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Elftes Kapitel.
Der Würgengel

Der Mittagstisch hatte sich bis zum Abend verzögert, die preußischen Offiziere waren wohlgelaunter als je. Die Unterhaltung brach nicht ab. Nur Etienne blieb nachdenkend. Er verließ zuweilen das Zimmer und kehrte anscheinend nicht heiterer wieder. »Ich finde ihn nicht,« flüsterte er Eugenie zu. Die Gespensterstunde war gekommen und der General hatte heute wirklich, von dem Fräulein gemahnt, es übernommen, seinen schuldigen Tribut der Republik zu entrichten.

»Von Kindheit an,« hub der Erzähler an, »erweckte mir der Name Würgengel ein eigenes Grauen. Ob ich ihn von der Amme zuerst aussprechen gehört oder vom Informator, der mir die Historien des Alten Testaments auslegen mußte, weiß ich nicht. Der Würgengel, der in die Heerscharen der Feinde Israels fuhr, war mir so schrecklich, als wenn es hieß: den und die aus der Nachbarschaft hat nun auch der Würgengel geholt. Eben weil man mir kein Bild davon geben wollte, schuf ich mir eines selbst und stattete es mit all dem Reichtum von Gräßlichem aus, der der Knabenphantasie zu Gebote stand. Was ich vom Heidentum und vom Judentum wußte, mußte kontribuieren zur Ausmalung der häßlichen Gespenster. Sie gingen gewiß auf Pferdefüßen, wie unser Gottseibeiuns oder der alte Gott Pan, hatten Krallen wie Harpyen, Körper wie Totengerippe, wie unser Freund Hein, Flügel wie Fledermäuse und Sensen darin. Die Vorstellungen wechselten nun wohl, aber nicht zum Besseren. Aus der Raupe wurde kein Schmetterling, sondern aus dem Schmetterling eine Raupe.

Man hatte sich auf meines Vaters Gut gerade keine Mühe gegeben, meinen Verstand darüber aufzuklären; als ich aber in die Stadt aufs Lyzeum kam, wurde die Sache nur schlimmer. Die Frau, bei der ich in Kost war, wohnte im Judenviertel. Auf Schmutz, Armut, Häßlichkeit stieß man bei jedem Schritt von der Schwelle, und bei jedem Blick aus meinem Dachfenster sah ich über die enge Gasse in dürftige, eng vollgestopfte Wohnungen. Üble Gerüche, Lumpen, abgetragene, ekelhafte Kleidungsstücke, mit denen sie Handel trieben, und ein Gesicht immer häßlicher wie das andere. Die Weiber zumal, unter denen ich kaum eine hübsche gesehen; oder der Sekundaner gab darauf noch nicht acht, und eine widerwärtige Fratze hatte mehr Attraktionskraft für die zum Schrecklichen hinneigende Einbildungskraft, als ein Paar funkelnde Augen und rote Backen auf dem schneeweißesten Gesicht. Auch waren ihre Stimmen mir unausstehlich, mochten sie unten schachern oder oben beten. Ein angesehener Rabbiner lag im Sterben; von Tag zu Tag wurde sein Tod erwartet; man sprach viel davon, denn die große Zahl von Armen hoffte auf Schenkungen und was sonst bei Begräbnissen reicher Leute für die Dürftigen abfällt. »Heute nacht,« sagte die Schneidersfrau, bei der ich in Kost und Wohnung war, »werden nun wohl die Würgengel kommen,« damit schickte sie mich zu Bett und leuchtete mir mit der Lampe in meine Kammer, denn es ging aus Gründen bei ihr und bei mir etwas genau her, und wenn ich bei Licht arbeiten wollte, mußte es an ihrem großen Tische geschehen, auf dessen anderer Kante der Meistergesell nähte und bügelte. Aber diese Nacht hätte ich meinen Sparpfennig und mein Taschengeld auf drei Wochen verausgaben mögen um ein kleines dünnes Talglicht neben meinem Bette.

Ich war sonst ein beherzter Bursche, auch vor Gespenstern hatte ich keine Furcht, aber vor Würgengeln. Meine Träume im Schlafen oder Wachen waren fürchterlich. Es war eine stürmische, regnerische Nacht. Es heulte in den Schornsteinen, und die Dachziegel flogen. Mitunter hörte ich das Heulen, Beten, Singen, oder was es war, der Juden von drüben. Meine Decke lastete auf mir wie ein Alp, meine Brust wollte springen, ich fühlte: jetzt kommen die Würgengel. Durch die enge Gasse tief unter mir verhallte es; stöhnend und hustend schlurrte es die Treppen herauf. Auf einmal waren sie auf den Dächern und kletterten oder schwebten wie Mondsüchtige über die Giebel. Der Sterbende richtete sich ächzend auf. Seine stieren Augen sahen sie kommen, ob sie schon niemand sah, seine mageren, gelben Hände baten dringend die Umstehenden, daß sie dicht um ihn stehen bleiben möchten. Sie versprachen es ihm, und doch wandten sie sich vor Schmerz um, ihre Tränen vor ihm zu verbergen. Da war es um ihn geschehen, denn wie ein Blitz waren die Würgengel über ihn gekommen, und als die Angehörigen sich umblickten, lag er kalt und tot.

Ich wachte von dem Todesschrei, der mir in die Ohren gellte, auf und hörte es voll drei Uhr schlagen. Der Regen goß draußen in Strömen, und ich war in Schweiß gebadet. Was waren alle Schrecken der Novembernacht gegen die Schrecken des Traumes! Ich zog mein blaues schweres Deckbett über die Ohren und schlief bis weit in den Tag hinein, um, als ich aufstand, von nichts zu hören, als daß der Rabbiner die Nacht gestorben sei, wie die Klageweiber an seinem Bette heulten, wie man die Leiche anspucke, verfluche und von all den gräßlichen Zeremonien, welche bei einem orthodoxen Judenbegräbnis angenommen werden. Jeder Kunde und jeder Besuch bei meiner Schneidersfrau erfuhr Wort für Wort alle Umstände des Todes haarklein, und wohl zehnmal mußte ich es hören: ›Schlag drei Uhr haben ihn die Würgengel geholt.‹ Auch der Sekundaner hatte kein Herz zu fragen, was sie damit meine; allein von der Zeit an veränderten sich meine Vorstellungen von den Würgengeln. Aus den bocksfüßigen Teufeln wurden nun grundhäßliche alte Judenvetteln, und was mir von widerwärtigen Zügen, von spitzen gekrümmten Nasen, vortretenden Kinnen, triefenden Augen an den Trödlerinnen meines Judenviertels aufstieß, verschmolz sich zu dem neuen Bilde.«

»Mit Vergunst, Euer Exzellenz,« unterbrach Etienne den General: »Sollten die Würgengel bei den Juden ein bloßes Phantom sein?«

»Soviel ich mich aus meinen Kinderjahren entsinne,« bemerkte ein anderer Offizier, »existierte bei den jüdischen Familien unserer Stadt, welche ein Mitglied durch den Tod zu verlieren hatten, eine sehr erklärliche Furcht vor ihnen: denn es sollten keine Gespenster sein, vielmehr lebendige alte Frauen, welche die Verpflichtung haben, jedem Sterbenden, ehe er stirbt, die Gurgel zuzudrücken, sei's aus Aberglauben oder ihm die letzte Agonie zu ersparen. Diese Frauen, wie zu vermuten steht, häßliche und alte, sind darauf geschworen, Gott weiß bei wem, es ist ihre religiöse Pflicht. Sie wachen und lauern nun, wo sich ein Todesfall nähert und sind bei der Hand, ehe man sich's versieht, gleich Ihren im Traume. Unter aufgeklärten und begüterten Juden kauft man ihnen gern vorher die Verpflichtung ab, bei anderen Familien bewachen und hüten die nächsten Angehörigen ihre Sterbenden; aber die teuflische Hurtigkeit, mit der die Unholde hinter den Türen und Vorhängen lauernd oder unter Verkleidungen ins Krankenzimmer dringend die Familie doch überlisten, ist das Gespensterhafte.«

»Sind Sie von Ihrer Erklärung überzeugt?« fragte der General.

»Ich habe es nie anders gehört.«

»Hörensagen, Herr Kamerad!«

»Es ist so lange her, daß ich bestimmtere Auskunft nicht zu geben vermag.«

»Ich habe auch dunkel davon gehört,« fuhr der General fort. »Indes wird die Sache durch Erkundigungen darüber nicht heller. Fragen Sie einen aufgeklärten Hebräer, so lächelt er, und ein orthodoxer Anhänger des Talmuds schweigt. Auch weiß ich nicht, was minder gespensterhaft ist, wenn wir einen wirklichen Würgengel, einen Abgesandten des Todes annehmen oder häßliche, alte Leichenfrauen, die in affrösem Aberglauben, eine Imitation der israelitischen Würgengel unter Pharaos Ägyptern, herumschleichen, bei den Sterbenden sich eindrängen und sie erdrosseln, ehe sie ihr Sterbegebet beendet haben. Die Polizei schon dürfte diese Engel nicht dulden.«

»Herr General glauben also in der Tat an jene anderen, an Würgengel, so über den Lebenden hinschweben und ihre Opfer sich auswählen?«

»Wer, mein Freund, sollte nicht glauben, der ein paar Bataillen mitgemacht hat! Wenn ich wußte, die Armeen stehen sich gegenüber, morgen greifen wir an, und ich legte mich nun zum letztenmal in den Mantel gehüllt, den Kopf auf dem Sattel, schlafen, dann sah auch ich, der ich kein Talmudist bin, die Würgengel auf den schrägen Mondstrahlen herabschweben, über die halb im Schatten verhüllten Schläfer fortsteigen und die Stirnen derer küssen, die morgen abend liegen sollten, um übermorgen nicht wieder aufzustehen.«

»Dergleichen Würgengel werden auch andere mit Ihnen gesehen haben. Es ist eine poetische Allegorie.«

»Nicht ganz, mein Bester. Meine Würgengel umarmten sehr bestimmte Personen. So war für mich schon vor der fatalen Affäre bei Görlitz Winterfeld gezeichnet – und was sage ich erst von Schwerin –«

Man wurde aufmerksamer. Die Zuhörer rückten näher, es war so still, daß man die leisen Kohlenflämmchen im Kamin spielen hörte. Der Spott, der hier und da auf den Lippen der Zuhörer geschwebt, machte immer mehr einer ernsten, ja ängstlichen Spannung Platz, je unbefangener der General fortfuhr, der seinem Ruf, als besonnener Mann und halber Spötter, bisher noch in nichts vergeben hatte!

»Sie müssen nicht glauben, meine Freunde, es wäre ein angenehmes Gefühl, vorauszuwissen, daß jemand sterben muß. Gern hätte ich meine Wissenschaft von mir abgeschüttelt, oft machte ich mich selbst über mich lustig, verspottete mich, gab mir Mühe, meine Ahnung zuschanden zu machen. Allein es half nicht; je mehr ich dagegen anstrebte, um so schlagender wurden die Beweise dafür. Und nun zumal ist das Gefühl ein herbes, wenn ich das baldige Abscheiden eines näheren Bekannten, ja eines Freundes vorausfühle.« Ein Blick aus seinem Auge fiel dabei zufällig oder mit Absicht auf den Wirt.

»Aber, teuerster Freund,« sagte dieser, »wie drückt sich diese Ahnung bei Ihnen aus? Lesen Sie auf dem fremden Gesicht einen Zug, der Tod bedeutet? Dann möchten Sie sich doch oft täuschen. Der Weltmann hat so viele Mittel, seinen Mienen einen seinen Empfindungen widersprechenden Ausdruck zu geben.«

»Nein, mein verehrtester Graf, meine Kennzeichen sind ganz besonderer und sehr bestimmter Art. Ich gebe gern zu, daß meine Phantasie sich darin täuscht; seltsam bleibt es nur, daß es bisher noch immer eintraf.«

»Sie beruhigen uns schon,« sagte der Graf, »wenn Sie uns die Versicherung geben, daß Ihre Kenntnis nur partiell ist, Sie also nicht von jedermann voraus wissen, ob und wann er sterben muß.«

»Davor behüte mich der Himmel!« fuhr der General fort. »Meine hellsehende oder ahnende Kraft kommt immer nur periodenweise und ängstigt mich dann oft so sehr, daß ich gewiß bin, ich hielte es nicht aus, wenn sie immer dauerte. Doch um wieder zur Sache zu kommen, so habe ich Ihnen zu sagen, daß sie anfing mit dem Tode jenes Rabbiners. Ich verfiel in ein hitziges Fieber und träumte während der vierzehn Tage von nichts als grundhäßlichen Judenweibern, die um mein Bett herumgaukelten, sich auf mein Kopfkissen setzten, mir das Deckbett fortrissen, sich unter dem Bette verkrochen, die Arznei einrührten, und was der tollen Phantasiebilder mehr waren. Ich war, wie ich nachher erfuhr, gefährlich krank gewesen, indes meine gesunde Natur kämpfte siegreich mit den Würgengeln, und seitdem hatten sie mich persönlich bis gestern nacht aus dem Spiele gelassen.«

»Bis gestern nacht?« fragte man erstaunt. Der Wirt rückte vom Erzähler ab, aber sein Auge haftete desto besser auf seinen Lippen.

»Dann haben Sie also keine Ahnungen gehabt seit Ihren Schuljahren?«

»Verstehen Sie wohl. Mich selbst hatten sie mit ihren einladenden Umarmungen oder wie Sie es nennen wollen, verschont. Desto öfter erschienen sie mir als Boten für andere.«

»Und versuchten Sie niemals die anderen zu warnen?«

Der General zuckte die Achseln. »Kennen Sie nicht das Schicksal der Kassandra? Man würde den preußischen Obristleutnant seltsam angesehen haben, der den Tag vor der Görlitzer Affäre vor die Front getreten wäre und den General Winterfeld gebeten hätte, sich zu schonen, dieweil er geträumt, daß denselben ein Würgengel umhalst. Übrigens geschah es nur selten, daß die Erscheinung mir den Tod solcher distinguierten Leute anzeigte.«

Der Graf schien beruhigter: »Doch sind Sie uns noch immer eine eigentliche Beschreibung Ihrer Gespenstererscheinung schuldig.«

»Sie sollen alles hören, was ich weiß. Eine geraume Zeit, nachdem ich für meine Person mit ihnen gerungen, ließen mich die Gespenster in Ruhe. Ich kam von der Schule zur Armee. Die Exerzitien ließen nicht viel Muße zu, um Geister zu wittern. Die wenigen ersten Vorfälle sind mir dunkel, oder ich hielt sie für bloße Träume. Erst als mich das grassierende Lazarettfieber im schlesischen Kriege hart darniederwarf, wurde ich bald nur allzu lebhaft an sie erinnert. Der Würgengel sei in der zum Lazarett umgeschaffenen Kaserne geschäftig, hieß es. Er klopfte Tag und Nacht an die Türen. Je länger, je schwerer ich daniederlag, um so deutlicher verwandelte sich die Metapher bei mir zu etwas Wesentlichem. Ich hörte den schrecklichen Engel umhergehen und verfolgte schlafend und wachend seine Tritte. Er ließ auf jenem Flügel nach und kam zu unserem herüber. Als Inspizient kannte ich genau die Lokalität des Gebäudes, die Korridore, Treppen, die Stuben, Kammern, ihre Nummern, wußte auch zum Teil, wer darin lag. Er schlich stöhnend, ächzend die Hintertreppe herauf nach Numero 5. Ich fragte am Morgen, wer in der Nacht gestorben? ›Der Feldwebel aus Numero 5!‹ war die Antwort.

Die nächste Nacht wurde es viel unruhiger, es drückte die Türen auf von Numero 6, 7 und 8. Einen Offizier und zwei Gemeine, die darin lagen, trug man schon beim grauenden Tage vors Tor. Nun machte der Würgengel Sprünge; daß ich mich nicht etwa aus der Reihenfolge täuschen sollte, drang er den nächsten Abend in Numero 11 und 15 ein. Seine Freunde fürchteten für einen schwer erkrankten Hauptmann, sie hatten von ihm um Mitternacht Abschied genommen, ihn verloren gebend. Ich wußte es besser, der nächtliche Schleicher war bei seiner Tür vorbeigegangen und gegenüber eingetreten, bei einem jungen Fähnrich, der, schon in der Genesung, nächste Woche zur Armee abzugehen hoffte. Der Hauptmann genas, den Fähnrich trug man gegen Mittag hinaus.

Ich hatte Lust zum Leben, meine Herren, wie sollte ich nicht? Meine Karriere war glücklich, meine Krankheit nicht unheilbar, der König war mir gewogen. Sie verdenken mir es deshalb nicht, wenn mein Herz vernehmbar schlug, als ich den Schleicher diese Nacht den Gang heraufkommen und an der Tür zu meinem Nebenzimmer pochen hörte. So nahe war er mir noch nicht gekommen. ›Herein, herein!‹ rief der Leutnant, mein Nachbar, der an einem Herzenskummer so schwer daniederlag als an einer schmerzhaften Wunde. Deutlich hörte ich, wie das Gespenst an sein Bett trat, wie der Arme schwer aufstöhnte – zum letztenmal, und am Morgen sagte mir der Feldscher: ›Ihr Kamerad hat nun ausgelitten.‹ Er kam die folgende Nacht denselben Weg, er blieb an meiner Tür stehen, er horchte am Schlüsselloche. Eis des Todes umstarrte mich, ich konnte die Glieder nicht rühren, nicht die Lippen bewegen. Die Türklinke bewegte sich, aber er besann sich anders, die Tritte schlurrten weiter, und er drückte die Tür auf zu meinem Nachbar rechts. Der Arme schied nicht so gern, wie der links von dieser Welt. Er rief nicht herein, er wehrte mit aufgerichtetem Leibe den Eintretenden ab, er stieß ihn fort, ich hörte ihn ringen, stöhnen, kreischen, röcheln, und konnte nicht helfen. Am anderen Morgen fand man ihn tot und neben dem Bette liegen. Mich aber fand man so bedenklich krank, daß der Arzt meinem Burschen befahl, die folgende Nacht bei mir zu wachen. Ach, was hilft das, dachte ich, wenn der Würgengel vor der Tür stehen bleibt, horcht, sie aufklinkt und sich nicht ein zweitesmal anders besinnt. Und doch war mir der Befehl des Arztes angenehm. Vielleicht hatte das Gespenst vor zwei Wesen mehr Scheu als vor einem einzelnen! –

Der Abend kam, die Nacht, Mitternacht war vorüber, die Hähne krähten, der Würgengel war noch nicht da, es war ruhiger als je. Mein Blut löste sich wieder, ein angenehmer Schweiß perlte auf der Stirn, ich hörte meines Burschen tiefes Aufatmen; er war auf einem Strohsack neben dem Bette eingeschlafen. Da regte es sich am äußersten Gange, langsam kam es herauf; an meiner Tür blieb es stehen, nicht allzulange. Sie klinkte auf und es trat ein. Ich lag in einem Starrkrampf, mein Körper war ein harter Stein. Meine Stunde hatte geschlagen, weiter konnte ich, wagte ich nicht zu denken. Noch fühlte ich wie es sich neben mir hinsetzte, sich über mich bog, Aug' in Aug, mich ansah, und mir vergingen die Sinne. –«

Es war womöglich noch totenstiller als vorher geworden.

»Sie sind aber noch nicht gestorben?«

»Noch nicht, meine Herren. Allein mein armer Bursche war in der Nacht erkrankt, und es war die letzte, wo er für jemand gewacht hat. Er starb im Verlauf des Tages.«

»Wenn es auch nur Traum war, so haben Sie doch diesmal nicht bloß gehört, sondern gesehen. Kam nun die Erscheinung mit Ihrer früheren Vorstellung überein, oder mit der letzten, oder wie sah das Gespenst aus, das Sie für den Würgengel hielten?«

»Kann man einen leeren Raum beschreiben, ein körperliches Wesen, das keinen Schatten wirft, keine Eindrücke, und Sie werden mir glauben, auch keinen infernalischen Duft zurückläßt? Jetzt war sein Kopf hier, jetzt dort, ich sah, wie es das Bein hob, ohne daß ich das Bein sah, den Platz auf der Diele, wo der Fuß auftrat, aber den Fuß nicht, die Feder von meinem Bett, auch nicht einmal die Luft bewegte sich. Was ich sah, oder nicht sah, ließ sich mit keiner Farbe, keinem Griffel, auch nicht mit Worten wiedergeben. Aus dem Schreckgespenst des Knaben war ein Phantasma des Verstandes geworden, um so grauenhafter, als dieser selbe Verstand es mit logischer Schärfe verfolgen konnte. Nur insoweit hing es mit den Sinnen zusammen, als meine Wahrnehmung niemals weiter als diese reichte. Als der Tod noch auf dem anderen Flügel wütete, war mir der Eindruck weit deutlicher, ich hörte, ich sah es wohl hinschleichen, konnte aber nicht angeben, wo es bestimmt anklopfte, einkehrte; je näher für mich der Sterbende lag, um so deutlicher, bestimmter wurde die Wahrnehmung. Ich hätte auch gewiß in der Nacht gesehen, daß es meinen Burschen berührte, ihn küßte oder erdrosselte, wenn nicht der Schreck in dem Augenblick mich völlig besinnungslos hingestreckt hätte.«

»Dann wäre es am besten,« bemerkte jemand, »um vor Ihrem nächtlichen Würgengel geschützt zu sein, sich so fern als möglich von Ihnen zu betten.«

»Gewiß!« sprach der General sehr ernst und starrte eine Weile vor sich hin, ehe er wieder anhub. »Nun vergingen mehrere Jahre, wo der Engel niemand in meiner Nähe oder doch nur gleichgültige Personen heimsuchte. Denn auch das muß ich bemerken, je näher der Sterbende mich anging, um so lebendiger war der Eindruck. Ich lag zu Ausbruch dieses Krieges in Magdeburg in Garnison. Woher es kam, daß in dem ganzen Hause dazumal bis auf den Portier unten niemand wohnte, ist mir nicht erinnerlich. Meine Domestiken waren auch unten einquartiert, denn seit jenem Vorfall hatte ich, so weit sich das einrichten ließ, es gern, wenn niemand in meiner Nähe schlief. Sie mögen begreifen, daß es etwas Peinliches hat, Zeuge so herzbrechender Besuche zu sein, die uns nicht gelten.

Eines Nachts, als ich das Licht auslöschte, überkam mich aber doch ein Gefühl, wie wenn es besser wäre, ich hätte jemand bei mir, denn im Schreibsekretär lagen einige tausend Taler, Gold und anderes von Pretiosen, alles zum nahen Ausmarsch gesammelt. Indessen sind die Mauern des Breiten Weges dick und ich bin nicht der Mann, der leicht Besorgnis schöpft. Ich schlief ein. Die Wetterfahne krächzte am Giebel meines Hauses, als ich aufwachte, und das glaubte ich, sei es, was mich geweckt. Allein nun hörte ich deutlich die Haustür öffnen und zuschlagen. Es kam die Treppe herauf; es waren mir nur zu wohlbekannte Tritte. So geht kein menschliches Wesen. Es verweilte nicht in der ersten Etage; was sollte es da suchen, wo niemand wohnte. Es schlurrte die zweite Treppe herauf. Der Tod sucht nur das Leben. Wer lebte außer mir auf dem Dache, und daß sich ein Gespenst bemüht, um den Tod von Mäusen anzuzeigen, kam doch wohl noch nicht vor. Sie mögen die Empfindungen eines Mannes begreifen, der also diesmal ohne Todesableiter mutterseelenallein in seinem Bette lag. Was schildere ich Ihnen noch einmal wie das Herzblut zerrann, als es hustend vor meiner Tür stehen blieb, und die wohl verschlossene und verriegelte aufdrückte. Ich wollte aufspringen, einen Kampf mit dem Würgengel wagen; ich konnte kein Glied rühren, die Augen waren starr darauf gerichtet, und nun war es an meinem Bett; mit ausgestreckten Armen legte es sich über, wie wenn man von Lieblingskatzen sagt, die sich quer über den Hals von Schlafenden legen, mit ihrer Liebe sie erwürgend. Es stöhnte und ich sank zusammen.

Doch war die Willenskraft diesmal so mächtig, daß nach wenigen Sekunden die Sinne wiederkehrten. Es war fort und war doch keine Täuschung gewesen. Ich fühlte mich nicht krank, aber ich wußte doch: ich mußte folgenden Tages sterben. Meine Sekunden waren gezählt. Der Tod sollte mich gerüstet finden. Ich sprang aus dem Bette, warf mich in die Kleider, den Säbel um, ihm doch auch als Kriegsmann ins Auge zu schauen. Nun schellte ich: Licht, Leute und Doktor mußten kommen, ich verhehlte ihnen nicht, daß ich den Tod in mir fühle, und überließ dem Arzt meinen Puls, um nach meiner Krankheit zu suchen. Die fand der gelehrte Medikus nun zwar nicht, allein meine Leute fanden statt dessen unter meinem Bette einen Kerl, einen entlaufenen Baugefangenen, der seinen Sergeanten erschlagen und es wahrscheinlich mit mir nicht anders würde gemacht haben, wenn mich der Würgengel, der ihn zu suchen kam, nicht gewarnt hätte. Die Sache war bald in Richtigkeit, man verfuhr nach Kriegsrecht etwas summarisch und er sah am Abend selbigen Tages die Sonne zum letztenmal untergehen. Sie mögen denken, daß mir seine Hinrichtung Beruhigung gewährte.«

Man hatte mit verhaltenem Atem zugehört. Der Graf saß im Lehnstuhl mit untergeschlagenen Armen; sein Auge musterte die Decke. »Wie der Mensch sich und andere durch Einbildungen quält,« warf er hin, als wünsche er, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Ich stimme Ihnen von ganzem Herzen bei,« erwiderte der General.

»Man sollte sie schon aus der Ammenstube verbannen.«

»Man hat wohl oft den Versuch gemacht, allein je strenger man verfuhr gegen die arme Einbildungskraft, um so ärger hat sie sich gerächt. Sie spielt dann häufig am unrechten Orte einen Streich; da wo es alle Kräfte des Verstandes zusammenzuhalten gilt. Wie mancher ausgezeichnete große Mann arbeitete besonnen und klug jahrelang nach einem Plane, auf ein Ziel hin. Nun hat er den letzten Schritt zu tun, die Hand zu erheben, ein Wort zu sprechen und plötzlich macht ihn die Bedeutung des Momentes befangen, seine Sinne sind umnebelt, er zaudert, wankt, der klare Blick verläßt ihn, der Verstand faselt, alles war bisher berechnet, und nun läßt er es im wichtigsten, entscheidendsten Augenblicke auf ein Ungefähr ankommen, er wartet auf ein äußeres Zeichen, er würfelt, zählt an den Knöpfen ab. Das kommt häufiger, als wir denken.«

Allein die Gesellschaft war durch die Mitteilungen noch nicht befriedigt: »Sie ließen vermuten, daß Ihnen selbst vorige Nacht etwas derart begegnet.«

»Mein Gott, haben Sie nicht schon genug von den Albernheiten gehört,« sagte der General. »Sie sehen, es ist unserem Wirt nicht angenehm. Ein andermal – wenn Sie durchaus Lust haben. Nicht wahr, teuerster Graf?«

»Doch nicht meinethalben!« fiel der Graf mit einer Miene ein, die Heiterkeit lügen sollte. »Ein Märchen muß ein Ende haben, erzählen Sie aus – vielleicht ist es ein lustiges. Des Menschen Pflicht ist es, seine Schwachheiten kennen zu lernen, – um sie belächeln zu können.«

»Das gebe der Himmel! Mir fiel damals freilich ein Stein von der Brust, allein lächeln konnte ich nicht. Denn durch den Vorfall wurde nur mein Glaube bestärkt. Vergangene Nacht – Sie können es mir bezeugen, Leutnant Etienne, in welcher Stimmung Sie mich fanden, als Sie mir den Rapport brachten – ich hatte das Vorgefühl eines Vorgefühls, ungefähr wie damals in Magdeburg. Ich fürchtete mich, das Licht auszulöschen, das Eis an den Fensterscheiben schnitt mir grimmige Gesichter, der Ofen glühte und die Zugluft pustete aus den Wänden. Selbst mein Bett kam mir unheimlich vor, wenigstens der dunkle Alkoven, und ich ersuchte den Leutnant um den kameradschaftlichen Dienst, es mit mir in die Stube zu tragen.«

Etienne neigte sich, es bejahend.

»Sehen Sie nicht so finster aus, lieber Leutnant. Ich muß Ihnen etwas wunderlich vorgekommen sein. Es war einmal Stimmung. Ich wünschte allein zu sein, ob ich mich doch gewissermaßen fürchtete; darum trieb ich Sie fort. Nachdem ich die Tür verschlossen, die Pistolen mit gespanntem Hahn auf das Taburett neben mein Bett gelegt, versuchte ich zu schlafen. – Einige Schneelawinen, die der Sturm vom Dach heruntertrieb und deren eine das Fensterbrett lädierte, weckten mich wieder auf. Es war totenstill. Da hörte ich das mir nur zu wohl bekannte Husten – die schlurrenden Knochentritte –«

»In diesem Schlosse?«

Der General nickte. »Sie kamen durch den Seitenflur, die steinerne Wendeltreppe im Turm herauf. Draußen hielt es still, es schauderte, als ob auch den Tod fröre.«

»Der Würgengel?«

»Ich täusche mich darin nicht mehr. Die Tür ging auf, es schritt – doch Sie erlassen mir die weitere Beschreibung –«

»Mein Vater, was ist Ihnen?« rief die Komtesse.

»Nichts, liebe Eugenie, nichts,« entgegnete der Wirt, sie von sich wehrend. »Weiter, weiter, Herr General.«

»Meine Geschichte ist zu Ende.«

Der General wollte aufstehen. Die stieren Blicke der Versammelten schienen ihn festzuhalten.

»Und Sie waren bei wachen Sinnen?«

»So gewiß als jetzt.«

»Wie der Graf bleich wird!« bemerkte jemand.

»Ist an meiner Vision etwas,« sagte der General, »so können Sie, Herr Graf, für sich und die teuren Ihrigen unbesorgt sein. Diesmal wenigstens konnte der schreckliche Besuch nur mir, mir ganz allein gelten; denn selbst unter meinem Bette steckte niemand, wie ich mich durch Augenschein davon zuvor überzeugt. Sonst schläft keine Seele in dem Turme und zwischen den Wänden steckt doch wahrscheinlich – nur der Holzwurm.«

»Verloren Sie nicht die Besinnung?« fragte jemand.

Der Gefragte antwortete etwas unwillig: »Ich bin ein Soldat und ein Soldat muß jeden Augenblick auf sein Ende gefaßt sein. Ich empfahl meine Seele dem Herrn über Leben und Tod und stand auf, einige letzte Verfügungen zu notieren.«

»Wann war das?« fragte der Graf mit tonloser Stimme. Man sah ihn verwundert an.

»Schlag zwei Uhr.«

»Also da schon?« stöhnte er mit regungslosen Lippen.

»Ich habe da auch an Sie gedacht, teuerster Graf.«

»An mich?«

»Sie werden ein Andenken für Ihre edle Gastfreundschaft nicht verschmähen – für den Todesfall

»Der Graf wird unwohl!« rief man.

»Wie verschwand der Würgengel, wenn Sie die Besinnung behielten?« fragte noch ein Neugieriger.

»Er griff, mit einem Knie auf meiner Brust, über mein Bette weg nach der Wand und Sie mögen aus diesen Umständen entnehmen, daß es diesmal wohl nur ein Alpdrücken war. – Lassen Sie uns den Grafen beruhigen,« setzte er halblaut hinzu.

Die Rücksicht kam zu spät. Der Wirt war aufgestanden, um am Arm seiner Tochter sich zu entfernen. Ein Schrei schreckte die Gesellschaft auf. Der Graf war, einige Schritt von der Tür, ohnmächtig niedergesunken. »Heiliger Gott, was ist das?« – Eugenie kniete neben ihm und hielt den Kopf des Vaters. Alles Unruhe, Sorgfalt, Bewegung; nur der General stand ruhig in dem Tumult und musterte die Dielenritze, in die er die Spitze seines Spazierrohres steckte. »Es wird nicht so arg sein,« hörte ihn Etienne, der Eugenie beisprang, murmeln, wie es seine Art war. Der Graf erholte sich und konnte, vom Kammerdiener und Jäger untergefaßt, das Zimmer verlassen. Als Eugenie ihm folgen wollte, zog sie ein sanfter Händedruck zurück. Der General flüsterte ihr zu: »Beruhigen Sie sich, schöne Komtesse. Ihr Vater wird nicht sterben.«

Zu Etienne sagte der General, als das Zimmer leer war und des Leutnants Blick ihn fixierte: »Haben Sie verstanden? – Ich meine, der Graf wird nicht mehr hinter der Tapete horchen wollen, wenn Sie mir Rapporte bringen.«


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