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Tsung El, der Prinz von Djin, floh wegen der wilden Zwistigkeiten, die in seiner Familie ausgebrochen waren, mit seinem Diener Tsiao Tse und andrer Gefolgschaft nach dem Lande Tsi. Der Fürst von Tsi erwählte die schöne Tochter eines verwandten Hauses zu seiner Gattin und richtete ihm die Hochzeit an, schenkte ihm zwanzig Wagen und ließ ihn vom Getreidevogt mit Korn, vom Aufseher über das Vieh mit Fleisch versorgen. So ging es alle Tage, bis dem Tsung El Behagen und Bequemlichkeit zur Gewohnheit geworden waren, so daß er keinen Gedanken mehr daran verschwendete, seinen Kampf weiterzuführen. Als nun der Fürst von Tsi gestorben war, begannen die Prinzen um den Thron zu streiten, und große Unruhen brachen im Lande aus. Da sprach der Diener Tsiao Tse: »Als wir nach Tsi kamen, glaubten wir, durch die Macht des mächtigen Fürsten die Ruhe unseres Landes wieder herstellen zu können. Der neue Fürst aber ist unfähig, und alle Prinzen stehen gegen ihn. Was also vermöchten wir hier noch auszurichten? Ist es nicht besser, nach einem anderen Lande zu ziehen und einen neuen Weg zu suchen?« Gemeinsam wollten die Männer zu dem Prinzen gehen und ihm die Sache vorstellen. Tsung El aber liebte nur seine Gattin Tsi Kiang, trank und feierte Tag und Nacht und hatte keine andern Sorgen als diese. Die Ritter allsamt versuchten es zehn Tage lang, doch bekamen sie ihn nicht zu Gesichte. Da sprach einer von ihnen, We Tsiu mit Namen, in bitterem Zorn: »Wir vertrauten auf des Prinzen Heldentum, drum fürchteten wir nicht Mühe noch Jammer, nahmen die Peitsche und wanderten mit ihm. Nun sind wir sieben Jahre im Lande Tsi geblieben, er aber lebt in Behaglichkeit und trägen Gedanken. Die Tage und Monde sind gleichsam dahingeronnen, zehn Tage versuchen wir vergeblich, ihn zu sehen, wie vermöchte da noch etwas Gutes zu werden?« Da entgegnete ein Zweiter, namens Hu Yien: »Hier ist kein Ort dazu, es zu bereden. Kommt mit mir!« So gingen sie alle eine gute Meile vor das Osttor der Stadt bis in den Schatten der Maulbeerbäume hinaus. Die Gegend stand hier voll von Maulbeerbäumen, und die grünen Schatten lagen Schicht auf Schicht, so daß die Farben der Sonne nicht hinzuzudringen vermochten. Tsiao Tse und die andern, zusammen neun an Zahl, setzten sich rund im Kreise auf die Erde. Dann fragte Tsiao Tse und sprach: »Welches ist Euer Rat?« Da erwiderte Hu Yien: »Es hängt nur von uns ab, den Prinzen zum Fortgehen zu bewegen. Laßt uns das Gepäck vorbereiten, wenn dann der Prinz herauskommt, so wollen wir ihn zum Scheine einladen, außerhalb der Stadt zu jagen. Sobald wir darauf die Hauptstadt von Tsi verlassen haben, treiben wir ihn auf den Weg. Nur eins weiß ich nicht, in welches Land wir uns wenden sollen.« »Die Macht von Sung ist im Aufstieg,« sprach Tsiao Tse, »warum sollten wir nicht dahin gehen? Gelingt es uns dort nicht, dann wandern wir weiter nach Tsin und Tsu. An Gelegenheit wird es nicht fehlen.« So berieten die Ritter noch einige Zeit und gingen am Ende auseinander.
Zur selben Stunde aber waren an die zehn Mägde der Prinzessin Kiang hinausgegangen, um Maulbeerblätter für die Seidenwürmer zu pflücken, und hatten aus den Bäumen zugesehen, wie die Ritter dasaßen und berieten. Sie hielten die Hände still und lauschten. Als sie alles auf das genaueste vernommen hatten, kamen sie ins Schloß zurück und erzählten es Kiang. Kiang aber schalt sie und sprach: »Wie könnt Ihr solches sagen und mich also belügen?« Sie ließ die Pflegerinnen der Seidenwürmer, so viele ihrer waren, in ein Zimmer schließen und sogleich töten, als es Mitternacht geworden war, damit keine von ihnen etwas verraten könne. Dann rüttelte sie den Prinzen aus dem Schlaf und sprach zu ihm: »Dein Gefolge will Dich nach einem andern Land entführen. Die Pflegerinnen der Seidenwürmer haben die Beratung belauscht. Ich fürchtete, sie möchten etwas davon verraten, so daß Deine Flucht verhindert würde, und habe sie getötet. Nun aber mußt Du sogleich fort von hier!«
»Des Menschen Leben ist Friede und Fröhlichkeit,« erwiderte Tsung El, »wer möchte sich noch um andres sorgen? Hier will ich altern, und niemals werde ich dieses Land verlassen.« »Seit Du fortgegangen bist,« sagte Kiang, »hat Deine Heimat Djin kein ruhiges Jahr gehabt. Dein Halbbruder Yu war unfähig, sein Heer ist besiegt, sein Ruhm vernichtet. Der Himmel hat damit auf Dich gewartet, wenn Du jetzt gehst, wird Djin Dir gehören. Ich flehe Dich an, zweifle und weigere Dich nicht!« Aber Tsung El liebte nur Kiang, lebte in süßer Gewohnheit und wollte nicht fort.
Am andern Morgen standen Tsiao Tse und die andern vor dem Tor des Schlosses und ließen sagen, sie lüden den Prinzen zur Jagd außerhalb der Stadt. Tsung El lag noch und sandte eine Magd, ihnen mitzuteilen, der Prinz fühle sich plötzlich etwas unwohl, sei noch nicht gewaschen noch gekämmt und könne nicht mitgehen. Kiang aber hörte dies und schickte schnell jemand hinaus, um Hu Yien allein hereinzurufen. Als Hu Yien eingetreten war, sandte sie alle fort, dann fragte sie ihn, welches die Absicht seines Kommens sei? »Früher«, antwortete Hu Yien, »gab es keinen Tag, daß der Prinz nicht Rosse geritten oder Wagen gelenkt. Er fing Füchse und erlegte Hasen. Nun, in Tsi, ist er lange nicht mehr zum Jagen gegangen, ich fürchte, seine vier Gliedmaßen werden träge. Deshalb sind wir gekommen, ihn einzuladen, das ist alles.« Kiang lächelte ein wenig und sprach: »Diesmal geht die Jagd wohl nach Sung und dann nach Tsin und Tsu?« Hu Yien erschrak heftig: »Wer möchte wohl so weit zum Jagen ziehen?« entgegnete er. »Ich kenne Eure ganze Meinung wohl,« sagte Kiang, »gestern habe auch ich selbst ihn zu überreden gesucht. Aber er mochte meinem Rat nicht folgen.« »Heute abend«, setzte sie leise hinzu, »werde ich sehen, ob ich Euch helfen kann.« Hu Yien warf sich vor ihr nieder: »Ihr schneidet das Tischtuch der Liebe entzwei,« rief er, »um den Namen des Prinzen zu Glänze zu bringen! O Hoheit, o Güte, in tausend Jahren hast du deinesgleichen nicht mehr!« Dann nahm er Abschied und entfernte sich.
Draußen berichtete er dem Tsiao Tse und den andern, was sich zugetragen. Alles, Wagen, Rosse, Gefolg und Dienerschaft, Peitschen, Schwerter, Speisen und Futter wurden vorbereitet, dann begaben sich Tsiao Tse, Hu Mao und einige andre voraus an einen vorbestimmten Ort außerhalb der Stadt, um die übrigen zu erwarten, nur Hu Yien, We Tsiu und Tien Kie blieben zurück. Zwei kleine Wagen, beim Schloßtor links und rechts verborgen, standen bereit und erwarteten Kiangs Nachricht.
Am Abend rüstete Kiang ein Festmahl im Schloß, es gab eine Tafel und ein Gelage für den Prinzen. »Wozu ist dieses Mahl?« fragte Tsung El. »Ich weiß,« sprach Kiang, »mein Prinz hat ein Ziel, das ist weit draußen in der Welt. So habe ich denn einen Becher Weins richten lassen, um Abschied zu feiern.« »Der Mensch«, erwiderte Tsung El, »lebt, wie wenn ein weißes Roß über einen Schatten springt, der es einen Augenblick verdunkelt. Wer zufrieden sein kann, warum sollte der noch nach anderm begehren?« »Wer von den Leidenschaften läßt und in die Ruhe verliebt ist,« entgegnete Kiang, »dem vertrocknen in der Seele die Heldengedanken. Deine Leute raten gut, geh' hin und folge ihnen!« Tsung El wurde bleich. Er ließ den Becher unberührt und mochte nicht mehr trinken. »Willst Du in Wahrheit nicht gehen,« fragte Kiang, »oder willst Du mich nur täuschen?« »Ich gehe nicht,« antwortete Tsung El, »wer möchte Dich noch täuschen?« Da lachte Kiang: »Gehen«, sprach sie, »ist Dein Heldentum, Bleiben ist Deine Liebe. Diesen Wein hab' ich zu Deinem Abschied bereitet, wohl mir, nun soll er mir dienen, Dein Bleiben zu feiern. Ich will fröhlich sein mit Dir, so gut ich es vermag. Sag' an, bist Du zufrieden mit mir?«
Tsung El war glücklich, Mann und Weib tranken einander zu, Kiang ließ Dienerinnen singen und tanzen, um die Fröhlichkeit zu erhöhen. Tsung El mochte nicht mehr trinken, Kiang aber bat so innig, bis er völlig trunken war und sich aufs Bett warf. Da hüllte sie ihn in seidene Decken ein und sandte jemand hinaus, Hu Yien zu rufen. Als Hu Yien erfuhr, daß der Prinz trunken sei, kam er schnell mit We Tsiu und Tien Kie ins Schloß; dann trugen ihn die Männer mit Decken und Matratzen hinaus und legten ihn, reich umhüllt, in den Wagen. Hu Yien beugte sein Haupt und nahm Abschied von Kiang; der flossen die Tränen wie Regen herunter.
Nun trieben Hu Yien und die beiden andern den Wagen und verließen noch während der Nacht die Hauptstadt. Dort trafen sie mit Tsiao Tse zusammen und fuhren so die ganze Nacht. Als sie gut sechzig Meilen gefahren waren, begannen allüberall die Hähne zu krähen, und der Osten blendete die Augen. Tsung El warf sich im Wagen hin und her und rief nach der Schlafmagd, sie möge Wasser bringen. Hu Yien, der gerade neben ihm die Zügel führte, sagte: »Wenn Ihr trinken wollt, müßt Ihr schon warten, bis es tagt.« Tsung El aber fühlte, daß es schüttelte und er nicht ruhig würde liegen können, und rief, man sollte ihn stützen, er wolle das Bett verlassen. »Es ist kein Bett,« erwiderte Hu Yien, »es ist ein Wagen.« Da machte Tsung El die Augen auf: »Wer bist du?« fragte er. »Hu Yien«, sagte jener. Da erwachte Tsung El endlich ganz und sah, daß er von dem Gefolge betrogen war. Er schob die Decken fort, sprang auf und begann zornig zu schelten. »Warum habt Ihr mir das nicht vorher gesagt?« rief er. »Was wollt Ihr denn von mir?« »Wir wollen Euch das Land Djin schenken«, entgegnete Hu Yien. »Das Land Djin habe ich noch nicht bekommen,« sagte Tsung El, »aber das Land Tsi habe ich schon verloren. Dies eben wollte ich nicht.« »Tsi ist schon weit, mehr als hundert Meilen«, erwiderte Hu Yien. »Wenn der Fürst von Tsi erfährt, daß Ihr geflohen seid, glaubt mir, so schickt er sogleich Soldaten her, um Euch zu holen. Ihr seht, die Rückkehr ist unmöglich.«
So konnte denn Tsung El nicht anders und fuhr mit seinen Leuten weiter. Er kam noch in viele Länder und bestand manche Not und Gefahr. Aber nach einigen Jahren wurde er wirklich Fürst von Djin, und alle andern Fürsten hoben ihn über sich als ihren Beauftragten und Schiedsrichter.