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Rodomont und Mandricard schließen Waffenstillstand und brechen nach Paris auf (1–3). Roger befreit in der Festung der Mohren Bradamante's Zwillingsbruder Richard vom Feuertode (4–25). Abenteuer Richards und der spanischen Prinzeß Flordespin (26–71). Roger und Richard kehren bei Aldiger ein und hören von der Gefahr, in welcher Malagis und Vivian schweben (72–80). Rogers Entschluß dem König Agramant zu helfen; sein Brief an Bradamante (80–93). Ausritt der drei Ritter, um Malagis und Vivian zu befreien (94–97).
1 | O großer Widerstreit im Jugendsinne, Der Ungestüm der Lieb' und Ruhmbegier! Wer sagt, was stärker sei, Ruhm oder Minne? Stets schwankt die Herrschaft zwischen ihm und ihr. Wie Ehr' und Pflicht im Herzen Macht gewinne, Das sah man an den beiden Rittern hier; Denn unterbrochen ward der Kampf der Liebe, Damit ihr Heer nicht ohne Hilfe bliebe. |
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2 | Doch war die Liebe stärker; denn fürwahr, Wenn ihre Herrin nicht darauf bestände, Nie hätte sich getrennt das grimme Paar, Eh einer nicht ums Haupt den Lorber wände, Und lange hätte wohl die Mohrenschar Gewartet, eh sie Schutz bei diesen fände. Man sieht die Liebe, wenn auch ein Tyrann Und meistens schädlich, nützt doch dann und wann. 2 |
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3 | Jetzt zogen beide streitenden Parteien, Den ganzen Zwist verschiebend, gen Paris, Um dort die Afrikaner zu befreien. Mit ihnen ritt die schöne Doraliß. Der Zwerg desgleichen folgte jenen dreien, Der Rodomonten erst die Wege wies Und nach dem Ort ihn zu geleiten wußte, Wo sein Rival ihm Rede stehen mußte. |
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4 | Sie kamen an ein Feld, wo sich im Schatten Vier Ritter baß ergetzten, deren zwei Den Helm noch auf, zwei ihn gelüftet hatten, Und eine schöne Dame war dabei. Von diesen werd' ich bald Bericht erstatten, Nicht jetzt, denn Roger kömmt erst an die Reih, Der gute Roger, dessen ich gedachte, Wie er den Schild verbarg im Brunnenschachte. |
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5 | Noch ist er von dem Brunnen keine Stunde, Als Roger einen Mann zu Roß erblickt; Der Boten einer war's, die in die Runde Der Sohn Trojans nach seinen Rittern schickt. Der Reiter hinterbringt auch ihm die Kunde, Wie Karl das Mohrenheer so eng umstrickt, Daß, wenn nicht bald ein Retter ihm erstehe, Ehr' oder Leben bald verloren gehe. 3 |
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6 | In Rogers Brust begannen mancherlei Gedanken heftig hin und her zu streiten, Jedoch zu prüfen, was das beste sei, Gebrach die Zeit; er ließ den Boten reiten Und ließ sich weiter nach der nahebei Gelegnen Burg von jenem Mädchen leiten, Die immer wieder trieb zu größrer Hast Und keine Paus' ihm gönnt' und keine Rast. |
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7 | Schon sank die Sonn', als er auf seinem Ritte Vor eine Festung kam, die dem Marsil, Dem König Spaniens, in Frankreichs Mitte Während des Krieges in die Hände fiel. Am Thore hemmt' er nicht des Rosses Schritte, Man ließ ihn reiten, wie es ihm gefiel, Obwohl am Graben und am Gatter Scharen Volks und Bewaffneter versammelt waren. |
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8 | Denn weil das Volk das junge Mädchen kannte, Das mit dem Jüngling kam als Führerin, Ließ man ihn durch, als er ins Thor sich wandte, Und fragte nicht woher und nicht wohin. Er kam zum Markte, wo ein Feuer brannte, Und rings umher stand Volk von hartem Sinn, Und in der Mitte stand mit bleichen Wangen Der Jüngling, wider den der Spruch ergangen. 4 |
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9 | Als Roger nun des Jünglings Züge sah, Die traurig und getrübt von Thränen schienen, Da meint' er, Bradamante stehe da, So große Aehnlichkeit war zwischen ihnen. Die Täuschung stieg, als er genau und nah Hinblickt' auf die Gestalt und Mienen. Er sprach bei sich: »Ist dies nicht Bradamante, So bin ich der nicht, den man Roger nannte. |
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10 | »Sie hat vielleicht in kühner Kampfbegier Zu rasch versucht dem Knaben beizustehen, Und weil es übel ablief, hat man ihr Die Fesseln angelegt, wie wir's nun sehen. O warum solche Hast, anstatt mit mir Gemeinsam an das Rettungswerk zu gehen! Doch preis' ich Gott, daß ich zu rechter Frist Gekommen bin, wo Hilfe möglich ist.« |
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11 | Und ohne Säumen zückt der Held das Schwert (Denn seine Lanze war vorhin zerbrochen) Und jagt ins waffenlose Volk sein Pferd, Das Brust und Bauch vordrängt, vom Sporn gestochen. Die blanke Klinge fliegt im Kreis' und fährt Durch Schädel und durch Häls' und Backenknochen. Schreiend entflieht das Volk; manch armer Tropf Bleibt lahm am Platz und mit zerschlagnem Kopf. 5 |
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12 | Wie Vögel, wenn sie arglos und gelassen Zum Schmause nach dem sumpf'gen Ufer ziehn Und plötzlich stößt der Falk in ihre Massen Und fängt sich einen und ermordet ihn, – Der Schwarm zerstiebt, das Opfer wird verlassen, Und jeder sorgt nur selber zu entfliehn, – So stob das Volk, das auf dem Markt sich drängte, Als unter sie der gute Roger sprengte. |
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13 | Er schneidet sechsen glatt den Kopf vom Kragen, Was ihnen denn die Müh des Laufens spart. Sechs andre spaltet er bis an den Magen, Unzähl'ge bis zur Nas' und bis zum Bart. Er traf auf keinen Helm, das muß ich sagen, Wohl aber Mützen, gut mit Stahl verwahrt; Doch würd' auch feinster Helm sie schwerlich schützen; Er hätt' auch den zerhauen wie die Mützen. |
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14 | Der »große Teufel« hieß eins von den Geschützen des Herzogs von Ferrara, zu dessen Specialitäten die Artillerie gehörte. | Die Stärke Rogers glich nicht etwa der, Wie sie noch heut bei Rittern ist vorhanden, Noch auch der Stärke, die ein Leu, ein Bär, Das stärkste Thier besitzt in wilden Landen; Vielleicht Erdbeben ist so stark wie er, Vielleicht der große Teufel, – wohlverstanden, Der meines Herrn, der mit dem Feuer geht, Dem nichts zu Land und Wasser widersteht. 6 |
15 | Wie Bojardo erzählt, hatte die Fee Fallerina das Schwert Balisarde eigens, um Roland zu tödten, angefertigt, da ihr geweissagt war, daß der unverwundbare in ihr Reich Orgagna kommen und ihr Schloß und Garten zerstören werde. Das Schwert hatte die Eigenschaft auch hiebfeste Waffen und Glieder zu durchschlagen, aber Rolands Tapferkeit überwand gleichwohl den Kämpen der Fee, zerstörte das Schloß und eroberte Balisarde, die ihm hernach vom Brunel entwandt wurde. | Bei jedem Streiche, wenn ich wenig sage, Fiel einer um, und meistens fielen zwei, Und vier und fünf sogar bei manchem Schlage. Im Umsehn war's mit hundert Mann vorbei. Das Schwert, das Roger trug an diesem Tage, Zerschnitt den harten Stahl wie weichen Brei; Von Falerina war's geschmiedet worden, Dies fürchterliche Schwert, Roland zu morden. |
16 | Daß sie es that, bekam der Fee nicht gut; Sie mußte sehn, wie er ihr Schloß verherte. Wie mußt' es jetzt hergehn mit Mord und Blut, Nun solch ein Krieger focht mit solchem Schwerte! Wenn Roger jemals Stärke hatt' und Wut, Wenn je sein Heldenfeuer sich bewährte, Jetzt hatt' er, braucht' er, zeigt' er alle drei, Wähnend, daß es für die Geliebte sei. |
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17 | So kämpft der Hase mit den großen Hunden, Wie Rogern widerstand der feige Troß. Groß war die Zahl, die schön den Tod gefunden, Zahllos die Schar, die sich in Flucht ergoß. Das Mädchen hatt' indeß ihn losgebunden, Den Jüngling, dessen Händ' ein Strick umschloß, Und sich beeilt, so gut es anging, Waffen, Ein Schwert und einen Schild ihm zu verschaffen. 7 |
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18 | Der nun, zur Rache für erlittne Plagen, Hieb auf den Pöbel ein in heller Wut Und zeigt' im Handwerk sich so wohl beschlagen, Daß er mit Ruhm und Ehren sich belud. Schon war hinabgetaucht der goldne Wagen Des Sonnengotts in abendliche Flut. Als Roger sieggekrönt mit dem befreiten Jüngling sich anschickt aus der Burg zu reiten. |
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19 | Als sich der Knabe draußen vor der Pforte Mit Rogern sah und sicher vor Gefahr, Bracht' er mit seiner Art und klugem Worte Dank, grenzenlosen Dank dem Ritter dar, Der ihm an diesem mörderischen Orte, Ohn' ihn zu kennen, beigesprungen war, Und bat ihn, daß er sich ihm nennen wolle, Damit er wisse, wem er danken solle. |
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20 | Und Roger denkt: seh' ich das Antlitz schon, Das reizende, für das mein Herz entbrannte, So hört mein Ohr doch nicht den süßen Ton, Die sanfte Stimme meiner Bradamante, Und solche Danksagung ist nicht der Lohn, Den sonst sie ihrem Liebsten zuerkannte. Ist's aber Bradamante, wie geschah's, Daß meinen Namen sie so schnell vergaß? 8 |
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21 | Um klar zu sehn, sprach er mit seiner List: »Ich hab' euch schon gesehn in frühern Tagen Und weiß nicht mehr, wo es gewesen ist; Ich sinne hin und her und kann's nicht sagen. Sagt doch, wenn ihr's euch zu erinnern wißt, Und auch nach eurem Namen laßt mich fragen, Damit ich wisse, wen ich aus dem Feuer Gerettet hab' in diesem Abenteuer.« |
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22 | Der andre sprach: »Das konnte leicht geschehen, Daß ihr mich traft; nur fragt nicht wo und wann. Auch meine Art ist's, durch die Welt zu gehen, Wo ich auf Abenteuer rechnen kann. Vielleicht habt ihr die Schwester einst gesehen, Die sich in Harnisch kleidet wie ein Mann. Denn Zwilling' und so ähnlich sind wir beiden, Daß selbst die unsren uns nicht unterscheiden. |
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23 | »Der erste nicht, der vierte noch der achte Seid ihr, den das getäuscht hat, was sogar Vater und Brüder oft in Irrtum brachte Und sie, die uns an einem Tag gebar. Das einzige, was sonst uns kenntlich machte, War dies, daß ich das ungebundne Haar, Wie ihr es seht, nach Mannessitte kürzte, Sie aber lange Zöpf' ums Haupt sich schürzte. 9 |
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24 | Bei Ariost heißt der Zwillingsbruder Bradamante's Ricciardetto, s. v. w. »Klein Richard,« zum Unterschiede von einem älteren Bruder Namens Richard. Im Deutschen bietet sich keine bequeme Diminutivform des Namens, Ricciardetto klingt zu specifisch italienisch; ich habe daher den Jüngling Richard umgetauft, auf die Gefahr hin, daß er mit seinem Bruder verwechselt werde. | »Seitdem sie aber einstmals im Gefecht Am Kopf verwundet ward von einem Mohren, Schnitt ihr der Arzt, ein frommer Gottesknecht, Die Locken kurz bis an die halben Ohren, Und wäre nicht der Nam' und das Geschlecht, So wäre jeder Unterschied verloren. Sie nennt man Bradamante, Richard mich. Rinaldens Schwester sie, sein Bruder ich. |
25 | »Und, Herr, belästigt euch mein Plaudern nicht, So will ich euch ein Wunder anvertrauen, Das mir begegnet ist, weil mein Gesicht Dem ihren gleicht, – erst eitel Lust, dann Grauen.« Roger, den kein anmutiges Gedicht, Kein noch so art'ger Schwank mehr würd' erbauen Als etwas, was sein Herz erinnern kann An die Geliebte, bat, bis er begann. |
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26 | »Wißt, meine Schwester Bradamante war Vor ein'ger Zeit in diesem Waldgehege Bestürmt von einer Saracenenschar, Die ohne Helm sie antraf auf dem Wege. An jenem Tage schor der Mönch ihr Haar, Damit er ihre Wund' am Kopf verpflege, Die sie empfangen hatte von den Mohren, Und also ritt sie durch den Wald geschoren. 10 |
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27 | »Sie fand ein Brünnlein unter dichtem Laube, Und weil sie müde war und matt von Pein, Stieg sie vom Pferde, nahm die Eisenhaube Vom Kopfe, legt' ins Gras sich und schlief ein. Ein Abenteuer folgte nun, – ich glaube, Kein lustig Märchen kann so artig sein. In eben diesen Wald (es kurz zu sagen) Kam Flordespin von Spanien, um zu jagen. |
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28 | »Als sie die Schwester traf im Waldesdunkel, Bedeckt vom Harnisch, nur das Antlitz frei, Die einen Degen führte statt der Kunkel, So dachte sie, daß es ein Ritter sei. Sie schaut das Antlitz an, schaut das Gefunkel Der Rüstung und verliert ihr Herz dabei. Sie ladet sie zur Jagd und läßt die Rosse Tief in das Dickicht laufen, fern vom Trosse. |
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29 | »Als sie allein sind in dem stillen Grund, Wohin Gefolg' und Diener nicht gelangen, Enthüllen nach und nach Geberd' und Mund Ihr wundes Herz, durch das der Pfeil gegangen. Der Augen Blitz, der Seufzer Glut giebt kund Der Seele heißes zehrendes Verlangen; Ihr Antlitz lodert und erbleicht; zum Schluß Faßt sie sich Mut und nimmt sich einen Kuß. 11 |
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30 | »Nun hatte meine Schwester wohl erkannt, Die Dame sei im Irrtum ihretwegen, Und ihr zu helfen sei sie außer Stand, Und fühlte sich beklommen und verlegen. Sie dachte, besser ist's den Unverstand Und ungereimten Wahn zu widerlegen Und wie ein höflich Mädchen dazustehn Als einem groben Manne gleich zu sehn. |
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31 | »Sie hatte Recht; denn nur ein Tölpel triebe So weit den Frevel wider Ritterbrauch, Daß, wenn ein schönes Mädchen bei ihm bliebe, Süß wie die saft'ge Nectarfrucht am Strauch Er nur mit Worten ihr die Zeit vertriebe, Die Flügel hängen lassend wie ein Gauch. Sie lenkt' auf kluge Art die Plauderei, Bis sie verriet, daß sie ein Mädchen sei, |
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32 | »Das wie Camilla und Hippolyta Ruhm such' in Waffen, und daß sie geboren Sei an Arzilla's Strand in Afrika, Von früh gewöhnt an Lanze, Schild und Sporen. Obschon das Fräulein nun den Irrtum sah, Ging nicht ein Fünkchen ihrer Glut verloren. Das Mittel kam zu spät für diese Wunde, Zu tief saß Amors Pfeil im Herzensgrunde. 12 |
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33 | »Nicht minder lieblich dünkt ihr dies Gesicht, Nicht minder reizend Lächeln, Mund und Wangen; Nicht kehrt ihr Herz zurück, im holden Licht Geliebter Augen bleibt es gern gefangen. Wann sie den Harnisch anschaut, dann verspricht Der Anblick ihr, sie könn' ihr Ziel erlangen; Wann sie bedenkt, es ist ein Mädchen bloß, Dann schluchzt sie, und der Schmerz ist grenzenlos. |
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34 | »Wer an dem Tag ihr Klagen und Gewimmer Vernommen hätte, hätte mitgeklagt. Wo giebt es Foltern, rief sie, daß nicht grimmer Die Folter wär', die mir am Herzen nagt! Bei jeder andren Liebe, noch so schlimmer, Hätt' ich zu hoffen wenigstens gewagt, Würd' ich die Rose von den Dornen trennen: Mein Verlangen allein muß ziellos brennen. |
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35 | »Willst du mich foltern, Amor, bin ich dir Vielleicht zu lange frei und froh geblieben, So treib dein unbarmherzig Spiel mit mir, Wie du es sonst mit andern hast getrieben. Niemals, bei Menschen nicht noch beim Gethier, Sah ich ein Weib sich in ein Weib verlieben, Nie eine Frau an Frau'n Gefallen finden, Nie Geiß an Geißen oder Hind' an Hinden. 13 |
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36 | »Am Land, im Meer, in Lüften bin nur ich, Ich ganz allein das Opfer deines Hohnes; Zum äußersten Exempel machst du mich Der schrankenlosen Herrschaft deines Thrones. Des Ninus Gattin hat sich lästerlich Gelüsten lassen ihres eignen Sohnes, Myrrha des Vaters, Minos' Weib des Stieres, Doch mein Gelüst ist blinder noch als ihres. |
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37 | »Das Weib hatt' auf den Mann es abgesehn Und hofft' und fand ein Ziel, wie ich verstanden; Ein hölzern Kuhbild half Pasiphaë'n; Für andre Frau'n war andrer Rat vorhanden. Käm' aber Dädalus, mir beizustehn, An diesem Knoten würd' auch er zu Schanden; Ein allzu großer Meister zog die Schlinge, Natur, die stärker ist als alle Dinge. |
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38 | »So klagt und jammert und verzehrt sich schier Die Schön' und läßt sich nicht zur Ruhe sprechen. Sie schlägt ihr Antlitz, rauft des Hauptes Zier Und sucht sich selber an sich selbst zu rächen. Die Schwester ist gerührt und weint mit ihr, Als müss' auch ihr das Herz vor Kummer brechen, Und müht sich sie zu heilen von dem Wahn. Doch was sie thun mag, ist umsonst gethan. 14 |
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39 | »Jene, die Hilfe nur, nicht Trost begehrt, Beginnt nur lauter, heftiger zu weinen. Nur kurze Frist noch war dem Tag gewährt, Schon sah man tief die rote Sonne scheinen, Schon war die Zeit, wo heim zum Hafen fährt, Wer nicht zu schlafen wünscht in feuchten Hainen, Als die Prinzessin meine Schwester bat Ins Schloß zu kommen, das ihr eben saht. |
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40 | »Dem konnte sich die Schwester nicht entziehn. Und also kamen nach dem Platz die beiden, Wo ich, wenn eure Hilfe nicht erschien, Gebraten wär' von den verruchten Heiden. Da drinnen ließ die schöne Flordespin Der Schwester liebes anthun und sie kleiden In Frauenröck' und macht' es allen klar, Daß sie, die mit ihr kam, ein Mädchen war. |
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41 | »Denn weil sie einsah, daß der äußre Schein Der Männlichkeit ihr keinen Nutzen brachte, So sollt' er jetzt auch nicht ein Anlaß sein Zum Tadel wider sie und zum Verdachte. Auch meinte sie, daß, wie die Liebespein Am Trug des ersten Kleides sich entfachte, So nun dies andre, das die Wahrheit sage, Vielleicht das Übel aus dem Sinn ihr schlage. 15 |
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42 | »Dasselbe Lager hielt sie Nachts vereint, Doch ihre Ruhe war gar sehr verschieden. Die eine schläft, die andre seufzt und weint, Daß heißer nur ihr Blut beginnt zu sieden, Und wenn der Schlaf sie einzulullen scheint, So bringt der kurze Schlaf nur Traum statt Frieden; Ihr ist's, als ob mit besserem Geschlechte Der Himmel ihre Nachbarin bedächte. |
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43 | »Und wie der Kranke, der des Durstes Gluten Im Gaumen fühlt und so in Schlummer nickt, Im Fieberschlaf sich aller Wasserfluten Erinnert, die er jemals hat erblickt, So zeigt der Traum die Bilder alles guten Und holden ihr, was ihre Seel' erquickt. Dann wacht sie auf und streckt die Hand und findet, Daß alles nur ein Traum ist und verschwindet. |
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44 | »Wie viel Gelübde und wieviel Gebete Schickt sie zum Gott Macon in dieser Nacht, Daß er ein groß und kündig Wunder thäte, Das Wunder, das aus Mädchen Knaben macht. Doch fand sie, daß Macon ihr Flehn verschmähte; Man hat vielleicht im Himmel drob gelacht. Die Nacht vergeht und aus der Meereswelle Taucht Phöbus' blonde Stirn und bringt die Helle. 16 |
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45 | »Als aber nun die Zeit war aufzustehn, Da klagte heft'ger noch die kummervolle; Denn Bradamante sprach bereits von Gehn, Die gern erlöst sich sah von dieser Rolle. Das Fräulein hatt' ein Berberroß ersehn Und wollte, daß ihr Gast es nehmen solle, Mit goldnen Zäumen, und ein Festgewand, Das Flordespin gewebt mit eigner Hand, |
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46 | »Und ritt ein Weilchen mit, sie zu geleiten, Und kehrt' ins Schloß zurück betrübt und bang. Die Schwester trabte rasch und kam bei Zeiten Nach Montalban vor Sonnenuntergang. Die arme Mutter und wir Brüder weihten Ihr jubelnd einen festlichen Empfang; Denn weil wir lange nichts von ihr vernommen, Besorgten wir, sie wäre umgekommen. |
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47 | »Wir sahn, als sie den Helm vom Kopfe nahm, Daß sie gestutztes Haar trug wie ein Knabe; Auch fanden wir die Kleidung wundersam, In der sie prangte, Flordespinens Gabe; Und nun erzählte sie, wie alles kam, Genau wie ich es euch berichtet habe, Von ihrer Wund' und wie hernach ihr Haupt Der schönen langen Zöpfe ward beraubt, 17 |
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48 | »Und wie am Quell, als sie in Schlaf verfiel, Die schöne Jägerin dazu gekommen, Und wie ihr trüglich Aussehn der gefiel, Und wie das Fräulein dann sie mitgenommen. Auch von dem Schmerz der Dame sprach sie viel, Bis unsre Herzen recht von Mitleid glommen, Und wie sie bei ihr schlief und Abschied nahm Und was sie that, bis sie nach Hause kam. |
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49 | »Von Flordespin hatt' ich vorher schon Kunde; In Saragossa sah ich sie einmal Und fand Gefallen an dem schönen Munde, Den glatten Wangen und der Augen Strahl. Doch hielt ich frei das Herz von tiefrer Wunde, Denn lieben ohne Hoffen dünkt mich schal. Jetzt, angefacht von diesem Abenteuer, Schlug plötzlich wieder auf das alte Feuer. |
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50 | »Aus dieser Hoffnung flocht Amor die Schlingen, Da andres Garn zu Netzen ihm gebrach; So fing er mich und lehrte mich erringen, Was ich von jenem Fräulein mir versprach. Die List, so schien es, mußte mir gelingen, Denn wenn der Schein so viele schon bestach, Die Aehnlichkeit mit Bradamante's Zügen, So mocht' er leicht auch die Prinzeß betrügen. 18 |
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51 | »Thu' oder thu' ich's nicht? Was Freude mache, Dem nachzugehen, scheint mir gut und klug. Mit keinem Menschen sprach ich von der Sache, Geschweige, daß um Rat ich andre frug. Nachts ging ich heimlich hin, wo im Gemache Die Rüstung hing, die meine Schwester trug. Die nahm ich und ritt fort auf ihrem Pferde, Ohn' erst zu warten, bis es Morgen werde. |
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52 | Flordespin wird »Königin« genannt, altem Sprachgebrauch gemäß, welcher diesen Titel auf Königstöchter erstreckte wie den Titel Gräfin auf Grafentöchter. | »Nachts brech' ich auf, – Gott Amor fliegt voran, – Der schönen Flordespin mich vorzustellen, Und bin an Ort und Stell' eh das Gespann Des Sonnengotts verschwindet in den Wellen. Beglückt ist, wer am schnellsten laufen kann, Der Königin die Kunde zu bestellen; Denn jeder rechnet für so frohe Kunde Auf reichen Lohn und Dank aus ihrem Munde. |
53 | »Sie hielten mich, getäuscht durch jenen Trug, Der heut auch euch betrog, für Bradamante, Zumal ich ja dieselben Kleider trug Und auf dem Pferde saß, das jeder kannte. Die schöne Flordespin kam bald genug, Und wie sie jubelnd mir entgegen rannte, Mich herzend mit glückstrahlendem Gesicht, Da gab es größre Freud' auf Erden nicht. 19 |
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54 | »Die schönen Arme zogen mittlerweile Mich sanft ans Herz, mein Mund fühlt' ihren Kuß. Nun denkt euch selbst, wie da mit seinem Pfeile Amor mich traf: durchs Herz ging mir der Schuß. Sie nimmt mich bei der Hand und führt in Eile Mich in ihr Zimmer; denn sie selber muß Von Helm bis Sporn abschnallen meine Waffen; Kein andrer, sagt sie, hat dabei zu schaffen. |
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55 | »Dann läßt sie sich eins ihrer Kleider reichen, Ein kostbar Kleid, und reicht es selbst mir dar Und zieht mich an, als wär' ich ihres gleichen, Und bindet in ein goldnes Netz mein Haar. Ich schaue sittsam drein, und alle Zeichen, Daß ich kein Weib sei, meid' ich ganz und gar; Die Stimme, die vielleicht mich kenntlich machte, Gebraucht' ich so, daß niemand arges dachte. |
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56 | »In einen großen Saal ging ich mit ihr, Voll Ritter und voll Frau'n, und als wir kamen, Erwies man solche Ehren ihr und mir Wie Königinnen und erlauchten Damen. Oft mußt' ich lachen, wenn die Ritter hier Mit gar verliebtem Blick aufs Korn mich nahmen, Nicht ahnend, welcher rüstige und kecke Gesell in diesen Mädchenkleidern stecke. 20 |
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57 | »Die Nacht war vorgerückt, man war im Saal Ein Weilchen schon vom Tische aufgestanden, Vom Tisch, auf welchem wir ein köstlich Mahl Der Jahreszeit gemäß bereitet fanden: Da lud das Fräulein, eh ich nur einmal Die Ursach meines Kommens ihr gestanden, Sie lud mich ein, die Lieb' ihr anzuthun, An ihrer Seite diese Nacht zu ruhn. |
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58 | »Als Pagen, Kämmerling' und Zofenschar Entfernt sich hatten von der Kammerschwelle, – Wir beid' im Bette, der Gewänder bar, Und rings umher die Kerzen, tageshelle, – Begann ich: findet es nicht wunderbar, Daß ich zurückgekehrt mit solcher Schnelle, Da ihr doch glaubtet, wie ich denken kann, Ihr sähet mich erst wieder Gott weiß wann. |
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59 | »Erst sag' ich euch den Grund, der mich vertrieb; Hernach sollt ihr den Grund der Rückkehr hören. Hätt' ich erwarten dürfen, wenn ich blieb, Daß eure Schmerzen ihre Glut verlören, Ich wär' bereit gewesen, euch zu lieb, Auf Tod und Leben euch anzugehören; Doch weil ich sah, mein Bleiben schad' euch sehr, So ging ich lieber, – denn was konnt' ich mehr? 21 |
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60 | »Durch Zufall irrt' ich ab vom rechten Pfade, Bis ich im tiefsten Dickicht mich befand. Da hört' ich schrein, als fleh' ein Weib um Gnade, Und eilte hin, und siehe da, es stand An eines silberhellen Sees Gestade Ein Faun mit Rut' und Angel in der Hand; Der hatt' im See ein nacktes Weib geangelt, Und sie zu fressen hätt' er nicht ermangelt, |
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61 | »Hätt' ich gesäumt rasch auf ihn los zu traben Und flugs mein Schwert (denn andres nützte nicht) Dem bösen Fischer in die Brust zu graben. Sie springt ins Wasser augenblicks und spricht: Du sollst mich nicht umsonst gerettet haben. Dir reich zu lohnen mach' ich mir zur Pflicht, So viel du forderst; denn ich bin Najade Und wohne drunten im krystallnen Bade |
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62 | »Und habe Macht, die Wunder leicht gebiert, Natur und Elemente kann ich zwingen. Du fordre, was nur meine Kraft regiert, Und überlaß dann mir es zu vollbringen. Die Luft wird hart, des Feuers Glut gefriert, Vom Himmel steigt der Mond bei meinem Singen, Ein Wort, das meine Lipp' erschallen läßt, Bewegt die Erd' und hält die Sonne fest. 22 |
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63 | »Ich aber bat sie nicht um Hab' und Gut, Auch nicht um Kräfte, welche nie erschlaffen, Nicht um Gewalt und Herrschaft und Tribut, Noch um beständ'gen Ruhm für meine Waffen; Ich bat von ihr ein Mittel, um der Glut In eurem Herzen Kühlung zu verschaffen, Und ohn' ihr anzugeben was und wie, Verließ ich in dem Punkt mich ganz auf sie. |
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64 | »Kaum hab' ich meinen Wunsch ihr vorgetragen, Taucht sie zum andern Mal ins Wasser sich Und schleudert, ohne mir ein Wort zu sagen, Das zauberische Wasser gegen mich. Die Tropfen fühl' ich kaum ins Antlitz schlagen, So bin ich auch verwandelt, nicht mehr ich; Ich seh', ich fühl', als ob ein Traum mich banne, Daß ich aus einem Weibe ward zum Manne. |
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65 | »Ihr würdet dies nicht glauben, hättet ihr Nicht Mittel jeden Zweifel zu zerstreuen, Und euch zu dienen lebt noch die Begier Wie in dem andren Körper so im neuen. Befehlt ihr nur, sie wird für euch gleich hier Auf Posten ziehn und keinen Wachdienst scheuen. So sprach ich, und ich machte, daß die Hand Des Fräuleins selbst die klare Wahrheit fand. 23 |
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66 | »Wie einer, dem die Hoffnung ganz entschwunden Auf einen Schatz, nach dem er lang' gespäht, Je heißer er den Wunsch danach empfunden, Je mehr sich härmt und grollt und Trost verschmäht Und doch erschrickt, wenn er den Schatz gefunden, Betäubt, weil er so lang' in Sand gesät, Und schon durch die Verzweiflung so erstarrt ist, Daß er sich selbst nicht glaubt und wie vernarrt ist, |
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67 | »So ging es ihr: obwohl sie fühlte, schaute, Was sie ersehnte, glaubte Flordespin Der Hand nicht noch den Augen; sie mistraute Sich selbst und dacht' an Träume, die entfliehn. Beweise braucht' es, eh sie darauf baute, Sie fühle das, was sie zu fühlen schien. Gott gebe, (sprach sie,) wenn mich Träume necken, Mir ew'gen Schlaf und lasse nie mich wecken. |
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68 | »Nicht Trommeln schlugen, nicht Trompeten schallten, Als ich zum Liebeskampf mich nun entschloß; Nur Küsse gaben, wie's die Tauben halten, Das Zeichen Marsch und Halt und frisch zu Roß! Nicht Pfeil und Schleuder, andre Waffen galten, Und ohne Leiter schwang ich mich ins Schloß Und pflanzte bald die Fahn' auf im Castelle Und unterwarf die Feindin auf der Stelle. 24 |
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69 | »War Nachts zuvor das Bett in dieser Kammer Voll banger Seufzer und voll herber Pein, So barg es heute helles Glück statt Jammer, Entzücken, Lachen, süße Tändelein. Nicht fester windet mit biegsamer Klammer Sich der Acanthus um den Säulenstein, Als wir uns jetzt mit enggeschürzten Banden Hals, Arm' und Bein und Hüft' und Brust umwanden. |
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70 | »Die Sache blieb in tiefster Heimlichkeit, So daß monatelang das Glück uns lachte. Doch irgend jemand merkt' es mit der Zeit, Der leider es dem König hinterbrachte. Ihr, der von seinen Leuten mich befreit, Als man die Flammen schon für mich entfachte, Denkt euch das weitre, eh ich es gesagt, Und bitter weh thut's mir, Gott sei's geklagt.« |
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71 | Also erzählte Rogern sein Genoß Und kürzt' ihm so des nächt'gen Weges Länge. Inzwischen ging's bergan nach einem Schloß Inmitten tiefer Schlünd' und Felsenhänge. Der schwier'ge Schlüssel, der den Weg erschloß, War eine stein'ge Gasse, steil und enge, Und droben in der Felsburg Agrismont Saß Aldiger vom Hause Claramont, 25 |
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72 | Bovo ist ein Bruder Haimons, Malagis und Vivian sind also Vettern des jungen Richard. Daß der Bastard Aldigers ohne Umstände zur Familie gerechnet wird, entspricht den Sitten des 15. und 16. Jahrhunderts. | Ein Bastard Bovo's und von Vatersseite Bruder des Vivian und Malagis. Wer unter Gerhards ächte Söhn' ihn reihte, Schrieb Fabeln, die er sich aufbinden ließ. Wie dem auch sei, er war beherzt im Streite, Freigebig, klug, und höflich überdies, Und sorgte Tag und Nacht aufs allerbeste Für Hut und Schutz der brüderlichen Veste. |
73 | Den Vetter Richard hieß der wackre Degen Willkommen, wie es sich für Vettern paßt. Er liebt' ihn brüderlich, und seinetwegen Empfing er Roger als geehrten Gast. Doch trat er ihnen nicht so froh entgegen, Wie seine Art war; eine schwere Last Machte sein Antlitz ernst, sein Herz beklommen; Denn schlimme Zeitung hatt' er heut vernommen. |
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74 | Bertolag gehört zu dem Hause Mainz, ist also ein Erbfeind derer von Claramont. Lanfusa ist die Mutter Ferragu's. | Kaum hatt' ihm Richard seinen Gruß entboten, So sprach er: »Freund, dies ist kein guter Tag. Ich hab' erfahren heut durch sichre Boten, Daß der Bayonner Schurke Bertolag Der tückischen Lanfusa Gold geboten Und reiches Gut und daß sie durch Vertrag Ausliefrung unserer Brüder ihm verhieß, Des guten Vivian und Malagis. 26 |
75 | »Seit Ferragu die beiden nahm gefangen, Hielt jene sie im finstren Kerker fest, Bis jetzt, wo sie den Handel eingegangen Und schnöde sie dem Mainzer überläßt. Schon morgen soll er sie von ihr empfangen Zwischen Bayonne und ihrem Felsennest. Der Mainzer selbst kömmt hin mit Goldeshaufen, Um sich das beste Blut Frankreichs zu kaufen. |
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76 | »Wohl ließ ich im Galopp den Boten reiten Und schickt' an unseren Rinald Bericht; Jedoch der Weg ist weit; daß er bei Zeiten Am Platze sein kann, glaub' ich selber nicht. Mir fehlt's an Mannschaft, um im Feld zu streiten; Der Geist ist willig, doch die Kraft gebricht. Hat sie der Schurke, wird er sie erschlagen. Ich weiß nicht, was ich thun soll, was dir sagen.« |
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77 | Die Nachricht ging dem jungen Richard nah, Und Roger grämt' es, daß sich jener gräme, Und als er nun die andren schweigen sah, Wie wenn ihr Grübeln nicht zum Ziele käme, Sprach er entschlossen: »Ihr bleibt ruhig da, Erlaubt, daß ich den Handel übernehme. Mein Schwert genügt so gut wie tausend Klingen, Um eurer Brüder Freiheit zu erringen. 27 |
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78 | »Ich brauche nicht Fußvolk noch Reiterei; Allein getrau' ich mir dies auszuführen. Gesellet mir nur irgend jemand bei, Um nach dem Ort des Tausches mich zu führen. Laßt mich nur machen, und das Wehgeschrei Der Schachrer sollt ihr hier im Schlosse spüren.« So sagt' er, und nichts neues sagt' er da Dem einen Ritter, der ihn fechten sah. |
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79 | Nur flüchtiges Gehör lieh ihm der zweite Als einem, der viel spricht und wenig kann; Richard jedoch erzählt ihm schnell beiseite, Wie er durch Rogers Schwert dem Tod' entrann, Und größre Dinge noch zu thun im Streite, Als er gelobt, sei der der rechte Mann. Da hört' er besser zu als im Beginne Und ehrt' und hielt ihn hoch in seinem Sinne. |
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80 | Und als bei Tisch das Horn der Fülle floß, Bedient' er ihn, wie ihren Herrn Vasallen. Hier ward man bald auch einig und beschloß Ohn' andre Hilfe morgen auszufallen. Inzwischen kam der träge Schlaf und schloß Die Augen Herrn und Dienern, schloß sie allen, Nur Rogern nicht; ein ruheloser Kummer Nagt' ihm am Herzen und vertrieb den Schlummer. 28 |
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81 | Schwer drückt ihn, was vom Kampf am Seinestrande Der Bote Agramants ihm mitgetheilt. Er sieht entehrt sich vor dem ganzen Lande, Wenn er den seinen nicht zu helfen eilt. O welcher Schimpf bedroht ihn, welche Schande, Wenn er bei Feinden seines Herrn verweilt! Gewiß, daß man's Verrat und Feigheit hieße, Wenn er gerade jetzt sich taufen ließe. |
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82 | Zu andren Zeiten könnt' es glaublich scheinen, Daß er's in reinem Glaubenseifer that, Jetzt aber, wo der König mit den seinen In größter Not war und um Hilfe bat, Jetzt wird die ganze Welt viel eher meinen, Daß Furcht und Feigheit ihn erschüttert hat Als irgend Glaub' an eine bessre Lehre. So quälte Roger Sorg' um seine Ehre. |
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83 | Daß er hinweg soll, ohn' ein Wort zu sagen, Von seiner Königin, bekümmert ihn. So wechseln die Gedanken, die ihn plagen Und bald ihn hier und bald ihn dorthin ziehn. Die Hoffnung war ihm traurig fehlgeschlagen, Sie bald zu sehn im Schloß der Flordespin, Wohin die zwei, wie wir gesehen haben, Richard zu retten sich vereint begaben. 29 |
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84 | Dann fällt ihm ein, er sollt' um diese Stunde In Vallombrosa sein mit ihr vereint. Er sieht, wie sie ankömmt und nach dem Grunde Verwundert forscht, weshalb er nicht erscheint. Könnt' er nur Briefe schicken, irgend Kunde, Damit sie wenigstens nicht klagt und weint, Weil er, nachdem er ihr sein Wort gebrochen, Den Rücken wend', eh er sie nur gesprochen. |
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85 | Nachdem er hin und her gedacht voll Sorgen, Denkt er: ich schreib' ihr, welches Loos mir fällt! Zwar weiß er nicht, wer soll den Brief besorgen, So daß die Liebste richtig ihn erhält, Indeß er bleibt dabei: vielleicht daß morgen Sich jemand findet, der den Brief bestellt. Schnell springt er aus dem Bett und zaudert nicht Und heischt Papier und Feder, Dint' und Licht. |
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86 | Die aufmerksamen Kammerdiener eilen Und bringen, was er wünscht, in kurzer Frist. Er setzt sich hin, und in den ersten Zeilen Schickt er die Grüße, wie es üblich ist; Dann schreibt er weiter, um ihr mitzutheilen, Wie sein bedrängter Herr ihn schwer vermißt Und ohne seine Hilf' in wenig Tagen Gefangen sein wird oder todtgeschlagen. 30 |
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87 | Er fährt dann fort: da so die Sache stehe Und er des Königs letzte Zuversicht, So wär' es ew'ger Schimpf, wie sie wohl sehe, Wenn er sich weigern wollte solcher Pflicht. Und ihm, den sie erkoren hat zur Ehe, Gezieme selbst der kleinste Makel nicht, Weil nun und nimmer das, was häßlich lasse, Zu ihr, der lautern, fleckenlosen passe. |
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88 | Und hab' er je zuvor sich vorgesetzt, Nach einem Namen, hell und rein, zu streben, Und hab' er den erworbnen hoch geschätzt Und zu erhalten ihn gesucht fürs Leben, So thu' er es mit wahrem Geize jetzt; Denn diesen Namen soll' er ihr doch geben, Die als sein Weib mit ihm, wenn Gott es wolle, Ein Leib und eine Seele werden solle. |
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89 | Und was er mündlich ihr mit theurem Eid Geschworen habe, schwör' er noch und schreibe: Sobald er seinem Herrn die schuld'ge Zeit Im Krieg gedient hab' und am Leben bleibe, So werd' alsbald er Christ in Wirklichkeit, Wozu sein guter Will' ihn jetzt schon treibe, Und werb' um ihre Hand nicht minder bald Bei Haimon, ihrem Vater, und Rinald. 31 |
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90 | Ich will, (so schrieb er,) wenn es euch gefällt, Erst meinen Herrn aus seiner Not befreien, Damit der dumme Pöbel Frieden hält, Der sonst mich schmählich lästern würd' und schreien. Seht Roger, der sich stets zu uns gesellt, Wenn Agramants Geschäfte gut gedeihen! Kaum aber ändert sich des Glückes Lauf, Pflanzt er die Fahne bei den Siegern auf. |
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91 | Zwei Wochen Frist erbitt' ich oder drei, Um nur noch einmal dort mich sehn zu lassen Und das Quartier der Afrikaner frei Zu machen, das die Feinde jetzt umfassen. Dann such' ich einen Grund, der schicklich sei Und auch gerecht, die Heiden zu verlassen. Um meiner Ehre halb, dies gönnet mir, Und meines Lebens Rest behaltet ihr. |
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92 | In solchen Worten hatt' er sich ergossen, Die ich nicht alle wiederholen kann, Und viele andre schrieb er unverdrossen; Erst als der Bogen voll war, hielt er an. Er faltete den Brief, und wohlverschlossen Verbarg er ihn in seinem Busen dann, Hoffend, er finde wohl am nächsten Tage Jemand, der heimlich ihn zur Liebsten trage. 32 |
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93 | Als er den Brief geschlossen, schloß er auch Auf seinem Bette sanft die Augenlider; Bald kam der Schlaf und sprengt' aus seinem Strauch Die Lethetropfen auf die müden Glieder. Er ruhte, bis ein ros'ger Farbenhauch Sich auf die lachenden Gefilde nieder Ergoß im hellen Osten und hervor Der Morgen trat aus seinem goldnen Thor. |
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94 | Und kaum begannen nun im grünen Hain Den jungen Tag die Vögel anzusingen, Als Aldiger, der Führer wollte sein Und seine Gäst' an Ort und Stelle bringen, Wo sie die beiden Brüder zu befrein Versuchen wollten aus des Mainzers Schlingen, Aufstand zuerst, und auch die andren zwei, Als sie ihn hörten, kamen bald herbei. |
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95 | Nachdem sie sich mit Waffen wohl versehen, Brach Roger auf und nahm die Vettern mit. Vergebens war sein Bitten und sein Flehen, Daß man allein ihn lass' auf diesem Ritt; Begierig, jenen Brüdern beizustehen, Und weil die Ritterehr' es nimmer litt, Blieben sie felsenfest bei ihrem Nein Und ließen ihn um keinen Preis allein. 33 |
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96 | Der Platz, wo man um Waaren Malagis Vertauschen wollte, kam bald zu Gesichte, Ein weites Feld, das keinen Schutz verhieß, Wann Phöbus es bestrahlt mit seinem Lichte; Lorber und Myrte wachsen nicht im Kies, Auch die Cypresse nicht, noch Ulm' und Fichte, Nur niedriges Gestrüpp und wildes Kraut; Nie haben Karst und Pflug das Land bebaut. |
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97 | Die Ritter machen Halt, wo in die wilde Einöde sich ein schmaler Pfad verliert, Und einen Ritter sehn sie im Gefilde, Deß Rüstung reicher Schmuck von Golde ziert. Der Wundervogel prangt im grünen Schilde, Den ein Jahrhundert einmal nur gebiert. Nicht weiter, gnäd'ger Herr; mich dünkt, als wär' ich Am Ende des Gesangs, und Ruh begehr' ich. 34 |