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Esthnisch.


I.

Sommer ist es, sonnig ist es,
In der Welt wie wonnig ist es,
Trägt die Erd' ihr Feierkleid!
Grün ist Alles weit und breit;
Mit Gezwitscher und Gejubel
Schwingt sich in die Luft die Lerche;
Fichte schwankt und Birke wiegt sich;
Auf der Wiese duften Kräuter;
Früchte prangen im Gezweige,
Kernige, gebräunte Nüsse,
Goldner Aepfel Lieblichkeit.
Und im Hause reifen Küsse,
In der Klause blüht die Maid.

*

II.

Singe, singe, singe Mündlein;
Zwitschere, mein Vogelzünglein;
Lodere, mein Lebekerzlein;
Jubele, mein Lebestündlein;
Liebe, liebe, was da lieblich,
Poche laut, mein liebes Herzlein!
Alles, Alles wirst du missen,
Alles, Alles wird entrissen;
Bald genug in schwarzer Erde
Werden wir zu schweigen wissen,
Ach, nur allzu stille sein,
Wenn die Tanne glatt gehobelt,
Wenn wir unter Frühlingswettern
Weilen in den weißen Brettern,
Hausen in dem engen Schrein.

———
II.
Die Esthen pflegen ihre Särge nicht anzustreichen, sondern ihre Todten in glattgehobelten, weißen Tannenbrettern beizusetzen.

*

III.

Ein Mädchen, den leichtverwundeten, allzu weichlichen Bruder neckend.

Sense, Sense, böses Eisen,
Tückisches, verrätherisches!
Wehe, weh, wie kannst du gleißen,
Wehe, weh, wie kannst du beißen,
Kannst du grausam ohn' Erbarmen
Eine feine Haut zerreißen!
Ach, wie ward das zarte Hühnchen,
Das geschonte dieses Hauses
Um so viel Geblüt gebracht!
Ach, wie ward das saftgeschwellte,
Laubgeborgne rothe Beerchen
Saftberaubt und blaß gemacht!
Tröste dich jedoch, mein Püppchen,
Stille, stille deine Zährchen!
Kommt der Krämer in das Dörfchen,
Wend' ich ein erspartes Scherfchen,
Wend' ich einen Dreier auf,
Kaufe dir, betrübtes Seelchen,
Reiche dir zum Labetränkchen
Meth in einem Eierschälchen,
Tische dir in einem Nüßchen
Butter auf, in einem halben,
Bringe dir auf einem Blättchen,
Dem gebrochnen eines Baumes,
Schweinefleisch, ein ganzes Quentchen.
Wässert dir das Leckermündchen
Nach so seltnem Wonneschmaus?
Wohl dazu im Bette hüt' ich,
Wickele das arme Kindchen,
Das so fährlich angebissen,
Dem so viel Geblüt entrissen,
Sänftiglich in weiche Kissen,
Laß es aus Gemach und Hause
Lange, lange nicht hinaus.
So gelangt das zarte Hühnchen
Wiederum zu seiner Kraft,
So gelangt das rothe Beerchen
Wiederum zu seinem Saft.

———
III.
Schweinefleisch ist das delikateste Gericht der Esthen; sie preisen den Menschen glücklich, der es immer genießen kann, und erzählen, es gehe bei dem Kaiser von Rußland so hoch her, daß er alle Tage Schweinefleisch und Speck auf seiner Tafel habe.

*

IV.

Sehnlich in die Runde
Such' ich alle Stunde
Mit des Auges Blitz;
Suche mir ein Täubchen,
Suche mir ein Weibchen,
Einen Goldbesitz.
Fragst du, was für Eine
Mir der Geist empfehle?
Haben soll im Busen
Die ich will und wähle,
Eine zarte Seele
Und im Haupte Witz.
Haben soll sie weiter
Eine Zung' im Munde,
Welche keine Wunde,
Keine böse sticht;
Augen hell und heiter,
Wie der Sterne Licht;
Warme, süße Lippen
Und ein liebelächelnd-
Holdes Angesicht.

*

V.

Fortgeführt vom Bräutigam
Ist die Maid, die allgeliebte,
Und es härmt sich im Vereine
Boden und bewegte Schaar.

Wiese trauert, Halme thränen,
Trübe blicken Waldes Säume.
Höre, wie die Füllen wiehern,
Höre, wie die Färsen ächzen,
Wie die Herde mit Gebrülle
Harret auf die Heißersehnte,
Auf die holde Tränkerin,
Auf die treue Nährerin,
Auf die kluge Wärterin!
Aber, ach, nie kehrt sie wieder,
All zu üben ihre Pflichten
Unermüdlich ohne Fehl.
Ehe noch die Sonne blickte,
War sie wach und war sie munter,
Eilte sie zu Stall und Herde,
Sämmtliches Geschäft zu thun.
Ohne daß der Vater ahnte,
Ohne daß die Mutter wußte,
Wie sie sich den Schlummer raubte,
Reichte sie das Heu, den Hafer,
Füllte sie den Wassereimer;
Nichts versah sie, nichts vergaß sie,
So das Eine, wie das Andre,
Wichtiges und Geringes that sie
Mit gelenker, stiller Hand.
Bräutigam, du hochbeglückter!
Ach, was hast du für ein Mädchen
Unserem Revier entwandt!

*

VI.

Tio war so lieb und gut,
Tio war mein einzig Gut.
Tio ward so krank, so krank,
Tio welkte, Tio sank.

*

VII.

Siehst du die dunkelen Flecken im Monde?
Kennst du sie, jene von unseren Vätern
Lauter und ächt abstammende Mähre,
Welche Bedeutung enthüllet und Ursprung?
Kennst du sie nicht? Ich ertheile Belehr. –

Waren einmal zwei pfiffige Diebe,
Denen, indem sie die nächtlichen Pfade
Walleten, allzu beleuchtet die Erde
Durch des Mondes annoch vollständiges,
Ohne Befleckung erscheinendes Licht war.
Rathe, was thaten die ganz heillosen?
Stiegen empor mit klebrigem Topfe
Und bestrichen den Mond mit Theer.
Düster und lichtlos wurde der Arme,
All sein freundliches Lachen und Laben
Unter die widrige Masse begraben,
Und es erschrack über seine Verwüstung
Alles auf Erden und trauerte schwer.
Tapferen aber und mächtigen Ringens
Brach mit der Zeit sein Strahl die Verhüllung,
Und es erschien der erquickliche wieder,
Grüßte der alte, der liebliche Glanz.
Doch nicht ganz.
Jene, die Frechen –
Allzu verrucht entartetem Wesen
Ein allwarnendes, ewiges Beispiel –
Hangen geblieben mit ihrem Topfe
Waren sie beid' am bestrichenen Monde,
Hangen – es sieht's dein Auge – noch immer,
Trüben dem Monde den heiteren Schimmer,
Bilden die dunklen Figuren in ihm.

*

VIII.

Es dunkelt der Himmel, es blitzt und kracht –
Nur schnell die Fenster zugemacht,
Daß nicht der Teufel in's Haus herein
Sich flüchte, der entsetzliche,
Den Gott verfolgt mit aller Macht
Und wir mit ihm verloren sei'n!


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