Sagen aus dem Rheinland
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Der Mönch zu Heisterbach

Im ehrwürdigen Kloster Heisterbach lebte einmal ein junger Mönch, der in der heiligen Schrift und in den frommen Büchern der Väter die Gottesgelehrtheit eifrig studierte. Mit heißem Bemühen und rastlosem Fleiß suchte er einzudringen in die ewigen Dinge, die dem Menschenverstande verborgen sind. Und er las: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.« Lange grübelte er über den Sinn dieser Worte nach; bange Zweifel quälten seine Seele, während er sinnend im Klostergarten auf und ab ging.

Da hörte er der Vöglein liebliches Singen im nahen Walde. Er folgte den süßen Tönen und ließ sich endlich auf das weiche Moos nieder. Langsam schlossen sich seine müden Augen zum Schlafe.

Als er erwachte, leuchtete das Abendrot durch die Zweige; vom nahen Kloster tönte das Vesperglöcklein herüber. Um das gemeinsame Mönchsgebet nicht zu versäumen, schritt er frisch dahin. Doch alles kam ihm gar seltsam vor. Den Bruder an der Klosterpforte erkannte er nicht. An seinem Platze im Chor kniete ein fremder Mönch. Der Abt fragte ihn nach seinem Namen, und als er ihn bekommen nannte, da hatte keiner der Brüder ihn je gehört. Ein Mönch brachte dann die Klosterchronik herbei, und es stellte sich heraus, daß ein Bruder seines Namens vor dreihundert Jahren das Kloster verlassen hatte und nicht wiedergekommen war. Nun merkte der Heimgekehrte, er selber war jener Verschollene. Aufrichtig bereute er all seine Zweifel; dann sank er sterbend zu Boden, indem er gläubig flüsterte: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.«

 


 


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