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Ein junger Radmachermeister zu Bremen, mit Namen Rumpf, hatte dort in der Pelzerstraße 1825 ein Wohnhaus gekauft. An Warnungen von seiten seiner Freunde, daß er den Kauf unterlassen möge, hatte es nicht gefehlt. Man sagte, das Haus wäre ein Unglückshaus, worin die Männer stürben. Vor allem aber solle er sich vor der bisherigen Besitzerin in acht nehmen und sie nicht im Hause wohnen lassen. Denn wenn auch keiner der Madame Gottfried etwas Böses nachzusagen wußte, so herrschte doch bei vielen, die sie näher kannten, eine gewisse Furcht vor ihr, die allerdings einigen Grund hatte.
In dem Hause, das die verwitwete Madame Gottfried bis jetzt besessen hatte, waren in den letzten Jahren nicht wenige Todesfälle vorgekommen. Sie hatte ihren ersten Mann, dann ihre Mutter, ihren Vater, ihre Kinder, ihren Bruder, den zweiten Mann, nach einem kurzen Krankenlager, plötzlich verloren. Ja, wenn man es zusammenzählte, so hatte die unglückliche Witwe im Verlaufe von vierzehn Jahren nicht weniger als dreizehn Särge bei dem Tischler Bolte, der ihr gegenüber wohnte, bestellen müssen, alle für liebe, teure Angehörige; und so auffällig war das ungewöhnliche Unglück dieser Frau geworden, daß ein hochberühmter Kanzelredner in Bremen auf der Kanzel für die »christlich starke Dulderin« öffentliche Fürbitte hielt.
Gegen die anständige, allgemein geliebte und wohltätige Frau selbst konnte kein Verdacht aufkommen. Ihr Ruf war, wenn nicht ganz unbescholten, doch durch einen exemplarischen Wandel gegen alle Verdächtigungen wirklicher Verbrechen gekräftigt. Wenn einige meinten, daß sie schon bei Lebzeiten des ersten Mannes mit dem zweiten in vertrauterem Umgange gelebt hätte, als erlaubt ist, so wußten sie zugleich, daß ihr jener durch sein wüstes Leben Anlaß dazu gegeben hätte; ja, daß er, in Erkenntnis seiner eigenen Schuld dem reinen Weibe gegenüber, diesen Umgang gewissermaßen als Ersatz für seine Untugenden zugelassen und nicht ungern gesehen hätte; vielleicht habe er sogar auf dem Totenbette gewünscht, daß der Hausfreund seine Witwe heirate und gutmache, was der Ehegatte ihr unrecht tat. Und wenn sie da gefehlt, so hatte sie durch ihre unerhörten Leiden gebüßt. Durch ihre religiöse Gesinnung, durch ihre christliche Wohltätigkeit, wie sie die Lager der Kranken besuchte, sie liebevoll pflegte und Spenden über ihre Kräfte austeilte, sowie durch ihr bescheidenes Benehmen gegen Höhere und ihre Leutseligkeit gegen Untergebene war sie überall beliebt und gern gesehen. Viele wußten überdem von der Schönheit und Lieblichkeit der ehemaligen Jungfrau, die das Ziel der Wünsche achtbarer Jünglinge gewesen war; und auch jetzt, im angehenden Matronenalter, hatte sie eine Anmut sich zu bewahren gewußt, daß man sie überall gerne sah.
Madame Gottfried, von Geburt mehr dem mittleren Bürgerstande angehörend, zählte durch ihre Heiraten, ihre anscheinende Bildung und ihren Umgang schon zu den Höheren. Im hannoverschen Nachbarlande verkehrte sie freundschaftlich mit angesehenen Familien und wurde, ihres Charakters wegen, nicht allein gern gesehen, sondern man fand sich durch den Besuch der liebenswürdigen Frau geschmeichelt, und sie konnte nicht genug den wiederholten Einladungen nachkommen.
Dennoch stand ihr furchtbares Schicksal als nicht wegzuleugnende Tatsache da: die in ihrer Nähe sich immer wiederholenden Todesfälle. Einige hielten sie für schwere, unergründliche göttliche Prüfungen; andere flüsterten sich zu von einem pestartig giftigen Atem, der der eigentümlichen Frau als ein krankhaftes Übel anhafte.
Rumpf aber war ein entschlossener Mann, ein entschiedener Feind jedes Aberglaubens, wofür er jene Meinungen und Warnungen hielt. Er kaufte nicht allein das Haus, sondern behielt auch Madame Gottfried als Mieterin in ihren bisher bewohnten Zimmern. Außerdem ließ er ihr den kontraklich ausbedungenen Mietsertrag zweier Nebenhäuser.
Zu Anfang schien er allen Grund zu haben, mit seinem Entschlusse zufrieden zu sein. Man konnte sich kein angenehmeres Verhältnis zwischen der jungen Familie des Käufers und der früheren Besitzerin denken. Die freundliche Witwe, die für nichts in der Welt zu sorgen hatte, lebte nur für die Rumpfsche Familie. Aber kaum acht Wochen, nachdem sie eingezogen war, starb die Gattin im Wochenbette. Sie hatte die Entbindung glücklich überstanden, als ein heftiges Erbrechen und Durchfall sich einstellten, die den Tod zur Folge hatten.
Niemand konnte sich trostloser und liebevoller zeigen als Madame Gottfried. Sie war nicht vom Krankenlager der Leidenden gewichen. Die Sterbende sah in der Todesnähe nur darin einen Trost, daß sie eine solche Pflegerin für ihr verwaistes Kind, für ihren armen Mann zurückließ. Sie ließ ihr das teure Vermächtnis, für beide zu sorgen, und die Gottfried erfüllte redlich den Willen der Gestorbenen. Sie pflegte das Kind, sie besorgte die Wirtschaft, die Küche; sie heiterte durch Unterhaltung und religiöse Zusprüche den tiefbetrübten Mann auf. ›Tante Gottfried‹ hieß sie in der Familie.
Aber das Unglück, das die Freunde prophezeiten, war doch im Anmarsche. Bald darauf erkrankte, ebenfalls an Durchfall und Erbrechen, die für den Säugling in Dienst genommene Amme, dergleichen die Hausmagd. Die Amme erklärte, in dem Hause könne sie nicht gesund werden, und ging in ihre Heimat zurück.
Nun erbrachen sich Gesellen und Lehrlinge. Rumpf selbst fing wenige Monate nach dem Tode seiner Frau an demselben Übel zu leiden an. Was für Speisen er zu sich nahm, sie erregten ihm das fürchterlichste Erbrechen.
Eine niederdrückende Schwäche hatte sich seines Körpers bemeistert. Der kräftige, rüstige Mann war mutlos und träge geworden. Er scheute die geringste körperliche und geistige Anstrengung. Zehen und Fingerspitzen hatten das Gefühl verloren, und ihn quälte die entsetzliche Angst, daß er wahnsinnig werden könnte. Er glaubte weder an eine Vergiftung noch an unerklärliche Einflüsse; er wollte einen natürlichen Grund auffinden, und in diesem unermüdlichen Bestreben gewann seine schon geisterhafte Erscheinung selbst etwas Gespensterhaftes.
Gleich als suche er einen verborgenen Schatz, von dessen Dasein er dunkle Kunde hatte, durchkreiste er sein Haus vom Keller bis zum höchsten Boden. Er wollte in der Örtlichkeit den geheimen Grund entdecken, warum er krank sei und so viele vor ihm krank geworden waren. Er dachte an eine verderbliche Zugluft und schloß und öffnete alle Türen, stopfte alle Ritzen. Vielleicht dunstete der Fußboden, irgendein vermodernder Stoff brütete dort Gift. Er roch, öffnete und lüftete die Dielen; alles vergebens.
Fast erlag er schon dieser doppelten Pein und kämpfte einen neuen Kampf, ob es wirklich geheimnisvolle Mächte gäbe, die die Sinne der Menschen verrückten und ihren Körper heimlich verwüsteten. Da erschien die ›Tante Gottfried‹ als einziger Trost des armen Leidenden. Sie pflegte ihn mit mehr als mütterlicher Sorgfalt. Jeden Morgen war sie die erste, sich zu erkundigen, wie er geruht hätte, und wenn sie hörte, daß er wieder eine schmerzenvolle Nacht durchwacht habe, wünschte sie ihm nur etwas von dem sanften Schlafe, womit Gott sie erquicke.
Dieses Leiden dauerte jahrelang, ohne daß in Rumpfs Seele der geringste Verdacht aufstieg. Später entsann er sich wohl, daß, etwa zwischen Ostern und Pfingsten 1827, die Magd ihm Salat gebracht, auf dessen Blättern er etwas Weißes, Zuckerähnliches bemerkt habe. Da er süßen Salat nicht liebte, schalt er und ließ ihn wegwerfen. Später hatte er auch in einer Tasse Bouillon einen dicken weißen Bodensatz bemerkt; nach der Bouillon hatte er an heftiger Übelkeit gelitten. Erst im März 1828 sollte die Entdeckung erfolgen.
Er hatte sich für seine Haushaltung ein Schwein schlachten lassen. Von einem ausgesuchten Stücke, das ihm der Schlächter brachte, genoß er einen Teil und verschloß das übrige in einem Schrank. Das Fleisch war ihm, wider Gewohnheit, sehr wohl bekommen; also wollte er am folgenden Tage den Rest verzehren. Als er den Schrank öffnete, bemerkte er, daß der Speck nicht mehr die gestrige Lage hatte. Er hatte ihn, die Schwarte nach unten, gelegt; jetzt findet er die Schwarte oben. Als er den Speck umkehrt, entdeckt er zu seinem Erstaunen darauf wieder solche weißlichen Körner, wie früher auf dem Salat und in der Bouillon. Tante Gottfried, die herbeigerufen wird, erklärt es für Fett. Aber jetzt steigt eine Ahnung in dem Unglücklichen auf, er schweigt und ruft in der Stille seinen Hausarzt. Die weiße Substanz wurde abgestreift, durch einen geschickten Chemiker untersucht, und es findet sich darin eine nicht unbedeutende Beimischung Arsenik.
Dies geschah am 5. März, schon am 6. wurde dem Kriminalgericht Anzeige gemacht, und nachdem es eine summarische Vernehmung der Zeugen veranlaßte, begab sich eine Kommission in das Rumpfsche Haus. Die Gottfried wurde, angeblich krank, im Bette gefunden. Nach einem Verhör, das sie noch verdächtiger machte, wurde sie beim Eintritt des Abenddunkels, zur vorläufigen Verhaftnahme, ins Stadthaus abgeführt.
Noch am selben Abende verbreitete sich das Gerücht davon. Eine in allgemeiner Achtung stehende Frau hatte ihre Hand in Gift getaucht, um das Leben eines Familienvaters zu verderben, mit dem sie in den freundschaftlichsten Beziehungen stand. Staunen und Schrecken bemächtigte sich aller Bewohner einer friedlichen, wegen ihres Religionseifers berühmten Stadt, in deren Mauern so selten ein Kapitalverbrechen vorfällt. Aus dem Schrecken aber wurde Entsetzen, als man mit dem einen ausgesprochenen Falle die bisherigen dunklen Todesfälle in dem Unglückshaus in Verbindung brachte. Ahnungen stiegen auf, die man auszusprechen zauderte, und doch sollte die Wirklichkeit noch diese Ahnungen an Gräßlichkeit übertreffen und ein Ungeheuer ans Licht gezogen werden, das an Scheinheiligkeit, Mordlust und Furchtbarkeit alle bisher bekannten Verbrecherinnen weit hinter sich ließ.
Im Stadthaus versuchte die Gottfried anfänglich zu leugnen; aber ihr gebrochenes Wesen verriet die Verbrecherin, deren Kraft und Mut dahin war mit dem Scheine, den sie durch so lange Jahre aufrechterhalten konnte. Mit Erstaunen und Entsetzen zogen die Wärterfrauen der wohlgebildeten Madame Gottfried, als sie sie, dem Reglement zufolge, entkleiden mußten, dreizehn Korsetts, eins über dem ändern, aus. Ihre lieblichen roten Wangen waren Schminke, und nachdem alle Toilettenkünste entfernt, stand an der Stelle der blühenden, wohlbeleibten Dame vor den erschreckten Weibern ein blasses, angstvoll verzerrtes Gerippe. Aber mit dem äußeren Scheinbild sank zu gleicher Zeit das moralische Trugbild zusammen, das sie, seit zwanzig Jahren und mehr, vor den Menschen zur Schau getragen hatte. Sie bekannte, aber nicht mit einem Male, es war ein fortgesetztes zweijähriges Bekennen, und auch dies Bekennen war ein fortgesetztes neues Lügengewebe; nicht mehr jene großartige Lüge, die sie vorm Untergang hätte retten können, sondern ein kleinliches Ableugnen, um, nachdem das Gräßlichste heraus war, noch hier und dort einen Anhalt, eine kleine Entschuldigung zu gewinnen.
Das ungeheure Leichentuch, unter dem eine noch jetzt vielleicht nicht ganz bestimmt ermittelte Zahl von Opfern ruht, konnte weder sie selbst mit einem Male aufdecken, noch wagten es ihre Richter, deren Pflichteifer durch den Schauder von der Größe des verbrecherischen Tatbestandes gern selbst dämonischen Einflüssen so Unerhörtes beigemessen hätte. Die Gottfried hatte nach den ersten Verhören schon genug bekannt, um das Leben zehnfach verwirkt zu haben; die Untersuchung wurde deshalb nicht mit der Eile geführt, die bei anderen Verbrechen nötig ist, um Spuren, die verlorengehen könnten, zu verfolgen. Man durfte vielmehr, da der rächenden Gerechtigkeit auf jeden Fall ihr Recht ungeschmälert blieb, den wissenschaftlichen und menschlichen Rücksichten nachgehen, um das furchtbare Rätsel eines so entarteten menschlichen Wesens gründlich zu studieren. Rechtsgelehrte, Theologen, Mediziner experimentierten an dieser Rarität, und eben um dieser Eigenschaft willen hegte man das moralische Scheusal und pflegte es mit einer rücksichtsvollen Menschlichkeit, die weit über das Verhältnis zwischen Richter und Verbrecher früherer Jahrhunderte hinausging.
*
In der Pelzerstraße in Bremen lebte die Familie eines ehrbaren Frauenschneiders namens Johann Timm, die sich den Ruf der Arbeitsamkeit und treuen Rechtschaffenheit in der ganzen Nachbarschaft erworben hatte. Vater Timm war so fleißig in seinem Berufe, daß sie von ihm sagten, er halte beim Nähen den Atem an, um mehr Nadelstiche in einer Minute zu machen. Zu eigentlichem Wohlstande brachte er es trotzdem nie; aber er konnte es doch auf seinen guten Ruf wagen, das Haus, in dem er später starb, anzukaufen; und so viel blieb und mußte bei seinem Verdienst übrigbleiben, daß die Armen jede Woche ihren Teil erhielten.
Am 6. März 1785 gebar Timms junge Frau Zwillinge, einen Sohn und eine Tochter. Bei diesen Kindern blieb es. Der Sohn, Johann Christoph getauft, machte später den Eltern wenig Freude. Auf der Wanderschaft geriet er unter liederliche Bekanntschaften, wurde verführt, krank, kostete den Eltern, was ihnen als schwere Sünde galt, viel Geld, ließ sich endlich als Husar unter Napoleon anwerben, bis er, nach langen Jahren, wieder als Krüppel in seiner Vaterstadt erscheint.
Das Mädchen, Gesche Margaretha, wurde bald die Freude und der Augapfel beider Eltern. Schwächlich war sie, doch nicht kränklich. Anmutig und leicht in ihrer Bewegung, lieblich in ihrem Benehmen, mit einem freundlichen, hübschen, offenen Gesicht, war das Kind überall gern gesehen und wurde von den Erwachsenen geliebkost und anderen als Muster gezeigt.
Schon im frühen Alter von drei Jahren mußte die kleine Gesche die Schule besuchen, damit sie an ein äußeres gesetzmäßiges Wesen gewöhnt werde. Ihre Schulgespielinnen hatten Taschengeld von den Eltern und benutzten es zu Näschereien. Margaretha Gesche hatte nur leere Taschen. Ohne die größte Not gaben ihre kargen Eltern keinen Groten, etwas mehr als ein reiner Kreuzer, aus. Sie half sich selbst. Wenn sie von der Mutter ausgeschickt wurde, um Weißbrot zu holen, brachte sie unter den größeren einige kleinere und erübrigte dadurch manchen Groten zu jenem Zwecke. Gesche war damals sieben Jahre alt.
Der Betrug wurde nicht entdeckt. Das war eine Aufmunterung zur Wiederholung. Glücklich darüber, daß es nie herauskam, ging sie zu eigentlichen Diebereien über. Sie nahm aus der unbewachten Tasche der Mutter einen, zwei bis zwölf Groten. Der Verlust blieb zwar nicht unbemerkt; welche Mutter sollte aber einen Verdacht werfen auf ihr liebliches, offenes Kind, auf den »Engel von Tochter«, wie beide Eltern ihre Margaretha nannten. Das verschlossene, menschenscheue Wesen ihres Bruders lenkte ihn weit eher auf sich – und die Schwester schwieg zur Verdächtigung ihres Bruders!
Fünf Jahre setzte sie diese Diebereien fort, ohne daß ein Verdacht auf sie fiel, fünf Jahre heuchelte sie bei diesen kleinen Sünden ein unschuldiges Wesen, das nach wie vor belobt, gestreichelt und belohnt wurde. Sie vergriff sich, elf Jahre alt, an fremdem Eigentum und entwendete einer alten Mamsell, die bei Timms zur Miete wohnte, eine bedeutendere Summe als jemals vorher, etwa zum Betrage von einem Taler. Der Diebstahl wurde entdeckt, die Täterin nicht. Das Haus geriet in Aufruhr. Alles wurde vergebens durchsucht, der Vater schloß schon auf seinen Sohn, da rief die Mutter: »Warte nur, Vater, ich weiß schon ein Mittel und will gleich hinter die Wahrheit kommen.« Nach einer halben Stunde kam sie zurück und sprach mit zuversichtlicher Miene: »Ich habe den Dieb gesehen. Einer klugen Frau in der Neustadt habe ich's geklagt. Die holte einen Spiegel, und wie ich hineinsehe, steht der Dieb und guckt über meine Schulter.« Die Mutter hatte ihre Tochter dabei scharf ins Auge gefaßt, und wie ein Schwert drangen der die Worte ins Herz. ›Das ist dein Gesicht gewesen‹, dachte sie und hat nie mehr im elterlichen Hause etwas zu entwenden gewagt. Mit einer kleinen Erschütterung ging die Krisis vorüber; aber es war nicht herausgekommen, sie stand, in der Verstellungskunst früh geübt, vor der Welt so rein da als vorher und war nach wie vor der Engel ihrer Eltern.
In ihrem zwölften Jahre hatte Gesche, nach Ansicht ihrer Eltern, genug gelernt. Sie wurde aus der Schule genommen und mußte im Hause, statt der abgeschafften Dienstmagd, alle nötigen Arbeiten verrichten, zugleich aber auch für den Vater nähen und an Wochentagen außer Hause arbeiten; das Erworbene wurde ihr in der Sparbüchse aufgehoben. Der nächste Antrieb nach fremdem Gute war also fortgefallen. Dagegen erhob sie ihr Fleiß bei der Arbeit in den Augen des Vaters zu einem Ideal von Vortrefflichkeit, und ihre Fortschritte im Rechnen machten sie dem Vater bei seinen Kassenabschlüssen fast unentbehrlich.
Die Tochter schien vollkommen in die Begriffe ihrer Eltern von Ordnungsliebe und Ehrbarkeit einzugehen. Sie zeigte sich genügsam und erfreut über die kleinsten Freuden, war über das Kuchenbrot, das ihr als Geburtstagsgeschenk gereicht wurde, entzückt und betete alle Gebote, mit buchstäblicher Treue, die die Mutter sie bei allen Verrichtungen des Lebens gelehrt hatte. Sie trug die Almosen für Vater und Mutter aus, und schon früh war es ihr eingeprägt, daß solche Taten der Wohltätigkeit hohen Wert hätten und die Danksagung der Armen zu Verheißungen göttlicher Vergeltung würden; ein Wahn, der später von furchtbarem Einfluß auf ihr Leben wurde. Aber sie gehörte auch zu den weichen, reizbaren Seelen, die jedem Gefühl und aufregendem Einfluß offen sind und leicht zu Tränen gerührt werden. Des Vaters frommes Morgenlied, die stille Ordnung des Hauswesens erfüllten oft das Herz des Mädchens mit lebhafter Rührung; auch religiösen Eindrücken blieb sie nicht verschlossen.
Gesche war ein schönes Mädchen geworden. Von den Müttern wurde sie ihren Töchtern als Muster vorgestellt, von diesen selbst darum nicht beneidet, sondern innig geliebt. Die Nachbarn und Bekannten sagten, daß der alte Timm sich einen Schatz aufziehe.
Gern hätte Margaretha Gesche musikalischen Unterricht gehabt und Klavierspielen gelernt, das war aber von den Eltern zuviel gefordert, die nur für Notwendiges und Nützliches Geld ausgaben. Auch schien es unpassend für ein Bürgermädchen, das als Magd im Hause arbeitete. Und dennoch entschlossen sich die Eltern, ihr französischen Unterricht geben zu lassen; weil sie meinten, ein so außerordentliches Kind müsse bei seinen seltenen Geistesgaben wenigstens eine besondere Kenntnis vor anderen Töchtern gleichen Standes voraushaben. Aber schon hier betrog sie. Der wissenschaftliche Unterricht war viel zu ernsthaft für ihr leichtlebiges Gemüt. Die aufgegebenen Exerzitien langweilten sie, und sie ließ sich dieselben von einem befreundeten Tischlergesellen, der vollkommen französisch sprach, aufschreiben, korrigierte aber sorgsam einige Fehler hinein, um den Betrug nicht zu auffällig zu machen. Sie erntete für ihre vortrefflichen französischen Aufsätze das größte Lob, das sie in Bescheidenheit hinnahm und doch nicht französisch lernte.
Bei einer sogenannten Korporals-Mahlzeit – einem jährlichen Vereinigungsschmause der nach altertümlicher Weise in eine Miliz eingeteilten Bürger – trat die Gesche, damals sechzehn Jahre alt, zum ersten Male in die Welt. Jubel, Tanz und Spiel begleitete mehrere Tage lang diese Feier. Sie zog aller Augen auf sich und nach sich. Schon in diesem sechzehnten Jahre kamen Heiratsanträge. Drei wurden ohne weiteres von Vater und Tochter zugleich abgelehnt; ein vierter, lockenderer, da der Freiwerber ein junger, wohlhabender Meister des Gewerkes war, nur auf Überredung des Vaters. Gegen Person und Vermögen des Werbers hatte der alte Timm nichts einzuwenden, wohl aber gegen das Metier, weil es sein eigenes war. Da Gesches Bruder dereinst in Bremen Meister werden sollte, fürchtete der fern in die Zukunft rechnende Alte einen Brotneid zwischen den Geschwistern. Gesche hatte ihn nicht gerade geliebt, aber es durchzuckte sie mit Eiseskälte, als sie den abgewiesenen Werber an der Hand einer anderen jungen Braut dahinschreiten sah.
Eines Abends war Gesina, wie sich das junge Mädchen jetzt nennen ließ, im Theater in Begleitung ihrer Freundin Marie Heckendorf, die in ihrem Leben eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Es war das erste Mal, daß sie das Theater besuchte, und dieser Besuch sollte für ihr Leben von großem Einfluß werden; aber die Gottfried erinnerte sich später, trotz ihres vortrefflichen Gedächtnisses, weder des Namens noch des Inhalts des Stückes und wußte nichts davon, als daß eine sehr schöne Person, Elise Bürger, darin mitgespielt habe. In die Loge des zweiten Ranges, wo sie saß, drängte sich ein dicker vornehmer Herr an Gesina, der sie mit Artigkeiten überschüttete und auch nachher, obwohl umsonst, dem schönen Mädchen nachstellte. In der Person eines Nachbarn, des jungen Miltenberg, erschien aber zugleich ein Beschützer, der sich während der Aufführung zwischen den galanten Herrn und das hübsche Mädchen drängte und dann aus nachbarlicher Pflicht Gesinen aus dem Theater bis in ihr Haus begleitete.
Vom Augenblick dieses ritterlichen Dienstes an entspann sich zwischen beiden eine stumme Beobachtung und Aufmerksamkeit; Miltenberg ging immer vor des alten Timm Hause vorüber, wenn Gesina mit dem Besen davor kehrte, und unterließ nie zu sagen: »So fleißig?« Gesina dagegen fand, daß das Wasser im Miltenbergschen Brunnen das beste in der Straße sei, und holte es daher für die Wirtschaft von dort, was nicht auffällig war, da Miltenbergs Haus dem ihrer Eltern schräg gegenüber lag. Auch kaufte sie im Gürtlerladen, wenn der junge Miltenberg verkaufte, Kleinigkeiten, und Miltenberg geleitete sie hinaus. Liebe war auf ihrer Seite nicht im Spiel, aber Eitelkeit und für ihre Lage eine glänzende Aussicht.
Der junge Miltenberg war kaum berufen, ein Beschirmer der Unschuld und Sittlichkeit zu sein. Der verzärtelte, einzige Sohn eines wohlhabenden Vaters, hatte schon vor seiner ersten Verheiratung ein wüstes Leben geführt. Eine ältere Buhlerin hatte ihn in ihre Netze zu locken gewußt und, nachdem sie Madame Miltenberg war, keinen Grund gesehen, noch länger die Larve des Anstandes vorm Gesicht zu behalten. Wollüstig, dem Trunk ergeben, jähzornig, widerwärtig in jeder Beziehung, hatte sie dem jüngeren und schwächlichen Gatten das Leben unerträglich gemacht und seine Kräfte ausgesogen. Von einem gewaltigen Körperbau, hatte sie ihn nicht selten im trunkenen Zustande untergekriegt und mißhandelt, ja diese Familienszenen nicht in der Verschwiegenheit der vier Wände abgetan, sondern vor Zeugen, ja auf der Straße wiederholt.
Der Tod dieser Frau hatte nun zwar Miltenberg befreit, aber mit seiner Gesundheit schien auch seine Ehre, sein moralisches Wesen zerstört. Sein Vater, ein wohlhabender Mann, galt, obwohl er nur Sattlermeister war, für einen vornehmen Herrn. Er besaß das größte Haus in der Straße, das mit sieben kleinen Nebengebäuden einen eigenen Hof, »Miltenbergs Hof«, bildete. Seine Zimmer waren schön möbliert, und eine Sammlung Ölgemälde, die man für wertvoll hielt, brachte ihn mit angesehenen Leuten und mit Senatoren in nahe, freundschaftliche Verbindung. Vater und Sohn gerieten oft in heftigen Streit. Endlich soll der Alte dem Jungen erklärt haben, das einzige, was ihn wieder mit ihm aussöhnen könne, sei eine anständige Heirat und die einzige anständige Heirat, die ihm gefalle, mit Timms wohlgeratener Tochter.
Der Sohn hatte seinerseits nichts dagegen einzuwenden; nur fürchtete er sich, bei seinem bekannten ausschweifenden Leben, vor dem Antrage. Dazu wurde als Mittelsperson ein Mitgifter ausersehen, der mit seiner lateinischen Gelehrsamkeit und seiner stilistischen Kunst schon oft zu Rat und Hilfe in beiden Familien gezogen worden war und auch noch später als Vermittler in manchen schwierigen Fällen auftrat.
»Fein schwarz gekleidet, damals jung und von sehr ehrbarem Ansehen«, wie sich die Gottfried, bei ihrem lebhaften Gedächtnis für alles Äußerliche, noch im Gefängnis entsann, erschien der Brautwerber beim alten Timm und brachte in zierlich-steifen Worten seinen Antrag vor. Der künftige Reichtum des einzigen Erben, das große Miltenbergsche Haus, wofür schon einmal 20000 Taler geboten wären und worauf nur 1000 hypothekarisch hafteten, das köstliche Mobiliar, die Gemäldesammlung, darunter Stücke von 300 Talern Wert, glänzten dergestalt als Lichtpunkte in der Rede, daß Vater und Mutter Timm vor Freude zitterten und auch nicht an die Möglichkeit einer abschlägigen Antwort dachten. Die Tochter wurde hereingerufen, um ihr ihr Glück zu verkünden, und die Tränen, die sie vergoß, galten als Einwilligung, an der die Eltern nicht im entferntesten zweifeln konnten.
Das glücklichste Ereignis ihres Lebens, wofür die drei es hielten, wurde nicht von jedermann so angesehen. Timms Freunde schüttelten bedenklich den Kopf und hielten es für eine große Torheit, daß er das tugendhafte, schöne Mädchen um Geldes willen mit dem leichtsinnigen Menschen kuppele. Die Mutter erwiderte: »Wenn die jungen Leute nur Brot hätten, würde alles übrige schon von selbst kommen.«
Der Haushalt bei Miltenbergs verlangte eine schnelle Änderung. Die Heirat wurde am 6. März 1806 feierlich begangen.
Miltenberg, so oft durch die Schande seiner ersten Frau vor den Leuten aufs tiefste beschämt, setzte seinen Stolz darein, die junge, schöne, zweite Frau zu einer vornehmen Dame zu machen.
Margaretha Gesche konnte nichts für diesen Mann empfinden, sie mußte im Stolz auf ihre äußerliche, glückliche Lage, in ihrer befriedigten Eitelkeit den Ersatz suchen.
Auch ihre Eltern erkannten zu spät, was ihrer Tochter in dem neuen Glücke fehlte. Auch sie bemühten sich, es sie vergessen zu machen, indem sie ihre Miltenbergin, wie sie von der Mutter genannt wurde, um den gemein klingenden Namen Gesche zu beseitigen, selbst zu lärmenden Lustbarkeiten geleiteten. So besuchten sie zu diesem Zwecke wieder die Korporals-Mahlzeiten.
Der junge Miltenberg hatte von ungefähr beim Glase Wein mit einem lebensfrohen jungen Weinreisenden namens Gottfried Freundschaft geschlossen. Gottfried war bei der Korporals-Mahlzeit der gefällige, liebenswürdige Nachbar der Madame Miltenberg; nachher beim Tanze wurde er ihr Tänzer, ihr alleiniger Tänzer während des ganzen Balls. Die Mutter flüsterte ihr warnend zu: »Ich glaube, dein Mann ist unzufrieden über dich.« Der Vater kam am andern Morgen zur Tochter und machte ihr die heftigsten Vorwürfe über ihr Betragen auf dem Tanzboden: »Du hast deinen Mann ganz vernachlässigt. Solange ich lebe, gehst du nicht wieder in eine solche Gesellschaft. Eine Frau muß nicht ihren Mann zurücksetzen, wie du gestern tatest.« Aber der Mann selbst war gestern abend ganz zufrieden gewesen; in brüderlicher Herzlichkeit, Arm in Arm mit dem Freunde und der Frau, war er nach Hause gegangen. Was konnte nur der Vater dagegen einwenden? Deshalb gingen sie schon an diesem Tage wieder auf denselben Tanzboden, dieselbe Gesellschaft fand sich zusammen, Miltenberg, der selbst nicht tanzte, führte seiner Frau den Freund als Partner zu, und das Spiel von gestern wurde fortgesetzt, nur daß Madame Miltenberg nach ihrem Bekenntnis »sich vor den Leuten geniert« und ihrem Tänzer zu verstehen gab, daß »auch er sich genieren möge«.
Von diesem Tage an richtete sich ihr Sehnen und Wünschen auf Gottfried. Ihre Sucht, vornehmer, gebildeter, besser zu erscheinen, ihr Hang zu Putz und prächtigen Kleidern, bekam neue, mächtige Triebfedern. Stundenlang lebte sie vor dem Spiegel, um zu wissen, wie Gottfried sie am schönsten finden möchte.
Miltenberg sah die nähere Bekanntschaft Gottfrieds mit seiner Frau offenbar gern und beförderte sie. Eifersucht war ihm von Natur fremd, er fühlte vielleicht, daß er ihr einen Ersatz schuldig war, mehr noch freute er sich, ungestört seinen Vergnügungen nachgehen zu können, während Gottfried seiner Frau die Zeit vertrieb. Endlich war Miltenberg ein Freund des Weins und liebte, frei zu trinken. Gottfried aber setzte so manche Flasche auf den Tisch oder brachte sie sogar unter dem Mantel mit ins Haus.
Das geschah jedoch erst später. Anfangs schien Gottfried selbst sein Glück nicht verfolgen zu wollen. Gerade diese Zurückhaltung entzündete aber immer mehr die Glut im Herzen der jungen Frau. Das heftige Verlangen ging in stillen Schmerz über, in einen Unmut, der ihr ganzes Wesen durchdrang. Ihren Angehörigen, die es merkten, log sie vor, es sei die Furcht, kinderlos zu bleiben. Auch diese Lüge, wie alle ihre bisherigen, fand nicht allein Glauben, sondern wurde auch belobt. Sie war und blieb das Schoßkind der Eltern, mit denen das frühere kindliche Verhältnis merkwürdigerweise fortdauerte, und auch der Schwiegervater, der sie um ihre treffliche Pflege der Küche überaus liebte, sah ihr ihre Wünsche ab.
Im Winter 1807 zeigte sich die junge Frau, zur unsäglichen Freude der ganzen Familie, guter Hoffnung. Man trug sie auf den Händen. Mutter Timm, abergläubische Natur durch und durch, ließ eine Kartenlegerin holen, um das künftige Schicksal der Tochter zu erfahren.
Die Mutter hatte in den Rock der Schwangeren eine wundertätige Wurzel genäht, auch ins Kopfkissen ihres Bettes Knoten geschlungen, eine Vorsicht, die sie später bei jedem Wochenbette in Anwendung brachte. So gebar die Miltenberg denn im September 1807 eine Tochter, die den Namen Adelheid erhielt.
Inzwischen hatte sich statt des noch immer zaudernden Gottfried ein anderer Tröster eingefunden, abermals ein Weinhändler, abermals ein Freund von Miltenberg. In der Biographie der Gottfried wird er mit Rücksicht auf seine noch lebende Familie mit dem Pseudonamen Kassow aufgeführt.
Kassow war verheiratet, Vater, nicht schön und mit einem starken Bauche ausgestattet. Er war wie Gottfried ein Kaufmann; er liebte Lust und Aufwand und war ein jovialer Lebemann. Miltenberg war sein Busenfreund geworden, denn auch Kassow spendete aus dem Weinlager gegenüber, dessen Aufseher er war, an den durstenden Ehemann Flasche um Flasche. Miltenberg lud ihn täglich ins Haus: Er konnte es wagen, der feinen Madame Miltenberg Geschenke mit Weinflaschen zu machen, die in der Regel ihr Mann leerte, der sie bat, sie möge Kassow nichts anderes wissen lassen, als daß sie selbst den Wein ausgetrunken habe!
Kassow arrangierte Partien über Land, wobei die ländlichen Freiheiten benutzt wurden. Sie kam solcher Aufmerksamkeit mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegen. Geschenke und Briefe wurden später ein täglich angewandtes Mittel ihrerseits, sich die Freundschaft und Liebe ihrer alten und neuen Bekannten zu sichern. Sie schenkte Kassow eine Tuchnadel mit einer Haarlocke, wollte aber gern das Geschenk mit einigen bedeutungsvollen Zeilen begleiten. Noch war sie in der Kunst des Briefschreibens nicht geübt – auch später bediente sie sich der Hilfe von diesem und jenem; denn sie hatte immer unsichtbare Vertraute hinter jeder Kulisse stehen – Miltenberg war aber sehr geschickt darin, ihn bat sie, für eine Freundin einen Brief aufzusetzen, die ihrem Freunde eine Tuchnadel schenken wolle. Der Brief lautete: »Nicht die Locke sei Ursach, daß Sie sich meiner erinnern; nein, das Gefühl für Freundschaft und Tugend mehre sich täglich in Ihnen, wie ich nie aufhören werde, mich zu nennen usw.«
Und doch gelangte Kassow noch immer nicht zu dem erstrebten Genuß. Eine zweite, zwar glückliche Niederkunft, aber mit einem toten Kinde, kam störend dazwischen. Sie blickte mit Schaudern ihre Magerkeit an und fürchtete, daß dieser Mangel ihr Wohlgefallen vor den Leuten herabsetzen könnte. Die Auspolsterung eines einfachen Kleidungsstückes könne, fürchtete sie, sich leicht verschieben und entdeckt werden. Deswegen verfiel sie auf den Gedanken, sich Korsetts über Korsetts anzuziehen, was sicherer war und zugleich den Vorteil bot, daß, indem sie noch gerade eins über das andere tat, der Schein einer natürlich anwachsenden Fülle ihres Körpers gewonnen wurde. Sie kam bis zur Zahl dreizehn! So glücklich fiel diese, wie alle ihre betrügerischen Handlungen aus, daß es erst in zwanzig Jahren bei ihrer Gefangensetzung entdeckt wurde.
Das Volk in Bremen schrieb damals diesen Korsetts eine magische Kraft bei. Die Gottfried habe sich dadurch unsichtbar machen, ja fliegen können. Dennoch wurden bei der öffentlichen Versteigerung ihrer Effekten die siebzehn wohlerhaltenen Korsetts für ein Paar Groschen verkauft.
Im Herbste desselben Jahres, nach ihrer zweiten Niederkunft, blühte das Verhältnis zwischen ihr und Kassow wie vorher. Kassow hatte eine vorteilhafte Geschäftsreise nach Berlin vor; in der Stunde der Trennung, bei Punsch und Küssen, reifte die von beiden Seiten genährte Neigung zur Tat. Madame Miltenberg mußte sich, des Anstandes willen, untröstlich stellen; aber Kassow beschwichtigte ihre Tränen durch das Versprechen eines schönen und großen Geschenks, das er ihr aus Berlin mitbringen wolle.
Um diese Zeit erschien Gottfried wieder. Eine jährliche Geschäftsreise hatte ihn aus Bremen entfernt. Dieser Michael Christian Gottfried wird uns so geschildert: eine kerngesunde, kräftige Natur, zwar nicht schön, aber von keiner unangenehmen Gesichtsbildung, gewandt in seinem Benehmen, ein guter Tänzer, Reiter, Gitarrenspieler und Sänger, mit männlich kräftiger, klangreicher Stimme. Dagegen bezeichnen ihn seine nächsten Bekannten als einen gutmütigen, aber charakterlosen Menschen von verliebter Natur, obwohl als Eigenheit an ihm bemerkt wird, daß er seine Eroberungen beim weiblichen Geschlecht selten bis zum letzten Angriff ausdehnte, vielmehr vor dem Siege sich abwandte. Ihm war es mehr um ein eitles Spiel, um eine sentimentale Unterhaltung zu tun, was, wie man meinte, in einer phlegmatischen Organisation seines Körpers den Grund hatte; wie denn auch seine Witwe selbst von ihm sagte: »Selbiger Gottfried war nicht wollüstig.« Den Mangel wahrer geistiger Vorzüge verdeckte seine Jovialität, ein gewisser Grad äußerer, doch nur im geselligen Verkehr glänzender Bildung, die er seinen Reisen und seiner Belesenheit verdankte. Er besaß eine elegante Bibliothek der damaligen Klassiker von Kotzebue und Lafontaine bis zu Klopstock hinauf, auch geistliche Morgen- und Abendopfer darunter; nur vermissen wir in dem uns mitgeteilten Verzeichnisse merkwürdig genug Goethes Werke, wogegen eine Menge Gedichte und Liedersammlungen vorkommen, durch seine große Liebhaberei für Gesang und gesellige Freuden erklärt. Gottfried war in dieser Beziehung selbst Schriftsteller, indem er zwei Sammlungen Lieder mit Gesängen herausgegeben hat.
Der alte Miltenberg hatte sein Haus dem Sohne übertragen. Es wurden die Zimmer darin an einzelne Herren vermietet. Der Zufall wollte, daß Gottfried, bald nach seiner Rückkehr, ausziehen mußte, und Miltenberg nahm ihn in sein Haus auf, ja, er gab ihm die Vorderstube, die bis zu diesem Zeitpunkt seine Frau bewohnt hatte, natürlich mit ihrer vollen Einwilligung.
Gottfried hatte von Kassows Verkehr mit der Miltenberg gehört und strebte jetzt noch weniger nach ähnlichem. Ihm schmeichelte die Aufmerksamkeit der schönen jungen Frau; zudem liebte auch er, auf fremde Kosten zu zehren und zugleich ein gemütliches, häusliches Leben, ohne dafür viel auszugeben. Beides fand er bei Miltenberg; er war in den Schoß der Familie aufgenommen, verbrachte dort die Abende oft an ihrem Tische und gab die Klubs und Wirtshäuser auf. Durch seine Aufmerksamkeiten gegen die schöne Frau, indem er ihr Serenaden brachte, ihr Blumenbrett schmückte, den kleinen Garten bestellte, suchte er, es zu vergelten. Er verführte nicht, er wurde verführt.
Die junge Frau hielt es für dienlich, in Schwermut zu verfallen, sie klagte über den rohen Mann, der sie stets verlasse, und daß er, wie ihr Gemüt, auch ihre Kasse leer lasse.
Gottfried war leicht zu rühren; er schenkte ihr nicht allein Mitleid, sondern gab ihr auch dann und wann ein Darlehn zur Bestreitung ihrer angeblich nötigsten Bedürfnisse für die Haushaltung. Er sang abends vor ihrem Fenster: »Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet«, »Wen ich liebe, weiß nur ich«, »Süßer Traum, wie bald bist du entschwunden«, »Weine nicht, es ist vergebens«, »Das Grab ist tief und stille«. Einsame Spaziergänge folgten, ein erster Kuß an einem alten steinernen Kreuze, und das gemeinschaftliche Besitztum schien schon vollkommen angedeutet, wenn Miltenberg beim Nachhausekommen mit seinem Busenfreunde Gottfried fragte: »Was mag nun wohl unsere kleine Frau machen?«
Da kam Kassow aus Berlin zurück; brachte der Geliebten ein Geschenk von 10 Louisdor und forderte seine alten Rechte, die sie ihm nicht versagte. Ihr kam es darauf an, daß weder Gottfried von ihrer Vertraulichkeit mit Kassow noch Kassow etwas von der mit Gottfried erführe.
Kassow hatte sich bei den alten Timms einzunisten gewußt, er wurde ein Hausfreund, brachte dann und wann auch dorthin eine Flasche Wein, lieh ihnen Geld, um die Schulden ihres ausschweifenden Schwiegersohnes zu bezahlen. Wohl hob die alte Timm drohend den Finger. »Hör mal, Miltenbergin, das geht nicht mit der Freundschaft von Kassow!« Aber es war nur in freundlicher Art, in Erwartung, daß die Tochter sie beruhige, die oft über Miltenberg klagte.
Daß er arbeitsscheu war und seine Vermögenszustände verfielen, war ihnen bekannt. Auch seine Saufereien, seine Spiele und seine Liederlichkeit waren nur zu stadtbekannt; aber sie log auch, daß er sie aufs grausamste mißhandle, wenn sie nicht stets für die feinste Tafel sorge, und er lasse es ihr doch stets am nötigsten Gelde dazu fehlen. Um seiner Brutalität zu entfliehen, habe sie einmal eine ganze Nacht in einem Kutschenkasten zubringen müssen. Kurz, sie müsse namenlos leiden, aber sie sei fest entschlossen, still und gelassen alles zu dulden, und beschwor ihre Eltern, ebenfalls zu schweigen.
Im Jahre 1810 genas sie, nach einer dritten Niederkunft, so leicht als früher, von einem wohlgebildeten Knaben, der den Namen Heinrich erhielt. Man flüsterte, daß Kassow sein Vater sei.
Gesina blühte wieder und – brauchte Geld. Sie ließ unter einem Vorwande durch den Schlosser das Pult Miltenbergs öffnen, entwandte 10 Taler. Die unentdeckte Tat lockte zur Wiederholung. Ihr Mieter Th. mußte viel Geld haben. Mit einem kleinen Schlüssel versuchte sie, sein Pult zu öffnen. Zu ihrem Schrecke hielt sie einen Beutel mit 90 Talern in Händen.
1812 lieh sie von einem Bekannten eine Summe, angeblich um ihren armen Bruder in der Fremde zu unterstützen. Es war vergeudet, und als es wieder zurückgezahlt werden sollte, mußte der Mann dafür aufkommen, der ihr verzieh. Sie bog sich einen Dietrich zurecht, erbrach das Pult Gottfrieds und nahm daraus etliche 20 Taler. Gottfried geriet in Feuer und Flammen; die Miltenberg war aber am aufgebrachtesten, sie wollte nicht ruhen, bis der schändliche Dieb entdeckt wäre. Dabei ließ sie gegen einen Lehrling und eine Wärterin Verdacht fallen. Die Untersuchung, bei der sich beide Angeschuldigten heftige Vorwürfe machten, gab zu öffentlichen Auftritten Anlaß, die für die Verbrecherin nicht schmeichelhaft waren, wobei ihr Verhältnis zu Kassow zur Sprache kam.
Im Oktober 1812 hatte sie ein Kind geboren, das bald darauf starb; im Januar 1814 kam wieder eine Tochter zur Welt, deren immer mehr entwickelte Züge Gottfried als Vater zu bezeichnen schienen.
Als sich Kassow jetzt mehr und mehr zurückzog, steigerte sich ihre Neigung für Gottfried. Miltenberg, infolge seiner Ausschweifungen kränker noch als vorher, siechte dahin. Um seinen hinkenden Gang zu beschönigen, hatte man ausgesprengt, es sei ihm ein schwerer Kutschenkasten auf den Leib gefallen. Dieser Mann war das einzige Hindernis zu dem heißersehnten Glück, das ihre Phantasie im Besitze Gottfrieds erblickte.
Die Miltenberg fing an, ihren Ehemann zu hassen. Er wurde bei den Eltern aufs neue verklagt. Die Eltern sahen ihre Tochter im Geiste bereits mit zerrütteter Gesundheit am Bettelstabe. Der alte Timm fühlte sich gedrungen, alles mögliche zu tun, dem Übel abzuhelfen. Er drang darauf, daß seine Tochter eine vom Manne abgesonderte Schlafstelle einnehme, er sann, wie es zu verhindern wäre, daß Miltenberg neue Schulden mache und auf sein Haus eintragen lasse. Miltenberg, in seiner physischen und moralischen Schwäche, ließ sich alles gefallen; schon sollte deshalb mit dem alten Miltenberg eine Vereinbarung getroffen werden, als der am 2. Januar 1813 plötzlich starb.
Es war ein natürlicher Tod, was auch später das Gericht darüber aussagte. Aber Gesina lernte am Sterbebett des Alten zuerst den Tod kennen. Sie ging im Dunkeln zur Leiche hinauf, drückte ihr die Hand, daß alle sich verwunderten, und hatte nicht die mindeste Furcht. Dagegen sah sie in ihrem Manne eine wandelnde Leiche, der sich, den Stachel seines unseligen Lebens im Herzen, die Bürgschaft des Todes in Mark und Beinen, in düsterer Melancholie mit seinem Dasein quälte. Der Wahn, daß sein Leben zu nichts nütze sei als zu seiner eigenen Qual und daß es eine Wohltat wäre, ihn davon zu befreien, wurde durch eine Äußerung bestärkt. Als man von einem unheilbaren Anverwandten sprach, sagte er: »Was sind das für Ärzte, daß sie ihm nicht ein wenig nachhelfen. Ihm ist ja doch mit seinem Leben nicht gedient.«
Eine Wahrsagerin hatte um diese Zeit die Verheißung gegeben, daß ihre ganze Familie aussterben und sie allein übrigbleiben werde, um dann sehr gut leben zu können. In ihr wuchs die Überzeugung, daß ihr Mann sterben müsse. Sie wünschte den Tod und war entschlossen nachzuhelfen. Da fiel ihr ein, daß ihre Mutter früher zur Vertilgung der Ratten und Mäuse Gift gelegt hatte und daß auch wohl Menschen daran sterben möchten.
Der Gedanke durchzuckte sie angenehm, wie wenn man ein Rätsel löst. Es war dieselbe angenehme Empfindung, die sie beim Aufbruch der Kassen hatte. Gift sollte ihr zu ihrem Glücke helfen, und der erste Gedanke wurde Entschluß.
Sie klagte ihrer Mutter Ende Juli, daß sie in ihrer Bettkammer oben Mäuse hätte: ob sie wohl Rat dafür wüßte? Die Mutter brachte kleine Stücke Schwarzbrot, worauf Arsenik gestreut war, und legte es oben in die Kammer. »Sei vorsichtig um Gottes willen, daß keins von den Kindern 'nauf geht, 's ist Gift.« Einige Tage nachher ging Gesina hinauf, kratzte das Gift mit einem Messer von den Butterbroten, doch so, als hätten es die Mäuse abgefressen, und nahm es mit hinunter, um es Miltenberg zu geben. Aber »sie kann nicht dazu kommen, wird ängstlich« und legt es, in Papier gewickelt, in ihre Kommode. Die Mutter will einige Tage später hinaufsehen, ob die Mäuse dagewesen sind. Schnell erwidert die Tochter: »Sie haben es alles aufgegessen«, und sie bittet sie, noch etwas zu bringen, was auch geschieht.
Mehrere Wochen noch kämpfte sie mit sich selbst. »Endlich, an einem Morgen, fasse ich den schrecklichen Entschluß und gebe meinem Mann auf seinem Frühstück etwas davon ...« Miltenberg ging drauf aus. Sie geht hinauf und tritt ans Fenster und denkt, wenn er nun mal unterwegs stirbt und sie bringen dir ihn tot zurück.
Miltenberg kam blaß nach Hause, ging zu Bett, bekam Durchfall, Erbrechen, stand zwar nächsten Tages wieder auf, mußte sich jedoch wieder zu Bett legen. Nachdem er acht Tage bettlägerig war, wankt er an einem Stocke die Treppe herunter, zeigt seiner Frau einen Wagen, den er selbst verfertigt hatte, und spricht: »Wenn ich sterbe, verkaufe den und laß mich davon beerdigen.«
Vier Tage vor seinem Tode »gab sie es ihm« noch einmal in einer Krankensuppe!
Die letzten vier Tage konnte sie sich nicht mehr seinem Bette nahen. Nicht aus Rührung oder Gewissensbissen; es war ihr nur immer, als ahne er es. Sie blieb an der Tür stehen. Einmal glaubte sie, er werde aus dem Bette springen und sie schlagen.
Als Gottfried mehrere Tage vor Miltenbergs Tode nach Oldenburg reisen mußte, sagte der Kranke zu ihm: »Gottfried, lebendig findest du mich nicht wieder, wenn du zurückkommst. Ich weiß, du hast mit meiner Frau zu tun gehabt; ich vergebe dir gern. Versprich mir, sie nicht zu verlassen, und nimm dich der Kinder an.«
Am l. Oktober 1813 stiegen seine Leiden unerhört. Gesina ließ sich am Sterbebette nicht sehen. Etwa eine Stunde vorm Tode rief man sie, sie kam nicht. Er verschied – unter lautem Brüllen. Da erst trat Madame Miltenberg in der vorm Spiegel einstudierten Rolle einer untröstlichen Witwe an das Lager des Toten.
Es war ihr gelungen. Kein Mitleid, keine Reue, keine Gewissensbisse. Die Frucht der ersten Tat war für ihre Seele keine andere als eine Lehre, daß man die Portionen größer machen müsse, will man schneller damit zum Ziele kommen, als es bei ihrem Mann der Fall war.
Nur ein Schrecken bemeisterte sich ihrer. Sein Leib war hoch aufgeschwollen, der ganze Körper voller Flecken. Da bekam sie einen schrecklichen Frost. Sie hatte Angst, daß ihre Mutter sagen würde: »Hast du ihm etwa was gegeben?« Aber die Mutter sagte nur zum Tischler, er möchte den Sarg gut mit Pech anmachen, sie befürchtete, der Körper möchte bersten.
Gottfried kam von der Reise zurück, als die Leiche noch über der Erde stand; in schonender Achtung lenkte er sein Pferd um und ging zu Fuß in das Haus.
»Jetzt will ich mich deiner annehmen! Du hast nach deiner Eltern Willen geheiratet«, sagte der alte Timm zur Tochter und hielt redlich Wort. Im schlechtesten Rocke, den ältesten Hut auf, ging er mit einer Schrift bei allen Gläubigern Miltenbergs umher und verglich sich mit ihnen. Das bare Geld in der Tasche und seine Versicherung, wie schlecht es mit dem Nachlaß bestellt sei, wirkten: Er konnte sich eines Tages erschöpft auf einen Stuhl niederwerfen und sagen: »Miltenbergin, nun bist du schuldenrein!«
Er ordnete ihre Wirtschaft, verschaffte ihr tüchtige Gesellen, kaufte Vorräte zum Geschäft, und sie betrieb es zuerst mit Eifer. Gottfried rekommandierte sie überall, sie konnte auf Borg holen, und sie war ganz zufrieden. »Das macht mich so glücklich, der Gedanke: Du hast Kredit!« – Den hatte sie, aber der Vater Timm hatte eine unredliche Handlung begangen. Die Witwe Miltenbergs war nicht insolvent, im Gegenteil, sie war eine reiche Witwe.
Von jetzt an teilte sie ungestörter ihre Liebe zwischen Gottfried und dem wieder erscheinenden Kassow. Mit letzterem führte sie ein buhlerisches Leben außer Haus. Gottfried hielt sich mehr als gemütlicher Freund, der durch Galanterie, Aufmerksamkeiten aller Art und eine herzliche Unterhaltung die junge Witwe zu trösten suchte.
Als ein Beweis der ungeheuren Selbstsucht der Verbrecherin, und daß sie für nichts sich interessierte, was nicht zu ihrem Wohlleben beitragen konnte, wird angeführt, daß sie von den ungeheuren Weltereignissen jenes Jahres 1813, sich später auch durchaus nichts entsann als der großen Freude, die ihr ein Erlaß von 35 Talern gewährte, die sie von Seiten der Einquartierungskommission zurückerhielt.
Ihr ältester Geselle, ein geschickter junger Mann, hielt um die Hand der jungen Witwe an. Alles sprach für ihn, die Kinder liebten ihn. Sie lehnte höflich den Antrag ab, und der Geselle verließ bald nachher die Werkstatt; doch – um wiederzukommen. Es schmeichelte der Eitelkeit der Miltenberg, weiter wollte sie hier nichts – und der Antrag ward im Vertrauen Bekannten und Freunden mitgeteilt. Gottfried soll darauf geantwortet haben, wie es aus den Geständnissen der eitlen Verbrecherin hervorgeht: »Wenn ich das doch erlebte, daß du dich verheiratest, die erste Kugel ginge durch meinen Kopf.« Die Mutter aber sagte ihr: »Nicht wahr, du liebst Gottfried? Mit unserm Willen geschieht das nie.«
Gottfried, wie liebevoll er auch war, wie nahe sie es ihm auch legte, zeigte durchaus keine Absicht, um ihre Hand zu bitten. Miltenberg stand ihm nicht mehr im Wege. Also mußte es einen anderen Grund haben: ihre Kinder und ihre Eltern! Ihre Phantasie spiegelte ihr die Schlüsse vor: Wären deine Eltern nur nicht dagegen, brauchtest du nur das Vermögen nicht mit deinen Kindern zu teilen, besäßest du sogar deren vom Großvater erwartetes Vermögen – dann würdest du Gottfrieds Frau!
Sie wünschte vom Schicksal einen Wink zu erhalten, selbstbetrügerisch durch irgend etwas von außen her sich bestimmen zu lassen. Sie wandte sich wieder an die Kartenlegerin und befragte wenigstens vier nacheinander. Indem sie ihnen die geheimen Wünsche ihres Herzens verriet und ihnen so das Wort in den Mund zu legen wußte, erhielt sie von allen denselben Ausspruch, »daß ihre ganze Familie aussterben und sie allein übrigbleiben werde, um dann sehr gut leben zu können«. Zugleich arbeitete sie aber mit scharfblickender Voraussicht auf die Zukunft hin, indem sie dafür sorgte, daß diese Prophezeiungen unter den Leuten bekannt würden. Wenn es dann so kam, so geschah nichts anderes, als was die klugen Frauen längst vorausgesagt.
So mit dem festen Entschluß zur Tat gerüstet, erwartete sie nur die Gelegenheit zur Ausführung. Es war ihr sehr willkommen, daß ihre Eltern öfter von selbst ihres Todes gedachten und die Mutter den Wunsch aussprach: »Das wünsche ich mir, Alter, vom lieben Gott, daß ich, wenn du einmal stirbst, dich nicht acht Tage überlebe.«
Von jetzt an erging sie sich in absichtsvollen Anspielungen. Ihre immer heitere Miene war oft umwölkt, sie antwortete mit Bibelsprüchen und frommen Redensarten: »Gott schaut in das Verborgene.« – »Wir müssen die dunklen Wege der Vorsehung in Demut verehren.« – »Was Gott tut, das ist wohlgetan.« Bei ihren Freundinnen beklagte sie das unglückliche Schicksal, das ihr bevorstehe, denn es sei ihr prophezeit, sie werde alle ihre Kinder verlieren.
Die alte Timm erkrankte. Eine Hoffnung für die Miltenberg, daß sie diesmal das Gift sparen könne. Aber trotz ihrer vierzehntägigen Pflege starb die Mutter nicht. Der alte Timm hatte inzwischen sein Haus an den Tischler Bolte verkauft. Während der Unruhe des Einziehens läßt sich die schwache Alte in das Haus der Tochter tragen, um dort ihre Gesundheit wiederzugewinnen. Liebevoll, mit kindlicher Herzlichkeit, wird sie in dem schönen neutapezierten Zimmer aufgenommen, was der alten Bürgersfrau viel zu prächtig dünkt. Mutter und Tochter scherzen darüber. »Mutter, du mußt denken, du bist im Kindbett«, und die Mutter lächelte herzlich.
Drei Tage nachher will die Miltenberg angeblich etwas Kleidung für die Mutter aus deren Hause holen, da sieht sie ein Papier, mit Zwirn zugebunden und draufgeschrieben: »Rattenkraut«; es war ihr, »als sei es ihr absichtlich in den Weg gelegt worden«, und die Nacht konnte sie nicht schlafen vorm Gedanken: Wenn du nun doch keine Eltern hättest, so könnte dich doch niemand hindern!
Nach drei Tagen besserte sich der Zustand der Mutter. Die Unruhe der Tochter wuchs. Sie ging wieder hinüber zum Schrank und holte sich ein wenig Arsenik aus dem Paket. Aber wiederum verstreichen acht Tage. Die Mutter fällt so oft zurück, und es ist doch vielleicht nicht nötig, von dem Gift Gebrauch zu machen. Sie wurde jetzt sichtlich wohler. Dann, an einem Sonntag, rührte sie das Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten.
Die Verbrecherin bekannte: »Denken Sie, während ich das Gift einmache, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen, daß ich erst noch selbst davor erschrak. Aber gleich besann ich mich, dies gäbe mir der liebe Gott ein zum Beweise, daß so Mutter nun bald im Himmel lachen werde.«
Als sie das Gift schon getrunken hatte, flogen auf einmal drei Schwalben zur Stubentür herein und setzten sich auf die Krone des Himmelbettes. Die Miltenberg erschrak, ihre Knie zitterten. Sie dachte, das bedeute den ankommenden Tod. Aber die Mutter sagte ganz ruhig: »Süh mal, dre lütge Vogels!« Schwalben kamen sonst nie, nach der Versicherung der Miltenberg, in ihr Haus, noch nisteten sie auf dem Hofe.
Das Gift wirkte. Schon Tage darauf verlangte die Mutter nach dem Abendmahl. Sie erhielt es und ordnete ihre kleinen Dinge.
Dem Ehemann drückte sie die Hand. »Wenn ich noch etwas erflehen darf: daß du mir bald folgest.« Der alte Timm antwortete: »In zwei Monaten bin ich bei dir«, und er verließ das Zimmer. Zur Miltenberg sprach sie darauf: »Wenn dein Bruder als ein Krüppel kommt, pflege seiner« und hob beide Arme gen Himmel. »Ach, könnte ich doch alle meine Kinder mitnehmen!« Erschöpft davon, ruhte sie, schien am nächsten Morgen ganz wohl, verschied aber in der Frühe, noch ehe der alte Timm von drüben kam.
Bei der Leiche ihrer Mutter war die Miltenberg besonders ruhig. Eine Zeugin sagt sogar, sie sei lustig gewesen. Den Erfahrungssatz, daß Blut mit Blut vertraut macht, drückte sie so aus: »Nachher, wie ich dieses mehr versuchte, so bin ich abgehärtet worden.«
Den Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter, am 10. Mai, befand sie sich allein im Hinterzimmer mit der fünfvierteljährigen Johanna, ihrer jüngsten Tochter. Das schien ihr die gelegenste Zeit, und Johanna war auch das hinderlichste Kind in ihrem Verhältnis zu Gottfried. Ohne Zaudern reichte sie der Kleinen ein Stück Kuchen von der Begräbnisfeier, auf das Arsenik mit Butter geschmiert war. Dem Kind wurde alsbald unwohl, Gottfried erquickte es mit Wein und Wasser, was es ruhiger werden ließ. Er ging um zehn Uhr zu Bett. »Als es Elf schlägt, sehe ich in die Wiege – ach Gott, da war sie tot!«
Adelheid, ihr ältestes Kind, war seit acht Tagen krank gewesen; aber die Mutter täuschte sich in der Hoffnung, daß es von selbst sterben würde. Als sie Adelheid so unerwartet genesen sah, gab sie auch ihr von dem Butterkuchen mit Gift, und das Kind starb nach einigen Tagen am 18. Mai. Im Todeskampf umklammerte es die Mutter, aber die blieb ruhig.
Der alte Timm, der fast täglich das Grab seiner Frau besuchte, hatte den Schmerz gehabt, auch dem Leichenbegängnis zweier Enkel folgen zu müssen. »Bei deinem dritten Kinde ist dein Vater nicht mehr da«, sagte er zur Tochter, und sie nahm es als Aufforderung des Schicksals, nun ihn an die Reihe zu bringen. Er pflegte immer gestärkt vom Besuche des Grabes seiner Frau zurückzukehren; deshalb wurde es nötig, ihn ernsthaft anzugreifen. Am Sonntagabend, zwei Wochen nach Adelheids Tode, gab sie ihm gehörig zubereitete Suppe. »Wenn du mich so pflegst, wirst du deinen Vater noch lange behalten«, sagte er, indem er die Suppe verzehrte. Sie erschrak und brachte den Vater nach Hause. In der Nacht entkleidete sie sich nicht, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden. Um vier Uhr morgens wird auch wirklich ans Haustor geklopft, ein Bote vom Tischler Bolte meldet, der alte Timm sei niedergefallen und verlange nach der Tochter; der Vater wünschte, daß seine Miltenbergin nicht mehr von ihm gehe.
Er litt, nach den Zeugenaussagen, entsetzlich. Zwei Frauen bekunden, daß die Tochter dabei froh, ja lustig gewesen sei. Möglich, daß die spätere moralische Entrüstung die Erinnerung der Zeugen färbte, möglich, daß es geschah, um den Vater zu beruhigen. Sie entsann sich, daß Wasser und Wein ihre Johanna ruhig gemacht hatten. Sie holt es; als sie wiederkommt, sitzt der Vater an der Erde. Nachdem er eine Tasse Wein getrunken hatte, redet er irre, phantasiert von der seligen Frau, die er auf seinem Bette sitzen sieht, ordnet noch verschiedenes an und stirbt darauf am 28. Juni.
Diese vier Vergiftungen gingen ohne allen Verdacht ab. Kinder sterben leicht hin. Die alten Leute hatten längst ihr Ende erwartet.
Ein einziges Kind, der fünfjährige Heinrich, war noch übrig. Sie gibt ihm Gift. Er richtet sich am zweiten Tage ängstlich in die Höhe. Da ergreift sie – zum ersten Male – eine Angst. Sie ruft ihr Dienstmädchen Beta, geschwind Milch zu bringen.
»Ach, wenn in dem Augenblicke eine fremde Person bei mir gewesen wäre, so hätte ich mich ja verraten! Denn Milch soll ja Gegengift sein!« Das waren ihre Reflexionen über den Mord ihres letzten Kindes! Ob sie ihm wirklich Milch gab oder nicht, war ihr nicht erinnerlich. Der kleine Heinrich phantasierte auf seinem Krankenlager: »Oh Mutter, wie lacht Adelheid! Da steht sie auf dem Ofen ... Da steht mein Vater ... Bald bin ich im Himmel!«
Unter unsäglichen Schmerzen starb der Knabe am 22. September. In fünf Monaten, vom Mai bis September 1815, hatte die Miltenberg ihre beiden Eltern und ihre drei Kinder ermordet.
So viele Todesfälle, in so kurzer Zeit hintereinander, waren doch auffällig. Ihre Tränen, ihre frommen Sprüche vom Anbeten der dunklen Wege der Vorsehung konnten nicht allen Verdacht abwenden. Es verbreitete sich das Gerücht, es könne mit den Todesfällen im Miltenbergschen Hause nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Freundinnen hinterbrachten mit teilnehmendem Kummer das Gerücht der Witwe und verlangten, daß sie, um die schändliche Nachrede niederzuschlagen, die letzte Leiche sezieren lasse. Mit vollkommener Ruhe kam sie dem Wunsche entgegen. Die Leiche wurde in Gegenwart vieler Zeugen von einem Arzte seziert, und er gab die Versicherung: Der Knabe sei an einer Verschlingung der Eingeweide gestorben.
Eine schmerzliche, langwierige Krankheit befiel nach diesem letzten Morde Gesina. Von jetzt an begann ihre werktätige Wohltätigkeit. Sie ließ nicht die Armen zu sich kommen, sie suchte sie auf. Kranken und Wöchnerinnen bereitete sie Speisen, erbot sich zur Pflege. Wo der Ruf einer Bedürftigen ihr Ohr erreichte, sie eilte und bot das Ihre auf, ihr beizuspringen.
Im Mai 1816 erschien unvermutet ihr Bruder in Bremen. Man hatte den verlorenen Sohn, der sich 1812 in Münster stellvertretend für einen anderen hatte anwerben lassen und von dem die letzten Nachrichten aus Paris gekommen waren, längst für tot gehalten. Die Schwester hatte seine Habseligkeiten verkauft, und ein Erbteil konnte er, bei den vielen Verwendungen zu seinem Besten, kaum fordern. Abgesehen davon, daß sie sich dieser Verwandtschaft schämte und fürchtete, sie könnte ein neues Hindernis für eine Heirat mit Gottfried werden, fürchtete sie, er könne doch noch sein Erbteil verlangen. Rasch war ihr Entschluß gefaßt.
Am Freitag oder Sonnabend war der Bruder angekommen, am Sonntagmittag wurde er mit einem Gerichte Schellfisch vergiftet. Nachmittags wurde er in einem Wirtshause furchtbar krank und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Der Kranke phantasierte von seinem Pferde und seinem Liebchen, redete seinen Leutnant an, wenn die Schwester bei ihm stand, rief vive l'empereur! und starb am I.Juni abends.
Wer sollte sich wundern, daß ein invalider Krüppel, dem die Füße in Rußland erfroren waren und der, voll kranker Säfte, vielleicht ein Lazarettfieber mitbrachte, ein französischer Husar, dem trotz seines Passes kein Dorfschulze ein Nachtlager geben wollte, den der patriotische Haß nötigt, auf offenem Felde zu schlafen, seit er die deutschen Grenzen betreten hatte – wem fiel es auf, daß ein solcher verlorener Mensch bei der Heimkehr krank wurde und starb?
*
Gottfried kam von einer Reise zurück. Leidenschaftlich empfing ihn die Witwe, mit deutlichen Worten forderte sie ihn zur Ehe auf. Er wich aus.
Sie gab ihre Hoffnung nicht auf. Der kranke Gottfried wurde mit aller Aufopferung gepflegt; bei augenblicklichen Geldbedürfnissen zahlte sie für ihn, indem sie ihre eigenen Effekten versetzte. Er genas ihrer Pflege und schien endlich den Netzen, die sie um ihn spannte, zu erliegen. Beim Punsch am Silvesterabend 1816 auf ihrem Sofa »verließ uns«, wie sie sich ausdrückt, »die Tugend«. – Die Folgen stellten sich ein. Hier steht natürlich ein Ausrufezeichen. Der Liebe folgt die Strafe: ein Kind. Nun mußte doch Gottfried, der gutmütige, redliche Gottfried, auf ihre Wünsche eingehen. Aber er glaubte, daß Kassow der Vater sei. Ihrem Jammer über den Verlust ihrer »Ehre« begegnete er mit dem Rate, »unten im Lande«, wo er Bekannte habe, heimlich Wochen zu halten.
Sie wandte sich an seine nächsten Freunde. Ihre Überredungskünste wirkten; Gottfried und die Miltenberg machten die Verlobung bekannt. Sie hatten schon die ersten Besuche miteinander abgestattet, als er zurücktrat. »Ich kann und will sie nicht zur Frau haben«, sagte er zu seinen Freunden und ließ sich doch wieder überreden.
Schon waren sie zweimal an einem Sonntage aufgeboten, als die Angst sie folterte, er könne etwas von ihren Taten wissen und sie deshalb nicht heiraten wollen. Auch kam ihr die sehr natürliche Überzeugung: Er liebt dich nicht, er nimmt dich nur gezwungen; du wirst unglücklich mit ihm. Der längst gereifte Vorsatz, auch ihn zu vergiften, wurde zum Entschluß. Aber während sie sich dadurch von dem jetzt Lästigen befreite und an ihm rächte, sollte das Gift vorher sie schneller zu ihrem ersten Zwecke bringen. Der gezwungene Bräutigam schwankte ja noch immer. Irgendein unerwartetes Hindernis konnte sie um ihren Gewinn bringen; sie wollte durch einen moralischen Impuls ihn zu einem Entschluß nötigen und sich sicherstellen.
Montag nach der Proklamation gab sie ihm vergiftete Mandelmilch. Erbrechen und Diarrhöe folgten. Das Übel griff mit Riesenschritten um sich. Schnell ward ein Prediger geholt, um die Trauung mit dem Sterbenden zu vollziehen. Nach der Trauung mußte sie Gottfried versprechen, sich nie wieder zu verheiraten. Er sagte, dann sterbe er ruhig. In der Nacht darauf, als die unerhörten Schmerzen sich zur Raserei steigerten, soll er den Trauring mit wütendem Ingrimm zu Boden geschleudert haben. Nach der Aussage der Gesche Gottfried fiel ihm der Ring vom Finger, weil er von der Krankheit so mager geworden war. Er starb am 5. Juli, drei Tage nach der Trauung.
Wer hätte dem Argwohn Raum geben mögen, daß Gottfrieds hochschwangere Braut ihren Bräutigam, das Ziel ihrer Wünsche, hätte vergiften sollen! Ihr ungeheurer Schmerz erregte aller Mitleid. »Was sie an Gottfried verloren, werden Sie an Ihrem Kinde wiederfinden«, suchte der Arzt sie zu trösten.
*
Sechs Jahre lang, von 1817 bis 1823, beging die Gottfried keine Mordtaten. Die Akten berichten auch nicht einmal von Vergiftungsversuchen.
In ihren Bekenntnissen heißt es: »Reue über den Verlust meiner Kinder habe ich, seit mein Heinrich nicht mehr war, oft genug empfunden. Ich schloß mich oft auf meiner Bodenkammer ein und weinte unbeschreiblich. – Ich konnte es nicht sehen, wenn den Kindern von ihren Eltern Geschenke eingekauft wurden, und wich dem Schmerze aus. – Wenn die Kinder aus der Schule kamen, mußte ich immer wegsehen. – Oft im Mondschein saß ich im Garten; und wenn dann das große, schöne Erbe vor mir lag und ich mich darüber freute, dann durchfuhr mich oft der Gedanke, was für eine Person ich sei, der das gehörte! Dann schämte ich mich.«
Sie tröstete sich aber mit dem Phantasiespiel, wie glücklich sie wäre, wenn sie reich genug wäre, allen Unglücklichen wohlzutun oder, wie sie ausdrücklich bekannte, ihre Sünden wieder damit gutzumachen und selbst ohne Sorgen zu leben!
Sie hatte Gottfried für reich gehalten, statt dessen hatte er Schulden, und die Witwe mußte mit der goldenen Uhr, der eleganten Bibliothek, einigen Kupferstichen und der Gitarre, den einzigen wirklichen Erbstücken, die sie übernahm, auch diese Schulden mit übernehmen. – Ein kleines Erbteil hatte Gottfried noch in Regensburg stehen. Als aber seine Brüder der Witwe die drückende Lage einer reich gewesenen, jetzt verarmten Schwester vorstellten, wurde sie durch die einmal übernommene Rolle der Mildherzigen genötigt, so unangenehm es ihr war, von diesem Anspruch abzusehen.
Aber Geld mußte sie haben, bares; und Lügen, weshalb sie dessen bedürfe, waren stets zur Hand. Sie maß, zu jedem im Vertrauen, ihrem seligen Gottfried eine Schuldenlast von 3200 Talern bei, die sie tilgen müsse; außerdem dichtete sie ihm, wie schon früher ihrem Vater, eine uneheliche Tochter an, für deren Schicksal zu sorgen die Ehrenrettung des teuren Verstorbenen ihr gebiete. Sie erntete für dies ehrenhafte Benehmen die größten Lobsprüche.
Gottfrieds nachgeborenes Kind war am 2. Oktober 1817 tot zur Welt gekommen. Die Stelle des Vaters schien bald, bei den noch immer großen und durch den Schmerz erhöhten Reizen der Witwe, durch mehrere Bewunderer ersetzt zu werden. Auch der Ruf ihres Wohlstandes lockte noch immer Bewerber.
In vielfacher Berührung erscheint die Gottfried namentlich mit einem ungenannten angesehenen Manne, der als Herr X. in der Biographie signiert und bald als Liebhaber, Bewunderer, Beschützer, bald als Gläubiger auftritt. Er hat sie schon als Kind bewundert, den Vater auf die Pflanze aufmerksam gemacht, die er ihm verwahren solle, bis er von einer Reise zurückkehre. Er erscheint darauf immer als Freund in der Not, Ratgeber, Tröster. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der selige Gottfried schon auf ihn eifersüchtig war. Er schoß alle nötigen Gelder, deren die Witwe zu den Begräbniskosten bedurfte, vor; auch später zu diesen und jenen edlen oder dringenden Ausgaben. Aber als ein wohlhabender Mann und sehr gewiegter Finanzier übte er seine großmütigen Handlungen mit einem scharfen Umblick auf die finanziellen Verhältnisse seiner Freundin, und während er zu Anfang kaum eine Verschreibung annahm, sie mit Geschenken überhäufte, sein Kind der Gottfried zur Pflege übergab, drängte er sie später mit ernsten Mahnungen und Vorstellungen zur Sparsamkeit.
Er war der erste, der ihre Aufrichtigkeit in Zweifel zog. Wenn sie wirklich in innigen Verhältnissen zu X. gelebt hatte, so war diese Liebschaft gewiß für sie eine der peinigendsten, wo der Liebhaber so klug, schlau und überdem ein Gläubiger war, der sie von Haus und Hof treiben konnte. Aber er blieb der einzige ihrer Freunde, der vor ihrer Mäusebutter gesichert war. Sie konnte ihn wohl vergiften, aber nicht die Papiere, die in den Händen seiner Erben blieben.
Das Verhältnis der Gottfried zu X. gehört zu den unklaren Partien ihrer Lebensgeschichte. Die Familie des Betreffenden scheint sowohl von dem Herausgeber ihrer Lebensgeschichte als von der Gottfried selbst geschont und von letzterer gefürchtet worden zu sein. Obwohl der Tod auf dem Schafott ihr gewiß war, ist es doch merkwürdig, in welcher Art sie ihre Geständnisse umhüllte und beschönigte, was dritte Personen anlangte, immer in der Angst, daß der Einfluß ihrer Familien ihr Schicksal noch erschweren, ihre Strafe verstärken könne.
Von den Geschenken und Komödienbilletts, jeden Monat vier Stück, und den Einladungen zum Essen usw. fing die Gottfried wieder an, wie sie sich ausdrückte, »von neuem zu leben«! Über dem Umgang und der Aufmerksamkeit von Seiten des X. vergaß sie alle ihre »Vergehungen«, fing ihn zu lieben an und glaubte »die Glücklichste auf der Welt zu sein«. Sie schlug deshalb drei ehrenwerte Heiratsanträge unter dem Vorwand aus, daß sie dem seligen Gottfried versprochen hätte, sich nicht wieder zu verheiraten.
Sie hatte viele Mieter, und einer, der Kommissionär Johann Mosees, trat, wie sie sich ausdrückte, »in des seligen Gottfried Fußtapfen«. Er pflegte den Garten, sang, ging mit ihr spazieren. »Da wurde sein jüngster Bruder konfirmiert. Ach, das war eine schöne Zeit! Acht Tage zuvor betete er jeden Nachmittag mit seinem Bruder. – Wäre ich damals zu einem Prediger geeilt und hätte ihm meinen Herzenskummer mitgeteilt! Denn durch diesen jungen Mann konnte ich wieder gut werden!«
Um diese Zeit nahm sie ihre alten Freundschaften wieder auf und gab sich vor ihren Freundinnen den Anschein einer großen Dulderin. »Der liebe Gott legt mir ein schweres Joch auf, aber er macht mich auch stark!« Sie scheint in dieser Zeit allen Ernstes geglaubt zu haben, durch ihre Wohltätigkeitshandlungen alle auf ihrer Seele lastenden Mordtaten wiedergutzumachen. Im Jahre 1819 war der Ruf, der sie zu einem Engel des Lichtes, zum Vorbild frommer Duldung und tätiger Liebe erhob, schon allgemein verbreitet.
Neue Heiratsanträge erfolgten, ein ehrenwerter Witwer hielt in fast romanhafter Weise um sie an. Seine Familie betrachtete die Heirat als ein solches Glück, daß selbst die Tochter des Mannes die Witwe bat, sie möge doch die Hand ihres Vaters nicht ausschlagen. Sie schlug sie doch aus mit den Worten: »Sie sind für mich viel zu gut.« Dies demütige Selbstbekenntnis war indessen nicht der Grund, denn Herr X. war entschieden gegen diese Heirat, und die Gottfried klagte noch oft, daß sie den ehrenwerten, wohlhabenden Mann nicht genommen hatte, sie »hätte dann ohne Sorgen leben können und wohl nie wieder an Vergiftungen gedacht«!
Ihre Vermögensverhältnisse wurden immer verwickelter. Herr X. sah ihr zu sehr in die Karten, er wagte zu eigenmächtige Eingriffe in ihren Wirkungskreis; dazu gab es nun auch ein ihrem sittlichen Rufe unvorteilhaftes Gerede. Sie suchte sich von ihm loszumachen; aber die drückenden Geldverbindungen ließen es nicht zu. Sie blieb abhängig von ihm bis zu ihrer Entdeckung.
Mosees war jetzt ihr Herzensfreund, ihre Beta nicht mehr Magd, sondern Freundin geworden, und wenn die alte Furcht sie beschlich, so bediente sie sich als Trost des Umgangs und der Liebe junger Mädchen.
Es trieb sie aus dem Hause, in dem so viele Verbrechen hafteten. Auch war ihre Beta an den Küfer Schmidt inzwischen verheiratet. Ihr fehlte deren zerstreuender Umgang, und sie wollte X.s Besuchen entgehen. Sie bezog eine elegante, freundliche Wohnung in der fashionablern Oberstraße bei Herrn Eckerlien. Die Zerstreuungen, die die Aussicht auf die belebte Passage darbot, konnten ihre innere Unruhe indessen nicht beschwichtigen. Willkommen kam ihr deshalb eine Einladung zu einer in Stade verheirateten Freundin, die sich in größeren Verhältnissen bewegte, als es die Gottfried in Bremen konnte, und wo die schöne, liebenswürdige Witwe mit besonderer Zuvorkommenheit aufgenommen wurde. Der vornehmen Rolle, die man sie spielen ließ, mußte sie auch in allen Dingen gemäß auftreten. Sie mußte ihre vermutete Wohlhabenheit durch Freigebigkeit äußern. Plötzlich fand sie, zu ihrem Schrecken, ihre Kasse erschöpft.
Schnell weiß sie Rat. Ihr Geld ist ihr gestohlen worden. In einem günstigen Augenblick ergreift sie das Schlüsselbund ihrer Freundin, dreht den Bart eines Schlüssels in ihrem Kommodenschlosse ab, wirft den Schlüssel weg, macht Lärm. Die Kommode wird geöffnet. Es ist richtig, ihr Geld fehlt. – Alles lief glücklich ab. Wer konnte an ihrer Angabe zweifeln? Nur eine Magd, mit der die Herrschaft schon unzufrieden war, kam in Verdacht und entlief, wurde später ergriffen und während einer langwierigen Untersuchung in Haft behalten. Die Richter kamen ins Haus zur Feststellung des Tatbestandes des Diebstahls. Die Gottfried sollte ihn beschwören. Aber etwas hatte sie nicht vorausbedacht: die gerichtliche Untersuchung. Zurücktreten konnte die feine, vornehme Dame nicht, ohne ihr ganzes schwer errungenes Ansehen bloßzugeben. Sie schwor und beging den ersten Meineid. – Dieser unangenehme Vorfall wurde indessen bald durch die Zerstreuungen des vornehmen Lebens ganz in den Hintergrund gedrängt. Madame Gottfried, allenthalben geehrt, geschmeichelt, konnte nicht wieder fort. An Gelde gebrach es ihr nun nicht mehr, und als sie endlich zurückkehrte, begleiteten sie die dringendsten Einladungen, wiederzukehren.
In Bremen dagegen erwarteten sie die alten Erinnerungen und neue Sorgen um die Zukunft. Herr X. drängte, sie schuldete ihm bereits mehrere tausend Taler. Ihre Immobilien, 1817 nur mit 2500 Talern belastet, waren jetzt schon mit über 5000 Talern verhaftet; sie schienen dem Liebhaber und Gläubiger zu keiner weiteren Sicherheit genügend. Da, in ihren Nöten, meldete sich ein neuer Freiwerber, der Stiefsohn ihres Wirtes Eckerlien, den dieser Ehrenmann selber ihr aufs dringlichste anempfahl.
Zimmermann war ein Modewarenhändler, von rechtlichem Charakter, der einem einträglichen Geschäft vorstand, und jedenfalls mußte diese Verbindung bei ihren jetzt so zerrütteten Vermögensumständen als ein Glück betrachtet werden.
Heiraten konnte, heiraten wollte sie Zimmermann nicht; aber sie hatte ja auch ihren Gottfried nicht eigentlich geheiratet, sondern nur die kurze Ehe mit ihm zur Erringung der möglichen Vorteile benutzt. So wollte sie auch den neuen Bewerber benutzen; wie, das würde schon die Gelegenheit ergeben. Vorerst lehnte sie den Antrag so bescheiden ab, daß er wiederholt werden mußte. Sie teilte ihn X. mit, der ihr wider Erwarten dazu riet; sogleich nutzte sie es, ihn um ein Darlehn von 300 Talern zu bitten, um ihr Leinenzeug zur Hochzeit instand zu setzen. Sie erhielt das Geld, und das war der erste Vorteil vom Antrage. Zugleich aber versprach ihr X., seine Kapitalien nicht, wie er gedroht, zu kündigen, damit der Kredit ihres Bräutigams nicht leide; der zweite Vorteil.
Das errungene Geld wurde sofort angewandt, um sich in den Augen der Eltern Zimmermanns einen Schein von Wohlhabenheit und Reichtum zu geben, was sie auch als eine gute Partie erscheinen ließ. Nun wurde das Versprechen, das sie Gottfried getan haben wollte, nicht wieder zu heiraten, als letzte Schanze gegen den Stürmenden aufgestellt, wobei er einiges Blut lassen sollte. Sie hätte gerade 200 Taler Schulden zu bezahlen. Mit Freuden streckte Zimmermann, der es als einen Prüfstein seiner Liebe ansah, das Geld der reichen Frau vor. Auch als der seligen Gottfried Prinzipal sie um die Rückzahlung der 600 Taler anging, war Zimmermann aus denselben Gründen gern bereit, das Geld vorzuschießen. Sie fiel ihm darauf um den Hals, und der Bund war geschlossen.
So schien, wenn nicht alles, doch viel, was sie wünschte, erreicht, als Freundschaftseinflüsterungen den Bräutigam dringend vor der einzugehenden Ehe warnten. Man machte auf ihre gefahrbringende Nähe, auf das Verhältnis mit X. aufmerksam, und die Gottfried befürchtete mit gutem Grund, daß er wanke. Mit schneller und wohlberechneter Entschlossenheit spielte sie jetzt die durch Mitteilung der Nachreden zuungunsten ihres Rufes tief Verletzte, erklärte sich weinend für ein Opfer der dunklen, unerforschlichen Wege der Vorsehung und war entschlossen, keinen Glücklicheren mehr an ihr unglückliches Los zu knüpfen. Sie wollte zurücktreten. Natürlich wollte der wackere Zimmermann nun nichts davon wissen. Es kam wieder zur Vereinigung; aber die Gottfried zog den richtigen Schluß: Wer sich einmal überreden lasse, könne es auch ein zweites Mal. Zimmermann konnte von ihren großen Schulden an X. hören, er konnte, erschreckt, zurücktreten und seine eigenen Darlehn zurückfordern. Dies mußte verhütet, ihre bisher errungenen Vorteile mußten gesichert werden; darum dachte sie, sie wollte diesen Versuch mal machen, das heißt, ihn mit Mäusebutter vergiften.
Sie hatte nämlich einige Tage zuvor Mäusebutter in den Zeitungen zum Verkauf ausgeboten gelesen und sogleich die Neugier empfunden, ob dies wohl auch wie Arsenik auf Menschen wirke, und sich deshalb durch ihre Beta eine Kruke davon holen lassen.
Zimmermann sollte indessen keines schnellen Todes sterben. Teils hätte das neuen Verdacht erregen können, teils hatte sie sich auf die Rolle präpariert, während einer langen, schmerzlichen Krankheit ihn mit aufopfernder Liebe und Treue zu pflegen. Dabei konnten Vermächtnisse für sie abfallen, die der durch Erfahrung Gewitzten lieber waren als ganze Erbschaften. Er erhielt daher gegen Ende April 1823 nur eine mäßige Portion Mäusebutter auf Zwieback.
Um dieselbe Zeit erhielt aber auch ihre Freundin Marie Heckendorf eine ziemliche Portion, weil sie sich zu vorlaut und eindringlich über das Verhältnis zu X. geäußert hatte, vielleicht auch, um sie von Besuchen bei der Gottfried abzuhalten, während die ihre ganze Geisteskraft an Zimmermanns Krankenbett aufbieten mußte. Endlich gab es auch die erwünschte Gelegenheit, an deren Krankenlager zu beweisen, wie sie sich einer Freundin annehme, die gegen sie vor der Welt gesprochen hatte.
Das Mäusegift wirkte sehr schnell bei beiden Personen. Die unglückliche Marie erkrankte sehr heftig. Aber das Gift, das hier nicht wiederholt beigebracht wurde, bewirkte nur bei der in bedrängten Verhältnissen und von ihrer Hände Arbeit Lebenden eine Lähmung der Hände und Füße. Im übrigen siegte ihre starke Leibesbeschaffenheit über das Gift, und sie blieb am Leben.
Auch Zimmermanns starke Gesundheit widerstand länger den Angriffen. Nach acht Tagen konnte er sich schon wieder aufrichten und die Verlobte durch einen Besuch überraschen. Sie mußte ihn ernsthafter anfassen. Er erhielt ein gebratenes Küchlein mit Pflaumen, die ihn niederwarfen und nicht wieder aufkommen ließen.
»Willst du Erbin meines Vermögens sein?« fragte nach Angabe der Verbrecherin der Todkranke sie. Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. Er antwortete nun: »So sollst du, was ich dir gegeben, als Geschenk annehmen; aber versprich mir, daß du gleich nach Hannover reisen willst zu deinem Cousin. Denn wenn ich tot bin, was wollen die Leute mit dir machen?«
Diese Warnung scheint wirklich aus liebender Besorgnis erfolgt zu sein. Zimmermann kannte die ungünstigen Gerüchte, die über seine Braut umgingen, und war doch zu zauberartig von ihren Blicken und Worten gefesselt.
Am I.Juni 1823 gab Zimmermann unter entsetzlichen Beängstigungen und der treuesten Pflege seiner Braut den Geist auf. Deren Schmerz erschien natürlich grenzenlos, und jetzt war es, wo sie, um ihn ertragen zu können, »denjenigen Prediger ihres Kirchspiels, welcher die meisten Zuhörer hatte«, um eine öffentliche Fürbitte und um Trost für sie ersuchte. Man erfuhr erst später, daß diese Fürbitte von ihr angeregt worden war, und die Sache erregte nur Mitleid, aber nicht den geringsten Argwohn.
200 und dann 600 Taler und das allgemeine Mitleid waren der bare Ertrag dieser Vergiftung. Zudem besorgte sie den Ausverkauf des Zimmermannschen Modewarenlagers, angeblich zur Zerstreuung und auf Wunsch der Erben und Verwandten. Außer daß die treuherzigen Erben ihr willig noch mehr gezahlt hatten, als das mündliche Vermächtnis des Bräutigams war, machte sie noch bei diesem Ausverkauf für sich Geschäfte. Die schöne, reizende, von so wunderbarem Unglück verfolgte Witwe, am Ladentisch als Ausverkäuferin stehend, muß aller Wahrscheinlichkeit nach einen bedeutenden Zulauf von Käufern und Käuferinnen veranlaßt haben, und sie unterschlug dabei nicht unbedeutende Summen für sich. Mit der gewonnenen Beute ging sie auf eine Zerstreuungsreise nach Hannover, wo die liebenswürdige Witwe, von einem väterlichen Verwandten empfangen, abermals in Kreise geriet, weit über ihrer Sphäre in Bremen, die ihrer Eitelkeit aufs äußerste schmeichelten. Verwandte und Freunde suchten alles hervor, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, und das sanfte, geschmeidige, gemütliche Wesen der Verbrecherin, verbunden mit ihrer glänzenden Toilette aus Zimmermanns Lager, verschafften ihr überall Zuneigung und das Ansehen einer Dame von Stande.
Im November 1823 kehrte sie nach Bremen zurück. In Bremen erwartete sie Ärger über Ärger und Bedrängnisse ihrer Gläubiger. Da wurden Schulden eingefordert, die sie durch den Akkord ihres Vaters für getilgt hielt. X. drohte, und Kassow, der schon bei der Verlobung mit Zimmermann erkannt hatte, daß es ein leeres Versprechen der Gottfried war, seine Kinder als Erben einzusetzen, forderte ungestüm seine Vorschüsse und hätte gern auch seine Geschenke zurückgenommen.
Zur Einschränkung genötigt, verließ sie ihre elegante Wohnung in der Oberstraße und bezog wieder ihr Erbhaus. Der Lehrer Sp. und der fromme Kommissionär Mosees zogen gleichfalls zu ihr. Da wurde jeden Tag gesungen und gebetet. Aber, sagte sie, »statt daß ich nun sollte anfangen, still und fromm zu leben, tue ich gerade das Gegenteil. Ich fing an zu reisen, liebte geistige Getränke, lebte ungesittet, unordentlich, entwandte meinen Nebenmenschen das Ihrige, las gern Romane, traktierte und wurde aufs neue Mörderin!«
Im Frühjahr 1824 reiste sie abermals nach Hannover, wurde freundlich im Kleineschen Hause aufgenommen, kehrte aber mit neuen Schulden, die das vornehme Leben verursachte, nach Bremen zurück. So hatte ihr der alte Herr Kleine 800 Taler, angeblich zur schleunigen Abtragung dringender Schulden, vorgestreckt; aber auch das half ihr wenig.
Die einst wohlhabende Frau brauchte dringend 3 Louisdor. Sie selbst wollte sich nicht mehr an X. wenden. Eine langjährige Freundin der Verbrecherin, die Musiklehrerin Anna Meyerholtz, wurde von ihr ersucht, bei dem gemeinsamen Freunde um die 3 Louisdor für die Gottfried zu bitten. Umsonst, X. wollte nichts mehr geben. Die Meyerholtz lebte in dürftigen Umständen, von ihrem geringen Einkommen mußte sie noch einen blinden, achtzigjährigen Vater ernähren. Sie selbst konnte nichts geben, aber sie hatte früher mehrere Wohltaten von der Gottfried erhalten; sie erbot sich in ihrer Herzensgüte, von den seit Jahren zusammengesparten Begräbniskosten für den zu erwartenden Tod des alten Vaters ihr auf kurze Zeit die nötige Summe zu leihen.
Ein schneller Gedanke durchzuckte die Mörderin, und in vierundzwanzig Stunden wurde er zur Tat. Statt von dieser aufopfernden Liebe gerührt zu werden, beschloß sie, die hilfsbereite Freundin zu vergiften und ihres sauer ersparten Geldes sich durch Diebstahl zu bemächtigen.
Schon vor Pfingsten 1824 hatte sie einer entfernten Verwandten, Antoinette L., aus irgendeiner gehässigen Gesinnung Mäusebutter auf Weißbrot gereicht. Im September desselben Jahres erhielt die sechsjährige Tochter des Lehrers St. Gift, weil die Gottfried ihre Mutter haßte! Ihr Freund, der fromme Mosees, hatte ebenfalls vor kurzem Mäusebutter erhalten, damit die Gottfried während seines Unwohlseins seine Speisekammer bestehlen könne.
Die Musiklehrerin erhielt die Mäusebutter bei einem Besuch bei der Gottfried, auf Zwieback geschmiert. Schon auf der Straße befiel sie ein starker Stuhlzwang und heftiges Erbrechen. Sie schrie auf dem Bette, »als wenn sie mit einem Schwert durchschnitten würde«, griff die Umstehenden an, schleuderte sie von sich und starb am 21. März 1825 furchtbar entstellt.
Natürlich war die Gottfried die treueste Krankenpflegerin gewesen. Als eine gemeinschaftliche Bekannte ausrief: »Herr Jesus, die hat gewiß etwas eingekriegt«, schüttelte sie ruhig den Kopf und tadelte die andere, daß sie sich von ihrem lebhaften Gefühl hinreißen lasse: »Möchten Sie dem alten Vater den Schmerz antun?« Als der Arzt die Leiche öffnen wollte, kam er zu spät. Die Gottfried hatte, weil die Leiche platzen wollte, die schleunige Einsargung durchgesetzt. Niemand hegte Verdacht. Dagegen plünderte, ungestört durch die Gegenwart des achtzigjährigen blinden Vaters der Ermordeten, die Gottfried deren Schränke, während sie vorgab, für den Armen, nun seiner letzten Stütze Beraubten, den Haushalt zu führen.
Es war um diese Zeit, wo sie Shakspeares Hamlet auf dem Theater sah. Als eine Freundin sehr gerührt war und weinte, sagte die Gottfried, sie solle doch denken, es wäre nur Komödie.
*
Nachdem sie noch eine dritte Erholungsreise im Frühjahr nach Hannover gemacht hatte, fuhr sie in ihren Vergiftungsarbeiten fort.
Im Juli 1825 vergiftete sie, doch ohne tödliche Folge, den Lehrer Sp.
Ihr Mietsmann, der fromme Mosees, kränkelte schon seit Jahren an ihrem gelegentlich beigebrachten Gifte. Als er im Begriffe schien, sie heiraten zu wollen, hielt sie es für an der Zeit, ihn ernstlich zu vergiften. Unter Kuß und Tränen gab sie ihm die stärkste Dosis, und er starb, vor Schmerz rasend, am 5. Dezember 1825, nachdem sie sich versichert, daß er ihr ein bedeutendes Legat ausgesetzt hatte.
Zum ersten Male schien sie beim Leichenbegängnisse dieses Opfers ihre Maske abzunehmen. Nach den Aussagen gegenwärtiger Zeugen verbarg sie nicht die kälteste Gleichgültigkeit, und zu einer neben ihr stehenden Frau sagte sie während der Leichenrede, das sei nun die einundzwanzigste oder zweiundzwanzigste Leiche, die sie begraben lasse; es komme ihr gerade wie eine Hochzeit vor.
In ihrem Selbstbekenntnisse aus jener Zeit räumt sie ein, daß ihr damaliger Seelenzustand ein unbehaglicher und sie am liebsten allein gewesen sei, daß sie auch Unlust am Anziehen, an jeder Ordnung, ja auch an vielen Vergnügungen empfunden habe. Vorzüglich bedauerte sie, daß, wenn sie sterbe, sie den Armen nichts hinterlassen könne, um ihre Sünden abzukaufen. Aber nie sei sie auf den Gedanken gekommen, sich ein Leid anzutun, »im Gegenteil, ich mochte gern leben. Überhaupt habe ich immer ein sehr zufriedenes Herz gehabt! Die kleinste Aufmerksamkeit machte mich so sehr froh.«
Mosees' Vergiftung, zwar ein Kapitalstück, genügte indessen nicht zum täglichen Brot. Sie übte und versuchte sich fortwährend in kleinen Vergiftungen, die schwerlich alle zur Kenntnisnahme der Richter gekommen sind. Um der unbedeutendsten Ursachen willen griff sie zu ihrer Mäusebutter. So versuchte sie zu vergiften die Magd Lucie Block, auch das Kindermädchen des Lehrers Sp., Blandine Witzel, die Magd Sophie Luise Fette, in Diensten einer ihrer Mieterinnen. Schon wählte sie nicht mehr, noch verfolgte sie einzelne, vielmehr gab sie, wenn der Zufall ihr die Personen zuführte.
Zu ihren Geständnissen heißt es: »Zuweilen war ich monatelang von dem Triebe frei; dann kam aber wieder eine Periode, wo ich mit dem Gedanken aufwachte, wenn der oder die kommen sollte, da solltest du etwas geben. Am häufigsten gab ich die Mäusebutter Personen, die mich allein besuchten, wo ich dann am häufigsten den Trieb fühlte.«
Immer dringendere Geldverwicklungen zwangen sie, ihr Haus zu verkaufen. Von Anfang an schwebte ihr aber dabei vor, daß es über kurz oder lang wieder ihr als Eigentum zufallen müsse. Deshalb hatte sie sich auch die lebenslängliche Nutznießung zweier Nebenhäuser, die zu ihrem Besten vermietet wurden, vorbehalten und fing ihr Lebensverhältnis mit dem Käufer, dem Radmacher Rumpf, so an, daß sie, in gewohnter Weise, durch verschiedene Vergiftungen zu ihrem Zwecke zu kommen hoffte. Es gab hier eine Arbeit mit großem Ziel, und mit voller, frischer Kraft ging sie ans Werk.
Im allgemeinen gaben ihr die Vorgänge mit Gottfried, Zimmermann und Mosees die Grundzüge ihres Verfahrens an; die vorliegende Aufgabe forderte aber Vorarbeiten. Um einen Bräutigam zu gewinnen, der ihr auf dem Totenbette sein Alles oder den Teil davon verschreibe, den sie wünschte, mußte sie zuvor seine Frau und so viele Mitglieder der Familie, als nötig waren, beiseite schaffen. Wie dies zu bewerkstelligen war, dazu fand sie in ihrer eigenen Geschichte genügende Anleitung.
Wie die Gottfried sich in das Vertrauen der Rumpfschen Familie einzuschleichen verstand, wissen wir aus der Einleitung zu diesem Kriminalfall. Sie betrachtete sich als Mitglied der Familie; wie in ihrem Verhältnis mit Kassow, spiegelte sie den neuen braven Freunden vor, daß sie, die alle Teuren auf dieser Welt verloren, doch jemanden haben müsse, dem sie ihr Hab und Gut hinterlasse, und die Rumpfschen Kinder sollten ihre Erben werden. Schon aus dem Zusammenleben mit ihnen zog sie bedeutende Vorteile, indem sie bei ihrer Absicht, den Rumpfs ihr Alles zuzuwenden, eine strenge Scheidung des Mein und Dein für überflüssig hielt.
Die Ehefrau Rumpfs starb am fünfzehnten Tage nach ihrer Entbindung, am 22. Dezember 1826, wie niemand zweifelte, infolge der Niederkunft, in der Tat aber vom Genuß einer Hafersuppe. Als diese zu langsam wirkte, frischte die Gottfried drei Tage vor dem Tode das Gift noch einmal auf. Es schien, als werde sie selbst an teilnehmendem Schmerze sterben.
Nach einigen Wochen spielte sie gegen den Witwer auf eine Wiederverheiratung an. Er wies, »von entschiedener Abneigung beseelt«, den Antrag wenn auch scherzend, doch bestimmt zurück, indem er erklärte, er werde nicht wieder heiraten, am wenigsten eine Witwe. Nun mußte auch er erkranken und verdankte nur dem Umstande, daß er sich nicht, wie die früheren Opfer, durch ihr einschmeichelndes Wesen zu Versprechungen und Vermächtnissen hinreißen ließ, die längere Fristung seines Lebens; freilich auch die langsameren Qualen.
Der Gottfried mochte dieser Vergiftungsprozeß zu lange dauern. Sie vergiftete inzwischen ihre treue Beta Cornelius, die jetzt verehelichte Schmidt, während der Abwesenheit ihres Mannes. Das Motiv waren 50 Taler, die Schmidt seiner Frau für die Kosten ihrer bevorstehenden Entbindung zurückgelassen hatte. Ihre letzte Mäusebutter mußte die Wöchnerin verzehren, aber ihre gesunde Natur widerstand lange. Noch gebar sie einen Knaben; noch mußte die Todkranke auch ihre dreijährige Tochter vor sich hinsterben sehen, indem das Kind von der vergifteten Kirschsuppe zu essen bekam. Ein neuer Vorrat Mäusebutter, den sich die Gottfried schnell zu verschaffen gewußt hatte, vollendete endlich die Zerstörung des kräftigen Körpers der Beta.
Dieser Raubmord, durch den sie nur etwa 25 Taler gewonnen haben will, genügte nicht, sie aus der Verlegenheit zu reißen. Der alte Herr Kleine in Hannover drängte um die geliehenen 800 Taler. Sie konnte nur mit Mühe einige hundert Taler aufnehmen, um ihn einstweilen zu befriedigen. Dafür machte sie den Plan, nach Hannover zu reisen und dort den Vater Kleine und »womöglich auch seine Kinder zu vergiften«, nicht um damit die Schuld zu tilgen, sondern um fürs erste von seinen Mahnungen befreit zu werden. Weiter gingen ihre Absichten selten; sie ging nicht habsüchtig auf Gewinn aus, sie wollte in der Regel nur aus einer augenblicklich drückenden Verlegenheit gerettet sein und freien Atem schöpfen. Die Zukunft kümmerte sie wenig.
Voraus schickte sie Briefe über Briefe voller Zärtlichkeit an den lieben Vater Kleine, der ihr einziger Freund wäre, der ihr in den kleinsten Angelegenheiten seinen Rat schenken müsse, denn sie könne nichts tun, was er nicht billige. Dann trat sie mit einer vollen Kruke Mäusebutter ihre vierte und letzte Reise nach Hannover an.
Der Alte und seine Familie nahmen die Gottfried wie eine Tochter auf. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen. Am 17. Juli präparierte sie ihm seinen Schinken zum Frühstück, und am 24. starb er. Nach der Sezierung gab das ärztliche Gutachten als Ursache seines Todes die Gallenruhr an.
Am Tage darauf, am 25., erkrankte die Kleinesche Familie an einer Hafersuppe. Glücklicherweise mußten sich alle so stark erbrechen, daß die Nachwirkungen des Giftes nicht erheblich waren.
Über den Todesfall schrieb die Gottfried nach Hause: »Wenn Sie es doch gesehen hätten, wie der Selige mich mit seinen Kindern vor sein Sterbebett kommen ließ, mich bat, bei seinen Kindern zu bleiben und Luise, die Tochter, nie zu vergessen! Wir haben uns in seiner Gegenwart ewige Freundschaft gelobt. Ich kann sagen, an ihm wohl einen zweiten Vater verloren zu haben. Wen habe ich jetzt? Es ist schrecklich, mein Los auf der Welt! Alles, was ich liebe, wird mir genommen!«
Durch Kleines Tod gewann sie den gewünschten Aufschub. Niemand dachte daran, den Rest von 500 Talern, den sie ihm noch schuldete, jetzt zurückzufordern. Außerdem log sie, dem Verstorbenen 5 Louisdor zur Aufbewahrung gegeben zu haben. Obwohl man die Goldstücke nicht fand und auch nichts darüber verzeichnet war, erhielt sie das Geld, und es erregte nicht den geringsten Verdacht.
Jede Furcht vor Entdeckung war verschwunden; ja, sie gestand, sie hätte sie, nach so vielem Erfolge, für unmöglich gehalten. Zwar besuchten sie wieder ihre Visionen; sie sah den alten Kleine an einem Nebeltage vor ihrem Kammerfenster im dichtesten Nebel stehen, und, versicherte sie im Gefängnis, »dies ist so gewiß wahr, als ob ich es eben sähe«. Aber sie beschwichtigte die bösen Geister durch gute Worte. Ihre Briefe nach Hause, besonders die an Rumpf, waren voll frommer Ermahnungen, als habe sie in der Fremde keine anderen Gedanken als an ihre daheimgebliebenen Bekannten und deren Leiden. »Fassen Sie nur Mut«, schreibt sie wiederholt an Rumpf, »und ehren Sie die dunklen Wege des Schicksals, das doch immer unser Bestes will. Und tun wir nicht auch am besten, unser Schicksal in die Hand des besten Führers glaubend und trauend zu geben?«
Nach Bremen zurückgekehrt, ging sie weiter daran, sich dem Mieter Rumpf unentbehrlich zu machen. Wechselweise gebrauchte sie Gift und schöne Redensarten. Wenn der arme Mann sich im Erbrechen würgte, hielt Tante Gottfried ihm teilnehmend den heißen Kopf, sie wischte mit ihrem Tuche seinen Angstschweiß ab und vergoß Tränen, daß sie nicht an seiner Statt leiden könne. Und wenn er erschöpft auf seinem Lager ruhte, steckte sie ihm Brieflein und Stammbuchblätter zu, mit Gedenksprüchen erbaulichen Inhalts wie folgender: »Schuldlos sein ist des Leidenden höchste Würde, und der Edle, welcher mit heiterm Antlitz unter das Geschick sich beugt, ist ein Anblick, über den der Himmel sich freut.«
Es half ihr alles nichts. Rumpf wollte sie weder heiraten, noch fühlte er sich gedrungen, ihr Vermächtnisse zu machen. Im Gegenteil vermehrte sich von Tag zu Tag sein geheimer Widerwille gegen die Witwe; ja, sie fürchtete, er ahne mehr, als er solle. Ihr Widerwille stieg zum Ingrimm an; zugleich aber auch ihre Angst vor dem unsichtbaren Rächer, den sie jetzt in allen ungewöhnlichen Ereignissen seinen Arm nach ihr ausstrecken sah. Als Bremen am 6. März 1827 durch Deichbrüche und Wassersnot heimgesucht wurde, meinte sie, es geschehe ihretwegen.
Das alles hielt sie nicht von neuen Untaten ab. Ihre Freundin Marie, die noch fortwährend an dem Gifte zehrte, hatte einen Pflegesohn, Wilhelm Suhling, einen elfjährigen Knaben. Am 31. Januar 1828, als Marie die Gottfried besuchte, freut sich diese über den wahren Johanniskopf des Knaben, aber im selben Augenblick reicht sie ihm das vergiftete Butterbrot und fragt bedeutungsvoll ihre Freundin: »Was meinst du, Marie, wenn du den einmal verlieren müßtest?« Der Knabe erkrankte, aber verwand die Schmerzen, und nach drei Wochen war sein erster Ausgang zur Tante Gottfried, um geliebkost und beklagt zu werden. Zugleich aber empfing er gekochte Pflaumen mit Mäusebutter, zur Auffrischung der Vergiftung. Er entkam noch glücklich mit dem Leben.
Ein junges Mädchen, das ihr zum Geburtstag gratulierte, erhielt zum Dank Mäusebutter. Sie vergeudete und verspritzte Gift wie eine Rasende, die mit ihrem Vorrat von Kraft zu Ende kommen will.
Am 5. März 1828 vergiftete sie den Speck, um Rumpf aus der Welt zu schaffen, wie sie im Verhör angab: »... in der Absicht, mein Haus wiederzubekommen. – Ich dachte, wenn alles ausstürbe, würde ich die Nächste zum Hause sein.« Ihre letzten Vergiftungen in diesem Schreckenshause waren doppelter Art gewesen. Einmal gab sie Rumpf besondere Portionen, dann aß er auch mit bei den allgemeinen Vergiftungen, die sie den Hausgenossen in den gewöhnlichen Mahlzeiten bereitete.
Am 6. März 1828, an ihrem Geburstage, wurde die Gottfried mit Antritt ihres vierundvierzigsten Lebensjahres verhaftet, und die Laufbahn ihrer Verbrechen war mit dem fünfzehnten wirklich erfolgten Giftmorde und mit ungefähr fünfzehn Vergiftungen, die keine schädliche Folge hatten, geschlossen. Außerdem belasteten sie als erwiesene Verbrechen: wiederholter Ehebruch, Meineid, Einbruch, Diebstahl, Unterschlagungen und der Versuch, ihre Leibesfrucht abzutreiben.
*
So kühn, so verwegen in ihren Taten war sie nicht durch die Gewalt der Leidenschaft geworden; sie war es, weil sie sich in den Glauben eingelullt sah, daß ihr Treiben unentdeckt bleiben müsse.
Sie fürchtete alles, was ihr sinnlich entgegentrat, das Rauschen eines Blattes, ein wildes Pferd vor dem Wagen, die scharfe Ansprache des Richters. Sie fürchtete den äußeren Schmerz der Todesstrafe mehr als alles, und ihr ganzes heuchlerisches Drehen und Wenden ging dahin, sich die Möglichkeit vorzuspiegeln, daß es nicht zum Ärgsten kommen werde. Daher ihr Bemühen, mit sich selbst und den Richtern schönzutun und sich in dem Lichte einer unfreiwillig Handelnden, einer von bösen Dämonen Verführten, unbewußt und unwiderstehlich Geleiteten darzustellen. Daher bei den gräßlichen Bekenntnissen die große Scheu, die gebundene Zunge, wo es einen Nebenumstand zu bekennen galt, der die Ungeneigtheit oder Rache einer angesehenen Person oder Familie auf sie herbeiziehen könne, als möchte, wenn sie den und jenen nenne oder einräume, auch ihm ein Leid zugefügt zu haben, ihre Strafe verschärft werden. Daher bekannte sie früher die Kindermorde als die ihrer Eltern, Ehemänner, Fremden. Sie vermeinte, auf ihre Kinder ein Recht zu haben, und daß daher, wegen ihrer Ermordung, weniger als bei anderen Ermordeten dritte Personen als Rächer auftreten würden. Sie bat und stellte anheim, ob man sie nicht zur Abbüßung ihrer so großen Vergehen, da der liebe Gott nicht mit Wohlgefallen auf sie herabsehen könne, im Gefängnis belassen und ihr als Strafe Magddienste auftragen wolle.
Die Verzögerung der Untersuchung, die lange schwebende Pein war ihr ein Trost; sie konnte vergnügt sein und zufrieden, daß es so wurde, wie einige der Herren ihr vorausgesagt hatten, nämlich daß der Prozeß sich jahrelang hinziehen werde. Ihre einzige und fürchterliche Angst war, daß doch plötzlich die Türe rasseln und die Henker eintreten möchten, um sie zum Richtplatz abzuholen. Ja, die kluge, gebildet sein wollende Frau gab sich in dieser Angst vor der Strafe dem Pöbelwahne hin. Sie zitterte nicht, wenn in ihrer Gegenwart die Leichen der von ihr Gemordeten ausgegraben wurden, der Modergeruch war nicht zu angreifend für ihre Nerven; aber sie gab sich allen Ernstes dem Gedanken hin, daß man sie mit diesen Leichen zusammenbinden, in eines der Gräber werfen, mit kochendem Wasser überschütten und dann lebendig begraben werde! Ja, als wilde Tiere in Bremen gezeigt wurden, zitterte sie bei der Vorstellung, die zuweilen zum Glauben überging, man werde sie diesen Tieren lebendig zum Fraß und dem Publikum zur Genugtuung vorwerfen.
Am 17. September 1830, im dritten Jahre ihrer Verhaftung und der Berge von Akten auftürmenden Untersuchung, erfolgte die Verurteilung der Gottfried durch das Bremer Obergericht zum Tode mittelst des Schwertes.
Ihre Gesundheit, geschwächt durch die stete Furcht vor einem plötzlichen, gewaltsamen Tode, hatte sich in der letzten Zeit wieder erholt. Völlig unvorbereitet wurde sie früh am 18. September zur Urteilsverkündung abgeholt. Aber beim Eintreten fiel ihr falkenartig umherspähendes Auge auf ein Gefäß, dessen Inhalt sie sogleich richtig erriet. Es war Essig zum Schutze gegen eine Ohnmacht. Sie wußte nun, ehe ein Wort gesprochen wurde, was ihr bevorstand. Sie bekam, nach ihrem Bekenntnis, keinen wirklichen Schreck, aber ein heftiges Beben und innerlichen Frost. Sie erklärte, daß sie dieses Urteil und noch weit mehr verdient habe, weshalb sie es mit Dank annehme.
Dennoch appellierte sie und bemühte sich in Briefen und Gesprächen, ihren Verteidiger von ihrer guten Gesinnung zu überzeugen; das heißt, sie wünschte alle ihre Missetaten ins schönste Licht gesetzt zu sehen und den Beweis ihrer Unzurechnungsfähigkeit weitergeführt zu wissen.
Das Gericht fürchtete einen Selbstmord, deshalb wurde sie von nun an unter steter Bewachung von fünf Frauen, die sich abwechselten, gehalten. Gegen diese Frauen sprach sie sich ungezwungener, charakteristischer aus als gegen Geistliche, Richter und Verteidiger. Vergebens hatte sie um Befreiung von dieser Bewachung gebeten; sie schloß daraus auf ihr nahe bevorstehendes Los. Dem Tode auf dem Schafott zuvorzukommen, versuchte sie sich durch Hunger selbst ums Leben zu bringen.
Sie hoffte, aufs bestimmteste, noch vor ihrer Hinrichtung aus Schwäche zu sterben, und verordnete für diesen Fall, daß man ihr den Mund zubinde, damit er nicht so häßlich offenstehe. Dann möchte man ihr den Todesschweiß abwischen und sie mit einem Bettlaken »bedrehen«, daß sie nicht zum Schauspiel würde, wenn man sie die Treppe heruntertrage.
Ein besonderes letztes Interesse erregte für sie die Gefangensetzung einer anderen Frau, die des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigt war. Sie versuchte durch die Wände den Antworten bei deren erstem Verhör zuzuhören und äußerte dann: »Die teufelt sich davon los. Wenn ich so hätte sprechen können, so wäre ich auch freigekommen.«
*
Am 14. April 1831 wurde ihr das unterm 6. April ergangene Urteil des Oberappellationsgerichts der vier Freien Städte Deutschlands zu Lübeck, das das Bremer Urteil lediglich bestätigte, publiziert. Keine sonderliche Bewegung wurde an ihr sichtbar, doch ließ sie es sich wiederholen, worauf sie viele Tränen vergoß und erklärte, ihr Leben sei das wenigste, was sie für so viele Verbrechen geben könne.
Fest und entschieden erklärte sie, als ihr Verteidiger sie darauf aufmerksam machte, daß sie um Begnadigung beim Senat einkommen dürfe und er gern erbötig sei, ihr Gesuch aufzusetzen, daß sie nicht um Begnadigung bitten wolle; sie gebe gern ihr Leben hin.
Am 19. April erfuhr sie, daß sie am nächsten Morgen hingerichtet werde. Sie erkundigte sich genau nach dem Ort und der Stunde und versicherte, sie habe alles gestanden und keinen mehr vergiftet, als auf der Liste stünde; ihr Herz sei ganz rein! Überhaupt kamen nur selbstgefällige Äußerungen über ihre Lippen. Ein flüchtiger Scherz mit dem Gefangenenknecht, ein Gelüst nach Johannisbeeren und Apfelsinen.
Noch bis zur letzten Stunde gab sie die Hoffnung nicht auf, daß sie an dem Gallenerbrechen, das ihre Schwäche erhöhte, sterben möge. Morgens um fünf Uhr erschien der Geistliche und fand sie noch schlafend. Als man sie endlich weckte, war sie nichts weniger als erfreut über den Besuch, forderte Wein zum Trinken und Einreiben, Kaffee und andere Kleinigkeiten, ohne daß ihr Sinn sich besonders mit dem Prediger beschäftigte.
Eine neue Angst stieg in ihr auf vor dem offenen Wagen, in dem sie transportiert werden sollte. Sie fürchtete, den Exzessen des Pöbels ausgesetzt zu sein. Man beruhigte sie, indem ein Polizeidiener neben ihr sitzen werde. Ihre Kleidung beschäftigte sie fast allein in der letzten Stunde. Aus ähnlichem Grunde ließ sie den Geistlichen, der einen zweiten Besuch machen wollte, nicht vor. Sie zog sich selbst an und ließ sorgsam den Kragen der Jacke abschneiden, damit Platz zum Schwertstreich werde. Die neuen Schuhe von grober Arbeit, die man ihr hinstellte, wies sie mit Abscheu von sich und gab sich erst zufrieden, als eine Frau ihr ein Paar leichte Zeugschuhe brachte; aber die schwarzen Strümpfe, die ihr geliefert wurden, zog sie über ihre alten grauen, um ihre Waden dadurch mehr hervorzuheben.
In äußerer, vollkommener Haltung saß sie während des ganzen Weges zur Richtstatt auf dem Leiterwagen, den sie ohne große Unterstützung bestiegen hatte. Ihre Hände hatte sie schon beim Anfang von dem Stricke, der scheinbar darum geschlungen worden, befreit und hielt während der ganzen Fahrt krampfhaft die Hand des neben ihr sitzenden Polizeidieners.
Im Angesicht des Marktplatzes war das Schafott aufgeschlagen, elf Fuß hoch, schwarz behangen. Ihm gegenüber, sechs Fuß hoch, stand die ebenfalls schwarze Tribüne zur Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichtes. Auf jene hinaufgehoben, hörte sie, dem Gerichte gegenüber, mit sichtbarer Angst, doch ohne Tränen, die Vorlesung des Todesurteils. Nachdem vom Senator der Stab über ihrem Haupte gebrochen und sie dem Scharfrichter übergeben worden war, reichte sie dem Gerichte zum Abschied ihre Hand, nahm einen guten Trunk Weins und wankte dem Schafotte zu. Zierlich faßte sie beim Aufsteigen auf die Treppe das Gewand. Als sie oben den für sie bestimmten Lehnstuhl sah, stierte, so wird uns von ihrem Verteidiger berichtet, »ihr Blick wild umher, ein satanisches Leben, ein Feuer der Hölle blitzte wie stachelnd aus dem sonst erloschenen Augapfel hervor«. Da der zur Aufrechthaltung des Kopfes bestimmte Riemen nicht passen wollte, vergingen noch einige Minuten. Die Knechte stießen den kraftlos übersinkenden Kopf wiederholt durch Stöße unter das Kinn empor, bis ein kräftiger Hieb das Haupt vom Körper trennte.
Die vorige Stille verwandelte sich in ein lautes Rufen der zahllos Versammelten. Der Scharfrichter nahm das weiße Tuch, das die Gerichtete auf ihrem Schoß liegen hatte, und wischte damit das Blut vom Schwerte.
Bei der Sektion des Leichnams – er wurde auf dem Schinderkarren fortgefahren – ergab sich eine vollkommen regelmäßige Struktur aller edlen Körperteile und zugleich die völlige Gesundheit der Verbrecherin. Ihre Schwäche war nur Folge des versuchten Hungertodes. Nur durch das unerhört gewaltsame Schnüren waren die Brustknochen emporgetrieben.
Im Museum in Bremen wird der Kopf der Gottfried in Spiritus, ihr Skelett in einem Schranke aufbewahrt.