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Sechstes Kapitel.
Zitierte Geister

Eugenie saß in ihrem Zimmer. Sie mußte lange schon so gesessen haben; denn an den Wachskerzen hingen fingerlange Schuppen. Zu ihren Füßen lag der Hund und starrte mit seinen klugen Augen auf die Perle an ihren Augenwimpern. Er starrte auf keine Bildsäule, so still bewegungslos sie dasaß, denn der Busen wallte, das Herz schlug, und auch ihr Auge strahlte von einem Glanz, den keines Künstlers Hand nachbildet. Zuweilen lockte sie ihm mit den Fingern, er schoß in die Höhe und streckte sich doch ebenso schnell wieder hin, als wüßte er, daß er es nicht war, den der Gedanke der Gräfin anrief.

Sie hatten eine lange Unterhaltung gepflogen, sie hatten sich auch verstanden, aber nun war die Sprache ausgegangen. Wie zwei Jugendfreunde, die sich wiedergefunden und die Erinnerungen, die das Band zwischen ihnen geknüpft, waren sie vorhin umhergesprungen. Es hätte kindisch aussehen mögen, wie Eugenie den tollen Sätzen des Hundes folgte, aber der Hund war im Kreise umhergelaufen, treppauf, treppab, und die Komtesse hatte wohl die Orte wiedergefunden, die sie einst mit dem närrischen Tier besucht, aber nicht den, zu dem er sie führen sollte.

»Bist du denn nicht sein Bote?« wiederholte sie eine schon getane Frage. Der Hund sah sie an und regte sich nicht.

»Bist du ihm entlaufen?« Der Hund bewegte sich nicht.

»Gehörst du einem anderen an?« so kleidete sie den Gedanken ein, den in seiner nackten Wahrheit sie nicht über die Lippen zu bringen wagte. »Nein, – nein. Gib doch nur so viel Zeichen von dir.« –

Der Hund streckte sich platt nieder, den Kopf zwischen den Pfoten sinken lassend. Er drehte sich um wie ein toter Körper; dann, als ihre Hand ihn berührte, sprang er auf, Leben, Lust und Kraft in jedem Gliede, zauste die Schleife ihres Schuhbandes, den Besatz ihres Kleides, legte den Kopf auf ihren Schoß, leckte ihre Hände, wechselte vertrauensvolle Blicke mit ihr und streckte sich abermals hin.

»Du bist das klügste Tier, das ich gesehen; im Grunde genommen bist du auch das gefühlvollste Wesen unter uns. Was fehlt dir noch, um ein Mensch zu sein? Doch nicht der Verstand? Wie manche von den Puppen da unten beschämst du. Du bist ein Weiser gegen den Kammerherrn. – Du hast ein treueres Herz, ein besseres Gedächtnis als –

Pfui!« brach sie plötzlich ab, »jetzt satirisch sein! Du bist besser als ich, treu bleibst du deinem Herrn und Freund bis zum Tode. Du widersprachst ihm nie, hattest ihn nie in Verdacht, du fordertest keine Rechte, du dachtest nur an deine Pflichten. Er konnte dich schlagen, mit dem Fuße stoßen und er blieb dir so wert als vorhin.«

Sie riß aus der verborgensten Lade ihres Schreibpultes Briefe, alle sauber nach Damenart im Kuvert verwahrt. Der Hund schien vergessen, als sie die teuren Schriftzüge überlas. Auf den einen fiel eine Träne, einen anderen drückte sie an die Lippen, wieder und wieder, bis sie erschrocken ihr Bild an der Spiegeltür des Schrankes gewahrte. »Und warum,« rief sie, sich ermannend, »ist das was Schlimmes?« Sie sah ihr Spiegelbild so lange an, bis das Rot der Überraschung von den Wangen entwichen war. »Eine wie lange Bekehrungsgeschichte man aus den Antworten lesen kann! – Er mußte ja zweifeln – wie hart ich da war, wie unverzeihlich von mir – wenn er mit der Vorstellung ge – storben wäre – ich fände niemals Ruhe.« –

Sie schreckte bei dem Worte auf. Sie hatte ja keine Ruhe. Die Briefe wurden hastig übereinander geworfen im Schubfach wieder vergraben. Sie ergriff sein Porträt, es sah ihr so schmerzlich aus: »Der Maler lügt – oder wenn er jetzt –«

Sie sprang auf, sie warf sich aufs Kanapee. Der Hund ließ keine ihrer unruhigen Bewegungen außer acht: »Was wollte er damit sagen?« fuhr sie auf. » Friedrich muß, er wird ihm eine Ehrenerklärung geben, das waren des Generals Worte, binnen morgen und einer Woche spätestens. Mein Gott, was kann das sein! Wodurch kann man einen Friedrich zwingen, sein Unrecht einzusehen? – Durch Beweise seiner Unschuld? – Es ist ja alles erschöpft, dargetan, bewiesen. – Sonnenklar, er will nur nicht sehen. Was kann noch dazu kommen? – Fürsprache? – Friedrich und Protektion! – Heiliger Gott, wenn man etwas wagte! – Wiederum etwas! – Ein neuer blutiger, gefährlicher Auftrag. – Schon der nach Berlin durchzudringen, war Vermessenheit. – Es war noch nicht genug; er konnte da noch nicht seine volle Ergebenheit für den herzlosen Monarchen an den Tag legen. – Was hat man vor? Man will mit seinem Leben spielen. – Will? – Es ist vielleicht schon geschehen! – Die geheimnisvolle Miene des Generals. Seine Ordonnanzen. Mein Gott! mein Gott! – Soll er eine Kaiserin gefangen nehmen, das Archiv in Wien stehlen? – Und mein Vater, sein geheimnisvolles Wesen, wie er mich dabei ansieht! – Weiß er darum? Rechnet er darauf, daß er dabei untergeht? – In der Nähe vielleicht, hier – stündliche Boten kommen. – Ach, der Gedanke wäre nicht zu ertragen, wenn mein Vater sein Mörder würde!«

Sie hatte sich plötzlich mit dem Ausruf: »Nein, das darf nicht!« aufgerafft, die Pelzsaloppe umgeworfen, die Kerze ergriffen und stand an der Tür. Ebenso schnell hielt sie inne. »Nein!« Sie stellte den Leuchter weg. »Sie würden große Augen machen. Laß sie bei ihren Gespenstern. – Ich will mir seinen Geist zitieren. – Willst du's denn durchaus zwingen? Und wenn es dir gelingt, wenn du nun atemlos, erschöpft zu seinen Füßen liegst, dein Herzblut ausspritzend auf seine Reitstiefel und er dir gnädig zunickt, ein bißchen lächelt, kerzengerade wie sonst, schnupft und über dich wegschaut, was hast du davon? – Darum hingeopfert Jugendmut und Jugendhoffnung, Liebe und Glück – um ein gnädiges Lächeln! Wenn ich ein Mann wäre! – Und das wollen Freunde sein, die dir das raten? Immer wieder und wieder zu versuchen, ob es denn gar nicht möglich, den herzlosen Marmorkönig zu überzeugen, daß du es ehrlich mit ihm meinst und deine Pflicht getan hast? – Was brauchst du ihn, um zu atmen, um dich zu wärmen? Ist er Sonne, Luft? – O, wäre ich Mann, mein Stolz sollte es sein, ihnen zu beweisen, diesen Hohen, diesen Göttern der Erde, daß man ohne sie leben kann, mein größerer Stolz, – und es ließ sich doch denken, – wenn ich meine Zufriedenheit beneiden machte!«

Das war eine künstliche Haltung, sie dauerte nicht lange. In die Pelzsaloppe gehüllt, in den Winkel des Sofas gedrückt, suchte sie die Unruhe einzuschläfern. Der Schlummer senkte sich zu flüchtigem Besuch auf ihre geschlossenen Augenlider, fieberische Träume gaukelten davor.

Sie war in Berlin, wie es vergangenen Karneval wirklich der Fall gewesen; allein durch ein neckendes Spiel des Zufalls hatten ihre Briefe sich verfehlt. Am Tage, wo die gräfliche Familie zum Tor einfuhr, war er zum anderen hinausgeritten. Als er es erfahren, mit Mühe Urlaub erhalten, Tag und Nacht zurückgeritten und im bezeichneten Gasthof abgestiegen war, hatten Meronis vor einigen Stunden die Stadt Paris verlassen. Er wollte ihnen nach, als ein Leibhusar des Prinzen Heinrich ihn aufs Schloß bestellte. Der Prinz machte ihm Hoffnung auf einen Gnadenblick des Königs; der Gnadenblick blieb aus; dafür erhielt er die Eskorte eines Trupps Rekruten nach dem Rheine und die lange gewünschte, die oft besprochene Zusammenkunft war Luft geworden.

Es war daher nichts Wunderbares, wenn Eugenie träumte, wie sie mit Etienne in Berlin zusammentraf und ihn doch nicht sah. Sie saß in einem Wagen und er saß in einem Wagen, jede der beiden Equipagen mit einem reichsfreiherrlichen Zuge von sechs Paradepferden bespannt, jagten sie um das große Opernhaus, und konnten sich doch nicht einholen. Jeder sah nur den Staub der Räder des anderen; so gleichmäßig schnell, so geschickt kutschierten die beiderseitigen Wagenlenker, die niemand anders waren als der Marquis beim Offizier und ihr eigener Vater auf ihrem Wagen. Befahl sie, um dem ängstlichen Spiele ein Ende zu machen, daß ihr Vater schnell umlenken sollte – und er gehorchte auf den Wink – so hatte ihr Geliebter jedesmal denselben Einfall, und sie blieben sich immer gleich weit und gleich nahe. Das Volk blieb stehen, es sammelte sich halb Berlin auf den Treppen des Opernhauses, vor der Bibliothek, an Prinzessin Amelies Palais, am Kupfergraben. Man lachte, man wies auf sie mit den Fingern, der Todesschweiß stand der Gräfin auf der Stirn. Sie winkte – umsonst – sie fiel dem Kutscher, ihrem Vater, in den Arm, umsonst. Es peitschten die beiden Kutscher aus Leibeskräften und das Volk fing an zu murren, vermutlich, weil man die Tiere ohne Not quälte, das Murren wurde Ernst, und sie erwachte.

Es war der Pudel, dem ihre heftigen Bewegungen nicht gefallen hatten. Im Zimmer war es düster und einsam, totenstill im weiten Schloß, Mitternacht war vorüber. Die Mitglieder der Gespensterrepublik mochten längst auseinandergegangen sein, aber Amelie lag doch noch nicht in ihrem Bette. Öffnete Eugenie die Tür, so brummte die Zugluft vom langen Korridor drüben und die enge Wendeltreppe herauf ächzte es wie ein Sterbender. Das waren Geisterklagen, wie sie jeden stürmischen Abend vor ihrer Schwelle sich vernehmen ließen, aber so bang, so einsam war ihr noch nie zumute gewesen. Und über die weite, weite Schneemasse, soweit sie die von ihrem Turme übersehen konnte, fuhr der bitter scharfe Nordwind, der Neumond hob seine Sichel im wolkenlosen Himmel, und das Sternenheer, wie Brillanten an dem azurnen Gewölbe, gab dem Schnee von seinem Glanze ab; es strahlte und flimmerte von der Frostdecke. Welche andere Einsamkeit draußen als in den dunklen Wänden des Zimmers; sie suchte bange nach Gegenständen in der unermeßlichen Einförmigkeit. Wo eine vereinzelte Fichte ihre Äste senkte, wo eine Erhöhung Schatten warf, fernhin nach dem Saume des Waldes irrte ihr Blick. Sie suchte nach etwas und wußte sich nicht zu sagen nach was? Ein Geist hauchte über die flimmernde Eisdecke; was nahm er nicht Gestalt an, was wurde er nicht sichtbar, was trat er nicht unter ihre Fenster. – Der tiefe, tiefe Fichtenwald jenseits, was konnte er nicht bergen in seinem verschwiegenen Schoße? Konnte es nicht herausbrechen plötzlich, über die Ebene sprengen? Die feste Schneedecke knirschte. Und wirklich, dort regte sich etwas, schwarze Schatten strichen über die weiße Ebene. Es waren nur die Dämmerschatten eines Fluges Dohlen. Sie kreisten um ihr Fenster. Aber dort? Die Kiefer warf ihre Überlast erstarrenden Schnees ab. Dort aber? Es regte sich am Saum des Waldes, ein Schatten fegt seitwärts, ein schwarzes Roß sprengt feuerschnaubend herüber. Die Komtesse hielt sich die Hände vors Gesicht, ihre Phantasie, den weiten öden Raum mit Schreckgestalten bevölkernd, überwältigte sie. Sie wollte nicht mehr sehen.

Augenblicklich, als sie sich wieder in die Sofaecke geworfen, trat auch Berlin und der Opernplatz ihr wieder vor Augen. Der Wagen des Marquis, der Wagen des Grafen jagten sich, jeder gezogen von sechs feuerspeienden Rappen; ganz Berlin stand darum, wie Troja und Griechenland, als Achill um die Mauer von Ilium, dessen letzten Hort, jagte. Nun endlich wechselte es. Es ward still ringsum. Eine prächtige Staatskarosse bewegte sich vom Brandenburger Tor her. Mit gemessenen Tritten, ihre Stäbe in der Hand, trabten, vorauf Platz machend, die königlichen Läufer in ihren hochgeschürzten Springerröcken. Es wich alles zurück, die Hüte flogen von den Köpfen, die Mützen verkrochen sich. Sechs Jäger, die an den Tritten der königlichen Equipage hingen, sprangen im selben Augenblick herab und rissen dem König die Türen auf. Der Monarch trat heraus; in seinem abgetragenen Rocke, seinen staubigen Stiefeln, der Dürftigste unter den Glänzenden. Aber sein Blick musterte die Menge und der Glanz seiner Augen goß Licht über die Masse. Im nächsten Augenblicke war er oben auf der Treppe des Opernhauses. Wollte er hier Audienz erteilen, das Berliner Volk, als wäre es von den Rostris des Forums, anreden? Er hatte zu schaffen, sich gegen den Andrang zu verteidigen. Das Bild wechselte abermals. Der König Friedrich stand mit gezücktem Degen am Treppenrande und verteidigte sich gegen einen Ungestümen. Der Ungestüme war – Etienne. Auch er mit blankem Degen. Ein wütender Kampf, der Leutnant wollte durchaus hinauf zum König, der König ihn nicht hinauflassen. Blut rieselte schon die Treppe herab. Der König stieß zu, Etienne parierte nicht; der Degen fuhr ihm durch den Leib und der Leichnam stürzte die Treppe – doch nein. Im Augenblick wo der König zustieß, stieß jemand den Leutnant zurück und der Degen des großen Friedrich fuhr bis ans Heft dem – Marquis von Cabanis in die Brust. Er sank – nicht die Treppe hinunter, sondern galant auf das – Knie, zog den Degen mit Geschicklichkeit aus dem Leibe und präsentierte ihn zierlich dem Könige mit den Worten: »Sire, Sie haben mir Gerechtigkeit gewährt. Heil meinem großen Monarchen!« Nun war alles Freude und Jubel, der Marquis tanzte und die Treppe und Berlin tanzte, Eugenie und Etienne standen am Altar und der Marquis, dessen Wunde, nachdem viel Blut herausgeflossen, zum bunten Ordensband zuheilte, legte beider Hände ineinander und rufend: »Kinder, wir müssen eine große Galoppade tanzen, denn es gibt nur einen einzigen König Friedrich,« schwenkte er den Leuchter –

Eugenie drückte zu, aber Etiennes Hand verging in Luft, sie riß die Augen auf, dem Marquis fiel der Leuchter aus der Hand, aber des Marquis Gesicht grinste sie doch noch an. Den Finger auf dem Mund, war er im nächsten Moment zur Tür hinaus. Sie rief ihn zurück, er wollte nicht. Sie rieb sich die Augen: »Fatale Träume! Immer Menschen sehen zu müssen, die man nicht mag! Aber der Marquis –« Es überzog sie ein eisiger Luftzug. »Das war er selbst. Torheit! –« Sie sprang auf. Ihr Fuß stieß an den Leuchter; die Tür war offen. – »Was ist das? – Traum, Märchen? – Herr Marquis –« Sie schauderte und lachte. Es bellte unten, wo war der Hund, der treue Pudel fort? Das war seine Stimme. Lauter, freudiger. Sie riß das Fenster auf. Die Eisluft war warm. Von einem schwarzen Pferde sprang ein Reiter. Der Reiter, das Pferd und der Hund, der ihn mit tollen Jubelsprüngen belästigte, während er des Tieres Zügel an einen Baum hing, waren die einzigen lebenden Wesen in der weiten Schneeeinsamkeit, und doch dünkte diese ihr in dem Augenblick von tausend Geistern der Freude belebt. Der weiße Schnee war grüner Rasensammet, von Morgenrot überfärbt, die weißen, Schneelasten tragenden Bäume grünten und blühten, Gesangvögel zwitscherten in der eiserstarrten Luft. Sie konnte kaum die dunkle Gestalt in ihren Umrissen erkennen; war sie doch beständig eins mit dem an ihr emporspringenden Hunde, und doch wollte sie sie anrufen, aber der Name Etienne erstarrte in der Kehle; die Lippen versagten oder die Lunge hatte nicht die Kraft. Die dunkle Gestalt wandte sich durch den hohen Schnee nach einer Stelle der Mauer, wo die Hinterpforte angebracht war. Eugenie streckte ihr die Arme entgegen; wer mochte das unten sehen? – »Ich komme,« rief sie, wer mochte das hören? Im Fluge war sie zur Tür hinaus. Die Pelzsaloppe blieb an einem Nagel hängen. Was brauchte sie einen Pelz, es war ja Frühling, eine schwüle Sommernacht. »Vorsicht!« flüsterte ihr eine Stimme im Dunklen zu. Was brauchte sie der Vorsicht. Sie sprang, sie flog am Gehseil die enge, dunkle eckige Wendeltreppe hinunter, wo sie bei hellem Tage jede Stufe betastete. Sie mußte wieder treppauf; in der Dunkelheit fand sie auf den ersten Griff die Schlüssel zu den Türen. Da schwang er sich – sie sah es vom Korridorfenster – über die niedrige Mauer. Nur ein kurzer Gang, nur eine Tür trennte sie noch von ihm und sie hielt den Schlüssel in Händen.

Zum erstenmal zitterte ihre Hand, das Schloß drehte sich herum. Jetzt schloß es, eine Hand von draußen drückte die Klinke auf, die Zugluft riß den mächtigen Eichenflügel weit auf. »Bist du's,« rief sie und lag aufatmend an der Brust des Eintretenden. Der Nordwind brauste durch den offenen Zugang. Dem Glücklichen wurde bang für das warme, frische, junge Leben, das alle seine Pulse in seiner Brust aufzuatmen schien. Er schlang den Mantel um sie und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. Sie hatte ihm noch nicht ins Gesicht gesehen. Die Gedanken zuckten wie Blitze in sich begegnenden Gewittern. Wenn er es nun nicht, wenn es ein anderer war! – Er sprach ja nicht. – Es wäre entsetzlich. Sie betete, daß er es sei. Es wäre zu gräßlich, sie ertrüge es nicht. Sie betete zu Gott, zu seinem Sohne, zu der Jungfrau Maria, von deren Barmherzigkeit der gestrige Erzähler gesprochen, heiße Gebete, in denen die ganze Seele ausströmte, und die Himmlischen erhörten sie. Er war es. Der erste Laut seiner Stimme, ihr Name, den er aussprach, das war keine Täuschung.

»Du bist es,« atmete sie auf, »du lebst, bist bei mir, das ist kein Traum – nein, nein, das ist Wahrheit. Warum schweigst du, laß mich dir ins Gesicht sehen.«

»Ich bin es, Eugenie, bei Gott, noch ich und nicht mein Geist.« Er ließ sein Gesicht bescheinen vom schwachen Mondenlichte. Die Tür widerstand ihm, als er sie zum Schutz gegen den Sturm zudrücken wollte.

»Fort, fort von hier,« rief Eugenie, »daß sie dich nicht wieder mir fortziehen, der tückische Zufall, die bösen Feinde, der neckende Traum. Hier, weißt du, das war ja die Tür, wo wir uns sahen, um zum erstenmal uns zu trennen. Nie, nie mehr trennen.«

Sie hatte ihn ins innere Schloß gezogen. In derselben Halle, auf derselben Bank, wo er einst verwundet, ein schöner Jüngling, in der malerischen Uniform der Magyaren gesessen, saß er auch jetzt – ihr Arm um seinen Hals – sie weinte an seiner Brust, er zitterte vor Freude, sie sprachen miteinander, sie wußten nicht was. Es war so unendlich viel; wie sollte das Unendliche in ein paar Worte gefaßt werden. Es waren Brocken, so unzusammenhängend, so Unwichtiges berührend, daß ein dritter Zuhörer beide für verirrt gehalten hätte.

Und der Zuhörer fehlte nicht. – »Wie kamst du her? – Sie haben dir nach dem Leben gestellt? – Bist du verwundet? – O Gott, geritten in der kalten Nacht – die Hand ist noch erstarrt und klamm. – Du bist gewiß nicht verwundet?« So herausgestoßen überstürmten sich die Fragen und Bemerkungen der Gräfin.

»Ein guter Geist hat mich beschützt und durch alle Gefahren geleitet.«

»Also doch Gefahren? – Wer schickte dich in die Gefahr? Wer wagte nicht selbst, wer, wenn es nicht dein bitterer Feind, war so feig, so elend, so kleinlich gestimmt, wenn es nicht – dich dahin zu stellen, wo er selbst –«

Etienne hatte bis dahin, den linken Arm um ihren Leib geschlungen, sie angehört; statt zu antworten, stand er plötzlich auf. »Was willst du?« sie blickte in die Höhe und sah, sie war nicht mehr allein mit dem Geliebten. Die Halle hatte sich gefüllt, lächelnde Gesichter, Neugier, Staunen, Wohlgefallen in aller Blicken. Die mitgebrachten Kerzen beleuchteten das selige Paar, das den Eintritt so vieler hatte übersehen, überhören können. Nur eine peinliche Miene hätte man hier bemerken mögen, die des Schloßherrn.

Der Offizier, die Hand am Kaskett, wollte anheben: »Euer Exzellenz, ich komme zu rapportieren –«

»Daß Sie hier sind,« unterbrach ihn lächelnd der General, »und das freut mich Ihretwegen und einer geehrten Freundin halber; daß auch mir als königlichem General Ihre Ankunft willkommen ist, darf ich hoffen.«

»Sie dürfen,« antwortete Etienne kräftig mit der Miene frohen Bewußtseins.

»Davon rapportieren Sie mir insbesondere. Es wäre unrecht, wo keine Gefahr im Verzuge, die Freude des Wiedersehens im ersten Augenblick schon stören zu wollen, eine Freude, die kein Lohn eines Monarchen ersetzte. Der Meinung ist unser würdiger Wirt doch auch?« wandte er sich zum Grafen, seinen Arm vertraulich fassend.

»Ich muß nur bedauern, daß meine werten Gäste noch so späten Störungen ausgesetzt sind,« entgegnete dieser. » Meine Schuld ist es nicht.«

»Sie sehen, man läßt sich ja nicht stören,« sagte der General, auf Eugenie deutend, die jetzt erst das volle Wonnegefühl der Wiedervereinigung zu genießen schien. Mit klarem glänzenden Blick, den Arm in dem des Geliebten, schaute sie umher, allen erklärend, ja, ich bin glücklich und alle fragend: wer hat etwas dagegen?

»Das sind nicht mehr Gespenster, meine Herren,« wandte der General sich zu den Anwesenden mit Laune, »deren Stunde ist beinahe vorüber. Es sind keine Gespenster, ich versichere Ihnen, die sie geistergleich anzuschauen haben, das sind wirkliche, menschliche und zwar glückliche Wesen. Hier die Komtesse, unsere liebenswürdige Wirtin, hier Leutnant Etienne, eben zurückgekehrt von einem ehrenwerten, schwierigen Auftrage, der glückliche Verlobte der Komtesse. Gratulieren Sie, meine Herren, schnell, schnell, legen Sie dem seligen Paare Ihre Huldigungen zu Füßen, damit wir alle einen mit Täuschungen und Schreck verlebten Tag mit einer frohen Aussicht schließen. Ich beginne, den würdigen Mann an meiner Seite meiner vollen Teilnahme zu versichern. Sein Auge glänzt vor Freude, seine Arme breiten sich unwillkürlich dem langersehnten Eidam entgegen. Überlassen Sie sich ganz Ihrem Gefühl, Herr Graf.«

Die angekündigte und anempfohlene Umarmung sah etwas steif und lau aus. Mit glänzendem Auge und stilltriumphierendem Blicke empfing Eugenie die teilnehmenden Wünsche der Anwesenden.

»Auf meinem Zimmer erwarte ich Sie,« flüsterte der General dem Leutnant zu und beurlaubte sich von Eugenie mit einem Tone, der mehr herzliche Teilnahme verriet, als die vorige offiziell humoristische Aufforderung. »Sie sind mit mir zufrieden, schöne Komtesse, aber Sie sollen es noch mehr werden.« Der Graf hatte sich vor ihm unbemerkt davongeschlichen.

Die übrige Gesellschaft, vom Diskretionsgefühl oder vom Schlaf getrieben, war dem Beispiel der beiden Häupter der Gesellschaft bald gefolgt, ohne den Liebenden von den kostbaren Augenblicken durch Abschiednehmen einige zu rauben. Die Augenblicke wurden Minuten, wo Eugenie dem Geliebten sagen konnte, daß er ein böser Zauberer sei, der sie so verwandelt habe, daß sie sich selbst nicht wiederkenne. Tausend Dinge wollten sie sich sagen, und als die Scheidestunde schlug, hatten sie sich nichts gesagt.

* * *

Etienne war betroffen über den Ton des Generals, als er dem Eintretenden gähnend entgegenrief: »Ach, Sie kommen noch zu rapportieren; ich wollte schlafen.«

Etienne kannte die gerühmte Pünktlichkeit des hohen Offiziers in allen Dienstsachen: »Exzellenz, ich kam nach Ihrer Order, zu melden –«

»Wie alles gelungen, das weiß ich ja schon,« fiel ihm der General ins Wort. »Die Details morgen.«

»Es fielen nicht unwichtige Umstände vor.«

»Desto besser; wenn wir wach sind. Sie lächeln und glauben nicht, daß ich schläfrig sein kann, wenn ich Rapporte zu hören habe. Nun, so nehmen Sie an, daß ich Ihretwegen schläfrig bin. Ich will Ihnen nach einer so seligen Stunde trockene Diensterzählungen ersparen, und glauben Sie mir auf mein Ehrenwort, ich werde das beim Könige rechtfertigen. Morgen, lieber Leutnant, morgen. Indes gute Nacht.«

Etienne verstand seinen General nicht: »Haben Exzellenz sonst etwas zu befehlen?«

»Befehlen, behüte! Nichts heute von befehlen. Aber wie kommt Ihnen die Luft hier vor?«

»Es ist kalt.«

»Ich empfinde da Zugluft, wo mein Bette steht. Wollen Sie mir eine Gefälligkeit erweisen, die ein General von seinem Adjutanten nach unseren Kriegsartikeln sonst gerade nicht fordern darf, so fassen Sie mit an; wir tragen es ohne Umstände an jene Wand.«

Es geschah. Der General bat noch, indem er sich anfing zu entkleiden, den Offizier, nach den Pistolen zu sehen, ob sie imstande wären, und sie gespannt vor sein Bett zu legen.

»Exzellenz besorgen doch keinen Überfall?«

»Es ist meine Eigenart, ich kann ohne die Präparate nicht ruhig schlafen. Beim kleinsten Geräusch in der Nacht pflege ich zuzugreifen und es ist mir schon passiert, daß ich gegen die Wand geschossen habe im Traum. Ich schlafe deshalb immer allein. Nach den vielen Gespenstergeschichten von heute abend möchte doch eine solche Erscheinung zu besorgen sein. Gute Nacht indes, lieber Leutnant.« Der General sagte das mit einer schlauen Miene, und man hörte in dem Rest der schon gestörten Nacht nichts von einem Pistolenschusse.


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