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Sie ähneln ein wenig den Frauen des achtzehnten Jahrhunderts mit ihren enervierenden Abenteuern, ihrem galanten Einfluß auf die Sitten der Zeit, ihren Erfolgen eines Tages, einer Nacht, mit ihrer reizvollen Schönheit, dem Geheimnisvollen, ein wenig Schwülen, das sie und ihr Leben erfüllt. Es umgibt sie eine unvergeßliche Legende von sieghafter Zärtlichkeit, gewagter Unabhängigkeit und unwiderstehlicher Keckheit, verbunden mit einer lasziven Grazie, einer Liebenswürdigkeit und kapriziösen Verliebtheit, wie sie nur von den Damen des 18. Jahrhunderts bekannt geworden ist. Und doch ist die Frau des Zweiten Kaiserreichs ein Typus für sich. Eine ausgezeichnete Beobachterin des eleganten Lebens der Dame unter dem Zweiten Kaiserreich und der späteren Jahre ist Mademoiselle Romieu. Sie sagt in ihrem Buche »La femme et la Société«: »Die große Dame der Finanzwelt, die faktisch erst unter Louis Philippe aufgetaucht ist, und die heutige große Dame decken sich gewissermaßen. Beide sind elegant und reich, beide haben den künstlichen Reiz, den allein die Gewohnheit der großen Welt geben kann.
Die vornehme Dame des Faubourg Saint-Germain zeigt einen aristokratischeren Typus. Sie ist im vollen Sinne des Wortes eine grande dame, von einem Schlage, der sich anderswo nicht findet. Vor lauter Vornehmheit bleichsüchtig, vor lauter Grazie gekünstelt, bewahrt sie inmitten der Vorurteile, von denen sie erfüllt ist, einen gewissen Adel der Empfindungen.
In den höchsten Schichten besteht die Rolle der Frau lediglich darin, zu bezaubern und zu verführen. Sie hat keine anderen Pflichten zu erfüllen als die sogenannten Geselligkeitspflichten. Besuche, die sie empfängt oder erwidert, Ausgänge und Geselligkeit füllen ihre ganze Zeit aus; sie hat weder Zeit dazu, die Hausfrau zu spielen, außer sie macht die Honneurs in ihrem Salon, noch Familienmutter zu sein. Ihre Leute werden von einem Hausmeister oder einer Hausdame geleitet; ihre Kinder haben Gouvernanten und Lehrerinnen.« – Ihre Macht ist dank ihrer Koketterie unermeßlich. Vom Minister bis zum letzten Beamten des Hofes, vom hohen Finanzmann bis zum kleinsten Angestellten stehen alle Männer im Banne der Frau, und zwar der vollerblühten Frau. »Während die Vorliebe der Biedermeierkunst der noch unerschlossenen Weiblichkeit mit ihren knospenhaften schlanken Formen und ihrem züchtigen Gebaren, dem liebenswürdigen jungen Weibe und der naiven mädchenhaften Unschuld galt,« meint Moreck in seinem »Das Weib in der Kunst der Neueren Zeit«, »begeistert sich die Kunst des Zweiten Kaiserreichs nur für den vollerblühten Reiz der reifen, wissenden Frau, die in allen Künsten der Liebe erfahren und alle Register der Wollust virtuos beherrscht.« Und die Kunst spiegelt ja das Leben einer Zeit wieder. Verschwenderisch geht die Frau des Zweiten Kaiserreichs mit ihren Reizen und Vorzügen um und wirft sie keck in die Waagschale. Kokett und leichtlebig, wie sie ist, kommt es ihr nicht auf ein Abenteuer mehr oder weniger an. Die großen Mondänen sind wie von einer Wolke wollüstigen Parfüms umgeben. Die Männer von Welt zählen zu ihren Geliebten die angesehensten und vornehmsten Frauen der Gesellschaft. »Er« und »Sie« flattern von einem Erlebnis zum andern. Die Welt will nun einmal die Frau, die sie beherrscht, und die Frauen des Zweiten Kaiserreichs waren, wie die Zeit es von ihnen verlangte. Selbst die Damen der höchsten Kreise kannten weder Hemmungen noch Einschränkungen ihrer Leichtlebigkeit und Genußsucht. Hatten sie sich satt getrunken an den Genüssen, die Paphos ihnen schenkte, so tauchten sie unter in den Freuden von Lesbos. Die Fürstin Trubetzkoi und die Marquise Adda, zwei Schönheiten aus dem Kreise der Prinzessin Mathilde Bonaparte, hatten ganz öffentlich ein Liebesverhältnis miteinander. Sie waren stets zusammen und tauschten ungeniert ihre Zärtlichkeiten aus. Manche große Dame verliebte sich auch in ihr niedliches Zöfchen. Großes Aufsehen erregte zum Beispiel im Jahre 1855 eine Erpressungsaffäre, in die die Gräfin Nansouty verwickelt war. Es war in der Pariser Gesellschaft aufgefallen, daß die sonst sehr elegante Frau seit einiger Zeit keine Juwelen mehr trug, obwohl sie den herrlichsten Schmuck besaß, den man sich denken konnte. Als ihr Gatte sie fragte, konnte sie ihm keine Erklärung dafür geben. Er schöpft Verdacht, daß sie sie verkauft hat, und läßt ihren Juwelenschrank aufbrechen. Er ist leer! Madame bestreitet, die Schmucksachen veräußert zu haben. Wo sind sie? – Gestohlen? Der Graf ordnet eine polizeiliche Haussuchung an, und man findet die Juwelen – bei dem sehr hübschen und jungen Kammermädchen! Man beschuldigt die Zofe als ganz gewöhnliche Diebin, bis sie unter dem Kreuzfeuer des Verhörs gesteht, sie sei die Geliebte der Gräfin und habe sich ihren Phantasien nur unter der Bedingung untergeordnet, daß sie den Schmuck erhalte. Madame habe ihr daraufhin alle ihre Juwelen geschenkt. Im Laufe der Unterhandlungen stellte das Mädchen noch mehrere Marquisen und Herzoginnen bloß, unter anderem auch die obenerwähnte Marquise Adda. Um den Skandal zu unterdrücken, erhielt das Kammermädchen ein Schweigegeld von 80 000 Franken! Derartige Affären standen nicht vereinzelt da. Diejenige war die Begehrteste, die ihre Gunst leicht und skrupellos verschenkte und von der man die größten Skandalgeschichten erzählte. Ein anderes Beispiel: Die wunderschöne Frau von Nesselrode, Gattin des russischen Gesandten in Paris, stand im Rufe einer äußerst eleganten, aber auch extravaganten und leichtlebigen Frau. Eine Zeitlang war sie die Geliebte Alexandre Dumas'. Sie ließ sich überall öffentlich mit ihm sehen. Die Opernbälle waren unter dem Zweiten Kaiserreich genau so beliebt und berüchtigt wie im 18. Jahrhundert. Auf einem solchen Maskenball erschien eines Abends Dumas. An seinem Arm führte er einen eleganten weiblichen Domino mit Gesichtsmaske. Beide begegneten Didier, dem Unterpräfekten von St. Denis, einem Mann ohne Gewissen und Moral. Nachdem man sich begrüßt hatte, sagte der junge Dumas zu Didier: »Du liebst ja die Herzoginnen; amüsiere dich eine halbe Stunde mit dieser Dame hier«, und überließ die hübsche Maske an seiner Seite dem jungen Lebemann. Didier bewegte sich meist in Gesellschaft von leichtsinnigen Theaterdamen, Demimondänen oder ganz gewöhnlichen Dirnen. Die Anspielung Dumas auf die »Herzoginnen«, mit denen er gern verkehrte, war nur Ironie. Trotz seiner Jugend war Didier sehr blasiert und vertrat den Grundsatz, daß die Frauen ausschließlich zum Vergnügen der Männer da seien. Er führte die ihm von seinem Freunde überlassene Maske, die niemand anders war als die Gräfin Nesselrode, in eine Proszeniumsloge und behandelte sie ganz wie eine Kokotte. Sie hatte aber gar nichts dagegen. Nach einer halben Stunde wurde sie von Dumas wieder abgeholt, und beide fuhren ganz fröhlich nach Hause. Die Damen des vielbesprochenen »galanten Zeitalters« hätten sich nicht freier und ungenierter bewegen können als die ganz dem Genüsse ergebenen Frauen des Zweiten Kaiserreichs.
Und noch eine Ähnlichkeit hatte diese Epoche mit der des 18. Jahrhunderts. Die Krinoline des Zweiten Kaiserreichs ähnelte auffallend dem Reifrock, dem Vertugadin des Rokoko. Das Unterkleid von Roßhaar, die gestärkten, mit vielen Falbeln versehenen Unterröcke der Damen der Romantikerzeit hatten im Jahre 1855 wieder einem Reifengestell weichen müssen, worin die Modeköniginnen wie in einem Käfig einhergingen. Aber keine Mode hat so viel Spott, so viele witzelnde Betrachtungen von Seiten der Männer herausgefordert wie die Krinoline. Und nicht nur in Witzblättern, sondern auch in ernsten Werken wie in Friedrich Theodor Vischers »Wissenschaft des Schönen«, wo es heißt:
»Die Krinoline ist impertinent. Impertinent natürlich schon wegen des großen Raumes, den sie für die Person in Anspruch nimmt. Allein, das ist noch viel zu allgemein, zu abstrakt gesprochen; nein, impertinent wegen der ungeheuer herausfordernden, augenfälligen Beziehung auf den Mann. ›Willst du‹, so spricht die Krinoline zum Individuum männlichen Geschlechts, das ihr in die Nähe kommt, ›hinunter übers Trottoir, oder willst du es wagen, mich anzustreifen, zu drücken? Willst du da neben mir auf dem Parkettsitz mein Kleid auf den Schoß nehmen und darauf sitzen? Fühlst du die eisernen Reifen? Fühlst du die uneinnehmbare Burg, den Malakoff-Kranz, den entsetzlichen Gürtel der Tugend, der an deine Waden drückt? – Wir werden frivol?‹ – O reizende Leserin, für so unschuldig wirst du selber uns dürre Gelehrte nicht halten, daß du glaubest, wir wüßten nicht, was Kleider bei dem schönen Geschlecht sind und bedeuten, wir meinten, sie könnten je etwas anderes sein als eine Welt von Beziehungen, Andeutungen, eine schweigend beredte Sprache, eine Rüstkammer sanfter Fragen, furchtbarer Abweisungen, rührender Bitten, grausamer Drohungen, glühender Geständnisse, kalter Verschließungen, oder es wäre uns verborgen, welche unter diesen Rüstzeugen die mehr verführerischen seien, die entgegenkommenden oder abschreckenden, wir zweifelten, was den Mann kühner mache, wenn man ihn lockt oder wenn man ihn in eine Ecke drückt. – Aber, unsittlicher Mensch, erkennst du denn nicht, daß ein Kleid, das von den wirklichen Körperformen so weit absteht, daß es gar kein Bild von ihnen gibt, das allersittsamste ist? Au contraire, im Gegenteil ... der Kontrast ist es, der reizt, die Entstellung, welche über die wahre Gestalt, über die Naturgeheimnisse mit schärfster Neugier nachzudenken nötigt, welche den gründlichen Forscher anleitet, abzuwarten, bis etwa eine jener Kreisschwingungen mehr gesteht als das Kleid selbst, und so den frechen Eroberer – doch halt! Du süße Unschuld, die etwa diese Zeilen lesen sollte und doch in Krinoline geht, verkenne uns nicht! Wir sind nicht so böse, als es scheint; wir schreiben das Schlimme, was uns bei einer verfänglichen Tracht einfällt, nicht auf Rechnung der einzelnen; wir meinen nicht, jede liebenswürdige Trägerin durchlaufe in ihrem Köpfchen die bösen Gedanken, die in diesen Formen lauern; wir kennen die Macht der Mode, wie sie blendet und zwingt ... Nur das mute man uns nicht zu, daß wir glauben, sie seien in dem großen Hexenkessel, aus welchem die Moden hervorgehen, in Paris, sich dessen nicht bewußt, was man braut.«
Selbstverständlich wußten das die Modeschöpferinnen aller Zeiten, denn jede Modelaune wird bewußt geschaffen. Die eleganten Frauen des Zweiten Kaiserreichs folgten dieser Laune ebenso wie jeder anderen so lange, bis eine neue an ihren Platz trat. Übrigens kann man sehr Ergötzliches über die Krinoline in Wendels Werk »Die Mode in der Karikatur« Erschienen im Paul Aretz Verlag, Dresden, 1928. lesen. Auch Challamel in seiner »Histoire de la Mode« macht sich über den »Drahtkäfig« lustig, oder besser, er tadelt die Unsinnigkeit der Frauen, die sich mit solchen Monstren umgeben. »Über die ernstesten politischen Tagesfragen wurde von den französischen Männern nicht leidenschaftlicher diskutiert wie von den Französinnen über die Krinoline«, sagt er ... »Trotz ihrer Feinde, oder vielleicht gerade wegen ihrer Feinde, regierte die Krinoline bald als absolute Herrscherin.« – Viele Frauen, die sich erst energisch dagegen gesträubt hatten, nahmen sie doch schließlich an, denn die Mode verlangte eine Betonung der Korpulenz, das Kaschieren der Magerkeit, besonders aber lag den Damen daran, nicht rückständig zu sein. Wer nicht die »Drahtgestelle« tragen wollte, nähte sich in die Röcke Reifen oder zog vier bis fünf ganz steif gestärkte Unterröcke mit vielen Volants an. Auf jeden Fall war diese Kleidermode mehr eine Last als ein Vergnügen. Die Frauen hatten das Aussehen von Puppen, und mehr als auf eine andere Epoche paßt auf das Zweite Kaiserreich der Ausspruch Taines: »In Frankreich sind wir nur allzusehr bereit zu glauben, eine Frau sei nur eine Frau, wenn sie eine Puppe ist!«
Die schöne Kaiserin Eugenie, ehemals Mademoiselle de Montijo, der man die Einführung der Krinolinenmode fälschlich zuschreibt, war nicht nur eine große Zauberin im Kreise vieler charmanter und eleganter Frauen am Hofe Napoleons III., sondern auch vom ersten Tage ihres Erscheinens an die Beherrscherin der Eleganz. Aber sie ist weder die lasterhafte Frau gewesen, die eine Dirnen Wirtschaft am Hofe ihres Mannes einführte, noch hat sie selbst als Kaiserin ein ausschweifendes Leben geführt. Manche ihrer zügellosen Zeitgenossinnen aus den höchsten Kreisen hätte, wie wir gesehen haben, sich eher an ihr ein Beispiel nehmen können. Eugenie war kokett, vergnügungssüchtig, verschwenderisch, sehr elegant – und sehr schön – Dinge, die dem Ruf einer Dame allzu leicht schaden können. Es schlichen sich in ihren Kreis Elemente ein, deren Sitten durchaus nicht einwandfrei waren, für die sie jedoch nicht verantwortlich zu machen ist. Sie war eine Frau, die den Weihrauch der Bewunderung brauchte. Sie flirtete und kokettierte gern. Ohne dem Kaiser jemals wirklichen Grund für seine zahlreichen Untreuen und Seitensprünge zu geben, bereitete es ihr doch das größte Vergnügen, so »en passant« die Herzen der Männer zu entflammen. Sie brauchte diese Sensationen, diese Bestätigung ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft, ihrer wirkungsvollen, südlichen Anmut und Schönheit. Sie genoß solche Augenblicke in vollen Zügen. Ein Zufall, eine Laune, die Phantasie einer Stunde hatten für sie den prickelnden Reiz des Unbekannten, und sie überließ sich ihm mit der ganzen Impulsivität ihres spanischen Temperaments. Bisweilen stürzte sie sich sogar bis zur Unvorsichtigkeit in derartige kleine Abenteuer, und in dieser Beziehung erinnert sie ein wenig an die lebenslustige und so reizend unvorsichtige Marie Antoinette. Maskenbälle übten auf sie ebenso wie auf die Österreicherin auf dem Throne Frankreichs einen unwiderstehlichen Reiz aus. Hier konnte sie für ein paar Stunden alle Etikette beiseite lassen. Hier lastete nicht die schwere Krone des Reichs auf ihr. Hier fühlte sie sich frei wie eine andere Dame der Gesellschaft. Sie glaubte sich zurückversetzt in jene Zeiten, da sie als Mademoiselle de Montijo auf Bällen und Maskeraden mit jedem tanzen und flirten konnte, der ihr gefiel. Dazu kam der Reiz des Mysteriösen, daß niemand ahnte, wer die entzückende graziöse Maske war, mit der man so köstliche Augenblicke des Flirts verbracht hatte.
Es kam aber auch vor, daß Ihre Majestät durch allzu stürmische Galane arg bedrängt wurde und in die größte Verlegenheit geriet, besonders wenn sie es wagte, sich maskiert zu Volksbelustigungen zu begeben, wo sie natürlich völlig unbekannt war. Auf den Bällen in den Tuilerien erkannte man sie indes meist an gewissen Eigentümlichkeiten ihrer Bewegungen, ihres Ganges, ihrer Gesten, ihrer Art, mit jemand zu sprechen, denn der Domino verhüllte nur unvollkommen ihre Persönlichkeit demjenigen, der sie kannte. Dennoch geschah es einmal, daß sie auch in ihren Kreisen nicht erkannt wurde und die zudringlichen, leidenschaftlichen Liebesbeteuerungen eines der verwöhntesten, kecksten und als Frauenverführer bekanntesten Männer über sich ergehen lassen mußte. Es war der Marquis de C., ein überzeugter Legitimist. Er hatte nie einen Fuß in die Tuilerien während der Herrschaft Napoleons III. gesetzt und kannte infolgedessen die Kaiserin nicht genau. Der Maskenball, auf dem sie ihm unter dem Domino begegnete, fand beim Herzog von Morny statt. Als geübter Frauenkenner bemerkte der Marquis sofort die elegante Maske mit den verführerischen Bewegungen, der unsagbaren Grazie und entzückenden Gestalt. Er heftete seine Schritte an die ihren und verliebte sich Hals über Kopf in die schöne Unbekannte. Sie war nicht abgeneigt, mit ihm zu flirten, wollte aber weder ihre Maske noch das Inkognito lüften, das sie aufs strengste bewahrte. Er wurde immer zudringlicher, spielte den Gefühlvollen, den Leidenschaftlichen in einem Maße, daß die kokette Frau Angst bekam, vor ihm flüchtete und in der Menge verschwand. Eine Zeitlang verlor er die Geheimnisvolle aus den Augen. Schließlich entdeckte er sie wieder in einem kleinen Salon mit der Herzogin von Bassano. Er drängt sich an ihre Seite und flüstert ihr ins Ohr: »Ich verlasse dich nicht, schöne Maske, bis du mir deinen Namen genannt und bis ich dein hübsches Gesicht von der abscheulichen Samtlarve befreit habe.« Seine glühenden Liebesworte werden immer deutlicher. Aber sie lacht und weicht seinen Andeutungen aus. Da wird er noch unternehmender und sagt: »Gut, wenn du mir nicht gutwillig sagst, wer du bist, werde ich es mit Gewalt erzwingen. Ich werde aufpassen, wenn du den Ball verläßt, und in deinen Wagen steigst. Und wenn du mir bis dahin nicht das erhoffte Wort gesagt hast, werde ich ebenso schnell wie deine Pferde zu deiner Wohnung eilen und dich an der Tür erwarten. Dann wird es für mich nicht schwer sein zu wissen, wer du bist.« Aber auch diese kühnen Worte konnten die Kokette nicht verblüffen. Mit gespielter Sentimentalität erwiderte sie: »Folge deiner Laune; wenn dein Herz nicht aufrichtig ist, habe ich nichts mit dir zu schaffen. Wenn ich aber deinen Liebesversicherungen Glauben schenken kann und die Gefühle, die du mir entgegenbringst, echt sind, dann suche mein Geheimnis nicht zu durchdringen. Als Entschädigung verspreche ich dir, deine Wünsche zu erfüllen, wenn sie vernünftig sind.« –»Was könnte ich wohl wünschen, als ein Rendezvous?« erwiderte der Marquis. – »Ein Rendezvous? Nun, die Sache ist zwar nicht einfach, aber es soll dir gewährt werden. Allerdings nicht bei mir zu Hause. Ich bin verheiratet. – Du kannst mich aber morgen nachmittag um 5 Uhr im Bois de Boulogne in der Nähe des Sees wiedersehen. Ich werde in einem offenen Landauer fahren und zweimal mein Taschentuch an meine Lippen drücken. Daran sollst du mich erkennen.«
Zur festgesetzten Stunde findet sich der Marquis im Bois de Boulogne ein. Sein Herz schlägt hoffnungsfreudig. Er malt sich bereits einen Liebesroman mit der schönen Unbekannten aus, zum mindesten ein paar Stunden der Intimität. Vornehme Equipagen mit reizenden Frauen rollen an seinem Wagen vorüber. Aber keine von ihnen hebt das spitzenbesetzte Taschentuch an ihre Lippen. Plötzlich kommt Bewegung und Neugier in die zu Fuß gehende Menge und die lange Reihe der Equipagen. Man bleibt stehen. Pikeure verkünden das Nahen des Wagens der Kaiserin. Auch der Marquis de C. hat seinen Wagen halten lassen und sein Haupt zur Begrüßung Ihrer Majestät entblößt. Langsam fährt sie in ihrem mit vier Pferden bespannten Landauer vorüber. Aber wie ist ihm? Irrt er sich, oder ist es Tatsache? Die Kaiserin führt zweimal mit einer leichten Geste ihr Taschentuch an den Mund und lächelt? Sie also war jene elegante Maske, der er am vorhergehenden Abend so nachgestellt hat? Noch hat er sich nicht von seiner Überraschung erholt, als der Stallmeister vom Dienst sich aus dem kaiserlichen Gefolge loslöst und an den Wagen des Marquis tritt und zu ihm sagt: »Mein Herr, Ihre Majestät läßt fragen, an welchem Tag es Ihnen angenehm wäre, in die Tuilerien eingeladen zu werden.« Aber er kam dieser liebenswürdigen Aufforderung nicht nach; seine royalistische Gesinnung war stärker als die Versuchung, die schöne Kaiserin öfters sehen zu können.
Er war nicht wie Napoleon III., den Mademoiselle de Montijo auf den ersten Blick gefesselt hatte, als er noch Prinz Louis Napoleon war. Das schöne Mädchen zeichnete ein ganz persönlicher Charme aus. Das wohlklingende Organ, die Art, sich zu geben, zu sprechen, die weiche, geschmeidige Gestalt und die Grazie der Spanierin, ihr fremdländisches Französisch, alles trug dazu bei, den ungeheuren weiblichen Reiz zu erhöhen, den Eugénie de Montijo besaß. Louis Napoleon sah sie zum erstenmal im Salon seiner Kusine, der klugen Prinzessin Mathilde. In ihren Salons war gewöhnlich alles vertreten, was die Welt an bedeutenden Menschen, an schönen, extravaganten Frauen, an Berühmtheiten in Kunst und Literatur, an vornehmen Ausländern, aber auch an Abenteurern zu bieten hatte. Und so waren auch die Damen Montijo in Mathildes Kreis gekommen, die Mutter und die Tochter. Zwar stammten sie aus einer alten spanischen Grandenfamilie, aber sie waren verarmt und führten ein nicht ganz einwandfreies Abenteurerleben, wenigstens die Mutter.
Während des Diners beschäftigte sich Prinz Louis Napoleon ausschließlich mit der bildschönen Fremden, und wenige Tage später machte er ihr seinen ersten Besuch in dem nichts weniger als luxuriösen Appartement, das Eugerhe de Montijo mit ihrer Mutter Place de Vendôme Nr. 12 innehatte. Die Chronique scandaleuse erzählt, der zukünftige Kaiser habe sich um die sechsundzwanzigjährige Mademoiselle de Montijo in einer Weise bemüht, daß man hätte annehmen können, er wolle sie zu seiner Mätresse machen. Aber so sehr sich Napoleon auch um sie bewarb, immer erwiderte man ihm: »Prinz, nur als rechtmäßige Gattin.« Er verliebte sich immer mehr, besonders als er sie später zu den Jagden in Fontainebleau mit einer Grazie zu Pferde sitzen sah, die keine der Frauen seiner Bekanntschaft besaß. »Mademoiselle de Montijo, eine junge blonde Spanierin von hoher Geburt, ist seit der Reise nach Fontainebleau das Ziel der Aufmerksamkeit des Prinzen«, bemerkt Viel Castel. Damals war Napoleon bereits Präsident, und bald darauf wurde er Kaiser von Frankreich. »Der Hof ist immer noch in Compiègne, wo man jagt, tanzt und sich amüsiert«, berichtet fernerhin Viel Castel. »Der Kaiser ist stark verliebt in Mademoiselle de Montijo, die schöne anmutige Spanierin, deren Schwester den Herzog von Alba geheiratet hat. Mademoiselle de Montijo macht alle Lustbarkeiten mit. Sie wird sichtlich begünstigt, aber ich glaube nicht, daß sie sich dem Gesetz eines Siegers unterwerfen würde ... Der Hof verlängert seinen Aufenthalt in Compiegne. Dem Kaiser gefällt es hier. Mademoiselle de Montijo ist viel gesucht und umschmeichelt.« Sie befand sich mit ihrer Mutter unter den geladenen Gästen des Kaiserhofs. Aber Napoleon III. dachte bei weitem noch nicht daran, Eugénie de Montijo zu heiraten. Erst als er vergeblich an die Türen aller Höfe geklopft hatte, fiel seine Wahl auf sie, der sein Herz gehörte. Gleichsam als Revanche, daß man ihm nicht eine Infantin gegeben hatte, hielt er um die Hand der entzückenden Spanierin an, die zwar eine Nachkommin der Guzman war, aber einem Thron doch sehr fern stand. In den Hof kreisen wollte man es kaum glauben. Was? Eine Liebesheirat auf dieser Höhe der Macht? Das gab es also auch außerhalb der Märchen- und Feenwelt? Man hatte keinen anderen Gesprächsstoff als dieses außergewöhnliche Ereignis, und jeder wollte nun der erste sein, der die zukünftige Kaiserin in seinem Hause empfing.
Zu Ehren Eugénies und ihrer Mutter veranstaltete der Herzog von Morny in seinem Palais ein glänzendes Fest. Alles, was es an eleganten Damen der großen Welt in Paris gab, war dazu eingeladen. Aber noch nicht alle wußten von dem Theatercoup, der sich vorbereitete. Und für diejenigen, die ins Geheimnis gezogen worden waren, war es eine amüsante Komödie zu sehen, wie man sich gegen die Damen Montijo verhielt. Einige Marquisen und Herzoginnen, verschiedene Frauen von Gesandten und Diplomaten hatten bereits die Nase gerümpft, als sie erfuhren, daß auch die Gräfin de Montijo mit ihrer Tochter erscheinen würde. Und unter dem vorgehaltenen Fächer tuschelte man sich nicht eben wohlwollende Bemerkungen über die Damen zu. Als dann aber Eugénie de Montijo in einer entzückenden Toilette aus weißem Tüll, mit vollendeter Grazie, natürlicher Anmut und Liebenswürdigkeit erschien, mußten doch alle zugeben, daß sie eine schöne begehrenswerte Frau war. Und am 30. Januar 1853 wurde die Nachkommin der Guzman in Notre Dame mit allem religiösen Pomp und mit dem glanzvollen Prunk des Hofes Kaiserin von Frankreich. Auch das Volk, das diese neue Kaiserin mit Staunen betrachtete, konnte mit Genugtuung feststellen, daß Napoleon III. auserlesenen Geschmack mit der Wahl dieser schönen Frau bewiesen hatte. Sie verstand es vom ersten Tage an, Frankreich und dem Ausland ihre eigene Note in der Kleidung aufzudrücken. Als Braut trug sie ein Kleid aus weißem Seidensamt mit langer Schleppe. Der Rock war mit unzähligen Volants aus kostbaren Alenconer Spitzen besetzt, die Taille über und über mit Diamanten geschmückt. Den Brautschleier, ebenfalls aus Alenconer Spitzen, hielt ein kleiner Kranz Orangenblüten und ein wundervolles Diadem aus Saphiren zusammen. Damals trug sie ihr herrliches goldbraunes Haar hoch aus der Stirn frisiert, und diese reizende Haartracht wurde sofort von allen eleganten Frauen als Modefrisur angenommen.
Ohne in der ersten Blüte der Jugend zu stehen, besaß Eugénie die blendende Frische eines ganz jungen Mädchens. Die wundervolle Harmonie der Proportionen ihrer Gestalt und ihres herrlichen, wie aus einer Kamee geschnittenen Gesichts ließen keinerlei Kritik zu. Besonders ihr Profil war tadellos. Ihre Züge besaßen einen ungeheuren Charme. Jede Einzelheit ihres Gesichts trug dazu bei: die wundervoll glänzenden blauen Augen, die damals noch nicht verrieten, daß sie auch hart in die Welt schauen konnten, ein reizender, sehr kleiner, kühn geschwungener Mund, der zarte, fast durchsichtige Teint, Haare, die weder blond noch rot noch braun waren, sondern einen goldenen Schein hatten, den nur sie allein besaß,– kurz: alles an ihr war mit einem seltenen Reiz der Erscheinung verbunden. Besonders ihr liebenswürdiger, heiterer Charakter war bestrickend. Der Kaiser selbst sagte später, als sie seine Frau war: »Keine könnte mir besser gefallen. Sie ist ergeben, sie ist lustig, sie ist gütig und sie ist geistreich.« Freilich schloß das bei ihm nicht aus, daß er ihr oft und ausgiebig untreu war, und sie selbst unterstützte bisweilen seine Seitensprünge, ja sie war oft sogar die Freundin seiner Mätressen. Die Gräfin Walewska, eine geborene Florentinerin, war eine seiner längsten Favoritinnen und die intimste Freundin der Kaiserin, ebenso die Gräfin Labédoyère, die seine Gunst genoß.
Mit Eugénies Erhebung auf den Thron des Zweiten Kaiserreichs begann eine Epoche der Eleganz und der Pracht. Feste folgten auf Feste. Man vergötterte sie. Die Pariser lagen dieser schönen, vergnügungssüchtigen jungen Kaiserin zu Füßen. Eugénies Reise in die westlichen Provinzen von Frankreich glich einem Triumphzug. Allen erschien sie äußerst liebenswürdig. Sie verstand es wie keine andere, mit einer graziösen Geste, einem Blick aus ihren hellen Augen die sich um ihre Wagen stauende Menge in der Runde zu grüßen. Jeder fühlte sich persönlich von ihr ausgezeichnet. Wenn sie in Paris ausfuhr, brachte man ihr Blumen über Blumen, so daß ihr Wagen in der ersten Zeit stets aussah, als führe sie zu einem Korso. Sie hatte es in glücklichster Weise verstanden, sich populär zu machen. Überall war man von ihrer Freigebigkeit, ihrer Wohltätigkeit des Lobes voll. Sie gab mit vollen Händen, und noch lange sprach man von dem Opfer, das sie am Tage nach ihrer Hochzeit gebracht habe. Die Stadt Paris hatte ihr ein prachtvolles Diamantenhalsband zum Geschenk überreicht, aber Eugénie hatte es nicht angenommen, sondern den Geldwert dieser Juwelen zur Verteilung unter die Armen bestimmt. Was sie indes nicht hinderte, gleich darauf sich vom Kaiser ein ähnliches Schmuckstück schenken zu lassen, dessen Wert sich auf eine Million Franken bezifferte. Sie wurde nicht müde, philantropische Werke ins Leben zu rufen, Wohltätigkeitsfeste, Bazare zu veranstalten, und die Presse fand kaum Worte genug, diese großzügige Wohltätigkeit der neuen Kaiserin zu loben. Nicht ganz allein zum Zwecke der Wohltätigkeit wurden diese Feste veranstaltet. Sie gaben Eugénie die beste Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Schönheit und Eleganz. Wenn sie zu einem solchen Feste in einer neuen, fabelhaft geschmackvollen Toilette erschien, sprach die ganze Welt von ihr. Diese Bälle und Bazare waren der Rahmen, in dem ihre fremde südliche Schönheit und ihr Charme erst zur vollen Geltung kamen. Nichts war geeigneter, einer schönen Frau und Kaiserin zur Popularität zu verhelfen, aber nichts war auch mehr dazu geschaffen als diese pompös aufgezogenen Bazare, ihrer Verschwendungssucht und Prachtliebe und ihrem Luxusbedürfnis zu frönen. Und sie war nicht die einzige, die dieses Scheins und Glanzes bedurfte. Die Aristokratinnen und Gattinnen der reichen Bankiers und Finanzmänner waren beinahe noch mehr von einer Scheinwelt umgeben, was einen Pariser Historiker zu dem außerordentlich scharfen Tadel herausfordert: »Scheinen und glänzen – das ist das Dasein dieser eleganten Damen, die vor lauter Idealisierungssucht aufgehört haben, Frauen zu sein. Unter den engen, für die Schaustellung geschnürten Korsetts schlägt das Herz nicht mehr; unter dieser matten, weißen Haut kreist das Blut nicht mehr; diese zarten Körper scheinen nicht für die Mutterschaft gemocht, und die Leidenschaft würde sie knicken wie Rohr. Diese in Seide und Spitzen gehüllten Gefallsüchtigen, die in prächtigen Equipagen einherfahren, leben nicht mehr wie andere Menschen; sie sind von einer steten Inszenierung umgeben, und der Dunstkreis, in dem sie leben, ist ebenso berauschend wie künstlich.
Bei den Abendgesellschaften, wo sie einen Augenblick an der Seite ihres Gatten erscheinen, empfinden sie nicht mal die tiefe Leere, die herzzerreißende Trübsal dieser korrekten, aufgeblasenen Zusammenkünfte, bei denen jede etwas leidenschaftliche Unterhaltung verpönt ist und nur die kalte Konvenienz herrscht, das heißt Vorstellungen, Begrüßungen und Redensarten, die man nach dem mondänen Zeremoniell miteinander austauscht. Ihre einzige geistige Beschäftigung ist in diesen Stunden die Toiletten- und Modenschau der ›schönen Damen‹, die dort gesellschaftlich repräsentieren, das Abschätzen der Diamanten, die sie auf ihren Schultern tragen, um am nächsten Empfangstage einen aktuellen Gesprächsstoff zu haben.«
Einen solch ausgiebigen Gesprächsstoff hatten nun die Pariserinnen der großen Welt bei Gelegenheit der Einführung der Damen Montijo bei Hofe und später, als die Kaiserin selbst die Beherrscherin der Eleganz wurde. Der Hof des Zweiten Kaiserreichs gab beinahe dem Ersten an Pracht und Eleganz nichts nach. Aber es ging ungezwungener, lustiger, fröhlicher und weniger zeremoniell zu als am Hofe des Ersten Empire. Eugénie liebte es, besonders in ihrer Glanzzeit, sich mit hübschen, eleganten Frauen zu umgeben, denen Jugend und Anmut, Geschmack, Esprit, Fröhlichkeit, Extravaganz und Koketterie zur Verfügung standen. Ihr unwiderstehlicher persönlicher Zauber gewann nur noch mehr in dieser harmonischen Umgebung und warf doppelte Lichter auf ihre Eleganz, ihre vollerblühte Schönheit und ihre Sonderstellung. Was hatte sie bei einem Vergleich mit den schönsten Frauen ihrer Umgebung zu fürchten? Ihre reizenden Gesichtszüge ließen nichts zu wünschen übrig. Der leuchtende Ausdruck ihrer mandelförmig geschnittenen Augen, der matte Teint, die klassische Schönheit ihres Halses, ihrer Schultern, der Büste, die aus einer Wolke von Tüll oder Musselin hervorschauten, der elastische Gang der Südländerin erweckten allgemeine Bewunderung und hatten kaum eine Rivalin zu fürchten, wenigstens nicht in der ersten Zeit ihres Auftretens, als sie noch nicht die selbstbewußte, gefeierte Schönheit und die alles an sich reißende Herrscherin betonte. Sie war eine der elegantesten Frauen ihrer Zeit, aber die »Erfinderin« der Krinoline ist sie doch nicht gewesen. Im Gegenteil, sie gehörte zu denen, die sie im Jahre 1860 als erste wieder ablegten. Sie hatte sie nur aus ästhetischen Gründen während ihrer Schwangerschaft getragen. Eine ihrer Palastdamen, Madame Carette, spricht in ihren Memoiren über die Krinolinenmode, wie unbequem und unpraktisch sie war, und daß die Kaiserin selbst bald zur Einsicht gekommen sei, sie wieder abzuschaffen. »Die Menge Stoff, die einen von allen Seiten umgab, erschwerte das Gehen, zumal die enge Taille in der Mitte dieser Masse wie losgelöst von dem übrigen Körper schien. Es war beinahe unmöglich, sich zu setzen, ohne daß die stählernen Reifen sich verschoben. Wenn die Damen im Wagen zu einer Gesellschaft, zu einem Ball, in die Oper etc. fuhren, mußten nicht nur sie die größte Behutsamkeit anwenden, um die kostbaren Spitzen und Blumen, die Tüll- und Chiffonfalbeln, die Schleifen und Bänder nicht zu zerdrücken, sondern auch der Kutscher mußte sehr vorsichtig fahren, um jedes Durcheinanderrütteln sorgsam zu vermeiden. Die Herren durften nur den bescheidensten Platz im Wagen einnehmen und hatten die größte Mühe, der so bereiften und bebauschten Schönheit beim Aussteigen den Arm zu bieten.«
Zu Anfang des Zweiten Kaiserreichs blieb die Mode ungefähr die gleiche wie 1850. Die Röcke wurden etwas bauschiger. Man trug Korsagen à la Vierge, à la Pompadour, à la Watteau mit Garnituren von Spitzen, Samt, Blumen, Bandrüschen, was äußerst graziös wirkte. Die Nuancierung der Farben und Stoffe ging ins Unendliche. Die Modetöne hießen »Teba«, »Glimmersteingelb«, »Sonnengelb«, »Maikäferbraun«, »verblühte Rose«, ein ganz mattes Grau und Grün waren sehr beliebt. Für Abendkleider wählte man am liebsten einen antikrosa oder antikblauen Moiré mit Seidenfransen, echten Spitzen oder weißem Straußfederbesatz garniert. Die Kleider waren noch mäßig weit und noch nicht überladen. Die Mode ähnelte in den ersten Jahren eher der Mode des Konsulats, »erst in der zweiten Periode der Regierung Napoleons III.«, sagt Uzanne, »erschien die schreckliche Krinoline, zum Erstaunen aller Französinnen, die das Lächerliche dieser unglaublichen Mode wohl fühlten.«
Zu den auffallendsten und elegantesten Frauen der Umgebung der Kaiserin gehörte die Gräfin de Castiglione, eine wunderschöne Florentinerin. Sie hatte den Grafen de Castiglione, Kabinettchef und ersten Stallmeister des Königs Viktor Emanuel, geheiratet. Nachdem sie ihn ruiniert hatte, ließ sie sich nach zweijähriger Ehe wieder von ihm scheiden.
Virginie de Castiglione kam eigentlich in einer Art diplomatischer Mission an den Hof Napoleons III. Sie war die Mätresse Viktor Emanuels, und Cavour glaubte, nicht zu Unrecht, ihre provozierende Schönheit und ihr galanter Ruf würden auf den für Frauenschönheit sehr empfänglichen Napoleon III. und seine Minister großen Eindruck machen. Madame de Castiglione sollte mit ihrer Intelligenz, ihrem anschmiegenden und gleichzeitig dominierenden Charakter den Einfluß der führenden Männer gewinnen und Cavours Diplomatie mit Frankreich unterstützen. Ihr ging der Ruf einer überaus faszinierenden Persönlichkeit voraus. Alle Zeitungen waren voll von ihr und ihrem mondänen Leben, ihren Kapricen und Extravaganzen. Sie hatte ihren Mann nie geliebt und sich mit vielen anderen getröstet. Einer der ersten war der König von Italien gewesen, obwohl er weder so jung noch so gutaussehend wie ihr Gatte war, noch irgend etwas Verführerisches in seinem Benehmen gegen Frauen besaß. Aber er war sinnlich und energisch, und beides fehlte dem jungen Grafen de Castiglione. Vergebens umgab er seine Frau mit dem größten Luxus in seinem Schloß bei Turin, vergebens stürzte ersieh in die wahnsinnigste Verschwendung, um ihre Launen zu befriedigen und ihr Leben zu verschönen. Sein Lohn ihrerseits war kalte Abweisung und ein verächtliches Lächeln. Viktor Emanuel im Gegenteil verwöhnte sie nicht. Er glänzte weder durch Eleganz, noch durch Takt, noch durch ein besonders geselliges Wesen. Er haßte alle Gesellschaften und langweilte sich tödlich auf Bällen. Die Jagd, Manöver, Paraden und die gröberen sinnlichen Vergnügungen vermochten ihn allein zu interessieren. Der Volkswitz behauptete: »Kein Monarch hat es besser verstanden als Viktor Emanuel, sich zum Vater seiner Untertanen zu machen.« Als er der Gast am Hofe Napoleons III. war, amüsierte er durch seine groben Spaße und Andeutungen aufs höchste die Herren und trieb den Damen, die gerade zu jener Zeit gewiß nicht prüde waren, die Schamröte ins Gesicht. Eine sehr geistreiche Frau in der Umgebung der Kaiserin Eugénie, die Gräfin Damrémont, schildert in köstlicher Weise die ungeschickten Zudringlichkeiten dieses italienischen Soldatenkönigs gegenüber den jungen Prinzessinnen und Damen des Kaiserhofs. Gleichzeitig werfen ihre Bemerkungen interessante Streiflichter auf die lockeren Sitten des Hofes und die frivolen Unterhaltungen, die sich ein Herr den Damen gegenüber gestatten konnte. In einem Briefe an den französischen Gesandten Thouvenet erzählt sie, wie Viktor Emanuel eines Tages der Kaiserin Eugénie eine Schmeichelei über ihre verführerische Person habe sagen wollen und nichts anderes fand als: »Eure Majestät lassen mich Tantalusqualen erleiden.« Und der Prinzessin Mathilde erklärte er ohne Umschweife, sie übe einen seltsamen Reiz auf ihn aus; er wünsche daher bei ihr hinter verschlossenen Türen empfangen zu werden; die offenen Türflügel störten ihn außerordentlich. Ein andermal bemerkte er im Salon eine Hofdame, Madame de Malaret, knüpfte mit ihr eine sehr laute Unterhaltung an und erzählte ihr, daß es alle im Umkreise hören konnten, er liebe die Französinnen hauptsächlich deshalb, weil sie keine Beinkleider wie die Turiner Damen trügen.
Welchen Eindruck konnte ein solcher »Galantuomo« auf die Frauen machen? Die Gräfin de Castiglione fragte nicht danach. Er war König, das genügte ihr. Seine Bemerkung über die Französinnen stimmte übrigens. Dieses weibliche Wäschestück hatte sich um diese Zeit noch nicht zum »erotischen Luxusartikel« entwickelt, obwohl es von der vornehmen Welt um die Mitte des 19. Jahrhunderts in die Damenmode aufgenommen worden war, besonders in England. Aber nicht alle Frauen trugen es. Man fand Beinkleider zu ungraziös, was ja tatsächlich auch die damals bis zum Knöchel reichenden unten eng zusammengezogenen Hosen waren. Erst das Ende des 19. Jahrhunderts zeitigte jene entzückenden koketten und kecken duftigen Spitzengebilde, die die elegante Frau zur Erhöhung des Reizes ihrer Körperformen anlegt und die in immer hauchdünnerem Stoff und immer kürzeren Formen im 20. Jahrhundert ihre Triumphe höchster Eleganz feiern. Die niedlichen Hemdhöschen aus Batist, Crêpe de Chine, Crêpe lavable oder Crêpe satin der modernen Frau haben, Gott sei Dank, keine Ähnlichkeit mehr mit den für das weibliche Bein so unvorteilhaften engen Röhren, die die eleganten Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu ihren Wäschestücken zählten, und an die sich – wie es scheint mit Unbehagen – auch der König von Italien erinnerte.
Als die Gräfin de Castiglione nach Paris kam, war man höchst begierig, diese italienische Schönheit kennen zu lernen. Sie war beim auswärtigen Gesandten, dem Grafen Walewski und dessen Frau, auch einer Florentinerin, abgestiegen. Kaum war sie da, als der ganze französische Adel sich bei ihr eintragen ließ. Sie konnte sich vor Einladungen kaum retten. Zufällig fand gerade in den Tuilerien ein offizieller Ball statt, zu dem sie gebeten wurde zu erscheinen. Sie hätte sich keinen besseren Rahmen für das erste Auftreten in der Pariser Hofgesellschaft wünschen können.
Absichtlich kam sie sehr spät, um aufzufallen. Als sie gemeldet wurde, bemächtigte sich der ganzen glänzenden Gesellschaft eine derartig aufgeregte Neugier, daß beim Eintritt der Gräfin in den Festsaal die tanzenden Paare innehielten und die Musik abbrach. Allgemeine Bewunderung empfing sie. Die Kaiserin, die mit dem Kaiser tanzte, ging auf sie zu und führte sie zu einem Sessel. Napoleon bat sofort den Herzog Ernst von Sachsen-Koburg, mit der Kaiserin zu tanzen, während er die Gräfin Castiglione zu einem Walzer aufforderte und unter den Straußschen Klängen mit ihr dahinschwebte.
Aller Augen waren auf das Paar gerichtet. Der Erfolg der jungen Schönheit war vollständig. Ihr Erscheinen am Hofe wurde das Ereignis der Woche. Und jeden Tag gewann die interessante Fremde mehr Boden. Aber sie war sich auch ihres Triumphes bewußt. Ihre kostbare Person beschäftigte sie unaufhörlich, besonders wenn sie die Blicke der Männer auf sich gerichtet wußte. Immer hatte sie etwas an sich zurechtzurücken, zu zupfen, eine Locke aufzustecken, eine gelockerte Schleife zu befestigen, die tausend Falbeln ihres Kleides zu ordnen, sich zu pudern und in den Spiegel zu schauen. »Wenn sie in ihren fabelhaften Toiletten erschien und der Ballsaal gestopft voll Menschen war, stieg man auf die Stühle, um sie zu bewundern«, berichtet die Gräfin Stephanie Tascher de la Pagerie. Einmal in London, zur Ausstellung, war sie in der Oper so zauberhaft angezogen, daß die Leute auf die Sitze und Balkonrampen stiegen, um sie in ihrer Loge zu betrachten. An ihr war alles vollkommen. Von ihrem herrlichen dunklen Haar angefangen bis zu den entzückenden Füßen, die sie ebenso pflegte wie ihre reizenden schmalen Hände. Außerdem war sie ganz sie selbst. Sie ahmte nichts und niemand nach. Stets war sie individuell gekleidet, nur darauf bedacht, die ihr von der Natur so reich gewährten Gaben noch zu erhöhen und zu verschönen. Ihre immer wieder neuen Frisuren waren berühmt. Sie hatte die Mode eingeführt, lange Straußenfedern wie einen Kranz um die Coiffure zu legen, was ihre Gestalt höher erscheinen ließ und ihr ein wahrhaft königliches Äußere verlieh. Darüber geriet sie sogar ein wenig in Streit mit der Kaiserin, die in ihrer Kleidung und in ihren Frisuren mehr konservativ blieb.
Die Frisuren zwischen 1850 und 1870 sind überhaupt ein Kapitel für sich. An Kompliziertheit und Verwendung von unechtem Beiwerk geben sie beinahe den turmhohen Gebäuden des 18. Jahrhunderts nichts nach, außer daß man die falschen Locken nicht so hoch aufbaute, sondern sie mehr an den Seiten, im Nacken und als Chignon anbrachte. Aber falsch war das meiste an den Coiffuren der Damen des 19. Jahrhunderts auch. Sie waren indes nicht so unkleidsam, wie ein sonst ausgezeichnet unterrichteter Zeitgenosse jammert: »O, die fürchterlichen über die Schultern fallenden Frisuren!« ruft er aus. »Sie hatten, um mit den mondänen Loretten der Zeit zu reden, verteufelt viel Schick. Jetzt aber, aus der Ferne betrachtet, mit unserm modernen Geschmack (das heißt mit dem Geschmack von 1900), welcher Reinfall! Diese aufgelösten Haare flatterten um den Kopf herum; zum großen Teil waren sie falsch, nur angesteckt, von scharfen Bleich- und Färbemitteln verbrannt, vom Onduliereisen versengt, vom Ammoniak ausgetrocknet. Diese toten, künstlichen Haare, die als Chignon oder krause Locken unter den Samttoques hervorquollen, waren schon das allerscheußlichste Ding von der Welt. Niemals bot eine dekadente Epoche uns etwas Groteskeres ... Die Frauen schienen geradezu Vergnügen daran zu finden, sich als Karikaturen herauszustaffieren ... und je mehr eine Dame in ihrer Kleidung Zusammenhangslosigkeit, Verrücktheit, Unwahrscheinlichkeit bewies, desto mehr hatte sie Aussicht, als Modekönigin proklamiert zu werden ... Mit den auf dem Wirbel des Kopfes aufgezwirbelten Zöpfen und Tuffs, den in den Nacken oder über die Schultern fallenden Schlangenlocken, den in Reihen geflochtenen Zöpfen, ondulierten Schmachtlocken und Zimpelfransen, die bald bis in die Augen hingen, hatten die Gesichter der Frauen nichts von jener Anmut an sich, die nur eine natürliche Frisur verleiht. Alles war falsch, theatralisch, geschmacklos. Oft, wenn sie zu diesen Haarwülsten oder Haarkaskaden noch einen kleinen, wie eine Bonbonniere geformten Toque hinzufügten, und wenn sie in ihren kurzen Kleidern in schreienden Farben, vielleicht gerade in den Modefarben eines Rennstalls, mit Sonnenschirmen, Schmucksachen und allen möglichen Uhr- und anderen Gehängen von Gold einhergingen, so muß man schon gestehen, daß die Frauen alle wie kostümierte Affen aussahen, die man gerade zu einer Affenmaskerade losgelassen hatte.«
Dieser etwas bissige Berichterstatter mag vom Standpunkt des modernen Geschmacks recht haben. Er vergißt indes, daß jede Mode, und ist sie auch noch so komisch, noch so grotesk, noch so unpraktisch und unvorteilhaft, zu ihrer Zeit ihren Reiz hat und als schön und kleidsam empfunden wird. Und besieht man sich die Schönheitsgalerie der Frauen des Zweiten Kaiserreichs, so kann man nicht sagen, daß sie »wie angeputzte Affen« aussehen. Madame de Castiglione übrigens war der Mode immer um einige Jahre voraus. Sie hielt sich weder streng an falsche Locken noch an Fischbeinpanzer und Reifrock, die eine Dame des Zweiten Kaiserreichs zu den absolut nötigen Requisiten ihrer Garderobe zählte. Das Mieder, das mit seinen tausend Möglichkeiten beim An- und Auskleiden in den Nuancen der Erotik der Frau ein so bedeutender Faktor war, spielte bei der Gräfin de Castiglione eine sehr geringe Rolle. Sie besaß andere Mittel, erotisch auf die Männer zu wirken, und brauchte dazu weder Krinoline noch Fischbeinpanzer. Im allgemeinen trug sie, wie viele andere elegante Frauen, ein Roßhaarpolster über den Hüften, so daß das Kleid nur an dieser Stelle gebauscht war und sonst in weichen Falten herabfiel. Ihre straffe, wundervoll geformte Büste bedurfte keiner Stütze. Am Abend erschien sie in tief ausgeschnittenen Kleidern, die die Schultern, den ganzen Rücken und die Brüste freiließen. Damit gewann sie wohl die Zustimmung und offene Bewunderung der Männer, aber die Damen, die sich ein so tiefes Dekolleté nicht leisten konnten, waren chokiert. Sie wählte zarte, weiche, anschmiegende Stoffe, unter denen ihre herrlichen Formen zur Geltung kamen. Die Krinoline trug sie nur, wenn sie bei Hofe vorschriftsmäßig erscheinen mußte.
Den größten Triumph aber feierte ihre kühne Phantasie auf den damals sehr beliebten Kostüm- und Maskenbällen. Dann konnte sie die wundervolle Plastik ihres Körpers in aller Freiheit sehen lassen. Einmal erschien sie auf einem solchen Fest in Compiègne als Salambo in einem völlig durchsichtigen Musselingewand ohne andere Unterkleidung als einen seidenen Trikot. Und ein andermal als »Herzdame«. Ihr dunkles Haar war aufgelöst und fiel über den nahezu nackten Oberkörper bis in die Kniekehlen herab. Überall auf ihrem Kostüm waren Herzen angebracht. Eins sogar unterhalb des Gürtels. Als Kaiserin Eugénie sie wegen dieses originellen Kostüms beglückwünschte, meinte sie etwas ironisch: »Das Herz ist etwas tiefgerutscht.« Man sprach noch lange in den Hofkreisen von diesem gewagten Kostüm der schönen Gräfin, und der Klatsch nahm kein Ende. Der scharfzüngige Viel Castel berichtet über dieses Aufsehen erregende Gewand: »Gestern abend war ein schöner Kostümball beim Minister des Auswärtigen. Der Kaiser erschien dort im Domino und hatte an seinem Inkognito viel Spaß. Aber sein langsamer, linkischer Gang und die Gewohnheit, während des Sprechens seinen Schnurrbart auszuziehen, machten ihn leicht erkenntlich. Die Gräfin Castiglione, von der jedermann sagt, daß sie mit dem Kaiser sehr intim sei, hatte das phantastischste, kühnste Kostüm gewählt, das sich erinnern läßt. Der Stil des Kostüms war halb Louis XV., halb modern: »Herzdame«! Die über dem Unterrock geschürzten Röcke und das Leibchen waren von Ketten umschlungen, die aus großen Herzen bestanden. Das wunderbare Haar der Gräfin umrieselte Schläfen und Stirn und fiel in Kaskaden auf Hals und Schultern herab. Das Kostüm, strahlend von Gold, war prächtig. Etliche gute Dummköpfe bewunderten das Talent der Gräfin, daß sie mit ihren 50 000 Franken Rente einen solchen Luxus bestreiten könnte. Die Wissenden aber murmelten: ›Es gibt nur einen Kaiser, und die Castiglione ist sein Prophet.‹ Mehr als eine Dame der Gesellschaft platzte vor Neid über die Eleganz und die Schönheit der Gräfin. Die unparteiischen Männer hingegen dachten nur eins, was sie aber nicht sagen konnten: ›Ich möchte an des Kaisers Stelle sein.‹ Was die Gräfin betrifft, so trug sie ihre Schönheit mit einer gewissen Ungeniertheit und stellte reichliche Proben davon zur Schau. Man konnte eigentlich gar nicht mehr sagen, daß sie dekolletiert war. Man konnte nur die Nacktheit ihres Busens attestieren, den ein Zephirschleier höchst unzulänglich umhüllte. Das Auge verfolgte den Umriß und die geringsten Einzelheiten, und die Partie endlich, die der Schleier völlig im Stich ließ, erstreckte sich bis in die untersten Regionen.
Die stolze Gräfin trug kein Korsett. Sie würde bereitwilligst einem Phidias – falls sich heute einer fände – Modell stehen mit nichts anderem geschmückt als mit ihrer Schönheit. Ihre Büste ist wirklich bewunderungswürdig. Ihre Brust strebt stolz in die Höhe wie die der jungen maurischen Mädchen und zeigt kein Fältchen. Diese beiden Halbkugeln scheinen der gesamten Frauenwelt eine Herausforderung zuzuschleudern. Die Castiglione ist eine Buhlerin von der Art der Aspasia, stolz auf ihre Schönheit, die sie nur so weit verhüllt, als es unbedingt nötig ist, um in einem Salon Zutritt zu haben. Ein Herr sagte gestern zu ihr, als er ihre tiefdekolletierte Büste anstarrte: ›Geben Sie acht, Gräfin, auf die beiden hochmütigen Rebellen in ihrer Korsage. Gleich werden die Männer ihre Gewänder abwerfen.‹« – Das war mehr als gewagt, aber es mißfiel der Gräfin de Castiglione nicht. Die Damen waren an einen derartigen Ton gewöhnt.
Vielleicht hätte es weniger Aufwand und weniger Herausforderung bedurft, um die Sinne Napoleons III. zu entflammen. Die Schönheit Madame de Castigliones allein hätte ihn angezogen. Und obwohl sie sich selbst mit lebhaften Worten verteidigt, der Kaiserin niemals Veranlassung zur Eifersucht gegeben zu haben, so war sie doch in Wirklichkeit nicht so diskret, daß man nicht auf eine ziemlich intime Freundschaft zu Napoleon III. schließen konnte. »Meine Mutter war dumm.« sagte sie einmal zu einer Freundin; »wenn sie, anstatt mich mit Castiglione zusammenzubringen, die gute Idee gehabt hätte, mich ein paar Jahre früher nach Frankreich zu schicken, so würde jetzt nicht eine Spanierin, sondern eine Italienerin in den Tuilerien regieren.«
»Eine schöne Gräfin«, schrieb Cavour an Luigi Cibrario, den auswärtigen Gesandten, »ist zur piemontesischen Diplomatie hinzugezogen worden. Ich habe sie aufgefordert, mit dem Kaiser zu kokettieren und, wenn es sein muß, ihn zu verführen. Wenn sie Erfolg hat, habe ich ihr versprochen, daß ich ihrem Bruder den Posten als Gesandtschaftssekretär in Petersburg verschaffe. – Gestern, im Konzert in den Tuilerien, hat sie ihre Rolle ganz geheim angetreten.« Und in Compiegne scheint die reizende Nicchia, wie ihre Freunde sie nannten, diese Rolle dann weitergeführt und zu Ende gespielt zu haben. Sie selbst schrieb später, am Ende ihrer Tage, an den Rand ihres Testaments, daß man ihr als Sterbekleid das spitzenbesetzte Nachthemd anziehen möchte, das sie einst in jener Nacht in Compiègne im Jahre 1857 getragen hätte, da Napoleon III. sie zum ersten Male im geheimen ins Schloß einlud.
Nicht zum ersten Male hing das Geschick der Staaten von einem Frauenstrumpfband oder von einem noch intimeren Kleidungsstück ab. Wie weit die Gräfin Castiglione den französischen Kaiser in seiner Politik beeinflußte, ist nicht mit Bestimmtheit festzusetzen. Sichereres weiß man über die Herrschaft, die sie über sein Herz und seine Sinne ausübte. Er besuchte sie oft in ihrer sehr versteckt gelegenen Wohnung in der Rue de la Pompe. Diese Wohnung besaß einen doppelten Ausgang, eine geheime Wendeltreppe. Ein mysteriöses Etwas, das von diesem Heim einer koketten Frau ausging, schien eigens für zärtliche Zusammenkünfte geschaffen zu sein. Man klopfte oder läutete leise. Ein Fensterchen in der Eingangstüre wurde vorsichtig geöffnet. Wer ist da? – Der Herr und Meister! – Ein schwacher Lichtstreifen deutet die Richtung nach dem Boudoir der Gräfin an. Der hohe Besucher folgt diesem Schein, und nach zwei oder drei Stunden verläßt er unter demselben Zeremoniell die mysteriöse Wohnung seiner Freundin.
Gewöhnlich sprach Napoleon nicht über seine persönlichen Erlebnisse, obwohl er in bezug auf vorübergehende galante Abenteuer nicht gerade diskret war. Alle jungen Frauen an seinem Hofe hatten es auf ihn abgesehen und machten ihm Avancen. Man wußte meist sehr rasch, welche im Augenblick seine Geliebte war. Aber derartige private Ausflüge zu seinen Mätressen, wie zur Gräfin de Castiglione, wurden streng geheim gehalten. Meist war er auf diesen Wegen von einem Geheimpolizisten, der über seine Person zu wachen hatte, in einer gewissen Entfernung begleitet. Dennoch setzte er sich oft gefährlichen Lagen aus und wäre auch beinahe einmal nach einem Rendezvous bei der Gräfin Castiglione ermordet worden. Er hatte sich inkognito in seinem kleinen Kupee, ohne Lakai, nur mit seinem Leibkutscher zu ihr begeben und befand sich um drei Uhr morgens auf dem Nachhauseweg. Als der Wagen das Haus der Gräfin verlassen hatte, sah sich der Kaiser plötzlich von drei bewaffneten Leuten angegriffen. Der Kutscher riß indes die Pferde herum. Sie stürmten wild davon und rissen die drei Attentäter zu Boden, so daß der Kaiser in rasender Fahrt unversehrt die Tuilerien erreichte.
Als die Gräfin ihr Haus in der Rue de Castiglione bezog, besuchte Napoleon III. sie auch dort. Ihre Privatgemächer besaßen eine mechanische Vorrichtung, eine Art Drehtür, die die eintretende Person völlig den Blicken der Neugierigen entzog. Und so konnte auch der Kaiser, wenn er bei seiner Mätresse erschien, von zufälligen Augenzeugen nicht gesehen werden, ebensowenig wie die anderen Bewunderer, die sie in großer Zahl bei sich empfing. Nie waren ihr Herz und ihre Sinne unbeschäftigt. Sie hatte viele Liebhaber, und alle Welt wußte es, nur der Kaiser nicht. Eine Laune, ein Wunsch, vielleicht auch nur die Sucht nach Abwechslung ließ sie von einem Genuß zum anderen taumeln. Oft waren es nur Erlebnisse von einer Nacht, ein paar Stunden des Rausches. Und nicht immer gab sie Liebe um Liebe oder Leidenschaft um Leidenschaft. Viele mußten ein Tête-à-tête mit der schönen kapriziösen Frau teuer bezahlen. Der Prinz Napoleon erzählte seiner Schwester, der Prinzessin Mathilde, daß der reiche Lord Hertford die Gunst einer Nacht der tollen Gräfin für eine Million Franken abgekauft habe. Hertford selbst hatte es ihm erzählt und ihm eine Empfangsbestätigung von der Castiglione gezeigt, die er sich hatte geben lassen. Allerdings ein fabelhafter Kavalier, dieser Lord Hertford! Aber es scheint nicht, daß man der schönen Nicchia am Hofe diese Freiheiten übelgenommen hat. Sie hatte sich die Umgebung des Kaisers wie ihn selbst erobert. Sogar Eugénie, die sie nicht gerade liebte, empfing sie zu ihren Montagsgesellschaften, und bei der Prinzessin Mathilde war sie persona grata. Mathilde Bonaparte lud sie zu allen Soiréen, Diners und Konzerten ein.
Man nahm die Gräfin Castiglione so wie sie war, mit ihrem fremdländischen Charme, ihrer Ungebundenheit, ihren Extravaganzen. Ihre unglaublich freien Allüren, ihre exzentrischen Toiletten, die unerwarteten Ausbrüche ihres Temperaments, das immer bereit war, die Zuschauer irgendwie zu verblüffen, konnten gleichzeitig sehr verletzend und ungeheuer anziehend und verführerisch wirken. Wenn es ihr einfiel, verschwand sie plötzlich von einem Fest, um den Schwarm ihrer Bewunderer loszuwerden. Und wenn sich die Anwesenden fragten, »wo mag sie denn hin verschwunden sein?« erschien sie plötzlich wieder, wie hergezaubert, in einer ganz anderen Toilette, mit Blumen und Diamanten geschmückt, noch provozierender, noch faszinierender und tausendmal mehr von den Frauen beneidet als vorher.
Ihre exzentrischen Launen bildeten das Tagesgespräch von Paris. Eines Tages fiel es ihr ein, genau wie eine der berühmten »Grandes Cocottes«, die Wände ihres Salons und ihres Schlafzimmers ganz mit schwarzer Seide bespannen und auch die Möbel, das Bett etc. mit schwarzem Taffet überziehen zu lassen. Darauf empfing sie einige ihrer Verehrer in diesem wie zu einer Totenfeier hergerichteten Appartement. Sie selbst erschien in einem zarten, durchsichtigen, weißen Musselinkleid ohne Blumen, ohne Diamanten. Der Kontrast war sinnverwirrend und hatte die Wirkung, die sie wünschte. Man sprach tagelang von dieser neuen Kaprice der Gräfin de Castiglione.
Ein andermal, im Winter, als sie mit ihrem neuen Favoriten Nieuwerkerke, den sie der Prinzessin Mathilde auszuspannen gedachte, den Tee in ihrem Salon nahm, kam sie auf den Gedanken, sich mit ihm am Heiligabend um Mitternacht auf dem Dache des Louvre ein Rendezvous zu geben, um die Weihnachtsglocken läuten zu hören. Nieuwerkerke, der Generalintendant der Schönen Künste, liebte derartige Extravaganzen und ging darauf ein. Sie war pünktlich zur Stelle, und um Mitternacht konnten die Pariser sie mit dem Herrn Intendanten im Mondlicht auf dem Dache des Louvre wandeln sehen.
Sie leistete sich noch viele andere derartige Stückchen. Auch ihr früherer Gatte konnte davon erzählen. Als sie eines Tages mit ihm seine Mutter besuchen sollte, die sie wie die Pest haßte, wollte sie durchaus nicht seinem Wunsche nachkommen, bis er sie zwang, in den Wagen zu steigen, weil ein Besuch der Schwiegermutter absolut nötig war. Sie gab nach, aber auf einer Brücke zog sie sich plötzlich die Schuhe aus und warf sie in den Fluß. »Jetzt«, sagte sie zu ihrem Mann, »kannst du mich nicht zu deiner Mutter mitnehmen, denn ich kann doch nicht in Strümpfen vor ihr erscheinen.« Sie hatte ihren Willen durchgesetzt.
Das Prestige ihrer körperlichen Schönheit trieb sie bisweilen zu Überspanntheiten, die sie selbst im Krankenzimmer nicht verließen. Der Doktor Arnal, ein alter, ehrwürdiger Herr, war ihr Hausarzt und gleichzeitig der Arzt der Kaiserin. Eines Tages fühlte sich die Gräfin de Castiglione auf einer Badereise in Le Havre ernstlich krank und ließ sofort den berühmten Mediziner aus Paris rufen. Er traf in größter Eile ein und begab sich sogleich in das Hotel, wo die Gräfin abgestiegen war. Aber zu seinem Erstaunen wurde er nicht empfangen. Man bat ihn wiederzukommen. Er tat es, wurde aber wieder abgewiesen mit den Worten, die Frau Gräfin sei noch nicht in der Lage, seinen Besuch anzunehmen. Und Stunde um Stunde verrann. Endlich bekam er die Kranke zu sehen, die es so eilig gehabt hatte, ihn herbeizurufen. Um 9 Uhr früh war er bereits eingetroffen, aber erst um 2 Uhr nachmittags gestattete ihm die Gräfin, das Krankenzimmer zu betreten. Welche Überraschung bot sich ihm! Das Zimmer war angefüllt mit den herrlichsten Blumen, der ganze Fußboden, das Bett, die Sessel, das Sofa waren mit Rosen übersät. Die Kranke selbst lag herrlich geschmückt, mit Diamanten im Haar, an den Armen und um den Hals, in ihren spitzen besetzten Seidenkissen, bleich und vom Fieber geschüttelt. Die Vorbereitungen zu diesem Empfang hatten mehrere Stunden in Anspruch genommen. Und doch hatte sie sicher nicht die Absicht, den alten, nichts weniger als begehrenswerten Mann mit ihren Reizen zu verführen. Nur eine Laune hatte die kapriziöse Dame verleitet, sich als interessante und schöne Kranke den Blicken des Mannes zu zeigen. Der Ruf ihrer Schönheit und Eleganz sollte auch auf dem Krankenlager nichts an seiner Stärke einbüßen.
Das Alter überraschte sie früher, als sie gedacht hatte. Die Hauptstärke ihrer Anziehungskraft, die unvergleichliche physische Schönheit war dahin, zwar nicht mit einem Hauch, denn auch nach dem Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs, im Jahre 1871, war sie noch eine ziemlich schöne Frau, immerhin war ihre Glanzzeit vorbei. Mit 35 Jahren schon war sie nur noch ein Schatten von dem, was sie gewesen. Italienerinnen altern schnell. Sie hatte gehofft, wie Ninon de Lenclos, den Jahren und dem Verfall Einhalt gebieten zu können. Sie hatte sich getäuscht. Ihr wundervolles braunes Haar wurde frühzeitig grau und spärlich, die Perlenzähne wurden schadhaft, ihre Figur nahm Rundungen an, die die klassischen Linien beeinträchtigten, das entzückende Oval des Gesichts entstellte ein Unterkinn. Mehr als eine andere Frau ihres Alters hatte sie sich über die eintretenden Alterserscheinungen zu beklagen. Die Zeit nagte unbarmherzig und verheerend an ihr. Aber diese große Kokette, diese blendendschöne Frau wollte und konnte es nicht ertragen, daß sie nicht mehr die Löwin der Salons sein, daß andere, jüngere, ihren Platz einnehmen sollten. Und sie faßte den Entschluß, sich ganz vom mondänen Leben zurückzuziehen. Sie verschloß sich in ihr Heim. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sie jeden Tag etwas mehr von ihrer Schönheit einbüßte, sie, die Siegerin von gestern, und daß sie ohnmächtig gegen den Verfall jenes in ihrem Körper verwirklichten Frauenideals sei. Alle Schönheitsmittel halfen ihr nicht darüber hinweg, daß ihre Rolle ausgespielt war. Sie wollte nicht die Erfahrung aller alternden Schönheiten machen: daß die Augen der Männer und Frauen ironisch und grausam den Fortschritt der Zerstörung ihres Körpers beobachteten. Sie zog sich zurück. Und sie wurde vergessen in dem Trubel der Gesellschaft. In Paris erinnerte man sich zwar ab und zu noch ihres Namens, ihrer Extravaganzen und ihrer fabelhaften Eleganz. Aber bald breitete die Zeit ihre Schatten über sie, bis auch die letzte Erinnerung an sie erlosch und es ganz still um sie wurde.
An Extravaganz am Hofe kam der schönen Nicchia nur die Gräfin Pauline Metternich gleich. Wie die Castiglione war auch sie eine Fremde, aber eine Wienerin. Sie besaß das fröhliche Naturell und die große Anpassungsfähigkeit ihrer Landsleute. Schon vom ersten Tage an am Hofe wußte sie, welcher Geist die Gesellschaft beherrschte, in der sie zu leben hatte. Es war ein Milieu der Jugend, der Sorglosigkeit, der Frivolität, des Luxus und der Verschwendung, das ihr außerordentlich zusagte. Und sie ließ ihrem Temperament alle Zügel schießen. Gleich anfangs paßte sie sich dem Tone an, der in dieser leichtfertigen Gesellschaft herrschte; sehr bald aber war sie die Führerin und übertraf alle anderen an Esprit und Schlagfertigkeit. Sie hatte immer eine Schar junger Männer und Frauen um sich. Alles, was sie tat, wurde tonangebend. Die Eleganz ihrer Kleidung, die Eigenart ihres Charakters, ihre schlagfertigen Antworten, die Bonmots, die jeden Augenblick von ihren Lippen kamen, alles wurde Mode. Nichts, was sie tat, ging unbemerkt vorüber. Auf den Promenaden und Boulevards kannte man die mit sechs Rassepferden bespannte Equipage der jungen Gesandtengattin ebensogut wie die Wagen der Kaiserin. Sie war der Arbiter der Mode, die »Maitresse de plaisir« aller mondänen Veranstaltungen. Ihre Jugend, ihr heiteres Temperament, ihr ausgesucht guter Geschmack, ihre gesellschaftliche Gewandtheit, alles prädestinierte sie zu einer solchen Sonderstellung. Sie war zwar nicht schön, Viel Castel nennt sie geradezu häßlich, aber ihre ganze Persönlichkeit umgab ein unwiderstehlicher Reiz des Frischen, Ungezwungenen, und sie verstand es, ihre Person in das richtige Licht zu setzen. Die großen dunklen Augen und die blonden Haare verliehen ihrem beweglichen und klugen Gesicht etwas sehr Pikantes. Zu dieser Lebhaftigkeit kam ein sehr vornehmes, aristokratisches Äußere. Sie war sehr schlank, ziemlich groß. In ihren Bewegungen lag jene selbstverständliche mondäne Nonchalance, die nur Geburt und Milieu verleihen. Keineswegs war ihre Lebensart den »Loretten niedrigster Kategorie abgeguckt«. Sie war nur für die damalige Zeit etwas exzentrisch, rauchte viel und liebte es, in Gesellschaft von Männern ein Glas Champagner zu trinken, der ihren sprudelnden Geist noch mehr belebte. In Paris und in Compiègne war sie die Veranstalterin fast aller Theateraufführungen, und immer hatte sie neue Ideen für ihre Vorstellungen. »Der Hof amüsiert sich in Compiègne«, schreibt Viel Castel im Dezember 1863 ... »Die Herzogin de la Pagerie stellt dort, wie alle Jahre, lebende Bilder. Das junge Volk befaßt sich mit der Aufführung von Charaden, und die Fürstin Metternich, das kleine, quecksilberne Ungeheuer, arrangiert Ballettänze.« Auch mit Spiritismus beschäftigten sich die Damen des Zweiten Kaiserreichs eingehend. Die Politik Frankreichs und der Welt kümmerte sie wenig, dafür um so mehr, sagt ein Zeitgenosse, »das Tischrücken durch Auflegen der Hände. Es ist augenblicklich die einzige Sorge der Pariser.« In allen Salons der »Löwinnen« des Zweiten Kaiserreichs, auch in dem der Fürstin Metternich, fanden spiritistische Abende statt, und man erhielt dazu schöne gedruckte Einladungen. Bald bildete sich eine ganze Gesellschaft von Geisterbeschwörern. In einem gemieteten Lokal im Palais Royal kamen sie zusammen und besaßen sogar eine eigene Zeitung. Viele elegante Frauen der Hof- und hohen Adelsgesellschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren von einem wahren Fieber des Tischrückens und der Geisterzitierung geschüttelt. Wer Anspruch auf mondäne Allüren machte, mußte sich mindestens einmal im Monat mit den Toten im Jenseits in Verbindung setzen, und so konnten sich auch die Koketten dieser Zeit nicht dieser Modelaune verschließen. Die Salons der Fürstin Metternich in der Rue de Varenne wurden bald die begehrtesten der ganzen Pariser Gesellschaft. Sie war die Löwin des Tages. Die Feste, die Fürst und Fürstin Metternich veranstalteten, gehörten zu den mondänen Ereignissen. Besonders ihre musikalischen Unterhaltungen und Tanzsoireen. Fürst Richard Metternich war selbst sehr musikalisch und außerdem der beste Walzertänzer am Hofe. In seinem Hause hörte man ausgezeichnete deutsche Musik, vor allem machte er seine Pariser Gäste mit den reizenden Liedern der großen deutschen Komponisten bekannt, und seine Frau war diejenige, die, durch Vermittlung der Kaiserin, Napoleon III. zur ersten Wagneraufführung in Paris veranlaßte. Allerdings damals noch mit negativem Erfolg, denn der Tannhäuser wurde kläglich ausgepfiffen. Und die Fürstin Metternich mußte den Spott der Pariser über sich ergehen lassen. Man sagt, sie habe über diesen Mißerfolg in der Oper vor Wut und Empörung ihren kostbaren Fächer in tausend Stücke zerbrochen. Sogar eine ziemlich geistlose Persiflage der Oper Wagners mußte sie sich in ihrem eigenen Hause gefallen lassen. Einer der Getreuen ihres Salons, Herr de Beyens, war auf den Gedanken gekommen, eines Abends, als sich wie immer die Gesellschaft bei der Gräfin Metternich versammelt hatte, eine lustige Parodie des Tannhäuser auf der kleinen Privatbühne der Gräfin aufführen zu lassen, ohne daß sie allerdings ahnte, was für ein Stück es war. Er hatte dazu Marionetten aus Karton geschnitten. Ehe der Vorhang aufging, verteilte eine als Logenschließerin verkleidete anwesende Dame gratis kleine billige Fächer unter die eleganten Zuschauerinnen mit der Bemerkung »im Fall die Damen aus Sparsamkeit zögerten, die eigenen kostbaren zu zerbrechen«. Die Kulisse stellte die Jagdszene anstatt mit leichtfüßigen Jagdhunden mit plumpen Dackeln vor, aus der Wartburg wurde Schloß Johannisberg, das mit seinen berühmten Weinbergen dem Fürsten Metternich gehörte. Held Tannhäuser war anstatt im Venusberg im Weinkeller eingeschlossen, wo er fröhlich vor einer Flasche Johannisberger saß. Dieser schlechte Scherz hatte die größte Wirkung– es war lange nicht mehr von Wagner und seiner Musik im Salon der Fürstin Metternich und am Hofe die Rede. Mehr Erfolg hatte sie mit ihrem Einfluß auf die Neugestaltung der Mode. Sie erklärte dem langen Krinolinen-Kleid den Krieg und führte den kurzen, weiten, graziös aufgebauschten Rock ein. Auf Bällen und Abendgesellschaften sah man nur noch die kleidsamen verkürzten Toiletten und, wenn die Damen Walzer tanzten, manch schönes Bein und elegantes Strumpfband. Manche trieben die Extravaganz so weit, daß sie die Röcke nur bis kurz unterm Knie trugen. Die neue Mode brachte eine wahre Umwälzung unter den Pariser Schneidern und Schneiderinnen hervor. Der berühmte Worth, der sein Atelier und seine Salons im Jahre 1858 in Paris aufgetan hatte, kam durch die Fürstin Metternich zu Glanz und Ruhm. Er war der größte und geschickteste Kleiderkünstler und hatte den Spitznamen »Faune des Toilettes«, weil unter seinen kräftigen Männerhänden die zarten Stoffe und die duftigen Spitzen einer Corsage nach Belieben zerdrückt, zerknüllt, zurechtgezupft wurden und doch dann daraus ein Kunstwerk ersten Ranges erstand. Fürstin Pauline Metternich hatte ihn zum Autokraten der Mode und des Geschmacks gemacht, und alle Mondänen der Eleganz begaben sich nach der Rue de la Paix, um seiner Kunst und seines Rates teilhaftig zu werden. Es waren indes zwei Lager, die sich um die Oberherrschaft der Mode stritten. Die einen traten für den fußfreien hochgeschürzten Rock ein, die anderen für das dezente Prinzeßkleid mit ellenlanger Schleppe. Aber eins war beiden gemeinsam gelungen: die endgültige Verbannung der Krinoline. »Merkwürdig ist die Feststellung,« sagt Uzanne, »daß der große französische Schneider nicht älter ist als das Zweite Kaiserreich. Bis i85o wurden die Frauen nur von Frauen gekleidet. Die Modehändlerinnen, die man auf den graziösen Stichen des 18. Jahrhunderts sieht, haben sich lange gehalten. Sie existieren noch, denn es gibt heute sehr große Schneiderinnen. Aber der Schneider ist zum Herrn, zum allmächtigen Schiedsrichter der Toilette der großen Dame geworden. Und diese Männer sind oder waren hervorragende Künstler. Die aristokratische Grazie, mit der einst Watteau und Gainsborough die liebenswürdigen, entzückenden Französinnen und Engländerinnen des 18. Jahrhunderts umkleideten, hat noch große Künstler, wie Sargent, Shannon, Jacques Blanche, Albert Besnard, Boldini und so viele andere zur Verfügung, aber neben diesen Meistern der Palette sind die bedeutenden Pariser Schneider gleichsam zu Mitarbeitern der Porträtmaler geworden, insofern sie unsere Zeitgenossinnen mit einem Geschmack, einem Feingefühl, einem Sinn für Nuancen und Faltenwurf kleiden, die die Bilder aller Kunstfreunde entzücken. Mit Recht schrieb Michelet: ›Die meisten Gewerbe, deren gründliche Erlernung lange Zeit beansprucht, sind Kunstzweige. So kommt das Schneidergewerbe der Bildhauerkunst sehr nahe. Für einen Schneider, der die Natur empfindet, modelliert und berichtigt, gäbe ich gern drei klassische Bildhauer hin.‹ Auch Charles Blanc studiert in einem besonderen Werke über ›Die Kunst des Schmuckes und der Kleidung‹ die allgemeinen Gesetze des Schmuckes und beweist schlagend, daß die Dekoration durch Kleidung und Schmuck bei weitem kein Gegenstand oberflächlicher Betrachtung ist, sondern dem Philosophen einen sittengeschichtlichen Wink und ein unstreitiges Zeichen für die herrschenden Ideen gibt.«
Als die Fürstin Metternich infolge der politischen Ereignisse nicht mehr in Paris leben konnte und wieder in Wien ihren Sitz aufgeschlagen hatte, wurde ihr Temperament etwas durch die steifere Etikette am Hofe Kaiser Franz Josephs gedämpft. Ja sie stieß sogar auf Widerstand in der direkten Umgebung der Kaiserin Elisabeth. Man war chokiert über die allzu pariserische Reputation der lustigen Exambassadrice. Und doch war sie auch in Wien gleich vom ersten Tage ihres Erscheinens an populär. Nicht ohne ein gewisses Mißvergnügen stellte der Kaiser von Österreich fest, daß bei Ausfahrten die Hochrufe der Bevölkerung Wiens vielmehr der Fürstin Metternich als der Kaiserin, seiner Frau, galten.
Selbst die schweren Ereignisse vermochten ihrer Wiener Leichtblütigkeit nicht den Elan zu nehmen. Mit neuem Eifer ging sie wie in Paris daran, auch in Wien sich einen Kreis zu schaffen, einen Kreis von Künstlern, Dichtern und bedeutenden Männern und Frauen, jungen und alten, besonders aber sehr eleganten Frauen, unter denen sie immer die tonangebende war. Sie war die geblieben, die sie in Compiègne und Paris gewesen: immer von allem Neuen entzückt, was Vergnügen und Freude bereitete. Da gab es blaue, weiße und rosa Redouten, die sie veranstaltete; Maskenbälle, Wohltätigkeitsfeste, auf denen sie erschien, und am nächsten Tag waren die Zeitungen voll von Berichten über ihr großes gesellschaftliches Talent, ihren guten Geschmack, ihre prachtvollen Toiletten, die stets etwas ganz Neues boten. Sie war unglaublich schauspielerisch begabt und wäre sicher Schauspielerin geworden, wenn das Schicksal sie nicht mit einer Fürstenkrone bedacht hätte. Sie liebte das Theater über alles und spielte selbst vorzüglich die verschiedensten Rollen, oft an der Seite berühmter Künstler, und alle bestätigten, daß sie eine ganz besondere Begabung und nichts von Dilettantismus an sich habe. Sie lebte vollkommen in ihrer Rolle und spielte sie mit einer Hingebung, einer Wärme, die selbst Berufsschauspielerinnen nicht immer aufbringen. In Paris war das Theaterspielen ihre herrschende Leidenschaft gewesen. Sie schlug nie eine Beteiligung aus, nicht einmal eine stumme Statistinnenrolle. Lebende Bilder stellte sie mit einigen hübschen Frauen ihres Kreises hervorragend gut und künstlerisch. Sie war Fürstin durch Geburt und Erziehung, aber Künstlerin und Musikerin aus Neigung und Veranlagung. Aus dieser Welt des Scheins, der Eleganz, der Intrigen und des Vergnügens könnte man noch viele elegante und charmante Frauen nennen, die alle zu dem Kreis um Eugenie gehörten und ihn mit ihrem Liebreiz, ihrer Extravaganz, oder ihrer Herausforderung belebten. So die reizende Gräfin de Cannissy, die kleine »Canisette«, wie man sie wegen ihres anziehenden, anmutigen Wesens nannte. Wie eine zarte, duftende Wolke köstlichen Parfüms ist die Erinnerung, die an sie geblieben. Oder Sophie de Castellane, Madame Lehon, die Gräfin Walewska, eine beinahe ebenso schöne Florentinerin wie die Gräfin de Castiglione. Ferner die Gräfin de Loynes, eine temperamentvolle Frau mit viel Esprit, deren Salon vor allem deshalb berühmt wurde, weil sie die Protektorin aller aufgehenden Talente war. Und die blonde Marquise de Galliffet, deren Mann im Kriege in deutsche Gefangenschaft geriet. Andere wieder, wie die Herzogin von Mouchy, wurden wegen ihres hervorragenden Geschmacks und ihres prachtvollen Geschmeides bewundert und – beneidet. Im Jahre 1869 erschien sie zu einem Ball im Schlosse Beauvais mit einem Diamantschmuck im Werte von nahezu zwei Millionen. Ihr Kleid aus weißem Chiffon hatte eine lange, ganz mit Silber bestickte Schleppe, und von den Schultern fiel ein breiter, mit Blumen und Silberblättern bestickter Schal bis über den mit vielen Volants besetzten Rock. »Die Damen des Zweiten Empire«, schreibt Arsène Houssaye in seinem ›Confessions‹, »waren blendende Sterne, alle von süßer Schönheit mit Charme und Esprit – mehr oder weniger. – Wer würde daran zweifeln, wenn ich die Namen der Herzogin von Mouchy, der Gräfin de Saulcy, der Baronin de Vatry, der Gräfin Walewska, der Herzogin von Persigny, der Gräfin Moltke, der Madame Bartholoni, der Gräfin de Pourtalès, der Fürstin Poniatowska, etc. etc. nenne? Mit solchen Frauen waren die Hoffeste und mondänen Veranstaltungen märchenhaft, und man war nicht erstaunt, überall zu hören: ›Das Kaiserreich amüsiert sich‹.«
Einen Ruf als besonders elegante Frau genoß auch Madame de Pourtalès. Sie teilte sich mit der Fürstin Metternich am Hofe in die Rolle der »Maitresse de plaisir«. Pauline Metternich erfand täglich etwas Neues, um bei den anderen das Bedürfnis nach Abwechslung in der Unterhaltung zu befriedigen, und Frau von Pourtalès folgte ihren Spuren. Auch ihre Phantasie war fruchtbar im Erfinden von immer neuen Scherzen und Torheiten, wobei es etwas zu lachen gab. So war sie Gründerin eines »Klubs der Lustigen«, in dem junge fröhliche Nichtstuer zusammenkamen, um zu lachen und die angenehme Seite des Lebens unter sich etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Über diesen Klub ist viel von Orgien und Gelagen geschwatzt worden. In Wahrheit war es ein harmloser Vergnügungsklub, aus dem alle Melancholie verbannt war, wo sich die Jugend das Leben so angenehm und sorglos wie möglich gestaltete. Zu den Hauptvergnügungen dieses mondänen Klubs gehörten Farcen wie diese:
Es war Empfang im Palais des Grafen und der Gräfin Pourtalès in der Rue de Tronchin. Viele offizielle Persönlichkeiten waren dazu eingeladen. Alle Lüster und Armleuchter brannten. Eine lange Reihe von Equipagen hielt im Hofe und auf der Straße vor dem Palais, und immer kamen noch neue Wagen angefahren. Zu beiden Seiten der Treppe des Palais standen auf jeder Stufe die Lakaien in kurzen scharlachroten Kniehosen und weißgepuderten Perücken. Sobald ein Gast vorgefahren kam, rief der zu unterst stehende Diener den Namen des Ankommenden seinem Nachbar zu. Dieser gab ihn weiter, bis die Meldung oben beim diensttuenden Huissier angekommen war, der dann, indem er die Flügeltüren des Salons aufriß, den Namen hineinrief. Und nun geschah es bei diesem Empfang, daß die glänzendsten und bekanntesten Namen durch die Lakaien schon auf der Treppe verstümmelt wurden, noch ehe sie oben ankamen. So wurde zum Beispiel anstatt der Graf Walewski, der »Graf Walezowski« gemeldet, so daß der Minister, der seinen Namen auf diese Weise verstümmelt sah, sich nicht enthalten konnte, der Dame des Hauses eine ganz kleine leise Bemerkung darüber zu machen. »Ja,« sagte Madame de Pourtalès lächelnd, »Exzellenz müssen ein wenig Nachsicht haben. Unsere ganze Dienerschaft ist neu und hat noch nicht die Gewohnheit der hier verkehrenden Persönlichkeiten.« Plötzlich tritt die Fürstin Metternich äußerst lebhaft in den Salon. Man hatte sie soeben als »Madame Materna« gemeldet. Außerdem hatte ein ungeschickter Lakai ihr den kostbaren Mantel, der kurz zuvor aus dem Atelier Worth hervorgegangen war, recht wenig sorgfältig von den Schultern genommen. Wie wir wissen, hatte sie den Mund auf dem rechten Fleck. Deshalb tat sie sich auch keinen Zwang an und rief ihrer Freundin höchst ungeniert vor allen Anwesenden zu: »Um Gottes willen, meine Liebe, was ist mit Ihren Domestiken? Mit was für unmöglichen Leuten haben Sie sich umgeben?« Madame de Pourtalès entschuldigt sich von neuem. – Inzwischen sind die Gäste vollzählig, und man schreitet zur Tafel. Die beiden Flügeltüren des Speisesaals sind weit geöffnet. Aber welche Überraschung für die Eingeladenen! An der Tafel sitzen die Lakaien in roten Kniehosen und gepuderten Perücken und lassen sich bereits die Speisen gut schmecken. Allgemeine Entrüstung unter den Gästen, bis man erkennt, daß jene Herren in Livree der Marquis soundso, der Herzog soundso, der Graf X., etc. sind. Alle männlichen Mitglieder des »Klubs der Lustigen« hatten sich als Lakaien verkleidet. Der Spaß war glänzend gelungen, und das Diner verlief äußerst fröhlich und ohne Zeremonie. Auf diese Weise amüsierten sich bisweilen die Damen und Herren der hohen Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs.
Weniger harmlos waren die vielen Spielklubs, die sich unter dem Zweiten Kaiserreich überall auftaten. Alle zwei Monate wurde eine solche heimliche Spielhölle von der Polizei geschlossen. In den vornehmen Salons einer Marquise du Hailay und einer Madame d'Hauteville spielte man hohes Hasard, hauptsächlich »Landsknecht«, und gab alten und jungen Lebemännern Gelegenheit, sich zu ruinieren. Sogar die jungen Mädchen frönten dem Spiel, und wenn sie selbst kein Geld zum Verlieren hatten, so machten sie Spielschulden, die dann der Vater oder ein Anbeter bezahlen mußte! Die Tochter der Madame d'Hauteville, aus einer Verbindung mit dem reichen Diamantenhändler Moyenat entsprossen, war eine leidenschaftliche Spielerin und verlor oder gewann oft Unsummen.
Eine große Rolle spielte der Turf. Man erwartete mit Spannung den Grand Prix von Longchamp. Und das Rennen selbst war keineswegs die Hauptsache dabei, wenigstens nicht für die Damen. In Longchamp konnte man die exzentrischsten Toiletten bewundern und – kritisieren. Es wurden nur der letzte Schick getragen, die fabelhaftesten und modernsten Equipagen gezeigt. Die Schönheiten der vornehmen Welt, die eleganten Halbweltlerinnen, Schauspielerinnen der Gesellschaft und der Bühne, die ganze menschliche Komödie spielte sich auf dem Rennplatz ab, umgeben von einem Luxus, wie ihn selbst Paris in den verschwenderischsten Zeiten nicht erlebt hatte. »Es gab nur Frauen und Blumen, Anmut und liebenswürdiges Lächeln«. Es wurde gewettet und geflirtet, und mancher verwettete nicht nur am Totalisator, sondern auch im Flirt mit den schönen Frauen sein Vermögen.