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Überraschend und mit Überraschungen für die Mama war Prinz Emil gekommen. Ein schlanker, hochgewachsener junger Mann, blond das nicht üppige Haupthaar, flachsartig das Schnurrbärtchen, lichtblaue Augen mit dem Ausdruck von Gutmütigkeit. Muttersöhnchen, mager wie ein Zahnstocher, verzärtelt, verhätschelt, unsicher; bis vor wenigen Wochen wohl auch eitel, unfähig, einen selbständigen Entschluß zu fassen. Ehrerbietig hatte Prinz Emil die Mama begrüßt und geküßt, nichts von Verstimmung merken lassen, die ihm wegen der Abberufung von Berlin im Herzen saß.
Tadellos höflich, nur etwas neugierig, hatte er das Hoffräulein begrüßt. Und Martina hatte mit dem schönsten Hofknicks Reverenz erwiesen; in Gedanken aber das Muttersöhnchen » Steccadente mit Schafblick« genannt.
Schon die Schnurrbärtchenfasson bildete eine Überraschung für Mama. Dann die Tatsache, daß Baron Wolffsegg nicht mitgekommen war, also Emil allein, nur von seinem Diener begleitet, hatte reisen müssen. Daß der Sohn bereits vierundzwanzig Lenze zählte, vergaß die Mama gänzlich. Und verärgert war die Fürstin über den Anlaß der Pflichtvernachlässigung seitens des Adjutanten. Verstimmt über die leichtfertige Art, wie Emil den Baron Wolffsegg kordial entschuldigte: Erbtante freundlichst prompt gestorben, selbstverständlich, daß Wolffsegg anstandshalber bei Beerdigung mithalf und nun in Prag den vielen Draht einsackt; so ein Schwein kann eben nur ein böhmischer Baron haben.
Diese Sprachweise, diese Ausdrücke gingen der Fürstin schwer auf die Nerven. Aber sie rügte nicht, um nicht schon am Tage des Wiedersehens Verstimmung und Verdruß heraufzubeschwören.
Nicht völlig nach Wunsch der Mama hatte Emil sich bei der feierlichen Begrüßung an der festlich geschmückten Villa benommen: zu kordial und burschikos den Oberförster behandelt, begrüßt mit den Worten: »Nette Chose, sehr hübsch, freut mir jletscherhaft, lieber Oberförster; ich danke Ihnen heftig! Hoffe, daß wir Freunde werden im grünen Revier! Servus!«
Einfach gräßlich für einen Prinzen, dachte Mama.
Und dann die an den Forstwart gerichteten Worte: »Ah, notleidender Agrarier, wie Figura zeigt, essen wohl viel Notstandsgockel, daher der große Hendlfriedhof? Wie heißen Sie denn? Was, Gnugesser! Alle Wetter! Da versteht sich der Plenus venter von selbst! Muß bezüglich Ihrer Nase Witz von König Ludwig dem Ollen kopieren: ›He, Landrichter, große Nase, doch nicht von der Regierung bekommen?‹ Na, bei Ihnen gar nicht möglich, denn Sie sind ja nicht von der Regierung, sondern unser Beamter! Auf Wiedersehen!«
Für die Mama war es unverkennbar, daß Emil »aufgewacht«, von lähmender Apathie, von Geistesträgheit befreit ist. Die Reise hat gute Früchte gebracht. In dieser Hinsicht. Aber sonst: gräßliche Manieren, schrecklich der Ton. Eine beklagenswerte Veränderung im Wesen des bisher so gefügig gewesenen Muttersöhnchens.
So sehr ging all dieses Neue auf die Nerven, daß die Fürstin alsbald, ohne Begleitung, nach Admont fuhr, um mit Pater Wilfrid darüber zu sprechen.
Ein Privatissimum in der Klosterzelle, die der Öffentlichkeit zugänglich sein muß und sich außerhalb der Klausur befindet, weil Wilfrid Pfarrer ist, also Amtsperson.
Fürstin und Mönch in bescheidener Zelle; sorgenerfüllt die Frau, diensteifrig der Pfarrer und Edelmann von Erfahrung und Weltkenntnis.
Bitter klagte Fürstin Sophie, daß der Sohn »in Preußen« revolutioniert, zu seinem Schaden in Kopf und Seele beeinflußt und verändert worden sei; spottlustig, sarkastisch der lammfromm gewesene Jüngling, standeswidrige Leutseligkeit. Seufzend, mit zitternder Stimme sprach die Fürstin: »Denken Sie nur, Hochwürden, mein Sohn fragte mich, wie ich über eine bürgerliche Braut dächte. Unerhört! Aber ich habe das Schreckliche verhindert durch einen gemessenen Befehl! Mit aller Strenge werde ich künftig vorgehen, um Entgleisungen zu verhüten, den Jungen vor Unglück bewahren! Helfen Sie mir, Herr Pfarrer, mit Ihrem Rat, mit Ihrer Erfahrung als Priester und Seelenhirte!«
Pater Wilfrid verbeugte sich und sprach: »Euer Durchlaucht werden sich mit dem Faktum vertraut machen müssen, daß die Zeit vorüber ist, in der sich ein Sohn gängeln läßt; Prinz Emil ist der mütterlichen Aufsicht entwachsen, mit vierundzwanzig Jahren allerdings noch kein ausgereifter Mann, aber auch kein Jüngling mehr, der sich lenken, am Händchen führen läßt! Das Befehlenwollen der Eltern, nachdem der Sohn mündig geworden ist, seine eigenen Anschauungen hat und sich über das Lebensziel klar geworden ist, führt zu nichts Gutem! Mit solcher Befehlerei – ich bitte zu verzeihen – erzielt man nur Verschlossenheit, Gereiztheit, Eigensinn und Widerstand! Letzterer wird sich je nach Temperament und Erziehung aktiv oder passiv zeigen! Jeder Priester von Erfahrung muß zu den Eltern sagen: Ne feceris! Tue es nicht!«
Die Fürstin jammerte: »Ach Gott! Nun halten gar auch Sie, der Geistliche, dem Sohne die Stange! Die Mutter wird doch berechtigt sein, Gehorsam zu fordern?«
»Zu dienen, Durchlaucht! Achtung muß der Sohn erweisen, auch Gehorsam in dem, was den Eltern zukommt! Aber nicht darüber hinaus! Die Eltern können mahnend und warnend einzuwirken versuchen, erzwingen können sie aber nichts mehr! Gute Erziehung wird den Mann gewordenen Sohn davon abhalten, daß er Mahnungen und Warnungen etwa brüsk zurückweist!«
Gedrückt klang die Klage: »So habe ich denn nichts mehr zu sagen und den Sohn soviel wie verloren – -!«
Soviel Pater Wilfrid sich bemühte, die hohe Frau zu trösten, es blieb vergeblich; die Fürstin erwies sich Trostworten nicht zugänglich in ihrem Seelenschmerze und verabschiedete sich mit Dank für die freilich sehr bittere Aufklärung.
Der Seelenkenner im Benediktinerhabit behielt recht mit seiner Voraussage. Emil verhielt sich seiner Erziehung entsprechend selbstverständlich einwandfrei im Verkehr mit der Mama bei Tisch und sonstigem Zusammentreffen, aber von der früheren Offenherzigkeit, vom bedingungslosen Gehorsam war keine Spur mehr vorhanden.
Der scharf beobachtenden Mutter konnte die schmerzliche Tatsache nicht entgehen, daß der Sohn grollte, der Mama nach Möglichkeit auswich. Um so mehr mühte sich die Fürstin ab, eine Annäherung und Versöhnung herbeizuführen, zumal sie befürchtete, daß die Verschlossenheit und das untätige Leben den Sohn auf schlimme Gedanken und gefährliche Streiche bringen könnte. Um eine Flucht zu verhindern, hielt die Fürstin Emil sehr knapp mit Geldmitteln. Dachte gar nicht daran, daß dieses Vorgehen den mündigen Sohn völlig erbittern mußte. Und ganz verfehlt war der Tadel der Untätigkeit, die mit liebeflehenden Worten verzuckerte Mahnung zu irgendeiner Beschäftigung, z.B. Übernahme der Oberleitung im Forst- und Jagdamt, Kontrolle der Beamten und Jäger.
Emil lehnte ab mit dem Hinweise auf Mangel an Sachverständnis.
Eines tat er aber doch, ohne Wissen der Mama, er staubte den Freikost und sonstige Benefizien schindenden Jäger Eichkitz aus dem Schlößl raus, so gründlich und scharf, daß dem hübschen Frechdachs Hören und Sehen verging. Jäh hatte das Schlemmerleben und auch die Beeinflussung der Gebieterin ein Ende. Daniel Eichkitz mußte im Hochreviere Dienst tun wie die anderen Jagdgehilfen.
Zeuge dieser Ausstaubung des Parasiten war vom Fenster ihrer Stube aus Fräulein Gussitsch, ohne daß Emil davon eine Ahnung hatte.
Bald darauf wurde Martina zur Fürstin befohlen. Zu einer Aussprache. Das tiefbekümmerte Mutterherz verlangte nach Hilfe und Befreiung von quälenden Sorgen. Einen Weg sollte die Hofdame finden, der zum Herzen des Sohnes führt. Und Martina soll intervenieren, auf daß sich der Prinz beschäftige, um die Bewirtschaftung des Jagdgutes kümmere.
Ob dieser Bitten war Martina anfangs erschreckt. Aber in Erinnerung an die von ihr beobachtete Ausschaffung des Jägers Eichkitz konnte Martina mit gutem Gewissen der hohen Gebieterin sagen, daß Prinz Emil bereits sich der Interessen der fürstlichen Familie annehme, für Ordnung wenigstens teilweise gesorgt habe.
Über die Details dieses Vorganges informiert, gab die Fürstin den seither bevorzugten Lieblingsjäger und Berater in Jagddienstangelegenheiten sofort preis, billigte die Ausschaffung nicht nur, sondern lobte der Hofdame gegenüber den Sohn himmelhoch, als hätte Emil die Welt aus den Angeln gehoben. Und im selben Atemzuge schier bat die Fürstin, es solle Martina den Prinzen dahin zu bestimmen suchen, daß er seine Tätigkeit zur Schaffung von Ordnung und Disziplin ausdehne und den Bediensteten scharf auf die Finger sehe. Wehen Tones klagte sie: »Auf mich hört Emil ja leider Gottes nicht mehr, vielleicht zeigt er sich Ihren Worten zugänglich! Seien Sie aber vorsichtig, liebe Martina, auf daß nicht Erbitterung und Trotz geweckt wird! Diplomatisch klug und vorsichtig vorgehen, um Emil willfährig zu machen! Mein Sohn soll glauben, daß sein Wille respektiert wird, daß er ganz nach seinem Gutdünken lebt und handelt; dabei aber wird er doch gelenkt durch Sie nach meinem Willen! Leicht wird das freilich nicht durchzuführen sein! Aber wir wollen den Versuch wagen!«
Martina erklärte pflichtschuldigst ihre Bereitwilligkeit, machte aber auf die Gefahren der gewünschten Intervention aufmerksam.
»Gefahren? Ich wüßte nicht, welche Gefahr aus Ihrer Intervention erstehen könnte!«
»Ich werde mich zunächst der Gefahr aussetzen, in den Augen des Prinzen zudringlich zu erscheinen und zurückgewiesen zu werden!«
»Undenkbar, wenn Sie klug und diplomatisch, mit Frauentakt intervenieren!«
»Sodann befürchte ich üble Nachrede, wenn man mich häufig in Gesellschaft des jungen Herrn sieht …!«
»Wo es sich um meine Wünsche handelt, hat Domestikengeschwätz nichts, aber rein gar nichts zu bedeuten! Sie handeln ja in meinem Auftrage und helfen einer bekümmerten Mutter! Sie dürfen jedoch mit keinem Ton verraten, daß die Intervention mit meinem Wissen erfolgt! Und nun gehen Sie ans Werk! Die Mutter dankt Ihnen von ganzem Herzen für diesen Lieblingsdienst, den ich nie vergessen werde!« Liebreich und huldvoll reichte die Fürstin dem Hoffräulein die Hand zum Kusse.
Auf ihrem Zimmer konnte Martina den Kriegsplan entwerfen. Ein geradezu lästiger Auftrag, unangenehm und gefährlich; dennoch nicht ganz unerwünscht nach der Richtung hin, daß Martina im Interesse Hartliebs wirken kann, wenn ihr Einfluß den Prinzen bestimmt, sich um die Jagd zu kümmern, mit Hartlieb zu verkehren und der Mißwirtschaft ein Ende zu machen. Werden die Dienstesverhältnisse gebessert, so wird Hartlieb froh werden und Martina dankbar sein.
Ein beseligender Gedanke und Ausblick in die Zukunft. Vertrauensperson der Fürstin! Wie aber schnell und ausgiebig Einfluß auf den Prinzen gewinnen, ohne daß das hübsche Hoffräulein sich etwas vergibt und den Ruf schädigt …?
Ein langes Sinnen und Planen. Dann ein Lächeln der Befriedigung, wobei die feinen Marderzähnchen blinkten.
Martina hielt fleißig Ausschau nach dem »Zahnstocher mit dem Schafblick«. Vorerst vergebens.
Aber gegen Abend vor der Dinerstunde sah sie den Prinzen zigarettenrauchend am Waldesrande unter einer Fichte liegen, vermutlich vor Langeweile zum Sterben bereit.
Mustela auf der Jagd … Martina schlich aus dem Schlößl, promenierte gegen den Talschluß zu, bog vom Sträßlein ab und stieg ein Weilchen bergan. Dann kam wie von ungefähr und rein zufällig das Hoffräulein, leise ein Liedchen summend, von oben genau in der Richtung auf den lungernden Prinzen herab.
Schon das Knacken dürrer Zweige, das Kollern losgetretener Steine hatte Emil aufmerksam gemacht. Neugierig guckte er aufwärts. Und wie er das hübsche Hoffräulein im neckischen Lodenkleide erblickte, grüßte er vergnügt lächelnd und fragte, ob Fräulein von Gussitsch »dienstlich« Steine loslöse und ein Prinzenleben dadurch schwer gefährde.
Im grünen Tann ein köstlich karikierter Hofknicks, wobei Martina kichernd mit den Fingerspitzen das fußfreie Lodenkittelchen um einen Zoll hochhob. »Untertänigst zu dienen! Die Steinchen haben nicht meine Füße losgelöst, sondern das schlechte Gewissen, die schwer bedrückte Hofdamenseele …!«
Mit einem wahrhaftigen Schafblick guckte Emil das Fräulein an. »Was? Schlechtes Gewissen, bedrückte Seele? Ich bin perplex! Non capisco niente!«
»Glaub es gerne, daß der gnädigste Prinz mich nicht verstehen!«
»Nein, wirklich nicht! Habe keine Ahnung!«
»So muß ich denn beichten, mitten im Grünen!«
»Ich bin furchtbar neugierig! Schießen Sie los! Aber wollen wir uns nicht setzen auf schwellende Moospolster?«
»Danke, nein! Es beichtet sich leichter im Stehen! Dabei wird auch vermieden, daß etwaige Beobachter auf den Gedanken kommen, es handle sich um ein – Rendezvous zum Maikäfern!«
»Ach, das wär aber wirklich nett, maikäfern mit einem etikettwidrig hübschen Hoffräulein, derweilen die gestrenge Fürstin von – Zahnschmerzen gepeinigt wird!«
»Es maikäfert sich gar nichts, gnädiger Prinz!« Und nun beichtete Martina planmäßig, daß sie Zeugin der Ausschaffung des profithungrigen Jägers Eichkitz gewesen sei. Diese rettende und befreiende Tat des Prinzen habe sie als Wohltat empfunden. Und den ordnungschaffenden jungen Herrn lobte sie über den Klee und sprach die Hoffnung aus, daß Prinz Emil noch mehr von den Parasiten »fürifangen« und dreinfahren werde »wie ein geölter Blitz«.
Höchlich geschmeichelt und interessiert rief Emil: »Aber das ist ja furchtbar nett! Hab' ich mir da die Anerkennung des hübschen Hoffräuleins errungen und hatte davon keine Ahnung! Wenn Sie es wünschen, werde ich mit Vergnügen noch mehr der Kerls ›fürifangen‹! Nur müssen Sie mir die Gauner näher bezeichnen! Überhaupt sagen, wo es Schlampereien gibt! Ordnung will ich gern und schleunigst schaffen!«
Mit einem strahlenden Lächeln des Triumphes blickte Martina den so prächtig auf den gewünschten Pfad erwachenden Interesses gelockten Prinzen an. Und auf den Scherzton eingehend, sagte sie: »Bei mangelnder Kontrolle gibt es überall Schlampereien, besonders in Hofhaltungen ohne – männliche Oberaufsicht! Genaue Auskunft kann ich nicht geben, denn ich bin dienstlich stets in der Nähe der hohen Gebieterin! Direkt unter den Augen der Durchlaucht wagt auch der frechste der Frechdachse nicht zu stehlen! Hinterm Rücken schon! Wenn aber der gnädigste Herr den Oberförster und Jagdleiter ins Vertrauen ziehen, kann Ihnen Hartlieb Dinge erzählen, daß die prinzlichen Augen tropfen!«
»So? Nicht übel! Na, Feuerle anzünden ist von jeher meine Passion gewesen! Gleich morgen werde ich mit dem Oberförster reden, mich informieren lassen!«
»Das wäre furchtbar nett von Ihnen! Vorausgesetzt, daß Sie den wohltätigen Sport des ›Fürifangens‹ und ›Feuerle-Anzündens‹ für längere Zeit betreiben wollen, nicht nur vorübergehend auf einige Tage!«
»Aber gern! Sind denn die Verhältnisse durchweg so schlimm?«
»So unerträglich, daß der Oberförster die Stellung verlassen wollte! Ich habe schwere Mühe gehabt, ihn zu bewegen, daß er versprach, auszuharren, bis der gnädigste Prinz kommt und mit eiserner Hand eingreift! Gottlob, Durchlaucht sind da und haben bereits mit Mannesmut und Mannesfaust eingegriffen! Allen Respekt, untertänigst natürlich!«
»Sind Sie aber ein netter Käfer! Und so tapfer in Wahrung unserer Interessen! Weil wir aber so nett allein sind, möchte ich Sie bitten, mit mir einen Tauschhandel einzugehen, gewissermaßen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit! Ich werde alles tun, was Sie wünschen, zur Schaffung von Ordnung und Purifizierung der Verhältnisse! Das Hoffräulein muß mir aber versprechen, schön fein die Mama zu bearbeiten, daß sie in einiger Zeit doch einwilligt und mir erlaubt, daß ich wieder nach Berlin kann. Wollen Sie mir diesen Gefallen tun?«
Aalglatt wich Martina einem bindenden Versprechen aus und verwies auf den Mangel an Einfluß. Was getan werden kann, soll aber gerne geschehen. Übrigens gäbe es ein sicheres Mittel, um das gewünschte Ziel zu erreichen: abschmeicheln!
»Nee, Fräuleinken, dazu bin ick bereits zu alt!« meinte gedehnt der Prinz Emil.
»Huhu! Ein Greis von zwei Dutzend Lenzen! Einfach schauderhaft! Krücken gefällig zum Abstieg? Daheim Fleckerlschuhe anziehen, die gichtkranken Knie umwickeln mit Fellen von Rheumatismus-Katzen! Mummelgreis, der sich nicht zu helfen weiß! Tun Sie mir aber leid! Hab' geglaubt, Prinz Emil sei ein junger fescher Mann! Derweil ist er ein ›alter Mummelgreis‹!«
Belustigt lachte Emil auf. »Na, wir werden ja sehen, wie der Hase läuft! Und inzwischen wollen wir zwei fest zusammenhalten, ja?«
»Gerne, Durchlaucht!«
»Ach was! Für Sie bin ich einfach der ›Herr Emil‹! Das heißt, wenn wir allein und unter uns sind! Die Hofschranzen und Popanzen brauchen nichts zu merken von unserer Verschwörung! Also, auf Handschlag!«
Zögernd sprach Martina: »Zur ›Verschwörung‹ bin ich wohl bereit! Aber die Degradierung …?«
»Gut! Dann befehle ich Ihnen, mich mit ›Herr Emil‹ zu titulieren.«
»Zu Befehl! Hier meine Hand, ›Herr Emil‹! Und nun, damit die Schranzen und Popanzen nichts merken, geht der ›Herr Emil‹ schön alleine voraus und hinunter zur Villa! Ich aber schlängle mich auf einem Umweg nach Hause! Empfehl mich gehorsamst!«
»Servus, Käferl!« Gehorsam und vergnügt stapfte der sehr munter gewordene, aus der »Tramhapigkeit« völlig erwachte Prinz hinunter.
Bis Martina auf Umwegen zum Schlößl kam, war eine heillose Verspätung eingetreten, die Dinerstunde überschritten. Fürstin Sophie sagte nichts, blickte nur das Hoffräulein fragend an. Und wie sie das »optische Signal« in Martinas strahlenden Augen gewahrte, daß der erste Schritt zur Intervention getan, mit Erfolg getan sei, da huschte ein Lächeln der Befriedigung über die Lippen der Mama.
Prinz Emil aber setzte eine Miene auf, als könne er nicht bis fünfe zählen. Heuchelte absolute Gleichgültigkeit. Schielte aber gelegentlich nach Martina, die er jetzt zum Anbeißen nett fand.
Wenn es möglich wäre, einen gesunden Forstmann des Morgens im Bette zu überraschen, Emil von Schwarzenstein hätte dies Kunststück fast fertiggebracht, denn er kam am nächsten Tage zu sehr früher Stunde in das Forsthaus. Zum größten Erstaunen Hartliebs, der seinen Ohren nicht trauen wollte, als Prinz Emil, der Träumer, von Reorganisation, verschärfter Kontrolle, ja von Beseitigung jeglicher Günstlingswirtschaft sprach und den Oberförster um Unterstützung bat. Die Kontrolle der Jagdgehilfen in den Revieren sollte nach wie vor Aufgabe des Jagdleiters sein und bleiben, die Regulierung des nötigen Abschusses vom Vorstand des Jagdamtes persönlich vorgenommen werden.
Auf den Einwand Hartliebs, daß die Fürstin gegenteilige Befehle erteilt habe, äußerte sich Prinz Emil dahin, daß er nun die Oberleitung führen werde und demgemäß seine Anordnungen zu befolgen seien, die selbstverständlich erst nach Zustimmung des Jagdleiters gegeben werden sollen.
Freudig überrascht fragte Hartlieb, ob denn Prinz Emil nicht selbst den Abschuß vornehmen, das Weidwerk ausüben wolle.
Emil verneinte diese Frage ohne Angabe der Gründe und bat, es möge ihn Hartlieb sofort in die Reviere führen behufs Kontrolle.
Dazu war Ambros Hartlieb natürlich mit Vergnügen bereit. Nur fragte er, während er nach Büchse und Bergstock griff, ob denn der Prinz mit Proviant versehen sei.
»Ist nicht nötig! Werde nicht verhungern!«
So marschierten beide denn ab. Und Hartlieb schlug einen Jägersteig ein, der zwar arg steil war, dafür schnell in die Höhe führte … Wie sich der Oberförster über den Wandel der Dinge freute! Manches am jungen Herrn gefiel Hartlieb in hohem Maße: der Eifer, die Einfachheit, der gute Wille für eine Reorganisation und Abschaffung der Günstlingswirtschaft. Nicht weniger erfreulich war für den Jagdleiter die Abschußbewilligung. Sonderbar fand Hartlieb allerdings den Verzicht auf jegliches Weidwerken; sonderbar bei einem jungen Manne, dem so herrliche, reichbestandene Reviere zur Verfügung stehen. Sollte der Mangel an Jagdinteresse wirklich bis zur Gleichgültigkeit für jegliches Wild gesteigert sein? Im langsamen Steigen erinnerte sich Hartlieb wieder der Worte des Grafen Thurn, der Frage, ob ein junger apathischer Mann beim Anblick von Wild auftauen, gewissermaßen von Jagdfieber ergriffen werden könne. Eine Probe darauf wollte Hartlieb vornehmen, den Prinzen an einen kapitalen Hirsch bringen, Emil das schußfertige Gewehr geben, und das Weitere beobachten. Nach Hartliebs Meinung kann ein schußberechtigter Mann beim Anblick eines Kapitalen unmöglich eiszapfig bleiben, das Hirschfieber muß wirken …
Steigen konnte Emil vorzüglich, trittsicher und geräuschlos. Immer hielt er Abstand ein, blieb nie zurück und schwätzte nicht.
Durch einen finsteren, engen Steilgraben ging es aufwärts, dann hinein in düsteren Hochwald, der zu den »Haller Mauern« sich dehnte.
Hartlieb strebte im lautlosen Pirschschritt einer Lichtung zu, wo seit einiger Zeit ein kapitaler Zwölfender stand.
Emil folgte dem Führer stumm und unhörbar.
Zwischen den alten hochstämmigen Mantelfichten schimmerte es grau, die Lichtung war nahe.
Hartlieb blieb stehen, um zu horchen. Wie angemauert stand fünf Schritte von ihm der Prinz.
Von der Lichtungswiese her kam ein rauher Ruf, ein kurzer Trenzer, dann ein dröhnend Rollen, der Schrei des Brunfthirsches zornig, begehrlich, ungeduldig, herausfordernd: »ä-o-ah!«
Ein forschender Blick Hartliebs musterte den Prinzen, der ruhig stand und nur etwas verwundert horchte. Keine Spur von Leidenschaft oder Ergriffenheit.
So nahe als möglich pirschte Hartlieb den röhrenden Hirsch an. Gehorsam wie ein guter Jagdhund folgte ihm der Prinz auf Schritt und Tritt.
Fast in der Mitte der felsumrandeten Lichtung stand der Kapitale breit, vorgestreckt den zottigen Hals, werbend und kampfbegierig schreiend. Ein König, der zum Kampfe ruft …
Bis auf Kugelschußdistanz brachte Hartlieb den Prinzen, der staunend den kapitalen Zwölfender anguckte. Flink und lautlos machte Hartlieb seine Büchsflinte schußfertig und gab sie wortlos dem Prinzen in der sicheren Erwartung, daß Emil nun zielen, die berühmte Sekunde lang die höchste Weidmannswonne genießen werde, indem das Büchsenkorn im Hirschblatt Haar faßt und der Finger den Stecher zum Schuß berührt …
Prinz Emil sprach laut: »Aber was wollen S' denn?« Und er gab die Büchse zurück.
In hoher Flucht ging der vergrämte Hirsch ab …
Jetzt wußte Hartlieb bestimmt, daß dieser junge Mann kein Jäger war und niemals einer werden wird.
Fast schmerzlich wirkte diese Erkenntnis auf den Jagdleiter. Und nichts weniger denn ermunternd für den Dienst unter einem Jagdherrn, der kein Weidmann ist …
Viel mehr als der Zwölfender, der sich so rasch empfohlen hatte, interessierte Emil ein überraschender Kontrollbesuch des Jagdgehilfen Eichkitz. Deshalb fragte er, in welchem Distrikt Eichkitz zu finden sein werde. Zugleich erzählte er die Episode der »Ausstaubung«. Wobei Emil den Ton bis zum Flüstern dämpfte, da Hartlieb den Zeigefinger an den Mund gelegt hatte.
Leise gab der Oberförster die kurze Antwort dahin, daß er den gnädigen Herrn zu Eichkitz führen werde.
Eine mehrstündige scharfe Wanderung tief in Gräben hinunter, wieder hinauf, durch Wald, Steinwildnis, bis das grasige Plateau der Plechauer Alpe erreicht wurde.
Wie Emil den wuchtigen Steinkoloß des imposanten Großen Pyrgas erblickte, rief er in heller Bewunderung: »Gott! Wie prachtvoll! Welch herrlich schöne Natur!«
Trockenen und leisen Tones sprach Hartlieb: »Bitt schön! Nicht laut werden! Wenn Sie den Eichkitz überraschen wollen, müssen wir mit aller Vorsicht zur Almhütte pirschen! Wahrscheinlich hockt der Loder bei der Sennerin Burgl und raspelt Süßholz!«
»Ja, gut! Machen wir! Bitte führen Sie mich so, daß wir nicht gesehen werden und daß ich den Kerl ›fürifangen‹ kann!«
Für diesen Überfall eines pflichtvergessenen Jagdgehilfen meinte es die Sonne gut, sie versteckte sich hinter dunklen Wolken, so daß der Almboden stark beschattet war. In diesem Schatten schlichen Hartlieb und Emil der Hütte zu, deren Türe halb offenstand.
Die scharf klingende Stimme der schmächtigen Sennerin Burgl war deutlich zu hören: »Aus ist's und gar ist's! Wie du meinst, mag ich nicht! Auf dein Rezept: ›vorm Heiraten taufen‹ laß ich mich nicht ein! Probier dein Rezept bei den Hofmentschern! Ich will nichts wissen! Und jetzt pack dich durch! Ein Jaager gehört ins Refür, nicht in die Almhütt'n!«
»Sehr richtig!« rief Prinz Emil und trat plötzlich in den Herdraum der Hütte.
»Jeß Maria!« schrie entsetzt die tugendhafte Burgl und rang die Hände.
Verblüfft rutschte Daniel Eichkitz vom Herdrand herunter und stellte sich in Positur behufs Erweisung einer Art militärischer Reverenz vor dem Prinzen.
Scharf sprach Emil: »Das nennen Sie Dienst machen? Für die Schürzenjagd, für das Karessieren bezahlen wir die Jagdgehilfen nicht! Ich warne Sie: Werden Sie noch einmal auf einer Dienstvernachlässigung ertappt, so erfolgt die sofortige Entlassung, verstanden!«
Eichkitz erwiderte schnippisch: »Mit Verlaub! Der gnädig Herr hat mich aus dem Jagdschlößl ausg'schafft, das langt! Vom Dienst ausschaffen kann mich, so meine ich, doch wohl nur die Frau Fürstin, die wo Gebieterin ist und die Herrschaft 'kauft hat! I glaub nicht, daß …«
»Herr Oberförster, darf ich bitten!« rief Prinz Emil mit zornbebender Stimme.
Hartlieb trat ein und fragte: »Durchlaucht befehlen?«
»Der Jagdgehilfe Eichkitz ist sofort seines Dienstes zu entheben! Über Kündigungsfrist, Lohnauszahlung usw. wollen Sie das Weitere veranlassen! Ebenso ist für Ersatz zu sorgen! Einstweilen kann wohl ein anderer Jagdgehilfe das Revier am Pyrgas beaufsichtigen!«
»Sehr wohl, Durchlaucht!« Zu Eichkitz gewendet sprach Hartlieb: »Sie verlassen sofort das Revier! Den Hüttenschlüssel bringen Sie in die Jagdamtskanzlei, wo morgen früh acht Uhr mit Ihnen abgerechnet wird!«
Emil hatte die Almhütte bereits verlassen. Ihm folgte Hartlieb.
Völlig verdattert hatte die schmächtige Burgl zugehört. Jetzt, da die Herren sich entfernt hatten, meinte sie zu Eichkitz, dessen Zähne an der Unterlippe nagten: »Siehgst es, da hast es! Ich hab es allweil g'sagt, daß die Dienstschwänzerei nichts taugt und bald ein böses End nimmt! Und dein Leichtsinn auch! Kannst lang suchen, bis du wieder einen so schönen Jaagerposten findest, du Sausewind!«
Grob schnauzte Daniel Eichkitz die herbe Sennerin ab: »Dumme Gans! G'heiratet hätt ich dich nie nicht! Und nun kannst mir auf den Buckel steigen!« Mit weiten Schritten zog er ab. Hinauf zur Pyrgas-Jagdhütte, um seine wenigen Habseligkeiten zu packen.
Die Herren wanderten durch den Plechauergraben zu Tale. Und in der Ebene des Halltales angekommen, sprach Prinz Emil seinen Dank für die Führung aus. »Um meine Dankbarkeit aber auch zu beweisen, bitte ich Sie, den bewußten Zwölferhirsch zu schießen! Und auch nach Bedarf überzähliges Kahlwild, ganz wie Sie es für nötig erachten! Auf meine Beteiligung am Abschuß und überhaupt am Weidwerk müssen Sie aber verzichten! Mir fehlt das Interesse, das Jägerblut! Ich bin nur ein begeisterter Naturfreund und Alpinist, habe nicht das geringste Verständnis für Wild und Jagd! Hingegen habe ich den ehrlichen Willen, Ihnen zu helfen, auf daß Ordnung wird! Bitte, sagen Sie dem Dickwanst Gnugesser – drolliger Name -, er soll mich morgen acht Uhr abholen; wir wollen einen forstlichen Kontrollgang machen! Weidmannsheil, lieber Oberförster! Auf Wiedersehen!«
»Weidmannsdank! Und gehorsamsten herzlichsten Dank für die erquickende Abschußerlaubnis!«
Der Forstwart Gnugesser stand Punkt acht Uhr früh am Portal des Schlößls, diesmal in Forstuniform und statt mit dem Hirschfänger mit dem Plätzhammer ausgerüstet. Mit seinem strahlendsten Lächeln im bärtigen Gesicht, hocherfreut von den guten Neuigkeiten, die ihm gestern abend Oberförster Hartlieb mitgeteilt hatte. Bereitwilligst hatte Beni auf Ersuchen Hartliebs die Mission übernommen, den jungen Prinzen über forsttechnische Angelegenheiten zu informieren, ihm die Notwendigkeit einer Forstnutzung auseinanderzusetzen, auf daß Prinz Emil den Widerstand der Mama bezüglich jeder Schlägerung überwinde und auch auf diesem Gebiete Reformen einführe.
Länger als vermutet mußte Beni warten, denn Prinz Emil kanzelte im Flur des Hauses den Kammerdiener Norbert ab, und zwar so kräftig und gut verständlich, daß sich Gnugesser bei all seiner Gutmütigkeit und Friedensliebe hochvergnügt die Hände rieb. Offenbar versteht der junge Herr das »Aufmischen« gründlich; und wenn Prinz Emil jetzt sogar die »allmächtigen« Vertrauenspersonen und einflußreichen Diener »fürifangt«, so müssen – nach Benis Meinung – die Verhältnisse bald anders und sehr gut werden.
Endlich kam Prinz Emil in schlichter Lodenkleidung heraus, dem Gesichtsausdruck nach etwas verstimmt, grüßte kurz und bat, es wolle der Forstwart auf einem Inspektionsgange über den Stand der Forstangelegenheiten Vortrag erstatten.
Der Marsch durch das nebelerfüllte Halltal wurde sofort angetreten. Für Benis dickes Bäuchlein und kurze Beine in einem zu schnellen Tempo. Eine Weile hielt Gnugesser zappelnd Schritt zur Linken des weitausgreifenden Prinzen, der sich anscheinend durch das Renntempo den Ärger weglaufen wollte. Dann aber wurde Benis Atem immer kürzer. So mußte er denn bitten, es möge der gnädige Herr etwas weniger schnell gehen. »Ich derpack das Gerenn nicht, die Haxeln sind z' kurz!«
Schmunzelnd mäßigte Emil das Tempo. Und mit sarkastischem Blick musterte er den »Hendlfriedhof«, das hüpfende Bäuchlein Gnugessers.
Beni fing den Blick auf und sprach: »Glauben S' nur ja nicht, gnädiger Herr, daß mein Wanst vom zu guten Essen so dick worden ist!«
»Also vom Hungern und Fasten?« meinte lächelnd Emil und ging gemächlichen Schrittes weiter.
Eifrig beteuerte Beni, daß bei ihm Naturanlage vorhanden sei, eine mehr als dreimal verfluchte Veranlagung, die stetigen Verdruß verursache.
»Warum denn Verdruß?«
»No ja, halten zu Gnaden, weil mich jeder Hansdampf – Jeß Maria! Ich nehm das dumme Wort z'ruck – weil mich die Leut immer frozzeln wegen des dicken Bäucherls! Ist aber nicht zum Lachen! Magere Kost …«
»Vielleicht futtert der Forstwart zu feucht?«
»Ist nicht möglich, Duhrlauch! Wo das Gehalt so klein ist!«
»Was? Unzufriedenheit mit dem Gehalt?«
»Nicht! Keine Spur nicht von Unzufriedenheit! Wenn ich sag, daß mein Gehalt so klein ist, so hängt das mit meinem Hauskreuz und mit der vermaledeiten Haller Weiberrevolution zusammen!«
Emil fragte, neugierig geworden, nach Details dieser ihm fremden Verhältnisse und blieb stehen, damit Beni ruhigen Atems berichten konnte.
Der häusliche Krieg wegen der Entschädigung der Hausfrauenarbeit im Ehestande, der Kampf um das Gehaltsdrittel des Brotverdieners hatte Beni die Hauptwaffe, die Zunge, so geschärft, daß er sehr präzis und geläufig über die Entwicklung dieser Frage referieren konnte. Und besonders scharf betonte er die ethische Seite, das Herabdrücken der Würde der Ehefrau durch Annahme eines Lohnes auf das Niveau der bezahlten Dienstmagd. Für die ihn selbst betreffende finanzielle Seite hatte er nur den winzigen Spott, den die Gutmütigkeit gestattete. »Merkwürdig ist nur, daß die Weiber nicht nachgeben wollen, wiewohl es gar kein solches Gesetz gibt und selbst in der Schweiz nur ein Entwurf besteht! Der Pfarrer hat bereits scharf geschossen, die Bezirkshauptmannschaft hat jedwede Agitation verboten und Bestrafung wegen Störung der öffentlichen Ruhe angedroht! Hilft alles nichts, meine heißgeliebte Amanda will das Gehaltsdrittel und hetzt weiter, bis sie hoffentlich bald eingekastelt wird!«
»Aber das ist ja köstlich!«
»Mit Vergunst: was soll köstlich sein?«
»Die Situation, wenn Amanda – das ist wohl Ihre Gattin? – ›eingekastelt‹ wird!«
»Köstlich oder nicht, jedenfalls krieg ich für einige Zeit Ruhe, so meine süße Amanda hinter schwedischen Gardinen sitzt als Revoluzzerin und Volksaufwieglerin!«
»Ist denn meine Mama über diese interessante Affäre informiert worden?«
»Wohl, wohl! Eine Zeitlang ist die Frau Fürstin für die Frauen gewesen, Duhrlauch hat es sogar dem Pfarrer von Hall verübelt, daß er die Revolution bekämpfte! Wie aber die Frau Fürstin vom Pfarrer genauer informiert worden ist, hat die Frau Fürstin nichts mehr wissen wollen! Natürlich schimpfen die Haller Weiber jetzt wie die Rohrspatzen über die Frau Fürstin!«
»Na, sehr nette Chose! Was soll denn daraus werden?«
»Ich hab keine Ahnung! Das begehrte Drittel kann ich nicht zahlen, soviel steht fest! Dazu ist die Gage wirklich zu klein; nichts für ungut, gnädiger Herr!«
Im Weiterschreiten ließ sich Prinz Emil über die Höhe der Beamtengehälter und über die Löhne der Waldarbeiter und Jagdgehilfen informieren. Selbst von Mama mit Geld sehr knapp gehalten, hatte Emil eine Ahnung davon, was es heißt, mit wenig Geld leben zu müssen. Kein besonderes Verständnis für soziale Verhältnisse, noch weniger Verständnis dafür, wieviel Geld der Haushalt eines schlecht bezahlten Beamten oder Forstarbeiters jährlich verschlingt. Aber eine hübsche Idee hatte Emil, einen niedlichen Revanchegedanken: für seine eigene Knapphaltung ist Revanche möglich und sehr nett, indem der knickrigen Mama etlicher Mammon dadurch abgeknöpft wird, daß man die Löhne des Forstwarts und der verheirateten Waldarbeiter aufbessert. Diebisch freute sich Emil über diese niedliche Revancheidee.
Gnugesser erhielt Auftrag, ein Verzeichnis der verheirateten Angestellten im fürstlichen Dienste anzufertigen und auszurechnen, wieviel gezahlt werden müsse bei einer Aufbesserung um zwanzig Prozent.
Einen Luftsprung vollführte Beni. Das Bäuchlein hüpfte. Und vor Freude schrie Gnugesser: »Vergelt's Gott diese Wohltat!«
»Nur gemach! Erst die Berechnung! Dann muß ich die Angelegenheit prüfen, studieren, wie Gelder aus dem Ertrag des Herrschaftsgutes flüssig gemacht werden können! Denn aus der Privatschatulle wird Mama die zur Aufbesserung der Löhne nicht bewilligen!«
»Oh, gnädiger Herr! Geld soviel wie Heu können Sie herauszwicken, wenn überständiges Holz verkauft wird! Angebote haben wir genug, hiebreifen Bestand auch, nur die Erlaubnis zum Schlägern haben wir nicht – einstweilen!«
»Gut! Machen wir! Ich werde Mama schon umstimmen! Aber nun noch etwas: den geldhungrigen Eheweibern muß der Mund gestopft, die Lust zum Revolutionieren gründlich ausgetrieben werden!«
»Wie wollen denn gnädiger Herr dieses Kunststück fertigbringen?«
»Sehr einfach das: zehn Prozent der Aufbesserung liefert der Ehemann der Gattin als Nadelgeld ab! Wer damit nicht zufrieden ist, wer weiter hetzt und agitiert, wird entlassen!«
»Oha! Aber die Ehefrauen können doch nicht entlassen werden!«
»Die Weiber nicht, aber die in unserem Dienst stehenden verheirateten Beamten und Arbeiter!«
»Ah so wohl! Jetzt versteh ich, was Sie meinen! Wir Ehekrüppel bekommen durch die Aufbesserung eine Waffe, mit der wir die Revolution im Haushalt bekämpfen und niederringen können! Feine Idee das! Hätt gar nicht geglaubt, daß unser junger Prinz soviel Spiritus im Kopf hat! Jeß Maria, nichts für ungut; es ist mir gleich nur so dumm herausgerutscht!« Und wütend auf sich selbst, schlug sich Beni auf den vorlauten Mund.
Belustigt sprach Prinz Emil: »Ist schon recht, Dickwanst! Ich bin wirklich nicht so dumm, wie ich aussehe! Die Idee zur Lösung der ›Revolutionsfrage‹ gefällt mir selber, und ich glaube, daß den Weibern der Mund gründlich gestopft wird!«
»Wohl, wohl! Bis auf die gefährliche Krämerin in Hall! Diese Oberhetzerin steht nicht im fürstlichen Dienst, sie kann also auf die Herrschaften husten und pfeifen, wie sie mag! Und das wird sie auch tun! Und solang dieses Malefizweib hetzt, wird auch keine endgültige Ruhe eintreten!«
»So? Da bin ich anderer Meinung! Die Krämerin wird einfach boykottiert!«
»Wie denn das?«
»Zur Strafe für die Verhetzung wird der Boykott über die Krämerin verhängt! Wir kaufen nichts mehr bei ihr! Und wer von unseren Beamten und Dienern fürder den Bedarf bei der Krämerin deckt, wird entlassen! Merkt das die Krämerin, so wird sie, um nicht geschäftlich ruiniert zu werden, ganz gewiß zu Kreuz kriechen und jede Agitation einstellen!«
»Gott! Sie sind ein heller Kopf!« Und wieder schlug sich Beni auf den Mund.
»Na schön! Nun gehen Sie heim und besorgen Sie mir so rasch als möglich die Aufstellung und Berechnung! Bis Mittag will ich alles in Händen haben!«
»Sehr wohl, gnädiger Herr! Aber was ist's mit dem Inspektionsgang?«
»Machen wir ein andermal! Mich interessiert jetzt die Revolutionsangelegenheit und ihre Lösung!«