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Die Frauen der galanten Zeit

Die Königin der Eleganz

Ein Land reinster Schönheit von bezauberndstem Glanz steht vor uns, wenn wir an die Zeit des Rokoko denken. Ein sehnsuchtsvolles Gefühl bemächtigt sich unser, die wir in einer Zeit des Hastens, des Mechanismus und der Technik leben, nach jener glücklichen liebenswürdigen Epoche, die nur dem reinsten Lebensgenuß und der Grazie geweiht zu sein schien. Reizende tändelnde Frauen, elegante ritterliche Männer leben in diesem Paradiese ohne Sorgen, ohne Qualen, nur allein mit sich und ihren Herzens- oder Liebesangelegenheiten beschäftigt. Sie sind glücklich, wunschlos glücklich. Das Leben hat ihnen alles, was der Mensch begehrt, in den Schoß geworfen. Es ist wie in einem Märchenland! Wer die Kunst und Literaturerzeugnisse dieses Zeitalters betrachtet, muß unbedingt annehmen, daß das ersehnte Wunderland der Liebe der Alten, jene Insel, wo die Menschen nur der Liebe und dem Genüsse lebten, wirklich vorhanden gewesen ist. Nicht in unerreichbarer Ferne, sondern ganz nahe.

Die Menschen des 18. Jahrhunderts scheinen das Paradies auf die Erde verlegt zu haben. Jene galanten höflichen Kavaliere in ihren mit Diamanten, Federn, Samt, Seide und Gold geschmückten Kleidern, jene ätherischen liebeheischenden und liebeverheißenden Damen in mythologischen Kostümen, reizenden verführerischen Negligés und pikanten Deshabillés scheinen nur zur Liebe, zur Freude und Wollust geschaffen zu sein. Das Leben ist keine Last, keine Plage, keine Sorge. Es besteht nur aus graziösen Schäferspielen, anmutigen Tänzen, ländlichen Lustbarkeiten, glänzenden Bällen und galanten Abenteuern. Die Rokokomenschen wohnen in prächtigen Palästen mit koketten Boudoirs, sie ruhen in weichen seidenen Betten, wandeln auf blumigen sonnigen Wiesen oder auf schattigen, geheimnisvollen Wegen herrlicher Parke, kurz, sie haben nur eine Beschäftigung: zu lieben, zu genießen, zu leben und leben zu lassen!

4. Das Bad der Rokokodame.
Farbstich von N. F. Regnault nach P. A. Baudouin. Um 1775

So wenigstens erscheint uns das Leben im 18. Jahrhundert, wie es uns Kunst und Literatur übermitteln. Die Zeit ist versunken. Das Leid, das der bittere Ernst des wirklichen Lebens auch den damals lebenden Menschen nicht ersparte, ist vergessen. Nur die Erinnerung an das Schöne, Ideale, an das Typische jener galanten Zeit ist geblieben. Ein sehnsuchtsvoller Traum von Liebe, Glück, Grazie und Eleganz.

Ihrem tiefsten Wesen nach ist jene Zeit ein einziger Lobgesang von überwältigender Schönheit auf die Frau, eine Verherrlichung der Sinnenlust und des Liebesrausches, alles Galanten und zum Genüsse Reizenden, ausgehend von den leichtlebigen Sitten der französischen Könige und ihrer Höfe. Die typischste Vertreterin der eleganten und galanten Frau jener Epoche ist Madame de Pompadour. Ihr Name und das Rokoko sind zwei unzertrennliche Begriffe. Die lange Herrschaft dieser überaus klugen Kurtisane ist das goldene Zeitalter der Eleganz, der Mode, der Frivolität, der Leichtlebigkeit, aber schließlich auch der schönen Künste. Wie keine andere königliche Mätresse, ja wie nur wenige ihres Geschlechts, besaß die Pompadour einen wahrhaft feinen schöpferischen Geschmack, der mit einer überaus fruchtbaren Phantasie und einem mehr als mittelmäßigen Talent Hand in Hand ging. Ihre ganze Persönlichkeit trug den Stempel des Zierlichen der Zeit. Sie war das geborene Luxusgeschöpf, das keine Beschränkung der Mittel kannte. Und als sie die Geliebte des genußsüchtigen Königs wurde, als sie mit vollen Händen aus dem Staatsschatz und der Privatschatulle Ludwigs XV. schöpfen konnte, da legte sie ihrer größten Leidenschaft, der Verschwendung, keinerlei Schranken auf. Aber der Geist dieser eleganten Kurtisane war so schöpferisch, daß ihr Name sich für immer mit der Zeit verknüpfte.

Wer den literarischen Nachlaß des 18. Jahrhunderts durchblättert, ist erstaunt, immer wieder den Namen Pompadour im Zusammenhang mit irgendeinem Kunstwerk, irgendeinem Erzeugnis der Zeit zu finden. Heute noch bezeichnet man ein kleines Täschchen der Damen mit dem Namen der Favoritin Ludwigs XV. Sicher war an dieser Verhimmelung nicht zum kleinsten Teil jener unglaubliche Byzantinismus schuld, der sich darin gefiel, allem einen gewissen Glanz und größere Anziehungskraft durch den Namen der offiziellen Mätresse des Königs zu verleihen. Sicher sind auch die Pariser mehr geneigt als alle anderen Großstädter, alles was neu und Mode ist, zu ihrem Idol zu machen. Das konnte auch Casanova bei seinem ersten Pariser Aufenthalt beobachten, als er sich einem Freunde gegenüber wunderte, weshalb man einen Tabakladen förmlich belagerte und alle Leute ihren Tabak nur eben da kaufen wollten. Nicht etwa, weil dort der Tabak besser gewesen wäre als anderswo, sondern weil eine elegante Frau, die Herzogin von Chartres, diesen Laden in Mode gebracht hatte. Sie hatte ihren Wagen ein paarmal vor dem Laden halten lassen, um ihre Tabaksdose zu füllen. Das allein genügte, um alle Schnupf er mobil zu machen; und die Tabakhändlerin erwarb dadurch ein Vermögen. Aber die Idolatrie war nicht nur der Grund, daß alles, was die Pompadour erfand, in Mode kam. Diese Frau besaß die Gabe, die wir nicht nur bei hochstehenden oder besonders feingebildeten Damen finden, sondern oft gerade bei Mädchen und Frauen aus sehr einfachem Stande: nämlich ihre eigene Person mit ganz besonders gutem Geschmack zu kleiden und zu umgeben. Aus einem Nichts entsteht in ihren Händen ein Kunstwerk. Ein wenig Stoff, ein Band genügen, um daraus die entzückendste Schleife zu binden, die wiederum gerade da angebracht wird, wo sie am reizendsten wirkt. Man war bezaubert von dieser Zauberin des Geschmacks. Im Handumdrehen hatte jeder einzelne Gegenstand, den die Marquise erfand, den Namen »à la Pompadour«.

Sie war indes nicht die Sklavin der Mode, sondern ihre Königin. Die Kostüme und Kleidungsstücke dieser eleganten, extravaganten Frau waren nicht bloße Modelaunen. Sie besaßen wirklichen Kunstwert und waren Muster von wahrhafter Eleganz und feinem Geschmack. Jede Toilette, die sie trug, war ihre eigene Erfindung; sie überraschte nicht nur durch Pracht und Kostbarkeit, sondern vor allem durch die Art, wie sie sie zu tragen verstand und wie sie ihrer Individualität angepaßt war. Selten ließ sie sich von der Eitelkeit hinreißen, um jeden Preis durch ein Kleid wirken zu wollen, das zwar Mode war, aber sich nicht für ihre Person eignete. Immer war sie individuell, stets neu, stets erfinderisch. Sie zeigte sich dem König oder während ihrer berühmten Levers, zu denen alle Höflinge Zutritt hatten, in einem verführerischen Morgenanzug eigener Erfindung, der die Linien ihres reizenden Körpers vorteilhaft hervorhob, und die Welt besaß ein »Déshabillé à la Pompadour«. Diese Deshabillés gehörten im 18. Jahrhundert zu den beliebtesten Vermittlern der Erotik. Madame Pompadour und ihre eleganten Zeitgenossinnen legten darauf die größte Sorgfalt, denn sie wußten, daß eine Frau am verführerischsten im Negligé ist. Und wie raffiniert und pikant man diese Negligés zu gestalten verstand, geht aus den vielen Sittenschilderungen der Zeit über die Levers der vornehmen Frau, der Dame des Adels und der großen Kurtisanen hervor.

Die Toilette einer Frau des galanten Zeitalters nahm viele Stunden in Anspruch und verschlang einen guten Teil des Tages. Da man aber auch etwas von seinen Freunden haben wollte, lud man sie zum Lever ein, um in ihrer Gesellschaft diese langen Stunden vor dem Toilettentisch zu verkürzen. Außerdem hatte die elegante Frau dabei die beste Gelegenheit, alle ihre Reize ihren Bewunderern einzeln vorzuführen. Dieses Schauankleiden des 18. Jahrhunderts gehörte zum guten Ton sogar in dem viel prüderen England. Bei vielen einflußreichen Damen des Hofes und Mätressen, wie der Pompadour und mancher ihrer Vorgängerinnen, wurde während der Levers Politik gemacht. Es erschienen Minister, Staatsräte, hohe Diplomaten und die fremden Gesandten, oder man sprach über die neuesten Erscheinungen der Literatur und Kunst. Meist aber dienten die Stunden der Toilette dem galanten Liebesgetändel. Es entspannen sich pikante Flirts, und nicht immer wurde mit Blicken geflirtet. Koketterie und Leichtsinn, verliebte Laune und Sinnlichkeit verliehen, je nach Veranlagung der Frau oder ihrer Freunde, dem Lever einer Dame die gewünschte Note. Die Pompadour war eine der klügsten aber auch kokettesten Frauen ihrer Zeit. Sie verstand es nicht nur, während dieses Schauankleidens Ministern Ratschläge zu erteilen, hohe diplomatische Stellen zu vergeben, Lettres de cachets aus ihrem Boudoir zu senden, sondern ganz besonders verstand sie die Sinne des Königs und ihrer Bewunderer in diesen Augenblicken zu entflammen. Sie liebte es, ihre Levers recht lange auszudehnen, probierte dabei alle möglichen Negligés, Kleider, Galaroben, Schuhe, Pantöffelchen, Strümpfe und Strumpfbänder an. Jeder einzelne Reiz ihres Körpers mußte zur Geltung kommen. Sie war ein echtes Kind ihrer Zeit und liebte alles Schöne ihrer Person zur Schau zu stellen. Die Schultern, die Arme – sie hatte ganz wundervoll geformte Arme, die sogar Marie Leszczinska bemerkte – den Nacken, den entzückenden kleinen Fuß und die zartgebauten schlanken Beine. Der Puder verleiht ihrer Haut einen Marmorschimmer und nimmt ihr die warmen aufregenden Farben des Lebens. Sie sitzt wie ein ätherisches Wesen vor ihrer Frisiertoilette in eine Wolke von Duft und Spitzen gehüllt, um im nächsten Augenblick alles wieder von sich zu reißen und ihre Glieder in neue verführerische Stoffe zu hüllen, die zur Erhöhung ihrer Schönheit beitragen. Die Blicke der Männer ruhen bewundernd, die der wenigen anwesenden Damen neugierig auf dieser koketten Beherrscherin der Eleganz; jede Frau aber merkt sich genau alle Einzelheiten ihrer Kleidung und ihres Boudoirs. Es kam schließlich so weit, daß es bald keinen Gegenstand, kein Kleidungsstück, kein Möbel mehr gab, das nicht à la Pompadour gewesen wäre. Toilettengegenstände, Bänder, Fächer, Taschen, Kleider, Mäntel, Wagen, Tische, Betten, Schränke, Tafelgeschirr, ja sogar Zahnstocher trugen ihren Namen. Es war nicht »schick« nicht à la Pompadour gekleidet, nicht à la Pompadour eingerichtet zu sein, nicht à la Pompadour zu fahren, zu reiten, sich zu unterhalten und zu beschäftigen.

Man nahm sich ihren Salon, ihr Boudoir und ihr Schlafzimmer nicht nur in bezug auf die Einrichtung zum Muster. Auch den Ton, der darin herrschte, ahmte man nach. Den größten Wert legten ja die Damen des Rokoko auf die beiden intimsten Räume der Frau, das Schlafzimmer und das Ankleidezimmer. Zu jener Zeit, da die Ehe der höheren Klassen nur Relief, oft sogar nur reiner Schein, wo das ganze Leben der eleganten Frau auf Genuß, Flirt und Wollust gestimmt war, legte man natürlich die Schlafzimmer der Ehegatten möglichst weit auseinander, aber nicht etwa, um das Neue in der Ehe nie ersterben zu lassen, sondern um ungestörter seinen Abenteuern nachgehen zu können. Der Gatte, der verlangt hätte, etwa das Schlafgemach seiner Frau zu teilen, wäre ausgelacht worden. Auch zum Lever seiner Frau war er nicht zugegen. Erstens war er meist anderweitig engagiert und zweitens wäre seine Anwesenheit ja nur störend gewesen. Es lag durchaus nicht im Geschmack der Zeit, bürgerlich und ehrbar zu erscheinen, noch viel weniger aber es zu sein. Auch der Geliebte hatte nicht alle Rechte auf seine Mätresse. Die Damen liebten die Abwechslung. Der leichtsinnige und von den Frauen sehr begehrte Herzog von Lauzun mußte das mehr als einmal erfahren. Am tiefsten traf es ihn, als die wunderbar schöne Lady Barrymore, die eine Zeitlang am Hofe in Paris lebte, ihre Liebe und ihren Körper gleichzeitig ihm und dem jungen Herzog von Artois schenkte. Als Lauzun sich betrogen sah und sie zur Rede setzen wollte, erwiderte sie im echten Sinne des Rokoko: »Sie tun unrecht, Lauzun, mich aufzugeben. Sie gefallen mir. Sie sagen meinem Geschmack zu, ich liebe Sie sehr, aber meine Freiheit ist mir lieber als Sie. Ihnen opfere ich sie nicht. Ich dulde nicht, daß mein Geliebter ein eifersüchtiger, unbequemer, herrschsüchtiger und, in bezug auf meine Treue, eigensinniger Ehegatte ist ... Entzweien wir uns doch nicht um einer so geringfügigen Sache willen, Lauzun.« Und als er sie küßte, flüsterte sie: »Ich will keine Opfer bringen. Ich behalte den Grafen Artois und Sie.« Das war die Liebe der Frau des 18. Jahrhunderts.

Es ist selbstverständlich, daß diese Frauen ihre Schlafzimmer, in denen sie sich die meiste Zeit des Tages aufhielten, mit dem höchsten Raffinement und Luxus ausstatteten. Ihre meiste Sorgfalt galt dem Bett. Es beanspruchte den breitesten Raum im Zimmer und schien im wahren Sinne des Wortes ein Tempel der Liebe zu sein. Mit Curt Moreck zu sprechen war es »der esprit der Wollust, der in dem Boudoir der Dame des 18. Jahrhunderts aus leichtem Holzwerk und aus einem Schaum von Seide, Spitzen, Straußenfedern jene muschelartigen Pfühle der Liebe entstehen ließ, wie unter dem Zauberstabe einer Fee, der Spiegel in die Draperien des Hintergrundes und in den Plafond des Betthimmels einließ,« um die Schönheit der darin Ruhenden zu vervielfältigen. Der Maler der Zeit, der in seinen Bildern die Grazie der Frau im Bett am reizvollsten darzustellen verstanden hat, ist Fragonard. Seine Bilder haben uns überliefert, welche herrschende Rolle im Liebesleben des 18. Jahrhunderts dieser persönlichste aller Einrichtungsgegenstände spielte, und welch intimen Reiz selbst die Frauen der Bürgerkreise ihren Schlafzimmern zu verleihen wußten. Wie viel mehr mußte den großen Kurtisanen und den galanten Damen des Hofes und der hohen Gesellschaft daran liegen, ihre Boudoirs zu einem verführerischen Rahmen ihrer halb oder ganz entblößten Schönheit zu gestalten. Und Frau von Pompadour war auf diesem Gebiet Meisterin.

Zu ihrer großen Enttäuschung mußte sie indes bald die Erfahrung machen, daß trotz allem der König bereits nach einem Jahr gleichgültig wurde und sich körperlich nicht mehr sehr viel aus ihr machte. Es verbreitete sich bereits am Hofe das Gerücht, sie werde demnächst weggeschickt werden, der König langweile sich auch mit ihr. Sie zitterte bei dem Gedanken, daß sie ihre so mühsam errungene Stellung als »Maitresse en titre«, allen Glanz und Reichtum gleich im Anfangsstadium ihrer Karriere wieder aufgeben sollte. Sie schrieb ihrem Temperament die Schuld zu, denn sie war von Natur aus kalt. Fast mußte sie sich zu den Pflichten einer Geliebten, die sie weder aus Sinnlichkeit und Leidenschaft noch aus Liebe, sondern nur aus Ehrgeiz geworden war, zwingen. Am liebsten hätte sie es wie Maria Leszczinska gemacht: ihre Tür verriegelt, wenn der König nachts bei ihr anklopfte. Täglich sann sie auf alle möglichen Mittel, um ihre körperliche Veranlagung mehr der des Königs anzupassen. Die Sorge, sie könne ihn ganz verlieren, trieb sie dazu, Aphrodisiaka zu gebrauchen. Anfangs ließ sie sich nur ihre Speisen stark würzen. Zum ersten Frühstück trank sie einige Tassen stark ambrierte Vanillenschokolade. Zu Mittag aß sie scharf gewürzte Suppen und eine Menge Trüffeln. Schließlich aber nahm sie in ihrer Verzweiflung einen sogenannten »Liebestrank«, den ihr irgendein Quacksalber verschrieb. Alle diese Dinge sollten ihr das nötige Temperament verschaffen. Sie war eben auch in dieser Hinsicht ein echtes Kind ihrer Zeit und glaubte, wie alle Menschen des galanten Zeitalters, an solche Wunderkuren und Geheimmittel, die natürlich nur schädlich auf die Gesundheit wirkten. »Liebestränke« und »Liebespillen« einzunehmen war fast allgemeiner Brauch jener Genußmenschen, denn man war darauf bedacht, sich so lange wie möglich in fortwährendem erotischen Rausch zu erhalten. Äußerst beliebt waren die sehr gefährlichen aphrodisischen Gifte wie die Kanthariden, die man den Speisen beimischte oder als Drageen verzehrte. Da die elegante Frau und der Mann beständig auf Liebesabenteuer auswaren und immer etwas erleben mußten und sicher auch erlebten, aber eine von Natur aus frigide Frau nicht im geringsten geschätzt war, suchte man das Fehlende durch künstliche Mittel zu ersetzen.

Es ist natürlich, daß stimulierende Leckerbissen zu den beliebtesten Gerichten der Tafel des 18. Jahrhunderts gehörten: Austern, Fische, Krebse, Artischocken, Trüffeln, Schildkröten, scharf gewürzte Ragouts. In dieser Beziehung war der Tisch Ludwigs XIV. und XV. berühmt. Es wurden bis zu achtzig Gänge bei einem Mahl aufgetragen, die mit dem größten Raffinement der französischen Kochkunst zubereitet waren. Dazu gab es die auserlesensten Weine. Und doch glaubten diese Genußmenschen noch zu geheimen Mitteln ihre Zuflucht nehmen zu müssen, um ihre Sinne anzufachen. Liebestränke werden bereits im »Frauenzimmerlexikon« von 1715 erwähnt. Natürlich zogen die Erfinder und Lieferanten dieser »Elixiere« den größten Vorteil daraus, denn in Wahrheit nützten sie nichts und waren nur Quacksalbereien. Auch Frau von Pompadours Leidenschaft gewann dadurch nicht an Kraft. Sie blieb passiv und kalt, und der König tröstete sich bald – allerdings durch die persönliche Vermittlung seiner Favoritin – mit den jungen Mädchen im Hirschpark.

5. Der Tanzmeister.
Pinsel- und Federzeichnung von J. Honoré Fragonard. Paris, um 1780

Auch abergläubisch wie alle Damen des 18. Jahrhunderts war die Pompadour. Eine große Rolle spielte damals die berühmte »Kabbala«, die Casanova nach Paris brachte und mit der er bereits in Venedig sein Glück gemacht hatte. Er täuschte damit nicht nur die kleinen galanten Frauen und Mädchen, die seinen Weg kreuzten, sondern auch manche hohe Dame des Hofes. Man war überzeugt, daß er Wunder verrichten könnte, ebensogut wie Saint-Germain, Cagliostro und andere.

Aber weder Wunderkuren noch Elixiere, noch die Kabbala nützten der Pompadour. Leider mußte die reizendste, hübscheste und koketteste Frau Frankreichs sehr früh die Vergänglichkeit aller Schönheit erfahren. Bereits mit fünfunddreißig Jahren war ihr einst so blendender Teint fahl und verwelkt. Die entzückende Gestalt, die zarten Rundungen der Büste und Schultern waren verfallen und eckig geworden. Sie mußte die stärksten kosmetischen Mittel anwenden, um die Runzeln und Mängel zu verbergen, die sich durch ein frühzeitiges Altern auf ihrem Gesicht einstellten. Die allgemeine Mode des Schminkens und Puderns in Frankreich kam ihr daher sehr gelegen. Nur scheint sie später des Guten etwas zu viel getan zu haben, denn viele Zeitgenossen berichten, man habe kaum noch ihre Gesichtszüge unter der dicken Schminke erkennen können. Ein scharfer Beobachter der Sitten der Zeit schrieb sogar, man habe am Hofe Ludwigs XV., als Madame Pompadour den Ton angab, durch die »alberne Gewohnheit des Schminkens« eine so lächerliche Ähnlichkeit unter den Damen herbeigeführt, daß man Mühe hatte, eine von der andern zu unterscheiden. Man habe sich kaum noch ausgekannt. Das Rot leuchtete so stark auf den Wangen der Damen des Hofes, daß man sie alle für Furien hätte nehmen können, die eben im Begriff gewesen wären einen wilden Tanz aufzuführen. »Und«, fährt der strenge Berichterstatter fort, »sie verwischen dadurch nicht allein vollständig ihre Züge, sondern ersticken auch jegliches Begehren des Mannes, denn man hat nur den einen Wunsch: sie zu fliehen.«

Seine Ansicht scheint aber doch nicht von allen Männern geteilt worden zu sein, denn die meisten dieser so bemalten Damen hatten den größten Erfolg und konnten sich durchaus nicht beklagen, daß sie von ihren Anbetern gemieden wurden. Allerdings fand auch Casanova, daß man sich zur Zeit der Pompadour am Hofe Ludwigs XV. etwas zu rot schminkte, aber es gefiel ihm: »Der Reiz dieser Malerei«, schreibt er, »besteht in der Nonchalance, womit man sie auf die Wangen aufträgt. Man will auch gar nicht, daß dieses Rot natürlich aussehen soll. Man legt es auf, um den Augen eine Lust zu bereiten, denn man sieht darin Anzeichen eines Rausches der Sinne, der außergewöhnliche Genüsse und zauberhafte Liebesrasereien verspricht.« Es mag überdies wohl eine spezielle Art der Pompadour und ihrer Damen gewesen sein, sich so leuchtendes Rot auf die Wangen zu schminken, denn im allgemeinen bevorzugte gerade das Rokoko die pikante Blässe der Frauen. Um diese interessante Blässe noch besonders hervorzuheben, klebte man sich eben die schwarzen »Mouches« an. Aber eins ist gewiß: in keinem Zeitalter ist so viel Puder und Schminke verbraucht worden wie im 18. Jahrhundert. Es schminkten sich sowohl Herren wie Damen und Kinder. Man wollte dem Alter Einhalt gebieten. Es sollte ja keine alten Frauen geben. Auch die weißgepuderten Haare für jung und alt verwischten den Altersunterschied. Mancher Frau gelang es durch Schönheitsmittel besser als Frau von Pompadour, das Altern wenigstens um zehn Jahre hinauszuschieben, und der Lippenstift trug gleichfalls sein Scherflein dazu bei. Vielleicht tat auch darin die Marquise ein Allzuvieles, als sie ihre schwindende Jugend bemerkte und sie doch nicht aufhalten konnte.

Und dennoch besaß diese Frau, der nur eine Treibhausschönheit in den kurzen Jahren ihres Aufblühens vergönnt war, das Geheimnis, aus den verfallenen Überbleibseln ihres Körpers durch alle möglichen Künste noch ein Wesen zu machen, das imponierte. Wenn sie in der letzten Zeit ihrer Herrschaft im Salon des Königs oder zur Gala bei Hofe erschien, wo es viele junge, schöne und elegante Frauen gab, sie also die Konkurrenz zu fürchten hatte, zog sie doch aller Blicke auf sich, obwohl sie nicht mehr jung und nicht mehr schön war. Jeder bemerkte zwar unter ihren verzweifelten Anstrengungen, schön zu sein, den Verfall ihrer Reize, aber ihre Gesamterscheinung und ihr Auftreten schienen einem jeden zu gebieten: Sieh mich an! Hier bin ich! Es war das Selbstbewußtsein ihrer Person, ihrer Machtstellung, das ihr eine derartige Sicherheit verlieh. Nie in ihrem Leben war sie schüchtern oder zaghaft gewesen. Ihr kühner Unternehmungsgeist allein hatte sie durch alle Klippen des Lebens geführt. Jugend und Schönheit waren ihr anfangs dabei behilflich gewesen. Später wußte sie diese beiden von der Natur verliehenen Gaben nicht nur durch Kunst und Kosmetik, sondern durch Intelligenz, Einfluß und Macht zu ersetzen. Ohne Frage war sie keine gewöhnliche Frau und keine durchschnittliche Kurtisane. Sie kämpfte bis zuletzt und gab nicht eine Handbreit des einmal Errungenen auf. Aber sie blieb auch bis zuletzt kokett und auf ihre Schönheit bedacht.

Es liegt etwas Erschütterndes in der Tragik des Vergehens der Schönheit und in der Geste, die diese gefeierte Kurtisane auf ihrem Sterbebett noch tat, um den Augen der Welt nicht den Anblick ihres Verfalls zu gönnen. Als ihre letzte Stunde nahte und der Geistliche, der ihr das Abendmahl gereicht hatte, sich von ihr verabschieden und gehen wollte, rief sie ihn lächelnd zurück: »Warten Sie doch noch einen Augenblick, Herr Pfarrer,« sagte sie, »wir gehen gleich zusammen.« Dann legte sie schnell noch ein wenig Rot auf, um die Totenblässe ihres Gesichts zu verbergen, und schlief ein. Wenige Stunden später war sie nicht mehr.


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