Sagen aus dem Rheinland
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Die Bockreiter

In den Ländern links des Niederrheines verbreiteten in alten Zeiten die Bockreiter Furcht und Schrecken. Sie waren eine Verbrecherzunft, die durch strenge Gesetze zusammengehalten wurde. Bei ihrer Aufnahme in die Zunft mußten sie Gott absagen und sich dem Teufel verschreiben. Der höllische Geist stand ihnen bei. Er trug sie in der Gestalt eines schwarzen Bockes an die Orte ihrer Verbrechen und wieder zurück, so daß es nur selten gelang, einen von ihnen der strafenden Gerechtigkeit zuzuführen.

Daß die Bockreiter mit des Teufels Hilfe Wunder vollbringen konnten, erfuhr ein junger Bursch aus Jülich, der den Werbern des Preußenkönigs in die Hände gefallen und nach Spandau gebracht worden war. Als er dort sieben Jahre lang Kommißbrot gegessen hatte, wurde seine Sehnsucht nach Freiheit so groß, daß er es fast nicht mehr aushalten konnte. Das merkte ein alter Korporal, ein Landsmann des Jülichers aus Herzogenrath. Der redete ihn eines Tages an und sagte: »Kamerad, du willst heim, ich sehe es dir an. Ich will dir zur Flucht verhelfen. Ich bin Bockreiter und erwarte dich in der kommenden Nacht um die zwölfte Stunde auf der Bastei. Wenn du tust, was ich dir sage, dann wirst du morgen früh vor dem ersten Hahnenschrei in deines Vaters Haus sein.« Der junge Soldat hatte in seiner Heimat viel seltsame Geschichten von den Bockreitern gehört. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, daß zwei von ihnen einmal abends dem Sultan in Konstantinopel die Wäsche gestohlen und sie am nächsten Morgen auf dem Markt in London fellgeboten hätten. Dem Soldaten widerstrebte es zwar, sich einem Bockreiter anzuvertrauen, doch war sein Heimweh so übermächtig, daß er sich um Mitternacht an der verabredeten Stelle einfand. Der Korporal kam ihm schon entgegen. Er winkte mit einem Stock, und im nächsten Augenblicke stand ein schwarzer zottiger Bock mit feurigen Augen vor ihnen. »Steige auf seinen Rücken«, sagte der Alte, »und packe ihn fest bei den Hörnern. Wenn dich etwas unterwegs erschreckt, dann sprich nicht das Wort aus, das eine Mutter sagt, wenn sie unversehens in Gefahr kommt. Fluche lieber, soviel du willst, in drei Teufels Namen.«

Im nächsten Augenblick erhob sich der Bock in die Lüfte, und fort ging es mit Windeseile nach Westen. Plötzlich ging die Fahrt in die Tiefe. Der Soldat erschrak und rief: »Jesses!« Da warf der Bock ihn ab. Er fiel zum Glück in ein dichtes Gebüsch und kam so mit dem Leben davon. Als er sich erheben wollte, merkte er, daß er ein Bein gebrochen hatte. Am Morgen kam ein Bauer mit seinem Fuhrwerk vorbei. Der sagte ihm, daß er am Rande des Jülicher Waldes liege, und brachte ihn zu seinen Eltern.

 


 


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