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Der Diener einer vornehmen Familie in Berlin trat am Abend des 2. Dezember 1843 in einen Branntweinladen und forderte ein Glas Likör. Der Wirt, bei dem er ein alter Kunde war, befragte ihn, warum er sich so lange nicht eingefunden habe. Der Diener, in reicher Jägerlivree, klagte über das Jammerleben, das er zu führen habe, tagaus, tagein im Frondienste, seine Fräuleins, die Herrschaft, von morgens bis abends in Putzläden, zum Juwelier, zu Besuch begleiten zu müssen, dann nach dem Dienst im Hause ins Konzert, ins Theater. Er wisse gar nicht, wo ihm von dem vielen Laufen und Rennen, Bestellen und Befehlen der Kopf stünde. Heute sei es aber kaum auszuhalten, denn das älteste gnädige Fräulein mache Hochzeit. Alles Silberzeug habe hervorgeholt und geputzt werden müssen. Eben jetzt müsse er noch zum Goldarbeiter, um einen Armleuchter zu holen, der dort in Arbeit sei. Der Jäger ging, nachdem er die Hoffnung aussprach, daß, wenn der schwere Tag vorbei sei, wohl wieder etwas Ruhe eintreten werde.
Ein Mensch in abgetragener Kleidung im Winkel der Stube, aber ein Stammkunde, fragte den Wirt, wer der Jäger sei. Der Wirt nannte den Namen und die Herrschaft, bei welcher der Jäger diente, und setzte hinzu, daß sie ungeheuer reich und freigebig sei; der Dienstbote habe es da gut. Der Fragende stieß einen Fluch aus: »Ja, wer hat, bei dem liegt's in Haufen!« Er brummte über die ungerechte Verteilung der Güter und zog sich auf eine Bank im Hintergrunde zurück, wo er mit noch zwei anderen Gästen ein leises Gespräch führte. Dann bezahlten alle drei und verließen zugleich den Schenkladen.
Im Dunkel der Straße setzten sie ihr Gespräch fort. Der eine sagte leise: »Ich will des Teufels sein, komme ich nicht.« Der zweite: »Bruder, verlaß dich auf mich, wenn ich nicht das Bein breche, so komme ich.« Der dritte sagte: »Und soll mich's zehn Jahr kosten, ich bin dabei.«
»Schlag zwei Uhr, wenn der Wächter vorbei!« war das Losungswort, mit dem sie sich trennten.
Das Haus, in dem die Herrschaft des Jägers wohnte, stieß mit seinem Hintergebäude auf eine Gasse, von der aus die Diebe ihren Einbruch bewerkstelligten. Kein Wächter störte sie, als sie mit dem Schlage zwei nach Mitternacht eine mitgebrachte Leiter an ein Fenster der oberen Etage setzten. Der Vorderste drückte ohne Geräusch die Scheibe ein und öffnete das Fenster, durch das alle drei mit Äxten, Nachschlüsseln und Säcken stiegen. Der letzte zog die Leiter noch herein und lehnte sie auf dem Gange, wo sie sich befanden, an die Wand.
Mit der Lokalität des Hauses vertraut, schlichen sie über den Gang bis zu einer Treppe, die nach dem Hofe führte, und gingen von da ins Vorderhaus. Die Hoftür war nur angelehnt. Erst die Glastür des Vorsaals fanden sie verschlossen. Mit einem Dietrich wurde sie leicht geöffnet. Nicht mehr Schwierigkeit stellte ihnen die Flügeltür entgegen, die zu dem großen Saale führte, wo das Hochzeitsmahl gefeiert worden war.
Alles war still, als sie ihre Diebeslaterne anzündeten, bei deren mattem Schein sie auf der noch unabgeräumten langen Tafel den ganzen Reichtum an Silbergeschirr entdeckten. Freudig erstaunt, griffen sie hastig, doch ohne den geringsten Lärm zu machen, zu, warfen und stopften in die Säcke, was ihnen wertvoll schien und darin Platz hatte. Auch dies Werk war vollkommen gelungen, und mit leisen Schritten machten sie sich auf den Rückweg.
Der Jäger, der unbewußt der Verräter seiner Herrschaft geworden war, erwachte nicht durch das Geräusch, sondern durch einen kalten Luftzug, der über sein Gesicht strich. Er schlief im Hinterhause; seine Kammer ging auf den Gang. Der Luftzug kam aus der zerbrochenen Scheibe. In der Meinung, daß er oder ein anderer ein Fenster aufgelassen hätte, sprang er auf, um es zu schließen. In der Dunkelheit stieß er an eine Leiter, die nie hier gestanden hatte. Seine bloßen Füße traten auf Glasscherben, und beim nächsten Blick bemerkte er die eingeschlagene Scheibe.
Schnell bewußt und rasch entschlossen, sprang er in die Kammer zurück, riß den Hirschfänger aus der Scheide und war schon auf dem Gange, als er die Diebe die Treppe heraufkommen hörte. Mutig stürzte er ihnen entgegen, »Diebe! Diebe!« schreiend.
Sie warfen ihre Säcke fort. Der eine schwang seine Axt und wollte auf den Jäger losgehen. Bevor dieser seine schwere Waffe benutzen konnte, gab er ihm mit der Klinge einen Hieb über den Kopf, so daß er bewußtlos niederstürzte. Der zweite war währenddessen rasch durch das offene Fenster auf die Straße gesprungen. Der dritte, vor Angst und Furcht regungslos, wagte weder zu fliehen noch Widerstand zu leisten.
Der Jäger hielt ihn gepackt, während auf sein Schreien die anderen Hausbewohner erwachten und herbeieilten. Von draußen war auch der Nachtwächter herbeigekommen und schrie hinauf, was es denn gäbe; auf dem Steinpflaster läge ein Kerl, der jämmerlich ächze. Die Polizei war bald herbeigerufen und verhaftete die Diebe. Zwei von ihnen wurden in das Gefängnislazarett gebracht.
Derjenige, den der Hirschfänger des Jägers getroffen hatte, konnte nicht mehr bekennen und nicht mehr vernommen werden. Der Hieb des Jägers war tief ins Gehirn gedrungen. Nach elfstündigem Todeskampfe verschied er am Tage darauf. Man erkannte in ihm einen mehrmals verurteilten Dieb und Betrüger.
Der zweite Verwundete hatte den rechten Schenkel durch den Sprung aus dem Fenster an zwei Stellen gebrochen. Auch hatte er eine starke Gehirnerschütterung und Prellungen der Brust erlitten und konnte nur wenig sprechen. Auch in ihm erkannte man einen schon mehrmals verurteilten Dieb, der sich längere Zeit als Vagabund in Berlin herumgetrieben hatte.
Der Brand kam in das rechte Bein, und es mußte ihm abgenommen werden. Er legte vor Gericht ein vollständiges Bekenntnis ab, noch vollständiger vor dem Arzt. Es ist eine Lebensgeschichte, die sich tausendmal wiederholt, und doch erinnern wir uns nicht, sie so schon aus dem Munde eines Verbrechers von seiner Bildungsstufe gehört zu haben.
»Ich bin zu Brandenburg im Jahre 1807 geboren, wo mein Vater Maurergeselle war. Er hatte Arbeit genug, und meine Mutter verdiente als Wäscherin schönes Geld. In meiner Jugend bis zum achten Jahre ging mir nichts ab, ich war gesund und wurde zu kleinen häuslichen Verrichtungen, zum Warten und Wiegen meiner jüngeren Geschwister angehalten, aber zur Schule schickte man mich nicht. Von der Mutter lernte ich das Vaterunser und die Zehn Gebote, die ich alle Morgen und Abende beten mußte, vor die Tür zu andern Jungen durfte ich nicht.
Da es in den damaligen Kriegsjahren an Durchmärschen und Gelegenheit zum Verdienst nicht fehlte, hatte mein Vater einen kleinen Schnapsladen angelegt; seitdem sah und hörte ich viel Böses, das ich leider schnell genug lernte. Das Fluchen, Schwören und Lästern der Gäste, zumal der, die täglich kamen, und ihre Reden träuften Gift in meine Seele, und der Branntwein, den mir der eine oder der andere gab, verwilderte mich vollends. Ich ward trotzig gegen die Mutter, stahl dem Vater heimlich Geld aus der Lade, ging ihm über die Flaschen; als er mich einige Male ertappte, züchtigte und zur Strafe in die Schule schickte, hielt ich es dort kaum ein Jahr aus. Ich lernte notdürftig lesen, und da meine Beihilfe in der Schenke erforderlich wurde, behielt mich der Vater wieder ganz zu Hause.
Ich habe seitdem viele Bücher gelesen. Räuber- und Diebesgeschichten verschlang ich gleichsam. Ein Gast, der eine Leihbibliothek hatte, erlaubte mir, sie zu benutzen, und ehe ich fünfzehn Jahre alt wurde, hatte ich sie durchlesen. Das verdarb mich vollends, ich wollte auch ein berühmter Räuber werden, und alles, was ich von dem freien Leben dieser Menschen las, reizte mich außerordentlich. Eine Bibel war in unserem Hause nicht zu finden, nur ein alter Katechismus, und meine Mutter besaß ein Gesangbuch, worin sie zuweilen las. Zur Kirche ging keiner von uns, denn des Sonntags und Feiertags war die ganze Zeit bei uns Gastverkehr.
Erst als ich eingesegnet werden sollte, bekam ich eine Bibel. Ich wurde sechs Wochen von einem Geistlichen unterrichtet, was mir sehr langweilig vorkam. Nach meiner Einsegnung, wobei ich viel Tränen vergoß, weil auch die anderen Kinder weinten, ging ich mit meiner Mutter zum Abendmahl. Seitdem habe ich es nur im Gefängnis wieder genossen.
Inzwischen war in unserem Hause eine traurige Veränderung vorgegangen. Mein Vater fand beim Schank seine Rechnung nicht mehr. Es ging rückwärts, und war er früher schon gerade kein Säufer, aber doch ein Liebhaber des Branntweins, so trank er jetzt immer stärker, mißhandelte die Mutter und uns Kinder, zerschlug in der Besoffenheit alles, was er ergriff, und wollte sich von der Mutter, die ihm zu stille war und auf die er alle Schuld warf, scheiden lassen. Der Tod der Mutter, die sich abzehrte, kam dazwischen.
Dieser Tod brachte in unser Hauswesen die größte Zerrüttung, mit dem Vater war es nicht mehr auszuhalten, er lebte mit der Magd, die uns Kinder ganz vernachlässigte, so daß wir vom Ungeziefer fast aufgerieben waren, viel Schläge, aber keine regelmäßige Mahlzeiten bekamen und in zerrissenen Kleidern gingen.
Was man mir nicht gab, das suchte ich zu nehmen. Aus Schlägen und Scheltworten machte ich mir nichts. Ich wuchs dem Vater über den Kopf.
Um mich loszuwerden, gab er mich als Handlanger unter die Maurer seiner Bekanntschaft. Hier bekam ich die weitere Ausbildung im Fluchen, Saufen und rohen Wesen. Des Winters, wo es keine Arbeit gab, kam ich wohl zum Vater zurück und half in der Wirtschaft. Öfter besoff ich mich und prügelte mich mit ihm, denn ich ließ mir nichts sagen. Er warf mich auf die Straße, und ich geriet nun mit den verworfensten Menschen in Gemeinschaft. Noch hatte ich nicht fremde Leute bestohlen, jetzt nahmen mich die Kameraden mit, lehrten mich alle Schliche und Listen, und ich wurde nicht nur ihnen gleich, sondern tat es ihnen bald zuvor.
Mein Gewissen, wenn es mich mahnen wollte, erstickte ich in Branntwein und Ausschweifungen. Aber es war doch ein jämmerliches Leben. Keine Ruhe im Herzen, Blöße und Hunger im Winter. Oft wußte ich nicht, wo ich nachts Herberge finden würde; war ein Sündengeld durch Betrug und Diebstahl erworben, wurde es, wie im Sommer der Wochenlohn, verjubelt.
Ich habe manchmal vor Gericht gestanden, aber ich log frech und befreite mich. Das machte mich nur noch dreister im Stehlen. Einmal aber wurde ich doch ertappt und kam auf fünf Monate in das Untersuchungsgefängnis. Hatte ich zuvor noch nicht ausgelernt, so erhielt ich hier erst die rechte Einweihung in die Diebsgenossenschaft. Ich kam viel schlechter heraus, als ich hineingekommen war, und wußte nun meine Diebereien schlauer und durch Mitwirkung Bekannter erfolgreicher zu betreiben.
Jetzt fand ich Unterkommen, jetzt kannte ich die Hehler, jetzt war ich unterrichtet, wie man sich aus den Schlingen ziehen und den Richter auslachen kann. Auch die Strafe fürchtete ich nicht mehr, denn es ging mir im Gefängnis gar nichts ab. Wir waren da in Gesellschaft beieinander, erzählten uns, waren lustig und guter Dinge und zeigten unter uns ganz andere Gesichter als vor den Aufsehern und Richtern. Auch standen wir mit unseren Leuten draußen in fortwährendem Verkehr, und es bedurfte nicht eben großer Schlauheit, um durch Entlassene unsere gemeinschaftlich ausgesonnenen Diebespläne auszuführen.
An Essen und Trinken, Kleidern und Wäsche fehlte es nicht, die Arbeit war ein Kinderspiel; und wurde man entlassen, bekam man noch ein paar Hemden, Schuhe, ja selbst noch etwas Geld. Da hatte man wieder etwas zu vertun und zu verkaufen. War's alle, ging die Dieberei wieder los, und wurde man erwischt, was konnte einem Arges passieren? Denn wenn es auch im Zuchthaus etwas strenger war und die Schläge weh taten, wenn man da auch zum Geistlichen in den Unterricht und in die Kirche mußte, so ging's ja immer noch sorgenlos und lustig genug zu, und wenn man gut heucheln konnte, wie ich's aus dem Grunde lernte, und seine Arbeit verrichtete, die immer leichter war, als sie jeder Arme draußen tun muß, da war's ein prächtiges Leben, besonders wenn's nicht gar zu lange dauerte.
So hab ich's Jahre lang getrieben. Zu den Soldaten mochten sie mich nicht nehmen, ich wäre auch ausgerissen, denn nichts war mir unausstehlicher als Zwang, dem ich mich im Gefängnis doch leicht fügte. Da mich zuletzt auch keiner mehr in Arbeit haben wollte, zog ich in die große Stadt Berlin, wo ich viele Bekannte aus den Zuchthäusern her hatte.
Mein Vater war inzwischen verstorben, und auf jedes Kind kamen 12 Taler Erbteil. Ich mietete mit dem Geld einen Keller und legte einen kleinen Holzhandel an, wobei mir eine geschiedene Frau, zu der ich mich hielt, behilflich wurde; aber das war nur der Deckmantel vor der Polizei. Es glückte mir auch lange genug. Ich wurde aber doch zuletzt entlarvt; mir wurde alles genommen und ich selbst nach sechswöchigem Arrest in meine Heimat gewiesen.
Mein ältester Bruder diente als Kutscher, die anderen Geschwister waren im Elend verkommen, niemand nahm mich auf, und ich fing an, zu vagabundieren und von Bettelei und Diebstahl zu leben. Sperrte man mich ein, so fütterte ich mich im Gefängnis wieder auf, bekam Kleider, wurde dann an Gesellschaften gewiesen, welche entlassene Sträflinge unterstützten, und habe so manchen Taler bekommen, der durch die Gurgel ging. Arbeiten wollte ich durchaus nicht mehr; Arbeit war mir im freien Zustande das Schrecklichste.
So bin ich wieder nach Berlin zurückgekommen und wurde Bote in einer Buchhandlung, wo ich Zeitschriften an die Abnehmer in der Stadt umhertragen mußte. Weil ich nun bei diesem Geschäft viele Gelegenheiten in den Häusern abpassen konnte, kamen meine alten Kameraden, von denen ich mich eine Zeitlang getrennt sah, wieder an mich.
»Kerl, du wirst uns doch nicht untreu werden, du wirst dich hier um ein Lumpengeld schinden und plagen, du kannst es besser haben; komm mit in die Schenke, wir müssen dir etwas sagen!« Ich ging wieder zu ihnen, und das ganze Lasterleben fing von neuem an.
Meine Herren jagten mich aus dem Botendienste, nun war ich wieder ganz in der Gewalt derjenigen, die mich freihielten und mit denen ich nun auf Betrug, Dieberei und Raub ausging.«
Die drei Diebe, die sich in der Branntweinschenke getroffen hatten, schworen feierlich, sich in der Nacht wieder zu treffen. Der Tischler beteuerte es mit den Worten: »Ich will des Teufels sein!« Er war es, dem der Hirschfänger des Jägers den Schädel spaltete. Der Maurerhandlanger mit den Worten: »Ich will das Bein brechen!« Er sprang aus dem Fenster und brach das Bein. Der dritte, der Jüngste unter ihnen, mit den Worten: »Und soll mich's zehn Jahre kosten!«
Er wurde wegen gewaltsamen Einbruchs zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.