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Eisernes Recht

Paläste und Türme, steil ragend im Sonnenschein;
Befestigtes Mauerwerk über welligen Hügelreihn;
Auf den Domplatz herniedertrotzend Kapell an Kastell;
Girlanden und Banner, leuchtend und farbenhell,
Schöne Frauen, ausschauend aus Fenstern rundbogig, eng,
Auf des Platzes schreiendes, wogendes Völkergedräng.
– – Ein glänzendes Bild, vollfarbig und sonnensatt.
Ein deutscher Kaiser hält Hof in der lombardischen Stadt.

Trompeten und Glockengeläute verkünden sein Nahn.
Langsam und feierlich reitet er über den Plan,
In enggeringelte, eiserne Rüstung geschnallt,
Im hohen Sattel, steif, wuchtig, die Panzergestalt,
Das Schwert an der Seite, im Eisenspitzschuh den Fuß,
Das Panzerhaupt langsam neigend zu starrem Gruß.

Und Lauschen hielt plötzlich das drängende Volk in Bann.
Dicht an des Kaisers massigen Gaul heran
Trat ein jugendlich Weib in schleppendem Witwenstaat:
Wallende schwarze Schleier, schwarzgoldner Brokat,
Glutrot die zuckenden Lippen, die Wangen blaß,
Machtvolle Augen, nachtschwarz und heiß von Haß,
In loderndem Flehn zu dem Kaiser emporgewandt,
Einen blauen Gewebfetzen hielt ihre weiße Hand.
Wie das Flackern von Flammen ging's durch die hohe Gestalt.
Sie rief: »Ich flehe um Rache für Raub und Gewalt!«

Der Kaiser hielt an: »Was hat man dir Edlen geraubt?«

Da hob sie die ringenden Hände, hob wild das Haupt,
Ihre Blicke starrten am Frager vorbei ins Leere.
Sie sprach mit hartem, fieberndem Flüsterton: »Meine Ehre!«

Auf die Knie sank sie in leidenschaftlichem Leid.
»Diesen Fetzen riß ich im Kampfe von seinem Kleid,
Er sei mein Zeuge, mein Kläger zu dieser Stunde,
Sein Wappen, die Adlerklaue in blauem Grunde.
Bist du stark und gerecht, so sühne Schande und Scham!«

Und der Kaiser sah stumm auf des Weibes grimmigen Gram,
Auf ihr strenggeflochtenes Haar, ihrer Blicke Glut;
Er sprach lautschallend: »Ich räche den Frevelmut!
In drei Monden von heut, bei meiner Wiederkehr!
Wähle selbst seine Strafe, wähle sie hart und schwer.
Das Recht will ich hüten im Lande bei meinem Eid.
Recht soll dir werden, Madonna. Stille dein Leid!« – –
»Steh auf!« befahl er, indem er die Hand ihr bot.
Sie streckte sich stolz im Trauergewand und sprach: »Seinen Tod!«

Und die Bleiche schritt still durch die Menge, von Schweigen geehrt.

Drei Monde danach. Der Kaiser war wiedergekehrt.
Und wieder voll drängender Menschen wogte der Plan.
Steil reckten die trotzigen Türme sich himmelan,
Im Sonnenbrand starrend hob sich Kastell an Kastell.
Die Banner bauschten sich, leuchtend und farbenhell,
Und wieder, in Rüstung, zu Pferde, von Rufen umschallt,
In den Bügeln gestreckt die eiserne Kaisergestalt,
Auf dem hohen Sattelsitz, der Schabracke rot,
Und vor ihm das Weib, das sein Herold zum Plan entbot. –
Eine andere jetzt, glückstrahlend und jugendklar!
Von Perlen schimmernd ihr wallendes, schwarzes Haar,
In wonniger, sonniger Schönheit kam sie daher.

Sie sprach seligbewegt: »Keine Sühne begehr' ich mehr!
Den verschmähte, glühende Liebe zum Raube trieb,
Er ist meinem Herzen mehr als mein Leben lieb.
Er gab mir Frieden, statt finsteren Hasses Qual,
Er ist mein Herr, ist mein heißgeliebter Gemahl.
Wir wollen in Liebe mitsammen fröhlich sein!«

Da rief der Kaiser mit dröhnender Stimme: »Nein!
Nie werd' ich rütteln an meinem eignen Gebot.
Du hast es gewollt! Ich befehle des Räubers Tod!
Das eiserne Recht gebietet. Mein Spruch besteht!«
Das entsetzte Weib hat jammernd um Gnade gefleht.

Er ritt langsam davon, von Murmeln und Schreien umhallt.
Im hohen Sattel saß starr die ragende Panzergestalt.

*

 


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