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Der Graf las unten in Wappenbüchern und tippte mit den Fingern auf einen Stammbaum, die Offiziere waren in ihren Appartements bei Tarok und Pikett, das Feuer loderte noch nicht im Kamin, die Kerzen brannten noch nicht an der Wand, die Gespensterstunde war noch nicht gekommen, obwohl das graue Tageslicht nur noch matt durch die Schneeflocken schimmerte und der Nordwind grauenhaft genug in die Rauchfänge heulte, und der einzige schon vakante und konversable Mensch, der lange Fähnrich, bot dem Fräulein umsonst mit seiner lispelnden Stimme eine Partie Dame an. Sie dankte, weil es impertinent sei, daß das langweiligste Spiel von der Welt den Namen des interessantesten Gegenstandes der Schöpfung trage. Der Fähnrich äußerte, als sie das Zimmer verlassen, das Fräulein sei sehr witzig und schalkhaft, und der Graf nickte bedeutsam mit dem Kopfe. – »Überhaupt, mein Herr Graf,« fuhr er, kühner gemacht durch den freundlichen Blick des Grafen, fort, »die Damen hier haben, was man Esprit nennt, und ein Kavalier muß auf seiner Hut sein, wenn er in Avantage bleiben will.« Der Graf blickte noch pfiffiger vor sich hin und fragte den Fähnrich nach der Helmzier auf dem Warkotschen Wappen.
»Was wollen Euer Gnaden mit dem Verräter. Sein Wappenschild ist zerbrochen, und das von Rechts wegen.«
»Nicht doch; nur weil er es nicht klug genug angelegt. Ein Friedrich und ein Weib sind zwei Dinge, die man nicht mit Vogelleim fängt. Aber ein Vogelsteller, der es versteht, fängt einen pfiffigen König und ein schlaues Frauenzimmer in derselben Schlinge und so sicher wie mein Jäger seine Drosseln.«
»Ei, mein Herr Graf, wer wollte ein eingefangenes Mädchen erwürgen, und gar erst einen Monarchen! Das wäre gegen alle Kavalierehre und das Völkerrecht.«
»Hat er den Vogel erst einmal darin, so steht es ja in jedes Belieben, wie fest er die Schlinge zuziehen will. Man lernt mit jedem Jahr, mein lieber Fähnrich, mit jedem Tage, mit jeder Stunde. Als ich so jung wie Sie war, glaubte ich freilich, ich sei ein perfekter Jäger, da ich meiner Tante niedliches Kammermädchen in meinem Netz hatte, aber es war nur niedere Jagd. Mit dem Schuhausziehen und Lauschen im dunklen Gange bei verhaltenem Atem bis sie kommt, ist's bei der hohen Jagd nicht getan, und ein königliches Wild faßt man nicht durch einen raschen Griff um die schlanke Taille. Nacht und Tag, jahrelang muß man auf dem Anstand liegen, nicht müde werden, die Augen nicht schließen, den Kopf nicht verlieren, aber zuletzt, lieber Herr Fähnrich, fängt man doch – wenn man der Mann dazu ist!«
Der Fähnrich gaffte ihn mit halb offenem Munde an und fragte den Kammerherrn von Kurz, der eben eingetreten war, ob denn der Herr Graf jetzt die hohe Jagd auf seinen Gütern hätte? Der Baron belehrte ihn mit Wichtigkeit, daß die hohe Jagd in ganz Kursachsen Regal sei, unablösbar, auch nie zu Lehen erteilt werde. Wenn hie und da in jüngster Zeit doch ein Bock geschossen worden, so komme das auf Rechnung des Krieges; über alle geschossenen Böcke und Nichtböcke würde jedoch gleich nach dem Frieden dem Forstdepartement strenge Rechenschaft abgelegt werden müssen. »Doch meine ich,« setzte er mit noch wichtigerer Miene hinzu, »daß der Herr Graf hier nur allegorisch gesprochen.« – »Gewiß, gewiß,« warf der Offizier ein. »Die Kammermädchen nannten Sie die niedere Jagd; da müßte man doch verteufelt vernagelt sein, wenn man nicht herauskriegte, was die höhere Jagd sein soll. Der Graf ist für sein Alter ein pfiffiger Kavalier.« – Der belobte Wirt, wieder eifrig bei seinen Karten, hörte wenig oder nichts von dem Gespräche, welches noch eine Weile zu seinem Lobe fortdauerte.
Das Fräulein eilte fröstelnd durch die dunklen, leeren Gänge, die Wendeltreppe hinauf. Der Wind klappte die Tür zu und der Schnee drang durch die schlechtverschlossenen Fenster. Sie war froh, als sie die Komtesse im Turmzimmer fand.
» Du, Amelie?« schreckte die Inwohnerin, vom Fenster sich abkehrend, auf.
»Wen erwarten Sie sonst? – Das zieht ja fürchterlich. – Mein Gott, Sie haben das Fenster auf. – Menschenkind, die halbe Stube ist voll Schnee –«
Die Gräfin drückte das Fenster nur mit Mühe zu wegen des eingequollenen Schnees. »Friert dich so sehr?«
»Zum Steinwerden, Cousine; und die Dunkelheit dazu, die schon um drei Uhr anfing, und das geheime Grauen, das jetzt auf jeder Schwelle, auf jeder Stufe knistert. Ach, es muß heute eine gräßliche Gespenstergeschichte kommen, wenn ich auftauen soll. Ich möchte schlafen vor Langerweile und Frost und kann nicht schlafen vor Frost und Angst. Hier sieht man erst recht die Berge von Schnee, oder besser das Meer, ein weißes Weltmeer. Kaum können sich noch die Kirschbäume im Garten schütteln unter den weißen Decken, und weiterhin wird Himmel und Erde eins. Es ist abscheulich. Warum nicht immer Sommer ist!«
Die Gräfin kam noch immer nicht mit dem Gesicht von den Scheiben, indessen das Fräulein, am Kamin niedergehockt, die Hände über die Kohlen hielt: »Wozu? Es ist bald Zeit zum Hinuntergehen. Es liegt kein Reisig mehr, darf ich klingeln?«
»Ich möchte mich indes in den Schnee werfen, wo er am dicksten ist, mich überschneien lassen, es würde doch da wärmer sein als hier und langweiliger auch nicht.«
»Bist du so ungern mit dir allein?«
»Ach, seit ich mich ganz kennen gelernt, finde ich so wenig Konversationsstoff, wenn ich mich mit mir unterhalte. Cousine, man wird alt; das macht aber alles der Krieg, der fatale Krieg. Ich werde am Ende aller Dinge auch eine Kaffeeschwester. Es wäre wahrhaftig fatal, wenn man's zu nichts Besserem brächte.«
»Schäme dich.«
»Sind Sie denn gern allein mit sich?«
»Was war das – Amelie!«
»Jesus, wie Sie einen erschrecken können. Es war eine Katze, die durch den Rauchfang fiel, weiter nichts, Schneelawinen gibt es in der Lausitz nicht.«
»Doch, doch, sieh, ich bitte dich, das Treiben, Regen, Stürzen, – Luft und Erde tanzt – der Wind häuft Berge über Berge. Im offenen Felde könnte eine ganze Schwadron überschüttet werden, wie nun erst ein einzelner Reiter!«
»Doch nicht einer, der zu Feinsliebchen reitet.«
»Daß du heute gerade wieder scherzen mußt! Ich meinte, du wärst melancholischer jetzt als ich.«
»Wenn's nun die Verzweiflung täte! – Aber wirklich und wahrhaftig, ich entdecke keinen Husaren-Federbusch in Weiß, und ich kann besser sehen wie Sie, ohne mich darauf zu berufen, daß die Liebe blind ist. Warum verfällt nun gerade Ihre Phantasie darauf, daß er heute kommen muß. Wenn man auf jemand wartet, so wissen Sie, kommt er nie. Beim Diner muß man die Suppe auftragen lassen, das ist das sicherste Mittel, daß der verspätete Gast zur Tür eintritt.«
»Er erschien mir heute nach Tische. Ich machte auf dem Sofa die Augen zu.«
»Ach, er mag Ihnen jetzt wohl alle Nacht erschienen sein, seit Sie sein ehemaliges Zimmer bezogen haben. Aber warum soll er gerade in leibhaftiger Person sich seit den zwei Jahren, daß wir ihn nicht gesehen, den kältesten, schneeigsten, allerabscheulichsten Tag ausgesucht haben, um Ihnen seine Visite zu machen? Wenn er so, eine bewegliche Bildsäule, ankäme, mit steifen Gliedmaßen, roter Nase und langen Eiszapfen an seinem Schnurrbart, könnten Sie ihm nicht einmal mit Anstand um den Hals fallen.«
»Ich täte es doch.«
»Ach, Cousine, wie sich das verändert hat! – Hätte ich ehemals in meiner tollsten Laune gewagt, Ihnen das zu prophezeien, Sie hätten mich von Haus und Hof gejagt. Der Mensch soll sich, was Fleisch und Blut anlangt, ich glaube in zehn Jahren, sagen die Anatomiker, von Kopf bis Fuß verwandeln, daß keine Faser und kein Tröpfchen Blut von dem bleibt, was er gewesen; aber Sie haben in noch nicht fünf Jahren Ihre Seele, Ihr Herz, Ihren Geist, Ihre Neigung ausgetauscht.«
»Meine Neigung?«
»Sehen Sie nur, wie Ihre alten Italiener in der Bibliothek bestäubt dastehen, und es ist derselbe Petrark, derselbe Dante, derselbe Ariost, deren Lob so oft von Ihren beredten Lippen floß, so süß, so blühend, so volltönend, als wären es alles preußische Husarenleutnants. Es ist ein wahrer Jammer, jetzt durch die Bibliothek zu gehen, wie sie einen traurig in den schönsten Franzbänden ansehen, und ich bin überzeugt, die alten Patrone ennuyieren sich noch mehr als ich, ob sie doch gleich soviel Fonds in sich haben, daß sie allen leeren Köpfen, die gern gelehrt sein möchten, schon seit ein paar Jahrhunderten damit ausgeholfen haben.«
»Du solltest sie mit deinem Witz unterhalten.«
»Das heißt, ich soll mich auf den Weg machen. Adieu, Komtesse!«
»Nein doch. Bleibe. Ich sollte dir eigentlich Bonbons schenken, daß du wieder einmal munter bist.«
»Und ich sollte eine Ode auf Sie dichten, daß Sie gar nicht mehr böse werden, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt.«
»Komm zu mir, Amelie.«
»Ihr Thermometer spricht von heißem Sommer. Und was auch hübsch von Ihnen ist: Sie haben nur Ihre Seele ausgetauscht und nicht Ihr Gesicht; Sie sehen heute so blühend aus wie je, die Backen sind rot wie geschminkt, die Augen so verschämt glänzend und die Lippen zum Küssen. Wahrhaftig, Sie könnten für ein neunzehnjähriges Mädchen passieren.«
»Schmeichlerin!«
»Und auch darin ist es anders. Sie hören das zum erstenmal ruhig an. Sonst wäre man bei der gestrengen Philosophin um ein Lob ihrer Schönheit übel angekommen. Nein! – und jetzt seh' ich's erst, wie Sie geputzt sind! Das geschieht gewiß des Generals wegen, der uns gestern angesagt wurde.«
»Glaubst du, daß er in dem Schneegestöber kommen kann? Der Fourier meinte ja schon, die Wege wären nicht zu passieren.«
»Der alte Herr ist vielleicht auch in Sie verliebt, und die Liebe findet überall Wege. Wie kurios es sich fügt, daß wieder ungefähr dieselbe Militärgesellschaft bei uns in Kantonierung liegen muß, wie damals im Herbst, als wir die Bekanntschaft des interessanten Leutnants machten. Wissen Sie, der General kam auch dazu, der sich seitdem immer so freundlich gegen unseren Freund erwiesen. Er präsidierte aus Gefälligkeit dem Ehrengerichte –«
»Hat er nicht auch dem Kriegsgericht präsidiert!« fuhr die Gräfin in verändertem Tone dazwischen.
»Dann freilich hat der arme Mann allen Kredit bei uns verloren. Dann ist er ein Wüterich, ein Ungeheuer, ein Undankbarer, ein herzloses Wesen, und wenn er uns weiß Gott was Gutes getan, es wäre alles im Nu vergessen. Übrigens glaube ich nicht einmal, daß er dabei war. Sie müssen das ja aus den Spandauer Briefen sehen können.«
»Und war er dabei,« erhob sich die Gräfin, »so war er ja nur die Puppe eines Mächtigeren. Aber dieser Friedrich, für den Millionen andere ihr Blut willig, freudig spritzen lassen, was ist er, in dem kein Puls schlägt für die Millionen Herzen, die für ihn schlagen! Der alte herzlose Schachspieler, der seine Königin gleichgültig opfert, um einen Bauer vorzuschieben, zum Schach bieten. Er spielt mit Menschen wie mit Gefühlen, aber am liebsten mit solchen, die für ihn ihr alles opfern. O, seine Ungerechtigkeit ist empörend!«
»Aber du lieber Himmel, er selbst hat ja nicht unseren Leutnant kondemniert. Das tat das Kriegsgericht nach den Kriegsartikeln.«
»Er hat ihn doch vors Gericht gestellt! Wenn er es nicht gewollt, daß sie ihn schuldig finden sollten, so hätten sie ihn auch nicht schuldig gefunden. Wie hat er es mit Fink gemacht! Der Eigensinnige war ingrimmig, daß er verloren, toll, weil er selbst dran schuld war, sein eigener Eigensinn; gebüßt mußte es werden, und der herzlose König fand es bequemer, den armen Fink büßen zu lassen als sich. – So wollte er in einer bärbeißigen Laune es auch jemand entgelten lassen, daß sie ihm sein Berlin geplündert, und seinen treuesten Offizier schickt er nach Spandau, weil er nicht durch die Luft fliegen konnte, um dem Gouverneur ins Ohr zu rufen: der König hat nicht aufgepaßt!«
»Sie hätten Etiennes Advokat vor dem Gericht sein sollen.«
»O, ich hätte den Puppen Dinge sagen wollen, von denen in der preußischen Disziplin nichts geschrieben steht: Habt ihr ein Recht, die ihr nichts getan, als auf Kommando rechts und links machen, und geradeaus marschieren laßt, wenn der König es will, habt ihr Befugnis, Recht, Unverschämtheit genug, einen Mann zu verurteilen, der hilflos, allein, durch Wüsten, Flüsse Seen, Feindesheere und Feindesketten sich Bahn machte, durchlog, durchschlug, jeden Augenblick in Gefahr, als Spion ergriffen, ehrlos füsiliert, gehenkt zu werden, der, von nichts getrieben, als Liebe, Begeisterung zu seinem Könige doch bis Berlin drang, könnt ihr die Frechheit haben, über den euer Schuldig auszusprechen, der mehr tat als je eines Soldaten Schuldigkeit ist, weil er um ein paar Stunden später ankam als der Mut der Garnison ausdauerte?«
»Das ist es auch nicht eigentlich, was man ihm vorwirft.«
»Gründe hat Friedrich immer in der Tasche, wenn er einem edlen Manne nicht wohl will.«
»Doch besinnen Sie sich, Cousine, daß auch der Stabsoffizier neulich der Meinung war, unser Freund wäre nicht ganz ohne Schuld verurteilt worden. Nicht daß er um einen Tag zu spät in Berlin eintraf, macht man ihm zum Verbrechen, sondern nur, daß er in Berlin einige Tage verweilte, ehe er nach Spandau an den Kommandierenden dort die Depeschen brachte.«
»Elende Ausflüchte! Er blieb nicht länger in Berlin als er nötig hatte sich zu erholen von dem angestrengten Ritte.«
»Mit welcher Bestimmtheit Sie das wissen! Er muß es Ihnen recht haarklein in seiner Spandauer Korrespondenz auseinandergesetzt haben. Das war doch sonst nicht seine Art. Ehemänner, meint man, die kein gutes Gewissen haben, pflegen, wenn sie mal länger ausbleiben, besonders zärtlich und umständlich alles zu erzählen, was ihnen begegnet ist. Ob das vom Liebhaber auch gilt?«
»Sein sterbender Bruder dort –«
»War bald tot. Ich will es auch gar nicht behaupten, aber sie munkelten neulich von einer alten Liebschaft, bei der er in Berlin versteckt gesessen.«
»Abscheuliche! Es ist nicht wahr.«
»Sie haben nur zu befehlen, liebe Cousine. Sie mögen auch recht haben. Es ist gar nicht denkbar, daß ein junger Husarenleutnant, dem ein solches Glück blüht, der so zärtliche, dankbare Briefe schreibt, und so herzinnige wieder erhält, daß der die Unverschämtheit, ja die Undankbarkeit haben sollte, noch ein anderes Mädchen hübsch zu finden. Wenn er ihm einen Kuß gäbe, wenn er es ans Herz drückte, müßten ja die Briefe, die dazwischen im Portefeuille stecken, dagegen revoltieren. Nein, es wäre abscheulich, und, wenn ich es mir recht überlege, bin ich ganz gewiß, daß es böser Leumund war.«
Eugenie hatte an ihrer Brustschleife gezupft und zu Boden gesehen: »Liebe, warum sollte er nicht eine hübsche Berlinerin hübsch gefunden haben. Er mag es, er soll es, ich wünsche es sogar; er ist jung, er ist Mann, ist Soldat, Husar –«
»Und wir sind ungeheure Philosophinnen.«
»Törinnen, ihm das zu verdenken, und Närrinnen, darüber ein Wort verloren zu haben! Ich könnte es ihm zur Pflicht machen, daß er sich müßte einmal verliebt haben in den zwei langen Jahren. Wenn es nur seines Schließers Tochter auf der Zitadelle gewesen wäre, die ihm den traurigen Aufenthalt ein bißchen versüßt hätte; ich wollte das hübsche Mädchen beschenken, es lieb haben wie –«
»Mein Bologneserhund den kleinen Pinscher, der ihn beißt, wenn ich den Pinscher streichele. Sonst ist er mit ihm gut Freund.«
»Meinst du, meine Freundin, wahre Liebe wäre nicht so reich? O, wie arm wäre dann die Natur, wenn ihr schönster Keim, ihre herrlichste Blume, ihr vollster Balsamhauch, der Hauch, der uns und die Erde schuf, wenn Liebe nicht so viel abgeben könnte! O, wie sie unendlich ist, wie sie über das Grab hinausgeht, wie sie lebt im Tode, lebt über Raum und Zeit, so kann sie von ihrem Überfluß auch verschenken, ein Blättchen von der Blume, ein Blümchen vom Strauß, und der Strauß duftet darum nicht weniger herrlich.«
»Das klingt sehr schön in ihrer poetischen Sprache, in unsere prosaische übersetzt, wird es aber was recht Ordinäres, wie etwa, die gnädige Frau drückt ein Auge zu, wenn sie den gnädigen Herrn beim Kammermädchen betrifft. Das mag in der Welt zuweilen vorkommen, und auch seinen Grund haben, und sehr kluge Gründe, aber im Gesetzbuch der Liebe muß die gnädige Frau das Kammermädchen fortjagen, wenn es auch noch so artig ist, und noch so sehr weint.«
»Ich las doch von einer Königin im alten Dänemark, die ihren königlichen Helden so ehrte und liebte, daß sie sich für unwürdig erachtete, alle seine reiche Liebe zu erwidern und darum die schönen Hoffräulein, welche er begünstigte, hoch in Ehren wie teure Freundinnen um sich hielt!«
»Das mag in Dänemark sehr gut sein, aber paßt nicht für die Lausitz und Berlin. Und Ihnen, wenn es mal zum Ernst kommt, würde es im Ernst auch nicht lieb sein. Jetzt freilich, teuerste Cousine, o jetzt ist es Ihnen voller Ernst, daran zweifle ich gar nicht. In dieser schauerlichen Abendstunde, wo in Ihnen ein Vulkan von Sehnsucht brennt, ist Ihre aufopfernde Liebe ein Rhinozeros oder ein Elefant, und Sie gäben, ich weiß nicht was alles fort, sich selbst vielleicht, aus purer Großmut und doch ist es am Ende nur Egoismus und Aberglaube. Sie wollen das fatale graue Schicksal damit kirre machen, daß es sich schämen muß, Ihnen noch länger einen Schabernack zu spielen. Es soll in sich gehen, den Geliebten, der eine so unübertreffliche, aufopfernde Geliebte hat, wohlbehalten und bald zu Ihnen führen und dann, dann, wenn Sie ihn haben, hat man ja noch immer Zeit, sich zu bedenken, und fromme Gelübde lassen sich auf verschiedene Weise auslegen.«
»Hexenmeisterin!«
»Ja, liebe, teuerste Cousine, es ist eine üble Sache, wenn man sich so lange kennt. Keiner, selbst bei so klugen Personen wie wir, kann mehr seine aparten Gedanken haben. Der andere errät sie von fern.«
»Bleibe die Hexenmeisterin. Zaubere ihn mir her; ich will dich königlich beschenken. Was ich dir noch schuldig blieb an meiner vollen ganzen Liebe sollst du haben, ich will jedes schlimme Wort, das ich dir gesagt, jeden Ärger, den ich gegen dich losgelassen, jede Laune, die du hast tragen müssen, abkaufen. Nur zaubere ihn mir her. Laß ihn da aus der grünen Nische vortreten, so wie er vor zwei Jahren Abschied nahm. Nur auf einen einzigen kleinen Augenblick; ich bitte dich so sehr, ich beschwöre dich. – Wie! Du willst nicht, du kannst nicht, du stehst da stumm und schweigend, siehst vor dich nieder? Hast nicht mal einen Scherz bereit? – Weißt du etwas? – O Gott – der Bote gestern, den du heimlich sprachst. – Weshalb kamst du her? – Du leitest das Gespräch auf ihn – es war eine Einleitung, mich vorzubereiten – Amelie, bei unserer Freundschaft, sprich, heraus, jede Minute ist Höllenpein. – Wie, wo ist er? – Tot, nein! – Verwundet, krank – er kann nicht kommen. – Mädchen, du kannst bei der Inquisition Dienste nehmen.«
»Sie noch besser. So kann kein Torturknecht andere peinigen als Sie sich selbst.«
»Wie du frostig spaßest. Dahinter steckt etwas. O halte nicht hinter dem Berge, heraus mit der Sprache. Ich kann alles ertragen, ich bin stark, sehr stark, nur sprich: Wo ist er? – Du lächelst wieder: Er ist hier. Wo, wo, unmenschliche Barbarin? Er ist im Schloß, er lauscht an der Tür. – Nun siehst du wieder so wehmütig aus.«
»Es tut mir auch etwas leid!«
»Was?«
»Daß ein stolzes Gebäude so baufällig ist! Ich meine unsere Klugheit und unsere Fassung. Da glaubte ich nun, man könnte seinen ganzen Kapitalreichtum darauf hypothezieren und siehe da, es wird auf den Grund erschüttert von ein bißchen Affekt. Ein Maler, wenn die menschliche Kunst das vermöchte, hätte meine Freundin jetzt malen sollen, und es hätte niemand das Original wiedererkannt; so ganz verwandelt, so los und ledig, so dem anderen entrückt und verklärt in ihrer Leidenschaft stand sie vor mir. Und welche Vorstellungen schossen auf und drängten sich wie die Schwärmer in einem Feuerwerk in den drei Stunden! Welche Fragen, wozu eine Stunde gehört, um sie zu beantworten! – Ach, Freundin, die Phantasie ist ein fürchterliches Geschenk der Himmlischen, besonders zur Winterzeit, in einem verschneiten alten Schlosse und wenn man nichts hört als Gespenstergeschichten.«
»Nun sei nur still, er ist nicht da, er kommt nicht, er kommt niemals mehr. Ich weiß alles.«
»Wie die Phantasie fortarbeitet, immer in falschen Sprüngen! Ich weiß ebensowenig, daß er hier oder auf dem Wege ist, als daß ich die geringste Kenntnis davon habe, daß er nicht käme und ihm irgend etwas Schlimmes passiert wäre. Nur sagt mir meine Vernunft, wie es albern ist, zu glauben, daß, nachdem er geschrieben, er würde, ›wenn es ihm gelungen,‹ Urlaub zu erhalten, herüberkommen, er gerade an diesem Tage kommen sollte.«
»Weg mit der Vernunft! Wir haben sie ja verbannt.«
»Ja, wenn wir unten am Kaminfeuer sitzen. So weit geht doch nicht der Pakt, daß wir auch auf unseren Zimmern abergläubisch sein sollen!«
»Wer trennt das, Kind! – Schüttelst du die Geister von dir, wenn sie unten aufstehen und die Lichter nehmen zum Auseinandergehen? Begleiten sie dich nicht noch auf dem Gange, auf der Treppe, schaukeln sie nicht aus jeder knarrenden Tür und pusten dich an aus jedem Schlüsselloche, durch das der Wind bläst?«
»Das ist eben das Dumme, daß man über was Dummes noch nachdenken kann, manchmal sogar muß. O, es ist gräßlich genug, daß man sich noch im Traume mit den gespenstischen Fratzen quälen muß.«
»Du bist nicht in den Vertrag ordentlich eingegangen. Was man sich vorgenommen, zu sein, muß man ganz sein. Glaube an die Gespenster, an Ahnungen, Verblendungen, nicht bloß im Saale, sondern überall, wo du bist, und du wirst dich bald heimisch finden, du wirst hören und verstehen und sehen, was du mit gewöhnlichen Augen nicht vernimmst, entdeckst, und was das Beste ist, du hörst auf, dich zu fürchten. Mir ist schon wohl zumute in diesem neuen Reiche körperloser Wesen.«
»Wenn sie nur nicht auch Zöpfe trügen! So griechische Gespenster, Genien und Feen, unter denen ließe ich mir's gefallen; aber worauf läuft hier aller Glaube aus? Auf Ahnungen von Galgen und Rad, auf eine Paßkugel, die einer im Schlaf auf sich zulaufen gesehen, und im Wachen ist sie dann wirklich angekommen und hat ihm den Kopf weggeschossen, an dem nicht viel verloren war. Es hat einer ein Licht ausgepustet und da hat ihn eine kalte Hand im Nacken gefaßt, und das ist seine alte Großmutter gewesen. Um solche Lumpereien lohnt sich 's gar nicht, abergläubisch zu sein.«
»Ich höre schon die Türen schlagen, laß uns gehen.«
»Wer ist heut am Erzählen?«
»Ich wußte es – geh' voraus, Liebe, ich folge gleich.«
»Nein, ich gehe nicht allein.«
»Mutige!«
»Spotten Sie, soviel Sie wollen. Ich bin nicht verliebt. Mir steigt aus dem Dämmerschein kein Geist meines Schatzes auf, mit dem sich's die Furcht lohnte, allein zu sein.«
»Aber ich, Amelie.«
»Ich kenne ja Ihren Geist und will, wenn Sie's befehlen, die Augen zumachen, wenn er erscheint. Ich bin doch das bequemste Möbel von der Welt, Cousine. Man macht mit mir, was man will. Ich bin im Zimmer und höre nichts, oder bin draußen und mir entgeht am Schlüsselloch keine Silbe, man schickt mich wie einen Fußschemel in den dunklen Winkel oder setzt mich aufs Sofa, um die interessante Gesellschafterin zu machen. Ich lasse mich schelten, zur Tür hinauswerfen, oder bitten, beschwören und regiere im Hause, alles zur Abwechselung, wie Sie wollen und nicht, wie ich will. Ich haben Ihnen so viel Liebes und Gutes getan, Sie haben es anerkannt; darum weisen Sie mich jetzt nicht hinaus; denn was Ihnen der Geist Neues sagen kann, das weiß ich ja alles.«
»Mir war, als blickte dort etwas Dunkles aus dem Schneegestöber.«
»Die Geister kommen nie von so weit. Sie schießen immer vor einem aus der Diele auf. Zudem ist's auch gefährlich, mit Geistern allein zu sein, weit gefährlicher, als für ein junges Frauenzimmer mit einem jungen Manne. Erinnern Sie sich, was der irländische Major von seinem vaterländischen Elfenprinzen erzählte!«
»Da wieder –«
»Es ist zu dunkel, um was zu sehen. – Aber wahrhaftig, ich höre etwas – ein Posthorn – Cousine, um des Himmels willen!«
Sie hatte das Fenster aufgerissen und lehnte sich hinaus in Sturm und Schnee. Das zitternde Fräulein umschlang die Freundin, als könne sie hinausspringen. »Gutes Muts, meine Liebe,« flüsterte sie, geschmiegt hinter ihrem Rücken. »Der Geist sagt mir, er ist es diesmal nicht. Der Dezemberwind murmelt: Ich habe ihn gewarnt, und die weißen Flocken säuseln: Ein andermal.«
»Ich glaube, dein Geist hat diesmal recht,« sagte die Gräfin, langsam zurückkehrend. »Ich war ein Kind; halt' es mir zu gut. Die Nerven leiden von der Anspannung.«
Es war indes laut im Schlosse geworden. Die Freundin hatte recht gehört. Das Posthorn aber bedeutete den als Einquartierung erwarteten General, dessen Ankunft der Jäger den Damen zu melden kam.