Sagen aus dem Rheinland
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Die Zedern von Aspel

Unweit der Stelle, wo am Rhein die alte Stadt Rees mit ihren breiten Mauern, Türmen und Bäumen liegt, steht auch seit vielen hundert Jahren schon das Schloß Aspel. Turm und Fenster spiegeln sich im tiefen Wasser, und hohe Pappeln, Weiden, Kiefern und auch Eichen wachsen in seiner Nähe, und niemand wundert sich dessen, weil eben der Niederrhein aller dieser Bäume Heimat ist. Bei Aspel aber stehen in einer Allee, die nach Rees zu führt, einige Stämme, die in dieser Landschaft etwas ganz besonderes sind: Zedern aus dem Morgenland; und es geht eine schöne Sage, die erzählt, wie sie einst vom Süden her in diese nordische Landschaft kamen.

In der Zeit der Kreuzzüge, als sich die deutschen Ritter zusammenscharten, um das heilige Grab vor der Macht der ungläubigen Türken zu schützen, sollen sie dorthin gebracht worden sein. Der Aspeler Schloßherr, der auch manches Jahr der Heimat fern gewesen, war zurückgekehrt. Aber in dem Fest der Freude und des Wiedersehens war eine große Trauer um einen Knecht, der ihm treu gedient, der ihm und allen, die ihn kannten, der Gräfin auch, lieb und teuer war, und über den er dennoch nun schon in den ersten Tagen seiner Rückkehr ein strenges Strafgericht verhängen mußte. Eines Verbrechens war er angeklagt, einen Priester sollte er ermordet haben, drüben im heiligen Land. Er habe ihn ins Schilf geworfen und den Toten dann, um den Verdacht von sich abzulenken, auf seinem Rücken selbst zu seinem Herrn ins Lager getragen.

Das war nun alles schon eine lange Zeit vorbei. Man hatte ihn, der immer seine Unschuld beteuerte, gefangen mitgeführt, um ihn erst in der Heimat zu verurteilen. Es war dem Grafen selber schwer, an seine Schuld zu glauben. Aber durch das Zeugnis eines anderen Knechts, der die böse Tat gesehen haben wollte und einen Eid gegen ihn geschworen hatte, war kein Zweifel mehr... und nun, nach jenen ersten Tagen der Heimkehr, sollte ohne langes Gericht und Urteil die Todesstrafe an dem Knecht, der vermeintlich doch nun auch des Herrn besonderes Vertrauen betrogen hatte, vollzogen werden.

Jedoch die Gräfin, die auch den Knappen liebte, bat in letzter Stunde noch für ihn: »Laßt wenigstens den Richter sprechen! Laßt uns Klage und Gegenklage, Verteidigung und Richterspruch anhören... Denn falsches Urteil ist eine Sünde wider Gott!« Und so geschahs denn auch: Der ihn beschuldigt hatte wiederholte seine Klage gegen ihn, und er selbst beteuerte wie schon immer seine Unschuld. Er sei von eines Türken Hand verwundet worden, und indem er sich die Wunde vom Blut reinwaschen wollte, habe er die Leiche im Schilf des Flusses verborgen aufgefunden und zum Lager gebracht. Auf dem Wege aber sei ihm eben dieser Knecht, der ihn des Mords beschuldige, mit verstörtem Blick und in hastigem Lauf begegnet... und er erhebe nun, da sie in der Heimat seien, die Gegenklage: »Ich beschuldige ihn«, so rief er, zitternd am ganzen Leibe, der Versammlung zu, »des Mords. Ihn, der an meiner Statt des Grafen Freund geworden ist. Und ich beschuldige weiter ihn der bösen Tat, die er drüben im fremden Land an einem Mädchen vollbringen wollte, daran ich ihn gehindert. Ich weiß, daß nur die Angst vor mir, sein böses Gewissen wegen dieser schlechten Tat, ihn zu dem falschen Eid verleitet haben, und ich hätte geschwiegen, müßte ich nun nicht selber um mein Leben kämpfen! «

Nach diesen Worten war es still ringsum. So sehr alle auch den Knappen liebten, und so sehr einige auch ihm zu glauben neigten: Es stand Klage gegen Klage... und um ein Ende und des schweren Rätsels Lösung nun zu finden, kam man überein, daß Gott entscheiden solle. Und ehe man sich über die Art des Gottesurteils geeinigt hatte, sprang der Beschuldigte vor, schwang einen dürren Peitschenstiel, geflochten rund aus Zedernreisern, und rief also: »Ich will den dürren Stab, aus dem Morgenlande heimgebracht, in diese trockene Erde stecken. Ohne Wunder Gottes wird er nicht zum Wachsen kommen. Wächst er aber im Augenblick mit grünen Nadeln und mit jungen Spitzen wie ein junger Baum im Frühling, alsdann sei meine Unschuld klar erwiesen!« Und schon sprang er durch der Knechte Kette, pflanzte den Stab gleich nebenan in die harte, trockene Burghofserde – und seine Hände und Augen wie in Verzweiflung zum Himmel erhoben, betete er: »Gott, gib der Wahrheit Kraft! Gib diesem dürren Stabe Kraft, Wahrheit zu zeugen und die Lüge und die Sünde zu beweisen! « Und indem er kniete, lichtete sich aus grauen Wolken des Himmels klarer Schein. Und im harten Burghof lockerte sich die Erde, daß es wie ein leises Rieseln war; Wurzeln wuchsen... und zugleich brachen Knospen auf zu feinen Nadeln, und schon auch streuten sich Samen ringsumher, aus denen junge Zedern wuchsen, die noch heute dort in Aspel bei dem Burghof stehen, und deren eine bis heute die Gestalt des gewundenen Peitschenstiels behalten hat.

Da war stille Befriedigung über des Knappen Unschuld und Gottes sichtbarliches Zeichen. Erst war Staunen, eine heilige Stille wie Gebet... dann aber brach der Jubel los, und mit aufgetanen Armen holte der Graf den also treu Erwiesenen zu seinem Stuhl. Und nun erst war rechte Freude der Heimkehr nach so langer Fahrt durch Nöte und Gefahr in Kampf und heißer Sonnenglut des Morgenlandes.

 


 


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