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Der seinerzeit in Sachsen ebenso hoch als Künstler gefeierte wie seines edlen Charakters und seiner liebenswürdigen Persönlichkeit wegen als Mensch allgemein geschätzte Maler Gerhard von Kügelgen lebte in Dresden in so glücklichen Verhältnissen, wie es schaffenden Künstlern nur in den seltensten Fällen beschieden ist. Er fand überall, bei Hofe, bei den einflußreichen Persönlichkeiten der Stadt und im Publikum, Liebe und Anerkennung; er war der glücklichste Gatte und Vater, den man sich denken kann, und befand sich infolge seiner künstlerischen Erfolge in dem Wohlstande, der die gewöhnlichen Sorgen des Künstlerlebens ausschloß. Aber auch die anderen Sorgen des Künstlers, der nach dem Höchsten trachtet und doch weiß, daß er das Ziel nie erreichen wird, scheint Kügelgen kaum gekannt zu haben. Sein klarer Verstand, seine ruhige Seele, sein tief religiöser Sinn und vielleicht auch der Umstand, daß er der Erste war und keinen Größeren neben sich hatte, bewahrten ihn vor der Zerrissenheit, die manchem anderen Künstler das Leben zur Qual gemacht hat.
Um sich ein Atelier zu einem größeren Werke – einem von einem Freund in Riga bestellten Altarblatt – zu schaffen, kaufte er auf dem reizendsten Punkte der sogenannten Loschwitzer Pflege einen Weinberg, von dem aus man eine schöne Aussicht auf die niedrigen Elbufer jenseits und auf die böhmischen Gebirge genießen konnte. Hier wollte er zugleich ein neues, bequemes Wohnhaus für sich und seine Familie errichten, und dieser Bau, der seinem Geist neue, ungewohnte Anregungen gab, beschäftigte ihn in der nächsten Zeit außerordentlich.
Er schrieb im November 1819 an seinen Bruder: »Dies Häuschen soll uns ein Feenpalast werden, bis die Zeit, da wir durch ein noch kleineres, engeres Haus die Tür finden zu dem großen Hause des himmlischen Vaters, in dem viele Wohnungen sind und in dem sich einmal wieder die ganze Familie zusammenfinden wird. Sollte es Gott gefallen, mich bald nach Hause zu rufen, so hat Lilla einen Witwensitz, von wo sie die Erziehung der Kinder leicht vollenden kann, da die Stadt nur eine Stunde Wegs entfernt liegt.»
Das war eine Vorahnung. Kügelgen sollte, ehe er die Schwelle seines neuen Feenpalastes betrat, in das kleinere, engere Haus Einzug halten.
Die Karwoche des nächsten Jahres 1820 traf ihn in einer religiös geweihten, heiteren Stimmung. Er war Katholik, hatte aber seinen Sohn protestantisch einsegnen lassen. Die Feierlichkeit hatte ihn gerührt und erhoben. Als ein Freund sich über seine glückselige Stimmung freute, äußerte er mehrmals: »Ich weiß, so finde ich es im Himmel wieder.«
Am 27. März, am Tage nach der Einsegnung, ging er wie gewöhnlich nach seinem Weinberge hinaus, um nach dem Bau zu sehen. Er fragte einen seiner Schüler, ob er ihn begleiten wolle, dieser aber war durch Geschäfte verhindert und mußte es ablehnen. So ging Kügelgen allein.
Er kam gegen fünf Uhr an, ordnete an, was nötig war, zahlte die Arbeiter aus, bestellte junge Birken für den Weinberg und ging zwischen sechs und sieben Uhr fort, um nach Dresden zurückzukehren.
Die Landstraße von Dresden nach Bautzen führt nun zwar über den sogenannten Mordgrund, eine tiefe Felsschlucht, die nach der Elbe zu die Höhe durchschneidet, war aber schon damals von schönen Villen und Erholungsstätten wie dem Linkeschen Bade, Findlaters und anderen eingesäumt und deshalb einer der am häufigsten begangenen und sichersten Spaziergänge. Auch dort, wo sie über freies Gelände führt, ist sie fast nie menschenleer, und da sie sich ohne tiefe Einschnitte immer auf der Höhe hinzieht, kann man sie fast überall übersehen, und dazu war es ein mondheller Abend.
Aber Kügelgen kam nicht nach Haus. Die beunruhigte Familie sandte Boten aus. Der siebzehnjährige Sohn machte sich selbst mehrmals auf den Weg, er ging ein paarmal nach dem Weinberge und wieder zurück, ohne eine Spur des verschwundenen Vaters zu finden. Bei Kügelgens regelmäßiger Lebensweise war gar kein Grund einzusehen, weshalb er so lange ausgeblieben sein könnte. Endlich wurde die Polizei in Kenntnis gesetzt, aber auch den vereinten Nachforschungen derselben und der Familie gelang es die ganze Nacht hindurch nicht, irgend etwas zu entdecken.
Erst am folgenden Morgen gegen neun Uhr fand der junge Kügelgen, als er in Begleitung eines Gendarmen noch einmal an dem Fußweg entlang ging, der an der Elbe hinführte, jetzt aber von dem Flusse überschwemmt war, in der Vertiefung eines Röhrenlagers, das sich dort befand, hinter einem Feldraine einen entseelten Körper: Es war sein Vater.
Bis auf die Unterhosen und das blutige Kamisol nackt, lag der Körper, die Arme nach der Brust zu gebogen, auf dem Gesicht. Am Finger steckte noch ein goldener Ring mit dem Namen Lilla. Das Gesicht war von mehreren Schlägen und Stichwunden entstellt, der linke Augenwinkel, der linke Unterkiefer und das linke Schläfenbein waren zerschmettert, auch das rechte Schläfenbein war zum Teil eingedrückt und zerbrochen.
Fußspuren – wie es schien, von zwei Personen – gingen von der Bautzener Straße her über den Sturzacker, an dessen Rand die Leiche lag. Allen Anzeichen nach schien die Tat auf der Chaussee selbst verübt und der Erschlagene erst dann über den Acker weg nach dem Röhrenlager geschleppt und hier entkleidet und beraubt worden zu sein. Denn daran, daß ein Raubmord vorlag, war vom ersten Augenblick an kein Zweifel. Kügelgens Mütze fand man bald darauf auf demselben Felde, etwa vierundzwanzig Schritt davon nach der Stadt zu entfernt.
Der Schrecken, den die Nachricht in Dresden verbreitete, war außerordentlich. Es war nicht nur Kügelgens Persönlichkeit, die dabei mitsprach, sondern vor allem war das Sicherheitsgefühl der Dresdner aufs schwerste bedroht, wenn in der nächsten Nähe der Stadt, etwa einhundertachtzig Schritt von dem bekannten Marcolinischen Vorwerke und nur wenige hundert Schritt von dem Linkeschen Bade entfernt, eine solche Tat geschehen konnte.
Um so größer waren das Entsetzen und die Furcht, als man sich jetzt wieder eines Raubmordes entsann, der vor wenigen Monaten in der Nähe desselben Stadtteils an der Landstraße verübt worden war, den man aber inzwischen schon fast vergessen hatte, da es sich bei ihm nicht um einen Gerhard von Kügelgen, sondern um einen armen Tischlergesellen gehandelt hatte. Die Ermordung Kügelgens war also keine Gelegenheitstat, sondern hier waren Mörder am Werke, die mit Vorbedacht an ihre Verbrechen gingen. Die Nachforschungen der Polizei wurden deswegen mit um so größerem Eifer betrieben. Schon am folgenden 29. März setzte die Regierung auf den Vorschlag des Justizamtes einen Preis von tausend Talern für die Entdeckung des Mörders aus.
Noch an demselben Tage fanden Kinder, die an dem Schutthaufen spielten, der hinter dem Zollhause vorm Schwarzen Tore aufgefahren worden war, unter den Steinen einen blauen Tuchmantel: Es war der Mantel Kügelgens, den er bei seinem Gang nach dem Weinberge getragen hatte. In der Tasche fand man noch das kleine Gebetbuch, das er stets bei sich führte.
Also mußte der Raubmörder in die Stadt gegangen sein. Wahrscheinlich wagte er aber nicht, das große Kleidungsstück in seine Wohnung zu schaffen, und hatte es darum unter den Steinen in der Absicht verborgen, es ein andermal unbemerkt auf die Seite zu bringen. Es ergab sich also mit großer Sicherheit, daß der Raubmörder ein Bewohner der Stadt sein mußte.
Vom 29. März bis zum 24. April blieben alle Nachforschungen der Regierung ohne Wirkung, obgleich man wiederholt durch Anschläge und durch die Zeitung auf die ausgesetzte Belohnung hinwies und eine genaue Beschreibung der fehlenden Kleidungsstücke und der Uhr gab, die Kügelgen an dem Tage trug. Einige Personen, die um die Zeit der Tat auf der Landstraße gesehen worden waren, konnten weder Auskunft geben noch verdächtigt werden. Besonders ein Maurer und Baumhändler, der am Abend des 17. März auf dem Weinberge Geld von Kügelgen ausgezahlt erhalten, dann früher als dieser seinen Rückweg nach Dresden angetreten hatte, jedoch später hinter ihm hergegangen war, schien zunächst besonders verdächtig, aber auch er mußte beim Mangel aller anderen Verdachtsmomente wieder entlassen werden.
Man setzte nun alle Hoffnungen auf die Ermittlungen über den früheren Raubmord, auf den man in der Folge das Hauptaugenmerk richtete.
Am 29. Dezember 1819 hatte ein Fuhrmann auf der von Dresden nach Großenhain führenden Chaussee ungefähr neunhundert Schritt vor dem Gasthofe zum Wilden Mann abends nach sechs Uhr – ebenfalls in einer mondhellen Nacht – den Körper eines Ermordeten und Beraubten gefunden. Der Hirnschädel war zerschlagen, die Leiche noch mit Stiefeln, Strümpfen, Hosen und Hemd bekleidet. Es stellte sich heraus, daß der Tote ein Tischlergeselle namens Winter war. Von dem Täter fehlte jede Spur; nicht einmal Fußspuren waren entdeckt worden.
Dagegen hatte man später erfahren, daß die Frau eines Tagelöhners am 28. Dezember, also am Tage vor dem Morde, ebenfalls in der Gegend des Wilden Mannes von einem Unbekannten, der Soldatenmantel und Mütze getragen haben soll, angefallen worden war. Er hatte sie aber wieder freilassen müssen, als ein Wagen angekommen war, und war über die Felder nach dem Schwarzen Tore und den Kasernen der Neustadt zu entsprungen.
Der Soldatenmantel und die Tatsache, daß der Flüchtling den Weg nach den Kasernen eingeschlagen hatte, ließen den Verdacht aufkommen, daß der Mörder ein Soldat war, und die nächsten Ermittlungen schienen diesen Verdacht zu bestätigen.
Am 4. April – nachdem noch am 3. das Publikandum mit genauer Bezeichnung der Kleidungsstücke und der Uhr wiederholt worden war – gaben zwei jüdische Handelsleute eine silberne Uhr ab, die mit der Beschreibung übereinstimmte. Sie sagten aus, die Uhr wäre ihnen am 28. März, morgens vor neun Uhr, noch vor Kügelgens Ermordung also, von einem Menschen verkauft worden, den sie seiner Kleidung nach für einen Artilleristen gehalten hätten. Die Uhr gehörte Kügelgen.
Auf Ersuchen des Gerichts ließ die Militärbehörde sämtliche Artilleristen in den Kasernen antreten, die Juden gingen die Reihen durch, konnten aber keinen der Soldaten als den Verkäufer der Uhr wiedererkennen.
An demselben Tage begegneten in der Stadt drei Juden, unter ihnen einer der Käufer der Uhr, einem Soldaten in bürgerlicher Kleidung; es war der Unterkanonier Johann Georg Fischer. Der Jude glaubte in ihm den Verkäufer der Uhr zu erkennen. Sie redeten ihn deswegen an und gingen in lautem Gespräch eine Strecke Weges mit ihm, so daß sich mit der Zeit eine ganze Menge Menschen, die aufmerksam geworden waren, um die erregt sprechende Gruppe sammelte. Fischer wußte wirklich um die Uhr Bescheid, aber als sie ihm dann schärfer zusetzten, erklärte er, er habe geglaubt, sie sprächen von der Uhr, die er in einem Wirtshause gekauft habe. Er wurde ärgerlich, faßte den Juden, der ihn ausfragte, am Arme und verlangte, daß er mit ihm gehen solle.
In dem Augenblick kam ein Gendarm hinzu, der, als er hörte, wovon die Rede war, den Kanonier Fischer festnahm und auf die nächste Polizeiwache führte.
Die Juden hatten den Verkäufer der Uhr erkannt, es war ein Soldat, wie die Frau des Tagelöhners ausgesagt hatte, er hatte verdächtige Antworten gegeben, er war festgenommen worden: Im Volke war es also ausgemachte Sache, daß der Kanonier Kügelgens Mörder sei, und es kam nur noch darauf an, ihn zum Geständnisse zu bringen.
Bald wurde auch bekannt, daß der Kanonier wirklich ein Geständnis abgelegt habe. Damit hatte es aber folgende Bewandtnis:
Fischer war sofort am 4. vernommen worden, hatte aber beharrlich geleugnet, dem Juden die Uhr verkauft zu haben. Es machte ihn aber sehr verdächtig, daß er behauptete, von dem Raubmorde an Kügelgen, von dem doch jedes Kind in Dresden wußte, noch nichts gehört und auch den Anschlag mit den tausend Talern Belohnung noch nicht gelesen zu haben. Aber schon am folgenden Tage gestand er ein: Ja, er habe die Uhr an den Juden verkauft, den Kügelgen aber nicht ermordet, sondern die Uhr vor dem Schwarzen Tore gefunden.
Gleich darauf widerrief er wieder und gestand, daß er durch die plötzliche Verhaftung gar zu sehr in Angst versetzt worden sei, und da ihm der Gendarm so sehr zugeredet und ihm gesagt habe, daß er so am besten wegkommen würde, hätte er dann den Verkauf eingeräumt und vorgegeben, daß er die Uhr gefunden habe.
Noch am gleichen Tage mußte er seine Uniform anziehen und wurde so den beiden Juden gegenübergestellt. Da erklärten beide einstimmig, daß sie in ihm den Verkäufer der geraubten Uhr nicht wiedererkennen könnten.
Hiermit fielen alle Verdachtsmomente gegen den Kanonier Fischer bis auf seine unverständliche Selbstangabe fort. Dennoch blieb er in Haft, und das Volk glaubte nach wie vor an seine Täterschaft; selbst die Gerichte hielten es für wahrscheinlich, daß er irgendwie mit der Tat in Verbindung stand.
Nachdem er vierzehn Tage gesessen hatte, zeigte der Amtsfron am 18. April abends an, Fischer habe ihm soeben eingestanden, den Herrn von Kügelgen umgebracht zu haben.
Noch in der Nacht wurde ein regelrechtes Verhör mit ihm vorgenommen, und Fischer blieb dabei, daß er den Herrn von Kügelgen ermordet und beraubt habe. Den Tischlergesellen dagegen hätte er nicht ermordet.
Am nächsten Morgen kam der Amtsfron wieder mit einer neuen Meldung: Gleich nach dem Verhör vom vergangenen Abend hätte er mit dem Gefangenen ein Gespräch gehabt, und Fischer hätte ihn auf seine eindringlichen Vorstellungen hin endlich auch noch bekannt, daß er den Tischler Winter ebenfalls ums Leben gebracht habe.
Sofort erfolgte ein neues Verhör, und was Fischer in der Nacht im einsamen Gefängnis dem Wärter bekannte, räumte er bei Tageslicht vor den Richtern ein und gab sogar nähere Umstände an.
Am folgenden Tage wurde er auf die Chaussee nach Bautzen, auf den Sturzacker, an das Röhrenlager und auf die Chaussee nach Großenhain nahe dem Wilden Mann geführt und gestand auch hier die beiden Mordtaten ohne Umschweife ein. Aber schon am nächsten Tage widerrief er beide Geständnisse und sagte, er habe sich selbst bezichtigt, »weil er doch ganz unschuldig in Verdacht gekommen sei und deswegen gern habe sterben wollen«. Als man ihm vorhielt, daß sein jetziger Widerruf mit diesem Wunsche nicht übereinstimme, rief er aus, er wolle auch jetzt noch gern sterben und man möge ihn martern, wie man wolle; es kämen ihm alle Abende so viele Gedanken ein, daß er keine Ruhe habe. Ein andermal äußerte er, er hätte sich gefürchtet, sein Arrest würde immer noch schwerer werden, daher habe er alles eingestanden.
Bald aber teilte der Wärter mit, daß Fischer ihm gegenüber alle seine früheren Geständnisse wiederholt hätte. Das tat er am 23. April auch vor Gericht, um sie schon am 27. April aufs neue zu widerrufen.
Unter diesen Umständen war es für das Gericht am geratensten, sich nicht weiter auf die Aussagen Fischers zu verlassen, der von vornherein den Eindruck eines geistig unentwickelten Menschen gemacht hatte. Man begann also die Untersuchung von vorn und erließ am 21. April eine neue Bekanntmachung, in der die Kügelgen und Winter geraubten Kleidungsstücke noch einmal genau beschrieben wurden.
Da zeigte der jüdische Handelsmann Löbel Graf am 24. April an, er habe am 3. Februar von dem Unterkanonier Kaltofen einen stahlgrünen Oberrock und am 4. April einen dunkelblauen Tuchoberrock mit Ölflecken und ein Paar lange Beinkleider gekauft. Da ihm die Sachen nunmehr verdächtig vorgekommen seien, weil die Beschreibung der geraubten Stücke in den Zeitungen auf sie zu passen scheine, hätte er Kaltofen darüber zur Rede gestellt. Kaltofen habe viele Ausflüchte gemacht und sich dabei widersprochen, endlich aber habe er angegeben, die beiden Oberröcke von dem verhafteten Kanonier Fischer gekauft zu haben.
Johann Gottfried Kaltofen, ein vierundzwanzigjähriger junger Mensch, der als Offiziersbursche nicht in den Kasernen wohnte, wurde sofort verhaftet. Freilich gestand er sogleich ein, sie seien ihm von Fischer übergeben worden; er sei jedoch sonst mit Fischer nicht weiter bekannt.
Als Fischer vorgeführt und über den Verkauf befragt wurde, wiederholte er anfangs seine frühere Behauptung, daß er Winters Sachen an einen Juden verkauft habe. Dann geriet er wieder ins Leugnen und beteuerte, er wisse von diesen Sachen ebensowenig etwas wie von den Sachen des ermordeten Herrn von Kügelgen, und niemals in seinem Leben habe er einen Rock an einen Kanonier verkauft.
Es wurde sofort eine Haussuchung in Kaltofens Wohnung vorgenommen, man fand dabei drei Schlüssel, die als Kügelgens Eigentum erkannt wurden. Anfangs wollte Kaltofen von diesen Schlüsseln nichts wissen; er begreife nicht, wie sie an den Ort gekommen seien, wo man sie gefunden haben wolle. Als er aber Fischer gegenübergestellt worden war und Fischer dabei mit Bestimmtheit geleugnet hatte, die zwei Röcke an Kaltofen verkauft zu haben, rief Kaltofen aus, jetzt entsinne er sich, die Schlüssel hätten in dem blauen Rocke gesteckt, den Fischer ihm verkauft habe.
Fischer, der aus dem Verhör schon entlassen worden war, forderte in diesem Augenblicke, wieder vorgelassen zu werden. Jetzt gestand er aus freien Stücken: Ja, er habe die von Kaltofen angegebenen Sachen, namentlich den Rock des Tischlers Winter, wirklich an Kaltofen verkauft.
Als man ihn über die einzelnen Kleidungsstücke und Schlüssel zu Protokoll vernahm, stockte er plötzlich wieder, und noch ehe das Protokoll vorgelesen wurde, nahm er das ganze Geständnis wieder zurück, wiederholte die Erklärung, daß er überhaupt nichts an Kaltofen verkauft habe, und brach endlich in die Worte aus: »Nun kann ich gar nichts mehr sagen, mein Verstand steht mir still.«
Bei dieser Erklärung seiner Unschuld blieb er von da ab beharrlich. In jedem neuen Verhör erklärte er aus freien Stücken, das Frühere habe er immer nur gesagt aus Furcht vor noch schwererem Arrest, und er habe weder den Herrn von Kügelgen noch den Winter ermordet und beraubt.
Es ist merkwürdig, wie seine Lust, sich selbst zu beschuldigen, im Kerker immer aufs neue erwachte, bis er vor den Richtern immer wieder zur Besinnung kam und seine Aussagen widerrief. Der Fron glaubte indessen noch nach dem Urteilsspruch weiter an Fischers Mitschuld, und auch das Volk in Dresden war fest von ihr überzeugt.
Schon während jener Verhöre aber hatte sich ein dritter Kanonier als Zeuge gemeldet, wahrscheinlich aus Angst, durch längeres Verschweigen in den Verdacht der Mittäterschaft zu gelangen, vielleicht aber auch von seinem Gewissen getrieben.
Der Kanonier Kießling, der Kompanieschuhmacher, hatte zuerst seinem Sergeanten, dann auf dessen Anzeige hin dem Gericht folgendes mitgeteilt: Kaltofen sei kurz vor seiner Verhaftung bei ihm gewesen und habe geäußert, es lasse ihm keine Ruhe, er wisse nicht mehr, was er machen solle, er habe den Herrn von Kügelgen mit einem Beile ermordet und auch noch den Hosenträger und eine Weste des Ermordeten in seinem Quartier versteckt. Aber er wolle alles auf Fischer schieben und sagen, daß er die Sachen, die er an einen Juden verkauft hätte, erst wieder von Fischer bekommen habe. Vor Gericht gab er außerdem folgenden Umstand an: Vor vierzehn Tagen habe ihm Kaltofen ein Paar Kommißstiefel zum Besohlen gegeben, heute nachmittag – am Tage des Verhörs –, während Kießling abwesend gewesen sei, habe er sie wieder unbesohlt abgeholt und dafür ein Paar andere, bessere Stiefel zurückgelassen. Diese Stiefel wurden als die erkannt, die Kügelgen am Tage seiner Ermordung getragen hatte.
Kaltofen leugnete auf diese Anzeige hin ruhig und entschieden die Äußerung Kießling gegenüber; dagegen gab er zu, die Stiefel umgetauscht zu haben: Die Stiefel, die er zu Kießling getragen habe, habe er aber neu auf dem Markte gekauft.
Nun wurde eine abermalige Haussuchung bei Kaltofen veranstaltet, und jetzt fand man in einer Bodenkammer wirklich den größten Teil der Gegenstände, die Winter und Kügelgen geraubt worden waren. Sie wurden Kaltofen vorgezeigt, und aller Augen hafteten dabei auf dem jungen Manne, der bis dahin durch seine unerschütterliche Ruhe seine Richter fast zur Verzweiflung gebracht hatte. Als er aber jetzt besonders die Stiefel sah, die seine eben erst zu Protokoll gegebene Aussage auf der Stelle widerlegten, war er sichtlich überrascht.
Aber statt in Jammer und Verzweiflung auszubrechen und mit dem Bekenntnis seiner Schuld zu beginnen, fuhr er auf Kießling los und überhäufte ihn mit Vorwürfen über seinen Verrat. Erst nachdem er sich so Luft gemacht hatte, legte er ein vollständiges Bekenntnis ab. Er bekannte, den Tischler Winter und den Herrn von Kügelgen ermordet und beraubt zu haben.
Fischer sprach er von der Teilnahme an den Mordtaten in jeder Hinsicht völlig frei. Aus dem Geständnis ging nun folgendes hervor: Weil er Geld brauchte, war er in einer Woche gegen Ende Dezember 1819 dreimal ausgegangen, in der Absicht, den ersten besten, der ihm begegnete, zu erschlagen und zu berauben. Zu dem Zwecke hatte er jedesmal ein Beil unter den Mantel gesteckt und den Weg nach dem Wilden Mann zu eingeschlagen.
Am 29. Dezember sah er Winter, den er nicht kannte, auf der Chaussee daherkommen; er ließ ihn an sich vorübergehen, holte ihn dann wieder ein, ging eine Strecke mit ihm und versetzte ihm plötzlich, ohne ihm zuvor sein Geld abzufordern, mit dem Rücken des Beils einen Schlag auf die rechte Seite des Kopfes. Als der Arme sofort niedergesunken war, versetzte er ihm noch zwei tödliche Schläge auf den Kopf und ging dann an die Beraubung. Er nahm dem Fremden einen Halskragen, einen Oberrock, einen Hut, ein Halstuch, eine Uhr, einen Taler und zehn Groschen Geld, zwei Bücher und einiges Handwerkszeug ab. Stiefel und Beinkleider hätte er gern auch genommen, aber es machte ihm zuviel Mühe, sie abzuziehen; überdies wurde er durch einen Wagen, der vom Wilden Mann herkam, gestört, und er lief nun mit seiner Beute rasch über die Felder rechts nach der Neustadt zurück und in sein Quartier. Den Hut ließ er durch Kießling verkaufen, die anderen Sachen verhandelte er an Juden.
Ob er es auch gewesen war, der den Überfall auf die Tagelöhnerfrau am Tage vorher verübte, darüber schweigen die Mitteilungen.
Ähnlich verhielt es sich indessen mit der an Kügelgen verübten Mordtat. Kaltofen brauchte wieder Geld. Am Montag vor dem Osterfeste 1820 ging er mit dem Beile unter dem Mantel die Bautzener Straße hinaus, um jemand aufzulauern und ihn zu ermorden. Als der Mond bereits hell schien, begegnete ihm da, wo es nach dem Meilensteine aufwärts geht, ein unbekannter Mann in einem blauen Mantel. Er ließ ihn zunächst vorüber und folgte ihm dann. Eine Frau, die mit Kügelgen in derselben Richtung, aber schneller als dieser, ging, ließ er vorgehen, bis sie an den ersten Häusern verschwunden war. Dann näherte er sich leise Kügelgen, und ohne ihn anzureden, versetzte er ihm von hinten einen Schlag mit dem Beile auf die rechte Seite des Kopfes. Kügelgen stürzte besinnungslos zur Erde. Rasch packte er ihn am Kragen und schleppte ihn von der Chaussee quer über den Sturzacker bis in die Vertiefung, wo er gefunden wurde.
Der Unglückliche hatte sich gleich nach dem ersten Schlage nicht mehr gerührt; dennoch versetzte ihm der Mörder jetzt noch einmal einige Schläge mit dem Beile, um ganz sicher zu sein. Als der Überfallene nunmehr allem Anschein nach völlig leblos dalag, sprang Kaltofen noch einmal nach der Chaussee zurück, da ihm einfiel, daß der Ermordete seinen Stock dort hatte fallen lassen. Daher rührten vielleicht die im Sturzacker bemerkten Spuren von Fußtritten zweier Männer. Als er zu seinem Opfer zurückgekehrt war, fing er an, den Toten auszuziehen. Da bewegte sich der Körper noch einmal vorwärts, als wenn er sich aufrichten wolle. Kaltofen gab ihm noch einige Schläge mit dem Beile auf den Kopf, und Kügelgen richtete sich nicht mehr auf.
Hier ging der Mörder in seinem Raubgeschäfte sorgfältiger zu Werke. Er zog dem Toten Mantel, Rock, Hosen, Weste und selbst das Hemd aus, zog von den erstarrenden Füßen die Stiefel herunter und knüpfte ihm das Halstuch ab. Außer der Uhr fand er an Wertsachen nur drei Taler und siebzehn Groschen. Mit seinem Raube schlich sich Kaltofen unten an der Elbe am Röhrenlager hin, ging jedoch vor dem Linkeschen Bade wieder nach der Chaussee hinauf, versteckte den Mantel am Schwarzen Tore unter einem Steinhaufen und kam mit der übrigen Beute unangefochten in seine Wohnung.
Das alles war deutlich und klar, obwohl der Umstand, daß er den toten Körper so leicht entkleiden und die Stiefel von den Beinen hatte ziehen können, den Verdacht erregte, daß er doch Beihilfe gehabt haben könnte. Auch darüber gab er in der Beschreibung, wie er die Tat im einzelnen vollbracht habe, genügend Erklärungen, und im übrigen wurde sein Geständnis durch mehrere andere Umstände bestätigt. Der noch einmal vernommene Kießling berichtete über das außergerichtliche Geständnis des Mörders mit denselben Umständen und teilweise mit fast denselben Worten, wie es Kaltofen vor Gericht getan hatte. Ferner fand man bei einer dritten Nachsuchung in Kaltofens Hause in einem mit Schutt angefüllten Winkel unter dem Dachstuhle noch die den beiden Ermordeten geraubten Halstücher und andere Gegenstände. Kaltofen räumte ein, die Uhr am Morgen des 28. März den beiden Juden verkauft zu haben, und sie erkannten durch eidlich bekräftigte Aussage in ihm den Verkäufer der Uhr. Endlich bekannte Kaltofen, auch noch zwei Diebstähle begangen zu haben, von denen er den einen mit Kießling gemeinschaftlich verübt haben wollte.
Nunmehr stand also die Täterschaft Kaltofens fest, und hinsichtlich Fischers schien dargetan, daß er völlig schuldlos sei. Auch Fischer selbst blieb vom 24. April ab beharrlich bei seinem Leugnen. Keinem Richter konnte entgehen, daß Fischer ein höchst beschränkter, einfältiger Mensch war; er besaß keine Spur von Geistesgegenwart, und jede unerwartete Frage brachte ihn in Verlegenheit oder ganz außer Fassung. Während seines ganzen dreizehnjährigen Soldatendienstes hatte er stets für einen stupiden Menschen gegolten, der sich immer zum besten hatte halten lassen. Der Physikus fand bei ihm einen starken Andrang des Blutes nach dem Kopfe, Ohrensausen und Kopfschmerzen und erklärte mit diesen Erscheinungen seinen düsteren Blick und seine trübsinnige Gemütsstimmung. In sittlicher Beziehung war ihm nichts Nachteiliges vorzuwerfen; er war stets ordentlich und friedfertig gewesen und hatte das Seine immer sparsam zusammengehalten.
Der besonnene Kaltofen sagte selbst, Fischer könne nur die Angst zu solchen Geständnissen getrieben haben, bei denen sich zudem eine auffällige Gedächtnisschwäche gezeigt hatte. Eine fast stupide Schwermut trat hervor, als man ihm ankündigte, daß er infolge seiner ersten widerspruchsvollen Bekenntnisse aus den Listen des Artilleriekorps gestrichen worden sei.
Wie bestimmt dagegen Kaltofen als ausgeprägte Persönlichkeit dastand, blieb das Motiv seiner Handlungsweise doch immer noch rätselhaft, wenn nicht für den Richter, doch für den Psychologen.
Erst vierundzwanzig Jahre alt, hatte er einen ziemlich guten Schulunterricht genossen, fünf Jahre lang treu und redlich an verschiedenen Orten gedient und während der nächsten fünf Jahre seine Pflicht als Soldat treu erfüllt.
Er war kräftig und wohlgebildet und hatte eine muntere Gesichtsfarbe, und nichts, weder in seiner Erscheinung noch in seiner früheren Aufführung, deutete auf einen Hang zum Verbrechen hin. Er hatte sich das Zutrauen seiner Vorgesetzten ebenso durch sein gefälliges Äußeres wie durch sein gutes Betragen erworben und genoß daher manche Vergünstigung.
Ebensowenig ließ sich ein Umgang Kaltofens mit verdächtigen Leuten nachweisen. Nur mit Kießling hatte er in letzter Zeit zusammengehalten und mit ihm auch den schon erwähnten Diebstahl an einem Manne, der ihm viel Gutes erwies, verübt, ein Verbrechen, das erst bei diesem Prozesse ans Tageslicht kam und Kießling eine sechsjährige Strafarbeit eintragen sollte. Aber Kaltofen hatte in letzter Zeit auch gespielt und sich mit Frauen abgegeben, und so kam es, daß sein Geld trotz eines verhältnismäßig hohen Verdienstes niemals ausreichte: Das wurde die erste Ursache zu seinem Verbrechen. Dennoch ist es ein weiter Schritt von einem Spieler, der im kleinen Spiel sein Geld verliert und stets neues und mehr braucht, bis zu einem Menschen, der auf die Landstraße geht mit der Absicht, den ersten besten zu töten, ob er nun viel, wenig oder gar kein Geld bei sich führte.
Ob Menschenhaß, Rachsucht oder was sonst diesen brutalen Drang in ihm genährt hat, darüber ist weder von den Gerichten noch von dem Geistlichen etwas ermittelt worden. Er bekannte, wohl gewußt zu haben, was für ein schweres Verbrechen der Mord sei, aber er wußte sich's nicht zu erklären, wie er die Tat wiederholt habe begehen können. Doch sagte er mehrmals vor Gericht, er danke Gott, daß seine Schandtaten ans Licht gezogen worden wären, sonst hätte er wohl noch mehr verübt, da er ja ganz verblendet gewesen sei.
Allmählich kamen freilich immer mehr bedenkliche Eigenschaften Kaltofens zur Sprache. Immer schon ein sehr einsilbiger Mensch, wollte man auch etwas Tückisches in seinem Benehmen bemerkt haben. Wenn von den Mordtaten gesprochen wurde, zeigte er sich gleichgültig und unbefangen. Festigkeit des Charakters war ihm nicht abzusprechen, aber er war gefühllos und eitel. Aus einigen seiner sparsamen Äußerungen über sein früheres Leben ließ sich vermuten, daß er die Kunst, seine Umgebung zu täuschen, in hohem Grade verstanden haben muß. Er gewann stets zunächst Zutrauen durch sein einnehmendes Äußeres. »Das Spiel mochte die Gefühllosigkeit in ihm ausgebildet haben, die das Gräßlichste ruhig vollzieht, wenn nur die augenblickliche Begierde dadurch gestillt wird. Ohne rauh gegen andere zu sein, vielmehr gefällig im Umgange, betrachtete er doch die Menschen mit tierischer Gleichgültigkeit.« Nur kurz vor der ersten Mordtat und bei Kügelgens Begräbnis will er eine Anwandlung von Gewissensrührung gespürt haben. So gemütlos blieb er auch in den letzten Wochen seines Lebens.
Obgleich Kaltofen auch fernerhin jede Teilnahme eines anderen an der Mordtat leugnete, ergaben sich doch bei der weiteren Untersuchung mancherlei neue Momente, die darauf hinzudeuten schienen. Deshalb hielt es das Gericht für notwendig, vor allem diesem Punkte seine Aufmerksamkeit zu widmen. Zunächst nahm es noch einmal den Fischer vor, in dessen Aussagen manches noch ungeklärt war. Aber er als auch Kaltofen blieben bei ihren bisherigen Geständnissen. Fischer gewann sogar, obgleich er immer wieder häufige Spuren seiner großen Beschränktheit und Gedächtnisschwäche zeigte, an Sicherheit in seinen Aussagen, und was seine früheren Geständnisse betraf, so äußerte er, er habe von den Umständen beider Mordtaten sprechen hören und dann die Einzelheiten so nach seinen Gedanken angegeben. Es sei ihm unerträglich, jahrelang im Gefängnis zu sitzen, und er fürchte außerdem, noch mehr gefesselt zu werden; darum habe er gestanden, freilich hinterher auch wieder keine Ruhe gehabt und deshalb alles widerrufen.
Auf die Frage, wie er den Weg bezeichnen konnte, den er nach Winters Ermordung genommen haben wollte, antwortete er: »Ich sagte erst, ich wäre links gegangen. Da meinte aber der Amtsfron, ich würde wohl rechts gegangen sein, und da sagte ich: rechts« – ein Beispiel übrigens von einer Zeugenbearbeitung, das nur auf zu viele Fälle paßt!
Fischers Anwalt, der Rechtskonsulat Eisenstuck, der die unglücklichen Selbstanklagen seines Klienten lediglich von der Behandlung herleitete, erreichte dann auch durch eine sehr scharfsinnige und gründliche Vorstellung, daß Fischer aus der Amtsfron entlassen und auf das Ratsstockhaus zur Verwahrung abgegeben wurde, wo er bald in eine schwere Krankheit verfiel. Kaltofen blieb in jenem Gefängnis unter der Obhut des Amtsfrons zurück.
Die Sache schien zum Spruch reif; man hatte nichts hinsichtlich eines Gehilfen bei beiden Mordtaten ermitteln können. Die Akten wurden am 12. September zur Abfassung des Endurteils an den Schöppenstuhl in Leipzig eingesandt. Beigefügt wurde das Mordbeil zur Beurteilung der Schlag- und Stichwunden.
Aber die Akten mußten bald wieder aus Leipzig zurückgefordert werden, ehe der Spruch erfolgt war, da einer der merkwürdigsten Zwischenfälle die Wiederaufnahme der Untersuchung nötig machte. Am 5. Oktober zeigte der Amtsfron an, daß Kaltofen ihm eröffnet habe, daß Fischer an beiden Mordtaten beteiligt gewesen sei. Kaltofen wiederholte die Aussage bei der gerichtlichen Vernehmung und sagte, er habe die Teilnahme Fischers bis jetzt nur deswegen abgestritten, weil er und Fischer sich gegenseitig verschworen hätten, einander nicht zu verraten.
Fischer, der jetzt der Kontrolle des Amtsfrons enthoben war, leugnete entschieden und blieb auch nachher fest und standhaft dabei, daß er bei keiner der beiden Mordtaten geholfen habe und gar nichts von ihnen wisse. Bei der Gegenüberstellung mit Kaltofen sagte er es ihm ruhig ins Gesicht, ohne jedoch den noch ruhigeren Kaltofen in seiner Angabe wankend zu machen.
Die Sache wurde mit allerstrengster Sorgfalt untersucht.
Nach Kaltofens neueren Angaben hätten er und Fischer am 26. März in der Vormittagsstunde zwischen neun und zehn Uhr beim Spaziergange in der Neustädter Allee den Überfall verabredet.
Aber es ergab sich aus vielen Zeugenaussagen und anderen Indizien, daß Fischer an diesem 26. März in der erwähnten Stunde auf der Magazinwacht gestanden hatte. Er war erst um zwölf Uhr mittags zurückgekommen.
Ebenso erwiesen sich andere von Kaltofen angegebene Umstände als unwahr. Aber es war doch merkwürdig, daß Kaltofen ohne bestimmten Grund einen ihm gleichgültigen Menschen denunziert haben sollte, den er dadurch aufs Blutgerüst bringen mußte, ohne sich selbst zu retten. Es kam daher alles darauf an, über Fischers Verhalten während der Zeit, in der die beiden Überfälle stattfanden, Auskunft zu erhalten, und es wurde von Gerichts wegen auch alles getan, um für den beschränkten Menschen, der selbst nicht dazu fähig war, den Alibibeweis zu führen.
Am 27. März abends gegen acht Uhr war Kügelgen angefallen und erschlagen worden. Fischer war an diesem Abend auf seiner Stube in den Kasernen sowohl beim ersten Verlesen um sechs Uhr abends als auch bei dem zweiten nach acht Uhr zugegen. Allerdings war er nach sechs Uhr wie gewöhnlich ausgegangen, jedoch bald nach acht Uhr und noch vor dem Zapfenstreiche, der damals halb neun Uhr geschlagen wurde, zurückgekehrt. Später ging er nicht wieder aus, sondern legte sich zu Bett.
Die Entfernung des Tatortes von der Stadt wurde genau gemessen; sie betrug bis zum Schwarzen Tor ungefähr dreieinhalbtausend Schritt, das war also ein Weg, den man in etwa fünfundzwanzig Minuten gehen könnte. Unter einer halben Stunde würde also Fischer nicht in der Kaserne haben eintreffen können. Er war aber, wie gesagt, nach acht Uhr, jedenfalls vor dem Zapfenstreiche gegen halb neun Uhr, wieder in der Kaserne gesehen worden.
Freilich war der Wert dieses Alibinachweises nicht besonders hoch anzuschlagen, denn die Tat war vor ungefähr sieben Monaten geschehen, und die Erinnerung der Kameraden konnte daher nicht als verläßlich bewertet werden. Hinsichtlich der Winterschen Ermordung, die noch früher vorgefallen war, ließ sich erst recht kein Alibi nachweisen.
Fischer selbst machte in diesem Stadium der Verhandlungen eine sehr treffende Bemerkung, die erste, die man von ihm in diesem Prozesse hörte: Ebenso falsch wie die Angabe Kaltofens über den Verkauf der Sachen der Erschlagenen durch Fischer an ihn gewesen sei, ebenso falsch sei jetzt seine Behauptung, daß Fischer an der Tat teilgenommen habe.
Fischers Verteidiger Eisenstuck suchte in einem Nachtrage zu seiner Verteidigungsschrift den äußeren Anlaß dieser merkwürdigen Angabe Kaltofens auf den Dienstübereifer des Amtsfrons zu schieben. Gleichwie dieser in der ehrlichen Überzeugung, in Fischer den Täter vor sich zu sehen, dem ängstlichen und einfältigen Menschen das furchtbare Geständnis abgepreßt oder vielmehr eingepreßt hätte, so könne er auch jetzt auf Kaltofen eingewirkt haben. Aber ein Charakter wie Kaltofen war nicht so leicht wie Fischer zu einem wahrheitsgetreuen Geständnis zu verleiten, noch dazu, da für ihn gar keine Beweggründe zu einer Aussage vorhanden waren, die Fischer belasteten.
Kaltofen war eine harte Natur, die allen moralischen Eindrücken von außen widerstand und eher gewohnt war, durch Täuschung auf andere einzuwirken. Hier fehlte also jedes Medium, jedes Agens, wenn es nicht von innen heraus kam. Nun war Kaltofen zwar tückisch, aber nicht bis zu dem Grade boshaft, um sich zu freuen, wenn er Unschuldige mit in sein Geschick verwickelte. Wenigstens deutet aus der Geschichte seines Prozesses nichts darauf hin. Es ist mithin gar kein Grund, anzunehmen, daß er später solchen Regungen nachgegeben und mit einem Male sich vorgenommen haben solle: Da ich sterben muß, soll der andere auch sterben!
Kaltofen blieb seit dem 5. Oktober wirklich hartnäckig bei seiner Angabe, daß Fischer sein Mitschuldiger sei; später, wann, wird nicht angegeben, hat er auch in einem Schreiben aus dem Gefängnis an die Seinigen eines Mitschuldigen gedacht, jedoch ohne ihn zu nennen.
Nachdem noch einmal alle Für und Wider zu Fischers Mitschuld abgewogen worden waren, sah das Gericht ein, daß sich nichts Entscheidendes zu der Frage ermitteln ließ, und gab die Akten aufs neue nach Leipzig. Die königlich-sächsischen Schöppen zu Leipzig erkannten am 4. Februar 1821 zu Recht, daß Kaltofen wegen zweier eingestandener Raubmorde mit der Strafe des Rades zu belegen und sein Körper auf ein besonderes Rad zu flechten sei. »Hiernächst« – die Worte des Urteils – »ist wider Johann Georg Fischer wegen der ihm beigemessenen Teilnahme an der Ermordung Winters und des von Kügelgen in Mangel allen Verdachts weiter nichts vorzunehmen, deswegen derselbe von der Inquisition wieder zu entbinden und nach Leistung des Urfehdens der gefänglichen Haft zu entlassen.«
Hinsichtlich des Amtsfrons und des Polizeigendarmen wurde verordnet, daß sie »wegen des zu Schulden gebrauchten Ungebührnisses von Gerichts wegen nachdrücklich zu verweisen«.
Kaltofen ergriff das Rechtsmittel der weiteren Verteidigung, das zweite Urteil der Juristenfakultät der Universität Leipzig bestätigte indes am 26. März 1821 die zuerst getroffene Entscheidung. Durch seinen Verteidiger flehte er nunmehr die Gnade des Königs zur Milderung der Strafe an, indem er sich auch hier wieder darauf stützte, daß er nicht der alleinige Täter sei. Noch am 4. April erklärte er dann vor Gericht, daß er es noch auf dem Schafott aller Welt sagen werde, daß Fischer dabeigewesen sei. Der König verwandelte die Strafe des Rades in die des Schwertes.
Das Urteil des Leipziger Schöppenstuhls hatte ein außerordentliches Aufsehen erregt. In der sächsischen Kriminalpraxis war es noch nicht vorgekommen, daß jemand gänzlich freigesprochen wurde mit dem ausdrücklichen Vermerk »in Mangel allen Verdachts«, nachdem man gegen ihn die Spezialinquisition verfügt hatte, was gesetzlich immer nur dann geschehen konnte, wenn ein dringender Verdacht wirklich vorhanden war.
Indessen war der Urteilsspruch zu klar und deutlich: Man mußte also Fischer, sobald er »den Urfehden« geschworen hatte, nicht allein aus der Haft entlassen, sondern ihn sofort in alle Rechte eines sächsischen Untertanen wieder einsetzen. In Rücksicht auf die allgemeine Stimmung, die noch immer an die Mitschuld Fischers glaubte, stellte man ihn aber, als man ihn entließ, unter polizeiliche Aufsicht.
Er kam bald darauf aus seinem Geburtsorte nach Dresden zurück, um durch seinen Verteidiger sein Abschiedsgesuch übergeben zu lassen. Da er ohne Paß war, wurde er von der Polizei verhaftet und festgehalten. Der Obersteuerprokurator Eisenstuck richtete daraufhin eine Immediatsvorstellung an den König, daß dem Urteilsspruch sein Recht geschehe und Fischer in volle Freiheit gesetzt werde; außerdem möge er seine ehrenvolle Entlassung vom Militär erhalten und ihm die gesetzliche Pension zugesprochen werden. Diesem völlig gesetzlichen Verlangen mußte endlich entsprochen werden. Fischer wurde am 19. April 1821 aus der polizeilichen Haft entlassen und nach seiner Heimat zurückgeschafft.
Der Diakonus an der Kreuzkirche, Magister Jaspis, hatte inzwischen Kaltofen zum Tode vorbereitet. Aus seinen im Druck erschienenen Mitteilungen erfährt man das meiste, was zu einer näheren psychologischen Charakterkenntnis des Verbrechers dienen kann, ohne daß jedoch auch durch diese Aufzeichnungen das eigentliche Rätsel der Mittäterschaft gelöst erscheinen könnte.
Als Jaspis den Verurteilten bald nach dem 24. April 1820 in der Absicht besuchte, ihn zum Geständnis von Teilnehmern zu bewegen, legte Kaltofen eine kalte, entschlossene Bosheit an den Tag; er sprach über sein Verbrechen mit gefühllosem Leichtsinn und leugnete, daß irgendein anderer von dem Verbrechen etwas gewußt habe. Auf Jaspis' Bemerkung, daß ja doch ein anderer dieselben Mordtaten bereits eingestanden habe, entgegnete er kurz: »Ich bin es allein gewesen.«
Nachdem Kaltofen dann im Oktober Fischer als einen Mitschuldigen angegeben hatte, erinnerte ihn der Geistliche an jene erste Unterredung; er wollte aber nichts mehr von ihr wissen.
Indes zeigte er in den letzten Tagen manchmal eine größere Rührung. Er bewies ein richtiges Urteil über seine Tat und Selbsterkenntnis. Ein Buch für Leidende, das man ihm geliehen hatte, legte er mit der Bemerkung beiseite, das sei ein Buch für unschuldig Leidende; für ihn passe es nicht. Aber von solchen Betrachtungen, die ihn ganz zu der Erkenntnis seines Seelenzustandes hätten führen können, ließ er sich durch die Besuche der Neugierigen gern abhalten. Seine Eitelkeit fand dabei Befriedigung. Als er gehört hatte, daß der Geistliche am Sonntag vor seiner Hinrichtung in der Predigt auf ihn angespielt habe, wünschte er, sie zu lesen. Der Prediger las ihm den Text vor, aber auch die ergreifendsten Stellen erweckten in ihm keine besonders tiefe Gemütsbewegung.
Sichtlich lag ihm viel an der Meinung anderer. Der Gedanke schien ihn zu beunruhigen, daß man seine Angabe, einen Mitschuldigen gehabt zu haben, für eine Unwahrheit halten könne. Jedoch äußerte er oft, daß er der verantwortliche Urheber der Tat sei und den Tod verdient habe. Zuweilen drückte er den Wunsch aus, daß sein Beispiel recht lebhafte Eindrücke zurücklassen möchte. Der Geistliche sah ihn sogar dreimal weinen. Nach der letzten Betstunde am Abend vor seiner Hinrichtung aber, als jeder Anwesende tief erschüttert war, ergriff er, wie er es nach jeder Unterredung getan hatte, seine Pfeife und ließ sich in Gespräche über ganz andere Dinge ein.
Noch in derselben Nacht schlief er ruhig fünf Stunden lang und griff auch dann, nachdem er schon das Armesünderhabit angezogen hatte, wieder zu seiner Pfeife. Doch war diese Ruhe kein stumpfsinniges Erstarren; er zeigte vielmehr bis zuletzt viel Verstand und Überlegung.
In dem Augenblick, als der Geistliche in die Stube trat, um ihn zum letzten Gang abzuholen, übergab Kaltofen ihm einen Zettel mit einer Art Bekenntnis. An diesem Zettel mußte ihm sehr viel gelegen sein, denn als die erste Niederschrift beim Trocknen am Lichte etwas angebrannt war, hatte er sofort noch eine Abschrift hergestellt. In diesem Bekenntnisse nannte er »mit Hochachtung die Namen der würdigen Männer Teller und Lavater, welche ein Buch für schwere Verbrecher und zumal für einen Mörder herausgegeben, das den tiefsten Eindruck auf sein Herz gemacht, ihm Beruhigung gewährt und ihn, so wie die kräftigen Ermahnungen des Geistlichen, bis zu dem letzten Hauche seines Lebens gestärkt habe«.
»Wolle Gott«, heißt es am Schlusse, »daß es mehrere und zumal Mitschuldige mit wahrer Andacht lesen und zugleich eine ebenso rechtschaffene Reue haben möchten. Dieses wünscht ein mit Gott versöhnter und zu seinem Tode vorbereiteter Verbrecher. Johann Gottfried Kaltofen. Dresden, den 11. Juni 1821.«
Als Aufschrift stand darauf: »Dieses habe ich vier Stunden vor meinem Tode geschrieben.«
Vor dem auf dem Marktplatze öffentlich gehegten peinlichen Gericht beharrte Kaltofen bei seinem Geständnisse, die beiden Mordtaten verübt zu haben, ohne bei dieser Gelegenheit Johann Georg Fischer einer Teilnahme zu beschuldigen. Er sprach jedoch das Ja, das den an Winter verübten Mord betraf, rascher und entschlossener aus als das zweite Ja, und der Geistliche bemerkte dabei an ihm auch eine seltsame Änderung der Gesichtszüge.
Auf dem Wege zum Richtplatze weinte er und sagte ohne Veranlassung zu dem Geistlichen, der ihn begleitete: »Mir ist wohl.« Auf den Stufen des Schafotts richtete er seine Blicke auf die Menge, dann bestieg er das Blutgerüst mit Eile. Er sagte die Beichte stotternd her, und seine Todesangst war jetzt nicht mehr zu verkennen. Allein nach der gewöhnlichen Absolution ermannte er sich, stand auf und sprach die Worte:
»Meine Herrschaften, Fischer hat dieselbe Strafe verdient, die ich jetzt erleide.« Dann setzte er sich gefaßt nieder, strich die Haare aus dem Nacken und empfing den Schwertstreich.
Diese Worte waren vom Volke gehört worden. Sie brachten eine ungewöhnliche Aufregung hervor. Niemand konnte an der Wahrhaftigkeit dieses vierundzwanzigjährigen, wohlgebildeten Verbrechers zweifeln, der die Teilnahme aller, besonders der Frauen, durch seinen gefälligen Anstand und durch die von aller Frechheit entfernte Ruhe in seiner Haltung in hohem Grade erregt hatte. Aber derselbe Fischer, der sich früher selbst als Mittäter angegeben hatte und den der so fromm sterbende Kaltofen nun in seinem letzten Augenblick noch einmal der Mitschuld bezichtigte, derselbe Fischer war vom Gericht völlig freigesprochen worden, und – mehr als das – er ging in diesem Augenblicke zum Hohne für das Rechtsgefühl frei in Dresdens Straßen umher.
Fischer war gerade an diesem Tage wieder in Dresden. Man hatte ihn gesehen; man wußte, daß er in die Wohnung seines Verteidigers gegangen war, um sich nach seinem Abschiedsgesuche zu erkundigen. In seiner aufgeregten Stimmung rottete sich das Volk zusammen und besetzte die Zugänge. Eisenstuck ließ sich aber nicht schrecken und wandte das beste Mittel an, die Masse, die wohl selbst nicht wußte, was sie eigentlich wollte, in Respekt zu halten. Er ließ einen Wagen vorfahren und stieg offen und vor aller Augen mit seinem Klienten hinein. So fuhr er mit ihm ruhig durch die Menge fort, die stumm und untätig zusah.
Erst als Fischer schon lange wieder in seiner Heimat war, wurde endlich sein Schicksal in gesetzmäßiger Art entschieden. Am 26. August 1822 erhielt er auf Befehl des Königs, »weil er durch das Urteil völlig absolviert und wider ihn in Mangel Verdachts weiter etwas nicht vorzunehmen sei«, in gewöhnlicher Art seinen Abschied. Darin wurde ausdrücklich erklärt, »daß er sich während seiner mehr als sechzehnjährigen Dienstzeit als Unterkanonier sowohl im Lande als im Felde, in den Feldzügen 1813-1815, jederzeit gut und zur Zufriedenheit seiner Offiziere betragen habe«. Die frühere Streichung seines Namens aus den Listen wurde zurückgenommen und er als ein treuer Diener allen Behörden empfohlen. Auch Eisenstuck erntete Lob und Ruhm durch Fischers Verteidigung.
Was es mit den letzten Worten Kaltofens auf sich hatte, blieb ein Rätsel. Man suchte die verschiedensten Deutungen, die Fischer teils belasten, teils entlasten konnten, aber etwas Greifbares wurde nicht mehr ermittelt.
Das Trauerspiel von Kügelgens Ermordung hat noch zwei Nachspiele gehabt: eine Farce und eine neue grauenhafte Tragödie.
Zuerst die Posse. Die Dresdener Judenschaft, beseelt von derselben Entrüstung über den Mord, die die ganze Stadt erfüllte, hatte den Beschluß gefaßt, die Entdeckung der Mörder auch ihrerseits zu einer Ehrensache aller zu machen, und war deshalb übereingekommen, daß dasjenige ihrer Mitglieder, das möglicherweise zu dieser Entdeckung beitrage, auf die Prämie von 1000 Talern Verzicht leisten solle. Nachdem aber der wahre und vermeintliche oder auch wirkliche andere Mörder entdeckt war, meldete sich Hirschel Mendel, der die Uhr Kügelgens nachgewiesen hatte, und beanspruchte die 1000 Taler. Gleich darauf kam auch Löbel Graf und forderte dieselbe Summe, weil er die den Erschlagenen geraubten Oberröcke angegeben hatte. Statt der Prämie zu entsagen, prozessierten beide miteinander über den früheren oder späteren Anspruch. Die Sache wurde durch einen Vergleich geschlichtet; die beiden Juden teilten sich in die Prämie.
Die Tragödie ist folgende: Kaltofens Hinrichtung wurde für das Volk in Dresden ein Fest, wie es nicht sein soll. Der junge, hübsche Mensch war auf so vornehme Weise wie ein großer Herr mit allem möglichen Gepränge vom Leben zum Tode gebracht worden. Alle Welt hatte sich um ihn gedreht, seiner Eitelkeit war auf alle Art geschmeichelt worden, und da ein Geistlicher ihn begleitete, war er obendrein fromm gestorben und gewissermaßen vom Schafott durch leichte, rasche Todesart geradeswegs in den Himmel gekommen. Unter die Tränen, die dabei vergossen wurden, stahl sich mancher Seufzer, auch unter solchen Festlichkeiten und an der Hand eines ehrwürdigen Priesters öffentlich zu sterben; das alles erschien als ein Glück, ein Vorzug, der dem Verbrecher vor dem Unschuldigen wurde, der vielleicht langsam, qualvoll, in dunkler Hütte und auf faulem Strohlager, von keinem Teilnehmenden besucht, der Erlösung entgegenschmachtete.
Auf die Phantasie eines unglückseligen, sittlich verderbten Weibes hatte die Hinrichtung einen unauslöschlich bezaubernden Eindruck gemacht. Sie wollte auch so gottselig sterben. Vier Wochen nach Kaltofens Hinrichtung lud sie ein verlobtes Mädchen zu sich ein und bewirtete es. Als das Mädchen bald darauf einschlief, ermordete sie es im Schlafe. Sie reinigte den Leichnam und die Mordwerkzeuge und gab sich nach wenigen Stunden bei der Polizei selbst als Mörderin an. Freimütig bekannte sie als Motiv, daß schon früher bei zwei anderen Hinrichtungen, im Jahre 1804 und 1809, der Gedanke in ihr rege geworden sei, auch einen Mord zu begehen, um auch so sterben zu können; nach Kaltofens herzerhebender Hinrichtung aber habe sie dem Wunsche nicht mehr widerstehen können. An ihrer Stubentür hatte sie das Datum der Exekution verzeichnet, um immer an die Vorgänge dieses Tages erinnert zu werden.