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Vor nunmehr etwa tausend Jahren geschah es einmal, daß sich die Tochter eines Kaisers und ein Mann aus gewöhnlichem Bürgerstand ineinander verliebten. Sie hatten keinen sehnlicheren Wunsch, als fürs ganze Leben miteinander verbunden zu sein. Und doch wußten sie nur zu gut, daß es vollständig aussichtslos war, den strengen Vater um Erfüllung ihres Wunsches zu bitten. So entschlossen sie sich denn endlich, miteinander zu fliehen. So schwer es auch dem Mägdlein fiel, Vater und Mutter zu verlassen und durch ihre heimliche Flucht zu betrüben, so besiegte doch die Liebe zu ihrem Bräutigam alle Bedenken.
Weit wanderten die beiden durch das deutsche Land, bis sie endlich an den Neckar kamen. Im Neckartal fanden sie ein Plätzchen, wo sie zu bleiben beschlossen. Einen lieblicheren Ort hatten sie auf ihrer Wanderschaft kaum gesehen. Sanfte Abhänge begrenzten das ziemlich breite Tal, und auf der rechten Seite des Flusses streckte ein anmutiger Berg seinen Fuß weit ins Tal hinein. Am Fuß dieses Berges ließen sie sich nieder, kauften von den freundlichen Bewohnern der Gegend ein kleines Grundstück, bauten sich ein Haus und errichteten darin eine Wirtschaft zur Erquickung für die Reisenden, die ihr Weg durch das Neckartal führte. Mancher, der dort beim »Wirt am Berg« einkehrte, mag sich freilich gewundert haben über die feine Wirtin, welche so gar nicht recht in das einfache Häuslein zu passen schien. Nach mehreren Jahren nahm auch der deutsche Kaiser seinen Weg durch das Neckartal, um zu einem Reichstag nach Frankfurt zu ziehen. Auch er wollte sich beim »Wirt am Berg« durch Trunk und Imbiß laben. Seine Tochter erschrak nicht wenig, als sie ihren Vater gegen das Haus kommen sah und wagte nicht, sich ihm zu zeigen. Der Kaiser aber fühlte sich in dem Stübchen so heimisch und so wohl, wie kaum einmal in einer fremden Herberge, und als ihm gar sein Lieblingsessen vorgesetzt wurde, da konnte er sich des Gedankens nicht mehr erwehren: »Ja, so war es, als sie noch bei mir war, die ich wohl in meinem Leben nicht mehr sehen werde, mein liebes Töchterlein.« Und er versank in tiefes Sinnen. In der Wirtin aber war das lange verhaltene Heimweh nach ihrem lieben Vater wieder gar mächtig geworden, und sie hätte es nicht zum zweitenmal fertig gebracht, sich von ihrem Vater ohne Abschied zu trennen.
Sie beredete deshalb ihren Mann, daß sie sich dem Kaiser zu erkennen geben wollten. Mit ihrem kleinen Söhnchen warfen sie sich dem Kaiser zu Füßen und baten ihn um Gnade und Verzeihung. Hoch erfreut und gerührt umarmte der Vater seine Tochter. Er verzieh ihr und ihrem Mann und machte seinen Schwiegersohn zum Grafen. Zum Andenken an seinen seitherigen Stand sollte er aber den Namen »Wirt am Berg« beibehalten. Der neue Graf und seine Gemahlin hatten ihre jetzige Heimat lieb gewonnen und bauten sich nun auf dem Gipfel des Berges, an dessen Fuß ihr Häuslein gestanden war, eine Burg. Oft kam in der Folge der Kaiser auf Besuch zum Grafen »Wirt am Berg.« Auch ihm gefiel das schöne Land, das sich zu Füßen des Berges ausbreitete. Ob er wohl geahnt haben mag, daß einst die Nachkommen seiner Tochter die Herren dieses Landes werden sollten?
Nach K. Pfaff.