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Zweites Kapitel.
Die Gespenster-Republik

»Die treten, mein teuerster Freund,« sagte der Wirt zum General, nachdem er ihm die Gesellschaft im Familiensaale vorgestellt, »in einen fremden Kreis, gleichsam in eine Republik, und ich muß als vorsichtiger Wirt Ihnen voraus die Frage stellen, ob Sie in die Gesetze dieser Republik sich fügen und ein guter Republikaner sein wollen? Oder ziehen Sie es vor, uns neue Gesetze vorzuschreiben? Das ist das Recht des Eroberers!«

Der General warf einen flüchtigen Blick auf die ihm größtenteils wohlbekannten Gesichter: »Fern sei es von mir, mich auf die Rechte des Eroberers zu berufen. Ich denke, man empfängt mich hier als alten Freund; sonst muß ich freilich bekennen, wie ich so mit meinem Monarchen zufrieden bin, daß ich um keine Krone der Welt seine Dienste verließe. Indessen,« setzte er verbindlich hinzu, »in eine Republik aufgenommen zu werden, wo eine so loyale Signora mich begrüßt und ein so würdiger Doge mich einführt, würde ich keine Opfer scheuen, soweit sie in meinen schwachen Kräften stehen. – Ich hoffe doch, es ist eine Republik, in der man auch eines Königs, wenn er ein Friedrich ist, mit Ehren gedenkt.«

»Das tut mir leid, Ihnen nicht versprechen zu können. Friedrich ist hier verbannt.«

»Wie das?« fragte der General befremdeter und las in den Gesichtern der Offiziere.

»Friedrich ist hier verbannt, aber auch Maria Theresia. Man darf nicht von Zieten und nicht vom Erbprinzen von Braunschweig, aber auch nicht von Laudon und Daun reden. Nicht von Kriegsplänen, nicht von Festungen, ja niemand von seinen Heldentaten, was, wie unsere mutwillige Cousine meint, das grausamste Gesetz ist. Und noch viel weniger als man das Gespräch auf das Geschehene leiten darf, ist es erlaubt, von dem, was noch geschehen soll, zu sprechen. Jede Vermutung, was sich begeben wird und könnte, ist Hochverrat in unserer Republik. Die Politik ist hier geächtet, und alle Worte, die sich darauf beziehen, sind schon verdächtige Ware.«

»Das gefällt mir,« rief der General, schnell darauf eingehend. »Sie leben in einem Arkadien. Wer wollte nicht mit Vergnügen in eine solche Republik treten!«

»Zum Arkadien,« nahm der Graf wieder das Wort, »wollten die zugefrorenen Scheiben nicht recht passen, auch fehlte es uns hier an Schäferinnen für die ansehnliche Zahl Schäfer mit Schnurrbärten und Sporen, die einige Mühe hätten, in unserem Schnee einen grünen Wiesenplan zu finden. Allein Sie finden allerdings eine Kolonie von Leuten, die, mit der Zeit, in der sie leben, unzufrieden, den Versuch gemacht, sich in eine andere zu versetzen. Man ist hier so müde geworden der täglichen Kriegsgespräche, müder, als die, welche seine Lasten tragen müssen, des Krieges selbst. Überdrüssig sogar des politischen Räsonnements darüber, hat man sich das Wort gegeben, mit keiner Silbe der kriegführenden Potentaten zu erwähnen, da man ja doch nicht ändern kann, was sie einmal beschließen. Der Winter ist so rauh und der Himmel so grau, daß die Einbildungskraft nach Dingen und Vorstellungen sucht, die ganz außer unserem traurigen Gesichtskreise liegen.«

Der General, wie es schien, in Gedanken versunken, die eine andere Richtung genommen, fiel dem Grafen ins Wort: »Wohl haben Sie recht, der Himmel ist grau und die Zeit ist grau. Wo wir hinblicken, Pulverdampf und mit Blut gedüngter Boden, auf dem nichts als die stolze Distelstaude: Ehre wuchs. Der Patriot fragt sich in beiden Lagern, wo soll das hinaus? Was ist das Resultat? Was schufen die fünf blutigen Jahre? Neue Perlen in Friedrichs Diadem. Deren bedurfte er nicht mehr, daß es für alle Ewigkeit am Himmel strahle. Selbst dem kühnsten Sanguiniker vergeht jetzt die Hoffnung, – man ist lässig, träge. Man schlägt sich noch mit dem alten Löwenmut, weil auf den Schlachtfeldern die Regungen der Furcht sich verlernen, aber wo ist der kühne Jugendmut, der die Preußen bei Prag ins Feuer trieb, wo der Jubel, der noch an den Erfolg dachte von Roßbach, wo die Stärke männlicher Ergebung, die bei Leuthen siegte? Man schlägt sich, um sich zu schlagen, erbitterter, gleichgültiger, aber nicht mutiger. Man will nicht weichen, nicht nachgeben, nicht schwach erscheinen, aber die Hoffnung hat man aufgegeben. Welche Aussicht blühte dem Deutschen? – Auf einen zweiten dreißigjährigen Krieg, auf einen Frieden, wenn unsere Städte zerstört sind, unsere Industrie begraben, der Handel vernichtet, auf einen Frieden, den Fremde uns diktieren. Uns ihn schenken lassen, dazu ist der Deutsche von altersher verurteilt. Sachsens fruchtreicher Boden ist zu einer Tenne gestampft von Freundes- und Feindeshufen, es fehlt nur das Korn, um darauf zu dreschen; im weiten Reiche läßt der Franzose seine Brandfackeln lodern, Schlesien ist ausgesogen, Pommern eine Wüste, die Mark entvölkert. Wir werden um die Kalmückenkolonien bitten müssen, um Leute zu haben, die unsere Äcker pflügen. – Und wozu das? fragen wir. Ein ehrenwerter Krieg berauscht das Gefühl, ein Krieg um ein Ziel ist des Mannes wert. Aber ein endloser Krieg, um einen Mann zu erdrücken, pfui! Dafür die Hunderttausende geopfert, die unter Deutschlands gesegneten Fluren modern, dafür Brüder gegen Brüder, dafür der Stillstand in unserer Bildung, o, das Herz empört sich im Leibe!«

Der Graf zuckte mit den Achseln und richtete die niedergeschlagenen Augen zur Decke auf: »Wohl dürfen wir über den Starrsinn unserer Potentaten seufzen; wohl dürfen wir sie mit bescheidenem Unwillen fragen: Soll der Jammer gar kein Ende nehmen? Wollt ihr euch nie brüderlich die Hände reichen? Sind wir doch alle Brüder und Schwestern, Glieder eines großen Bundes, Menschheit geheißen! Ja, wir möchten anpochen und sprechen: Sollen denn eure Mitbrüder immer Spielwerk bleiben eures unersättlichen Ehrgeizes? Was haben wir davon, daß euer Land euch zu klein dünkt und ihr glaubt, immer weiter erobern zu müssen!«

» Wir nicht, Herr Graf,« fiel ihm der General mit einem Tone, der ihm sonst nicht eigen war, ins Wort. » Wir dürfen unseren Monarchen so nicht fragen. Der alte Friedrich kämpft nicht mehr aus Ehrgeiz, nicht mehr um ein Stückchen Brot, er kämpft wie ein starker Schwimmer auf dem Meere, oder wenn Sie wollen, wie ein Angefallener gegen Räuber. Fragen Sie diesmal allein Ihre Königin, Ihren Brühl, Ihre Maria Theresia, die russische Elisabeth, die Pompadours und wie viel garstige Frauen noch die Hände unter der Schürze haben, mit Männerehre spielen, und Starrsinn ist ein zu ehrliches Wort für dumme weibliche Verstocktheit! Ständen Fürsten, Helden ihm gegenüber, die würden nicht von seinem Mute, von ihrer eigenen Scham besiegt werden. Tausend über einen, um ihn in Fetzen zu reißen und einen Fetzen abzubekommen, ist nicht die Ehre eines Mannes, nicht mal Vorteil. Was, frage ich, können sie gewinnen?«

»Wenn der eine Mann ihnen allen für ihre eigene Sicherheit gefährlich ist?«

»Gefährlich, ja, er ist ihnen gefährlich als ein Fels der Ehre, der Gerechtigkeit, ein Stein des Anstoßes für ihre Schürzenpolitik.«

»Wenn der Regensburger Reichstag nur das Einsehen gehabt hätte, daß Preußens erlauchter Souverän ein Fels für die alte Verfassung des heiligen Römischen Reiches war,« entgegnete mit einigem Wohlgefallen der Graf und hob sich aus der fast demütigenden Stellung von vorhin wieder um einige Zoll.

Der General hatte sich selbst erhitzt. Man hatte den steigenden Eifer ihm ansehen können. Seine Augen blitzten jetzt und er trat dem Grafen einen Schritt näher, als er scharf heraus fragte: »Haben Sie Warkotsch gekannt? – Nicht? – Ich glaubte. – Verzeihung!«

Wie auf des Generals Gesicht ein dunkles Rot, so lagerte ein Leichenblaß auf dem seines Wirtes. Die geschmeidige Zunge des alten Hofmannes war ihrem Herrn getreuer als seine Farbe: »Der Baron Warkotsch war, soviel mir bekannt, ein Untertan Seiner Majestät des Königs von Preußen, während ich in Diensten meines königlichen Herrn, des Kurfürsten von Sachsen, nicht Gelegenheit hatte, alle Diener des großen Friedrich kennen zu lernen. Ihr erlauchter Monarch versteht sich darauf, die Pflichten eines loyalen Untertanen von der Bewunderung zu unterscheiden, welche dieser selbe Untertan vor der einzigen Größe eines fremden Fürsten hegen darf.«

»Es war ein infamer Streich. Der Meinung sind Sie doch auch?«

»Ohne Zweifel hat Warkotsch sehr falsch gespielt.«

»Und Friedrich hatte ihn mit Wohltaten überhäuft, sein Vertrauen ihm geschenkt, – und Friedrichs Vertrauen! Verstehen Sie, was das heißen will, mein Herr Graf! – Vergebung, wenn ich zur Unzeit Ihnen in die Rede fiel. Ich bin zerstreut, meine Gedanken waren bei den Unwürdigen, die er mit seinem Vertrauen gesäugt, mit Gnaden überschüttet, und die jetzt, die kleinen Seelen, ihn mit ihren Intrigen, wie Fliegengeschmeiß ein ermüdetes Roß, umschwärmen. Er kann fallen, stürzen, aber sie haben ihn nicht besiegt. Wahr und wahrhaftig nicht. Zehren können sie von ihm wie die Mistkäfer von einem edlen Aas. Aber sein bestes Erbe hier tasten sie nicht an. – Das ist eine zu feste Diamantburg für sie, seine Unsterblichkeit!«

Wer den General kannte, wußte, daß dies nicht seine Art war. Auch daß er hastig einige Schritte tat, als sei niemand im Zimmer, stimmte nicht mit seinem galanten Wesen. Da trat ihm jemand in den Weg, das Fräulein, und auf ihr militärisches Halt, mit komischem Pathos vorgebracht, schien auch er wieder zu sich zu kommen.

»Ich bin Quästorin bei der Republik, welche Euer Exzellenz soeben in bester Form anerkannt haben, um die Strafe einzukassieren, welche Euer Exzellenz in eben diesem selben Augenblicke verwirkten.«

»Einer Strafe, von solchem Munde diktiert, unterwerfe ich mich gern; allein, darf ich mein Verbrechen wissen, um es sogleich gerade deshalb von neuem zu begehen?«

»Sankt Mars und heilige Bellona,« rief das Fräulein, »hat der lange Krieg Friedrichs Offiziere so verwildert, daß sie nicht mehr wissen, was Disziplin ist! Die Kriegsartikel sind Ihnen vorgelesen, der Eid ist kaum ausgesprochen, und sie sind schon alle übertreten. Ich berufe Sie alle, meine Herren, zum Kriegsgerichte, und wer wagt für den General das Wort zu führen, wenn ich ihn anklage der Desertion, der Felonie, des Hochverrats? Mit keiner Silbe soll in diesen vier heiligen Wänden des Mannes gedacht werden, der sich nennt Friedrich, König von Preußen, mit keiner Silbe der Frau, Maria Theresia, so sich titulieren läßt Kaiserin und Königin der Römer und Ungarn, noch mit einem simplen Buchstaben ihres beiderseitigen Anhanges, sei es Kavallerie, Infanterie und selbst die Feldprediger und Feldschere nicht ausgenommen. Und dies alles, damit Friede und Freundschaft im Lande herrscht, die Parteien sich nicht in die Haare kriegen und ein anmutiger Diskurs zustande kommt, daß wir etwas anderes zu hören kriegen, als von der unerträglichen Bravour der Herren. Und dieser Neugeworbene kann so wenig vergessen, daß König Friedrich ihm einen Schlag auf die Schulter gegeben, und ihn zum Generalleutnant ernannt hat, daß er, noch nicht warm geworden in unserer Republik, schon mit den Gedanken in die Wirklichkeit desertiert, höchst unpassende Reflexionen anstellt, in Zorn gerät, in den er sich nota bene selbst versetzt hat, Unfrieden anstiftet, und die Fahne der offenen Rebellion aufpflanzt, und als man ihn fragt, was er getan, es nicht einmal weiß. Republikaner, Senatoren der Republik, was verdient der Mann?«

»Da alles schweigt,« entgegnete der General, »so erwarte ich mein Urteil allein aus dem Munde meiner schönen Anklägerin und unterwerfe mich ihm ohne Appellation.«

»Hat Angeklagter nichts zu seiner Verteidigung anzuführen?«

»Wenn Zerstreuung ein Grund der Entschuldigung ist.«

»Zugestanden!« rief das Fräulein, nachdem sie eine Weile den Kopf gewiegt und dann eine Prise aus des Kammerherrn Dose bedächtig zur Nase gebracht. »Zerstreut sein ist immer ein Zeichen von Klugheit und Genie. Rechtslehrer wollen sogar behaupten, man könne die Pflicht haben, zerstreut zu sein, wenn man unter sehr langweiligen Menschen ist, und man kann, wie wir wiederum aus der Geschichte wissen, an alles denken und darum doch ein Dummkopf sein. Nicht, Baron Kurz

Der Angerufene sprang herbei: »Wie das Fräulein befehlen –«

»Ich fordere Sie auf, Ihre Meinung auszusprechen, ob Seine Exzellenz gerechtfertigt sind?«

»Wie könnte das anders sein!« stotterte unter tiefer Verbeugung der Baron.

Der General kam ihm, ohne ihn zu beachten, zu Hilfe, indem er des Fräuleins Hand zierlich an die Lippen führte: »So bin ich durch die Huld derjenigen pardonniert, um die ich allein ausgestoßen zu werden verdiente. Ein Kavalier und Militär, der in Gegenwart von Damen zerstreut sein kann, ist von selbst aus jedem Arkadien exiliert. Wieviel mehr einer, der von Dingen spricht, die sie nicht interessieren und gar erst, wenn er sich vergißt, auffährt und den Frieden bricht, um – eine Grille. Das sind Gesetze, meine Herren –« fuhr er wie belehrend fort, indem er sich zu den Offizieren wandte, – »die sich von selbst verstehen. Diese Republik ist überall, wo Herren und Damen zusammen sind; da darf es nicht preußisch und nicht österreichisch Gesinnte geben, keine Parteien, nur Gebieterinnen, deren holden Launen zu gehorchen den galanten Sklaven zur schönsten Pflicht wird. Ich hoffe, meine Herren, daß ich nie Gelegenheit haben werde, jemand an diese Achtung erinnern zu müssen!« setzte er mit etwas hohem Tone hinzu und wandte sich mit einem Kompliment an die Komtesse. Die leichte Wendung, mit der er die Schuld von sich auf andere schob und dem Gespräch eine neue Richtung gab, war den übrigen nicht minder willkommen, als ihm selbst, durch dessen Schuld die erste Unterhaltung den gereizten Ton angenommen. Er unterhielt sich mit Lebhaftigkeit in galanten Gemeinplätzen mit der Gräfin, zog diesen und jenen in das Gespräch, bis der unangenehme Eingang vergessen schien. Arm in Arm spazierte er mit dem Wirte im Zimmer umher, und als die Wandleuchter angezündet und Kanapees und Stühle um den Kamin geschoben waren, hatte er mit jedem der Anwesenden einige Worte gewechselt und Friede und Zutrauen, früher wie man fürchtete, durch die Ankunft des vornehmen militärischen Gastes gestört, waren recht eigentlich eingekehrt.

»Wovon unterhält man sich denn?« fragte er, auf dem Ehrensessel zwischen dem Wirt und seiner Tochter Platz nehmend.

Alles schwieg, und die Flammen des Kamins beleuchteten etwas verlegene Gesichter.

»Doch ich sehe meine neue Sünde ein,« fuhr er fort, »wie kann der Konversationsstoff fehlen zwischen witzigen Damen und galanten Kavalieren. Meine schönen Nachbarinnen selbst sind der Stoff. Eine Festung, belagert von den poetischen Galanterien der Herren. Sie haben sich zu verteidigen gegen das Wurfgeschoß der Oden, Dithyramben und Liebesepisteln mit spitzen Epigrammen. Sie schleudern Leuchtkugeln in das feindliche Lager, dort die schwachen Stellen zu entdecken, sie agieren mit List, Zwietracht unter ihren Gegnern zu erregen, und jedesmal, wie sich von selbst versteht, verlassen sie als Siegerinnen den Kampfplatz.«

Der General sah mit einigem Befremden, wie Amelie ihn angähnte, ohne die Hand zu bemühen, den Fehler der Lippen wieder gut zu machen. Der Sturmwurf, der prasselnd durch den Rauchfang in den Kamin fuhr, und Flammen und Rauch ins Zimmer trieb, schien ihn indes zu rächen. Denn sie sprang entsetzt auf, schrie und zog den Stuhl mit sich um. Außer dem General war nur der Kammerherr zu ihrer Hilfe aufgesprungen.

»Ein Funke?« fragte der Gast, ihre Kleider befühlend.

»Nichts davon,« sagte sie, Atem holend. »Exzellenz sehen nur, wie wir nicht immer als Siegerinnen den Kampfplatz verlassen. – Plaudern Sie nur aus, wenn es Sie drängt,« rief sie der Komtesse hinüber, die ihr hinter dem Fächer einen Blick zugeworfen, »ich schäme mich nicht.«

»Mir kommt es vor,« bemerkte der Graf, »als hätte man mich hier nicht in eine arkadische, sondern in eine eleusinische Republik eingeführt.«

»Es könnte wohl so sein!«

Das Feuer war ohne weiteren Unfug in sein altes Bette zurückgeführt und ein Bedienter zerschlug die größten Brände mit der Zange, daß die Gefahr nicht wiederkehren möchte. Eugenie erklärte mit kurzen Worten, wie die Situation von eben als Reminiszenz einer am vorigen Abend erzählten Gespenstergeschichte, in der die Vision mit Geprassel aus dem Schlot herabgefahren, ihre Freundin erschreckt haben möchte.

»Eine Gespenstergeschichte!« rief der General.

»Fürchten Sie sich vor Gespenstern?« fragte Amelie.

»Ein preußischer Soldat soll sich vor nichts fürchten.«

»Das ist gescheit und auch klug von Ihnen. Gescheit, weil es nicht zum Aushalten wäre, wenn noch ein Poltron ins Quartier käme, und klug ist es, weil Sie hier nichts als Gespenstergeschichten hören werden.«

»Charmant,« entgegnete der neue Gast, »ich rühme mich, stark im Aufklären zu sein. In Glatz gelang es mir, einen Teufel auszutreiben, der eine allerliebste Müllerwitwe abhalten wollte, meinem bravsten Unteroffizier ihre Hand zu schenken, statt seiner eigenen, die dem armen Invaliden abgeschossen war. Seit mich dieser Teufel sehr demütig auf den Knien um Pardon gebeten, der ihm auch mit einem Abschied von meinem Fuchtelmeister gewährt wurde, gelte ich bei meinen Leuten für einen Beschwörer, dem kein Gespenst zu widerstehen wagt. Lassen Sie Ihre Schloßgespenster vormarschieren, ich werde mit ihnen zu reden wissen.«

»Und wir bitten Sie, den starken Geist zu Hause zu lassen,« sagte die Komtesse. »Wir wünschen keine natürlichen Erklärungen, wir sehnen uns im Gegenteil nach dem Umgange mit Wesen, die anders fühlen als wir. Man ließ unseren Wortführer vorhin nicht ausreden, der im Begriff war, Ihnen zu erklären, daß Sie allerdings in eine Republik der Mysterien aufgenommen sind, und von jedem Eingeweihten fordern wir, daß er nicht allein eine Gespenstergeschichte zu erzählen weiß, sondern daß er auch an Gespenster glaubt.«

»Werden Sie die Probe bestehen,« fragte Amelie wieder mit schelmischer Ruhe.

»Woran so liebenswürdige Damen glauben, würde ein Voltaire sich zur Ehre rechnen, auch zu glauben.«

»Die Galanterie paßt hier nicht,« nahm Eugenie abermals das Wort; »wir meinen's im Ernst so. Wir kennen uns alle so gut, so lange schon, wir wissen, was wir denken, was wir uns sagen können, die Konversation interessiert uns nicht mehr. Um zu spielen, sind wir zu alt. Wir sind nicht geistreich genug, nicht Dichter und Philosophinnen, um dem Alten immer neue Seiten abzugewinnen. Da haben wir unsere Zuflucht in einem Reiche gesucht, das uns allen seit der Ammenstube unbekannt blieb, im Reiche der Wunder. Jeder, der sich zu uns hält, ist verpflichtet, etwas zum besten zu geben, womöglich aus seinem Leben; je größer das Wunderbare darin scheint, je wahrscheinlicher es wird, je mehr es uns hinreißt, um so willkommener ist es. Der Unglaube wird nicht geduldet. Das hat sich aber schon von selbst gemacht, denn mit jeder Geschichte hat sich der Kreis der Gläubigen erweitert und die Empfänglichkeit bei jedem vergrößert. Nehmen Sie's, Herr General, wie eine Krankheit, die hier grassiert; wir sind alle angesteckt, aber wir befinden uns wohl dabei. Wir verkehren mit den Geschöpfen einer anderen Welt wie mit unseresgleichen, wir finden uns wohl, heimisch unter ihnen. Jeder hat zwar seine besonderen Ahnungen, seine besonderen Familiengeister, aber wir finden allmählich unter ihnen eine Verwandtschaft, Familienzüge heraus. Das wird immer lebendiger, je mehr die Geisterstunde sich nähert, wir sind reizbarer, empfindlicher, wir sehen, hören schärfer und es könnte kommen, daß uns ein gewöhnliches Ereignis alsdann ebenso befremdend dünkte, wie Ihnen vielleicht unser Phantasiespiel.«

»Sie sehen darin,« ergriff der Vater das Wort, »den eigensinnigen Appetit der Weiber. Im Jahrhundert eines Friedrich verlangt ihre Phantasie nach Gespenstern! Es wäre unverzeihlich, wenn ein besserer Konversationsstoff aufzutreiben gewesen. Da das nicht der Fall war, da man durchaus und allgemein keine Reminiszenzen aus der Wirklichkeit wollte, mußten wir Vernünftigen uns auch bequemen –"

»Und fürchten uns jetzt so entsetzlich wie einer, wenn ein Geist mit seinen Ketten klirrt,« fiel ihm Amelie in die Rede.

»Doch scheint es mir, unsere schalkhafte Freundin könne diese Empfindung teilen,« bemerkte der General. »Wie kann sie so danach verlangen?«

»Ist Ihnen das was Neues, Herr General, daß man eine grimmige Angst vor einem Dinge haben kann, und doch von derselben Angst gerade drauf los getrieben wird? Gegen Mitternacht, ich schäme mich gar nicht es zu sagen, wenn eine recht schreckliche Gespenstergeschichte dran ist, zittere ich wie Espenlaub, mir vergeht der Atem, ich höre das Herz klopfen, die Zähne klappern, die Haare sträuben sich, und doch ist es eine Lust. Morgens drauf, wenn die Sonne hell scheint, lach' ich drüber, aber abends muß ich wieder meine tüchtige Gespenstergeschichte haben, oder es kommt mir vor als ginge ich hungrig und durstig zu Bette. Ja, ich versichere Ihnen, während mich die Angst so kitzelt, daß ich mir die Pulsadern zudrücken möchte, ist mir doch auch wieder so wohl zumute, daß ich vor Lust aus der Haut fahren möchte. Je grauenhafter es wird, um so besser ist es.«

»Und unsere geistreiche Komtesse ist derselben Meinung?«

»Ich glaube, ein froher Mensch, der immer lachte, müßte endlich doch einmal das Bedürfnis fühlen, zu weinen. So, dünkt mich, müßte unsere Zeit, wo alles so sehr natürlich zugeht, auch einmal ein Durst überkommen nach dem Wunder. Wir erklären uns alles; was bleibt uns noch übrig? Der Verstand hält so reiche Tafeln, aber das Gefühl wird dadurch nicht satt. Wir möchten nun auch einmal etwas Unerklärliches haben. Die Phantasie wünscht sich freien Spielraum.«

»Und darum, Gnädigste, sollten wir das Gewisse, das, was wir besitzen, in die Schanze schlagen. Wie der Hund das Fleisch um den Schatten?«

»Sei es auch ein verbotener Baum! Unsere Stammväter hatten rundherum das ganze Paradies, und griffen doch danach, und wir haben es längst verloren.«

»Sie predigen die Sünde, Komtesse!«

»Ist es Sünde, sich gegen unsere trockene Moral und unsere noch trocknere Philosophie aufzulehnen? Ach mein Gott, wenn ein Geist einmal aus dem bordierten Staatskleide sich erhöbe, es schüttelte und rüttelte, daß Staubwirbel von Puder in die Wolken stiegen, und die Nähte rissen und ein Wesen draus würde; aber so ist doch alles nur Form, schale, alltägliche Form. Jeder glaubt aufs reine gekommen und am Ende zu sein, und das Wunderbare wie den Maulwurfshaufen mit einem Fußtritt ausgleichen zu können. Wenn die Erde sich auftäte, ein Riese erschiene, ein Geist des Lebens, von dessen Strahlen die Welt erleuchtet würde, dann lohnte sich's ins Licht zu sehen. Bis dahin, lieber General, gönnen Sie's uns armen, schwachen, müden Erdenkindern, in den Winkeln zu suchen, wo noch etwas ursprüngliche Dunkelheit geblieben ist, wo noch die Ahnung Platz und Schutz findet; lassen Sie uns nicht bloß die Gespenstergeschichten, sondern gönnen Sie uns auch ein bißchen Wunderglauben.«

»Ich meinte sonst,« sagte der General, »der lichtbringende Riese sei aufgestanden, ich meinte sonst, auch hier für ihn eine bewundernd reine Seele zu wissen.«

» Sonst –« erwiderte Eugenie betonend. »Das Licht ist blaß geworden. Wahrhaftig, ich glaube, er glaubt selbst nicht mehr daran. – Ach, er sehnt sich, meine ich, nach Wundern, so gut als ich und – wir alle.«

Der Nachsatz war dumpf hingesprochen; doch hatte ihn der General verstanden.

»Ich leugne nicht,« entgegnete er mehr zu Eugenie gewandt, als zur Gesellschaft, der doch bisher, zur Hälfte wenigstens, die Unterhaltung gegolten, »ich leugne nicht, daß wir alle dies Bedürfnis nach dem Wunderbaren teilen. Wir reichen nicht aus mit dem Verstande, oder der Verstand nicht mit uns. Sollte indes das Wunderbare, das der lechzenden Seele neuen Lebenssaft gibt, nicht wo anders zu suchen sein, als um Mitternacht und in staubigen Winkeln? Ich sehe ein Wunder, das vor den Augen der Fürsten und Völker Europas sich zutrug und das größte in diesem Jahrhundert ist, ein Wunder, das alle Wunder überstrahlt und noch wirkt, noch lebendig ist und kein Mensch spricht davon.«

»Der Preuße,« äußerte Eugenie wehmütig lächelnd, »kann sich doch nie verleugnen!«

»Wie, meine Gnädigste,« fuhr der General lebhafter fort, »ist das kein Wunder, daß der Monarch, vor dem der Thron der Habsburger noch vor kurzem in seinen Fugen zitterte, der den Erdball bewegte, wenn seine Fußspitze in den Steigbügel trat, daß das Leben dieses nämlichen großen Monarchen einst von einem Seidenhaar abhing! Als Deserteur verurteilt, sah er in Küstrin schon den Busenfreund den letzten Gang antreten. Das Brett, über das Katt gegangen, lag noch auf dem Blutgerüst, und Friedrich sollte auch hinüber. Es zweifelte damals niemand daran, das preußische Volk schauderte, die Prinzen waren ohne Hoffnung, die königliche Mutter bebte, Deutschlands Fürsten, Europas Potentaten blickten halb ungläubig, halb entsetzt nach Berlin, welche gräßliche Lehre von dem neuen Königsthrone dort ausging für die alten Regentenhäuser! Da, – in einer Nacht – vielleicht in einer Stunde – taut das erstarrte Herz des strengen Fürsten auf, es wird Licht vor seinen Augen, und über die Lippen des jähzornigen Vaters schwebt das Wort ›Gnade! –‹ Das achtzehnte Jahrhundert, mein Fräulein, wäre um einen Friedrich ärmer, die Physiognomie der Zeit anders, Europa hätte sich nicht mit Asien gegen den einzigen König verschworen, ohne das Wort ›Gnade‹ zur rechten Stunde. In der Laune einer Sekunde wurde das Schicksal von Millionen geboren, und von der Eingebung eines Moments hing die Geschichte eines Jahrhunderts ab. Das dünkt mich ein Wunder, tausendmal wunderbarer, ergreifender, entsetzlicher, wenn Sie wollen, den Verstand verwirrend, als zehn Revenants. – Wer lenkte damals Friedrich Wilhelms Herz, – es weiß es niemand, – obgleich zehn sich das Verdienst zuschrieben und von allen, die für ihn baten, wer hat vorausgesehen, für wen er bat! Das war ein Wunder –«

Man war still. Der Graf hatte billigend die Rede des Generals begleitet, Eugenie sah zu Boden.

»Ob es in ihm lebt das Wunder, können Sie das mir sagen? Tritt Katts blutiger Geist noch in der Sternennacht vor sein Feldlager und spricht er, auf die Reihen Erschlagener weisend: ›Ich starb auch für dich.‹«

»Katt hat sich selbst in der Todesbeichte als Verführer bekannt.«

Eugenie lächelte unwillkürlich: »Friedrich verführt!«

»Der König hat sich der Familie des Enthaupteten angenommen, wie man weiß,« bemerkte der Graf.

»Weil er tot ist,« rief Eugenie mit einiger Heftigkeit. »Einem Lebenden ist er niemals Dank schuldig. Den Gestorbenen richtet er Bildsäulen auf, aber mit ihren Geistern hat er nichts zu tun. Der einsame Mann sieht nicht seinen Katt, nicht seinen Schwerin, seinen Winterfeld und Keith, er sieht nur sich selbst; und wenn der Herbstwind um sein ödes Zelt stürmt, wenn er über die dunklen Schlachtfelder reitet und – wenn er die Flöte bläst – immer ist er sich selbst genug.«

»Er bläst sie nicht mehr,« sprach der General tonlos.

Die Offiziere blickten zu Boden. Die Totenstille ringsumher weckte den General aus seiner Träumerei. Mit Gewandtheit lenkte er das Gespräch erst auf allgemeinere, dann auf den Gegenstand, welcher auf Eugenies Mitteilung den speziellen Stoff ihrer Abendunterhaltungen abgab. Er drang darauf, daß seine Gegenwart die Tages- oder vielmehr Abendordnung nicht stören dürfe und ermutigte einen jungen Offizier, an dem die Reihe war, das seinige zu Licht zu fördern. Der ziemlich alltäglichen Geschichte hörte er mit anscheinender Teilnahme zu, half ein, verstärkte die schwachen Stellen und brachte einen Schluß hinein, als sie ohne diesen auszugehen drohte.

Man war sehr mit dem vornehmen Gast zufrieden, doch machten sich die Geschichten jetzt schneller, die Behaglichkeit schien gestört, man suchte Parade zu machen vor dem hohen Offizier. Der General merkte es, oder war wirklich, was er vorgab, müde; er beurlaubte sich früher, um, wie er versicherte, morgen nicht mehr als Novize in der Geisterrepublik zu erscheinen.

»Dann müssen Sie auch eine Geschichte erzählen,« rief ihm Amelie zu.

»Mit Vergnügen, wenn die Erinnerungen aus dem Leben eines Weltmannes Stoff genug bieten, um eingeweihte Geisterseher zu unterhalten.«

»Wir wollen schon nachsichtig sein.«

Beim Hinausgehen beurlaubte sich der General noch einmal von der Gräfin. Es klang zwischen Galanterie und Herzlichkeit, als er ihr scheidend sagte: »Eines prosaischen Menschen Gegenwart wird immer ein gläubiges Gemüt kränken; allein, meine Gnädigste, ich will mir Mühe geben, wenn es mir auch nicht gelingt, an Wunder zu glauben, so gelingt es mir doch vielleicht, ein Wunder zu tun und ich lege mich heute mit der festen Zuversicht zu Bette, daß wir beide wenigstens uns versöhnen werden.«


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