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Hebräisch
aus dem hohen Lied.


I.

Stark wie der Tod die Liebe,
Fest wie Scheol ihr Wille,
Eine Flamme Gottes,
Jede Gewalt der Erde
Höhnend, ihre Gluth.

Nicht erlischt die Liebe
Durch gewaltiger Wogen
Brausende Wasserfülle;
Nicht hinweggefluthet
Wird sie durch empörter
Ströme wilde Wuth.

———
I.
Scheol, Unterwelt, Todtenreich.

*

II.

Auf meinem Lager wach' ich in der Nacht
Und misse den, der mir den Frieden giebt;
Ich schlummer' ein und wache wieder auf
Und suche den, den meine Seele liebt.

Doch greif' ich, ach, in eitle Leere nur
Und werde bang und stöhne tiefbetrübt:
»Was hemmet ihm die Schritte durch die Nacht?
Was säumet er, den meine Seele liebt?«

Aufsteh'n will ich, so wie die Sonne blickt
Und, sich zu regen, alle Wesen übt,
Und mich bemüh'n, auf Straßen und auf Markt
Zu finden ihn, den meine Seele liebt.

Und find' ich ihn, so schmeichl' ich ihm so lang,
Bis er besiegt sich mir zu eigen giebt;
Denn, ach, wie sollte mir erträglich sein,
Zu missen ihn, den meine Seele liebt?

*

III.

Gebadet und gesalbt von Myrrhe troff ich,
Von köstlicher, balsamischen Geruchs;
Ich harrte des Geliebten in der Nacht,
Ich harrete vergeblich und entschlief.
Da pocht es, horch! – Des Freundes Stimme tönt:
»Thu' auf, o meine traute Schwesterseele,
Thu' auf, o meine zarte Taube mir!
Feucht ist mein Haupt, es träuft die Locke mir
Vom Thau der Nacht; o säume nicht und öffne!«
Beraubt der Sinne bin ich vor Entzücken
Ob dieser Stimme Klang; es schlägt mein Herz
Mit lautem Schlage seinem Glück entgegen;
Ich fliege, reiße den Riegel rasch zurück
Und späh' erschrocken in die leere Nacht.
Entwichen ist, verschwunden ohne Spur
Mein süßes Heil. Ich rufe – niemand hört!
Ich hülle mich in meinen Mantel ein,
Ich walle manche dunkle Straße hin,
Ich wage mich in's freie Gefild hinaus,
Ich suche meinen Freund und such' umsonst.
Da finden mich die Wächter, die die Mauern
Der Stadt umwandeln; sie ergreifen mich,
Sie reißen mir den Mantel ab, sie schlagen
Mich weh und wund mit ihrer rauhen Faust –
Da wach' ich auf und merk', es ist ein Traum,
Ein böser Traum. – O ich beschwör' euch, Töchter
Jerusalems, begegnet euch mein Freund,
Sagt ihm, daß ich vor Liebe matt und krank,
Thut ihm die Leiden meiner Seele kund,
Beschwöret ihn, so wie ich euch beschwöre:
Er eile, komme, küsse mich gesund!

*

IV.

O hättest du, begrüßend
Des Lebens erste Sonnen,
Dieselbe Brust gesogen,
Die meiner Kindheit Bronnen,
O wärst du mir ein Bruder
Gesellig auferzogen,
Des Hauses süßer Sohn!
Ich brauchte nicht mit Bangen
An deinem Blick zu hangen;
Ich müßte nicht erröthen,
Dir in das Ohr zu flöten
Der Liebe Schmeichelton;
Kein Lauscher würde flüstern,
Kein Auge würde düstern,
Kein Finger würde droh'n;
Mein Sehnen und Verlangen,
Man würd' es nicht verschwärzen;
Mein Küssen und Umfangen,
Mein Drücken und mein Herzen,
Es würde nicht vor aller Welt zum Hohn.

*

V.

Komm, komm, o Freund, nicht länger laß uns weilen;
      Verspotten wir der Feinde Macht;
Hinaus laß uns in freie Fluren eilen
      Und bergen uns in ihrer Pracht!

Dort auf den Hügeln, wo die Reben sprossen,
      Die feurige Granate brennt,
Werd' ungescheut das traute Glück genossen,
      Das uns die harte Welt mißgönnt.

Dort werden uns nicht Späher-Augen stören,
      Nur holde Blüthen Zeuge sein;
Dort soll dir Alles ohne Maaß gehören,
      Was von ersehnter Wonne mein.

*

VI.

Ein solcher ist mein Freund,
Ein solcher ist mein Buhle,
Ein einziger, erlesener
Aus sämmtlicher Männer Schaar:
Wie ein Rabe, so schwarz sein Haar,
Und seine milden Augen
Ein Tauben-Augenpaar;
Sein Leib, wie Elfenbein,
Und wie gehau'n aus Marmor
Der Schenkel Prachtgebilde;
Wie Lüfte, die gelinde
Hinsäuseln über Rosen,
Sind seine Minnegrüße;
Wie des Honiges Seim an Süße
Die Küsse, die er beut;
Sein ganzes Sein und Wesen
Nur Glück und Seligkeit.

*

VII.

Auf unsern Rebenhügel
Ward ich hinausgesendet,
Auf daß ich hier die Blüthe,
Die labevolle, hüte,
Die aus der Erde Schooße
So lieblich aufgelacht.
Ich hatte trefflich Acht;
Sie wurde nicht geschändet,
Es wurde Nichts entwendet
Von ihrer reichen Pracht.
Doch, ach, das eigne Gütchen,
Das eigne junge Blütchen,
Das hab' ich nicht bewacht.
Mir meiner Reize Trauben
Gefällig abzuklauben,
Bemühte sich ein Dieb;
Und ihn hinwegzujagen,
Und seinen Näschertrieb
In ernste Flucht zu schlagen,
Hatt' ich ihn leider allzu lieb.

*

VIII.

Mein Freund, er ist ein Myrrhenstrauß,
Der zwischen meinen Brüsten ruht;
Da halt' ich ihn mit fester Hand
In meiner heißen Haft.

Mein Freund, er ist ein Brausekelch,
Gefüllt mit edler Traube Blut;
Ich bin besiegt, ich bin berauscht
Von seiner Flammenkraft.

Mein Freund, er ist ein Blütenlenz;
Wie lacht die Welt in seinem Hauch!
Es sprosset unser Freudenbett
Von lauter Rosen auf.

Mein Freund, er ist ein Wonnesee;
Ich stürze mich in seine Fluth,
In seine klare Fluth hinein,
Und kühle meine Gluth.

Mein Freund, er ist ein Labebaum,
Der schwellend reife Früchte senkt;
Die süßen all' in meinen Schooß
Entschüttelt seine Huld.

*

IX.

Schön, wie Thirza, bist du,
Wonnevollen Anblicks,
Wie die Pracht Jerusalems,
Und wie kriegerische
Heldenheere furchtbar.

Wende, weh, sie tödten,
Wende deine Blicke,
Ende meinem Herzen
Diesen Zauberbann!
Aufgelöst in Sehnsucht,
Nimmermehr begnügter,
Schmacht' ich hin und sterbe,
Sterb' an einem Glücke,
Das die Brust, die schwache,
Menschliche, nicht fassen,
Nicht ertragen kann.

———
IX.
Thirza, Stadt in Palästina von anmuthiger Lage.

*

X.

Den König umwunden
Und hart gefangen –
Vom lieblichen Bande
Der Locke gebunden
Und nicht mehr prangen
In alter Ehre
Den Herrscher sieh!
Und will er wohl
In's Freie brechen
Und seine Schmach,
Die süße, rächen
Am schönen Feind
Und strenge richten?
Er will's mit nichten.
Er wird es nie.

*

XI.

Es sind der Königinnen
In ihrer Reize Strahl
Nicht weniger, denn sechzig,
Der Kebsinnen sind achtzig
In meinem Freudensaal;
Es eifern außer ihnen,
Mich blühend zu bedienen
Ausbündig schöne Mädchen ohne Zahl –
Alleine
So feine,
So blüthenhold, wie keine
In diesem Rosenhaine,
Ist eine,
Mein Täubchen ist, ja meine
Begehrte Wonn' ist eine
Von ihnen allzumal.
Die Königinnen schau'n sie,
Die Kebsinnen, die Mädchen,
Und loben sie und preisen sie
Und nennen dreimal selig
Die glückliche Beglückende,
Die mir das Aug' Entzückende,
Die mir den Geist Berückende,
Die mir das Herz Umstrickende,
Des Königes schönste Wahl.


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