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Mit hochalpinen Kleidern durch Hildegards Schneiderkunst ausgerüstet, konnte das Hoffräulein von Gussitsch einem Befehle zur Begleitung mit einiger Ruhe entgegensehen. Stoff für ein richtiges Lodenkleid war unterwegs. Die Fürstin Sophie schien jedoch nicht die geringste Jagdpassion zu verspüren; der vom Jagdpersonal sehnlichst erwartete Befehl zur Wildausmachung für Pirsch oder Drücken erfloß nicht. Dagegen äußerte die Fürstin den Wunsch, das Forsthaus zu inspizieren, der Forstwartfrau Gnugesser einen Besuch abzustatten. Für Fräulein von Gussitsch war dieser Wunsch natürlich Befehl, weshalb die Hofdame fragte, wann sie zur Disposition sein müsse.
Der Bescheid lautete: eine halbe Stunde vor dem Lunch, keine Ansage im Forsthause.
Ein einleuchtender Befehl hinsichtlich der Nichtansage, damit Frau Amanda keine Veranstaltungen zu feierlich-steifem Empfang oder gar zu einer unerwünschten Bewirtung treffen kann.
Weniger einleuchtend fanden die allmächtigen Angestellten Norbert und Hildegard den Besuch, sie befürchteten eine Verspätung des Lunchbeginnes durch Verschwatzen. Wie überall in Hofhaltungen, sahen die »Vertrauenspersonen« sehr darauf, daß pünktlich gegessen werde am Tische der – Angestellten. Die höchsten Herrschaften können leichter warten.
Im Forsthause herrschte eine Totenstille; die Forstbeamten weilten dienstlich auswärts, Graf Thurn in Wien; Frau Amanda beschäftigte sich mit dem Entwurf einer Ansprache, die demnächst in einer Versammlung von Ehefrauen in der Angelegenheit der Entlohnung weiblicher Arbeit im Ehestande gehalten werden solle.
In diese ziemlich schwierige Geistesarbeit vertieft, achtete Amanda gar nicht des Geräusches leichter Schritte im Flur. Sehr überrascht fuhr sie in die Höhe, als eine Frauenstimme rief: »Ist jemand da?«
Amanda trippelte in den Flur und stieß einen Schrei des Schreckens und zugleich freudigster Überraschung aus, als sie die Fürstin erblickte, die ob dieser Wirtung ihres unvermuteten Erscheinens vergnügt schmunzelte und die Frau Gnugesser bat, ja keine »Geschichten« zu machen. Fürstin Sophie vereitelte auch sofort jede Möglichkeit hierzu, indem sie bat, ihr die Wohnung des Forstwarts zu zeigen und zu sagen, was allenfalls einer Änderung oder Verbesserung bedürfe.
Diese gutgemeinte, aber auch unvorsichtige Äußerung gab Amanda nicht nur die Ruhe wieder, sondern auch hocherwünschten Anlaß, Bitten um bauliche Verbesserungen vorzubringen.
Die Fürstin bereute denn auch ihre Äußerung und ging auf ein anderes Thema über, indem sie fragte, ob sich die Frau Forstwart wohl fühle in dieser Einsamkeit.
Sofort hing sich Amanda, indem sie den Damen Stühle anbot, in dieses Thema ein und sprach gewandt und flüssig über den bitter empfundenen Mangel an Verkehr mit gebildeten Leuten und an Mitteln geistiger Weiterbildung. Nützliche Bücher seien ebenso schwer zu beschaffen wie die enorm teuren Lebensmittel.
Auf die letztere Anspielung ging die Fürstin nicht ein, doch versprach sie, die »einsame« Försterin mit nützlichen Büchern versehen zu wollen.
»Untertänigsten Dank, Durchlaucht! Besonders beglückt werde ich sein, wenn Durchlaucht die Gnade haben wollten, mir ein Exemplar des neuen, für Hausfrauen so sehr wichtigen Gesetzes und wenn möglich eines Kommentars dazu schenken würden!«
»Welches Gesetz meinen Sie denn, liebe Frau?«
»Es gibt ein völlig neues Gesetz, das der Frau einen Anteil am Gewinn der Ehe in Höhe eines Drittels gewährt! Ist der Ehemann ein Beamter, so muß er gesetzlich ein Drittel seines Jahresgehalts der Ehefrau zahlen als Entlohnung der von der Frau im Haushalt geleisteten Arbeit! Von Rechts wegen!«
Erstaunt und interessiert rief die Fürstin: »Was Sie sagen! Von einem solchen Gesetz habe ich bisher keine Ahnung gehabt!« Und zu Fräulein von Gussitsch gewendet, fragte Fürstin Sophie: »Wissen Sie, liebe Gussitsch, etwas von diesem sehr interessanten und wichtigen Gesetze?«
Martina mußte gestehen, daß sie bisher nicht das geringste davon gelesen und auch nichts gehört habe.
Amanda sprach hastig: »Doch! Die Zeitungen beschäftigen sich angelegentlich mit dieser Frage der Entlohnung der Frau im Hausstand! Ich habe derlei Artikel ja selbst und so oft gelesen, daß ich hierüber sehr gut informiert bin und auch darüber sprechen kann! Durch das neue Gesetz, durch positive Rechtsnorm, ist ein Ziel erreicht, das angesehene Frauen längst erstrebt hatten und das doch wohl als durchaus berechtigt und den modernen Verhältnissen entsprechend anerkannt werden muß!«
»Gewiß! Sagen Sie, liebe Frau, welche Stellung haben Sie vor Ihrer Verheiratung innegehabt? Sie verfügen augenscheinlich über eine Vorbildung, die sonst in Kreisen kleiner Beamter nicht zu finden ist!«
»Ich war früher Lehrerin!«
»Ach so! Das macht Ihre Stellungnahme zu dieser interessanten Frage begreiflich! Was ich aber nicht verstehe, ist die Entstehung eines in seinen Wirkungen so einschneidenden Gesetzes. Es wird doch über Kleinigkeiten oft ganz schrecklich debattiert und Lärm geschlagen!«
»Höchste Herrschaften werden von diesem Gesetze nicht betroffen, also ist es leicht möglich, daß Durchlaucht sich um dasselbe nicht gekümmert, das Gesetz sozusagen übersehen haben! Die Interessen- und Gedankensphäre einer Fürstin ist doch eine ganz andere, als die einer Forstwartfrau oder Bäuerin oder Ehefrau eines Gewerbetreibenden!«
»Allerdings!« Zur Hofdame sprach die Fürstin: »Bitte, liebe Gussitsch, behalten Sie diese Angelegenheit im Auge und beschaffen Sie baldmöglichst das betreffende Gesetz!«
Martina verbeugte sich.
Dann wandte sich die Fürstin wieder zu Amanda mit der Frage: »Wie gedenken Sie auf Grund dieses interessanten Gesetzes in Ihrem Hauswesen vorzugehen?«
Leuchtenden Auges und lebhaften Tones erwiderte Frau Gnugesser: »Die Stellungnahme ist leicht und doch auch sehr schwer! Leicht insofern, als das Gesetz klar und deutlich der Ehefrau das Gehaltsdrittel zuspricht! Schwer hingegen wird es dem Ehemanne sein, dieses Drittel in bar der Gattin auszuzahlen, wenn das Gehalt keine entsprechende Aufbesserung findet! Mein Mann bezieht achtzehnhundert Kronen Gehalt …«
»Verstehe! Also bekommen Sie als Ehefrau sechshundert Kronen, das ist eine respektable Entlohnung Ihrer Arbeit, nicht? Ich hätte wahrlich nicht geglaubt, daß ein so vernünftiges und wichtiges Gesetz gemacht werden kann! Ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege der Gesetzgebung, eine soziale Großtat! Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert! Zweifellos ist durch das Gesetz die große Bedeutung der Frau als guter Haushälterin und Verwalterin für die Sicherung der Früchte des Eheerwerbes nun allgemein anerkannt! Und auf der Frauentätigkeit beruht der Segen der Familie! Sehr schön also diese Sache! Nur merkwürdig, daß ich davon bisher keinen Ton gehört habe! Apropos: wie stellen sich denn die anderen Hausfrauen dieser Gegend zu dieser grandiosen Neuerung?«
Umständlich berichtete Amanda, die sich nun in ihrem Fahrwasser befand, über die durchgeführte Agitation, über die Belehrung der Frauen in Hall, über den bereits errungenen Erfolg, der darin bestehe, daß sogar auch Bauernweiber die Drittelszahlung fordern. Demnächst werde eine öffentliche Frauenversammlung stattfinden.
»Sehr schön! Großartige Sache! Muß unterstützt werden! Aber nun sind wir lange genug hier gewesen! Wir sprechen gelegentlich darüber! Adieu, liebe Frau! Auf Wiedersehen!«
Mit einem Wortschwall des Dankes für die hohe Ehre des auszeichnenden Besuches geleitete Amanda die Damen vor das Haus. Ein letzter Versuch der Anspielung auf die Notwendigkeit einer Gehaltsaufbesserung als Folge der Drittelszahlung mißlang kläglich, da die Fürstin die Uhr zog und sich jäh verabschiedete. War es doch bereits ein Uhr geworden, die Stunde des Lunch erheblich überschritten.
Eilig zum Schlößl stapfend, meinte die Fürstin: »Wie man sich nur so verschwatzen kann! War aber ganz interessant, nur kann ich trotz alledem nicht recht glauben, daß bei uns ein so einschneidendes Gesetz in Geltung ist! Vergessen Sie nicht, ein Exemplar zu besorgen! Was ist denn Ihre Meinung über dieses rätselhafte Gesetz, liebe Martina?«
»Verzeihen, Durchlaucht, in Gnaden! Erst möchte ich die einzelnen Gesetzesbestimmungen lesen …!«
»Ja doch! Die Sache muß ihre Richtigkeit haben, denn die Försterin ist vorzüglich informiert und orientiert! Ich bin neugierig zu erfahren, wie sich unser ›Hofpfarrer‹ zu dieser Angelegenheit stellt!«
»Dem Pfarrer dürfte weniger das Gesetz, viel mehr die Revolutionierung der Ehefrauen eine böse Bescherung verursachen!« meinte Martina, um doch auch etwas zu sagen und ein gewisses Interesse zu markieren.
»Apropos: Pfarrer! Teilen Sie dem Pater Wilfrid mit, daß er am 30. August, dem Todestage meines hochseligen Gemahls, ein feierliches Requiem zelebrieren soll! – So, da sind wir! Die armen Leute! Haben so lange auf das Essen warten müssen!«
Norbert kam gesprungen und nahm den Damen die Schirme ab.
»Nicht böse sein, Alter! Wir haben uns verplaudert!« sprach liebenswürdig die Fürstin. »Gleich servieren! Hast du argen Hunger, Norbert?«
»Untertänigst zu dienen, Durchlaucht, dem alten Diener fällt das Fasten schwer! Ich bitte um Verzeihung …«
»Was hast du denn angestellt?«
»Ich habe mir eine Kleinigkeit in der Küche geben lassen!«
»Ganz recht! Sehr vernünftig! Hoffentlich war auch Hildegard so klug!«
»Gewiß, Durchlaucht! Mit gnädigster nachträglicher Genehmigung!«
»Aber gern! Natürlich!«
Die Damen begaben sich ins Speisezimmer und durften einige Zeit warten, bis serviert wurde.
Die Angestellten hatten nicht eine Kleinigkeit, sondern das komplette Menü verspeist, und zwar reichlich. Daher die Köchin nun rasch Schnitzel als Ersatz zubereiten mußte.
*
Jeder Sonntag bringt dem Pfarrer, der keinen Kaplan hat, in den Dörfern Arbeit in reichlichem Maße. Besonders mit Arbeit gesegnet war Pater Wilfrid, der Pfarrer von Hall. Früh des Morgens begann die Arbeit im Beichtstuhl, der sich um acht Uhr das Hochamt mit Predigt anschloß. Unverdrossen, ja freudig tat der liebenswürdige Pfarrer und Vater seiner Gemeinde seinen Dienst, angenehm davon berührt, wenn das Gotteshaus dicht von Andächtigen gefüllt war. Insbesondere freute ihn die Anwesenheit der Fürstin mit Hofdame im kleinen Oratorium. Während der Predigt gewahrte er zu seiner Befriedigung auch die Forstbeamten und etliche Jäger in den Reihen der Dörfler.
Nach dem Gottesdienste drängten zahlreiche Bauern zum Pfarrhause, wo sie sich aufstellten wie die Orgelpfeifen.
Grüßend kam Pater Wilfrid vom Kirchlein herab, freundlich bat er die Leute, ihm ein Viertelstündchen zum Frühstück zu gönnen, dann stehe er zur Verfügung. Und lächelnd meinte er: »Aber einer nach dem andern! Nicht alle zugleich einidrucken! Das vertragen die Mauern vom Häuserl nicht!«
»Wohl, wohl!« riefen die Bauern und lachten.
Die weißhaarige Dienerin im Pfarrhause trug den Kaffee mit Semmel auf, und bemutternd mahnte sie den Pfarrer, er solle sich nur Zeit lassen zum Frühstücken; die Bauern könnten schon warten, die kommen allweil noch früh genug ins Wirtshaus.
Im Flur gellte die Hausglocke scharf und ungestüm.
»Jesses na, so eine Pressiererei! Der Hansdampf läutet mir gut! Lassen S' Ihnen nur Zeit, Hochwürden Herr Pfarrer! Ich mach nicht früher auf, als bis Sie gefrühstückt haben!«
Pater Wilfrid trat ans Fenster und guckte, wer denn Einlaß forderte. Erschrocken fuhr er zurück und hastig rief er: »Erna, geschwind aufmachen! Die Fürstin will mich besuchen!«
»Wär nicht zwider! Jesses na, so was! Wo ich gar nicht darnach an'zogen bin und keinen Hut nicht aufhab!«
Der Kammerdiener Norbert riß abermals am Glockenstrange.
Die Dienerin sprang zur Haustüre und öffnete unter unzähligen Verbeugungen. »Na, so eine Ehr! Frau Duhrlauch kommen selber, um mich zu besuchen!«
Fräulein von Gussitsch sprach: »Durchlaucht geruhen den Herrn Pfarrer zu besuchen! Bitte, melden Sie sofort!«
Gedehnten Tones, ob der leisen Zurechtweisung gekränkt, erwiderte die Dienerin: »Selles Melden ist neammer nötig, wo der Pfarrer Ihnen eh schon vom Fenster aus gesehen hat! Da springt er ja schon, der Herr Hochwürden! Haben S' die Ehr, und gehen S' halt auffi!«
Pater Wilfrid bat die Damen, sich gütigst in das obere Stockwerk bemühen zu wollen. Höflichst geleitete er die Fürstin hinauf.
Die Dienerin wollte die Haustüre abschließen und sah den Kammerdiener Norbert wartend stehen. Ihn sprach sie schnippisch an: »San Sö vielleicht der Brettelhupfer von der Fürstin? Dann können S' herinnen bleiben!«
Würdevoll erklärte Norbert, daß er der »Herr Kammerdiener« sei.
Pater Wilfrid erschien oben an der Treppe und rief: »Geschwind, Erna, Tee machen! Durchlaucht wünschen Tee zu nehmen!«
Schrill antwortete Frau Erna: »Was Ihnen nicht einfallt! Wo wir im ganzen Haus kein Stäuberl Tee nicht haben! Und sicher im ganzen Dorf auch nicht! Ein Schalerl Kaffee kann sie haben, die Frau Duhrlauch, sonst nichts!«
So mußte denn Pater Wilfrid diesen Bescheid überbringen. Über seine komisch klägliche Miene lachte die Fürstin hellauf. »Tut nichts, ist kein Unglück! Herr Pfarrer wollen erlauben, daß ich Ihr Haus mit Tee und was dazu gehört, versorge! Aus Selbstsucht, denn wir werden künftig nach dem Gottesdienst bei Ihnen den Tee nehmen! Das heißt, wenn Sie erlauben! So, nun wollen wir um so weniger stören, als zahlreiche Bauern auf Audienzerteilung warten! Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer!«
Norbert mußte den beim Wirte eingestellten Wagen holen. Am Pfarrhause wartend, sah die Fürstin den Oberförster Hartlieb, den sie einlud, im Wagen mit nach Hause zu fahren.
Mit höflichen, ernsten Dankesworten nahm Hartlieb diese Einladung an, wiewohl sie seine Absicht, im Grabnerhofe dienstlich vorzusprechen, durchkreuzte. Unwillkommen war sie ihm aber dennoch nicht, da er doch wieder einmal Fräulein von Gussitsch in die schönen Mustela-Lichter gucken konnte. Fand er doch Fräulein Edelmarderchen zum Anbeißen nett und hübsch. Insgeheim natürlich, mit Ausschluß aller Öffentlichkeit.
Da es eine ziemliche Zeit währte, bis die Pferde angeschirrt waren, bat die Fürstin, es wolle sich der Pfarrer nicht aufhalten lassen und die Leute vornehmen. »Ich habe ohnedies mit dem Herrn Oberförster zu sprechen!«
Pater Wilfrid verabschiedete sich und nahm den ersten wartenden Bauern mit in die Pfarrkanzlei.
Ehrerbietig harrte Hartlieb der Mitteilungen, und er war im voraus überzeugt, daß sie höchst wahrscheinlich eine Überraschung wenig angenehmer Art für den Jagddienst sein werden. Aber auf die Frage, wie sich das Jagdgut verzinse, war er doch nicht gefaßt. Die Käuferin mußte doch über die Verzinsung informiert sein …
Kaum konnte Hartlieb seine Verblüffung verbergen.
Fräulein von Gussitsch hatte sich diskret einige Schritte entfernt und hielt aus dem Sträßlein Ausguck nach dem Wagen.
Trocken und ernst wie immer gab Hartlieb die Auskunft: »Da für den Haller Besitz nur das Jagdinteresse ausschlaggebend war und ist, beträgt die Verzinsung nur zwei vom Hundert! Soll die Rente gehoben werden, so muß eine geregelte Forstnutzung eintreten; wir haben hiebreife Bestände, und für Nutzholz sind dieser Tage günstige Offerten von größeren Firmen eingelaufen! Ich wollte nur noch kurze Zeit warten, ob nicht noch einige Angebote erfolgen, und hatte vor, demnächst hierüber Vortrag zu erstatten und die Genehmigung zur Durchforstung und Schlägerung einzuholen!«
Das Antlitz der Fürstin bekam einen Zug von Geringschätzung, die Lippen umspielte ein ironisches Lächeln, etwas wie Hochmütigkeit, da Sophie sarkastisch sprach: »Holzhandel ist nicht mein Geschmack! Das Gut habe ich in ganz anderer Absicht gekauft; freilich steht dahin, ob sich diese Absicht verwirklichen läßt! Jedenfalls bleibt einzig und allein das Jagdinteresse ausschlaggebend, ich werde mich mit der kleinen Verzinsung begnügen! Also beachten Sie, lieber Hartlieb: nur das Jagdinteresse im Auge behalten!«
»Zu dienen, Durchlaucht! Eben das Jagdinteresse veranlaßt mich auf Grund eigener Wahrnehmungen in letzter Zeit und in Berücksichtigung der Jägerrapporte den Abschuß überzähliger Gelttiere, und zwar bald, noch vor Beginn der Hirschbrunst zu beantragen …«
»Aber warum denn?«
»Es hat sich das Geschlechtsmischungsverhältnis verschoben, wir haben zu viel Kahlwild, der Abschuß von Gelttieren ist nötig! Ich möchte bitten, daß das Personal, das ja sehr fachkundig ist, diesen Abschuß vornehmen darf, und zwar auf der Pirsch, weil dadurch die Revierbeunruhigung möglichst vermieden wird!«
Die Lippen hochziehend, meinte die Fürstin: »Ich weiß nicht! Der Abschuß will mir nicht gefallen, noch weniger das – Kanonieren durch das Personal! Und ganz und gar nicht will mir gefallen, daß just das weibliche Wild zum Opfer fallen soll! Das ist grausam! Nach Möglichkeit hegen, Herr Oberförster, hegen!«
»Im Jagdinteresse bin ich genötigt, dringendst den Abschuß der überzähligen Gelttiere zu verlangen!« erwiderte Hartlieb höflichen, doch dienstlich festen Tones. Und ehrlich ernst blickte er der Gebieterin ins Auge.
»Ja doch! Sie als Fachmann müssen es ja besser wissen und verstehen, Sie sind ja auch verantwortlich! Aber Wünsche wird die Besitzerin, sozusagen der ›Jagdherr‹, denn doch noch aussprechen dürfen! Machen Sie mal einen Überschlag, so eine Art Aufstellung, damit ich erfahre, wieviel weibliches Wild der Kugel verfallen soll! Eines steht fest: ich für meine Person werde mich an dem erzwungenen Abschuß nicht beteiligen! Und ohne Kontrolle darf auch das Personal nicht abschießen! – Der Wagen kommt! Wir fahren heim! Herr Oberförster, Sie können bis zum Forsthause mitfahren!«
Unterwegs litt Hartlieb alle Qualen der Unterordnung des eigenen Intellekts, des seelischen Kampfes in der Frage, ob der Fachmann sich ducken, dem Willen eines Laien, noch dazu dem einer Frau, sich unterwerfen oder auf die Dienstesstellung verzichten, sich um einen anderen Posten bewerben solle. Unmännlich und feig erschien ihm das Ducken, die Unterwerfung ein Verrat an den Idealen des grünen Berufes! Lieber aus diesem Dienst scheiden mit reiner, ehrlicher Weidmannsseele! Gehen, bevor der Waldmann – fliegt …
Ein Weilchen hatte Fürstin Sophie mit Martina geplaudert, Fragen gestellt und sie selbst beantwortet, bevor das Hoffräulein die Lippen öffnete. Dann wandte sich die Fürstin mit einem liebenswürdigen Lächeln an den Oberförster und fragte ihn im Tone köstlicher Naivität: »Sagen Sie mal, lieber Hartlieb, was wird denn bei der jetzigen Art des Jagdbetriebes eigentlich aus den – Rehwitwen und aus den alten Rehjungfern? Es werden ja doch immer nur Rehböcke geschossen! Wer sorgt für die – Reh-Relikten?«
Hartliebs Blick kündete Verblüffung; der Oberförster war paff. Und auf der Zunge lag sehr locker ein Ausruf gelinden Entsetzens, ein Hilferuf des konsternierten Weidmannes zum St. Hubertus.
Zum rettenden Engel aus dieser Verlegenheit Hartliebs wurde Martina, die in diesem Moment lachte und ihre schimmernden Marderzähnchen zeigte.
Dieses erquickend frische Lachen ermöglichte es dem Jagdbeamten, den Ausruf ungesprochen hinabzuschlucken, die verblüffende naive Frage der Fürstin im Scherztone dahin zu beantworten, daß der Schöpfer dem Leben der »Rehwitwen« und alten »Rehjungfern« mit dem fünfzehnten Jahre ein natürliches Ziel und Ende gesetzt habe, so nicht durch Krankheiten diese »Relikten« früher verenden. Eine Verschiebung des Geschlechtsmischungsverhältnisses zwinge übrigens auch beim Rehwild zum Abschuß überzähliger Geißen und Gelttiere.
»Ach Gott! Nun kommt der schreckliche Mensch schon wieder mit den ›Geschlechtsmischungsverhältnissen‹! An sich schon eine gräßliche Worthäufung, gleich drei Hauptwörter aneinander gehängt und grausam verquickt! Hat die Weidmannsprache, die ich wohl nie werde erlernen können, noch mehr solcher Wortungetüme und Ungeheuer?«
Ehe Hartlieb antworten konnte, wandte sich die Fürstin aber schon wieder an das Hoffräulein mit der Bemerkung, daß vergessen worden sei, den Pfarrer wegen des Requiems zu interpellieren, zu fragen, ob diese Angelegenheit in Ordnung sei.
Martina versicherte, daß sie befehlsgemäß dem Pater Wilfrid geschrieben habe und somit wohl auf prompte Erledigung gerechnet werden dürfe.
»Schicken Sie den Norbert zum Pfarrer! Ich will bestimmten Bescheid erhalten! – Na, da sind wir ja schon am Forsthause! Apropos: Schicken Sie mir morgen den Jäger Eichkitz zum Rapport! Auf Wiedersehen, Herr Oberförster!«
Hartlieb verabschiedete sich. Ein warmer Blick inniger Sympathie flog zum Mustela-Fräulein …
»Bei St. Huberto! Immer muß ich das Fräulein mit dem geschmeidigen, zierlichen Edelmarder vergleichen!« murmelte Hartlieb, als er nach Abfahrt der Damen in das stille Forsthaus trat.
*
Der Reihe nach nahm Pater Wilfrid in der Haller Pfarrkanzlei die Bauern und sonstigen Besucher vor.
Ein stämmiger Mann, der Schmied von Hall, ältlicher Junggeselle, erbat Auskunft, welche Papiere zu beschaffen seien, da er aus Barmherzigkeit eine arme Witwe mit zwei Kindern heiraten wolle, um die bittere Not zu beseitigen.
Mit der beruhigenden Auskunft, daß die gewöhnlichen Legitimationspapiere genügen und daß nach Empfang derselben das Pfarramt das Weitere besorgen werde, konnte der Schmied sich entfernen. Ziemlich enttäuscht darüber, daß die Sache so glatt gehen werde, und daß der Pfarrer auf die »Barmherzigkeit« soviel wie gar nicht geachtet hatte.
Der zweite Besucher, seines Zeichens Spengler und Glasermeister in einer Person, wünschte Aufschluß bezüglich des neuen Gesetzes, wonach die Gattin für ihre Arbeit im Hauswesen künftig bezahlt werden müsse.
Pater Wilfrid ließ die Frage wiederholen, so sehr mißtraute er seinen Ohren. Und dann erklärte er, sich wegen des ihm ganz unbekannten »Gesetzes« erkundigen zu wollen. »Kommen Sie am nächsten Sonntag, dann werden Sie Bescheid erhalten!«
Mit einem ähnlichen, schärfer präzisierten Anliegen kam der dritte Besucher, ein Taglöhner und Besitzer eines Kleinanwesens bei Hall. Der abgerackerte Mann wollte wissen, ob er wirklich verpflichtet sei, von seinem ohnehin geringen Einkommen aus seinem Tagwerk dem Eheweibe die Hälfte als Lohn für die Hausarbeit zahlen zu müssen. »Springgiftig« fordere die Gattin jetzt schon eine Anzahlung, könne aber nicht sagen, welches Gesetz diese Zahlungspflicht des Mannes vorschreibt.
Pater Wilfrid gab dem Manne den gleichen Bescheid wie bei Nummer zwei.
Der vierte Besucher war ein mittlerer Bauer, der erbost klagte, daß seine Bäuerin die Hühner verkauft, den Erlös für sich behalten habe als Entschädigung für ihre Arbeit in Haus, Stall, Garten und Feld.
Nun wurde Pater Wilfrid ob dieser Übereinstimmung der Anliegen doch stutzig. Er fragte, ob Anzeichen vorliegen, daß die Bäuerin vielleicht aufgehetzt worden sei. Ingrimmig berichtete der Bauer, daß vor einiger Zeit die Frau des Forstwarts öfter im Gehöft erschienen sei, eifrig mit der Bäuerin getuschelt und verhandelt habe, worauf das Eheweib sehr scharf geworden sei. »Sagen S' nur gleich, Herr Pfarrer, was ich machen soll! Därf ich das hantige Weib verhauen? Und was ist das für ein ›Gesetz‹, von dem die Bäuerin behauptet, daß ich fürder blechen muß, was Zeug haltet?«
»Gedulde dich bis zum nächsten Sonntag! Ich werde mich inzwischen erkundigen! Von einem Gesetz, das die Hausarbeit der Ehefrau entlohnt, weiß ich einstweilen nichts! Glaub auch nicht, daß es bei uns ein solches Gesetz gibt!«
»So? Nicht? Na, freu dich, Alte! Ihr werd ich das Hühnerverkaufen hinter meinem Rücken schon austreiben mit'm Haslinger!«
»Warte mit dem – Haslinger bis zum nächsten Sonntag! Aufs Wiederschauen!«
Insofern die übrigen Besucher verheiratet waren, hatten sie alle das gleiche Anliegen und den Wunsch, bezüglich des neuen Gesetzes informiert zu werden. Auch der Dorfkrämer, der davon sprach, daß er die Hölle auf Erden habe, seit die Frau Gnugesser in seinem Hause verkehre und sein Weib zur Freundin und Vertrauten erkürt habe. Auch andere Weiber kommen häufig und halten Sitzungen ab, als wenn der Kramerladen ein Weiberparlament wäre.
»Ausstampern!« meinte anzüglich Pater Wilfrid und schmunzelte dazu.
»Hat sich was mit dem Ausstampern! Hasen und Katzelen kann man stampern, nicht aber Weiberleut, wenn die Weibets – bleiben wollen! Einmal hab ich das Stampern probiert, ein zweites Mal tue ich es nicht wieder! Eine Watschen hab ich erwischt, die ist nicht von schwacher Hand gewesen! Und was mich wurmt: ich weiß nicht von wem! Kann sein, daß es die Krämerin gewesen ist, es kann aber auch sein, daß ein Bauernweib mir die Watschen runtergewischt hat! Jedenfalls ist keine christliche Demut im Spiel gewesen! Drum bin ich der Meinung, daß Hochwürden Herr Pfarrer auf der Kanzel loswettern sollten gegen die Malefizweiber, die rebellisch worden sind! Aber, bitt schön, ausgiebig loswettern, gesalzen und gepfeffert, ganz sakrisch, auf daß den Revoluzzerinnen Hören und Sehen vergeht und die Augen tropfen!«
»Wird schon zur rechten Zeit geschehen!« Einer Regung folgend, riß Pater Wilfrid rasch die Türe auf. Richtig kniete die Dienerin vor dem Schlüsselloch. Heillose Bestürzung. Wie ein begossener Pudel sprang die Witwe Erna auf, und krebsrot im verhutzelten Gesicht hastete sie davon.
Der Krämer rieb sich schadenfroh die Hände und freute sich mächtig. Und lachend verließ er das Pfarrhaus.
Pater Wilfrid eilte nun in das Schulgebäude, um den Sonntagsschülern Unterricht in der Christenlehre zu erteilen.
Dann ein Halbstündchen Pause für einen kleinen Imbiß und für eine Rüge der Dienerin wegen Belauschungsversuchen von Dienstgesprächen. Die weißhaarige Frau Erna verhalf dem jovialen Pfarrer zu einer nicht geringen Überraschung, indem die alte Dienerin statt mit einer Entschuldigung mit dem Vorwurf anrückte, daß Pater Wilfrid zu den – nichtsnutzigen, hartherzigen und grausamen Mannsbildern halte! Deshalb sei es eine heilige Pflicht der Weiber, sich zusammenzuschließen und alles aufzubieten, daß die segensreichen Bestimmungen des neuen Gesetzes voll und ganz zur Durchführung gelangen …
Pater Wilfrid griff sich an den Kopf und rief: »Ja, wie wird mir denn?« Die alte Witwe richtete sich gravitätisch auf, stemmte die Hände auf die schmalen Hüften und erwiderte triumphierend: »Jawohl! Gucken Sie nur verwundert, Hochwürden! Ihr Staunen ändert nicht das geringste an der Tatsache, daß das neue Gesetz die Stellung der Frauen im Haushalt und Ehestand bedeutend heben und bessern wird! Ich für meine Person werde allerdings von dem neuen Gesetz nichts profitieren! Dennoch erachte ich es als meine Pflicht, mich den Frauen anzuschließen und tapfer mitzukämpfen, bis der Sieg errungen ist!«
Kühl gab Pater Wilfrid zur Antwort: »Gewiß, Frau Erna! Sie können mitkämpfen, meinetwegen heldenhaft mit Schwert und Spieß, nur nicht als Pfarrhäuserin! Bevor Sie die Waffen zum Heldenkampf ergreifen, müssen Sie das Pfarrhaus und Ihre bisherige Stellung verlassen! Und das heute noch! Im Hause eines friedfertigen Priesters wird eine Revolution, die Unterstützung verrückter Frauen nicht geduldet! Eine Stunde Zeit zum Überlegen sei Ihnen gegönnt! Ich muß jetzt wieder in die Schule zur Christenlehre für die Mädchen gehen! Hernach ist Segen und Rosenkranzgebet in der Kirche! Sodann geben Sie Ihre Erklärung ab! Guten Tag, Frau Erna!«
Verblüfft guckte die Matrone; ihr Kopf wackelte, die knöcherigen Finger bebten. Und weinerlich klangen die Worte: »Mit Vergunst, Herr Pfarrer! Wenn Sie die Sach so scharf anfassen, wird es für mich wohl gescheiter sein, wenn ich meine Finger nicht hineinstecke! Wo soll ich altes Weibel denn ein anderes Heimatl finden, so ich aus dem stillen Pfarrhaus außig'schmissen werd! Ich bitt um Verzeihung! Die Frauen sollen ohne die alte Erna kämpfen und sich die Finger verbrennen! Ich tue nimmer mit!«
»Gut! Dann bleibt alles beim alten! Adieu!«
Im Dienste vollzog sich für Pater Wilfrid die an Sonntagen übliche Hetzjagd: Schulunterricht, nachmittägiger Gottesdienst, Beteiligung an einer Versammlung christlicher Arbeiter. Während dieser Verhandlung wurde der Pfarrer abberufen, er mußte dem todkranken Zirnitzbauern die Sterbesakramente bringen. Hernach noch die Vorkehrungen für den Todesfall treffen, Kranke besuchen und trösten. Darüber wurde es Abend. Im Einspännerwägelchen fuhr dann der Haller Himmelsführer zurück ins Admonter Kloster. Das Tagewerk war aber immer noch nicht beendet; als Gastmeister des Stiftes hatte Pater Wilfrid die Pflicht, sich um die Gäste des Klosters zu kümmern, für ihr leibliches Wohl, für gute Unterkunft und nach Möglichkeit auch für gesellschaftliche Unterhaltung zu sorgen. Verpflichtungen von nicht gerade angenehmer Natur, wenn der Gastmeister so viele Sorgen im Kopfe hat. Die größte Rolle spielte das neue »Gesetz« und die Haller »Weiberrevolution«. Beiläufig und sehr dunkel glaubte Pater Wilfrid sich erinnern zu können, in einer Zeitung vor Wochen einen Artikel gelesen zu haben, der sich mit der Frage: Entlohnung der Hausfrauenarbeit im Ehestande, irgendwie beschäftigte. Flüchtig gelesen und schnell vergessen. Emsig suchte Pater Wilfrid in einer hofseitig gelegenen Zelle nach jener Zeitung. Einer der weltlichen Klosterdiener kam und meldete pflichtgemäß, daß einige Gäste gekommen seien, die sich jetzt in der Hofmeisterei befänden. Provisorisch hätte der Diener des Gästetraktes die Zimmer angewiesen und das Nötige für Beherbergung besorgt.
Rasch kontrollierte der Pater Gastmeister, ob der Rang der Gäste mit den angewiesenen Zimmern und ihrer Ausstattung einigermaßen übereinstimmte. Eine Umlogierung mit Verbringung des Reisegepäckes mußte vorgenommen, Rücksicht auf Rang und Etikette, auf die altberühmte Gastfreundschaft des Stiftes geübt werden. Nun eilte der vielbeschäftigte Gastmeister hinauf in die im obersten Stockwerke gelegene sogenannte Hofmeisterei. Ein großer, vielfenstriger Saal, klösterlich einfach ausgestattet; ein Billard, von dem der Klosterwitz erzählt, daß schon Kolumbus vor Antritt seiner Reise nach Amerika auf diesem Vergnügungsmöbel gespielt hätte, etliche runde Tische für Kartenspieler, an der einen Wand ein langer Tisch für Gäste und Stiftsherren mit etlichen seltsam geformten Flaschen, die zwei Sorten Klosterwein enthielten. Eine Kredenz mit Gläsern, ein Kleiderrechen und ein Ständer für Zeitungen bildeten die Ausstattung des von einer großen Hängelampe dürftig erleuchteten Saales. Klösterlich einfach und bescheiden. Dennoch hatte dieser Raum eine Kostbarkeit aufzuweisen: die herrliche, überwältigende Aussicht auf die »Haller Mauern«, auf das wuchtig ragende Felsengebirge im Norden von Admont. Freilich waren von diesen Zyklopenmauern am späten Abend nur noch die düsteren Schatten zu sehen.
Etliche Stiftsherren mit dem Abte, den die goldene Prälatenkette kenntlich machte, und drei Laiengäste saßen an dem langen Tische, rauchten und plauderten. Nippten zeitweilig vom Weine, der an Sonntagen auf Klosterrechnung den Stiftsherren gereicht wird. Gästen natürlich auch an Wochentagen für die Dauer ihrer Anwesenheit.
Pater Wilfrid stellte sich den fremden Gästen als Gastmeister vor, bat wegen verspäteten Erscheinens um Entschuldigung und verständigte den einen Herrn wegen der Umlogierung. Und nun waltete er mit allem Eifer seines Amtes, auf daß die Gäste rechtzeitig die Gläser gefüllt erhielten und Unterhaltung fanden. Seine Weltgeläufigkeit wie die höfisch geschulten Umgangsformen kamen dem Gastmeister gut zu statten und machten den denkbar besten Eindruck. Benediktinerhöflichkeit und -gastlichkeit.
Der vornehme Abt richtete später diskret an den Gastmeister und Haller Pfarrer im halblauten Tone die Frage, ob dafür gesorgt sei, daß die Fürstin von Schwarzenstein einen standesgemäßen Platz in der Haller Kirche habe.
Flüsternd antwortete Pater Wilfrid: »Zu dienen, Euer Gnaden! Alles in Ordnung und prompt besorgt!«
Ein freundlicher Blick des Abtes glitt zum Gastmeister, ein Nicken kündete Befriedigung und Wohlwollen. Um zehn Uhr erhoben sich die Gäste.
Geräuschlos und flink besorgte Pater Wilfrid Licht. Und nachdem sich die Gäste vom Abt und von den Stiftsherren verabschiedet hatten, geleitete der Gastmeister, witzig sich als »Zimmermadel im Habit« vorstellend, die Gäste in ihre Zimmer, sah noch geschwind nach, ob auch Wasser vorhanden war, und zog sich dann mit besten Wünschen für eine »geruhsame Nacht« zurück.
In seiner Zelle bei traulichem Lampenschein beschäftigte sich Pater Wilfrid noch einmal mit dem heillos unangenehmen »neuen Gesetze«. Die Erinnerung an jenen Zeitungsartikel kehrte zurück und wurde lichter. Und mit einem Male wußte der einsame Denker, daß der Entwurf zum neuen Zivilgesetzbuchs die Bestimmung enthält, wonach die Ehefrau ein Drittel des Einkommens des Mannes als Entschädigung für ihre Arbeit im Hauswesen erhalten solle.
Noch lichter wurde die Erinnerung: Es handelt sich um den Entwurf zum neuen Zivilgesetzbuchs der Schweiz.
»Gott sei Dank!« murmelte Pater Wilfrid. Und wie von einer schweren Last befreit, atmete er tief auf.
Und dann schlug er sich mit der Hand an die Stirne in Erinnerung, daß jener Zeitungsartikel in einem Kölner Blatte enthalten war. Und einen Pack dieser Zeitungen hat er selbst der Frau Forstwart Gnugesser, die um Lektüre gebeten hatte, zum Lesen gegeben.
»Oh! Was hab ich getan?!« stöhnte Pater Wilfrid. »Wie kann man so unvorsichtig sein? Den Hecht in den Karpfenteich setzen!«
Freilich gab es eine Entschuldigung: niemand konnte ahnen, daß die Forstwartsfrau just diesen Zeitungsartikel aufschnappen, den Entwurf als gültiges Gesetz betrachten, die Länder verwechseln, den Entwurf als Agitationsmittel benützen, die Weiber von Hall »revolutionieren« werde …
Die mißverständliche Auffassung, die Verwechslung der Schweiz, ermöglicht aber eine Gegenagitation, die wirksame Bekämpfung der »Revolution«! Die Aufklärung des Irrtums durch eine Predigt von der Kanzel aus wird und muß die Flammen der Weiberrevolution ersticken, in der Haller Gemeinde die Ordnung und den Frieden wiederherstellen.
Um den Frieden bei seinen Pfarrangehörigen war es Wilfrid zu tun; dem Frieden zuliebe hat er unzählige Opfer gebracht und wird sie bringen, solange er Himmelsführer in der Gemeinde Hall sein wird.
So schrieb denn Wilfrid etliche Gedanken für die Predigt nieder.
Gegen Mitternacht machte sich die Ermüdung geltend. War der Pfarrer und Gastmeister doch seit vier Uhr früh im Dienste, ununterbrochen tätig.
Die Feder entsank der fleißigen Hand.
Wilfrid löschte die Lampe aus und begab sich zur wohlverdienten Ruhe.