Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Diese selbe Zeit, in der die großen Mondänen sich so frei bewegten, gebar auch die wirkliche »Demimondäne«. Der Name wird jetzt zum erstenmal geprägt für die großen Kokotten und Halbweltlerinnen, die Paris und die Luxusbadeorte der Welt mit ihrer auffallenden Eleganz und ihren Skandalaffären erfüllten. Sie erschienen mit hochrot gefärbten Haaren à la Phryne. Das Rot ihrer Wangen leuchtete aus dem allzu weiß gepuderten Gesicht wie Zinnober, ihre Augen waren allzu schwarz umrandet, und manche klebte sich künstliche lange Wimpern an und erschien so übertüncht auf der Promenade, wie man es heute nur noch von Filmschauspielerinnen auf der Leinwand sieht.
Außerdem gab es noch eine Zwischenstufe, die »Demi-Castor«, halb Weltdame, halb Halbweltlerin. Von der ersteren besaß sie die Prätentionen und Manieren, von der zweiten die freien Sitten, die Veranlagung zur Hetäre, die Berechnung und den völligen Mangel an Vorurteil. Diese Demi-Castors waren überall zu sehen. Sie besuchten die Opernbälle, die Redouten, besonders die berühmten, über alle Maßen ausgelassenen Redouten Arsène Houssayes. Überall, wo es elegante Lebemänner gab, da waren diese »Demi-Castors« auch. Sie halfen den Dandies ihre Vermögen aufzehren und waren oft größere Vampire als die wirklichen Hetären. Aber sie bewahrten sich stets ihre Verbindung mit der Gesellschaft, zu der sie entweder durch Geburt oder durch die Stellung ihrer Männer gehörten. Sie führten ein äußerst bewegtes Leben, wechselten ihre Geliebten wie ihre Kleider und waren unter der Pariser Lebewelt des Turfs und der Spielklubs ebenso bekannt wie die großen Kokotten. Nur besuchten die Männer sie ganz im geheimen. Der Schein nach außen wurde gewahrt. »Man könnte Bände schreiben über die von diesen Damen erfundenen intimen Gesellschaften«, berichtet ein Zeitgenosse. »Diese Damen waren mit einer außerordentlichen Phantasie ausgestattet. In irgendeiner entfernten Gegend besaßen sie einen ›Tour de Nesle‹, wo sich Szenen abspielten, die den Römerinnen der Dekadenz würdig gewesen wären. In der Kunst, das Begehren zu stimulieren und die sinnliche Liebe zu vervollkommnen, besaßen sie keine Rivalinnen.« – Diese Frauen waren, abgesehen von ihrer Zügellosigkeit, meist äußerst verführerisch und kokett, spirituell und raffiniert, aber auch kalt berechnend. Sie ahmten gern die freien Allüren der wirklichen Dirnen nach, sprachen den grassesten Jargon des Boulevards, wenn sie sich außerhalb der guten Gesellschaft befanden. In Spa, Baden-Baden, in Biarritz, in Plombières, Eaux-Bonnes, in den großen Luxusseebädern Dieppe und Trouville, die sehr in Mode waren, saßen sie, auffallend wie die Kokotten gekleidet, an den Spieltischen und vergeudeten die Vermögen ihrer Anbeter. Nach Uzanne waren diese Modebäder, »wo sich die eleganten Weltdamen, die Abenteuerinnen der goldenen Bohème und die Hochstaplerinnen Rendezvous gaben«, der Mittelpunkt eines grenzenlosen Luxus. Es wurde wahrhaft Sturm auf die Phantasie in der Kleidung und in der Ungeniertheit gelaufen: eine Furia von Extravaganz, namenloser Kapricen, Verschwendung und Luxus. Und alles nur fürs Auge. Man sah prächtige Toiletten aus Seidenbroché, Röcke aus gold- oder silberlamierter Faille, Jäckchen, sogenannte Casaquins, mit kostbaren Stickereien, extravagante Schals, arabische Burnusse mit Diamantagraffen, golddurchwirkte Tarlatane, Spitzen mit Fransen aus echtem Gold, ungerechnet die Juwelen, die Medaillons, die Broschen, die Anhänger, die Kolliers mit den kostbarsten Steinen und Perlen, die man sich nicht scheute, selbst in den geringsten öffentlichen Kasinos zu zeigen.
Die Löwin dieses Genres in den tiefsten Tiefen der Gesellschaft, die Königin der Demi-Castors oder »Cocodettes« und gleichzeitig die gefeiertste und verwöhnteste, galanteste unter den mondänen Liebespriesterinnen des Zweiten Kaiserreichs ist die berühmte und berüchtigte Païva. Sie war Russin von Geburt, lange Zeit die Geliebte des Pianisten Hertz, darauf die Mätresse des Herzogs von Guiche, späteren Herzogs von Grammont und noch einer ganzen Anzahl mehr oder weniger hoher Herren. Schließlich gelang es ihrer großen Liebeskunst und ihrer außerordentlichen Schönheit, den Marquis Païva, einen jungen Portugiesen, so rasend in sie verliebt zu machen, daß er sie heiratete. Viel Castel ist dermaßen gut über ihr Privatleben unterrichtet, daß man annehmen muß, er war auch einer ihrer Geliebten, zum mindesten einer ihrer vorübergehenden Besucher. Er schreibt über diese »Grande Cocodette« des Zweiten Kaiserreichs, die beinahe ebensoviel von sich reden machte als die Gräfin de Castiglione:
»Am Morgen nach der Hochzeit, beim Erwachen des frischgebackenen Gatten, hielt Madame de Païva ihm ungefähr folgende Rede: ›Sie haben mir Ihren Namen gegeben, und ich habe in dieser Nacht meine Schuld bezahlt. Ich habe die ehrenhafte Frau gespielt, denn ich wollte eine Stellung in der Gesellschaft, und ich habe sie bekommen. Sie aber, mein Herr, Sie haben nur eine Kokotte zur Frau. Sie können sie niemand vorstellen, Sie können niemand empfangen. Wir müssen uns also trennen. Kehren Sie zurück nach Portugal, ich – ich bleibe hier mit Ihrem Namen und mit meinem Beruf.‹ – Der junge Marquis, beschämt und verwirrt, folgte dem Rat und begrub in der Einsamkeit eines Schlosses in Portugal die Erinnerung an sein Abenteuer.
Die Ex-Hertz, gewordene Païva, konnte mit der Rente, die ihr der Gatte aussetzte, nicht das Leben ihrer Träume führen. Sie machte sich auf die Suche nach einem reichen und freigebigen Prinzen, den sie an ihren Fäden tanzen lassen konnte.
Diesem Fürsten – oder Grafen oder Herzog – begegnet sie auf der Reise und folgt ihm nach Konstantinopel, nach Petersburg, nach Neapel, nach Paris. Der Fürst fand sie beständig umgeben von Luxus, strahlend von einer fremdartigen, wollüstigen Schönheit, von einer Schönheit, die ein wenig hergerichtet anmutete, ein wenig bemalt, und sehr raffiniert. Die Païva schien sich gar nicht um den Fürsten zu kümmern. Aber eines schönen Tages war nicht mehr sie es, die dem ihr bestimmten Sterblichen folgte, sondern er war es, der ihr folgte.
Er war so schrecklich in sie verliebt, daß er zu ihr kam, nicht, um ihr seine Hand anzubieten – die Païva hätte damit nichts anzufangen gewußt – sondern das Zubehör. ›Ich habe drei Millionen Rente‹, sagte er zu ihr. ›Wollen Sie mit mir leben, so sollen sie uns gemeinsam gehören.‹ – Die Païva, die dreimalhunderttausend Franken zu seiner Eroberung aufgewendet hatte, akzeptierte, um ihre Vorschüsse zu decken.«
So der boshafte Viel Castel über die schöne und reiche Demimondäne, die mit ihrem Luxus und ihrer Verschwendung ganz Paris in Staunen versetzte. Sie besaß eins der schönsten und elegantesten Häuser in Paris. Ihre Diners waren erlesen. Ihr Salon war berühmt. Sie empfing viele bedeutende Künstler und Literaten, und ihre Unterhaltung wurde in allen Kreisen als sehr geistreich geschätzt. Sie war witzig und schlagfertig. Arsène Houssaye, der sie noch kannte, sagte einmal zu ihr: »Es ist die Liebe, die Ihnen das Französische beigebracht.« Worauf sie sehr schlagfertig erwiderte: »Nein, es ist das Französische, das mir die Liebe beigebracht hat.«
In den Champs-Élysées ließ sie sich vom Architekten Mangin ein Palais bauen, das noch heute den Fremden gezeigt wird. Es kostete ohne Einrichtung anderthalb Millionen Franken und das dazu notwendige Mobiliar ebensoviel. Wenn sie in Gesellschaft erschien, hatte sie Juwelen im Werte von zwei Millionen auf dem Körper, hauptsächlich Brillanten und Perlen. Ihre Liebhaber überschütteten sie mit Reichtum. Aber sie war auch nur für die Reichsten und Freigebigsten zu erreichen. Niemals schenkte sie sich einem Manne aus Laune oder aus Sinnlichkeit, oder weil er ihr gefiel. Immer spielte das Geld die größte Rolle. Und doch hatte sie stets schmachtende Anbeter um sich. Vielleicht gerade, weil sie ihren Besitz so teuer verkaufte und es ihren Liebhabern schwer machte, sie zu gewinnen. Einem ihrer Anbeter riß einmal die Geduld und er sagte es ihr geradeheraus, daß sie ihre Liebe nur für Geld verkaufe. Das störte sie gar nicht, sondern sie erwiderte, das sei richtig. Sie liebe das Geld und könne gar nicht genug davon bekommen, obwohl sie mehr habe als er selbst. Er war ein armer Aristokrat, der nur dreißigtausend Franken Jahresrente hatte. Für eine Païva ein Nichts. Dennoch suchte sie so viel Geld wie möglich aus ihm herauszupressen. Da er jedoch nichts besaß, konnte er sie nicht erobern. »Haben Sie zehntausend Franken?« fragte sie ihn eines Tages. »Nein.« – Darauf erwiderte sie: »Es ist gut, daß Sie das sagen, denn wenn Sie den Besitz von zehntausend Franken eingestanden hätten, so würde ich zwanzigtausend von Ihnen verlangt haben. Da Sie aber nicht einmal zehntausend haben – doch gut – bringen Sie mir das Geld, sobald Sie in der Lage sind. Wir werden es verbrennen, und ich werde Ihnen so lange angehören, als das Feuer der zehn Tausendfrankenscheine brennt.« Der Liebhaber entfernte sich, ohne noch etwas darauf zu erwidern. Einige Tage später erscheint der junge Kavalier wieder. Die Païva empfängt ihn in ihrem Boudoir auf einem Diwan liegend. Neben ihr steht ein marmorner Gueridon mit einem silbernen Leuchter, wie ein Opferaltar. Das Zimmer war ganz mit Wohlgerüchen durchtränkt. Sie selbst in einem sehr verführerischen Negligé. Das Tageslicht ist durch die seidenen Vorhänge abgedämpft.
Der junge Mann hält in der Hand triumphierend zehn Tausendfrankenscheine und stürzt sich zu Füßen der angebeteten Frau. Die Païva nimmt die Scheine und legt sie rings um die brennende Kerze, so daß langsam einer nach dem anderen verbrennen muß. Dann erfüllt sie dem jungen Mann den lange gehegten Wunsch. Die Scheine sind verbrannt, spöttisch erhebt sich die Païva, um sich an der Verzweiflung des armen Liebhabers zu weiden, der ein ganzes Vermögen für einen kurzen Augenblick ihrer Gunst geopfert hat. Der aber lächelt noch spöttischer als sie; noch teuflischer ist sein Blick, und Triumph und Rache spiegeln sich in seinen Augen wider. »Mein liebes Kind,« sagt er, »du bist betrogen, nicht ich. Du bist auf den Leim gegangen. Die Scheine waren von meinem Freund so wunderbar photographiert, daß du dich hast täuschen lassen.« –
Es war aber wohl der einzige Betrug in punkto Geld, den sie sich von einem Manne gefallen lassen mußte. Im allgemeinen hatte sie Verehrer, die ihr Vermögen zur Verfügung stellten, wie jener junge deutsche Grandseigneur, der von der gräflichen Familie d'Osmont das schöne Schloß und Gut Pontchartrain für zwei Millionen kaufte und es der göttlichen Païva zum Geschenk machte. Sie war wohl eine der reichsten Halbweltlerinnen unter den »Demi-Castors« des Zweiten Kaiserreichs in Paris. Ihr Einkommen aus dem von ihr in Staatspapieren angelegten Vermögen betrug mehr als zwei Millionen Rente. »Der Alkoven der Païva«, bemerkt Viel Castel, »birgt Mysterien, die allein den Schlüssel geben könnten zu dieser Üppigkeit des Lasters.«
Eine andere sehr elegante Frau, die ihr Leben halb in der ganzen und halb in der halben Welt verbrachte, war die berühmte Madame Musard. Sie hat mehr als einmal die »Chronique scandaleuse« beschäftigt und ganz Paris begeistert mit dem Luxus ihrer vollendet schönen Pferde und Wagen. Auch sie war keine Französin von Geburt, sondern eine Südamerikanerin. Ihr Gatte, der bekannte Orchesterdirigent Musard, hatte sie »drüben« entdeckt und geheiratet. Sie kam mit ihm nach Paris und begann nicht lange danach ihre außergewöhnliche Karriere. Auf einer Reise nach Baden-Baden, das damals sehr in Mode war, begegnete ihr das Glück in Gestalt des Königs von Holland. Sie bestrickte ihn sofort mit ihrem Charme, ihrer Intelligenz, ihrem sicheren eleganten Auftreten und, er wußte ihr seine Liebe nicht besser zu beweisen, als daß er ihr ein dickes Paket südamerikanischer Minen-Aktien in die Hand drückte. Allerdings standen sie zu jener Zeit sehr unter Kurs, weil die südamerikanische Diamant-Mine in einen zweifelhaften Prozeß verwickelt war und eine ungewisse Zukunft vor sich hatte. Madame Musard fährt mit diesem kleinen Schatz nach Paris, findet nach manchen Schwierigkeiten einen Juristen, der es übernimmt, sich mit dem Prozeß zu befassen unter der Bedingung, mit seiner Klientin den Gewinn zu teilen, im Fall der Prozeß gewonnen wird. Und er wird gewonnen. Die königlichen Aktien steigen ins Phänomenale, und die glückliche Besitzerin dieser Wertpapiere wird mit einem Schlag eine ungeheuer reiche Frau. Sie richtet sich ein prächtiges Palais in der Avenue d'Jena ein, kauft ein Schloß in der Nähe von Le Havre, besitzt eine Loge in der Oper, führt ein Leben in Glanz und Verschwendung, empfängt ganz Paris bei sich und lebt äußerlich als absolute Dame von Welt. Besonders bekannt ist sie wegen ihrer ungemein luxuriösen und prächtigen Equipagen. Sie besitzt unter anderem einen Daumont, mit dem nur der Wagen der Kaiserin konkurrieren kann. Ihr Kutscher ist der berühmte, ganz englisch dressierte Charlie, der einst Lord Pembrocks in London diente, und den sie einer hohen Persönlichkeit des kaiserlichen Hofes ausgespannt hatte. Das Leben dieser eleganten und verschwenderischen Demi-Castor, die aus einfachen bürgerlichen Kreisen hervorging, glich einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Aber Glanz und Glück waren ihr nur vorübergehend vergönnt. Auf einer Jagd, deren sie viele auf ihrem Schlosse veranstaltete, umgeben von einer großen eleganten Jagdgesellschaft, traf sie das Mißgeschick. Durch die Unvorsichtigkeit eines Jägers erhielt sie die Ladung, die für das Wild bestimmt war, gerade ins Gesicht. Noch jung, war sie für immer entstellt und mußte ihrem galanten und mondänen Leben entsagen. Sie zog sich ganz von der Welt zurück und lebte mitten in ihrem Reichtum, umgeben von ihren prachtvollen Kunstschätzen, von denen sie keinen Genuß mehr hatte, einsam, vergessen und unbekannt.
Und nicht nur das Leben dieser großen Demi-Castors war so bewegt, sondern die meisten der berühmten Kurtisanen jener Zeit konnten auf eine ähnliche Karriere zurückblicken. Besonders zwischen 1860 und 1870 wurden für diese Frauen in Frankreich Vermögen geopfert. Die Grisette und bescheidenere Halbweltlerin fand geringen Anklang bei den verwöhnten Klubleuten und reichen Industriellen. Die große Kokotte allein monopolisierte allen Erfolg. Ihr flog aller Reichtum, aller Luxus und alle Verschwendung zu. Die elegante Demimondäne bildete eine Kaste für sich. Diese Mädchen führten oft ein glänzenderes Leben als manche der bekanntesten Damen der vornehmen Welt, nur mit dem Unterschied, daß sie mit der Frau der Gesellschaft, außer in den eleganten Badeorten und Spielhöllen, nie in Berührung kamen, sondern überall von der wirklichen großen Welt ausgeschlossen waren. Ganz anders als unter dem Direktorium, wo die Hetäre Seite an Seite mit der Eleganten der Gesellschaft auf öffentlichen Bällen tanzte. Die »Grande Cocotte« des Zweiten Kaiserreichs lebte in ihrem Kreis, nur die Männerwelt ihrer Umgebung gehörte den hohen und höchsten Ständen an.
Das Interieur einer berühmten galanten Frau war immer ausgesucht luxuriös, auf großem Fuße aufgestellt. »Alles darin war«, sagt Zed in seinem »Le Demi Monde sous le Second Empire«, »üppig, verschwenderisch, im Überfluß, und gleichzeitig herrschten in den intimsten Einzelheiten und Kleinigkeiten ein Raffinement, eine Koketterie, eine sybaritische Eleganz, die über alle Begriffe gingen. Alles schien nur im Hinblick auf den Mann arrangiert und vorbereitet zu sein, und zwar auf den vornehmen, über alle Maßen genießerischen Mann, der hier seine Besuche abstattete. Die Teekleider, die eleganten Deshabillés, die frischen, schneeweißen Dessous, das Gewirr von Spitzen, Seide und Batist, der Luxus der Unterwäsche und allen Zubehörs konnte einem vor Wonne erschauern lassen.
Dieser ganze Apparat des Reizvollen, diese köstliche Würze und kokette Zutat, heute längst vulgarisiert, war zu jener Zeit Alleingut dieser Mädchen. Sie hatten sie erfunden und trieben sie bis zum höchsten Grade der Vollendung. Sie behandelten diese Dinge mit einer Kunst, einer Wissenschaft, einer wundervollen ›mise en scène‹ und waren dadurch nur um so begehrenswerter, um so charmanter, wie es die Frauen der Gesellschaft, selbst die raffiniertesten und kokettesten nicht im entferntesten mit ihren Reizen vermochten.«
Alle großen Hetären von Ruf kleideten sich bei Worth, dem damaligen größten, geschicktesten und gesuchtesten Modeschneider, dem Arbiter der weiblichen Eleganz, dem despotischen, launenhaften Beherrscher des Anzugs der vornehmsten Weltdamen. Und merkwürdig, jene Außenseiter unter den eleganten Frauen bewiesen im allgemeinen in ihrer Kleidung eine Einfachheit des Geschmacks, eine vornehme Zurückhaltung, die ihnen, trotzdem sie den kostbaren Kleinigkeiten, den teuren Zutaten und Stoffen den größten Spielraum ließen, doch in der Gesamterscheinung ein äußerst vornehmes Aussehen und eine Haltung verliehen, so daß sich selbst die besten Menschenkenner über ihre soziale Stellung täuschen konnten. Ihre Equipagen waren prächtig, wundervoll gehalten, von einer Korrektheit, einem Schick, daß sie im Bois de Boulogne ohne Gefahr die Rivalität mit den Karossen der Herzoginnen und Gesandtenfrauen aushielten. Die meisten dieser Demimondänen besaßen gummibereifte Kupees oder Equipagen mit zwei Bedienten auf dem Kutscherbock, nach der Mode der Zeit. Sie wären um keinen Preis im Bois in einer einfachen Viktoria erschienen. Der große, offene, dunkelblaue Wagen mit roten Rädern der Hetäre Barucci, die gelbe Equipage mit den beiden tadellosen Halbblütern der Caroline Hassé, die etwas dunklere und doch nicht weniger schöne Kalesche der Adele Courtois, die Wagen der Constanze, der Lucile Mangin, der Esther Duparc, der Anna Delion, der Cora Pearl etc. waren äußerst elegant und »dernier cri«; sie wurden stets von den Herren des Turfs und der Pariser Gesellschaft bemerkt und schon von weitem erkannt.
Wie bereits erwähnt, waren die Kokotten des Zweiten Kaiserreichs äußerst vornehm in ihrem Auftreten nach außen hin. Sie hatten nie mehr als einen Gönner auf einmal. Er unterhielt sie auf großem Fuße und war reich genug, das Leben seiner Mätresse sicherzustellen. Eine Vereinigung von mehreren Liebhabern zum Syndikat, wo jeder seinen Teil zum Unterhalt beiträgt und dafür einen gleichen Anteil am ... Gewinn erhält, meint Zed, war jenen Frauen unbekannt. Hatten sie einmal den »seriösen Freund« gefunden – und das Angebot war groß –, so kamen diese Mädchen stolz und ohne Umschweife ihren Pflichten nach und dachten darüber hinaus nur daran, sich gut zu amüsieren. Amüsieren aber hieß sich nach Herzenslust ihren Kapricen überlassen, unter den jungen, eleganten Lebeleuten, die immer zur Hand, aber nicht so reich oder nicht so dumm waren, eine Mätresse auszuhalten, so viel Herzensfreunde zu suchen, wie sie wollten und sich tagsüber frei und offen mit ihnen in den verschiedensten Lokalen oder im eigenen Hause zu amüsieren. Das kostete diesen Herzensfreunden, die wegen ihrer schönen Augen geliebt wurden, durchschnittlich ungefähr 2000 Franken im Monat, während der Freund und Gönner das Zehnfache ausgab. Dafür gehörten den jungen Lebemännern alle Schäkereien, alle zärtlichen Blicke und alle Avancen dieser Damen. Man stritt sich gegenseitig um diese Herzensfreunde, behandelte sie wie Kameraden, vor denen man nichts zu verbergen, in deren Gesellschaft man sich keinen Zwang auferlegen brauchte. Bisweilen waren die Mädchen auch wahnsinnig in die jungen Freunde verliebt, schenkten ihnen alle ihre Gunst, gingen gelegentlich mit ihnen auf und davon und zogen sie fast immer dem Bourgeois und Hauptzahler vor, der gewöhnlich ungenannt und in ihren Kreisen unbekannt blieb. Er hatte seine bestimmten Stunden bei der Schönen, seine Rechte, die indes nie über die Türe des Schlafzimmers hinausgingen, und er war weder so elegant noch so geschickt, um mit diesen Rechten zu paradieren. Er hatte seine Bequemlichkeit, man war diskret, achtete ihn, und er besaß meist die geheime Genugtuung, daß er die Mätresse dieses oder jenes Grandseigneurs zur Freundin besäße – indes es gerade jener Grandseigneur war, der ihn mit seiner Schönen hinters Licht führte. Diese relative Treue bestand eben darin, daß die Mädchen ihn nicht mit einem Nebenbuhler seiner Art betrogen und ihm nicht Liebe für sein Geld gaben. Die Hetäre des Zweiten Kaiserreichs ist die Dirne par excellence. »Sie bleibt es selbst im Läuterungsfeuer einer wahren Liebe,« sagt Moreck, »einer nicht gespielten, uneigennützigen Leidenschaft, wie Alexandre Dumas fils sie in der ›Kameliendame‹ schildert, diesem Ideal der morbiden Schönheit ... die sich einmal in ihrem Bett unter den Zärtlichkeiten des zahlenden Liebhabers windet und, wenige Stunden darauf, unter den Küssen ihres Herzallerliebsten.«
Der Lebensstil der großen Hetären des Zweiten Kaiserreichs verschaffte ihnen bis zu einem gewissen Grade eine Freiheit und Unabhängigkeit, auf die sie ungeheuer viel Wert legten. Sie gestatteten in keiner Weise einem Mann, sich ihnen gegenüber ungebührlich zu benehmen. Mit der Miene von Herzoginnen wiesen sie denjenigen zurück, der es wagte, allzu vertraulich zu werden. Sie nahmen auch nicht den ersten besten Reichen, sondern wählten sehr sorgfältig unter denjenigen, die das Vergnügen hatten, sich für sie zu ruinieren. Von den vorübergehenden Herzensfreunden nahmen sie außer Soupers, Theaterbilletts, Parfüms niemals Geldgeschenke an – sie wären ihnen nicht groß genug gewesen. – Es wäre ihnen aber auch nie eingefallen, einen Mann nur infolge seines Reichtums für schick und vornehm zu halten und in ihm einen vollendeten Kavalier zu sehen, weil er viel Geld ausgab. Er mußte, wollte er auf das Prädikat eines Kavaliers Anspruch machen, Stil, mußte die Allüren eines wirklichen Gentleman haben und nachweisbar zu den vornehmen Kreisen gehören.
Wenn sie andererseits einen vornehmen Herrn fanden, der sich ihrer annahm und ihre Zukunft sicherstellte, »so geschah dies von seiner Seite aus fast nie aus Herzensliebe oder aus sinnlicher Leidenschaft«, schreibt Uzanne in seiner »Pariserin«. »Die Weltmänner, die ein dauerndes Verhältnis mit einer Kurtisane öffentlich zur Schau tragen, unterschreiben gewissermaßen einen Vertrag ohne Leidenschaft, laut dessen sie eine Geliebte nehmen, die für sie ein gut gehaltenes, korrekt geführtes Haus leitet, dessen Luxus ihnen Ehre machen soll, in das sie ihre Freunde und Klubgenossen mit ihren Geliebten einladen können, wo sie Baccarat spielen, sich Exzentrizitäten leisten und im kleinen Kreise nach Belieben grob, frei bis zur Betrunkenheit und unabhängig bis zur Roheit sein können.
Diese vornehmen Gentlemen fordern von der Frau, die sie sich halten (wie sie sich eine Jacht, einen Rennstall oder ein Jagdgut halten), alles, was zum guten Ruf ihres Vermögens und ihres Schicks beitragen kann, denn in dieser Gesellschaft beobachtet man sich und schätzt sich nach der Art seiner Lebensführung ein. Somit legen sie mehr Wert auf die Toiletten ihrer Freundin als auf deren Schönheit oder Jugend. Sie schätzen sie mehr, wenn sie stolz auf einem Rassepferd galoppiert, als wenn sie den Geist der Sophie Arnould besäße. Sie lieben sie ungemein wegen ihrer Verschwendungssucht, ihrer Launen, ihrer Oberflächlichkeit, nicht wegen ihrer Verständigkeit, ihrer Zuneigung oder ihres zärtlichen Beisammenseins. Sie verlangen von ihr weder Liebe noch Wollust, sondern die Besiegelung ihres Rufes als Lebemänner. Es liegt also in der Rolle dieser eleganten Phrynen, daß sie anspruchsvoll sind und das Geld, dessen Vergeudung ihre Hauptaufgabe ist, in Juwelen, Kleidern und Möbeln vertun. Je mehr Männer sie zugrunde gerichtet haben, für je gefährlicher und unersättlicher man sie hält, desto mehr Zulauf werden sie finden, denn ihre Berühmtheit wird in dem Maße der mondänen Bankrotte, die sie verursacht haben, zunehmen.«
Der Tag einer so verwöhnten Kokotte oder Lorette begann sehr spät, denn die Lebewelt machte den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage. Vor 4 oder 5 Uhr früh ging man kaum nach Hause. Dann schliefen die Damen bis in den Nachmittag hinein. Aber dann, von 2 Uhr an, begann für sie ein Dasein voll Unruhe, Abwechslung und allen möglichen Zerstreuungen. Die kurzen Stunden bis zum Abend genügten kaum, um mit aller Sorgfalt die elegante Abendtoilette anzulegen und in fröhlicher Gesellschaft oder mit dem Geliebten en titre in ein Kabarett, zum Souper oder in irgendein Ballokal zu fahren. Und sie kamen auch meist eine Stunde zu spät zum Rendezvous.
Die ersten Stunden des Nachmittags wurden zur Pflege des Körpers verwendet. Die elegante Demimondäne empfing, wie die Dame der großen Welt, die Friseuse, den Friseur, die Manikure, die Weißnäherin, Schneiderin und Modistin, bestellte bei jener einige entzückende Dessous, bei dieser ein neues Kleid, einen Hut, einen Schal etc., unterhandelte mit dem Juwelenhändler über ein Schmuckstück, das ein freigebiger Liebhaber verehren wollte oder sollte. Das alles nahm viel Zeit in Anspruch, und vor 4 Uhr war die elegante Halbweltlerin nicht bereit, fabelhaft angezogen und mit raffinierter Kunst geschminkt und gepudert, ihren Wagen zu besteigen, um, je nach der Jahreszeit, entweder ins Bois oder auf die großen Boulevards in die Stadt zu fahren. Beim Berühren des Boulevard des Italiens wurde bisweilen auch in der »Librairie Nouvelle« halt gemacht, um mit bekannten Dichtern über die neuesten Romane zu sprechen, denn diese »unvergleichlichen Evastöchter«, wie sie Zed nennt, verschmähten in ihren Mußestunden weder die Literatur noch die Literaten. Ihre zahlreichen galanten Abenteuer ließen ihnen nur nicht viel Zeit übrig, um sich mit Kunst und Literatur zu beschäftigen. Es wird wohl mehr wegen der Literaten geschehen sein, daß sie sich in die Buchläden begaben. Der Abend der Damen war nicht weniger ausgefüllt wie der Nachmittag. Er begann im allgemeinen in irgendeinem Boulevard-Theater und endete in einem Chambre-Séparée des berühmten Café Anglais. Manche der eleganten Halbweltlerinnen besaßen eine Loge im Théatre Français oder in der Oper. Hier erschienen sie stets in großer Toilette und mit wundervollem Schmuck, meist in Begleitung einer Freundin. Aber zum Unterschied von den Hetären des 18. Jahrhunderts benahmen sie sich in der Oper äußerst taktvoll und ohne Aufsehen. Ihr äußerliches Auftreten war das wirklicher Damen der Gesellschaft. Wie diese empfingen auch sie in ihrer Loge ihre Freunde und Verehrer, ließen sich wie Herzoginnen und Marquisen die Hand küssen und unterhielten sich mit den Kavalieren, als wären sie nichts anderes gewöhnt als die Konversation eines vornehmen Salons. Zweideutigkeiten und freies Wesen ließen sie zu Hause. In den großen Theatern waren sie ganz Weltdame. Und die Männer benahmen sich ihnen gegenüber als vollendete Kavaliere.
Anders wieder war es, wenn sie die kleinen Boulevardtheater in lustiger Gesellschaft besuchten. Hier war die große Toilette und die Etikette nicht am Platze. Zu mehreren saßen sie dann mit ihren jungen Freunden in den Proszeniumslogen und überließen sich ganz der Freude, sich gut zu unterhalten. Bisweilen ging es in diesen Logen recht lebhaft, laut, ungeniert und ausgelassen zu, ohne daß das Publikum sich darüber entrüstete. Im Gegenteil, man war so an den Übermut gewisser berühmter und berüchtigter Lebemänner vom Turf oder aus den Klubs gewöhnt, daß man sich über diese Ausgelassenheit amüsierte, ja sogar bis zu einem gewissen Grade daran teilnahm und manche der übermütigen Ausschreitungen beklatschte. Nach dem Theater und der Oper begaben sich die fashionablen Paare meist nach dem Café Anglais, dem vornehmsten Pariser Restaurant seiner Zeit, das auch der König von England und viele andere regierende Fürstlichkeiten mit ihrer Gegenwart beehrten. Dort stand ihnen ein großes Zimmer, eine Art Chambre-Séparée zur Verfügung, das unter dem Namen »Die große 16« bekannt war. Hier soupierte mancher hohe Herr, manches vornehme Mitglied des Jockeiklubs in Gesellschaft jener reizenden galanten Frauen, die es verstanden, mit Grazie, Eleganz und Esprit Feste zu feiern. Und die Gents der Jeunesse dorée erschienen einer nach dem anderen, entweder in Begleitung oder einzeln, je nachdem, wie ihnen das Glück der Venus auf der Straße oder des Baccarats am Spieltisch hold gewesen war. Hier waren sie ganz unter sich, ohne zu riskieren, auf Unbefugte oder triviale Fremde zu stoßen. Bis früh am Morgen ging hier das Leben, und der Bürger, der sich so spät noch auf den Boulevard verirrte, warf neugierige und begehrliche Blicke nach den hellerleuchteten Fenstern der »Grande Seize« des Café Anglais. Erst in den letzten drei Jahren des Zweiten Kaiserreichs büßte die »Große 16« ihren Ruf als Lebelokal etwas ein.
Die größte Anziehungskraft übten auf die Demimondänen, wie überall und zu jeder Zeit, die öffentlichen Bälle aus, die es in Paris schon damals in großer Anzahl gab. »Mabile« und das »Chateau des Fleurs« in den Champs-Élysées waren die bekanntesten und elegantesten Tanzlokale. Dort traf man die schönen Demimondänen in den fabelhaftesten und extravagantesten Toiletten am Arme ihrer eleganten Kavaliere promenierend. Die wenigsten von ihnen tanzten, aber die es taten, verstanden es mit einer Kunst, die nur Berufstänzerinnen eigen ist. Sie tanzten den klassischen, geistreichen, lasziven Cancan, ohne daß er vulgär wirkte, wie später der Cancan der Goulu und der Grille d'Egout, jener berühmten Tänzerinnenkokotten um die Wende des 19./20. Jahrhunderts in Paris. Rigolboche war unter dem Zweiten Kaiserreich die berühmteste Cancantänzerin. Sie lebte auf großem Fuße, besaß unerhörte Brillanten und wählte sich ihre Geliebten aus den fashionabelsten Kreisen. Neben diesen öffentlichen Bällen veranstalteten die eleganteren Hetären in ihren Privatwohnungen Hausbälle. Es waren Feste, wo Anmut und Schönheit Triumphe feierten. Es wurde dabei ein Luxus entfaltet, der dem der reichsten Familien gleichkam. Man amüsierte sich glänzend. Eine der berühmtesten Halbweltdamen der Zeit, Cora Pearl, bot drei Winter hindurch ihren Freunden und Freundinnen die großartigsten Diners und Bälle, zu denen man nur in großer Abendtoilette und im Frack erschien. Andere Damen der Demimonde freilich arrangierten weniger distinguierte Gesellschaften, wo man weder eines Fracks, noch eines Abendkleides oder überhaupt eines Kleidungsstückes bedurfte. Cora Pearl gab ihren Freunden Soupers und ließ zum Nachtisch die auserlesensten Früchte servieren. Sie lagen in Schalen mit den herrlichsten Parmaveilchen. Für diese schönen Blumen allein, die sie aus Nizza kommen ließ, hatte sie 2000 Franken ausgegeben. Sie reiste immer nur mit ihrem eigenen Küchenchef und einem Troß Dienerschaft in die Modebäder, hauptsächlich nach Vichy und Baden-Baden, aber auch nach den englischen Seebädern. Meist wurde sie dann von einem ihrer Liebhaber begleitet. Das hinderte sie indes nicht, in den Badeorten neue Bekanntschaften zu machen. Vichy besonders war der Schauplatz ihrer Verschwendung. Obwohl sie Herzöge und Prinzen zu Freunden hatte und einer allein ihr eine Monatsrente von 25 000 Franken zur Verfügung stellte, kam sie nie aus. Oft hatte sie nicht einen Sou. Alles vergeudete sie in Gelagen und Festen. Sie hatte Unsummen zur Verfügung, aber das Geld zerrann ihr unter den Händen. Ein Aufenthalt in Baden-Baden kostete sie nie unter 200 000 Franken. Sie besaß die wundervollsten Rassepferde, die schönsten Wagen, die herrlichsten Diamanten. Die Männer überschütteten sie mit Geschenken. Der Herzog von Morny sah sie an einem Wintertag in Paris auf dem Eise. Sie war noch ein wenig Anfängerin sowohl auf dem Eise als auch auf dem Gebiete der Galanterie. Aber ihre schlanke, blonde, englische Schönheit – sie war Engländerin von Geburt – und ihre provozierende Keckheit gefielen ihm. Gleich nach seinem ersten Besuch schenkte er ihr einen weißen Vollblutaraber und richtete ihr nachher eins der schönsten Palais in der Nähe der Champs-Elysees ein. Er hatte es für 450 000 Franken einem verarmten Aristokraten abgekauft. Cora Pearl erfreute sich des schlechtesten Rufs unter allen Pariser Kurtisanen. Sie war die unabhängigste, freieste unter ihresgleichen. Nie hat ein Mann, und mochte er noch so reich und freigebig sein, sie zur Sklavin machen können. Sie war keinem treu und liebte keinen. Und doch traten Männer mit großem Namen für sie ein. In einem fashionablen englischen Seebad untersagte die Kurverwaltung ihr einmal den Aufenthalt im Spielsaal. Da war es niemand anders als der Herzog von Morny, der als öffentlicher Beschützer der Hetäre auftrat. Cora selbst erzählt diesen Vorfall in ihrer burschikosen Art mit beißendem Spott: »Ich kam mit meinem immensen Gefolge in X. an: einem ganzen Wagen voll Gepäck, sechs Pferden, einer Menge Personal. Zuerst hatte man mich für die Prinzessin Gargamelle (fingierter Name) gehalten. Ich fühlte mich durchaus nicht geschmeichelt. Ich begebe mich sofort in den Spielsaal. Ein Kommissar verbietet mir den Zutritt. Wie es schien, war ich der Gegenstand einer außergewöhnlichen Maßnahme. Ich frage, warum man mich so unerbittlich abweist und daran hindert, mein Geld ebensogut wie eine bescheidene Marquise zu verlieren. ›Auf Befehl der Königin,‹ antwortet man mir. Man ist in punkto Sitten streng in diesem Lande. Alle Männer sind äußerst nüchtern, alle Frauen, selbst die am wenigsten schönen, sind keusch. Den jungen Mädchen gestattet man von französischen Romanen nur die ›Aventures de Télémaques‹ ...
Um mich zu trösten, begebe ich mich zum Rennplatz. Dort treffe ich Dufour und Tangis (bekannte Lebemänner unter fingierten Namen der Zeit) und erzähle ihnen mein Mißgeschick. Sie wollen es mir nicht glauben. ›So kommt mit mir‹, sage ich zu ihnen, ›und überzeugt Euch selbst von einer neuen Beleidigung. Kommt, es gibt dabei etwas zu lachen!‹
Während wir noch plaudern, tritt ein Lakai an unseren Tisch und übergibt mir eine Karte: ›Beeile Dich mit Deinem Diner, ich biete Dir meinen Arm, um Dich in den Spielsaal zu führen. Morny.‹ – ›Seht Ihr!‹ triumphiere ich. – ›Eine entzückende Revanche und eines Grandseigneurs würdige Höflichkeit.‹ – ›Ja,‹ erwidere ich sehr gerührt, sehr stolz und sehr glücklich, ›ein echter Franzose!‹« Wie immer in den großen Modebädern hatte sie an diesem Abend an 15 Freunde zu Tisch. Man dinierte nicht lange, dann erschien die elegante, ungemein auffallende Hetäre am Arme des Herzogs im Spielsaal. Die sehr vornehmen Kurgäste, die zum Teil dem hohen französischen, englischen und russischen Adel angehörten, kamen aus dem Staunen nicht heraus. Morny, einer der vornehmsten Männer unter dem Zweiten Kaiserreich, behandelte die Demimondäne, als wäre sie eine Herzogin von edelstem Geblüt. Er war selbst bei der Königin gewesen und hatte für Cora Pearl die Erlaubnis zum Betreten des Spielsalons erbeten.
Als diese verschwenderische Kokotte in Armut ihre Memoiren schrieb, übersah sie noch einmal ihr Leben und schloß ihr Buch mit den Worten: »Es ist zu Ende – zu Ende mit meinen Erinnerungen.– Für andere beginnt das gleiche Leben oder es geht weiter. Es wird immer reizvolle, anziehende Geschöpfe geben, wie es auch stets Prinzen und Diplomaten, Nichtstuer und Kapitalisten, ehrenhafte Menschen und Schwindler gibt. Wenn ich mein Leben noch einmal zu beginnen hätte, würde ich mich wohl weniger verrückt benehmen. Ich wäre dann vielleicht geachteter, nicht etwa weil ich achtenswerter wäre, sondern weil ich mich weniger ungeschickt zeigte. Soll ich das Geschick bedauern, das mir bestimmt war? Ja, wenn ich meine Armut in Betracht ziehe. Nein, wenn ich bedenke, was mich ein geordnetes, ruhiges Leben gekostet hätte. Wenn die Goldstücke dazu da sind, zu rollen, die Diamanten zu glänzen, so kann man mir nicht vorwerfen, diese edlen Dinge ihrer Bestimmung entzogen zu haben. Ich habe mit den einen geglänzt und die anderen rollen lassen. Das war ganz in der Ordnung. Ich habe nur insofern gesündigt, als ich aus allzu großem Gerechtigkeitssinn Cäsar gab, was dem Cäsar gehörte, und meinen Gläubigern, was aufgehört hatte, mir zu gehören. Ehre und Gerechtigkeit sind befriedigt. Ich bin niemals jemandem untreu geworden, denn ich gehörte niemandem. Meine Unabhängigkeit war mein ganzes Glück. Nie habe ich ein anderes gekannt. Und es ist das einzige Band, das mich noch mit dem Leben verknüpft: Mir ist die Unabhängigkeit lieber als die kostbarsten Perlenkolliers, das heißt diejenigen, die man nicht verkaufen kann, weil sie einem nicht gehören.« So offen wie Cora Pearl waren allerdings wenige Halbweltlerinnen.
Die Wintersaison der großen Pariser Demimonde beendete gewöhnlich ein glänzender Maskenball im »Frères Provencaux«, wo auch die großen Feste der vornehmen Gesellschaft abgehalten wurden. Auch die Halbwelt wollte nicht nachstehen. Man war jedoch ganz unter sich: Nur berühmte, hyperelegante Lebemänner und die Elite der Grande Cocotterie wurde zugelassen. Alle waren maskiert. Die Frauen in wundervollen phantastischen Kostümen, die ihre Reize besonders betonten; die Herren in meist komischen Masken, oft äußerst künstlerisch erfunden, immer aber lustig und amüsant. Da man sich nur unter Leuten von Welt, unter Freunden befand, war alle Pose ausgeschlossen. Hier tanzte man einen wilden zügellosen Cancan, und mancher der jungen Dandies, der auf der Straße oder in einem Salon der oberen Zehntausend die Korrektheit selbst war, verstand es mit seiner Partnerin besser als ein Berufstänzer, diesen herausfordernden Tanz auf eine Weise und mit so großer Virtuosität und Laszivität zu tanzen, die alle Begriffe von ausschweifender Phantasie in den Schatten stellten.
Es gab indes auch Tanzvergnügungen der Halbwelt, wo es so anständig und comme il faut wie in einer Tanzstunde zuging. Ein- oder zweimal in der Woche begaben sich die Damen, wenn sie nicht anderweit engagiert waren, zu den beiden damals berühmten Tanzlehrern Cellarius oder Laborde. Der eine hatte seine Tanzschule in der Passage d'Opèra, der andere in der Nähe der großen Boulevards. Am Tage brachten sie jungen ehrbaren Mädchen, Frauen der Gesellschaft und ehrsamen Bürgern das Tanzen bei, an gewissen Abenden jedoch versammelte sich bei ihnen die elegante Demimonde, um die neuesten Schritte des Cancans und anderer Tänze zu lernen. In einem niedrigen Salon, der höchstens zwanzig Personen fassen konnte und mit einigen Spiegeln und Diwans an den Wänden ausgestattet war, fanden diese Tanzstunden mit beinahe bürgerlicher Aufmachung statt. Man tanzte dort etwa zwei Stunden, die Damen in Straßentoilette mit gesuchter Einfachheit. Es wurde sehr dezent, sehr korrekt und ohne Aufsehen getanzt, dafür aber um so mehr mit den jungen Offizieren, die in Zivil hinkamen, geflirtet. Manche Debütantin wagte hier ihren ersten Schritt in die Halbwelt, wie zum Beispiel die schöne Caroline Hassé. Sie erschien bei Laborde in sehr bescheidener Kleidung, beinahe ärmlich. Und dennoch fiel sie durch ihre wunderbare Schönheit und ihren Charme auf. Es dauerte auch nicht lange, und man sah sie im Bois in einer prächtigen gelben Equipage mit zwei tadellos gepflegten Dienern auf dem Bock. Das elegante Äußere Carolines ließ darauf schließen, daß es ihr äußerst gut ging und sie im Überfluß lebte. Sie hatte einen sehr reichen Gönner gefunden, der sie mit Diamanten und Banknoten überschüttete. Er hielt sie auch in der Folge auf sehr großem Fuße, und wo sie erschien, zog sie durch ihre unerhörte Eleganz und den Geschmack in der Kleidung ebenso sehr die Blicke aller auf sich, wie durch ihre eigenartige Schönheit. Und es war kein ephemerer Erfolg, wie der so vieler ihrer Kolleginnen, den sie zu verzeichnen hatte. Sie stieg von Stufe zu Stufe und machte ziemlich von sich reden. Ihr Appartement in der Rue Ponthieu, wo sie in demselben Hause lebte, das auch Cora Pearl bewohnte, war eins der elegantesten. Man feierte dort Feste und Gelage, die an Extravaganz, Verschwendung, Luxus, erlesenen Menüs und exquisitem Champagner nichts zu wünschen übrig ließen. Ihr Schlafzimmer war eine Sehenswürdigkeit. Um die Weiße ihrer Haut und ihre Körperformen, auf die sie mit Recht sehr stolz war, noch blendender erscheinen zu lassen, waren die Kissen und Decken des Bettes aus schwarzer Seide. Ebenso waren alle Möbel ihres Boudoirs überzogen. Es war das Heim einer echten Kurtisane. Alles war auf maßlose Genußsucht, schwelgerischen Luxus gestimmt. Manche dieser Hetären besaßen neben ihren schönen, eleganten Hotels auch noch irgendwo in Paris ein obskures Absteigequartier. In den luxuriösen Wohnungen empfingen sie nur den Gönner, der all diesen Reichtum bezahlte. In den kleinen Pied-à-terres hingegen trafen sie mit den zahlreichen anderen Männern zusammen, die der Zufall ihnen verschaffte. Die Baronin d'Ange zum Beispiel – natürlich ein Pseudonym – besaß in der Nähe des Bois de Boulogne ein prachtvolles Haus, wo sie täglich von sieben Uhr abends bis zum anderen Mittag in Gesellschaft ihres Freundes beinahe ein eheliches Leben führte, so daß er der Meinung war, sie sei ihm absolut treu. Aber sobald er das Haus verlassen hatte, bestieg sie ihren Wagen und begab sich nach einer kleinen Wohnung, die sie in einem Viertel der inneren Stadt gemietet hatte. Dort empfing sie, wie ein Arzt oder Notar, ihre zahlreichen Klienten; oft waren es arme Künstler, Studenten oder Offiziere, die sich für ihre Gunst mit einem Louisdor, einem Bild, einem Gedicht revanchierten.
Mit dem Sturze des Zweiten Kaiserreichs verschwanden auch diese letzten großen Hetären, die das Auftreten von Fürstinnen hatten, aus dem öffentlichen Leben. Zwar ging die Demimonde nicht unter, denn sie wird immer bestehen, aber sie wurde durch die neue Ära um die Jahrhundertwende in andere Bahnen gelenkt. Die große Welt beschäftigte sich nicht mehr so intensiv mit den Einzelheiten des Lebens einer nur verschwenderischen Kurtisane. Diese Frauen mußten außer ihrer Schönheit, ihrer Extravaganz, ihrer Abenteurerlust auch noch etwas anderes in die Waagschale zu werfen haben. Die Varietebühne, das Kabarett, das Überbrettl waren oft die Brücke zur Weltberühmtheit einer galanten Frau am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Der Lebemann ruinierte sich zwar genau noch so wie früher für eine verschwenderische und elegante Frau, aber es waren meist Sterne, wenn auch nicht immer die größten, am Theaterhimmel, für die der Mann eine Skandalaffäre oder den Zusammenbruch seines Vermögens riskierte.
Dennoch fehlte es, sagt Dühren, auch in der vornehmen Gesellschaft des Ausgangs des 19. Jahrhunderts nicht an jenen mysteriösen Wesen aus jener anderen Welt, die man die halbe nennt. Es gab gewisse elegante Damen, die eine vornehme Wohnung inne hatten, von ihren Revenuen lebten und doch weder ehrbare Bürgerfrauen, noch wirkliche Kokotten waren. »Es sind Damen, die ihre Unabhängigkeit und ihre Würde bewahren. Es ist nicht leicht, sich ihnen zu nähern. Sie wählen ihre Geliebten nicht nach der Livree ihrer Diener, sondern nach ihrem Geschmack. Diese Frauen aber bewahren ihre Freiheit. Sie verschmähen zwar weder Geschenke noch Geld, aber sie binden sich niemals. Sie geben oft Liebe für Liebe oder wenigstens Leidenschaft. Sie lieben die Vergnügen der verwöhnten, raffinierten Weltdame und würden jedem, der sich mit ihnen grobe Scherze erlaubte, die Türe weisen.« In diesen Halbweltlerinnen eines neuen Stils liegen bereits die Grundzüge unserer modernen Phrynes.