die Christen lagen, Raub für Wolf und Raben, Aus Deutschland, England, Frankreich, Süd und Nord; Denn voll von Leichen war das Blachfeld dort. |
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35 | Da wurden rot des sel'gen Engels Wangen: Des Schöpfers Wort war nicht, wie sich's gebürt, Befolgt, so schien ihm; schändlich hintergangen Hatt' ihn die Zwietracht und ihn angeführt. Denn statt daß sie auf Michaels Verlangen Zank hätt' im Heidenlager angeschürt, War gradezu, nach allem was zu sehen, Das Gegentheil des ganzen Plans geschehen. 92 |
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36 | Wie wenn ein treuer Knecht, bei dem an Stärke Die Liebe das Gedächtniß überwiegt, Etwas vergessen hat bei einem Werke, Das mehr als alles ihm am Herzen liegt, Wie der voll Eifers, eh der Herr es merke, Den Fehler gutzumachen eilt und fliegt, So wollte Michael sein Werk vollbringen, Eh er es wage sich zu Gott zu schwingen. |
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37 | Zum Kloster, wo er jüngst sie bei den ihren Getroffen hatte, lenkt' er seinen Flug, Und sah sie im Capitel präsidiren, Denn eine Wahl war just in vollem Zug, Und sie ergetzte sich, wie mit Brevieren Ein Mönch dem andern um die Ohren schlug. Der Engel faßte sie beim Haar im Nacken, Trat sie mit Füßen, schlug sie auf die Backen, |
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38 | Und dann zerbrach er eine Kreuzesstange Auf ihrem Kopf und Rücken, daß sie schrie. Um Gnade bat sie und umfaßte bange Des aufgebrachten Himmelsboten Knie. Er aber ließ nicht ab, noch währt' es lange, So trieb er in das Mohrenlager sie Und sprach zu ihr: »Noch schlimmer wird's dir gehen, Wenn wir dich außerhalb des Lagers sehen.« 93 |
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39 | Obwohl sie kaum vor Schmerzen sich zu rühren Vermochte, fand die Zwietracht nicht für gut, Noch einmal solchen Sturm herbeizuführen, So starke Hiebe, so gewalt'ge Wut. Sie greift zum Blasebalg, beginnt zu schüren, Wirft Reisig in die schon vorhandne Glut Und zündet neuen Brand an, bis die hohen Flammen des Zorns in vielen Herzen lohen. |
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40 | Und so, von ihr entflammt, zum König kamen Roger und Rodomont und Mandricard (Weil nun die Christen nichts mehr unternahmen,) Und trugen in des Königs Gegenwart Die Streitigkeiten vor, und auch den Samen Erfuhr er, wie der Zwist geboren ward, Und baten ihn, daß er entscheiden wolle, Wer zum Gefecht den Vortritt haben solle. |
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41 | Marfisa gleichfalls sprach von ihrer Sache Und wollt' auch ihren Kampf beendigt sehn, Den Mandricard mit ihr begann, um Rache Zu nehmen für den Hohn, der ihr geschehn: Nicht einen Tag, nicht eine Stunde mache Sie andren Platz, um ihr voranzugehn, Vielmehr ausdrücklich müsse sie verlangen Zuerst mit dem Tartaren anzufangen. 94 |
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42 | So will auch Rodomont der erste sein, Den Streit mit dem Rivalen auszutragen; Denn nur um hier die Mohren zu befrein, Hab' er erlaubt die Sache zu vertagen. Dawider legt Einsprache Roger ein Und sagt, er könn' es nimmermehr ertragen, Daß Rodomont sein Pferd ihm nehm' und er Nicht eher kämpfen soll' als irgendwer. |
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43 | Das Maß des Wirrwarrs aber wird erst voll, Als Mandricard erklärt, daß nach den Rechten Roger den weißen Aar nicht führen soll, Und wenn die andren drei zu kämpfen dächten, So, ruft er wütend und vom Zorn wie toll, Woll' er zugleich mit allen dreien fechten. Zu kämpfen dachten freilich alle drei, Wenn nur der König sagen wollt', es sei. |
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44 | Der König, der den Frieden wünschte, that, Was möglich war, mit Mahnungen und Bitten, Doch fand er, daß er taube Leute bat, Die Frieden nicht noch Waffenstillstand litten. So sann er wenigstens auf einen Rat, Wie sie zum Kampfe nach einander schritten, Bis ihm zuletzt der beste Ausweg schien, Um Reihenfolg' und Rang das Loos zu ziehn. 95 |
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45 | Vier Loose ließ er machen: Mandricard Und Rodomonte ward auf eins geschrieben; Aufs zweite Roger gegen Mandricard, Dann Rodomont und Roger, und es blieben Fürs vierte Blatt Marfis' und Mandricard. Dann ließ er nach des blinden Gotts Belieben Die Loose ziehn, und als das erste Paar Kam Sarza's Fürst heraus und der Tartar, |
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46 | Mit Mandricard kam Roger dann als zweiter, Roger mit Rodomont beim dritten Ziehn. Marfisa blieb zuletzt mit ihrem Streiter, Drob sie die Stirne kraus zog, und es schien, Als sei auch Roger nicht vergnügt und heiter; Er wußt', es werde für Marfis' und ihn Nichts übrig bleiben, denn die ersten beiden Würden die sämtlichen Streitfäll' entscheiden. |
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47 | Der Ort zwischen Parma und Borgo ist Castell Guelfo. | Unweit der Stadt Paris lag ein Stück Land, Das maß im Umfang eine kleine Stunde Und war von einem hohen Damm umspannt, Wie ein Theater, in der ganzen Runde. Einst war ein Schloß da, doch in Krieg und Brand Ging Thurm und Dach und Mauer längst zu Grunde. Ein ähnlich Feld an ihrer Straße sehn Die Parmesaner, die nach Borgo gehn. 96 |
48 | Dort machte man die Schranken fürs Turnier Aus kurzem Holz, ein Viereck, gleich an Breite Und Länge, groß genug zum Kampfrevier, Ein Thor an dieser, eins an jener Seite. Als nun der Tag kam für den Kampf der vier, Die man nicht erst zu nöt'gen braucht zum Streite, Ward auf den beiden Seiten je ein Zelt Nah an den Schranken vor das Thor gestellt. |
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49 | Im Zelt gen Westen, stark wie ein Gigant, Ließ Rodomont von zwei berühmten Heiden, Vom kühnen Ferragu und Sacripant Sich mit dem schupp'gen Drachenfell bekleiden. Mit Falsiron im Zelt gen Osten stand König Gradasso, und von diesen beiden Ward dem gewalt'gen Sohn des Agrican Die Rüstung des Trojaners angethan. |
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50 | Hoch thronten auf dem ragenden Balkone Die Herscher Spaniens und Afrika's Und Stordilan und Fürsten und Barone, Alles was hohen Rang im Heer besaß. Beglückt wer jetzt auf Mauer oder Krone Von Bäumen auf erhöhtem Platze saß! Groß ist der Zudrang, rings um das Gestänge Des großen Vierecks wogt und wallt die Menge. 97 |
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51 | Doralißens zwei Kleider werden auf ihre zwiespaltige Neigung, die grünende für Mandricard, die verblassende für Rodomont, gedeutet. Solche Farbensymbolik kömmt allerdings öfter im R. R. vor, meistens aber mit erläuterndem Zusatze. | Und mit der Königin Castiliens sahn Die Königinnen, Fürstentöchter, Frauen Granada's und Navarra's vom Altan, Aus Aragon und von Sevilla's Gauen, Dabei die Tochter Königs Stordilan. Sie trug zwei Kleider, herrlich anzuschauen, Das eine grün, das andre rosenfarb, So zart gefärbt, daß fast die Röt' erstarb. |
52 | Im aufgeschürzten Kleide kam Marfise, Wie sich's geziemt für Weib und Kriegerin. So prangte wohl auf des Thermodon Wiese Der Amazonen schöne Königin. Schon eilt im Wappenrock mit der Devise Des Königs Agramant durchs Volk dahin Der Herold, zu verbieten und vervehmen, Mit Wort und That am Kampfe Theil zu nehmen. |
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53 | Die dichte Menge hatte voll Verlangen Auf den Beginn des Kampfes längst geharrt Und schalt auf den Verzug: da plötzlich drangen Aus dem Gezelt des Königs Mandricard Geschrei und Lärm, die laut und lauter klangen. Nun hört, der Lärm, der so vernommen ward, Kam von den Königen, die drinnen waren, Gradasso und dem mächtigen Tartaren. 98 |
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54 | Als der Monarch des Landes Sericane Den Scythen waffnete mit eigner Hand Und eben zum Beschluß dem tapfren Khane Den Degen Rolands um die Hüften band, Sah er, daß auf dem Knaufe »Durindane« Ums Wappen des Almont geschrieben stand; Wohl wußt' er, daß bei Aspramont der Knabe Roland das Schwert von dem erfochten habe. |
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55 | Als er es sah, da war ihm klar genug, Dies sei das Schwert Rolands, das weltbekannte, Um welches er mit stolzrem Heereszug, Als je das Morgenland gen Westen sandte, Vor wenig Jahren erst Castilien schlug Und unterwarf und Frankreich übermannte. Doch unerklärt blieb ihm, durch welches Spiel Des Zufalls es in diese Hände fiel. |
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56 | Er fragt' ihn, ob er kämpfend, ob in Güte Das Schwert erworben hab' und wo und wann. Darauf erzählte jenen Kampf der Scythe, Den er mit Roland um das Schwert begann, Und daß der Graf verrückt sich stell' und wüte, »In Hoffnung, daß er so verbergen kann Die Furcht, mit mir in stetem Krieg zu leben,. Bis er das gute Schwert zurückgegeben. 99 |
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57 | »Wie jene schlauen Biber macht er's jetzt, Die ihre Geilen abzuwerfen pflegen, Wenn zu gefährlich sie der Jäger hetzt, Wohl wissend, jener kömmt nur dieser wegen.« Gradasso hört nicht alles und versetzt: »Nicht dir noch andren gönn' ich diesen Degen. Gold, Müh' und Menschen wendet' ich daran So viel, daß ich mit Recht ihn fordern kann. |
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58 | »Such' dir ein andres Schwert, denn, ungespaßt, Dies hier will ich; du mußt dich drein ergeben. Ob Roland bei Vernunft ist oder rast, Ich nehm' es, wo ich's fand, bei meinem Leben. Du hast dir's ohne Zeugen angemaßt Vom Wege; jetzt will ich die Klag' erheben. Was Rechtens sei, verkünde dir mein Stahl, Und in den Schranken sei das Tribunal. |
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59 | »Das Schwert erst zu erwerben, wäre Pflicht, Eh du es brauchst im Kampfe mit dem Mohren. Man kauft die Waffen, eh man damit ficht, Der alte Brauch hat sich noch nicht verloren.« Die Stirn erhebt nun der Tartar und spricht: »Nie dringt ein süßrer Schall mir in die Ohren, Als jetzt, wenn einer Kampf mit mir begehrt. Mach' nur, daß Rodomont die Frist gewährt. 100 |
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60 | »Mach' nur, daß der von Sarza sich das zweite Gefecht erwählt und dir das erste läßt, Und fürchte nicht, daß ich von hinnen reite; Ich steh' dir Red' und auch dem ganzen Rest.« Doch Roger ruft: »Ich will nicht, daß beiseite Der Pact geschoben wird. Das Loos steht fest. Entweder Rodomont ist erster Streiter, Oder er folgt auf mich und kömmt als zweiter. |
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61 | »Wenn hier die Regel des Gradasso gilt, Die Waffen erst zu kaufen, dann zu führen, So wird mein weißer Adler deinem Schild, Eh du mich nicht entwaffnest, kaum gebüren. Indeß drauf einzugehn war ich gewillt Und werd' auch jetzt an meinem Spruch nicht rühren, Daß ich der zweite sei, vorausgesetzt, Der König von Algier beginne jetzt. |
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62 | »Stört ihr den Pact zu Gunsten eines Paars, So stör' ich gänzlich ihn und aus dem Grunde Und weigre dir das Zeichen meines Aars, Du kämpfest denn darum, sofort, zur Stunde.« – »Wär' auch ein jeder von euch beiden Mars,« Antwortet Mandricard mit zorn'gem Munde, »Ihr beide wärt zu schwach und ließet mir Das gute Schwert und edle Wappenthier.« 101 |
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63 | Und außer sich vor Zorn, die Faust geballt, Schlug er den König aus Land Sericane Auf dessen rechte Hand und dergestalt, Daß er verzichten mußt' auf Durindane. Gradasso, dem es für unglaublich galt, Daß man so frech sein könnt' im tollsten Wahne, Ward überrascht und sah sich gar nicht vor Und fand, daß er das gute Schwert verlor. |
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64 | Er flammte schier vor Zorn und Scham, es schien, Als ob ein Feuer aus den Augen breche. Zumal bekümmert' es und foltert' ihn, Daß jener öffentlich sich deß erfreche. Er trat, um sein gekrümmtes Schwert zu ziehn, Zwei Schritt zurück, damit er schnell sich räche. So wenig fürchtet Mandricard den Strauß, Er fordert Roger auch zum Kampf heraus. |
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65 | »Kommt alle beide nur, wenn's euch gefällt, Und komm' als dritter auch noch Rodomonte, Ganz Spanien, Afrika, die ganze Welt! Fliehn ist das einz'ge, was ich niemals konnte.« So redend schwingt der unerschrockne Held Im Kreis' umher den Degen des Almonte Und faßt den Schild, und stolz und wutentbrannt Hält er Gradasso, hält er Rogern Stand. 102 |
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66 | Gradasso sprach: »Die Kur vertraue mir, Daß ich den Mann von seiner Narrheit heile.« – »Bei Gott, (sprach Roger) nichts vertrau' ich dir; Mein ist der Kampf, den ich mit keinem theile.« Tritt du zurück! – nein, du! – so dort und hier, Wie festgewurzelt, schrien sie eine Weile, Und schon entspann zu dreien sich der Strauß, Und wohl entstünd' ein toller Spaß daraus, |
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67 | Wenn jetzt nicht andre eingegriffen hätten In ihre Wut, – ein unvorsichtig Spiel! Sie hätten fast erfahren, andre retten Auf eigene Gefahr, das koste viel. Wer wär' im Stande diesen Sturm zu glätten, Wenn nicht mit Spaniens König Herrn Marsil Trojans erlauchter Sohn am Platz erschiene, Ehrfurcht gebietend durch Gestalt und Miene. |
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68 | Der König fragte, welcher Sache wegen Sie sich erhitzt zu diesem neuen Streit. Dann müht' er sich Gradasso zu bewegen, Daß er dem Mandricard nur für die Zeit Des einen Tags Hectors berühmten Degen Einräum' aus Freundschaft und Gefälligkeit, Damit der bittre Streit zum Schluß gelange, Der zwischen Rodomont und jenem hange. 103 |
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69 | Indeß bei diesen König Agramant Sich dem Geschäfte der Versöhnung weihte, Scholl aus dem andren Zelt, wo Sacripant Mit Rodomont war, Lärm von andrem Streite. Der König von Circassien, sagt' ich, stand Mit Ferragu dem Rodomont zur Seite Und hatt' ihm jene Rüstung angethan, Die weiland Nimrod trug sein großer Ahn. |
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70 | Jetzt traten sie heraus, wo vor dem Zelt Das Schlachtroß in die reichen Zügel schäumte. Ich rede von Frontin, um den geprellt Sich Rogers Herz voll Grimms und Ärgers bäumte. Nun wißt, daß Sacripant, dem solch ein Held Die Waffnung anvertraut hat, nicht versäumte Scharf nachzuschaun, ob jeder Huf und Rieme Am Pferde fest sei, wie es sich gezieme. |
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71 | Und als er es genauer angesehn, Merkmale, schlanke Glieder, da erkannte Er deutlich – Zweifel konnten nicht bestehn – Den eignen Renner, den man Milchstirn nannte, Der ihm ans Herz gewachsen war, um den Er Schlachten schlug, und als man ihn entwandte, Hatt' er zuerst beschlossen alle Zeit Zu Fuß zu gehn: so sehr that es ihm leid. 104 |
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72 | Die verschiedenen Diebstähle, welche Brunel in und um Albracca verübte, werden von Bojardo im »Verliebten Roland« ausführlich erzählt. König Sacripant hatte Hiobsposten aus seinem Reiche empfangen und saß in Nachdenken versunken auf seinem Pferde, als Brunel kam und ihm den Rappen unter dem Leibe entführte. | Das Pferd ihm unterm Leibe wegzuholen Gelang einst vor Albracca dem Brunel. Der hatt' am selben Tag, wie ihm befohlen, Den Ring Angelica's dort im Castell Und Rolands Balisard' und Horn gestohlen, Dazu Marfisa's Schwert. Der Diebsgesell Gab Rogern Balisard' und das entwandte Schlachtroß, das Roger dann Frontin benannte. |
73 | Als der Circasser durch den Augenschein Sich überzeugt hat, spricht er zu dem Mohren: »Ich muß dir sagen, Herr, dies Pferd ist mein, Das mir entführt ward vor Albracca's Thoren. Ich hätte tausend Zeugen leicht, allein Da sie zu ferne sind von unsern Ohren, So will ich, wenn man's leugnet, im Gefecht Einstehn für meine Wahrheit und mein Recht. |
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74 | »Indessen will ich's gern zufrieden sein, Der jungen Waffenbrüderschaft zu Ehren, Den Rappen dir für heute noch zu leihn; Denn freilich kannst du ihn nicht wohl entbehren. Nur mußt du anerkennen, daß er mein Und dir geliehen sei auf dein Begehren. Sonst wähne nicht, der Gaul verbleibe dir, Es sei denn, du erföchtest ihn von mir.« 105 |
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75 | Der Afrikaner, dem an Hochmut keiner Im ganzen Ritterstand und sicherlich An Kraft und an Verwegenheit nicht einer Von allen altberühmten Helden glich, Versetzte: »Sacripant, wenn so statt deiner Ein andrer spräch' und unterstünd' es sich, Zu seinem Schrecken hätt' er wahrgenommen, Er wäre besser stumm zur Welt gekommen. |
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76 | »Weil aber, wie du sagst, seit kurzem wir In Waffenbrüderschaft verbunden waren, Will ich so weit dir nachsehn, daß ich dir Freundschaftlich rate, deine Müh zu sparen, Bis du den Kampf sehn wirst, der zwischen mir Sogleich entbrennen wird und dem Tartaren. Ich hoffe, daß der Anblick dich belehrt Und daß du sagen wirst, behalt das Pferd.« |
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77 | Darauf versetzte zornig Sacripant: »Bei dir heißt Höflichkeit sich grob betragen. Vernimm denn deutlicher, wie ich's verstand: Du mußt der Absicht auf das Pferd entsagen; Denn ich verwehr' es dir, so lang' die Hand Dies rächerische Schwert vermag zu tragen. Ja, meine Zähn' und Nägel setz' ich dran, Wenn ich's nicht anders dir verwehren kann.« 106 |
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78 | So kam's von Worten zu Feindseligkeiten, Zu Wutgeschrei, zu Drohungen, zur Schlacht, Und schneller als ein Brand in trocknen Scheiten Ward sie vom Zorn zu heller Flamm' entfacht. Geharnischt war der Mohr auf allen Seiten, Kein Panzer war an des Circassers Tracht, Jedoch so trefflich focht er mit dem Schwerte, Daß ihm die Klinge Schutz genug gewährte. |
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79 | Des Afrikaners Ungestüm und Stärke Sind unermeßlich, doch sie scheitern jetzt An dem Geschick und sichren Augenmerke, Wodurch sein Widerpart die Stärk' ersetzt. Nie hat so schnell ein Rad im Mühlenwerke Den Stein, der Korn zermalmt, in Schwung gesetzt, Wie der Circasser beides Fuß und Hand Hierhin und dorthin, wo er's nötig fand. |
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80 | So stand's, als Ferragu und Serpentin Die Schwerter zogen und dazwischen kamen. Auch Isolier und auch Grandon erschien Und viele Mohren von berühmtem Namen. Dies war der Lärm, den unterm Baldachin Des andren Zelts die andren Herrn vernahmen, Wo mit Gradasso und mit Mandricard Und Rogern fruchtlos noch verhandelt ward. 107 |
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81 | Bald kam zum Agramant von jener Seite Die Botschaft, wie der König von Algier Sich um das Pferd mit Sacripant entzweite Wutschnaubend und voll wilder Kampfbegier. Der König, ganz betäubt von all dem Streite, Sprach zu Marsil: »Du acht' auf diese hier, Daß unter ihnen schlimmres nicht entstehe, Indeß ich drüben nach dem rechten sehe.« |
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82 | Wie Rodomont den Herrn erblickte, stand Er ruhig, Zwang anthuend seinem Grimme, Und ehrfurchtsvoll zurück trat Sacripant, Als ob im Augenblick sein Zorn verglimme. Der König fragte, wie der Streit entstand, Mit Herschermien' und ernster, tiefer Stimme Und suchte, nach Vernehmung ihres Falles, Sie zu versöhnen; doch umsonst war alles. |
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83 | Daß Rodomont auf seinem Pferde ritte, Sprach der Circasser, geb' er nimmer zu, Wofern nicht jener ihn bescheiden bitte, Daß er den Dienst ihm zu Gefallen thu'. Und Rodomont, stolz, wie es seine Sitte, Rief: »Dahin bringt kein Gott mich noch auch du, Daß etwas, was ich leicht im Kampf gewänne, Ich andren als mir selber zuerkenne.« 108 |
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84 | Der König fragte, was denn Sacripante Für Anrecht hab' und wer das Pferd ihm nahm. Und der erzählt' ihm alles und bekannte, (Und dies bekennend ward er rot vor Scham,) Daß er zerstreut war, als man's ihm entwandte, In tiefem Sinnen, als der Gauner kam, Vier Pfähl' ihm untern Sattel pflanzt' und sachte Sich mit dem nackten Gaul von dannen machte. |
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85 | Im Kreise, der die hadernden umringt, Hört auch Marfisa zu und spitzt die Ohren, Weil dieser Streit ihr ins Gedächtniß bringt, Daß sie desselben Tags ihr Schwert verloren. Und sie erkennt das Pferd, das wie beschwingt Vor ihr entflohn war mit dem schlauen Mohren, Und auch den guten König Sacripant Erkennt sie, den sie anfangs nicht erkannt. |
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86 | Nun hatte sich Brunel oft selbst gepriesen Und laut geprahlt mit seiner Schelmerei, Und die es wußten, sahn ihn an und wiesen Mit Fingern auf ihn hin, daß er es sei. Darob stieg ein Verdacht auf in Marfisen Und sie befragte ihrer zwei und drei, Bis sie erkundet hatt' und klar erkannte, Daß es Brunel sei, der das Schwert entwandte. 109 |
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87 | Und sie erfuhr, daß für den Schelmenstreich, Statt den verdienten Strick ihm anzulegen, Der König Agramant ihm Thron und Reich Der Tingitaner gab, dem Recht entgegen. Der alte Zorn erwacht' in ihr und gleich Beschloß Marfisa ein Gericht zu hegen, Den Schimpf und Spott zu strafen, den der Dieb Noch unterwegs mit der beraubten trieb. |
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88 | Vom Knappen ließ sie ihren Helm sich geben; Die andre Rüstung trug sie ohnehin; Denn ohne Harnisch sah man sie im Leben Nicht zehnmal, wenn ich recht berichtet bin, Seit jenem Tag, wo ohne Scheu und Beben Sie sich gewöhnt ans Kleid der Kriegerin. Behelmt jetzt lenkt sie zum Balkon die Schritte, Woselbst Brunel saß in der Fürsten Mitte. |
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89 | Kaum ist sie droben, greift sie nach der Schnalle Vor seiner Brust und hebt ihn vom Altan, Wie in die Luft mit der gekrümmten Kralle Der räuberische Adler hebt den Hahn, Und trägt ans Zelt ihn, wo mit lautem Schalle Der Zank tobt vor dem Sohne des Trojan. Brunel, der einsieht, daß er nicht gerade In sanfte Hände fiel, schreit laut um Gnade. 110 |
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90 | Und über alles Lärmen, Schrei'n und Streiten, Davon der ganze Kampfplatz widerhallt, Hört man Brunel, wie er nach allen Seiten Bald Mitleid fleht, bald Schutz vor der Gewalt. Das ganze Volk strömt zu ihn zu begleiten, Wie sein Gekreisch und Jammerruf erschallt. Marfisa tritt zum König mit dem Wichte Und redet so mit stolzem Angesichte: |
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91 | »Ich will den Dieb hier, deinen Lehensmann, Aufhängen am Genick mit eignen Händen, Weil er am selben Tag dies Pferd und dann Mir meine Waffe stahl. Falls andre fänden, Daß ich dabei im Unrecht sei, wohlan, Man trete vor! was hat man einzuwenden? Beweisen werd' ich's jedem im Gefecht, Daß er ein Lügner ist und ich im Recht. |
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92 | »Damit man aber nicht böswillig sage, Daß ich gewartet hätt' aus Hinterlist, Bis alle tapfersten durch andre Klage Behindert wären und durch eignen Zwist, So wart' ich mit dem Hängen noch drei Tage. Bis dahin komme, wer sein Gönner ist; Wenn niemand kömmt, mein Urteil zu erschüttern, So werd' ich tausend Vögel mit ihm füttern. 111 |
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93 | »Drei Stunden Wegs zum Thurme werd' ich reiten, Der dort die kleine Holzung überragt; Da werd' ich ihn verwahren, und begleiten Wird nur ein Diener mich und eine Magd. Wenn jemand Neigung hat mit mir zu streiten Um diesen Schelm, ich warte, wie gesagt.« So sprach Marfisa, und noch sprechend schlug sie Den Weg schon ein, und nicht nach Antwort frug sie. |
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94 | Sie hat Brunel vor sich aufs Pferd gesetzt Und hält ihn immer fest bei seinen Haaren. Der ärmste schreit und ruft bei Namen jetzt Die Männer an, die sonst ihm günstig waren. Der König Agramant bleibt starr zuletzt In diesem Wirrwarr; alles scheint verfahren; Das schlimmste aber, was ans Herz ihn rührt, Ist, daß Marfisa so Brunel entführt. |
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95 | Nicht, daß er ihm Lieb' oder Achtung zollte; Er war vielmehr seit längrer Zeit ihm gram Und frug sich oft, ob er ihn hängen sollte, Seit Bradamante jenen Ring ihm nahm. Doch dies ging wider seine Ehr'; er grollte Und seine Wangen wurden rot vor Scham; Er war entschlossen selber aufzubrechen, Ihr nach, und sich mit aller Macht zu rächen. 112 |
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96 | König Sobrin jedoch war auch zugegen Und mahnt' ihn ab von solcher Heftigkeit. Der Würde seiner Majestät entgegen, So sprach der kluge Greis, sei solcher Streit. Denn hätt' er auch vielleicht des Sieges wegen Den besten Mut und volle Sicherheit, So wär' es Schimpf statt Ehre, wenn man finde, Daß er ein Weib mit Mühsal überwinde. |
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97 | Groß sei nur die Gefahr, die Ehre klein, Die solch ein Unternehmen mit sich bringe, Und darum, mein' er, werd' es besser sein, Man ließe den Brunel in seiner Schlinge. Ja, wenn den Mann vom Galgen zu befrein An einem Zucken seiner Wimpern hinge, So sollten sie nicht zucken; denn den Lauf Des Rechtes hielt' er dann unziemlich auf. |
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98 | »Du könntest jemand schicken, der sie bäte (So sprach er) dir den Spruch zuzugestehn, Mit dem Versprechen, daß, wenn sie es thäte, Er baumeln soll' und volles Recht geschehn. Und wenn sie dann hartnäckig dies verschmähte, Gönn' ihr den Mann und laß die Sache gehn. Entzieht sie uns nur nicht Freundschaft und Liebe, So hänge sie Brunel und alle Diebe.« 113 |
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99 | Der König folgte gern dem bessern Licht Des weiseren Sobrin, und so beruhte Die Sach' auf sich; er hielt kein Strafgericht Und wehrt' auch anderen von heißrem Blute. Und auch sie bitten lassen wollt' er nicht; Er duldete, – Gott weiß mit welchem Mute, – Um desto leichter größern Streit zu dämpfen Und seines Heers Verwirrung zu bekämpfen. |
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100 | Die tolle Zwietracht lacht, da sie es schaut: Nun fürchtet sie nicht mehr, daß Friede drohe. Sie fährt beinah vor Freuden aus der Haut, Durchs ganze Lager läuft die siegesfrohe. Der Übermut tanzt mit und jubelt laut Und schüttet Holz und Reisig in die Lohe Und sendet bis zum Sternenreich empor Sein Siegsgeschrei Sanct Michael ins Ohr. |
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101 | Paris erbebt, die Seine rauscht und wallt Bei diesem graus'gen Schrei, und die Ardennen Durchbraust der Widerhall, daß durch den Wald Die wilden Thier' aus ihrem Neste rennen. Von Blaie und von Rouen die Küste hallt, Die Alpen hören es und die Cevennen; Die Rhone hört's, Garonne und Rhein nicht minder;. Die Mütter pressen an die Brust die Kinder. 114 |
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102 | Fünf Ritter sind es, deren jeder drängt, Als erster seinen Streitfall auszufechten; Ein Knäuel ist es, Streit mit Streit vermengt, Das selbst die Götter nicht ins reine brächten. Beim ersten Streit, den er gehört hat, fängt Der König an, den Knoten aufzuflechten, Beim Streit, den um die Tochter Stordilans Sein Mohr hat mit dem Erben Agricans. |
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103 | Der König ging zu beiden, hin und her, Um ihren Zwist zu schlichten, unverdrossen. Bald als gerechter Lehnsherr redet' er Und bald als treuer Freund zum Kampfgenossen. Doch als er fand, sie hörten beide schwer, Hartnäckig, jedem guten Rat verschlossen, Und als er sah, daß keiner der sein wollte, Der auf das schöne Weib verzichten sollte, |
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104 | Kam er zu guter Letzt zu dem Bescheide, Und die Verliebten willigten darein: Der Mann, für den das Mädchen sich entscheide Von ihnen beiden, soll' ihr Gatte sein; Ihr Ausspruch aber gelte dann für beide, Und keiner wend' ein Wort dawider ein. Mit dem Vertrag sind beide wohl zufrieden, Denn jeder denkt, es wird für ihn entschieden. 115 |
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105 | Der Held von Sarza liebte Doralißen Vor dem Tartaren seit geraumer Zeit Und jene ließ ihn jede Gunst genießen, Die sich vertrug mit Sitt' und Ehrbarkeit. So denkt er denn, sie wird sich so entschließen, Daß ihm der Spruch das höchste Glück verleiht, Und darauf hätte nicht bloß er geschworen; Dasselbe denkt das ganze Heer der Mohren. |
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106 | Ein jeder weiß, was er für sie vollbrachte In Spiel und Ernst, Turnier und Kriegsgefahr, Und blind und thöricht war, wie jeder dachte, Den Vorschlag anzunehmen, der Tartar. Der aber, der Bekanntschaft mit ihr machte Oftmals und näher, wann es dunkel war, Und wußte, was ein sichres Pfand bedeute, Verlachte ruhig das Geschwätz der Leute. |
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107 | Ein jeder der berühmten Freier schwor Dem König, festzuhalten am Vertrage. Dann traten vor die Dame Scyth' und Mohr. Die schlug die Augen nieder bei der Frage Und sprach, sie ziehe den Tartaren vor. Da stehn denn alle wie gerührt vom Schlage Und Rodomont von Schrecken so gelähmt, Daß er emporzublicken schier sich schämt. 116 |
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108 | Als aber dann vor dem gewohnten Grimme Das Rot der Scham von seiner Stirn verfliegt, Nennt er das Urteil falsch; mit lauter Stimme Ruft er, indeß die Faust am Schwerte liegt, In Gegenwart des Königs: »Dies bestimme, Wer von uns beiden hier verliert und siegt, Nicht Weiberlaunen, die ja nie verfehlen Das, was am wenigsten sich ziemt, zu wählen.« |
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109 | Auch Mandricard war wieder aufgestanden Und sprach: »Wie du es willst, mag es geschehn.« Und also sollte jetzt, anstatt zu landen, Das Schiff noch einmal durch die Wogen gehn. Indeß der König war nicht einverstanden: Nie könne Rodomont auf Kampf bestehn Mit Mandricard, was diesen Fall betreffe, Und zwang die Wut, daß sie die Segel reffe. |
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110 | So mußte Rodomont im Angesicht Der andren Herrn zwiefachen Schimpf erfahren, Von seinem König, den zu ehren Pflicht, Und von der Braut, der Beute des Tartaren, Und länger dort verweilen wollt' er nicht. Von allen Reisigen, die um ihn waren, Erwählt' er sich zwei Diener, keinen mehr, Und ritt hinweg vom Saracenenheer. 117 |
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111 | Wie der besiegte Stier dem Überwinder Die Färse überläßt und nun nicht ruht, Bis er den Wald, fern von der Flur der Rinder, Erreicht hat oder eines Flusses Flut, Und brüllt bei Tag und Nacht und drum nicht minder Gepeinigt wird von wilder Liebeswut, So weicht von hinnen jetzt in bittrem Grame Der stolze Mohr, verschmäht von seiner Dame. |
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112 | Schon folgt' ihm Roger, der gerüstet stand, Um sein geliebtes Roß sich zu erstreiten: Da fiel ihm ein, daß er sich auch verband Mit Mandricard den Kampfplatz zu beschreiten. So ließ er jenen ziehn und kam gerannt, Mit dem Tartaren ins Geheg zu reiten; Denn sonst, so dacht' er, föchte seinen Strauß Gradasso erst um Durindane aus. |
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113 | Daß man Frontin ihm wegnimmt, thut ihm leid, Vor seinen Augen und er kann's nicht wehren. Indeß nach dem Turnier wird er die Zeit Schon finden und das Pferd zurückbegehren. Dagegen Sacripant, der keinen Streit Wie Roger hat, die Sache zu erschweren, Und kein Geschäft als dieses eine nur, Setzt Rodomonten nach und folgt der Spur. 118 |
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114 | Er holte bald ihn ein, wenn kurz vor Schluß Ihm nicht ein böser Zeitverlust entstände Und so zu seinem Ärger und Verdruß Der Tag verstrich' und jede Spur entschwände. Er sieht ein Weib, das in den Seinefluß Gefallen ist und seinen Tod da fände, Wenn er nicht rasch herbei zur Hilfe flöge, Ins Wasser spräng' und sie ans Ufer zöge. |
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115 | Dann, als er weiter will, in Eile sehr, Erwartet ihn sein Pferd nicht am Gestade Und führt ihn meilenweit die Kreuz und Quer; Es einzufangen ist nicht leicht gerade. Er fängt es endlich, aber weiß nicht mehr, Wie man zurückgelangt zum ersten Pfade. Wohl funfzig Meilen ritt er durch das Land, Eh er den Rodomont am Ende fand. |
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116 | Wie er ihn fand, wie es zum Kampfe kam, Wie Sacripant dabei gar schlimm gefahren, Wie man sein Pferd ihm und die Freiheit nahm, Verschweig' ich noch; denn erst müßt ihr erfahren, Wie ganz entflammt von Zorn und bittrer Scham, Dem König grollend und der undankbaren, Fürst Rodomont das Heer verließ und wie Er Reden führte wider ihn und sie. 119 |
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117 | Wohin er kam, da schien er allerwärts Die Luft mit heißen Seufzern anzuzünden, Und Echo dann, gerührt von seinem Schmerz, Antwortet' ihm aus hohlen Felsenschlünden. Und also redet' er: »O Weiberherz, Wer könnte deinen Wankelmut ergründen! O rechtes Widerspiel der Redlichkeit, Wer dir vertraut, der ist vermaledeit. |
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118 | »Nicht langer Ritterdienst noch große Liebe, Die sich in tausend Proben ächt erwies, Vermocht' es über dich und deine Triebe, Daß wenigstens der Wechsel Zeit sich ließ. Nicht weil dir schien, daß ich im Nachtheil bliebe, Verglichen mit dem Scythen, duld' ich dies, Noch find' ich andren Grund für meine Pein Als den, daß du ein Weib bist, den allein. |
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119 | »Dich, tückisches Geschlecht, hat die Natur Erschaffen, uns das Leben zu erschweren, Als eine Last und schmerzliche Tortur Den Männern, die sonst froh und glücklich wären. Schuf sie doch auch zu solchem Zwecke nur Die argen Schlangen und die Wölf' und Bären Und sät ins Reich der Luft Schmeißfliegen, Wespen Und ins Getreide Raden, Lolch und Trespen. 120 |
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120 | »Weshalb ruft die Natur, die alles schafft, Nicht auch den Menschen ohne dich ins Leben, Wie, Holz auf Holz geimpft, durch eignen Saft Der Birnbaum wächst, der Kirschbaum und die Reben? Zu weiser Einrichtung fehlt ihr die Kraft, Und merk' ich, welchen Namen wir ihr geben, So weiß ich, daß sie nichts vollkommnes kann: Sie ist ein Weib, der Name zeigt es an. |
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121 | »Doch brüstet euch nur nicht mit eurem Loose, Prahlt nicht, ihr Frau'n, der Mann sei euer Kind: Denn auf dem Dornenbusche wächst die Rose, Wie Lilien faulem Kraut entsprossen sind; Hoffärt'ge, überläst'ge, sittenlose, Der Lieb' und Treue bar, leichtsinnig, blind, Frech, ungerecht, grausam und undankbar, Die Pest der Welt von je und immerdar!« |
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122 | Dergleichen und unzähl'ge andre schlimme Anklagen häufend ritt der König fort, Bald leise redend mit gedämpfter Stimme, Bald daß man es vernahm an fernem Ort, Die Weiber schmähend, und in seinem Grimme Sprach er gewiß manch ungerechtes Wort; Denn daß auf zwei, die sich zuviel erlauben, Es hundert gute Fraun giebt, darf man glauben. 121 |
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123 | Von allen, die ich liebte, fand ich zwar Nicht eine einz'ge treu, das muß ich sagen; Doch nenn' ich drum nicht alle undankbar; Mein böses Schicksal scheint die Schuld zu tragen. Sehr häufig ist und noch viel häuf'ger war Das Weib, das niemals Anlaß gab zu Klagen; Mein Unglück will nur, daß, wenn eine Schlange Unter den hundert ist, just die mich fange. |
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124 | Doch werd' ich suchen, eh das Leben weicht, Das heißt, eh mir die Haare grauer werden, Bis eines Tags ich sagen kann vielleicht, Auch ich fand eine sonder Falsch auf Erden. Noch nicht verzweifl' ich ganz, und ist's erreicht, So scheu' ich keine Arbeit noch Beschwerden, Sie weltberühmt zu machen fort und fort, In Versen und in Prosa, Schrift und Wort. |
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125 | Nicht glimpflicher verfuhr der Saracen Mit seinem König als mit Doralißen, Und wie er die gescholten, schalt er den, Nicht minder eifrig, übers Ziel zu schießen. Sein Königreich wünscht' er zerstört zu sehn; Tod und Verderben sollten sich ergießen, Ein einzig Trauerhaus das ganze Reich Und jede Stadt und Burg der Erde gleich, 122 |
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126 | Daß Agramant, wenn so sein Glanz zerrinne, Als Bettler leb' in Elend und in Leid, Und er dann alles ihm zurückgewinne Und setz' ihn in die alte Herrlichkeit. Dann, dacht' er, werde sein Gebieter inne, Daß man den wahren Freund zu jeder Zeit Im Unrecht wie im Recht vorziehen solle, Ob auch die ganze Welt es hindern wolle. |
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127 | Und so dem König bald, bald Doralißen Sein zornig Herz zuwendend, trabt er fort Und läßt Frontin nur wenig Ruh genießen; In starken Ritten geht's von Ort zu Ort. Am dritten Tag sieht er die Saone fließen; Denn gradesweges nach dem nächsten Port In der Provence wollt' er und am Strande Einschiffen sich nach seinem Heimatlande. |
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128 | Von Barken und von leichten Kähnen waren Des Stroms Gewässer voll von Rand zu Rand; Die brachten für die Saracenenscharen Von vielen Orten her den Proviant. Denn alles war besetzt von den Barbaren, Wenn von Paris man kömmt ins schöne Land Von Aiguesmortes und gen Spanien biegt, Die ganze Gegend, die zur Rechten liegt. 123 |
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129 | Die Schiffer mußten dort ihr Frachtgut landen, Und Pferd' und Wagen standen schon bereit, Dorthin wo Schiffe keinen Weg mehr fanden, Es fortzuschaffen unter Schutzgeleit. Von Ost und West herangetrieben standen Am Ufer fette Herden aufgereiht, Und ihre Treiber hatten am Reviere Des Stromes bei den Bauern Nachtquartiere. |
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130 | Als nun der Saracen auf seiner Reise Den Fluß erreichte, brach die Nacht herein, Und weil ein Gastwirt ihn zufäll'ger Weise Erblickt' und anrief, kehrt' er bei ihm ein. Das Pferd besorgt, kam mannichfache Speise Und Wein aus Corsika und Griechenwein. Denn Rodomont, im übrigen ein Mohr, Zog doch beim Trinken fränk'sche Sitte vor. |
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131 | Mit gutem Tisch und mit noch bessrer Miene Den Gast zu ehren war der Wirt bedacht, Denn daß er einen großen Mann bediene, Erkannt' er deutlich an Gestalt und Tracht. Der aber, der, betäubt noch vom Ruine, Sein Herz nicht bei sich hatt' in dieser Nacht, (Das ihm zum Trotze sich zurückverirrte Zur weiland Herrin,) sprach kein Wort zum Wirte. 124 |
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130 | Der brave Gastwirt, einer der gewandten, Die je in Frankreich blühten und gediehn, (Denn als die Heiden alles niederrannten, Verstand er es den kürzren nicht zu ziehn,) Hatt' als Gehilfen von den Anverwandten Herbeigeholt, was ihm anstellig schien; Doch keiner wagt' ein Wörtchen, als sie drinnen Den Gast erblickten, stumm, vertieft in Sinnen. |
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133 | Gedanken in Gedanken wild verwebend Schien er sich selbst entrückt, der fremde Mann. Das Haupt gesenkt, die Augen nie erhebend, Blickt' er von all den Leuten keinen an. Dann plötzlich seufzt' er, einen Ruck sich gebend, Als lös' er sich von tiefen Schlafes Bann, Und richtete das Haupt empor und wandte Die Augen jetzt auf Wirt und Wirts Verwandte. |
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134 | Dann sprach er, und mit etwas sanftren Mienen Und nicht mehr ganz so finstrem Angesicht Fragt' er den Wirt nebst Vettern, wer von ihnen Ein Weib zur Seite hab' und welche nicht. Der Wirt und alle Vettern drauf: zu dienen, Sie hätten eins, so lautet' ihr Bericht. Was jeder denn (so fragt' er sie aufs neue) Von seinem Weibe halt' im Punkt der Treue. 125 |
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135 | Und jeder (nur der Wirt nicht) sprach, er meine, Sein Weib sei keusch und allen Lastern feind. Der Wirt versetzte: »Jeder denkt das seine, Ich aber weiß, ihr irrt, wenn ihr das meint. Eu'r dummer Glaube kostet euch das eine, Daß ihr mir samt und sonders Gimpel scheint, Und auch dem gnäd'gen Herrn, soviel ich weiß, Wenn er nicht etwa schwarz ausgiebt für weiß. |
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136 | »Denn wie's nur einen Phönix geben kann, Nie mehr als einen auf der ganzen Erde, So sagt man, geb' es auch nur einen Mann, Der nicht von seiner Frau betrogen werde. Ein jeder sieht sich für den einen an, Der dies Juwel besitzt an seinem Herde. Ist's möglich, daß ein jeder das erhält, Was doch nur einmal da ist in der Welt? |
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137 | Gian Francesco Valerio, der Weiberfeind, war ein Freund Ariosts, der ihn im 46. Ges. Str. 16 als solchen vorführt. | »Einst war die Zeit, wo ich so dumm wie ihr Von mehr als einem Weib das beste dachte, Bis ein venezian'scher Cavalier, Den einst mein gutes Glück ins Haus mir brachte, Durch seine bündigen Exempel mir Den Wahn, worin ich lebte, deutlich machte. Valerio – Gian Franzesco – hieß der Mann, Den ich mein Lebtag nicht vergessen kann. 126 |
138 | »Die Kniff' und Pfiffe, so die Frauenzimmer Anwenden, hatt' er sämtlich an der Schnur, Und dazu wußt' er auch Geschichten immer, Aus Büchern oder die er selbst erfuhr. Und so bewies er mir, daß nie und nimmer Ein Weib gelebt hat, ehrbar von Natur, Und zählt man dennoch ein'ge zu den keuschen, So thut man's, weil sie schlauer sind im Täuschen. |
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139 | »Von allen den Geschichten groß und klein Ist kaum ein Drittel mir im Kopf geblieben, Indessen eine prägte so sich ein, Als hätt' er sie in Marmor eingeschrieben; Wer die vernimmt, wird meiner Meinung sein, Daß dies Geschlecht verrucht ist und durchtrieben. Wenn's nicht zuwider ist dem gnäd'gen Herrn, Erzähl' ich sie, den Frau'n zum Schimpfe, gern.« |
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140 | Der Saracen versetzt': »Ich wüßte nicht, Was mir zur Stunde mehr Vergnügen machte Als solch ein Beispiel oder ein Bericht, Der das bestätigt, was ich selber dachte. Setz' dich hieher und schau' mir ins Gesicht, Damit ich besser auf dein Reden achte.« Was aber Rodomont vom Wirt vernommen, Das wird im folgenden Gesange kommen. 127 |