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10. Rokokoschauspielerin in »Iphigenie auf Tauris«.
Kolorierter Kupferstich von Gaillard. Paris, 1780

Die Kurtisane im Königspalast

Eines Tages verbreitete sich das Gerücht, der alte König Ludwig XV. habe eine junge schöne Mätresse. Man staunt, man tuschelt. – »Vorübergehend?« – »Nein, durchaus nicht. Er ist sehr verliebt, wahnsinnig verliebt, es ist ihm ernst mit seiner Liebe.« – Man sagt, er habe sie sich aus dem berüchtigten Hause der Gourdan geholt. Nur die Wohlunterrichteten wollten wissen, daß sie einst als Modistin im Modesalon Labille ihr Brot verdient habe und das schönste Mädchen von Paris sei. Und nun wohnt sie bereits seit geraumer Zeit in Compiègne in einem der Petites Maisons des Königs, völlig abgeschlossen und geheim. Alltäglich um Mitternacht wird sie vom Kammerdiener Lebel ins Schloß geführt. Erst am Morgen verläßt sie den König so geheimnisvoll wie sie gekommen. In einer eleganten Sänfte wird sie wieder in ihre Wohnung zurückgetragen. Wer ist sie? Wie heißt sie? Niemand weiß etwas Genaues. Heißt sie Bécu, Gomard oder Vaubernier? Bei Labille nannte man sie l'Ange wegen ihres entzückend süßen Engelsgesichts. Es war damals nichts Außergewöhnliches, daß sich die kleinen Modistinnen und Ladnerinnen, wie heute die großen Filmschauspielerinnen, Pseudonyme zulegten. Auf jeden Fall war l'Ange ein sehr schönes Mädchen und das außereheliche Kind einer Schneiderin, Anne Bécu aus Vaucouleurs. Der Vater soll ein Mönch aus dem Kloster Picpus gewesen sein. Er nannte sich Gomard de Vaubernier und trug als Mönch den Namen Pater Angelus. Vielleicht auch daher der Name »Ange« für die Kleine, aus der später, als sie die Geliebte des Grafen Dubarry war, ein Fräulein de Vaubernier wurde. Getauft war sie Jeanne. Durch Vermittlung eines Onkels, vielleicht auch durch ihren Vater, kam Jeanne Bécu zur Erziehung in ein Kloster. Dort trug sie den Namen Jeanne Rançon, weil ihre Mutter inzwischen einen Mann dieses Namens geheiratet hatte. Nachdem sie neun Jahre im Kloster erzogen worden war, mußte Jeanne, da ihre Mutter arm war, als Zofe ihren Unterhalt verdienen. Sie kam zu Madame de La Garde, einer reichen Witwe mit zwei Söhnen. Diese beiden jungen Männer scheinen die erste Blüte der schönen Jeanne gepflückt zu haben. Der eine schenkte dem niedlichen Zöfchen eine diamantenbesetzte Uhr, und der andere verwöhnte es mit allerlei Aufmerksamkeiten. Jeanne konnte nicht schweigen. Sie brüstete sich den anderen Dienstboten gegenüber. Aus Eifersucht hinterbrachten sie es ihrer Herrin, und Jeanne Rançon wurde aus dem Hause geschickt. Nun kam sie in die Lehre zu Madame Labille als Modistin, Rue Neuve des Petits-Champs. Hier lernte sie aber außer ihrem Metier noch die Kunst des Goldmachens. Freilich war sie nicht so dumm, daß sie, wie die Scharlatane ihrer Zeit, glaubte, man könne aus Quecksilber Gold bereiten. Sie hatte andere Mittel und Wege.

Nicht nur, daß unter ihren geschickten Händen wahre Wunder aus Chiffon, Tüll, Seide, Brokat, Bändern und Spitzen für die Damen der Pariser ganzen und halben Welt entstanden, sondern auch sie selbst, die sich jetzt Lançon nannte – warum weiß man nicht – vergaß ihre eigne sechzehnjährige Schönheit nicht. Sie verstand sich ins rechte Licht zu setzen und wurde bemerkt von den Künstlern ihrer Zeit und von den Männern überhaupt. Der berühmte Maler des 18. Jahrhunderts, La Tour, erbat sie als Modell, und nach ihm viele andere.

Nach zwei Jahren war Jeanne plötzlich aus dem Modesalon Labille verschwunden. Sie lebte, nachdem sie einem Perruquier die Ersparnisse von 5000 Franken hatte durchbringen helfen und noch einige andere Geliebte aus ihren Kreisen gehabt hatte, als Mätresse des berüchtigten Roués Dubarry mit ihm in der Rue Saint-Eustache. Mademoiselle Vaubernier – ein neues Pseudonym der entzückenden Jeanne – war der Mittelpunkt der Gesellschaft verschwenderischer Libertins. Ihr Geliebter indes war so unappetitlich anzusehen – Ausschweifungen und Laster standen ihm auf dem Gesicht geschrieben –, daß die reizende junge Dame wohl von vielen im geheimen begehrt wurde, aber nur wenige es wagten, sich ihr zu nähern – aus Ekel vor ihrem Vorgänger. Einige Wagemutige und Sorglose gab es aber doch. So der Herzog von Fitz-James; der in Liebesangelegenheiten äußerst kühne Marschall Richelieu; ferner Herr de Sainte-Foy, der Graf de Manville und andere. Den Herzog von Lauzun, dem sonst kein Abenteuer zu teuer bezahlt schien, hielt die Angst vor dem Gesundheitszustand Dubarrys zurück, obwohl er Mademoiselle de Vaubernier reizend und äußerst begehrenswert fand.

Die wenigsten oder gar keine Bedenken hatte der König. Er war wie ein Junger in die schöne elegante Frau verliebt. Ein jüngerer Bruder des Grafen Dubarry, Guillaume Dubarry, hatte sie aus Gefälligkeit für Ludwig XV. der Form halber heiraten müssen und war dafür königlich entschädigt worden. Nun wollte der König die Geliebte nicht länger mehr verstecken. Jeder sollte sie sehen. Ihre Jugend, ihre Schönheit sollten seine Wahl und seinen guten Geschmack bestätigen.

Madame Dubarry wohnt jetzt im Schlosse von Fontainebleau. Sie hat das Appartement neben den einstmaligen Gemächern der Pompadour inne. Ihre zahlreiche Dienerschaft trägt die schönste und geschmackvollste Livree von ganz Paris. Ihr Boudoir, ihr Schlafzimmer, ihre Wohnräume sind mit höchstem Raffinement und Geschmack ausgestattet. Das Bett ist das typische Ruhelager der galanten Frau des Rokoko, wie es Moreck so anschaulich beschreibt. »Nicht mehr auf Säulen – wie in der Renaissance – ruht der himmelartige Überbau, sondern wie eine Krone schwebt er unter dem Plafond und läßt die faltigen Draperien aus leichten Seidenstoffen sich um das Lager bauschen, das mit schwellenden Kissen und wollüstigen weichen Polstern reichlich ausstaffiert ist. Spitzen und Musselinrüschen, mit dem die Dame des Jahrhunderts ihr blühendes Fleisch umgibt, ergießen ihren duftigen Schaum über das Bett, in dem diese Dame ausruht von den enervierenden Genüssen des Tages, in dem sie wie in einer goldenen Muschel träumt von den Sensationen der Liebe, und in dem sie, je nach Laune und Gelegenheit ihre Levers bis spät in den Tag abhält.«

11. Rokokoeleganz.
Die Tänzerin Guimard. Französischer Meister des 18. Jahrhunderts

Auch in Fontainebleau empfängt Madame Dubarry ihre ehemaligen Freunde, die sie bei Dubarry in der Rue Saint-Eustache kennengelernt hatte. Die Herzöge, Grafen und Lebemänner à la mode sind auch am Hofe Ludwigs XV. keine Unbekannten. Der Gesellschaftskreis der Gräfin hat sich wenig verändert, nur daß man ihr als titulierte Mätresse des Königs vielleicht achtungsvoller begegnet als im Hause des Roués. Sie selbst ist die gleiche geblieben. Sie lacht das tolle ungezwungene Lachen des achtzehnjährigen Mädchens der Pariser Boulevards. Sie redet wie sie will in ihrer Sprache und fügt sich nicht im geringsten dem gezierten, etwas läppischen Französisch, das im 18. Jahrhundert in der hohen Gesellschaft üblich war. Sie macht sich nichts aus dem Hofklatsch und dem Gerede der Leute, am wenigsten aus dem der Partei des Herzogs von Choiseul, ihres ärgsten Feindes. Er und seine Freunde verbreiten überall, die Dubarry sei eine Dirne, ein Mädchen der Straße und allen Friseuren und Lakaien zu Willen gewesen. Und diese Gerüchte entbehren nicht einer gewissen Berechtigung, denn Madame Dubarry selbst schrieb einmal ihrem ersten Geliebten, dem Friseur Lamet, demselben, dem sie 5000 Franken aus der Tasche gezogen hatte, daß es ihr in Paris im Jahre 1761 sehr schlecht gehe und sie mit ihrer Mutter abends ins Palais-Royal auf Abenteuer ausgehen müsse. Dieses Leben bringe ihnen indes nicht mehr als 18 bis 20 Franken pro Abend ein.

Choiseul wußte das und sorgte dafür, daß es am Hofe bekannt wurde. Er tat noch mehr. Er drängte die Lebemänner ihres Bekanntenkreises, alles aus der Vergangenheit der Mätresse des Königs zu erzählen und riet ihnen freundschaftlichst, sie nicht besser zu behandeln als zu jener Zeit, da sie den Salon des »Roués« mit ihrer herausfordernden Schönheit und ihrem Hetärencharakter so anziehend machte. Man redete am Hofe ganz offen davon, ihr Vater sei ein Regimentsgeistlicher, die Mutter eine Straßendirne gewesen, und sie selbst habe ihren Körper dann einem jeden für ein Zwanzigfrankenstück verkauft, bis Dubarry endlich einen lukrativeren Handel mit ihr betrieben habe. Das alles wurde gesagt, damit der König es erfuhr. Die Zeitungen waren voll von diesen Skandalgeschichten, und Ludwig XV. kannte sie alle. Er lächelte darüber und sagte zu seinem Minister Choiseul: »Sie ist sehr hübsch; sie gefällt mir; das genügt. Die Wut gegen diese Frau ist furchtbar – aber meist zu Unrecht. Man würde ihr zu Füßen liegen – wenn man wüßte – aber so ist das Leben!«

Inzwischen war mit der ehemaligen kleinen Modistin eine gewaltige Veränderung vorgegangen. Sie ist nicht mehr das junge Mädchen, das man anfangs, als der König sich noch im geheimen für sie interessierte, Sonntags in der Kirche von Fontainebleau mit einem dichten Schleier über dem Gesicht in einem für sie reservierten Betstuhl sitzen sah. Jetzt hat sie herrliche Wagen, eine prachtvolle goldene Chaise mit dem doppelten Wappen der verheirateten vornehmen Dame auf dem Wagenschlag. Das eine ist das Wappen der Dubarry, das andere das der Gomard-Vaubernier. Beide wahrscheinlich falsch und erlogen – aber was machts! Sie ist die Mätresse des Königs von Frankreich – die gefeiertste und beneidetste Frau des Landes! Bald wird sie öffentlich anerkannt vor dem ganzen Hof erscheinen, wie einst Madame Pompadour. Sie, das ehemalige Ladenmädchen des Hauses Labille! Vor ihr müssen sich die alten Herzoginnen und Fürstinnen beugen, müssen mit ihr sprechen und ihr die Hand küssen. Sie aber, die Gräfin Dubarry, ist jung und schön, lustig, sorglos, frei und offen, sagt alles was ihr durch den Kopf geht, unterhält den König – den sie übrigens ganz sans façon mit »Monsieur« anredet – aufs angenehmste mit ihrer Fröhlichkeit, ihrer Frechheit und ihrer Jugend. –

Und dann kommt der große Tag für sie, der Tag, an dem vielleicht ein Kleid das Geschick Frankreichs entscheidet! Denn man ist sich nicht darüber einig, was für eine Toilette die neue Favoritin anlegen soll. Ob ein einfaches Gesellschaftskleid oder die große Hofrobe. Die meisten sind für das Dekolleté. Man berät sich mit den berühmtesten Pariser Schneidern, den großen Modekünstlern und den in Fragen des Geschmacks damals tonangebenden Tanzmeistern. Sie sind die reinen Propheten. Alles wird sich ihrer Meinung nach am Hofe ändern, wenn erst die Dubarry, jene entzückende, direkt aus Kythera oder Paphos importierte Nymphe regiert! Und alle kamen, um sie zu bewundern, die Herren und auch die Damen, ausgenommen der Herzog von Choiseul. Dafür erschienen seine Freunde um so zahlreicher.

Der Schloßhof ist voll von Neugierigen. Die Treppen, die Säle, die Galerien, die Gänge sind angefüllt mit Menschen. Man merkt nicht viel von einer feindlichen Haltung der Zuschauer. In jenem galanten Jahrhundert ist die Frau Souveränin. Plötzlich erscheint der König. Er muß warten – die Ersehnte kommt nicht zur festgesetzten Stunde. Sie, die kleine Ladnerin, wagt es, zum Empfang beim König zu spät zu kommen. Man wird unruhig. Die Freunde Choiseuls wechseln vielsagende Blicke miteinander, die besagen: »Das ›Frauenzimmer‹ hat es doch nicht gewagt zu kommen!« Aller Augen sind auf den Schloßhof gerichtet – aber keine Karosse biegt ein. Der König ist beunruhigt. Auf seinen welken Wangen erscheinen hektische Flecken. Es muß etwas passiert sein, daß sie nicht kommt. Richelieu steht neben ihm. Auch er ist nervös. Man denkt bereits daran, die Feier auf den nächsten Tag zu verschieben. Da plötzlich leuchten die Augen des Königs auf. Sie kommt! Der bekannte Wagen biegt in das blaue Portal des Schloßhofs ein, fährt langsam über das schlechte unregelmäßige Pflaster und hält mit einem Ruck vor dem vergoldeten Tore des Marmorhofes.

Leicht und elastisch hüpft Madame Dubarry aus der Karosse. Eigentlich sind ja die Pariser mit Haß im Herzen gegen die teure Kurtisane, gegen die »Grisette« hergekommen. Aber mit einem Mal ist all ihr Groll, all ihre Feindschaft verflogen vor der Schönheit und Lieblichkeit dieser zarten eleganten Frau. Nur Bewunderung, Erstaunen, freudiges Überraschen in aller Augen. Wie lange schon wünschten sie ihrem Gebieter eine hübsche junge Mätresse! Man drängt sich um die Chaise, in der die schönste Frau Frankreichs die Stufen zu einem Thron hinaufgetragen wird. Ein Mädchen aus dem Volke! Eine kleine Putzmacherin! Jeanne Bécu aus der Rue des Petits-Champs! Unerhört!

Groß, schlank, sehr zart und gertenhaft in dem großen prächtigen Hofkleid trotz der ungeheuren Paniers und der viele Meter langen Schleppe. Trotz des turmhohen Gebäudes der gepuderten Perücke macht die junge Gräfin Dubarry ihre drei Verbeugungen so tadellos und so liebenswürdig, als hätte sie nie etwas anderes getan. Und dann gibt ihr der König den vorgeschriebenen Kuß auf die Wange. Unter denselben Verbeugungen geht sie wieder zurück bis zur Tür, nur daß das viel schwieriger ist. Mancher großen Dame geschah es, daß sie über die eigene Schleppe fiel und sich nicht wieder erheben konnte. Aber Madame Dubarry macht es mit einer Grazie, einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie seit ihrer Kindheit nichts anderes gewöhnt. Und als sie an ihren Feinden vorüberschreitet, da leuchten ihre großen blauen schelmischen Augen vor Freude. Ihr roter geschminkter Mund lacht, und die hübschen Zähne blitzen. Stolz trägt sie das reizende Köpfchen. Und sogar ihre Neider und Neiderinnen müssen zugeben, daß sie wundervolle Schultern und eine tadellose Büste hat. Man rühmt ihren schönen Teint, die feingebogene Nase, das herrliche Oval ihres Gesichts, die reine Linie ihrer Stirn. Es herrscht nur eine Stimme: Sie ist die schönste Frau der Welt! Sie stellt alle schönen und eleganten Frauen des Hofes in den Schatten. Dazu besitzt sie jene Ungezwungenheit in ihren Manieren, ihren Ausdrücken, ihrer Kleidung und ihrer Koketterie, die alle Männer entzückt und die den alten König ganz besonders reizt. Sie ist eine Frau, ein Mensch, keine Zierpuppe, kein Klischee. Den größten Teil des Tages verbringt sie mit der Pflege ihres knabenhaften Körpers, studiert aufs genaueste, wie sie am vorteilhaftesten und verführerischsten für ihren königlichen Geliebten aussieht. Dem Geschmack ihres Jahrhunderts entsprechend, kleidet – oder verkleidet – sie sich oft als Flora in hauchdünne Gazestoffe. Und diese Metamorphosen nehmen bisweilen so viel Zeit in Anspruch, daß die Hofordnung darunter leidet. Ein Ball, ein Souper, eine Theatervorstellung müssen ihretwegen manchmal ein paar Stunden hinausgeschoben oder abgesagt werden, und der ganze Hof muß warten, bis die schöne Favoritin ihre Kaprice durchgeführt hat. Aber der König liebt diese Verzögerungen, weil Madame Dubarry dann um so schöner vor ihm erscheint. Höchstens, wenn es allzu lange dauert, schickt er Lebel zu ihr, um sie zu bitten, im kleinen Gesellschaftskleid zu erscheinen, weil das schneller gehe. Einmal erfand sie für die damalige Zeit etwas ganz besonders »Revolutionäres«. Sie erschien nämlich zur Cour ohne den hohen Aufbau der gepuderten Perücke mit beinahe aufgelöstem Haar. Auf der einen Seite fielen ein paar Schlangenlocken auf die Schulter. Sie hatte, wie sie behauptete, keine Zeit mehr gehabt, die komplizierte Frisur zu beenden, weil der König drängte. »Sie sehen mich unfrisiert«, entschuldigte sie sich bei ihm. – »Und um so scharmanter«, war die ritterliche Antwort.

Von da an trug Madame Dubarry ihr reizendes blondes Haar nicht mehr hoch aufgetürmt, nicht mehr gepudert. Sie hatte eine neue Mode erfunden. Ja, die Kurtisane wagte es sogar, zur Messe im großen Dekolleté mit flatternden Locken zu erscheinen. Die alten Damen des Hofes, die nur noch ein paar spärliche graue oder weiße Haare ihr eigen nannten, und denen die künstlichen Haarfrisuren sehr zustatten gekommen waren, schrien Zetermordio wegen dieser Neuerung, aber die jungen machten es mit Vergnügen der Dubarry nach und fanden sich viel schöner in ihrem eigenen Haarschmuck. Nur die junge Dauphine Marie Antoinette und ihre Damen hielten es unter ihrer Würde, diese Mätresse aus den untersten Schichten des Volkes als ihre Führerin in Mode und Eleganz anzuerkennen. Im Gegenteil, die Frisuren der Marie Antoinette, der Madame de Lamballe und Madame de Polignac türmten sich noch um ein paar Zentimeter höher als üblich auf, so daß sogar Maria Theresia ihrer Tochter einen Verweis geben zu müssen für gut hielt. Sie schreibt am 15. März 1775 an ihre Tochter unter anderem: »Ebenso kann ich nicht zurückhalten, mit Ihnen über einen anderen Punkt zu sprechen, den die Zeitungen mir zu oft wiederholen: es handelt sich um Ihren Kopfputz, man sagt, daß die Frisur von den Haarwurzeln 36 Zoll in die Höhe gehe und mit einer Menge Federn und Bändern geschmückt sei, die das alles heben! Sie wissen, daß ich immer der Meinung war, die Moden mit Mäßigung mitzumachen, sie aber nie zu übertreiben.« Marie Antoinette mußte sich auch von ihrer klugen Mutter sagen lassen, daß sie kein Recht habe, die Mätresse des Königs mit Hochmut zu behandeln, sondern so mit ihr sprechen müsse, wie mit jeder anderen Dame, die bei Hofe empfangen werde.

Die Dubarry war natürlich eine sehr teure und anspruchsvolle Favoritin. Ihre Eleganz und ihre Launen kosteten den König Unsummen. Abgesehen von den vielen kostbaren Geschenken an Diamanten, Perlen und sonstigem Schmuck, an Schlössern, Kunstgegenständen, Möbeln, Pferden und Wagen erhielt sie anfangs monatlich in bar 200 000 Franken zu ihrem persönlichen Verbrauch. Später wurde die Summe auf 300 000 Franken erhöht. Besonders kurios ist es, daß ihr diese bedeutende Summe stets in Silbertalern zu 6 Franken ausgezahlt wurde. Natürlich war es nicht nur nicht praktisch, die vielen schweren Geldsäcke von Paris nach Versailles oder Fontainebleau zu befördern, sondern auch gefährlich. Und wenn Madame Dubarry noch andere Summen dazu forderte – was meist geschah, denn sie kam nie mit der ausgesetzten Rente aus – so drohten die Wagen unter dem Gewicht der Geldsäcke zusammenzubrechen.

Ihre Karossen und Chaisen waren die elegantesten und teuersten von ganz Frankreich. Nicht einmal die Brautkutsche, die der König für Marie Antoinette bestellte und mit der sie aus Deutschland abgeholt wurde, konnte mit der Karosse der Kurtisane konkurrieren. Sie hatte sie sich im selben Jahre bestellt. Allerdings gingen die Gerüchte, daß Madame Dubarry sie von ihrem Geliebten, dem Herzog von Aiguillon dafür bekommen habe, daß sie ihm seinen Ministerposten verschafft hatte. Der prachtvolle Wagen hatte 50 000 Livres gekostet. Aber bald darauf mußte sie ihn wieder verkaufen, wie man sagte, weil der König eifersüchtig auf das Geschenk seines Ministers war. Das ganze Leben dieser galanten und eleganten Frau war, wie die Goncourts sich ausdrückten, ein toller Traum eines in wahnsinniger Verschwendung und ausschweifendem Luxus sich auslebenden galanten Weibes, »einer Dirne, der bestausgehaltensten Frau Frankreichs«. Millionen werden für die Launen der Mode hinausgeworfen, Millionen für ein seltenes Schmuckstück, für Spitzen, Samt und Seide. Ein wahrer Strom von Gold ergießt sich über die Welt der Schneider, Modistinnen, Näherinnen, Gold- und Silberstickerinnen. Alle Morgen beim kleinen Lever empfängt diese unbekümmerte Frau, halbnackt im Bett liegend, Modekünstler und Kunsthandwerker. Kein Tag vergeht, ohne daß sie etwas bestellt.

Und doch tat die Dubarry nichts anderes als was die anderen Damen des 18. Jahrhunderts auch taten. Es war allgemein Brauch, daß eine Frau der vornehmen Gesellschaft ihre Lieferanten entweder im Bett liegend oder in ihrem Badezimmer empfing. Sie lag dann ganz ungeniert in der Wanne, allerdings war meist darüber ein Tuch gebreitet, so daß der Körper nur bis unter die Brust sichtbar wurde. Manche Damen färbten auch das Wasser mit Eselsmilch, teils um die Haut zart zu machen, teils damit das Wasser undurchsichtig werde. Man fand aber durchaus nichts darunter, daß sogar das junge Mädchen der guten Kreise ihre Freunde im Bett liegend empfing. Wieviel mehr konnte sich daher eine Frau wie die Dubarry, die nichts von Schamgefühl und Moral mehr besaß, solche Freiheiten gestatten!

12. Das schöne Bein.
Kolorierter Stich von Leclerc. Paris, 1786

Ihre Levers waren berühmt und berüchtigt. Wie bei den Levers der wahren Königinnen erschienen bei ihr die Minister und Gesandten des Königs, des Papstes und der auswärtigen Herrscher. Ganz nackt entstieg sie den seidenen Decken und Spitzenkissen ihres großen Bettes. Alle durften die schlanken Linien ihrer Beine, ihre Schenkel, die schöngeformte Büste, den straffen Leib ohne irgendwelche Hülle bewundern. Ungeniert bewegte sie sich vor den vielen Männeraugen der Höflinge und trieb die tollsten Scherze. Meist hatte sie es dabei auf die ernstesten Würdenträger abgesehen, die nicht wagten ihre Frechheiten abzuweisen. Eines Morgens streckte sie im Übermut einmal dem päpstlichen Nuntius das eine nackte Bein und dem Almosenier des Königs das andere hin. Sie mußten ihr die hohen Stöckelpantoffeln anziehen. Erst dann ließ sie sich von ihrem Kammermädchen ein bezauberndes Negligé aus Spitzen und Seide reichen, das sie indes weit mehr ent- als bekleidete.

Übrigens hatte sie in derartigen Extravaganzen und Scherzen berühmte Vorgängerinnen unter den Damen des Hofes. So die Herzogin von Maine, die eine Zeitlang in ihrem Schlafzimmer, während sie in einem sehr pikanten Negligé zu Bett lag, Maskenbälle veranstaltete. Dabei muß man in Betracht ziehen, daß im Schlafzimmer der eleganten Frau des 18. Jahrhunderts allerlei intime Gebrauchsgegenstände herumlagen und standen.

Die Dubarry besaß in ihrem Schlosse in Luciennes einen wahren Feenpalast an Geschmack, Reichtum und Raffinement. Sie selbst ist wie eine Fee gekleidet. »Will man die Garderobe der Gräfin sehen,« sagen die Goncourts, »so braucht man nur die Rechnungsbücher zu betrachten, die in der Pariser National-Bibliothek liegen. Es sind kostbare Nachweise und wahrhaftig das einzige Erinnerungs-Dokument, das das Andenken der regierenden Dubarry verdient ... Man findet darin das Theaterkleid geschildert, das sie der Schauspielerin Raucourt oder dem Schauspieler Lekain schenkte, das Kaffeegedeck, das aus indischem feinem Bazin sein mußte, und sogar den letzten Morgenrock nebst »Sultan« und Pantoffeln, die sie für den König bestellte. Wir erfahren von ihrer kleinen Livree aus gemsfarbenem silberbesetztem Tuch, von der großen Livree aus dunkelrotem Samt. Sogar der Neger Zamore wird uns in seinem sächsisch-grünen, goldbesetzten Rock vorgeführt. Ferner der entzückende Vorläufer der Frau Gräfin in verschnürtem himmelblauem polnischem Rock mit gemsfarbenen Trikots ... Wenn man Lust hat, die Garderobe der Dubarry zu betrachten, so kann man die Hoftoiletten, Krinolinenkleider, die Roben »sur la considération« und die »robes de toilette« an seinem Geiste vorüberziehen lassen. Da gibt es Kleider zu 1000, 2000, 5000 und 10 000 Franken, die die Modehändler Buffant, Lenormand, Assorty, Barbier und Bourjot lieferten. Madame Sigly fertigte die silberlamierten und mit Federtuffs übersäten Kleider, weiße duftige Toiletten mit Rosengirlanden, große Roben mit breiten Goldstreifen auf nelkenbestreutem Grunde, Kleider aus Brokat mit Goldlitzen verziert und mit einem Myrtenrand eingefaßt, sowie Reitkostüme aus Gourgouran, die 6000 Livres kosteten ... Seidene Kleider waren oft völlig mit den fabelhaftesten Mustern und farbigen Pailletten bestickt. Dazu kommen die äußerst kostspieligen Zutaten, der Ausputz, den ein Kleid damals verlangte. Pagelle, der Modekünstler der »Traits galants« von der Rue Saint-Honoré, verstand es mit unerschöpflicher Phantasie immer neuen entzückenden Tand zu schaffen. Es ist darum nicht erstaunlich, wenn eine einzige Toilette von ihm den Preis von 10500 Livres erreichte. Zu den Kleidern kamen noch die Spitzen, dieser zu allen Zeiten heißbegehrte Luxus der Frau. Auch dafür wurden Unsummen aufgewendet...

Einen besonderen Sinn hatte die Dubarry für nette Nippes und kostbare Nichtigkeiten aller Art. Betrachten wir nur ihre Ankäufe aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur von Sèvres. Sie erwarb für ihr Palais Luciennes große mit Henkel versehene Vasen mit Widderköpfen, entzückende Körbchen mit Rankenmustern, Teekannen mit Biskuit-Porzellangriffen und herrliche königsblaue Blumenvasen mit Gitterwerk. Dutzende dieser zerbrechlichen Kunstwerke gingen vorerst im Schmelzofen zugrunde, ehe ein einziges dieser Prachtstücke wirklich gelang. Tafelgeschirre in chinesischem Geschmack lieferte die Manufaktur für die Tage, an denen der König in Luciennes speiste. Der berühmteste Maler der Manufaktur hatte zweieinhalb Monate an dem Entwurf des zarten farbigen Dekors gearbeitet ... Die Aufzählung all dieser Verschwendung macht den Eindruck, als ob der Trésorier einer Kleopatra nur Preis und Wert der als Ausdruck einer Frauenlaune aufgelösten Perlen verrechnete. Bald kommen Gold und Silber zur Zierde von Tafel und Toilette dazu. Aber auch Silber ist für Madame Dubarry nicht mehr reich und prächtig genug. Sie wünscht ein Tafelservice aus reinem Gold mit Griffen aus blaurotem Jaspis. Roettiers, der Goldschmied, muß goldene Zuckerlöffel liefern, auf denen Amoretten mit Rosengirlanden graviert sind; eine goldene Kaffeekanne mit Füßen in antikem Stil, ein goldenes Milchkännchen mit den unerläßlichen Myrtenzweigen in den Vertiefungen. Schließlich hat sie auch den Wunsch nach einem goldenen Toilettentisch, Roettiers erhält den Auftrag. In ganz Paris spricht man von diesem Toilettentisch, und man sagt, die Regierung habe das Gold in einem Barren von 700 Pfund vorgestreckt. Aber schließlich müssen die Arbeiten wegen der übergroßen Kosten und wegen des Skandals eingestellt werden. In den Rechnungsbüchern findet man nur eine Entschädigung an Roettiers für einen angefangenen goldenen Frisiertisch ...

Luciennes ist ein Palais-Boudoir, das in jeder Beziehung die edle Form und den letzten Schliff einer Kostbarkeit zeigt... Nichts fehlte in diesem feinen Palast. Es gab sogar, wie in einem von Paul Veronese gemalten Märchen, einen kleinen Hausmohren, den man als eine Art menschliche Mißgeburt betrachtete. Er reichte die Platten und Erfrischungen herum, hielt den Sonnenschirm und schlug Purzelbäume. Damit folgte man einer übermütigen Laune des im 18. Jahrhundert herrschenden Geschmacks der Chinoiserie und sah in dem Neger sozusagen einen kleinen zweibeinigen Schoßhund. Den Namen Zamore verdankte er dem Prinzen von Conti... Zamore und Luciennes! Sie paßten so gut zusammen! Man betrachtete das Schloß so ganz als den Käfig des kleinen Negers, so daß der König eines Abends in einer Anwandlung tollen Übermuts den zu seinen Füßen spielenden Zamore zum Gouverneur des Schlosses ernannte mit einer Monatsrente von 600 Livres. Und lachend drückte der Kanzler auf das Gouverneurs-Patent des Leibaffen der Dubarry sein Siegel. Hier im Reich der unbegrenzten Möglichkeiten konnte man auch sehen, wie ein smaragdgrüner sprechender Vogel vom Finger der Herrin auf die Schulter des Gouverneurs flatterte. Es war der Papagei, für dessen Überbringung Madame Dubarry einem Matrosen den Orden des heiligen Ludwig verlieh.«

All dieser Glanz war wie ein Rausch über Madame Dubarry gekommen. Das Ende war um so schrecklicher für sie. Wie Marie Antoinette mußte auch sie ihre Lebenslust und ihre Verschwendung mit dem Tode auf dem Schafott büßen. Aber dieses triebhafte Wesen, das so sehr am Leben und seinen Genüssen hing, war angesichts eines so furchtbaren Endes völlig gebrochen und schwach. Sie war nicht resigniert wie die junge Königin, die ruhig und in sich gekehrt zum Richtplatz fuhr. Madame Dubarry war in ihrer Todesstunde bemitleidenswert. Sie schluchzte auf dem ganzen Wege, und die Menschenmenge hatte für die Unglückliche nur Hohn und Spott übrig.

Als sie vor dem Modegeschäft vorüberfuhr, in dem sie einst selbst als kleine Modistin gearbeitet hatte, sah sie auf dem Balkon mehrere Arbeiterinnen stehen, die die Neugier herausgetrieben hatte, um ihre einstige Kollegin auf ihrem Leidenswege zu sehen. »Vielleicht«, sagen die Goncourts, »durchlebte Madame Dubarry noch einmal ihre ganze Vergangenheit in einer blitzartigen Erleuchtung. Ihre Jugend, Versailles, Luciennes, die Bilder eines ganzen Lebens glitten in der Erinnerung an ihr vorüber.« Es war der Traum einer Sekunde, aus dem sie mit einem lauten Schrei auffuhr. Ihr durchdringendes, herzerbarmendes Schreien konnte man von einem Ende der Rue Saint-Honore bis zum andern hören.

Nur mit größter Mühe vermochten der Scharfrichter und seine beiden Gehilfen die sich wie wahnsinnig Gebärdende auf dem Karren festzuhalten. In ihrer Angst wollte sie sich auf das Pflaster stürzen. Ein von Tränen ersticktes Flehen folgte auf das Schreien. Die abgeschnittenen Haare hingen ihr bis in die Augen... Die Menge wunderte sich. Man war so sehr gewöhnt, die Menschen tapfer, ja sogar trotzig sterben zu sehen, daß zum erstenmal unter den Zuschauern das Gefühl erweckt wurde: in dieser Frau schleppt man ein Weib zum Tode!... Unter Tränen rief die Unglückliche fortwährend: »Das Leben! Das Leben! Wenn mir das Leben geschenkt wird, gebe ich dem Volke mein ganzes Vermögen.« – »Dein Vermögen? Du gibst dem Volke ja nur, was ihm gehört!«

Dennoch schien man mit dieser um ihr kostbares Leben kämpfenden schwachen Frau Mitleid zu empfinden. Ein Kohlenträger gab dem Kerl, der so zynisch einer armen Unglücklichen geantwortet hatte, eine kräftige Ohrfeige, und der Henker machte den unliebsamen Szenen dadurch ein Ende, daß er den Wagen mit den Todesopfern im Galopp davonfahren ließ. Auf dem Richtplatz angekommen, ließ er Madame Dubarry zuerst aussteigen. Sie war fast wahnsinnig vor Angst und Entsetzen. Nur noch wenige Minuten, und dann sollte für sie, die das Leben so sehr geliebt hatte, alles zu Ende sein. Schluchzend fiel sie vor dem Henker nieder und flehte und schrie: »Nur noch eine Minute, Herr Henker! Bitte nur noch eine Minute!« Die Arme glaubte, er werde sich erweichen lassen. Und noch unter dem Beile schrie sie in Todesangst: »Hilfe! Hilfe!« – Niemand konnte ihr helfen. Ihr Schicksal war durch die Ereignisse besiegelt.


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