Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Der Höllenhund

»Wir sind bei dunkler Nacht in zwei Kirchen gewesen, und es ist noch kein Geist aus der Gruft aufgestanden,« rief der General, »keiner, der mit einem Knall endete, der die Nerven erschütterte; sie gehen alle so leise aus wie Nebel im Winde. Das ist für ordentliche Gespenster nicht erlaubt. Obrist Klippfisch, Kapitän Sternbald, Sie, Herr von Wurmbser, Sydow, Buddenbrock, Fähnrich, hat denn niemand etwas? Dort, Hauptmann Kallenhöfer, blickt so vor sich nieder. Heraus damit. Ich weiß, Sie haben als junger Mensch Erfahrungen gemacht. Sie hausten unter Trencks Kroaten in Bayern, wo man weder die Nonnenklöster noch die Kirchen schonte. Wir sind hier unter uns, Sie können schon was zum besten geben. Die Sünden von damals sind ausgelöscht, seit Sie in zehn preußischen Schlachten geblutet haben.«

»Wir Katholiken meinten nicht, Euer Exzellenz, daß das Absolution gibt,« bemerkte der Angeredete.

»Sie waren ja nicht alle Katholiken. Trenck rekrutierte in Siebenbürgen.«

»Wohl wahr; ohne diese wär's auch nicht gegangen,« entgegnete jener.

»Es war gottloses Volk, das den Himmel nicht fürchtete und den Teufel noch weniger,« sagte Obrist Klippfisch.

»So wollte sie Trenck; und jeder von ihnen fühlte doch so zart, daß, wo Geld in der Mauer stak oder im Keller vergraben lag, sie brauchten nur mit dem kleinen Finger 'ranzufühlen, und ich versichere Ihnen, meine Herren, sie hatten es weg.«

»Taten, würdig des dreißigjährigen Krieges!« bemerkte der General.

»Ich war ein junges Blut,« hub der Erzähler an, »und liebte nicht, zu viel vor- und nachzudenken, wo es leben galt. Das Meinige war vertan; ich mußte und wollte leben. Von nichts ging das nicht, also von anderer ihrem, und wo gab es dafür bessere Gelegenheit als bei Trencks freien Kroaten! Der Offizier sah nicht zu viel den Leuten auf die Finger, die Leute vigilierten dafür auch nicht zu streng auf ihn. Doch will ich ein Schelm sein, wenn mir von den Batzen, von denen die Taschen damals klimperten, ein roter Heller geblieben ist. Wo man Rast machte, wurden die Keller visitiert, die Tonnen angezapft, die Fiedler darauf gesetzt, daß sie spielen mußten, bis sie schwarz wurden, und die bayrischen Mädchen, mit Respekt zu melden vor unseren schönen Wirtinnen, sind allerliebste Kinder, die Freund und Feind nichts abschlagen, am wenigsten einen Walzer. Man trieb's aber oft noch ärger. Die dicken Pfarrherren und ihre Haushälterinnen wurden gekitzelt und gebürstet, bis sie gutwillig sagten, wo die Sparpfennige saßen, und mancher Kirchenleuchter wanderte, wo wir auszogen, im Brotsack mit, und wenn der Sakristan lamentierte und schrie und man ehrenhalber visitieren mußte, fühlte sich's immer wie eine Bürste an. Doch machte man das Land an Geld darum nicht ärmer, denn wie gewonnen, so zerronnen, und nur den ausgetrunkenen Wein erstatteten wir nicht zurück. Namentlich taumelte die Kompagnie, wo ich der jüngste Leutnant war, beinahe wie ein Zug von Gott Bacchus durchs Land. Unser Major rühmte sich, in vierzehn Tagen nicht nüchtern zu Bett gegangen und nüchtern aufs Pferd gestiegen zu sein, und wir anderen blieben ihm nichts schuldig. Trommelschläger und Pfeifer mußten, tüchtig bezahlt, spielen und lärmen, daß, wer schwer auf den Beinen war, sich nicht verlor; wir hatten flinke Marketenderinnen mit, die uns zur Seite gingen, und die roten Augen von mancher Dirne, die unsere Leute mitgehen hießen, gegen Papas und Mamas Willen, wurden nicht gelitten; sie mußten munter aussehen, das war Kommando.

So ging das in Saus und Braus seitwärts vom großen Korps, bis der Teufel einmal dreinfuhr und wir über Hals und Kopf retirieren mußten. Wir hatten noch eben in einem Klosterflecken ein arges Bankett gehalten, mit dessen Beschreibung ich Sie verschonen will, als uns der Feind überfiel; es war Nacht, wenige bei ihren fünf Sinnen. So wurde taumelnd in den flammenhellen Gassen gefochten, gehauen, gestochen, geschossen. Mir saß, ehe noch die drei Flaschen Leistenwein aus dem Klosterkeller verdunstet, eine Kugel in der Schulter und ich merkte sie nicht; erst der weniger gefährliche Säbelhieb über die Stirn brachte mich wieder zu mir, um zu begreifen, daß ich nicht vorwärts, sondern rückwärts mußte. Unsere weinmutigen Kroaten hielten sich aber so verdammt wacker, daß man uns paar Verwundete, die wir den Klosterhof wie durch ein Wunder erreicht, auf Strohwagen legen und durch das Hintertor schaffen konnte. Wären sie nüchtern gewesen, hätten sie lieber selbst an die Retraite gedacht, statt daß sie jetzt allesamt bis auf die paar bei uns niedergemacht wurden. Aber während es noch donnerte, paffte, klirrte, trommelte, schrie und blitzte, und die Flammen himmelhoch über den Klosterhof schlugen und uns beleuchteten, wie wir kläglich auf Stroh lagen und unsere Leute die Bauernknechte peitschten, daß sie die Pferde holten und vorspannten, da trat ein altes, langes, hageres Weib, die Äbtissin, heraus auf den Altan, und dicht über mir, daß ich jede Silbe hören konnte, sprach sie, die dürren Hände ausgestreckt gen Himmel und das rote Licht schien gräßlich auf die Knochen und das graue Haar, das aus der Kapuze raus flatterte: ›O du Mutter Gottes, gebenedeite Jungfrau Maria, wirf deinen Blick des Zornes auf diese Rotte Korah und sende die Scharen der Heiligen mit dem Schwerte der Vertilgung hinter sie, die den Wurm im Mutterleib so wenig schonten, wie die Unschuld im heiligen Gotteskleide. Sie haben geplündert und gemordet, geschändet, gesengt und gebrannt und nicht gehört auf das Flehen und Wimmern der Jungfrauen und Waisen. Sie haben die heiligsten Klausen erbrochen und Frevel geübt, davor die Luft zittert, wenn man's ausspricht. Wie sie nicht gehört, so höre auch du nicht, wenn einer der Säufer aus seinem viehischen Rausche erwacht und umwenden wollte. Heilige Jungfrau Maria, verschließe dein Ohr vor dem Reuigen, wende ihm den Rücken, wie sie ihn jetzt und donnere ihm ins Ohr: Es ist zu spät. O bleibe standhaft, Mutter Gottes, höre auf den Angstruf einer gekränkten Mutter. Nur diesmal keine Gnade, keine Gnade auch nur einem unter den Tempelschändern! Unter sie alle fahre der Fürst der Finsternis, der Gott der Verzweiflung und mit Geierkrallen wühle in ihren verfluchten Eingeweiden eine Rotte von zehntausend Teufeln, bis sie sinken zur ewigen Verdammnis. Amen! Amen!‹

Ich will's nicht beschwören, meine Herren, daß sie das alles wirklich so gesprochen hat, denn wenn es jemand außer mir gehört hat, der noch bei gesunden Gliedmaßen war, hätte es leichtlich der Frau schlecht bekommen mögen. Aber ich habe alles buchstäblich so gehört; was davon auf Rechnung des Wundfiebers und des Restes von Weinrausch kommt, lasse ich dahingestellt. Doch kaum, als sie das schreckliche Amen ausgesprochen, um es mir so recht erinnerlich zu machen, muß ein Pulverkarren springen, mit einem Getöse, daß ich dachte, das jüngste Gericht bricht an. Nun verging mir erst die Besinnung, wenn ich sie bis dahin hatte. Das Wundfieber schickte mich geradeswegs in die Hölle, die Teufel jubilierten und kreischten, sie spannten mich auf die Folter und spielten Fangeball mit mir. Da wurde ich gespießt, verbrannt und gesotten, bei den Beinen aufgehängt und zerrissen. Die hunderttausend Satans um mich sprachen alle slawonisch, und wenn ich den Mund auftun wollte zu einem Gebet, so kneipten sie ihn mir zu mit einer glühenden Zange und ich hätte es nicht ausgehalten, wenn nicht ein betrübter Engel bei mir gesessen, der zuweilen seine kalte Hand auf meine heiße Stirn legte.

Es hatte nun beides seinen natürlichen Grund, denn der Leiterwagen voll Tornister und Kommißbroten, auf dem ich oben lag und umhergeschleudert wurde auf dem Nachtwege, mochte eine passable Höllenfolter für einen Wundfiebrigen abgeben, und der Engel, der mir die Hand bisweilen auflegte, saß auch neben mir, es war aber kein Engel mehr vom Himmel, sondern einer von denen, die schon heruntergestoßen sind. Vor ein paar Wochen war es noch ein bildschönes, hochgewachsenes Fräulein und man mochte wohl glauben, was sie von ihr munkelten, daß sie sehr vornehmer Herkunft war. Aber das Wesen hatte sich versehen, oder wie es gekommen, – es war darüber was Geheimes – in einen meiner Kameraden, auch einen bildschönen Menschen, aber den wildesten und wüstesten von uns allen. Beständigkeit war nicht seine Tugend, und schon nach einer Woche lief sie so mit wie die anderen und er sah sie nicht viel an. Mich dauerte sie, und ich nahm sie bisweilen zu mir, wenn der betrunkene Major sie ein L... nannte, das er peitschen lassen wollte, weil sie mit ihrem traurigen Wesen die anderen anstecke. Sie könne sich fortscheren, wo sie hergekommen, wenn sie nicht singen und springen wollte, sagte er ihr oft genug. Sie war aber nicht gegangen, ob noch aus Liebe zu dem Offizier, oder weil sie doch niemand wieder aufgenommen hätte, da wo sie herkam, weiß ich nicht. Es ist aber einmal so mit dem Lotterleben; wer darin ist, und wenn er's bis an den Hals hätte, kommt nicht so leicht wieder heraus.

Mir aber war gar wunderbar zumute, als ich wieder die Augen aufschlug und der graue Tag mit seinen Regenschauern mich ansah. In der Hölle war ich noch nicht, aber nicht weit von ab. Mit der Herrlichkeit, dem Reich der Freude, mit Sieg, Gesundheit und der tollen Jugend war es aus. Wie ich mich da zerschlagen fühlte, da blühte mir kein besser Glück, keine andere Aussicht als das Gnadenbrot des Invaliden. Ich hätte wünschen mögen, es wäre auf einmal aus gewesen, wünschen, daß uns die bayrischen Bauern auflauern und auf den Kopf schlügen, daß kein Aufstehen war. Aber gerade vor dem Gedanken schauderte ich, als ich ihn gefaßt. Die Worte der Frau Äbtissin gellten mir in den Ohren, daß ich ewig verdammt sein sollte! Nun schreckte ich zusammen, wenn wir an einen Abgrund fuhren. Ich wollte noch nicht wieder zur Hölle, ich wollte Zeit zur Buße; und da wurde mir's erst klar, daß ich was abzubüßen hätte. Die Fieberphantasie malte das zehnfach gräßlicher. Zentnerschwer lagen mir die Worte der geistlichen Frau auf der Seele: ›Verschließe dein Ohr vor dem Reuigen.‹ Nun betete ich, flehte ich, Tränen im Auge, daß sie mir doch Zeit ließen zur Reue; ich gelobte zu pilgern und zu wallfahrten, zu betteln Tür um Tür, bis ich so viel wiedergeben könnte, als ich genommen. Aber da traten mir ein Nackter, einer ohne Arm, einer ohne Kopf, Tote und Lebende und bleiche Dirnen in den Weg und forderten ihre Köpfe, Arme, ihr Leben, ihren Wohlstand, ihre Unschuld. Mein Wagen rollte über sie fort und von oben schrie die Äbtissin: ›Verschließe dein Ohr dem Reuigen; er kommt zu spät.‹

Ich wäre drauf gegangen, ohne die Person, die mir die Stirn preßte, wenn sie vor Schmerz glühte, und mich festhielt, wenn das Rad über einen Stein ging. Wenn ich bei mir war und die Augen aufschlug, saß sie, wie das Unglück selbst, zusammengekauert, die Hände im Schoß, den Kopf mit Tüchern umwickelt und sah vor sich nieder. Sie klagte nicht und weinte nicht, sie zählte nur ihren Rosenkranz ab. Ich fragte sie nach ihrem Liebsten. Der war in der Nacht niedergehauen. Auch da seufzte sie nicht. Ich fragte, wo sie nun hinwollte? – Wo die Gebenedeite mich hinschickt, antwortete sie. – Will denn die Jungfrau mit dir noch was zu schaffen haben? – Die Jungfrau verläßt niemand, sagte so sie ruhig wie vorhin. Ich dachte, wenn die Jungfrau Maria die wieder nimmt, die niemand mehr will, dann muß das die mildherzigste Frau sein!

Ich gab mir Mühe zu beten, alle Gebete, die ich als Knabe gewußt, es waren viel Lücken drin, doch die Herzensangst half. Aber wenn ich die Augen schloß, kreischte die alte Äbtissin zur Jungfrau: ›Trau ihm nicht, er ist noch voll süßen Weins.‹ Der Jungfrau Gesicht konnte ich nicht sehen, sie war mir abgewandt, aber das häßliche Weib schrie weiter: Wenn seine Wunden geflickt sind, ist sein Versprechen heidi.

Schon das war ein Wunder, daß ich nicht erlag. Schwer verwundet, mit dem Blutverlust, ohne ordentlichen Verband, auf holprigen Wegen drei Tage, drei Nächte eine beständige Tortur, und die Lebensfasern wollten nicht reißen. Um mich hörte ich sie fluchen, gräßlicher als ich je selbst geflucht; ich wollte ihnen befehlen, ich wollte sie bitten innezuhalten. Umsonst; sie hörten nicht meine heisere Stimme. ›Die Kehle ist ihm noch roh vom Wein,‹ sprach die Frau Äbtissin höhnisch. Es kam noch zu einem Anfall, einem Gefecht; die Kugeln pfiffen um mich her, ich drückte mich zusammen, ich betete, daß sie mich nicht träfen. ›Spring runter, oder duck dich nieder,‹ rief ich zur Weibsperson. Sie schüttelte den Kopf. ›Meinst du, Frauenzimmer trifft's nicht?‹ ›Ich fürchte die Kugeln nicht,‹ antwortete sie. ›Du wünschest wohl erschossen zu werden.‹ – ›Ich warte bis sie mir ihre Tür aufschließt.‹ – Mir war es da, als sollte ich sie bitten, daß sie mich ließe ihr Kleid anfassen, wenn die Jungfrau ihr ein Nebentürlein aufschlösse und ich hineinschlüpfe. Aber ich schämte mich, als ich ihr ins Gesicht sah; ich mochte nicht mit ihr und wär's ins Himmelreich.

In dem Augenblick mußten wir weiter, ein Kerl peitschte die Pferde aus Leibeskräften, der Wagen flog über Stock und Block und mir verging die Besinnung. Erst am Abend dämmerte es mir wieder. Wir hielten, kaum noch ein zwanzig, weit abwärts vom Wege, an einer Kirche, die schon oft geplündert sein mußte. Ich lag auf einem Tornister mit dem Kopf, wer noch so mitleidig gewesen, mich dahin zu bringen, weiß ich nicht, – in der Tür prügelte man einen jämmerlich Schreienden und draußen goß es, ein heißer Gewitterregen. ›Die Schlüssel;‹ schrie es. ›Barmherzigkeit!‹ ›Keine Barmherzigkeit, Hund von Pfaffen!‹ Ich richtete mich auf, ich strengte mich an ihnen zu kommandieren. Einer verstand mich: ›Willst du auch noch mucksen?‹ wandte er sich zähnefletschend um. ›Dank's dem Teufel, daß wir dich nicht vom Wagen schmissen. Das Kommandieren ist aus.‹ Da krachte es, als bräche mir einer den Hirnschädel, aber es war nicht mir. Ein ›Maria, Joseph!‹ und der Kaplan stürzte tot nieder. Ein Mordiogeheul schallte durch das öde Kirchenschiff. Die Rotte wollte sich Mut schreien. Es war Pest- und Schwefelluft. ›Licht her! Feuer! – Das Mensch vom Wagen! – Branntwein!‹ Kirchenstühle und Bänke krachten und knisterten mit den brüllenden Marodeuren um die Wette. Zwei hohe Flammen schlugen und leckten bis ans Gewölbe und beleuchteten die blutigen Teufelsantlitze der Kannibalen, des röchelnden Priesters, das Weib, das sie herabgerissen, das Branntweinfaß, das sie aus dem Keller des erschlagenen Sakristans rollten. Ich sah die Hölle, ich hörte ihren Jubelgesang, es kreischte, dröhnte, fieberte mir im Hirn, der ferne Donner war das Gericht. Es war entschieden. ›Er ist verdammt!‹ jubilierte die Frau Äbtissin, und ich sank hin machtlos vom Schreck, Grauen, Getöse oder der schwülen Pestluft überwältigt.«

»Ihre Geschichte ist fürchterlich,« sagte Eugenie.

»Die Nacht war's noch mehr. Ich hatte die Augen festgeschlossen, ich schlief den Schlaf der Verdammten, aber ich sah alles, was um mich vorging. Ich richtete mich auf, ich streckte die Arme in die Höhe, ich sprach vom Zorn des Himmels, ich beschwor sie, den feurigen Rachen zu sehen, der sich vor ihnen auftat. Sie lachten und die Frau Äbtissin lachte auch: ›Die Reue kommt zu spät,‹ und die Jungfrau Maria drehte mir noch immer den Rücken. Da schrie ich zähneklappernd und wies auf die Elende unter den Kannibalen: ›Laßt ihr die zur Tür ein, wenn sie anklopft?‹ und alle Himmlischen riefen ›ja!‹ – ›Wenn die Gnade findet, die zehnmal verworfener ist als ich, vor den Reinen,‹ schrie ich, ›was hab' ich dann nicht das Recht, über eure Schwelle zu treten?‹ – Und die himmlischen Heerscharen riefen einstimmig: ›Gnade ist Gnade! Es hat keiner ein Recht auf Gnade!‹ und der brausende Sturm, der rollende Donner und zehntausend Stimmen wiederholten die Worte, die ein Gesang wurden, der über die ganze Erde verhallte und zu den Sternen drang, und um mich wurde es grabesstill und dunkel.«

Es war auch im gesellschaftlichen Kreise sehr still geworden. Man blickte befremdet auf den Erzähler, einen stillen Mann, dem man Träume der Art nicht zugetraut hatte. »Er ist Katholik,« flüsterte leise der General der Komtesse ins Ohr. Der Wind im Schornstein schien zur Fortsetzung der Geschichte einzuladen.

»Es mochte Mitternacht sein, als ich zu mir selbst und zur Überzeugung kam, daß ich noch lebte. Ich fühlte, wie es mich lebenswarm durchglühte. Es war vielleicht noch nicht alles zu spät; nicht alles wahr. Ich streckte meine Hand aus. Kalte Fliesensteine ringsumher: an der Stirn, an der Schulter ein Verband, die Wunde brannte. Ich riß die Augen auf. Matter Kohlenschein dämmerte durch die Nacht, die Reste der Feuer, um die sie gejubelt. Die Bösewichter schnarchten. Mitten unter ihnen erhob sich etwas. Ein Lüftchen, das über die Kohlen hinfuhr, zeigte mir das Frauenzimmer wie es sich auf den Knien aufrichtete. –«

»Verzeihung, daß ich unterbreche,« fiel die Komtesse ihm ins Wort. »Ehe Sie weiter erzählen, was wird aus der Unseligen? Ich hoffe, sie findet den Tod und bald

»Sie war schon tot, ehe der Morgenhahn krähte.«

»Gott sei Dank, ich will nun gern das Ende hören.«

»War das auch noch Traum, was jetzt kommt?« fragte noch jemand; Amelie, die dasaß wie eine Hingegebene und genährt von allen Schauern, warf ihm einen bösen Blick zu und der Erzähler mußte fortfahren.

»Auf den Knien richtete sich das Wesen auf und es war kein Gespenst. Sie streckte die gehobenen Arme nach der Stelle, wo das Altarblatt hängt und mit einer Stimme, die wie ein Glockenklang in der Wüste mir ins Herz drang, betete sie: ›O du gebenedeite Jungfrau, wie dank' ich dir, daß du so überschwenglich gnädig bist und mich rufen willst zum Fuße deiner Herrlichkeit, ehe denn der Tag anbricht, daß du kurz meine Buße gestellt, und da ich rufe nach einem Beichtiger, ehe denn daß meine Zunge lahm wird, selbst kommst und sie anhörst in deiner Barmherzigkeit. O, wodurch habe ich das verdient, hohe Himmelskönigin, die ich eine Sünderin bin, schlechter als die Schlechtesten um mich? Denn ich war die Braut deines Sohnes und habe ihn um Erdenlust, Sünde und Schande verlassen, den Fuß auf der Schwelle zum Altar, und der Verlobungsring berührte schon den Finger. Ach, du große Königin des Himmels, kann Menschenblut mehr sündigen in drei Minuten, in drei Stunden, in drei Tagen? – In drei Minuten war der starke Wille schwach geworden, und das Gebet aller Gerechten wiegt die Sünden der drei Stunden auf; und die drei Tage, wo mich der Teufel mit Sinnenlust verblendet, wo ich träumte von Glück, lassen sich die abwaschen vor dem Richter mit den Qualen von drei Jahrtausenden? Ach, die Berge können untersinken und die Ströme versiegen, die Erde verbrennen zu Staub und die Sterne verlöschen, und vor dem Richter, der da sitzt über Tod und Leben, wäre noch nicht ein Buchstabe gelöscht von meiner Schuld: aber du brauchst nur deinen kleinen Finger zu krümmen und die Sünde fällt ab von meinem Leib wie ein faules morsches Kleid und ich stehe rein da, und die Tore deiner Herrlichkeit tun sich auf und ich soll sitzen zu deinen Füßen im schneeweißen Kleide, und teilen die Lust der Engel. Nicht gewollt hast du, daß ich fasten sollte, und mich kasteien, als ich erwachte; in die Sünde selbst stießest du mich mit deiner Fußspitze, daß ich darin versinke, wie in ein faules Meer, dessen Naß Gift, dessen Hauch Pest ist. Ich habe die Schande ausgetrunken und es ist keine Schale mit Schmach auf dieser Welt, die ich nicht gekostet. Und noch wechselten nicht drei Monde, da hältst du mir schon die Hand entgegen, und willst die Verlorene ziehen, als wie eine Gerettete, eine reine Braut ins Haus deines Sohnes.‹ Wie sie das sprach, sank sie wieder mit dem Antlitz auf den Boden nieder, und die Zugluft fuhr über die Orgel, es klang wunderbar feierlich.

Aber sie erhob sich bald wieder und ihre Augen leuchteten, und die Stimme war schon ganz anders: ›Ich höre den Gesang der Engel,‹ sprach sie weiter, ›und sehe, wie sie winken mit den Palmen, den blumengeschmückten Weg hinan. Aber er ist breit, und es können gehen mehr denn zwei nebeneinander. O, du huldreiche, gebenedeite Mutter Gottes, du schüttest ein Übermaß deiner Gnade auf mich, wieviel träufelt daneben und es könnten so viele tafeln davon. Erlaube, daß ich einen der schlafenden Sünder wecke.‹ – Es donnerte und die Kirchenwände zitterten. Eine Stimme sprach über mir: ›Die sind alle gerichtet und verdammt, und die Teufel spreizen schon ihre Krallen nach ihnen.‹ ›Du willst nicht, Jungfrau Maria,‹ sprach die Kniende weiter, ›aber der Verwundete dort ist kein Ketzer, er hat keinen Priester erschlagen und die Monstranz stieß er nicht mit den Füßen von sich.‹ – Es donnerte stärker, die Mauern der Kirche zitterten heftiger. Die Gewitterwolken lagerten auf dem Dache; ich lag gelähmt, starr, das Haar gesträubt und konnte kein Glied bewegen, aber meine Fürbitterin wurde nicht müde. ›O liebe Mutter Maria, höre nicht auf die Äbtissin, sieh erst, ob ihre Hände rein sind, die sie zu dir aufhebt, und was in ihrem Herzen geschrieben steht. Er ist noch jung, er war trunken von süßem Wein, über einen Trunkenen spricht der Richter kein Schuldig.‹ Ich hörte nicht, was im Rat der Himmlischen gepflogen ward, aber sie senkte traurig den Kopf und faltete die Hände im Schoß: ›Jungfrau Maria, ich weiß, du tust mir's doch noch zuliebe. Er hat mir auch vieles zuliebe getan und wird dir auch zuliebe viel tun, wenn du dich sein erbarmst. Mir ist bange, wenn ich allein soll in deine Himmelsburg und die Teufel hinter mir den Armen fortschleppen. Tu es mir zuliebe, wenn du es ihm nicht willst zuliebe tun.‹ Sie schwieg wieder und dann wurde sie mit einmal heftig und schüttelte halb schelmisch, halb unwillig den Kopf: ›Nein, nein, Jungfrau Maria, du mußt nun schon. Ich komme nicht, bis du mir's versprichst. Was willst du machen, mich hast du einmal losgemacht und deine Gnade ist bei mir. Gnade läßt sich nicht zurücknehmen. Laß die Äbtissin brummen. Ach, und ich sehe, du lächelst schon. O, dreh dich nicht um; ich merk es doch – du kannst mir's nicht mehr abschlagen – Maria – Maria – jetzt – jetzt. –‹ Mein Herz pochte heftiger, lauter als der Donner über mir. Stier hielt ich meine Augen dahin, wo die Jungfrau stehen mußte und wollte sie sehen, und koste es meine Augen. Da teilte ein Blitz die Wolken, der Mond blickte durch und sein Strahl fiel gerade auf das Antlitz der Mutter Gottes an der Wand. Sie lächelte herab. Es donnerte fürchterlich, die Kirche zitterte in ihren Grundfesten, aber sie lächelte doch. Halleluja! hallte es durch die Luft wie ein Stoß aus einer silbernen Trompete, den man durch Trommeln und Pauken hört. ›Amen! Amen! Er hat Gnade gefunden,‹ schrie das Weib, ein Donnerschlag, als berste die Erde, fuhr über das Kirchengewölbe, der Mond ging unter, die Jungfrau Maria verschwand, aber sie hatte doch gelächelt.

Ein Felsen war mir von der Brust. Und doch bebte, zitterte, wankte, rüttelte es um mich, die Hölle stand auf; rotsiedende Blitze schossen senkrecht an den langen Fenstern nieder, es rollte unter mir, über mir, die Leichensteine taten sich auf, Schädel und schlangenhaarige Köpfe grinsten vor, die Gerichtstrompete schmetterte, und aus purpurroten Flammenknäueln schossen mit suchenden Augen und Geierkrallen die dienenden Höllengeister. An Schopf und Bart gefaßt, schleiften sie die Bösewichter im Feuer umher. Unter den kreischenden Jammertönen, unter dem satanischen Jubelgeheul stieg die Höllenlohe bis ans Dach, sie hob das Gewölbe und es ward Platz für ihn. – Aus dem Grabe schoß er wie ein Luchs, ein pechschwarzer Hund mit feuersprühendem Auge, mit Schlangenzotteln und Stahlkrallen. Nun hatte ich ihn gesehen, den Feind der gotterkauften Menschheit, mit dem Basiliskenblick, er schwoll, genährt vom Sündenhauch der Welt, zum Elefanten, er füllte die Räume der Kirche, er zehrte das Feuer auf, die Leiber der Sünder, die Teufel, die Leichensteine, alles, auch meinen bebenden Leib faßte es mit Magnetengewalt, da barst das Dach, ein Donnerschlag, wie wenn die Welt unterginge, Feuerfunken und Steinregen, und das Kirchengewölbe stürzte nieder.« –

Ein Schrei des Entsetzens unterbrach hier den Erzähler, der, so wenig sein ausdrucksloses Gesicht und die niedergeschlagenen Augen mitsprachen, doch in der Wonne des Erzählens begriffen schien. Ob es die herunterstürzenden Ziegel und der Feuerregen im Schornstein, veranlaßt durch einen heftigen Windstoß, gewesen, oder der Anblick des durch die von der Zugluft geöffnete Tür eindringenden Wesens, wußte man im Augenblicke nicht; als Amelie totenbleich, mit bebenden Lippen und stieren Augen nach der Tür aufspringend noch einmal aufschrie: »dort! dort!« und dann dem Kammerherrn ohnmächtig in die Arme sank. Der Ton war so schneidend, so durchdringend; der Wehruf, das Poltern, der Qualm im Kamin, alles stimmte so zu der Legende, daß die Mehrzahl der Anwesenden nicht weniger als das Fräulein befangen, im selben Moment ihre Stühle verlassen hatte, noch unwissend, ob dies eine Fortsetzung der Katastrophe in jener oder ein Abenteuer sei, worin sie selbst mitspielen sollten. Und während noch wenige zu sich selbst gekommen und vor dem Qualm gesehen, was eigentlich den Aufstand veranlaßt, schrie eine Stimme: »Der Höllenhund!« Eugenie aber rief: »Er ist es, er ist es!« – Und wie sich alle, bis auf Amelie, die der Kammerherr als völlig ohnmächtig mit einem Offizier aufs Kanapee des Nebenkabinetts getragen, nach einer Minute überzeugen konnten, herzte und küßte die Komtesse einen großen, schwarzen, zottigen Pudel, der ihr mit unverschämter Dreistigkeit an die Brust gesprungen war, nachdem er durch seine wilden stübernden Bockssprünge die Gesellschaft erschreckt. »Wo kam er her?« fragte der Graf, der am wenigsten von seiner Besinnung gerettet zu haben schien. Die offene Korridortür antwortete. »Was ist Ihnen, Komtesse?« fragte es; allein Eugenie, die Wangen hochrot von der Glut der Freude, hatte für keine Fragen Antwort, sie hörte sie nicht einmal. Doch ebensowenig gab ihr der Hund auf ihre Fragen: »Wo ist er? Kommt er?« Auskunft, und ehe die Gesellschaft sich noch das Wunder zu erklären wußte, war sie zur Tür hinaus und verschwunden. Man wartete lange auf ihre Rückkehr. Die ihr nachgeschickten Diener berichteten, die Komtesse habe sich allein in ihr Zimmer zurückgezogen, und meine, es sei nun genug mit Gespenstergeschichten.

Die Gesellschaft war nicht ganz derselben Meinung. Sie wollte sich nicht einmal mit dem Ende der abgebrochenen zufrieden geben; denn, wie einige meinten, könne man darauf nicht schlafen. So erzählte man weiter von verhexten Kürassierpferden und spukenden Großtanten, jedoch erst nachdem der Graf über den vermeintlichen Höllenhund die Erklärung gegeben, daß dies ein Tier sei, das einmal eine Einquartierung zurückgelassen, welches sich aber dergestalt an das Haus gewöhnt habe, daß es oft seine Herren wechselnd und von ihnen sich verlaufend, dann und wann freiwillig im Schlosse wieder einkehre.


 << zurück weiter >>