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Von R. Francé.
Man kann ein großer Darwinverehrer sein, ohne zu den Anhängern dieses Mannes zu zählen, von dessen Ruhm das Jahr widerhallt, in dem sich sein Geburtstag zum hundertsten Male jährt und in einer seltsamen Fügung auch sein Lebenswerk gerade fünfzig Jahre alt geworden ist. Es ist deshalb überflüssig, von seiner großen Tat zu reden, gleichviel ob man nun die Entwicklungslehre als solche auffaßt oder seinen Versuch, aus dieser Entwicklung die Intelligenz auszuschalten. Der Ruhm dieser Tat ist vergänglich, wie der aller Taten. Nicht darauf spiele ich damit an, daß Lamarck der Vorläufer Darwins war, weil er den großartigen Gedanken einer allgemeinen Entwicklung der Lebendigen schon in dessen Geburtsjahr einer Welt mitteilte, die freilich im Lärm klirrender Waffen die bescheidene Stimme eines Gelehrten überhörte. Ich halte Darwins Tat auch nicht deshalb für vergänglich, weil die Wissenschaft über Darwins Mechanismus hinausgelangt ist. Darwin hätte in allem recht behalten können und wäre doch im Rollen der Zeit namenlos geworden, weil dies im Gefüge der Welt nicht anders sein kann. Die Ideen sind unpersönlich und streifen ihren Ursprung in dem Maße ab, in dem sie wirken. Aber die Art zu denken und zu leben, das ist nur persönlich, und nur das finde ich für verehrungswürdig an den Großen, daß sie große Vorbilder des Handelns und Empfindens sind. Solche Größe der Lebensführung vergeht nie. Man erntet ewigen Ruhm, wenn man in irgendeiner Beziehung vorbildlich gelebt hat.
Das ist meine Formel für die Größe eines Mannes und mein Beitrag zur Darwinfeier. Im Sinne seiner großen Volksgenossen Carlyle und Emerson erscheint er mir als einer der Repräsentanten des Menschengeschlechtes und setzt die glänzende Reihe der Lionardo da Vinci, Luther, Cromwell, Napoleon und Goethe fort. » Darwin, der Forscher« würde ich auf sein Denkmal schreiben.
Dieser Mann, der kein Professor, ja nicht einmal ein richtiger Gelehrter war, der nach seinem eigenen Zeugnis auf der Hochschule nichts ordentlich und regelrecht studiert hatte, drückt seinem Jahrhundert so den Stempel aus, daß es jeder versteht, was es heißt, wenn man sagt, nach dem Jahrhundert Goethes kam das von Darwin. Wodurch konnte das dieser stille Mann erreichen? Er, den alle seine Biographen als ein Mitglied der kleinen englischen Gentry schildern, ohne hervorragendes Auftreten, der sich sein ganzes Leben hindurch zufrieden gab, auf seinem Landgut fern von allen Städten still zu hausen, in einem kleinen Wäldchen spazieren zu gehen und sich in den Pausen seiner Arbeit mit besonderer Vorliebe Romane vorlesen zu lassen. Er hat den Weltruhm erreicht, weil er ein Auserwählter war, der sich ganz dem Geist seiner Zeit hingab, die nach Wissen um die Natur dürstete. Er ging darin auf, ein Erfüller der Sehnsucht seiner Generation zu sein. Und diese selbstlose Hingabe an die Welt wird immer belohnt durch Ruhm. Weil er uns gelehrt hat, die Vererbung in alle Erklärungen des Lebens einzusetzen, dürfen wir seine Denkungsart aus ihn selbst anwenden und vielleicht sagen, als Enkel und Sohn von naturforschenden Ärzten ist dieses Aufgehen in der Natur gar nicht sein Verdienst, sondern eine erzwungene Bestimmung gewesen. Mythologisch gesprochen: die Natur rüstete seit langem, um den Typus des Naturforschers hervorzubringen, nachdem sie die Menschen durch Denker und Krieger, durch Erfinder und Künstler in Licht und Schatten entwickelt hatte. In dieser alten Denkungsart liegt etwas, von dem wir fühlen, daß es Wahrheit sei, wenn es auch noch zwischen den Maschen unserer Begriffsnetze entschlüpft.
Dieser Naturforscher ist von Beruf Grafschaftsmagistrat. Aber er durchwandert rastlos die Welt. Zuerst im handgreiflichen Sinn des Wortes. Er ist Sammler, biologischer Beobachter, Experimentator. Er wandert von Gegenstand zu Gegenstand, wie ein echter Dilettant. Er untersucht Korallenriffe, studiert die Geologie von Südamerika, dann den Bau von Krebsen, er beschreibt fossile Tiere, beobachtet Regenwürmer und züchtet Tauben. Auf einmal geht er zu den Pflanzen über, macht blütenbiologische Beobachtungen und fängt an, scharfsinnig mit Schlingpflanzen zu experimentieren. Dann widmet er sich den Orchideen, wird später Psychologe, der den Ausdruck der Gemütsbewegungen beobachtet, springt dann über von insektenfressenden Pflanzen zur Bildung des Humus, von der Blütenbiologie mitten in die schwierigsten pflanzenphysiologischen Probleme. Handelt so ein echter Gelehrter? Er hat ja nicht einmal ein Fach! Ist Botaniker, Zoologe, Palaeontologe, Geologe, Geograph, Psychologe und Agronom. Ist das wissenschaftlich? Er hat kein richtiges Laboratorium für Pflanzenphysiologie, keine akademische Atmosphäre um sich, auf dem Land nicht einmal eine genügende Bibliothek. Wer ist denn dieser Darwin? Ein unbekannter dilettierender Privatmann, ohne Titel, ohne Amt. So konnte man 1859 fragen. Und man frug es auch – und antwortete ganz anders als fünfzig Jahre später.
Dieser seltsame Engländer erforscht die Natur mit dem Eifer eines Sportsman. Mit derselben Starrköpfigkeit und Ausdauer lebt er nur für seinen Sport, sowie seine Landsleute damals die Alpengipfel bestiegen als bewunderungswürdiges Vorbild im Erreichen dessen, was sie sich einmal vorgenommen. Sie haben einfach keinen anderen Lebensinhalt mehr. Aber so wird man ein großer Mann. George Brummell wird dadurch Modekönig, die Begründer des Alpine Clubs zu London die ersten Bergsteiger der Welt und Charles Darwin » der Naturforscher« des neunzehnten Jahrhunderts.
Wenn diese These recht hat, dann muß man nachweisen können, daß für Darwin der Erfolg nichts gilt, das Vergnügen am Forschen selbst aber alles.
Hat Darwin je nach Erfolg und Ruhm gedürstet, hat er je gedrängt, damit das entstehe, was man heute Darwinismus nennt? Seine Lebensbeschreiber wissen nichts davon. Er war immer unbekümmert um die Meinungen anderer, wie jeder, dem an der Sache etwas liegt. Er war so unbekümmert um Erfolg, daß er die Handschrift seines berühmtesten Werkes viele Jahre lang im Pulte liegen ließ. Er verschmäht es, Gebrauch zu machen von seiner Theorie. Er hat nie die wirklichen Konsequenzen der Entwicklungslehre gezogen, nie die Selektion zu Ende gedacht. Keinem andern Darwinisten als ihm selbst wäre es zuzutrauen, daß er sie auf ihr wahres Maß herabgesetzt hätte, wenn ihm nur daran gelegen wäre, sie wirklich zu benützen. Er hat die Grundsteine der »biologischen Betrachtung« gelegt durch seine Arbeiten, aber er hat nie eine Biologie entwickelt; er hat die ganze neue Auffassung von dem seelischen Ich der Pflanze begründet und sie sogar ausgesprochen, aber nie Gebrauch davon gemacht. Warum nicht? Weil er Natur forscher war und nicht Denker. Es interessierte ihn nie die Synthese, sondern nur die Analyse. Das Greifbare zergliedern, durch Versuche feststellen, sehen, erfahren, Bestandteile der Weltmaschine in die Hand bekommen, in einem gesagt: Forschen, das ist der Lebensinhalt Darwins.
Und da habe ich das entwickelt, worauf es mir ankommt.
Ich verehre an Darwin den Forscher. Dieser Forscher ist der ins Größte, bis zum Beruf gesteigerte Amateur der Natur. Darwin ist das Vorbild aller Naturfreunde.
Er ist die Menschwerdung eines Zeitalters empirischer Forschung, das glaubte, ohne Philosophie wissen zu können. Er ist geschmückt mit allen Vorzügen der Erfahrungswissenschaften und beschränkt durch die Nachteile der Menschen, die vor lauter Arbeit den wahren Zweck ihrer Arbeit vergessen haben.
Darwin ist der Vertreter eines Jahrhunderts, das wissen wollte, nachdem das vorige sich von allerlei altem Glauben befreit hatte. In der Logik der Geistesgeschichte mußte ein Darwin auf Voltaire und Friedrich den Großen folgen. Als seine Zeit um war,
lag die alte Welt zertrümmert da, aber für die neue waren alle Bausteine herbeigeschafft. Heute liegen sie bereit für den nächsten Herrscher im Reiche des Geistes. Ein solcher wird der sein, der aus ihnen eine neue Welt zu bauen versteht, in der es sich auch leben läßt für den Menschen, der Trost braucht und sich nach Freuden sehnt.