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Schon zum Frühstück erfuhr Emil von Norbert die Neuigkeit, daß die Komtesse gar nicht im Jagdschlößl genächtigt habe und mit Papa in aller Frühe abgereist sei. »Überraschend gekommen, überraschend gegangen! Schade, so hübsch die Komtesse und so lustig! Was es da nur gegeben haben mag? Diesmal weiß ich weniger wie nichts!«
Mit einem wahrhaftigen Schafblick guckte Emil den alten Kammerdiener an, bestürzt, fassungslos.
Norbert war längst gegangen, doch konnte Emil noch immer nicht begreifen, was diese verblüffende Abreise veranlaßt haben konnte. Wie auf den Kopf geschlagen fühlte sich der Prinz, denkunfähig, betäubt, niedergeschmettert. Körperliche und seelische Schmerzen, das bittere Gefühl eines furchtbaren Verlustes, eine gähnende Leere. Gewichen ein großes Glück, erstorben jegliche Lebensfreude. Mählich aber reifte der Entschluß, alles zu wagen, um nach Möglichkeit das mit Isotta verknüpfte Lebensglück doch noch zu erringen. Wenn nötig, mit Kampf und Gewalt.
Emil fühlte mit dem Erstarken der Energie, im Zittern um sein Lebensglück, daß es nun mit jeder Gängelei des verhätschelten Muttersöhnchens vorbei sein müsse, daß es zugreifen heißt und Krieg geführt werden muß. Krieg gegen Mama, die zweifellos mitgeholfen, den Grafen Thurn bestimmt hat, seine Tochter wegzubringen. Krieg aber auch gegen Papa Thurn, dem Emil von Schwarzenstein die Tochter Isotta abringen muß. Wo aber die Thurns finden? Die Antwort auf diese selbstgestellte Frage gab die Erinnerung an die Auskunft des Hoffräuleins, daß die Thurns aus Mailand stammen, also dort irgendwo begütert sein werden. Demnach wird man in der Gegend von Mailand nach Thurns Verwandtschaft und Besitzungen zu suchen haben.
Einmal soweit entschlossen, richtete Emil sein Augenmerk auf die Hauptsache: Geld zum Kriegführen.
Der Versuch des Prinzen, vom Oberförster Hartlieb aus der Jagdamtskasse eine Summe zu erhalten, hatte ein klägliches Resultat: gegen Quittung erhielt Emil den für seine Zwecke lumpigen Betrag von hundert Kronen.
In dieser Not stellte sich der Gedanke an Pater Wilfrid ein. Den liebenswürdigen Benediktiner als Pumpquelle hatte Emil ja schon einmal ins Auge genommen, die Ankunft und kurze Anwesenheit Isottas aber die Ausführung des Pumpversuches vereitelt.
Um jedes Aufsehen zu vermeiden, verzichtete der Prinz auf den Wagen, wie ein Dieb schlich er davon und eilte nach Admont. Und glücklich traf er den Pater, Gastmeister und Pfarrer in der Zelle des Stiftes an.
Emil platzte heraus: »Gott sei Dank, daß ich Sie noch rechtzeitig erwischt habe! Ich muß nämlich in dringendster Angelegenheit verreisen, – Ehrensache – habe aber zuwenig Moneten! Darf Mama nicht behelligen, ansonsten kommt sie mir zu früh auf gewisse Schliche! In dieser Verlegenheit muß mir unser lieber Hofpfarrer aushelfen! Ich rufe also in Not und Verlegenheit: hilf, heiliger Wilfrid!«
Freundlich bot er Emil fünfhundert Kronen an. »Wenn Durchlaucht damit gedient ist!«
»Oh, sehr angenehm! Hochwürden verpflichten mich zu besonderem Danke! Meine Situation ist derart mißlich, daß sie mich zwingt, Ihr liebenswürdiges Angebot anzunehmen wider bessere Einsicht, gegen Anstand und Sitte! Heillos unangenehme Situation! Verzeihen Sie meine Ungezogenheit, entschuldigen Sie in Gnaden meine Frechheit! Sie wissen ja: in der Not frißt der Teufel Fliegen! Der Prinz von Schwarzenstein auch! Also helfen Sie mir mit den fünfhundert Kronen aus der Not! Ich muß sie haben! Wegen Zinsen und Rückzahlung …«
»Bitte, jedes weitere Wort ist überflüssig! Ecco!« Damit gab Wilfrid dem Prinzen die Scheine, die Emil sofort in der Westentasche verschwinden ließ.
»Vergelt's Gott vieltausendmal für diese Hilfe in der Not!« Mit einem kräftigen Händedruck verabschiedete sich der Prinz vom gefälligen Priester.
Ohne das geringste Gepäck fuhr Emil mit dem Mittagszuge von Admont nach Selztal, wo er den Schnellzug nach dem Süden benutzte. Und in Udine gab er ein Telegramm an Mama auf des Inhaltes, daß er genötigt sei, in dringender Angelegenheit für einige Zeit zu verreisen.
Die Bestürzung und Angst über Emils Verschwinden wurde durch diese Depesche beseitigt, nicht aber die Sorge vor bösen Komplikationen. Aus dem Aufgabeorte Udine konnte die Fürstin unschwer erraten, welcher Art die dringende Angelegenheit sein werde. Wenngleich nun nicht zu befürchten stand, daß Graf Thurn, falls ihn Emil findet, je die Hand zu Dummheiten bieten wird, die Fürstin fühlte sich beunruhigt, sie bangte um den Sohn, der ohne jede Begleitung, ohne Schutz, ohne größeres Gepäck und gänzlich mittellos in Italien weilte. Mama sah in Emil immer noch und nur das Mutterbubi, jetzt hilflos allen Fährlichkeiten der Welt preisgegeben; daher die Angst, das Entsetzen, daß dem verhätschelten Liebling, dem so lange gegängelten Herzensbubi Unheil zustoßen könnte und werde. Daß Emil längst »erwacht« war, vergaß die Mutter, sie dachte auch nicht daran, wie sehr sie gewünscht und ersehnt hatte, es möge der Sohn eine – stahlharte Energie sich erringen. Auf Tatkraft und Schneid deutete dieser Sprung in die Welt, doch dies vermochte die Fürstin nicht zu erkennen. Der Liebling hilflos im Welschland! Diese entsetzliche Tatsache peinigte die Mutter um so mehr, als sie außerstande war, dem Sohne Geld zu senden, da seine Adresse unbekannt war. In diesen Stunden der Angst und Sorge war die Fürstin bereit, Tausende zu opfern, um nur den Liebling schleunigst wieder zu erhalten. Sie dachte auch daran, dem Grafen Thurn nach Mailand Geld für Emil zu senden. Aber der Gedanke wurde verworfen, aus triftigen Gründen. Reiche Geldmittel würden dem Sohne sicher den Nacken steifen, »Bubi« veranlassen, erst recht in Italien zu bleiben und dumme Streiche zu machen. Viel besser wird es sein, den Jungen zappeln und mürbe werden zu lassen. Die Not wird ihm die Liebes- und Heiratsmucken schon austreiben.
Aber der Gedanke, daß Emil Not leiden müsse, vielleicht obdachlos sei, als Landstreicher aufgegriffen, als Schwindler an die Grenze abgeschoben und der Polizei übergeben werde, verursachte eine Aufregung und Angst, die die Fürstin nahezu krank machte. Dazu die Unmöglichkeit, mit Fräulein von Gussitsch über diesen Streich des Sohnes zu sprechen. Unmöglich! Trotz des Bedürfnisses, sich die Angst von der schwer bedrückten Seele zu sprechen. Die Sorgen hinunterwürgen, totschweigen den neuen Skandal.
In ihrem Jammer ließ die Fürstin tags darauf den Pater Wilfrid zu sich bitten. Dem Priester vertraute sie ihr Leid an: das Verschwinden des Sohnes, die Befürchtung, daß Emil versuchen werde, dem Grafen Thurn die Erlaubnis zur Verlobung mit Komtesse Isotta abzutrotzen oder abzuschmeicheln. Dabei ließ die Fürstin durchleuchten, daß für einen Prinzen die Heirat einer Grafentochter als wenig standesgemäß nicht in Betracht kommen könne. Trotz aller Herzensnot doch Hochmut …
Pater Wilfrid war nicht wenig überrascht von diesen Mitteilungen. Nun wußte er doch, wozu der Prinz das gepumpte Geld benötigte. Von einer Ehrensache hatte der Schlingel geflunkert! Von der Tatsache, daß der Hofpfarrer selbst mit seinem Gelde Emil den Sprung in die Welt ermöglichte, darf die Fürstin natürlich kein Sterbenswörtchen erfahren. Dieses Geheimnis muß Wilfrid peinlichst bewahren.
»Helfen Sie mir doch, Hochwürden! Raten Sie mir, was soll ich tun! Die Situation ist ja gräßlich!«
Wilfrid suchte sich aus der Verlegenheit zu ziehen, indem er vorschlug, es möge Durchlaucht an den Grafen Thurn nach Mailand oder wo er sonst Aufenthalt nehmen könnte, die telegraphische Bitte richten, mit der Tochter rasch eine große Reise, vielleicht über See, anzutreten. »Ist das Schiff mit Thurn an Bord abgegangen, bevor Prinz Emil die betreffende Hafenstadt erreichte, so wird er die zwecklose Suche wohl bald aufgeben und mangels Reisegeld reumütig heimkehren! Meine ich unmaßgeblichst!«
Sofort ging die Fürstin darauf ein. Sie schrieb drei Depeschen und bat Pater Wilfrid, diese mitzunehmen und in Admont aufzugeben. » Col tempo presto! Subito!« Die Fürstin ließ anspannen, den geistlichen Vertrauensmann zu Wagen nach Admont bringen, um Zeit zu gewinnen. Und so sehr drängte sie zur Eile, daß Pater Wilfrid selber zappelig wurde. Unterwegs erst fiel ihm ein, daß die Fürstin völlig vergessen hatte, ihm Geld zur Zahlung der Telegrammgebühren zu behändigen. Wilfrid pfiff leise durch die Zähne und dachte sich allerlei über die Mucken des Hofdienstes …
*
Mit einiger Verspätung war die Kunde vom Verschwinden des Prinzen Emil auch in das stille Forsthaus, in die Kanzlei Hartliebs, gedrungen, und zwar durch Frau Gnugesser, die den Oberförster mit der Frage überraschte, ob er schon wisse, daß der Prinz plötzlich »durchgegangen« sei. Das jähe Entsetzen ob dieser Schreckensnachricht hatte Ambros ein einziges Wort abgepreßt: »Allein?«
Auf diese kurze Frage hatte Frau Amanda lachend mit einer Gegenfrage geantwortet: »Mit wem hätte denn der Prinz durchbrennen sollen?«
Worauf Hartlieb mit flammendem Antlitz fluchtähnlich die Treppe hinaufgestürmt war, um von seinem Seelenzustande nicht noch mehr zu verraten. Allein mußte er sein mit seinen Gedanken und Gefühlen, mit der überquellenden Freude … Fort der Prinz, ohne Begleitung. Demnach mußte sich Martina hier befinden, also kann es nicht wahr sein, daß Prinz Emil sich mit dem Hoffräulein verlobt habe. Was die Kammerfrau Hildegard mitteilte, war nichts als Tratsch.
Und ist Martina frei, dann kann Ambros es wagen, um ihre Hand zu bitten …! Darf er aber auf die Zustimmung hoffen? Und kann ein Ehebund geschlossen werden im jetzigen Dienstverhältnisse? Ist die Stellung des Oberförsters so fest gegründet, daß der Oberbeamte heiraten kann? Freie Hand in Dienstangelegenheiten hat man ihm wieder gegeben, den Oberbeamten in seine Rechte eingesetzt. Wie wird sich jedoch die Zukunft gestalten, wenn infolge der Flucht des Prinzen die Fürstin das Haller Jagdgut verkauft? Ihr wird der Besitz verleidet sein! Ein besonderes Interesse an Jagd und Wild ist ohnehin nicht vorhanden! Überdruß und schlechte Laune können sie sehr leicht und rasch veranlassen, die Besitzung abzustoßen, wegzugeben selbst mit bedeutendem Verlust!
Wird ein neuer Eigentümer die Beamten im Dienst übernehmen, dem Oberförster die Heirat gestatten?
Diese schwer auf die Seele drückenden Fragen machten Ambros kleinlaut, die Sorge vor der Zukunft nagte, biß die Hoffnungen tot. Nur eines konnte die Sorge nicht vernichten: das Bewußtsein der Tüchtigkeit des Beamten im Berufe. Dieses Bewußtsein hielt aufrecht, gab Mut und neue Hoffnung. Wie eine Erleuchtung kam es über Hartlieb, ein heller und kluger Gedanke: Tu, wozu das Herz dich antreibt! Übernommen wird der Oberbeamte sicher, und ist er bereits verheiratet, so braucht er nicht erst um den Ehekonsens zu bitten!
Optimist, ein Hellseher, ein sonniger Mensch wurde Ambros in dieser Stunde, zum mindesten hatte er die Sonne froher Hoffnung jetzt in der Brust. Und dieses Leuchten in der Seele konnten die Nebelschwaden in Berg und Wald nicht verschleiern, nicht verlöschen.
So entschloß sich denn Hartlieb zum Gang in das Schlößl. Mit Mustela-Martina wollte er sprechen, um ihre Hand bitten.
Da klopfte es, und der Forstwart Gnugesser schob sein Bäuchlein in die Kanzlei. Dienstliche Runzeln statt des üblichen Lächelns der Gutmütigkeit auf der Stirne. Kläglich klangen seine Worte, der Bericht, daß der Holzhändler mehr als vereinbart geschlägert und die Plätzzeichen der Grenzbäume herausgehauen habe. Gnugesser wollte wissen, was er in diesem Falle tun und wie er dienstlich gegen diesen Betrug vorgehen solle.
Der ernste, pflichttreue Oberförster zeigte sich wohl zum ersten Male im Dienstesleben ungeduldig, fast ungehalten über die Störung; zappelig und rasch rief er: »Sofort Anzeige bei der Gendarmerie erstatten! Beseitigung der Plätzzeichen an Grenzbäumen ist Urkundenfälschung! Veranlassen Sie das Weitere in eigener Kompetenz! Ich habe keine Zeit! Adieu!« Und er stürmte aus der Kanzlei, ehe der überraschte Forstwart auch nur ein weiteres Wort über die bebuschten Lippen bringen konnte. Langsam stapfte Beni die Treppe hinunter. Und schwer wälzte er die Gedanken durch den Kopf, daß Waldbäume Urkunden sein können. Doch mählich begriff er, was Hartlieb mit dem fremd klingenden Ausspruch sagen wollte.
Im Jagdschlößl wimmelte alles durcheinander wie in einem Ameisenhaufen; ein emsiges Packen von Koffern, Handtaschen, Hutschachteln. Weder Hildegard noch Norbert hatten für den Oberförster Zeit, sosehr beschäftigt waren sie mit den Vorbereitungen zur Abreise. Nur sehr flüchtig in wenigen Worten gab der alte Kammerdiener Auskunft, daß plötzlich der Befehl zur Reise nach Italien erteilt worden sei. Ein jäher Schreck fiel Hartlieb in das klopfende Herz. Wird Martina die Gebieterin begleiten? Werden die Damen zurückkehren?
Während Ambros überdachte, wie er sich verhalten solle, wollte die Hofköchin an ihm vorbeihuschen. Rasch fing er die üppige Restituta ab, hielt die aufschreiende tugendsame Maid mit eisernem Griffe fest und bat sie, ihn zum Hoffräulein zu führen, das er dienstlich sprechen müsse. Zwar blickte Restituta ihn sehr mißtrauisch an, doch der Hinweis auf den Dienst veranlaßte sie doch, den Förster in das obere Stockwerk zu führen und ihn bei Fräulein von Gussitsch anzumelden.
Auch Martina war mit dem Kofferpacken beschäftigt; sie guckte sehr überrascht, als Hartlieb mit fast ängstlicher Miene an der Türe stand und flehentliche Blicke auf sie richtete.
Vom großen Reisekoffer wegtretend, ging Martina dem Oberförster entgegen, reichte ihm die Hand und bat Platz zu nehmen. »Womit kann ich dienen? Wie Sie sehen, sind wir eifrig mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt!«
»Verzeihung, daß ich störe! Aber es muß sein! Ich kann gnädiges Fräulein nicht abreisen lassen …« Hartlieb hielt inne und blickte Martina bittend an.
Erglühend erwiderte sie: »Sie können mich nicht abreisen lassen? Weshalb? Ich muß aber laut Befehl die Fürstin begleiten!«
»Ja! Sie müssen laut Befehl!« Wie ein schwaches Echo klangen Hartliebs Worte, heiser, wehmütig, angsterfüllt. Fahl war sein Gesicht, eine rührende Bitte lag in seinen Augen.
»Sie haben vermutlich vernommen, daß wir abreisen, und Sie wollen wohl Abschied nehmen?«
»Ja und nein! Verzeihung, es fällt mir so schwer, zu sprechen! Aber es muß sein! Die jähe Abreise …! Werden Sie denn hierher zurückkehren? Und wann? Und was hat denn diese plötzliche Abreise zu bedeuten?«
»Viel Fragen, Herr Oberförster! Und nicht eine einzige kann ich beantworten!«
»Vielleicht doch die Frage – nein, ich will nicht fragen, ich weiß ja, daß es nur ein leeres Gerücht war! Aber unglücklich hat es mich doch gemacht und schweres Leid gebracht! Bitte, bitte inständig, fahren Sie nicht nach Italien, wenn – etwa der Prinz dort unten sein sollte …!« Ambros brach ab und würgte die anderen Worte hinunter.
Martina erriet, was Hartlieb sagen wollte und nicht aussprechen konnte. Und für sie bestand nun kein Zweifel mehr, daß Ambros, der liebe, ernste, eckige Waldmensch, ihr in ehrlicher Liebe zugetan ist. Ihn darf sie nicht länger leiden lassen, ihm muß sie durch ein kleines Entgegenkommen die Aussprache erleichtern, sozusagen die Zunge lösen. Und das rasch, denn die Zeit drängt … Wie aber entgegenkommen, ohne sich etwas zu vergeben?
Ambros stöhnte: »Der Prinz …!«
»Beruhigen Sie sich, lieber Herr Hartlieb! Es ist nur Strohfeuer gewesen, ein kleiner Brand, der rasch verlöschte; freilich hatte er auch mir viel Leid gebracht! Jetzt brennt es gefährlicher, doch dieser Brand hat uns nichts zu kümmern!«
»Uns?« Jubelnd wiederholte Ambros dieses Wörtchen. Und nun fand er Mut und Worte, um zu sagen, daß er Fräulein von Gussitsch längst liebe und verehre. »Nur die Werbung konnte ich nicht wagen! Die Verhältnisse sind auch jetzt nicht günstig, aber die bevorstehende Abreise, die Ungewißheit, ob Sie wieder zurückkommen werden, die Möglichkeit, daß die Besitzung verkauft wird, die Angst, Sie zu verlieren, all das zusammen zwingt mich zur innigen Bitte: Erhöre mich, Martina, und werde in Gnaden meine Frau! Viel kann ich freilich nicht bieten, nur ein Leben in der Bergeinsamkeit, aber ehrliche Liebe und Treue und Dankbarkeit! Nimm vorlieb mit dem Wenigen und mit dem verwilderten Waldmenschen …!«
»Still!« lispelte hold erglühend Martina und schloß mit dem Patschhändchen den Mund Hartliebs.
Ambros küßte das Händchen, zog Martina an sich und bettelte wie ein schüchterner Junge um das Jawort.
Martina aber bot dem geliebten Manne die Lippen zum Verlobungskusse.
Heftiges Klopfen an der Tür schreckte das Paar auseinander. Hildegard trat ein und meldete, daß Fräulein von Gussitsch sofort zur Fürstin kommen solle. Grünlich schillerten die Augen der Kammerfrau, Schlangenblicke trafen Martina und Ambros, ein böses Lächeln umspielte Hildegards Lippen. Eine böse Bemerkung wagte sie aber doch nicht auszusprechen.
Um jedoch gehässigen Verdächtigungen schlankweg ein Ende zu machen, erklärte Martina tapfer, daß sie sich soeben mit Herrn Oberförster Hartlieb verlobt habe.
»Untertänigsten Glückwunsch!« lispelte Hildegard mit anzüglichem Hüsteln. Und in schlecht verhehlter Wut huschte sie aus dem Zimmer.
»Nun aber fort, Geliebter! Hier darf ich dich nicht länger behalten! Bleib in Nähe des Schlößls, etwa gedeckt am Waldesrand, vielleicht können wir uns noch sprechen!«
Gehorsam entfernte sich Ambros. Glück und Seligkeit verklärten sein Antlitz.
Martina trat in das Zimmer der Fürstin. »Durchlaucht haben befohlen …!«
In großer Erregung schritt Sophie auf und ab und hielt zwei Depeschen in der rechten Hand. Bei jeder Bewegung knisterte das Papier. Schwer atmend sprach die Fürstin, mühsam nach einem Entschlusse ringend: »Die Reise werden wir absagen müssen, wir würden ja doch zu spät kommen …! Sorgen Sie dafür, daß Pater Wilfrid unverzüglich hierherkommt, ich muß ihn sprechen in dringender Angelegenheit! Fahren Sie, bitte, nach Admont und bringen Sie mir den Pfarrer, unverzüglich, so rasch als möglich!«
»Zu Befehl, Durchlaucht!« sprach Martina und wandte sich zum Gehen. Und wies den Gedanken zurück, der schmerzerfüllten Gebieterin jetzt Mitteilungen persönlicher Art zu machen.
Die Fürstin holte tief Atem. »Noch einen Augenblick, liebe Gussitsch! Sie müssen ja doch wissen, um was es sich handelt! Der Kummer will nicht enden in meinem Hause! Ein Sorgenkind ist mein Sohn! Erst die unglückselige Affäre Emils mit – meiner Hofdame, dann die Flucht, und jetzt teilt mir mein Sohn mit, daß er sich mit Komtesse Isotta Thurn gegen den Willen des Vaters verlobt habe! Emil erbittet meine Zustimmung, Graf Thurn hingegen bittet um sofortige Entlassung! Herr des Himmels, was soll ich tun in dieser Situation! Es ist mir peinlich, den Pater Wilfrid belästigen zu müssen, aber ich benötige seinen Rat! Was denken Sie, liebe Martina, über den schmerzlichen Fall, über Emils unbegreifliches Verhalten und Vorgehen? Bitte, sagen Sie offen Ihre ehrliche Meinung!«
Doch die Fürstin bat flehentlich in ihrer Bedrängnis. »Vielleicht, nein: gewiß findet der Frauensinn, das weibliche Empfinden den richtigen Weg besser als jeder Mann! Ich bitte Sie, liebe Martina, herzlich um Bekanntgabe Ihrer Auffassung!«
Nun mußte das Hoffräulein wohl oder übel der Bitte, die einem Befehl glich, nachkommen. Martina machte aufmerksam, daß es sich nun um eine ernste Angelegenheit handle, daß eine Verweigerung der erbetenen Zustimmung den energisch gewordenen Prinzen auf einen Weg drängen werde, der zu einer gewalttätigen Durchsetzung seines Willens führt. »Nach meiner allerdings unmaßgeblichen Meinung scheint Prinz Emil fest entschlossen zu sein, die Komtesse Thurn zu ehelichen, auch gegen den Willen der Fürstinmutter und des Grafen Thurn! In diesem Entschlusse liegt die Gefahr einer kompromittierenden Gewalttat! Es zeugt von Liebe, daß Prinz Emil die Mama um Zustimmung bittet …!«
Ächzend rief die Fürstin: »Die telegraphische Bitte kann aber ebensogut als eine Nötigung, als ein Ultimatum aufgefaßt werden!«
»Allerdings! Unzweifelhaft ist Prinz Emil zum Äußersten entschlossen! Er wird seinen Willen unter allen Umständen durchsetzen! Wird die erbetene Zustimmung verweigert, so gestaltet sich die Situation erst recht mißlich, der Protest bleibt wirkungslos, ebenso eine etwaige Androhung der Enterbung!«
»Emil besitzt ja keine Mittel, er kann doch gar nicht heiraten! Und die Komtesse muß doch so vernünftig sein, zu erkennen, daß diese unglückselige Heirat einem Sprung ins Dunkle, ins Elend gleichkommt!«
»Verzeihung, Durchlaucht! Ein liebend Weib scheut diesen Sprung nicht, geht mit dem Geliebten vereint, so es sein muß, auch in den Tod! Prinz Emil und Komtesse Thurn lieben sich ehrlich und heiß, daher diese eiserne Entschlossenheit, dieser Mut, gegen alle Hindernisse anzukämpfen! – Was die erwähnte momentane Mittellosigkeit anbelangt, so hat sie nicht viel zu bedeuten; ein Prinz Schwarzenstein wird rasch Geldgeber finden, Name und Rang verschaffen Kredit! Allerdings wird Prinz Emil auf diese Weise in Wuchererhände geraten, und die fürstliche Privatschatulle wird schwere Opfer bringen müssen, um den Prinzen aus den Wuchererhänden zu befreien! Was aber in der Brust des Prinzen verbleiben und wie ein Stachel wirken wird, das wird die Verbitterung, der Trotz, wenn nicht Haß sein! In dieser Erwägung dürfte es sich empfehlen, allen Komplikationen und Konsequenzen ein Ende zu machen durch Gewährung der Bitte …!«
»Ich soll also zustimmend antworten?« Fast tonlos und schwer seufzend sprach die Fürstin diese Worte.
»Ja, Durchlaucht! Die Liebe der Mutter zum Sohne kann auch dieses Opfer bringen!« sprach offen, in erquickender Ehrlichkeit Martina. Und hellen Tones fügte sie bei: »Was den Entschluß zur Opferdarbringung erschwert, ist lediglich der Gedanke, daß ein Ultimatum gestellt wurde! Jedes Ultimatum reizt zum Widerstande, weckt Entrüstung; besonders aufreizend wird ein Ultimatum dann sein, wenn es vom Kinde gegen die eigene Mutter gerichtet wird! In diesem Falle muß aber die Mutterliebe größer sein als die an sich berechtigte Entrüstung! Die Liebe kann alles, sie überwindet alles! Das Größte, das Heiligste ist die Mutterliebe, größer, heißer und opferwilliger als die Liebe des Weibes zum Manne, denn die Mutter liebte den Sohn ja schon von der Stunde an, da sie ihm das Leben gegeben! Können sich Durchlaucht zu dem großen Opfer aufraffen, der Lohn wird groß, schön und beseligend sein, denn die Mutter gewinnt die Liebe des Sohnes wieder, weckt die Dankbarkeit in der Kinderbrust, gewinnt eine dankbare Tochter dazu!« Martina hatte sich warm gesprochen, Tränen liefen ihr über die Wangen.
Die Fürstin schluchzte. In tiefer Bewegung reichte sie dem Hoffräulein die Hand, und weinend dankte sie für die Anteilnahme, für das Mitempfinden in schwerer Stunde. Martina küßte die Hand der seelisch erschütterten Frau.
Und die Fürstin zog das tapfere Mädchen gleich einer Schwester an sich, legte den Arm um Martinas Nacken und lehnte das tränenfeuchte Antlitz an die Schulter der in dieser Viertelstunde zur Freundin gewordenen Hofdame. Und leise sprach die hohe Frau: »Ich habe den Sohn verloren, durch Sie kann ich ihn wiedererhalten! Drum will ich tun, was Sie mir raten!« Langsam, zart und weich löste Sophie die Umarmung. Dann diktierte sie Martina zwei Depeschen, die Zustimmung zu Emils Verlobung mit Isotta und die Ablehnung der Bitte Thurns wegen der Demission.
Während des Schreibens war Martina dem Heulen nahe, so mächtig wirkte das von der Mutterliebe gebrachte Opfer auf die eigene Seele. Dicke Zähren tropften auf das Papier. Und auch die Fürstin hatte viel an den Augen zu wischen. Doch ziemlich gefaßt bat sie dann, es möge Martina nach Admont fahren und die Depeschen als dringend aufgeben.
Martina erhob sich, steckte die Telegramme ein und öffnete den kleinen Mund, so daß die Marderzähnchen blinkten. Wollte reden und wagte es nicht …
Gütig und weich fragte Sophie: »Wollen Sie mir noch etwas sagen?«
Jetzt war der wichtige Moment da, es muß gesprochen werden. Tapfer richtete sich das zierliche hübsche Fräulein auf, trippelte auf die Fürstin zu, küßte ihr demütig die Hand und bettelte innigen, zu Herzen gehenden Tones: »Verzeihung, Durchlaucht! Darf mich Herr Hartlieb im Wagen begleiten?«
Verwundert blickte Sophie auf und sprach: »Wenn Sie es wünschen, warum denn nicht? Hat denn der Oberförster zu tun in Admont?«
»Einiges zu besprechen hätten wir! Ich muß beichten, Euer Durchlaucht gestehen, daß wir uns – verlobt haben! Und so bitte ich denn in schuldiger Demut und Ehrerbietung um die Erlaubnis …«
Wohl verriet der Blick der Fürstin großes Staunen, eine schmerzliche Überraschung und Enttäuschung, doch gütig und mild sprach die hohe Frau: »Möge Ihnen alles irdische Glück beschieden sein, das wünsche ich Ihnen von Herzen! Wir sprechen noch darüber! Doch jetzt schon bitte ich Sie, schieben Sie die Trauung noch etwas hinaus, lassen Sie mich nicht allein! Eine Verschiebung, bis die Kinder hier und getraut sind! Ja, bitte? Und nun eilen Sie nach Admont der Depeschen wegen! Emil wird sehnsüchtig auf meine Einwilligung warten!«
»Untertänigsten Dank!« jubelte Martina, küßte der Gebieterin die Hand und wirbelte gegen jede Hofetikette davon.
Sophie setzte sich an das Fenster und blickte hinüber zum nebeldurchzogenen schweigenden Bergwald. Jetzt wußte die einsame Frau, wer dem Hoffräulein die ergreifenden und hinreißenden Worte in den Mund gelegt hatte: die Liebe! Wer selbst liebt, kann beredt von Liebe sprechen! Und viel besser, wärmer und überzeugender als der sonst so redegewandte Hofpfarrer Pater Wilfrid …
Auf leisen Sohlen kam die Kammerfrau Hildegard, um nach Wünschen zu fragen. Und Gift spritzen wollte die um eine Lebenshoffnung gebrachte Witib, hetzen, die Heirat, wenn irgend möglich, hintertreiben.
Kaum merkte die Fürstin, worauf Hildegard zielte, da winkte die Gebieterin ab und sprach: »Ich weiß davon und wünsche der braven Gussitsch alles Glück! Du kannst gehen!«